Die Zahl rechtsextremer Übergriffe in der Stadt steigt dramatisch an. Nach Angaben des Polizeipräsidiums Potsdam wurden allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 41 solcher Straftaten registriert, das war eine mehr als im ganzen Jahr 2001. Die Fraktion Die Andere hatte um die Auskunft ersucht.
Auf ihre Anfrage hin schlüsselte die Polizei die Fälle nach Stadtteilen auf. Die behördliche Statistik widerlegt die verbreitete These, wonach besonders die Plattenbausiedlungen als anfällig gelten. Schwerpunkte waren im ersten Halbjahr 2002 die Innenstadt, die Teltower Vorstadt und das Wohngebiet Am Stern mit jeweils neun registrierten Übergriffen. Es folgen Drewitz mit sechs, Babelsberg mit drei und Bornstedt mit zwei derart motivierten Straftaten. Ohne solche Zwischenfälle blieben Nedlitz, Eiche, die Berliner Vorstadt, die Nauener Vorstadt, der Schlaatz und die Waldstadt II. V.Kl.
Jahr: 2002
Die rechtsextreme NPD darf morgen unter strengen Auflagen in Potsdam marschieren. Die vom Landesverband angemeldete Kundgebung sei genehmigt, sagte Polizeipräsidiumssprecher Rudi Sonntag.
Der Polizei liegen sechs Anmeldungen für Gegendemonstrationen vor. Bei der Hauptkundgebung auf dem Alten Markt werden Ministerpräsident Matthias Platzeck und der amtierende Oberbürgermeister Jann Jakobs sprechen. Dabei sind Parteien und Gewerkschaften, Verwaltung und Stadtverordnete. Der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der Universität, das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und der evangelische Kirchenkreis beteiligen sich. Die PDS unterbricht ihren Kreisparteitag.
Zu den Auflagen für die NPD gehört das Verbot von Uniformen und Kleidungsstücken, die auf eine gemeinsame Gesinnung deuten. Untersagt sind Trommeln und Fahnen, außer der Bundesflagge und der Parteifahne. Ferner darf der Aufmarsch wegen “erheblicher Verkehrsbehinderungen” nicht vom Hauptbahnhof über die Lange Brücke führen.
Ein Verbot der Demonstration hätte laut Sonntag vor Gericht “vermutlich” keinen Bestand gehabt. Das Motto laute: “Gegen US-Terror — Kein Blut statt Öl”. Daraus sei kein Anfangsverdacht der Volksverhetzung abzuleiten. Beim NPD-Aufmarsch vom 14. September unter dem Motto “Stoppt die Masseneinwanderung russischer Juden — Deutschland den Deutschen” sei das anders gewesen. Dennoch hätten die Gerichte das ursprüngliche Verbot der Polizei nicht bestätigt.
Der Asta warnt angesichts des neuen Demonstrationsmottos davor, “rechten Rattenfängern ins Netz” zu gehen. Die NPD sehe genau wie viele ihrer ultrarechten Kameraden die USA als Sinnbild für das kapitalistische Weltjudentum. Amerika werde “von einer jüdischen Minderheit dominiert” (NPD-Homepage). Daher sei auch diese Demonstration antisemitisch motiviert, so der Asta. Sein Motto für die um 11 Uhr beginnende Kundgebung am Alten Markt: “Gegen Antiamerikanismus und Faschismus — Studierende gegen Rechts!”
Die Initiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte fordert die Polizei auf, die Route des NPD-Aufmarsches bekannt zu geben. Sie wendet sich gegen die Polizeiaussage, dass Gegendemonstranten mit Spruchbändern nicht den Schutz einer Spontandemonstration genießen könnten und erklärt: “Vielmehr finden sich in jedem geordneten Potsdamer Haushalt Transparente mit antifaschistischen Losungen, die natürlich schon aus Sparsamkeitsgründen trocken gelagert und mehrfach verwendet werden.”
NEURUPPIN
Im Mordfall des 16-jährigen Marinus Schöberl aus Potzlow (Landkreis Uckermark) soll laut Staatsanwaltschaft Neuruppin spätestens in drei Monaten Anklage erhoben werden. Als Tatmotiv werde neben niedrigen Beweggründen auch eine rechtsextreme Gesinnung angenommen, sagte Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper gestern in Neuruppin. Es werde eindeutig von Mord ausgegangen. Nach der Festnahme des Trios hatte es bei der Staatsanwaltschaft geheißen, die Zugehörigkeit aller drei jungen Männer zur rechten Szene sei “sehr deutlich” zu erkennen.
Die in Untersuchungshaft sitzenden 17 und 23 Jahre alten Tatverdächtigen sollen den Schüler am 12. Juli auf das schwerste misshandelt, getötet und in einer Jauchegrube vergraben haben. Während die beiden 17-Jährigen ein Geständnis abgelegt hätten, schweige der 23-Jährige zu den Vorwürfen, sagte Lodenkämper. Der Leitende Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher hatte zu der Tat gesagt: “So etwas Schreckliches erleben wir selten.”
