Am frühen Abend marschierten ungefähr 130 Personen, der Großteil davon Neonazis aus Brandenburg und Berlin, anlässlich eines so genannten „Fackelspaziergangs gegen die Flüchtlingspolitik“ durch die nordbrandenburgische Stadt Wittstock/Dosse. Der Aufmarsch wurde von einem massiven Polizeiaufgebot, ungefähr 500 Beamt_innen sollen vor Ort gewesen sein, begleitet und letztendlich auch durchgesetzt. Ein Blockadeversuch von jugendlichen Antifaschist_innen scheiterte in der Ringstraße. Er soll von der Polizei recht rabiat vereitelt worden sein. Zu Festnahmen sei es aber nicht gekommen sein.
Proteste am Rande
Polizeilich geduldete Protestkundgebungen in Hör- und Sichtweite der Asylgegner_innen gab es hingegen nur am angemeldeten Infotisch in der Pritzwalker Straße Ecke Ringstraße. Dort versammelten sich zuletzt ungefähr 50 Menschen und protestierten mit Fahnen und lautstarker Stimme gegen den daran vorbeiziehenden Fackelmarsch.
In der Ringstraße Ecke Wiesenstraße gab es zu dem einen Andacht durch Mitglieder kirchlichen Gemeinde. Diese fand unter dem Motto: „Rassismus widersprechen! Denn vor Gott sind alle gleich.“ statt.
Am Bahnhof, dem Startpunkt des Fackelmarsches der Asylgegner_innen waren zu dem Transparente der Initiativen „Wittstock bekennt Farbe“ sowie „Schöner leben ohne Nazis“ angebracht.
Etwas abseits des Geschehens, aber dafür im Kern der historischen Altstadt, wurde sich ebenso gegen Nazis und Rassismus positioniert. Hier, auf dem Marktplatz der Stadt, fand die Eröffnung des Weihnachtsmarktes statt, die vom Bündnis „Wittstock bekennt Farbe“ ebenfalls genutzt wurde um Luftballons mit den Slogans „Kein Ort für Nazis“ und ähnliches unter die Bevölkerung zu verteilen. Bürgermeister Jörg Gehrmann nutze zu dem seine Eröffnungsrede auf dem Markt, um seinen Unmut für die Veranstaltung der Asylgegner_innen auszudrücken.
Die Marschierer außerhalb der Innenstadt hielt dies freilich nicht auf.
Braune Allianzen
Zu diesem Fackelmarsch hatten übrigens mehrere Initiativen, Vereinigungen und Organisationen mobilisiert. Alleine aus Wittstock/Dosse fielen zwei Socialmedia-Gruppen auf, die vor allem um Teilnehmer_innen aus der Stadt bemüht waren. Zum einen war dies die Gruppe „Asylpolitik in Wittstock NEIN Danke“ mit 397 Mitgliedern, die zwar ein bürgerliches Antlitz vortäuscht, jedoch stark von neonazistischem Gedankengut vereinnahmt wird, und zum anderen die Gruppe „IN WITTSTOCK AUFGEWACHSEN UND DARAUF BIN ICH STOLZ“ mit 54 Mitgliedern, die von dem einschlägigen Neonazi Oliver M. betrieben wird und im Titelbild auch unter dem Namen „Nationale Sozialisten Wittstock/Dosse“ firmiert. Wobei die Gruppe der in WITTSTOCK AUFGEWACHSENen, nicht mit einer gleichlautenden, aber kleingeschriebenen Gruppe mit über 2.000 Mitgliedern, verwechselt werden sollte.
