Zum 58. Jahrestag des Flächenbombardements:
Keine Träne für Potsdam
Aktionstage
Montag 14.4.
18 Uhr Kundgebung, Alter Markt, Potsdam
20:30 Uhr “Morituri” im Kino Melodie, Fr.-Ebert-Str. 12
Mittwoch 16.4.
19 Uhr “Vom Mitläufer zum Blindgänger”
Podiumsdiskussion mit M. Blumentritt und J. Sundermeier
zum neuen deutschen Selbstmitleid
in der FH Potsdam, Alter Markt
Donnerstag 17.4.
21 Uhr Partytime im Kunstwerk, Hermann-Elflein-Str. 10
News und Aktualisierungen zum Programm sind auf der Homepage der
Antifa Aktion Potsdam unter www.aapo.info zu finden.
Aufruf
In der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 warfen britische
Bomberverbände Bomben auf das südwestlich Berlins gelegene Potsdam ab
und zerstörten dabei große Teile der historischen Innenstadt. Die
„Nacht von Potsdam“ ist fortan immer wieder Anlass gewesen, die
deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs zu beklagen. Das „schwere Erbe“
des Nationalsozialismus ist der Stadtverordnetenversammlung Potsdam
dann zum 58. Jahrestag zwar nicht genug Anlass, Hindenburg die
Ehrenbürgerschaft abzuerkennen, wohl aber sich des NS geläutert gegen
den Irakkrieg zu positionieren und zu einer „City for peace“ zu
erklären.
Deutsche Geschichte(n): When we were Opfers
Ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird also
belehrt, wer nicht schon immer wusste: die deutsche
Schicksalsgemeinschaft hat in der letzten Zeit viel mitmachen müssen;
nicht nur die “Mutterkatastrophe” (u.a. Walser) Erster Weltkrieg, die
“Schmach von Versailles” und die Räterepublik, ebenso hat es die
Weltwirtschaftskrise geduldig ertragen. Dann kam auch schon Hitler und
mit ihm noch ein Weltkrieg “der unsägliches Leid, Zerstörung und Tod
brachte und mit dem totalen Zusammenbruch Deutschlands endete”
(Erklärung der Stadtverordnetenversammlung zum “Tag von Potsdam”). Im
Verlauf der Niederlage kam noch mehr Leid über das deutsche Volk, die
als “Vertreibung” bezeichnete Flucht und Umsiedlung, die
“Verschleppung” genannten Entnazifizierungsmaßnahmen gemäß des
Potsdamer Abkommens — zur Zeit groß im deutschen Selbstgespräch: der
sogenannte “Bombenterror”; eigentlich die Beschleunigung des notwendig
gewordenen “totalen Zusammenbruchs” und die Vorbereitung der völligen
Zerschlagung der NS-Infrastruktur durch alliierte Bodentruppen.
Das war aber noch nicht alles: das Schlimmste soll sein, dass die
Deutschen angeblich nie über ihre Unannehmlichkeiten, die sie bei den
alliierten Anstrengungen, “die Deutschen von sich selbst zu befreien”
(Ralph Giodarno), konsequenterweise haben mussten, sprechen durften.
Ein jetzt endlich zu brechendes Tabu soll seit ehedem bestehen, den
Besiegten anfänglich von den Siegermächten, später auch durch ihre
“Handlanger”, vor allem (linke) Intellektuelle, auferlegt. Was dem
Deutschen als Verbot galt, war das Gebot, weder den Unterschied
zwischen direkter bzw. indirekter Täterschaft und Opferrolle zu
leugnen, noch diese zu vertauschen, und den ursächlichen Zusammenhang
zwischen Angriffs- und Vernichtungskrieg und
Entnazifizierungsmaßnahmen zur Grundlage jeder Beschäftigung mit der
eigenen Geschichte zu machen.
Vielstimmiges Schweigen
Doch die Tätergeneration entschied sich für die “zweite Schuld”, das
Verhalten der “Befreiten” straft alle Verführungs- und
Unterwerfungsthesen Lügen: jetzt wo sie von NS-Propaganda und
Repression frei waren, zeigten sie weder Reue für die begangenen
Verbrechen noch Mitgefühl für deren Opfer. Im Gegenteil: die
Trümmerfrauen und Heimkehrer kannten kein anderes Leid als ihre eigene
Situation. Diese Selbstmitleidigkeit wendete sich aggressiv gegen alle
wahren Opfer, umso mehr, wenn jene von ihren Erlebnissen berichteten.