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach Angaben von Lodenkämper auch wegen unterlassener Hilfeleistung. Dazu habe es bereits erste Vernehmungen gegeben. Nähere Ausführungen wollte sie dazu nicht machen. Laut Medienberichten wird angenommen, dass Zeugen die Auseinandersetzung der Jugendlichen vor dem Verbrechen miterlebten. Einer der Tatverdächtigen soll vor kurzem im Bekanntenkreis die Stelle erwähnt haben, wo der Tote lag. Daraufhin hätten Kinder, Jugendliche und Bekannte nach der Leiche gesucht und die Polizei verständigt.
Auf Grund der entsetzlichen Ereignisse haben wir versucht, unsere Erkenntnisse über rechtsextreme Aktivitäten in dieser Region zusammenzufassen.
Die zu beschreibende Region reicht von Gerswalde im Westen über Flieth und Suckow, dann in Richtung Norden über den Ober- Uckersee und Potzlowsee mit Warnitz, natürlich den Orten Potzlow, Strehlow und Pinnow bis nach Sternhagen, Lindenhagen.
Die gesamte Region ist uns aus den konkreten Recherchen der Jahre 2000 und 2001 ziemlich gut bekannt. Aus der jüngeren Vergangenheit haben wir vor allem die rechtsextremen Straftaten registriert.
Aus unserer Sicht gibt es in der Region schon lange eine sehr aktive und jugendkulturell recht dominante rechtsextreme Szene. Sie fiel auch vor diesem Mord durch sehr militante und gewalttätige Aktionen auf. Genannt seien in diesem Zusammenhang der Mord an einem 45- jährigen Mann 1997 in Potzlow, die Angriffe auf die Räume der jungen Gemeinde in Sternhagen und Lindenhagen 1997/98, den Angriff auf linke Jugendliche im Sommer 2001 in Suckow und die Angriffe auf polnische Jugendliche und Polizisten in Warnitz im Sommer und Herbst 2001. Die möglichen Angriffsziele, dass zeigen schon die Beispiele waren sehr variabel: Andersdenkende Jugendliche, Ausländer, Polizisten oder auch Fremde. In Pinnow waren zum Beispiel lange Zeit zugezogene Berliner das Ziel von Angriffen (Schmierereien, Drohungen, Überfälle 1999). Wenn eine Zeitlang weniger passierte, so waren sich unsere Interviewpartner sicher, so lag das meist daran, das einige besonders gewalttätige Aktivisten gerade wieder im Knast saßen. Ganz deutlich ist aber immer wieder geworden , dass sie dann „aktiv“ worden, wenn ihre jugendkulturelle Hegemonie in Gefahr war.
Auch die möglichen Treffpunkte der Szene sind meist bekannt: Jugendräume in den Dörfern wie in Suckow und Pinnow, alte Anlagen der LPGen, Kneipen und in der warmen Jahreszeit die zahlreichen Seen der Region. Immer wieder stand selbst in der Zeitung davon, das die Polizei mal ein Lagerfeuer am Potzlowsee oder am ein Zeltlager am Sabinensee oder am Uckersee aufgelöst hat wie 2000 und 2001. Auch in den Diskotheken der Region wie in Milmersdorf, Prenzlau oder Kaakstedt sind sie regelmäßig zu treffen. Eine besondere Position nimmt das Jugendzentrum in Strehlow ein. Dort wird sich schon länger an akzeptierender Jugendarbeit versucht. Jugendliche Rechtsextremisten der gesamten Region treffen sich dort, eine rechter Aktivist wurde auch schon mal als Sozialarbeiter eingestellt.
Rechtsextrem orientierte Jugendliche der Region haben immer wieder ihre Gesinnung öffentlich gezeigt. Zu erinnern wäre zum Beispiel an das judenfeindliche Plakat, das Schüler der Schule Gerswalde bei der Klassenfahrt aus dem Bus zeigten (2001), oder das erst vor einem Jahr der Bürgermeister von Potzlow persönlich bekannt gab, er habe 6 Jugendliche dabei ertappt, als sie ein großes Hakenkreuz an die Bushaltestelle malten. Auch in den Wahlkämpfen war die regionale Szene aktiv und klebte Plakate und Aufkleber der NPD. Dorffeste der Region sind eigentlich „No go areas“ für alle, die nicht in das beschriebene Bild passen. In Pinnow wird dann später auch schon mal indizierte rechtsextreme Musik eingelegt, das Dorffest in Potzlow war nicht erst in diesem Jahr, als der Junge aus Gerswalde Opfer wurde, eine Anziehungspunkt für die Szene aus der ganzen Region.
Verbindungen gibt es vor allem nach Prenzlau. So ist es kein Zufall, dass der Haupttäter kurz nach dem Mord Beteiligter bei dem Angriff auf einen Asylbewerber in der Stadt war. Aber auch nach Gollmitz und in Richtung Milmersdorf und Templin gibt es Beziehungen, vor allem informeller Art.