Darüber hinaus warb auch die NPD Potsdam-Mittelmark aus Bad Belzig sowie die Initiative „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“ für die Veranstaltung. Insbesondere letztgenannte Gruppe macht seit einigen Wochen vermehrt von sich Reden. Am Volkstrauertag 2014 marschierte sie unangemeldet mit Fackeln durch die Kleinstadt Gransee (Landkreis Oberhavel). Des Weiteren beteiligten sich Sympathisanten der Initiative am vergangenen Wochenende an einem Aufmarsch von Asylgegner_innen im sächsischen Schneeberg (Erzgebirge). Auch in Wittstock nahmen heute Vertreter_innen von „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“ teil. Diese relativ neue Gruppe scheint ein Netzwerk von Neonazis aus Potsdam-Mittelmark, Brandenburg an der Havel, Oberhavel und Ostprignitz-Ruppin zu sein, dass mutmaßlich von dem Grabower Neonazi Maik Eminger gesponnen wurde. Eminger, der ursprünglich aus dem Erzgebirge stammt und dort in neonazistischen Kameradschaften sozialisiert wurde, trat auch als mutmaßlicher Sprecher dieser Initiative in Schneeberg auf. Auch in Wittstock/Dosse war er heute zugegen und hielt während der Zwischenkundgebung im Bereich Friedrich Schiller Straße einen Redebeitrag. Eminger, dessen Bruder André sich zurzeit beim NSU Prozess in München verantworten muss, steht für den militanten Flügel des neonazistischen Milieus und verfügt über zahlreiche Kontakte zu Gleichgesinnten in NPD, JN, III. Weg, Gefangenenhilfe und anderen Neonaziorganisationen.
Zu diesem Netzwerk halten offenbar auch mehrere Stadtverordnete der nationaldemokratischen Partei. So waren heute u.a. auch Dave Trick aus Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-Ruppin), Robert Wolinski aus Velten (Landkreis Oberhavel) und Pascal Stolle aus Bad Belzig (Landkreis Potsdam-Mittelmark) nach Wittstock/Dosse gereist.
Ansonsten waren weiterhin bekannte Gesichter der „Nationalen Sozialisten Wittstock/Dosse“, der „Aktionsgruppe Nord Ost“ und der „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ vertreten. Die „Freien Kräfte Prignitz“ waren zu dem mit eigenem Banner angereist.
So genannten „Bürger_innen“ waren hingegen nur zu einem kleinen Teil vertreten. Ungefähr 20 bis 30 Personen können diesem Spektrum zugeordnet werden. Der Rest war mehr oder weniger als Neonazi oder Hooligan erkennbar. Für letztgenannte Gruppe wurde übrigens auch extra der Titel „Hooligans gegen Salafisten“ von „Kategorie C“ über den Pkw-Lautsprecherwagen abgespielt.
weitere Fotos: hier
Monat: Dezember 2014
Der für Samstag, den 6. Dezember 2014, in Wittstock/Dosse geplante Aufmarsch von Asylgegner_innen wird höchstwahrscheinlich ohne besondere rechtliche Einschränkungen stattfinden. Lediglich der Startpunkt des Aufzuges wurde von der Stadthalle zum Parkplatzbereich vor der Bahnhaltestelle umverlegt. Von dort aus soll es zunächst in die nördlichen Stadtgebiete, bis zur Friedrich Schiller Straße gehen. In diesem Bereich ist dann eine Zwischenkundgebung geplant.
Asylgegner_innen wollen direkt zu Flüchtlingsunterkünften
Wie bereits befürchtet, führt diese Marschroute bis in unmittelbarer Nähe zu Wohnungen, in denen Geflüchtete untergebracht sind. Auch der Marsch mit Brandfackeln scheint bisher polizeilich nicht untersagt zu sein. Vielmehr bekräftigte die Revierführung, dass die Polizei mit einem großen Aufgebot vor Ort sein wolle und die Sicherheit angeblich so garantieren könne.
Jedoch sind für den Fackelmarsch ungefähr 500 Personen angekündigt, von denen ein großer Teil gewaltbereite Neonazis sein könnten. Im Internet wurden in einer öffentlichen Veranstaltungsgruppe bereits 362 Personen eingeladen. Nach neun Stunden hatten heute allerdings erst 41 potentielle Versammlungsteilnehmer_innen, darunter aber viele einschlägig bekannte Neonazis aus den Landkreisen Prignitz und Ostprignitz-Ruppin, zugesagt. Eine reelle Teilnehmer_innenzahl schwankt möglicherweise zwischen 100 und 250 Personen.
