Erardo Rautenberg, Generalstaatsanwalt in Brandenburg, hat eine neue Strategie rechtsextremer Parteien beobachtet. Man stelle sich als “nette Nazis” da, die zu Unrecht von Behörden verfolgt würden, so Rautenberg im Deutschlandfunk. „Dies zeigt die Strategie der NPD oder beziehungsweise aller rechtsextremer Parteien, die die Erfahrung gemacht haben, dass rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten die Bevölkerung abschrecken und nicht zu Wählerstimmen führen.“ Man versuche daher „einerseits, die Angehörigen gewaltbereiter Gruppierungen an die Parteien zu binden; andererseits verfolgt man aber — und zwar insbesondere die NPD — die Strategie, sich gegenüber dem Wahlvolk als “nette Nazis” darzustellen, die hilfsbereit sind und die von den Medien und von den Behörden zu Unrecht verfolgt werden“, erklärte Rautenberg. Diese Strategie gehe „eben zum Teil auf“.
Rautenberg betonte, Polizei und Justiz räumten der rechtsextremen Gewalt in Brandenburg höchste Priorität ein. Inzwischen sei es auch so, dass von Polizei bis zu den Gerichten hin schnell reagiert werde. Dies sei ein Grund für den Rückgang rechtsextremer Gewalt. „Der zweite Baustein ist allerdings präventive Maßnahmen des Innenministeriums insbesondere gegen Kameradschaften, wo sich der brandenburgische Innenminister Schönbohm sehr verdient gemacht hat.“
Zivilgesellschaft aktiviert
Zudem, so Rautenberg, „und das ist für mich das Wichtigste — ist in Brandenburg die Zivilgesellschaft mobilisiert worden. Das war nicht immer so, aber 1997 hat man in Brandenburg ein Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gegründet und ein Jahr später das Handlungskonzept “tolerantes Brandenburg”. Ich denke, dass dieses Engagement von Bürgern gegen Rechtsextremismus inzwischen Früchte trägt.“
Zu ähnlichen Ergebnissen kam das Moses Mendelssohn Zentrum bei einer Tagung. Nach einem Bericht der Potsdamer Neuesten Nachrichten sei „die Demokratie wehrhafter geworden“. Dr. Gideon Botsch vom MMZ habe die extreme Rechte – namentlich die NPD – und ihre Strategien und Ziele genauer betrachtet. In zwei zentralen Punkten konnte er demnach zumindest vorerst Entwarnung geben. Es habe keine Verdichtung von lebensweltlichen nationalen Milieus – etwa sogenannte „ national befreite Zonen“ – stattgefunden. „Eine räumliche Dominanz ist nicht eingetreten“, stellt er fest.
Kein Marsch in die Mitte
Auch habe die Partei nicht den Marsch in die Mitte der Gesellschaft angetreten, vielmehr beobachten die Sozialwissenschaftler eine Entkoppelung vom öffentlichen Leben. Nicht Handwerker, Händler oder andere Vertreter der Bürgerschaft hätten letztlich zur Kommunalwahl 2008 auf den Wahllisten der NPD gestanden, sondern die üblichen Aktivisten, die durch ihr Äußeres und ihre Statements klar dem rechten Lager zuzuordnen waren. „Das nationale Lager schraubt sich aus der Gesellschaft heraus und genügt sich zunehmend selbst“. Einerseits also eine erfreuliche Entwicklung: die extremen Rechte hat es nicht in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Andererseits sei aber das Entstehen einer rechtsextrem-völkischen Gegenwelt zu beobachten. Eine nicht ungefährliche Entwicklung. Als besonders heikel betrachten die Forscher dabei, dass zunehmend Kinder in nationalen Jugendcamps rekrutiert und indoktriniert würden. „Das sind die Wähler in zehn Jahren“, warnte Botsch.
Das Abkoppeln der NPD aus der Gesellschaft sieht er laut PNN allerdings nicht als Scheitern. Die NPD verfolge hingegen eine Wahlkampfstrategie, „die den Weg in die Mitte der Gesellschaft vorerst gar nicht sucht.“ Vielmehr konzentriere sich die Partei auf Wählerschichten, bei denen sie keine Konkurrenz fürchten muss: das abgehängte Prekariat. Die NPD bewerbe sich in Anlehnung an eine Parole der DDR-Opposition als „Partei der Dagebliebenen“, als heimatverbundene Regionalpartei. Die Brisanz dieser Ansprache unterstreiche, dass Brandenburg mittlerweile in einen prosperierenden Speckgürtel um Berlin und strukturschwache und teils sogar abgehängte Regionen am Rand zerfalle. Das Wählerverhalten sei entsprechend: „Rechtsextreme Einstellungen sind in Berlin am niedrigsten, im Umland moderat, und steigen zu den Randgebieten hin an“, so Botsch dem Bericht zufolge.
Warnung vor der DVU
Dirk Wilking vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg ergänzte die Ausführungen von Gideon Botsch. Er konnte bestätigen, dass die Versuche von Rechtsextremen in die verschiedenen Milieus der Zivilgesellschaft einzudringen vielfach gescheitert seien. Einig war er sich mit Botsch allerdings auch, dass die DVU sowohl in Sachen Populismus wie auch Entwicklung zur Militanz nicht unterschätzt werden dürfe. Wilking warnte demnach auch davor, dass die NPD gerade im ländlichen Raum aktiv sei, da sie dort kaum Konkurrenz im politischen Diskurs zu erwarten habe. Eine Tagungsteilnehmerin aus Guben wusste nach Angaben der PNN davon zu berichten, dass Jugendliche aus einem Problemviertel des Ortes regelmäßig von Rechtsgerichteten zu Schießübungen mitgenommen würden. Wilking hält es für äußerst brisant, dass soziale Randmilieus von der Politik vergessen würden. „Dort sind Angebote nötig“, forderte er.
Dass genau darin ein Kern des Problems liegt, deutete der Sozialforscher Dietmar Sturzbecher von der Uni Potsdam an. Regelmäßig untersucht er Einstellungen und Motivationen der Jugendlichen in Brandenburg. Eines seiner Ergebnisse: Gewaltbereite Jugendliche mit rechtsextremen Einstellungen kommen häufig aus Familien mit besonders hohem Zusammenhalt, in denen allerdings auch geprügelt wurde. „Es scheint so, als würden diese Jugendlichen in den rechten Gruppen sowohl Zusammenhalt als auch Gewalttätigkeit suchen“, sagte Sturzbecher. Die Ergebnisse seiner letzten Querschnittsstudie lassen allerdings auch etwas Hoffnung zu. Demnach lag der Höhepunkt der Gewaltbereitschaft in der Mitte der 90er Jahre. 2005 war die Bereitschaft von Jugendlichen, sich gegen Gewalt zu engagieren, merklich angestiegen. „Das ist eigentlich das beste Ergebnis, sagte Sturzebecher. Die Zahl derjenigen, die gegen Gewalt etwas sagen wachse. „Und das ist ein Teil der Problemlösung.“