Öffentliche Formen der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in der Region sind uns nicht bekannt.
Pfeffer und Salz Rechercheteam
Eine Schule in Brandenburg hat ganz unterschiedliche Herausforderungen zu bestehen. Geburtenschwache Jahrgänge und damit sinkende Schülerzahlen stellen eventuell sogar ihre Existenz in Frage. Darum kann der gute Ruf für eine Schule überlebenswichtig sein. Der hängt nicht nur von einem ansprechenden Bildungsniveau ab, sondern auch davon, mit welchem Mut Probleme angegangen werden.
Was tun, wenn z.B. rechtsextremistische Publikationen an der Schule auftauchen? So jüngst wieder geschehen in Cottbus. Soll man darüber reden oder die Angelegenheit mit Schweigen bedecken?
Unterschiedliche Herangehensweisen
Nicht gut beraten sind Schulleitungen, die meinen, die Sache sei durch Stillschweigen aus der Welt zu schaffen. Vielleicht merkt ja niemand etwas! Damit sei dem Ruf der Schule am ehesten gedient. Doch dabei nimmt man in Kauf, dass die Probleme im Verborgenen weiterschwelen und sich vielleicht zu einem Flächenbrand entwickeln.
Deshalb ist es auf jeden Fall besser, genau hinzuschauen und das Problem deutlich zu benennen. Kurzfristig mag solche Offenheit Nachteile mit sich bringen. Aber mittel- und langfristig ist sie eindeutig die klügere Wahl. Denn auf diese Weise kann, um im Bild zu bleiben, der Brandherd ein für alle Mal gelöscht werden.
Die eingangs erwähnte Cottbuser Schule lieferte jüngst ein bemerkenswert positives Beispiel für ein umsichtiges und aufgeschlossenes Herangehen. Sie teilte das Auftauchen rechtsextremistischer Propaganda an der Schule dem Verfassungsschutz mit.
Was war geschehen?
Rechtsextremistische Propaganda vor und auf Schulhöfen
Einem volljährigen Schüler, der sich offen zu seiner rechtsextremistischen Überzeugung bekennt, wurde von der Schulleitung rechtsextremistisches Propagandamaterial abgenommen. Dabei handelt es sich um die neonazistischen Publikationen “Mitteldeutsche Jugend Zeitung” (MJZ) und “Der Fahnenträger”.
Der Fund ist ein neuerlicher Beleg dafür, dass rechtsextremistische Gruppen ihren Nachwuchs auch unter Schülerinnen und Schülern suchen. Dazu verbreiten sie vor und auf den Schulhöfen Propagandamittel. Sobald jemand aus der Schülerschaft geködert worden ist, soll der gleich als Multiplikator unter seinen Altersgenossen werben.
In den 90er Jahren gab es in verschiedenen Teilen Brandenburgs neonazistische Schülergruppen, die sogar eigene Blättchen druckten. Heute ist dergleichen nicht zu sehen. Aber in benachbarten Bundesländern agieren durchaus rechtsextremistische Schülervereinigungen. Außerdem erscheinen neonazistische Jugendzeitschriften, die selbstverständlich auch Schüler ansprechen wollen.
Die “Mitteldeutsche Jugend Zeitung” (MJZ) und “Der Fahnenträger” sind Beispiele dafür. Der “Fahnenträger” wird von der “Kameradschaft Usedom” herausgegeben; die an der Cottbuser Schule festgestellte Ausgabe ist bereits über ein Jahr alt. Auf die MJZ sei näher eingegangen, denn für sie zeichnet ein Brandenburger verantwortlich.
“Mitteldeutsche Jugend Zeitung”
Gordon Reinholz, ein führender Neonazi im Nordosten Brandenburgs, wird im Impressum der MJZ ausdrücklich genannt. Seit seinem Austritt aus der “Nationaldemokratischen Partei Deutschlands” (NPD) konzentriert er seine Arbeit auf den “Märkischen Heimatschutz” (MHS). Dabei handelt es sich um einen Kameradschaftsverbund, dem im Barnim, der Uckermark und im Kreis Märkisch-Oderland insgesamt etwa 40 Mitglieder verschiedener neonazistischer Kameradschaften angehören. Aber auch überregional bemüht sich Reinholz um die Vernetzung der Neonaziszene.
Die MJZ erscheint seit Ende 2001. Inzwischen liegt die 5. Ausgabe vor. Die Auflage umfasst nach eigenem Bekunden 300 Exemplare.
Im Gegensatz zu manch rechtsextremistischer Schülerzeitung versteckt die MJZ ihren weltanschaulichen Charakter nicht. Dem Leser springt bereits auf dem Titelblatt der Nr. 5 das Konterfei des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß entgegen.