Auch die wiedergekehrten Emigranten, von denen sich viele am
Wiederaufbau beteiligten, sowie die aus den KZ Befreiten waren zum
Schweigen verdammt, wollten sie einen Platz im Nachkriegsdeutschland
finden.
Das war zumindest in der sowjetischen Besatzungszone für die “Kämpfer
gegen den Faschismus”, zumeist Kommunist/inn/en, anders, wo mit der
Gründung der DDR der Antifaschismus der KPD sogar zur Staatsdoktrin
wurde. Die sogenannten “Opfer des Faschismus” mussten allerdings schon
tot sein, wenn an sie erinnert wurde. Eine ernstliche Aufarbeitung der
Vergangenheit wurde durch jene vulgärmarxistische Faschismusanalyse
behindert, die schon den Aufstieg des Nationalsozialismus weder
theoretisch fassen konnte, noch die zu dessen Bekämpfung gebotenen
Bündnisse mit bürgerlichen Kräften zuließ. Die Masse des deutschen
Volkes wurde kollektiv frei gesprochen, mit dem Ende des Enteignungs-
und Entnazifizierungsprogramms wurde die Vergangenheit an die
Westzonen delegiert.
Dort hingegen sah man jene im “totalitären Sowjetsystem”
weitererexistieren. Selbstmitleid und Verdrängung wurde nun unter
Besatzeraufsicht in den Dienst des Kalten Krieges gestellt.
Westdeutsche konnten als Heimatvertriebene staatlich gedeckt
Gebietsansprüche gegenüber Polen und der Tschechoslowakei oder die
Forderung nach Entlassung der in der SU Reparationsleistungen
erbringenden Kriegsgefangenen stellen. Schnell erinnerte sich man im
Osten an die angloamerikanischen Städtebombardements als “unsinniges
Verbrechen” (Otto Grotewohl).
In der westdeutschen 68er Studierendenbewegung stellte die zweite
Generation ihren Eltern die Fragen nach persönlicher Schuld und
Verantwortung. Doch nur der kleinste Teil meinte es ernst. Den meisten
genügte eine antiintellektuelle, moralistische Selbstgefälligkeit;
wenn ihre Eltern schon weggesehen haben sollten, dann sahen sie
den “neuen Faschismus” überall, wo Unrecht geschah. Andere verorteten
ihn ähnlich wie im Ostblock immer genau dort, wo Staat und Kapital
ihren Zweck bzw. Selbstzweck erfüllten. Selbst die kritische
Erkenntnis, dass die Ursachen für den NS auch in der
sozialpsychologischen Verfasstheit des autoritären Subjekts zu suchen
sind, wurde als Einladung zum Mit- und Bessermachen missverstanden und
verschwand als Erziehungsproblem in den Kitaläden und diversen
Selbsthilfegruppen. Auf diesem Boden gedieh das „Alternativmilieu“,
ebenjene “grüne” Klientel, die heute mit den Jusos von damals die
höhere Verwaltung stellt.
Parallel zu deren “Marsch durch die Institutionen” kam es in den 80er
Jahren zu Auseinandersetzungen zwischen rechtskonservativen und
linksliberalen Politikberatern um das Geschichts- und Selbstbild der
(West)Deutschen. Das damalige Beharren einzelner Protagonisten des
akademischen Diskurses auf Positionen, die die Singularität und
Unvergleichbarkeit des NS betonten und im Vernichtungsantisemitismus
sein wichtigstes Element sahen, gilt den Gutmenschen seitdem als
Beweis für ihren erfolgreichen Lernprozess. Die Entwicklung, die sich
spätestens seit der Wiedervereinigung vollzog, entledigt diese
Behauptung jeglichen Wahrheitsgehalts.