Protestaktionen geplant
Gegen den Aufmarsch sind aber auch Protestaktionen geplant. Ziel dieser ist es, die Asylgegner_innen möglichst fern von den Flüchtlingsunterkünften zu halten.
Als Anlaufpunkt für alle die, die gegen den geplanten Fackelmarsch protestieren wollen, wurde inzwischen auch ein Infotisch in der Pritzwalker Straße Ecke Ringstraße angemeldet. Dieser befindet sich an der Brücke über die Glinze und somit in unmittelbarer Nähe des Anlaufpunktes der Asylgegner_innen. Der Infotisch wurde für die Zeit von 15.00 bis 22.00 Uhr angemeldet. Protest auf Augenhöhe scheint also in jedem Fall möglich.
Des Weiteren plant die Kirche eine öffentliche Andacht in der Zeit von 15.00 bis 18.00 Uhr in der Wiesenstraße Ecke Meyenburger Chaussee, einem möglichen Passierpunkt der Asylgegner_innen.
Die historische, von der Stadtmauer umschlossene Altstadt scheidet hingegen offenbar als Aufmarschfläche aus. Da die Stadt Wittstock dort eine Weihnachtsveranstaltung durchführt, bleibt den Asylgegner_innen der Zugang zur Innenstadt verwehrt. Dafür will das Bündnis „Wittstock bekennt Farbe“ zusätzlich auf dem Markt Präsenz zeigen, um dort mit Bürger_innen ins Gespräch zu kommen und ihnen Material für ein Bekenntnis zu einer weltoffenen Stadt zu übergeben.
Karte als PDF: Wittstock Plan 6.12
Zu einer Bürgerversammlung zum Thema „Unterbringung von Flüchtlingen“ hatte am Abend die Stadt Wittstock/Dosse und der Landkreis Ostprignitz-Ruppin geladen. Die Veranstaltung fand in der Stadthalle an der Ringstraße statt. Ungefähr 250 Menschen aus dem Stadtgebiet und der näheren Umgebung von Wittstock, darunter 30 Mitglieder des Bündnisses „Wittstock bekennt Farbe“, aber auch genauso viele mutmaßliche Sympathisanten der Initiativen „Asylflut in Wittstock NEIN DANKE“ und „Asylpolitik in Wittstock NEIN DANKE“, nahmen daran Teil.
In der anschließenden Diskussion ergriffen sowohl Flüchtlingsbefürworter als auch Asylgegner_innen das Wort.
Bisherige Kontroverse
Die Stadt Wittstock hat im Zuge der momentan durch Krieg und Verfolgung ansteigenden Flüchtlingszahlen, ähnlich wie andere Gemeinden im Landkreis, Verantwortung übernommen und ungefähr 45 Flüchtlinge aufgenommen. Diese wurden im so genannten „B3 – Center“ (Bett, Bike, Bowling), östlich des historischen Stadtkerns untergebracht. Obwohl dadurch, laut Stadt, weder der Betrieb des Centers noch sonstige Beeinträchtigungen im öffentlichen Leben oder sozialen Gefüge zu erwarten sind, zieht seit einigen Wochen eine Bürgerinitiative mit Namen „Asylflut in Wittstock NEIN DANKE“ sowie seit neuesten eine Gruppe mit dem Arbeitstitel „Asylpolitik in Wittstock NEIN DANKE“ hauptsächlich im Socialmedia-Bereich gegen diesen Akt der Menschlichkeit zu Felde.