Die Zeitung umfasst eine vierseitige Einlage namens “Der lokale Patriot. Mitteilungsplattform für nationale Jugendgruppen aus Mitteldeutschland”. An ihr wirken 13 Gruppen mit; die meisten aus Sachsen, drei aus Brandenburg: “Lausitzer Front” aus Guben, MHS mit Sitz in Eberswalde und die Kameradschaft Cottbus. Das Titelbild der Einlage zeigt einen Hitlerjungen, einen SA-Mann und einen Wehrmachtssoldaten, die aus strahlendem Glanz kommend auf den Betrachter zu marschieren, dazu passend die Parole: “Damals wie heute!”
Die Publikation beschäftigt sich mit jugendspezifischen Themen wie Schule, Jugendsozialarbeit, Rauchen, Alkohol, Markenlabels, Abwanderung der Jugend nach Westdeutschland, geht auf die Hochwasserkatastrophe ein, kritisiert tendenziös die Einwanderungspolitik, den “Überwachungsstaat” und die Antifa. Außerdem finden sich Berichte über rechtsextremistische Veranstaltungen, vor allem Demonstrationen und Sonnenwendfeier.
Die Artikel weisen “journalistisch” ein sehr unterschiedliches Niveau auf; nicht alle sind eindeutig rechtsextremistisch geprägt. Fremdenfeindlichkeit und Systemverdrossenheit schwingen jedoch auf jeder Seite mit.
Besonders krass ist ein im “Stürmer”-Stil gehaltener Artikel. Er wurde von einem gewissen “Wolfswind” pseudonym verfasst. Augenscheinlich ist der Autor im Umfeld der NPD zu suchen, denn er ruft zur Wahl dieser vom Verbot bedrohten Partei auf.
Der Artikel trägt die Überschrift “Der Vernichtungskrieg geht weiter”. Aufhänger ist die Wiedereinreisegenehmigung für den türkischstämmigen jugendlichen Serientäter “Mehmet”. Sie dient dem Autor als Beleg für die altbekannte neonazistische These eines “lange geplanten Völkermordes an Deutschland (…) mittels Totaldurchrassung und zwangsweiser (…) Massenüberfremdung”. Der Autor tischt seinen jugendlichen Lesern die revisionistische Lüge auf, nicht die Deutschen hätten den Völkermord an den Juden verbrochen, sondern umgekehrt die Juden an den Deutschen. “Gemäß der jüdischen Holocaustrezepturen waren und sind es die fremdrassigen Exoten, die man ins überdicht besiedelte Rumpf-Deutschland fluten ließ und läßt.” Dieses “Umvolkungspotential” besäße “Narrenfreiheit”, natürlich auf Kosten deutscher Steuerzahler. Der angebliche Beweis: “Oder kennt jemand einen ach so armen Neger oder sonstigen Asylanten ohne das obligatorische Handy im bekannt billigen Dauertelefonat am Ohr?” Der Autor lässt sich von seinen Hasstiraden derart hinreißen, dass er nicht einmal merkt, wie widersprüchlich seine Aussagen ihm geraten. Am Ende klagt er gar: “(…) wer als Deutscher in Deutschland die Mißstände zur Sprache bringt, der wird von diesen Volksverrätern und Diätenbonzen als “ausländerfeindlich” beschimpft.”
Der Verfassungsschutz wertet solche Publikationen gründlich aus. Die Strafbarkeit des zitierten Artikels wird überprüft.
Alle Mord-Verdächtigen rechtsextrem
So nichtig war der Anlass, so brutal das Vorgehen der Täter gegen den 16-Jährigen
<berlin Die jungen
Männer, die den Jugendlichen Marinus S. umgebracht und in eine Jauchegrube geworfen haben sollen, gehören offenbar alle drei der rechtsextremen Szene an. Eine “Szenenzugehörigkeit” sei bei allen “sehr deutlich gegeben”, teilte die Staatsanwaltschaft Neuruppin mit. Die Vernehmung der Täter im Alter von 17 und 23 Jahren dauerte bei Redaktionsschluss an. Noch am Abend sollte Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen Mordes erlassen werden.
Den dreien wird zur Last gelegt, am Abend des 12. Juli in Potzlow in der brandenburgischen Uckermark Marinus S. erst geschlagen, anschließend verschleppt und dann zu Tode gefoltert zu haben. Die Tat war am Wochenende bekannt geworden, weil einer der mutmaßlichen Täter geplappert hatte. Am Montag bargen Beamte das Skelett des Jungen aus der Jauchegrube eines Stallgeländes.
Inzwischen ist bekannt, dass Marinus S. zum Tatzeitpunkt erst 16 Jahre alt war. Seinen Geburtstag, den 4. September, hat er nie erlebt. Er war lernbehindert, konnte kaum lesen und schreiben und besuchte eine Förderschule in Templin. Erst im Frühjahr war er von Potzlow ins benachbarte Gerswalde gezogen, kehrte aber gerne zurück, um Freunde zu treffen. Ein Gerswalder Nachbar, der einen Sohn im selben Alter hat, beschreibt Marinus als unauffällig. “Er war weder links noch irgendwie provokativ”, sagte er der taz, “er war halt in der HipHop-Szene, hat vielleicht auch mal was geklaut. Er war, wie Jugendliche hier halt sind.” Der Streit, der zu seinem Tod führte, hatte sich laut Staatsanwaltschaft daran entzündet, dass den Rechten Marinus HipHopper-Hose sowie seine gefärbten Haare nicht passten.
Der einzige Volljährige unter den drei Verdächtigen ist als Rechtsextremer in der Gegend längst bekannt. Im August hatte der 23-jährige Marco S. mitten in Prenzlau einen Mann aus Sierra Leone mit Schlagring und Knüppeln niedergeschlagen. Erst vor vier Wochen war er zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden.
Lothar Priewe, ein Ausländerberater, der den Prozess beobachtet hat, sagte gestern zur taz, Marco S. habe weder Reue noch Einsicht gezeigt. “Er saß im Saal, stumpfsinnig wie ein Tier”, so Priewe, “ich bin mir gar nicht sicher, ob er zu menschlichen Regungen überhaupt fähig ist.” Nun sitzt er vermutlich bald wieder vor Gericht — wegen einer Tat, über die die Ankläger bereits jetzt zu Protokoll geben, sie stelle, was “die Nichtigkeit des Anlasses und die Brutalität des Vorgehens angeht, auch für hartgesottene Staatsanwälte eine neue Dimension dar”.
Bis gestern Abend sind sechs Gegendemonstrationen zum NPD-Aufmarsch am kommenden Samstag angemeldet worden. Das hat Polizeisprecher Rudi Sonntag der MAZ bestätigt. Einer der Anmelder ist der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der Uni, dem sich die Stadtverwaltung, der DGB, das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, die städtische Ausländerbeauftragte und der Evangelische Kirchenkreis Potsdam anschließen. Der Asta ruft diese Kundgebung auf dem Alten Markt von 9 bis 15.30 Uhr aus. Reden sollen neben Ministerpräsident Matthias Platzeck, der amtierende Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs und Generalsuperintendent Rolf Wischnat.
Zur Marschstrecke der NPD sagt die Polizei nichts, um Zusammenstöße nicht zu provozieren. Eine Initiative “von unten” hat allerdings gestern Flugblätter verstreut, die auf eine Internetseite mit einem Stadtplanausschnitt verweisen, auf dem der mutmaßliche Marsch der NPD vom Hauptbahnhof in die Stadt verzeichnet ist. Der Alte Markt ist die Stelle, an der sich um 9 Uhr diese Gegendemonstranten sammeln sollen.
(MOZ) Einem grausamen Verbrechen ist ein Jugendlicher in der Uckermark zum Opfer gefallen. Am Sonntagabend gruben Polizeibeamte auf einem ehemaligen LPG-Gelände in Potzlow-Seehausen Skeletteile aus, die später eindeutig dem 16-jährigen Marinus Schöberl zugeordnet werden konnten. Der Junge galt seit dem Sommer als vermisst.
Des Mordes dringend verdächtig sind ein 23-Jähriger sowie zwei 17-Jährige aus dem Dorf. Wie der Leiter der Staatsanwaltschaft Neuruppin, Gerd Schnittcher, am Montag gegenüber der MOZ sagte, sollen sie am 12. Juli dieses Jahres ihr Opfer auf das ehemalige LPG-Gelände verschleppt und dort schwer misshandelt haben. Als sie kein Lebenszeichen mehr feststellten, vergruben sie den Jungen in einer stillgelegten Jauchegrube. Eine Obduktion des Leichnams, die gestern Nachmittag begann, soll nun unter anderem klären, ob Marinus Schöberl bei lebendigem Leibe begraben wurde.
Der Grund für die Auseinandersetzung zwischen Opfer und Täter sei gewesen, dass der Getötete eine so genannte Hopper-Hose und blond gefärbte Haare getragen habe, sagte Schnittcher. Die Verdächtigen gehören der rechtsradikalen Szene an. Gegen sie wurde Haftantrag gestellt.
(Inforiot) Nach Informationen von unabhängigen Antifas aus der Uckermark stammen die drei mutmaßlichen Täter aus der Region nordwestlich von Prenzlau. Einer war erst vor Kurzem wegen dem Überfall auf N.D., Asylbewerber aus Sierra Leone, zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Potzlow, Strehlow sind schon seit langem als Dörfer mit einer festen und sehr militanten Naziszene bekannt. Beliebter Treffpunkt ist das Jugendzentrum in Strehlow, wo man sich seit Jahren weitgehend erfolglos an akzeptierender Jugendarbeit versucht.
Das Opfer trug nur die falsche Hose
Das Opfer trug nur die falsche Hose
In brandenburgischer Jauchegrube wurde die Leiche eines 17-Jährigen entdeckt. Rechtsextreme töteten ihn, weil sie sein Aussehen störte
(JEANNETTE GODDAR) Hätten die Täter nicht das Prahlen angefangen, wäre der grausige Mord an einem Jugendlichen, den man für “links” hielt, womöglich für immer unentdeckt geblieben. Weil aber einer seinen Mund nicht halten konnte, machte sich die Polizei auf den Weg zu einer ehemaligen Stallanlage in der nordostbrandenburgischen Uckermark. Dort zogen die Beamten gestern Vormittag das Skelett des 17-jährigen Marinus S. aus einer Jauchegrube. Der Junge galt seit Juli als vermisst.