Am 8. November 2014 führte die NPD zu dem eine Kundgebung mit 100 Teilnehmer_innen auf dem Wittstocker Markt durch, bei der zum einen ein im nächsten Jahr anstehender Neonaziaufmarsch in Neuruppin und zum anderen die Unterbringung von Flüchtlingen in Wittstock thematisiert wurden. Im Rahmen dieser Versammlung wurden auch Flugblätter verteilt, die offenbar ein bürgerliches Publikum ansprechen sollen, jedoch auch klar mit neonazistischer Terminologie ausgestaltet wurden. Auch der Inhalt ist mehrdeutig verfasst. Zum einen wird der Stadt, trotz einer umfassenden, im Netz nachlesbaren Pressemitteilung vom 24. Oktober 2014, eine mangelnde Informierung der Bevölkerung zur Unterbringung von Asylsuchenden vorgeworfen und zum zweiten den Flüchtlingen selber, ohne das bereits nur ein einziger Fall vor Ort nachgewiesen wurde, „Asylbetrug“ unterstellt. Ein Umstand der dem Straftatbestand der Volksverhetzung schon sehr nahe kommt und ein Beispiel für die gefährliche, mitunter explosive Anspannung und Polarisierung in der Stadt ist. Außerdem heizt das neonazistische Milieu durch Socialmedia-Propaganda und die erklärte Unterstützung eines geplanten „Fackelspaziergangs“ gegen die „Flüchtlingspolitik“ am kommenden Samstag die Debatte zusätzlich an.
Die Versammlung
Stadt und Landkreis hatten deshalb am heutigen Abend ab 18.30 Uhr zu einem Dialog eingeladen. Asylbefürworter und Gegner mobilisierten ebenfalls. Alle Parteien, einschließlich bekannter Vertreter des lokalen Neonazimilieus, waren dann auch erschienen.
Zunächst leitete Bürgermeister Jörg Gehrmann die Veranstaltung mit der Vorstellung der Podiumsbeisitzer von Stadt, Landkreis und Polizei ein, erklärte die Spielregeln der Diskussion und betonte, dass Wittstock für Toleranz steht. Anschließend übergab er das Wort an eine Vertreterin des Landkreises, die nun erst einmal einen allgemeinen Faktenüberblick zum Thema Asyl vermittelte. Demnach wird für das Jahr 2014 von 5.862 Flüchtlingen im gesamten Land Brandenburg ausgegangen, die zunächst in Eisenhüttenstadt aufgenommen und von dort auf die einzelnen Stadt- und Landkreise aufgeteilt wurden. Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin gibt es derzeit eine dauerhafte Unterkunft mit 208 regulären Plätzen und 16 Notfallplätzen in der Kreisstadt Neuruppin. Ab Mitte Dezember wird eine weitere größere Unterkunft mit Platz für ungefähr 100 Menschen in Wusterhausen/Dosse dazukommen. Außerdem gibt es ein Wohnverband von Flüchtlingen in Lenzke bei Fehrbellin sowie drei Notunterkünfte, darunter eine, das B3-Center, in Wittstock/Dosse. Hauptziel des Landkreises ist jedoch die Asylsuchenden in Wohnungen unterzubringen, um damit eine bessere Integration zu ermöglichen. Diesbezüglich wurden bereits auch vier Wohnunterkünfte in Wittstock/Dosse angemietet.
Dann plötzlich ein Zwischenruf aus dem asylablehnenden Lager. „Wurde über gefragt, ob wir die Flüchtlinge überhaupt wollen?“, ruft ein Mann mit polierter Glatze, Brille und einem Wolfstattoo am Hals. Es ist der Bürger Sandy Ludwig der sich da bemerkbar macht. Er ist bekennender Nazi und trat als Wortführer der anwesenden Asylgegner auf. Bürgermeister Gehrmann weißt ihn jedoch zu Recht. Er solle sich ordentlich verhalten und sich mit Namen vorstellen. Ludwig gehorcht, lässt die Landkreismitarbeiterin ausreden, stellt sich dann brav vor und formuliert seine Frage erneut. Bürgermeister Gehrmann, der in Punkto Flüchtlingsaufnahme die Stadtverordneten hinter sich hat, lässt die Frage jedoch kalt und wiegelt den Glatzkopf ab. „Die Frage entbehrt jede Antwort“, so der Herr im Rathaus.
Eine Bürgerin nutzt jedoch die Gelegenheit nun und bekennt: „Wir haben die Pflicht Menschen auf der Flucht zu helfen. Uns geht es gut. Wir können helfen“. Applaus von Zweidritteln der Zuhörer_innen im Saal. Weitere Bekenntnisse für die Flüchtlinge folgen.