Nach Erkenntnissen des zuständigen Neuruppiner Oberstaatsanwalts Gerd Schnittcher steht ein rechtsradikales Motiv für das Tötungsdelikt außer Zweifel. Zwei der drei Täter waren gestern Nachmittag bereits vernommen worden und sind offenbar geständig. Heute sollen alle drei Beschuldigten dem Haftrichter vorgeführt werden.
Die menschenverachtende Tat hat sich nach Angaben Schnittchers in etwa so zugetragen: Am Abend des 12. Juli saß der 17-Jährige Marinus S. mit einer Gruppe Jugendlicher in einer Wohnung in Potzlow. Dort kam es zu einem Streit, der sich offenbar vor allem an dem vermeintlich “linken” Aussehen des Jungen entzündete, der mit einer “Hip-Hopper-Hose” und blond gefärbten Haaren unterwegs war. Zunächst wurde er von zwei Brüdern im Alter von 17 und 23 Jahren sowie einem weiteren 17-Jährigen unter anderem als “Jude” beschimpft und anschließend zusammengeschlagen.
Das reichte den Tätern, unter denen zwei polizeibekannte Rechtsextreme sind, aber nicht. Weil man “wohl noch mal richtig zuschlagen wollte”, sagte Schnittcher der taz, hätten sie das Opfer “unter Zwang” auf das verlassene Stallgelände in Potzlow-Seehausen verschleppt. Dort haben sie den 17-Jährigen so lange gequält, bis er tot war oder sich zumindest nicht mehr rührte. Am Ende warfen sie den leblosen Körper in die Jauche und machten sich auf den Heimweg. Um weitere Schlüsse darauf ziehen zu können, was man dem Jungen angetan hat, werden seine Überreste nun obduziert.
Wie es im Detail zu der Tat gekommen ist, wer wann was gesagt hat und in welchem Verhältnis Täter und Opfer zueinander standen, liegt zwar noch im Dunkeln. Dass es sich um eine rechtsextreme Tat handle, sei aber eindeutig, so Schnittcher. Offenbar habe man es mit einer jener Situationen zu tun gehabt, in der die Toleranz gegenüber allem “anders” Gearteten mit steigendem Alkoholpegel immer weiter absinke. “Die Tatsache, dass der Junge die falsche Hose anhatte, hat offenbar gereicht, um ihn abzulehnen”, sagte Schnittcher gestern. “Es ist erscheckend, welche Nichtigkeiten zu was für Taten führen können.”
Bekannt geworden ist die Tat nur, weil einer der beiden 17-jährigen Täter vor einigen Tagen anfing, im Bekanntenkreis davon zu erzählen. Dort glaubte man ihm zunächst nicht und machte sich zwecks Überprüfung der Geschichte zu der Jauchegrube auf. Als die ebenfalls jugendlichen Bekannten dort auf menschliche Knochen stießen, riefen sie die Polizei. Über die genaue Anklage ist noch nicht entschieden. Vermutlich droht den Jugendlichen aber der Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes — vorsätzlich, heimtückisch, aus niederen Beweggründen.
Die beiden Jüngeren wurden gestern in das Polizeipräsidium Frankfurt (Oder) in Polizeihaft gebracht. Der 23-Jährige sitzt schon seit August im Gefängnis in Neuruppin-Wulkow. Am 17. August, also etwa einen Monat nach dem Tod des 17-Jährigen, hat er in Prenzlau einen Asylbewerber brutal verprügelt und wurde kurze Zeit darauf festgenommen. Vor drei Wochen wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
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“Viehisches” Verbrechen von Potzlow wird immer unfassbarer
Auch die Mitwisser schwiegen
POTZLOW/NEURUPPIN Die Umstände des Mordes an dem 17-jährigen Schüler Marinus Schöberl aus dem Dorf Potzlow bei Prenzlau in der Uckermark werden immer unfassbarer. Offenbar haben nicht nur die drei jungen Tatverdächtigen aus der rechtsextremen Szene länger als vier Monate das brutale Verbrecher vom 12. Juli 2002 verschwiegen, das Neuruppins Leitender Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher gestern “viehisch” nannte.
Vermutlich gab es über den Kreis der Täter hinaus Mitwisser, die ahnen mussten, dass Marinus Schöberl jene Nacht nicht überlebt hatte. Doch niemand hatte offenbar einen Hinweis gegeben, während die Polizei monatelang vergeblich nach dem Vermissten suchte. Ermittler schließen nicht aus, dass die mutmaßlichen Täter ihre vermeintlichen Mitwisser mit Drohungen eingeschüchtert haben.
An jenem Freitagabend im Juli hatten sich nach Auskunft des Neuruppiner Chefanklägers zunächst sechs bis sieben Personen in einer Wohnung in Potzlow aufgehalten. Neben den mutmaßlichen Tätern — dem 23-jährigen Marco Sch. sowie den beiden 17-jährigen Marcel Sch. und Sebastian F. — waren Marinus Schöberl sowie zwei oder drei weitere Personen anwesend. Zwei Kästen Bier standen bereit.
Offenbar kannten sie sich alle. Allerdings gehörte Marinus Schöberl nicht zur rechtsextremen Szene — anders als die Täter, wie Schnittcher überzeugt ist. “Sie gehören ganz deutlich der extremen rechtsradikalen Szene an.”
Unklar ist, ob Marinus Schöberl schon in der Absicht zu dem Trinkgelange eingeladen wurde, ihn später umzubringen. Fest steht für die Staatsanwaltschaft, dass der 17-Jährige in der Wohnung zunächst beleidigt und dann attackiert wurde. Dass Marinus Schöberl eine weite Hopper-Hose trug und sich die Haare blond gefärbt hatte, überstieg den Vorstellungshorizont der mutmaßlichen Täter. “Das Opfer entsprach nicht dem Bild eines Deutschen, das sie in ihrer letzten Gehirnzelle hatten”, sagt Schnittcher. Aufgrund der blondierten Haare nannten die jungen Männer Marinus Schöberl einen Juden — auch wenn blonde Juden eher untypisch sind.
Für eher geringe Intelligenz spricht auch das T‑Shirt, das bei einem der jüngeren Verdächtigen sichergestellt wurde. “GEGEN LINGS” hatte der Jugendliche als Ausdruck seiner politischen Gesinnung auf den weißen Stoff gekritzelt.
Während die Situation eskalierte, Marinus Schöberl geschlagen und getreten wurde, verließen die Gäste — außer den Tätern und dem Opfer — die Wohnung. Danach zwangen Marco Sch., Marcel Sch. und Sebastian F. den 17-Jährigen, mit ihnen zu einer stillgelegten LPG zu fahren. Marinus Schöberl wurde offenbar derart eingeschüchtert, dass er sich auf den Lenker eines Fahrrades setzte und sich — ohne Hilfe herbeizurufen — von einem seiner Peiniger zu dem Ort fahren ließ, an dem er umgebracht wurde.
Was Marinus Schöberl in den Stallanlagen der ehemaligen LPG angetan wurde, ist ein Rätsel. Die Tat, sagte Schnittcher, sei “so furchtbar, dass wir sie auch nicht ansatzweise in der Öffentlichkeit preisgeben können”. “Eine solche Brutalität hatten wir noch nie.” Es sei “erschreckend zu sehen, wozu Menschen fähig sind”.
Schon einen Monat nach der Tat beging der mehrfach vorbestrafte Marco Sch. ein weiteres Verbrechen. In der Nacht zum 16. Augus
t überfiel er gemeinsam mit Freunden im Stadtzentrum von Prenzlau den Schwarzafrikaner Neil D. aus Sierra Leone. Er wurde mit einem Schlagring im Gesicht verletzt, mit einem Knüppel zu Boden geschlagen und mit Springerstiefeln getreten. “In der Zeit des Angriffs”, dokumentiert der Verein “Opferperspektive”, “fuhren mehrere Autofahrer am Tatort vorbei, ohne einzugreifen.” Als Haupttäter dieses Verbrechens hatte das Amtsgericht Prenzlau Marco Sch. am 28. Oktober zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt.
Wenige Tage später, Ende vergangener Woche, erzählte einer der beiden 17-Jährigen im Bekanntenkreis vom Mord an Marinus Schöberl — entweder in Bierlaune oder aus Gewissensbissen. Die Zuhörer wollten zunächst nicht glauben, was sie hörten. Dann fanden sie Teile der Leiche an dem beschriebenen Ort, einer Jauchegrube.
POTZLOW Der Marcel muss keinen schlechten Eindruck gemacht haben in Potzlow. “Eigentlich ein ruhiger Junge”, sagt die Verkäuferin im Dorfladen. Einer “mit richtig viel Angst vorm großen Bruder”, meint eine Jugendbetreuerin. Der Marco, der 23-Jährige, der seit drei Wochen in Wulkow im Gefängnis sitzt, weil er einen Schwarzafrikaner krankenhausreif geprügelt und getreten hat, muss seinen sechs Jahre jüngeren Bruder Marcel in die Sache reingezogen haben, glaubt man in dem Dorf am Oberuckersee, wenige Kilometer südlich von Prenzlau. Anders kann sich auch Mike Lemke die Sache nicht erklären, die seit wenigen Tagen ein gesamtes Dorf lähmt.