Für diese Menschen steht eher die Frage im Vordergrund: wie kann konkret geholfen werden? Insbesondere das sprachliche Aufeinanderzugehen liegen ihnen offenbar am Herzen. Diesbezüglich ergreift der Bürger Schmidt, ein Schulleiter, das Wort und weißt darauf hin, dass es ein Anrecht auf schulische Förderung auch für Asylsuchende gäbe.
Anschließend meldet sich der Bürger M. Schumann aus den Reihen der Asylgegner und fragt, wer dann, wenn die Flüchtlinge kämen, für die „Sicherheit unserer Kinder und Frauen“ sorgt. Gelächter und Buh-Rufe erfüllen den Saal. Offenbar entbehrt auch diese Frage jeglicher Grundlage. Doch der Polizeibeamte Weichmut nutzt diese Gelegenheit, um den Standpunkt der Polizei in der Kontroverse darzustellen. So gab es im Jahr 2013 ungefähr 8.000 Straftaten im Landkreis Ostprignitz-Ruppin bei denen 3.200 Tatverdächtige ermittelt wurden. 200 davon sollen Ausländer gewesen sein, also Gastarbeiter, andere EU-Bürger, Reisende etc. Lediglich acht Straftaten wurden 2013 von Asylsuchenden begangen und dies waren meistens Streitigkeiten untereinander. Insofern sieht die Polizei kein besonderes Sicherheitsrisiko durch mehr Flüchtlinge und momentan sowieso nicht, da höchstens zehn in Wittstock leben.
Wohl aber beobachtet die Polizei die Kontroverse um die Flüchtlinge und kündigt Präsenz zum geplanten „Fackelspaziergang“ der Asylgegner_innen an.
Auch die Mehrheit der zur Bürgerversammlung anwesenden Wittstocker_innen sehen sich nicht durch steigende Flüchtlingszahlen bedroht. Sie applaudierten der Bürgerin Borg, die dies offenbar stellvertretend für den Großteil der Anwesenden aussprach. Ein weiterer Bürger bekräftigte sogar, dass gerne noch mehr Flüchtlinge kommen könnten. Schließlich sei auch der Landkreis Ostprignitz-Ruppin von der Abwanderung vieler Menschen betroffen. Der Zuzug von Flüchtlingen könnte so auch ein Garant sein, dass die vorhandene Infrastruktur erhalten bleibt und nicht noch mehr Menschen dem Landstrich den Rücken kehren.
Dann versuchten sich die Asylgegner_innen abermals durch die Wiedergabe von „Gerüchten“, Halbwissen und Vorurteilen in Position zu bringen. Scheiterten aber wieder, da ihnen offenbar die Sachkenntnis zu den Themen fehlt und „Gerüchte eben kein Gericht“ sind, wie der Bürgermeister ihnen zu verstehen gab.
Weitere Fragen folgen nicht. Die Mehrheit im Saal ist für die Aufnahme von Flüchtlingen, die Asylgegner_innen verlassen frustriert den Saal.
Bürgermeister Gehrmann resümiert: Wittstock ist nicht nur tolerant, sondern auch bereit sich um Flüchtlinge zu kümmern.
Nächste Runde: Fackelmarsch
Doch ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Immerhin mobilisieren die Asylgegner_innen weiter für ihren geplanten „Fackelspaziergang“ am Samstag. Ihre Socialmedia-Präsenz „Asylflut in Wittstock NEIN DANKE“ hatte bis zur gestrigen Abschaltung sogar über 1.300 „Gefällt mir“-Angaben. Und auch in der Ersatzgruppe „Asylpolitik in Wittstock NEIN DANKE“ sind bereits über 300 Mitglieder. Ein Moderator fast den Abend bei der Bürgerveranstaltung bereits als Misserfolg zusammen und vertraut nun um so mehr auf ein „Zeichen“ auf der Straße am kommenden Samstag.
Tatsächlich fehlen auch der Stadt bisher wirksame Konzepte gegen die angemeldete Demonstration der Asylgegner_innen. Als Alternative soll der jährliche Weihnachtsaufzug durch die Innenstadt zeitgleich stattfinden und dem „Fackelspaziergang“ so zumindest die Aufmerksamkeit entziehen.