Doch die Sache am 12. Juli verlief anders, als alle vermuten. “Der 17-jährige Bruder stand bei der Tat im Vordergrund”, betonte Neuruppins Leitender Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher gestern. Erstmals deutete der Chefankläger zudem an, wie der 16-jährige Sonderschüler Marinus Schöberl auf der verlassenen LPG von den drei jungen Neonazis umgebracht wurde: “Mit mehreren Würfen auf den Kopf mit einem schweren Stein.” Die beiden 17 Jahre alten Tatverdächtigen, Marcel Sch. und Sebastian F., hätten dies in ihren Vernehmungen übereinstimmend beschrieben. Nur Marco Sch. schweigt weiter zu der Tat, die Schnittcher “viehisch” nennt.
Offenbar hatte Marinus Schöberl keine Chance, jenen Freitagabend im Juli zu überleben. “Warum gerade er?”, fragten Vernehmungsbeamte. Antwort: “Das spielte keine Rolle, wenn es ein anderer gewesen wäre, dann der.” Offenbar paarten sich Mordlust und Hass auf alle, die nicht dem Bild der Täter vom deutschen Mann entsprachen. Marinus trug extrem weite Hosen und hatte sich die Haare blond gefärbt.
Manches kann sich der Staatsanwalt auch nach der Vernehmung nicht erklären. Wieso habe in dem Dorf niemand die Polizei bei der Suche nach dem vermissten Marinus Schöberl unterstützt, frage er sich. Drei bis fünf Personen, die nicht an der Tat beteiligt waren, müssten zumindest geahnt haben, dass der Junge umgebracht wurde. Sie waren anwesend, als er zunächst in zwei Wohnungen gequält wurde. “Wir prüfen auch eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung”, sagte Schnittcher.
Dass der Mord nach monatelangem Schweigen überhaupt entdeckt wurde, erscheint so unfassbar wie die Tat. Einer der beiden 17-jährigen Tatverdächtigen hatte Ende vergangener Woche mit zwei Bekannten um 25 Euro gewettet, dass er in der Lage sei, ihnen eine frisch vergrabene Leiche zu zeigen. Schnittcher: “Der wollte Geld verdienen.” Mit einer Axt habe der Jugendliche die Leiche in der Jauchegrube freigelegt. Einem Bekannten, der das Verbrechen anzeigen wollte, drohte der Täter: “Dann werde ich dir mit der Axt den Kopf spalten.”
Der Schock bei den Potzlowern sitzt tief. Fragen beantworten sie meist mit Gegenfragen. Eine Erklärung, warum in ihrer Mitte die entsetzliche Tat geschehen und so lange geheim gehalten werden konnte, haben sie nicht — allenfalls ein Achselzucken. “Ich bin bestürzt”, sagen manche noch, bevor die Stimme versagt. Peter Feike, der Bürgermeister, bemüht sich, dass sein Dorf nicht plötzlich als rechtsextreme Hochburg stigmatisiert wird. Gegen den Vorwurf, in Potzlow hätten die Rechten das Sagen und das Kinder- und Jugendfreizeitzentrum im Ortsteil Strehlow sei deren Domizil, wehren sich alle vehement.
Worte finden die wenigsten — wie Mike Lemke. Bei Streitigkeiten, sagt er, gebe es im Dorf auch “mal was auf die Fresse”. “Aber dann ist bisher immer wieder Friede, Freude, Eierkuchen gewesen. Dass so was passiert, kann ich bis jetzt nicht glauben. Ich wollte das erst gar nicht glauben, aber am Sonntag hat mir ein Jugendlicher aus dem Dorf von dem schrecklichen Fund erzählt. Ich habe ihn dann zusammengeschissen, weil er und andere im Dunkeln hier rumgeistern.”
“Es ist einfach unbeschreiblich”, sagt Jugendbetreuerin Liane Klützke, “viele Leute sind völlig fertig mit den Nerven. Vor allem um jene vier Kinder kümmern wir uns besonders, die am Sonntagabend am Fundort der Leiche von Marinus waren.” Bevor die Kriminalpolizei den Tatort absperren konnte, hatten schon Jugendliche, die von dem Verbrechen gehört hatten, es aber nicht glauben wollten, in der Grube gebuddelt.
Jugendsozialarbeiterin Petra Freiberg ist persönlich tief erschüttert. Seit fünf Jahren setzt sie sich für die Jugendlichen ein. Für die mobile Jugendarbeit zur Vermeidung rechter Gewalt steht sie mit ihren vier Mitarbeitern oft allein auf weiter Flur. Sie empfinde das Verbrechen als Niederlage, sagt Petra Freiberg. “Für mich persönlich, für die Kommunalpolitik und darüber hinaus. Was muss in dieser Gesellschaft eigentlich noch passieren, damit etwas passiert?”
Blauer Himmel, klare Luft, der Oberuckersee blinkt im Glanz der Herbstsonne — Potzlow gestern. Die verfallenen Hallen und Ställe der verlassenen LPG, wo Marinus Schöberl zu Tode gequält und verscharrt wurde, waren einmal ein beliebter Treffpunkt vieler Kinder und Jugendlicher aus dem Dorf.