Konkrete Proteste hat hingegen die Initiative „Westbrandenburg Nazifrei“ auf dem alternativen Portal „Inforiot“ angekündigt. Genaueres steht aber offenbar auch hier noch nicht fest.
weitere Fotos: hier
Ihr kennt sie wahrscheinlich, fahrt oder lauft an ihr vorbei oder seid vor einer Weile noch mit dem Fahrrad darüber gefahren, als es die Schnellstraßenauffahrt im Zentrum Ost noch gab. Vielleicht habt ihr auch schon einmal hier Fußball gespielt, gegrillt oder getanzt. Gemeint ist die Grünfläche zwischen dem Babelsberger Park und der Schnellstraße, die selbstbenannte Nowawiese- ein Ort, an dem sich die Bewohner_innen der Stadt genommen haben, was sie brauchten. Zuerst entstand ein Hundeauslaufplatz, vor über sechs Jahren wurde die „la Datscha“ besetzt und realisiert seitdem selbstverwaltet diverse Projekte und Veranstaltungen, es wurde ein Beachvolleyballplatz geschaffen, welcher von unterschiedlichsten Gruppen genutzt wird, ein kleiner Strand entstand direkt an der Havel, der Kinder- und Jugendfußballverein „Concordia Nowawes 06“ besetzte vor 5 Jahren einen Bolzplatz und 2011 gab es sogar einen Ideenworkshop, in welchem Nutzer_innen und Interessierte gemeinsam verschiedene Varianten zur Gestaltung der Nowawiese für Sport und Erholung diskutierten und herausarbeiteten.
Und vielleicht habt ihr auch schon die schwarz-weißen Plakate gesehen, die daraufhinweisen, dass die Stadt Potsdam Pläne hat, u.a. das Grundstück auf dem sich die Datscha befindet, wort- und bedingungslos an die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) abzugeben. Hintergrund des Ganzen ist eine scheinbar ewig währende Diskussion zwischen Stadt und eben jener Stiftung um die Eigentumsrechte der Flächen zwischen Babelsberger Park und der Schnellstraße — der Nowawiese. Aber nicht nur uns betrifft dieser Plan, sondern auch “Concordia Nowawes 06”, der nach langen Diskussionen, Vorschlägen bei Bürgerhaushalten, dem illegalen Errichten eines Bolzplatzes und einigen Kinderdemonstrationen vor dem Rathaus, erreicht hat, dass auf diesem Grünstreifen ein Fußballplatz neu gebaut werden soll. Erklärte Gegnerin dieses Projektes und eigentlich aller Projekte, die vom preußischen Einerlei abweichen und sich zu nah an ihr Hoheitsgebiet heranwagen, war von Beginn an die SPSG. Im Raum steht nun ein Flächentausch.
Wer kommt eigentlich auf solche Ideen? Das fragen wir uns auch!
Bezug nimmt die Stadtverwaltung auf einen Kompromiss, der im Zusammenhang mit dem Neubau des erwähnten Fußballplatzes geschlossen worden ist. Um die Diskussion zu beenden, wurde als letzte Instanz die Kultusministerin des Landes Brandenburg Sabine Kunst um Ministerbescheid gebeten. Diese hat sich dann zwar für den Bau des Sportplatzes ausgesprochen, sich aber in ihrer Doppelrolle als Vorsitzende des Stiftungsrates der SPSG auch noch gleich ein dickes Geschenk gemacht. Der als Kompromiss verkaufte Flächentausch besagt, dass der Platz nur dann gebaut werden dürfe, wenn im Gegenzug die gesamte Restfläche in den Besitz der Stiftung übergehe. Ist schon etwas eigenartig, wenn der Beistand aus dem Vorstand einer der Streitparteien kommt. Da wurde der ministeriale Bock wohl zum Gärtner gemacht.
Wir aus “La Datscha” befürchten das Schlimmste, sollte die Stiftung zur Eigentümerin des Areals werden auf dem sich unser Projekt befindet. Denn das hat die Stiftung immer wieder klar gemacht, sie will Projekte wie das unsere nicht im direkten Umfeld der Weltkulturerbe-Parks dulden. Zu befürchten wäre, dass die Stiftung uns räumen lassen würde, um die Datscha abreißen zu lassen, um ihrem Plan einer Pufferzone um alle Parks ein Stück näher zu kommen. Und auch diverse andere nicht in das Bild der Stiftung passende Initiativen können so besser verdrängt werden. Und nun haben wir den Salat!
Wie das so ist in Potsdam, werden in dunklen Kammern und Hinterzimmern Ideen ausgeheckt und kommen über die Bevölkerung, wie ein unabänderliches Naturgesetz. Es wird so getan, als sei dieser Beschluss eine unumstößliche Sache, denn schließlich hat eine Ministerin das alles so gewollt, da würde Widersprechen ja einem Obrigkeitsverrat gleichkommen.
In den letzten Jahren ist nicht nur die Datscha entstanden, nicht nur Kinder spielen Fußball, auch die Wiesen werden zur Erholung, zum Picknick oder Feiern genutzt und das alles ohne Regulierungen, Vorschriften oder Verbote. Damit ist sie eine der wenigen Ecken Potsdams, wo so etwas noch möglich ist.
Dass es mehr als irrational ist, genau die Stiftung als Gegnerin einer Belebung des Grünstreifens zur Besitzerin zu machen, erklärt sich ja eigentlich fast von selbst. Die Stadt Potsdam will aber nicht nur die Diskussion um das Thema abwürgen, sondern sich wiedereinmal aus der Verantwortung ziehen. Es ist gar nicht so abwegig, das nach diesem Eigentümerwechsel, die Datscha geräumt wird und die Nowawiese nicht mehr durch Anwohner_innen genutzt und gestaltet werden kann. Und Alles, ohne das sich die Stadt schmutzig macht oder der Bürgermeister sich erklären muss, denn schließlich hat es die Ministerin ja so gewollt.
Aber wir kennen die aberwitzigen Pläne der Stiftung und wissen wie es weiter gehen soll. Das Strandbad soll raus aus dem Babelsberger Park und zwar an die Schnellstraße, die Datscha wird dann zum Parkplatz und das bisherige Strandbad zur Sichtachse. Das sogenannte Nuthe-Ohr, die ehemalige Abfahrt der Schnellstraße, wird abgetragen- der Berg war zu Zeiten Friedrichs des Großen schließlich auch noch nicht da und bei nächster Gelegenheit wird dann bestimmt der Fußballplatz wieder planiert und das Zentrum Ost gesprengt? War da nicht noch ’ne Sichtachse? Und dann müssen nur noch diese lästigen Bewohner_innen weg und schon ist Potsdam ein Museum.
Aber scheiß drauf! Wir überlassen diesen Leuten nicht die Stadtplanung, denn schließlich gibt es die Datscha und das drumherum nur, weil uns der Klüngel und all der preußische Quatsch gestört hat. Die Stadt Potsdam ist Besitzerin des größten Teils der Flächen und es gibt keinen vernünftigen Grund an diesem Zustand etwas zu ändern. Die verantwortlichen Stellen in der Stadt und eben auch allen voran der Bürgermeister sollten sich klar machen, dass sie sich nicht immer vor der Verantwortung gegenüber den Menschen die hier leben, drücken können.
Die Datscha ist besetzt und wird es bleiben!! Wenn die Stadt Potsdam meint sich auf diesem Wege aller Probleme rund um die Nowawiese entledigen zu können, ohne das unser Unverständnis und die Wut darüber an ihre Adresse gerichtet sein wird, hat sie sich getäuscht!! Wir verschließen nicht die Augen und Ohren. Wir lassen uns auch nicht den Mund verbieten und niemand räumt still und heimlich die Datscha. Wir lassen uns nicht verarschen und schauen nicht einfach zu, wie die Stadtpolitik versucht eine “Befriedung”, wohl eher “Verpreußung” vorzubereiten. Und uns ist es herzlich egal ob da irgendwelche Minister_innen mitreden wollen.
Wir haben uns in der Vergangenheit nicht dafür interessiert, was solche Leute wollen und das wird auch in Zukunft so bleiben!!
Niemand beendet dieses Projekt ohne Ärger! Datscha Bleibt! Fußballplatz für Concordia Nowawes! Wir bleiben Alle!
Wittstock – eine kleine Stadt im Nordwesten Brandenburgs. 15.000 Einwohner_innen leben hier und seit kurzem auch 45 Geflüchtete. Zuviel wie manche finden…
Fackelmarsch am Samstag
Eine „Aktionsgruppe Wittstock“ ruft deshalb auf ihrer Präsenz „Asylflut in Wittstock NEIN DANKE“ für Samstag, den 6. Dezember 2014, zu einem „Fackelspaziergang“ – um nicht zu sagen „Fackelmarsch“ – auf. „Bürgerwut“ soll auf die Straße getragen werden. Bis zu 500 „Bürger_innen“ werden erwartet. Das hier aber vor allem Neonazis und deren Sympathisant_innen aus nah und fern erscheinen werden ist absehbar. Bei einer ähnlichen Veranstaltung am 8. November 2014 nahmen bereits Abgesandte des neonazistischen Milieus aus ganz Westbrandenburg teil. Auch für den kommenden Marsch wird weiträumig in der Szene geworben. U.a. ruft auch die NPD Potsdam-Mittelmark aus dem 140km entfernten Bad Belzig zur Teilnahme auf.
Angemeldet soll der Fackelmarsch von einer bisher polizeilich nicht in Erscheinung getretenen Person worden sein. Möglicherweise um die Spur der tatsächlich handelnden Akteure zu verschleiern. Als Treffpunkt wird die Stadthalle in der Ringstraße, ab 16.00 Uhr, beworben. Möglich ist aber auch ein Vorabtreff am Bahnhof. Die endgültige Route des geplanten Marsches ist bisher nicht bekannt, könnte aber wegen anderer Veranstaltungen um die Innenstadt herum, in die nördlichen und/oder südlichen Stadtgebiete führen. Wahrscheinlich ist nach derzeitigem Stand sogar das Szenario, dass die (freundlich formuliert) Asylgegner_innen mit ihren Fackeln sogar bis zu den Wohnunterkünften der Geflüchteten ziehen dürfen. Und dies ist nicht unproblematisch.
Neonazistischer Szeneschwerpunkt Wittstock
Wittstock gilt seit mehr als zwei Jahrzehnten als Stadt mit einer extrem gewaltbereiten und dominant auftretenden neonazistischen Jugendszene. Angriffe auf Menschen oder deren Einrichtungen waren und sind keine Seltenheit. Extreme Negativbeispiele dafür sind u.a. die Tötung von Kajrat Batesov im Mai 2002, ein vollendeter Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss im Februar 1999, ein versuchter Brandanschlag auf einen Dönerstand im September 2009 sowie dutzende Fälle rassistisch oder neonazistisch motivierter Körperverletzungen und Sachbeschädigungen in den letzten 25 Jahren.
Nach einer relativen Ruhephase in den letzen Monaten ist das lokale Neonazimilieu im Zuge der Unterbringung von Geflüchteten in der Stadt zu neuem Aktionismus erwacht. Noch kam es zu keinen Übergriff, jedoch wird die Stimmung, so kann es auf der Internetseite „Asylfut in Wittsock NEIN DANKE“ verfolgt werden, zunehmend aggressiver. Gezielt werden falsche, einseitige, unsachliche oder polarisierende Informationen verbreitet und dadurch ein extremer Verbalradikalismus gefördert, der sich in der Aufhitzung der Situation, auch durch vergleichbare, medial präsente Prozesse in andern Orten, durchaus demnächst lokal entladen könnte.
Gegen Hetze und Rassismus
Damit wollen wir uns jedoch nicht abfinden und am 6. Dezember 2014 in Wittstock gegen die Hetze und gegen Rassismus protestieren.
Wir wollen nicht hinnehmen, dass Menschen in Angst leben und ohnmächtig ihrem Schicksal überlassen werden.
Wir wollen auch in Wittstock zeigen, dass eine andere Welt, ohne Rassismus möglich ist.