Erinnerungs-Arbeit macht frei
Was damals noch als Revisionismus galt, ist heute ‚common sense‘; das
einmal befürchtete “nationale Selbstbewusstsein” hat es mittlerweile
zur Staatsräson der Berliner Republik gebracht. Dieser Zustand aber
ist nicht das Ergebnis der Verschwörung einer “Neuen Rechten”, es ist
vielmehr das Gemeinschaftswerk der angekommenen Alt-68er und
der
heruntergekommenen Sozialdemokratie. Die Totalitarismusdoktrin gewann
nach dem Scheitern des Staatskapitalismus erst mit Unterstützung
rot-grüner Schichten ihre bei der Diskussion um die Singularität des
NS eingebüsste Hegemonie wieder. Auf den Geländen der
Konzentrationslager entstanden und entstehen gegen den Protest
ehemaliger Häftlinge Gedenkstätten für die zu allergrößtem Teil
NS-belasteten “Internierten”; der Stalinismus heißt jetzt “roter
Holocaust” — wer es wissenschaftlich mag, setzt noch ein Fragezeichen
hintendran. Bei der von außen zu erzwingen gewesenen
Zwangsarbeiterentschädigung stellt das neue Deutschland die
Bedingungen und bestimmt, wer wie viel bekommt; eine Stiftung sorgt
dafür, dass auch in Zukunft an die Großzügigkeit der Deutschen
erinnert werden wird. Will Tschechien Mitglied der EU werden, dann
soll es nach dem Willen Deutschlands die Benes-Dekrete aufheben und
die in ihnen u.a. geregelte, für eine friedliche Nachkriegsordnung
notwendige Umsiedlung der “Sudetendeutschen” als Verbrechen
bezeichnen; spätere materielle Forderungen der Umgesiedelten und
ihrer Nachfahren sind nicht ausgeschlossen. Nachdem man die
Unterstützung des Angriffskriegs auf Jugoslawien mit der Begründung
rechtfertigte, ein neues “Auschwitz” verhindern zu müssen, wurde in
der Heimat die um ein realistisches Bild des Vernichtungskrieges
bemühte Wehrmachtsaustellung umgestaltet und von ‘pauschalen Aussagen’
befreit.
Auch das formale Anerkennen massenhafter direkter und indirekter
deutscher Täterschaft, so beispielsweise geschehen durch jene
Wehrmachtsaustellung oder in der Goldhagen-Rezeption, tut dem neuen
deutschen Selbstbewusstsein keinen Abbruch. Im Gegenteil: hiermit
glaubt man, zum “primus ballerinus” der Menschenrechte geworden zu
sein. Jetzt kann man sogar den Westalliierten erklären, was sie schon
damals alles falsch gemacht haben. Die Bombardierungen seien
„militärisch unsinnig“ und (auch) ein „moralisches Verbrechen“, so
klingt es heute von FAZ bis Friedensbewegung.
Geistige Blindgänger: Neue deutsche Friedensbewegung (notwendiger Exkurs)
Konsequenten Ausdruck findet diese Entwicklung in der selbsternannten
Friedensbewegung seit ihrer Gründung in den 80er Jahren. Aus
moralischer Selbstgefälligkeit heraus bastelt sie sich mit dem Verweis
auf die deutsche Geschichte eine „Verantwortung gegen jeden Krieg“
und geriert sich gerne als das bessere Deutschland, das auch heute
wieder Objekt und Opfer fremder Mächte sei. Ebenso wie alles Übel auf
Welt notorisch mit den Verbrechen des NS verglichen bzw. gleich
gleichgesetzt wird, sind Schuld am schlechten Zustand der Welt
bestenfalls die eigene Regierung, die einen wieder mal verraten habe,
bevorzugterweise; den einzigen Staaten, bei denen nicht mal mehr
zwischen Bevölkerung und Regierung unterschieden wird: die USA und
Israel. Auch die linkeren Kräfte in ihr haben es, sollten sie es je
versucht haben, nie vermocht, ihr einen Hauch von Antinationalismus
oder staatskritischem Bewusstsein zu verleihen. Die größere
Verbreitung von verkürzter Kapitalismuskritik kann kaum als
Ausgleichsangebot herhalten.
Als Belgrad das zweiten Mal von deutschen Bombern getroffen wurde,
schwieg der überwältigende Teil der Friedensbewegten bzw. wechselte
die Argumentation; jetzt aber wo es darum geht, Dresden nach Bagdad
zu halluzinieren und sich mit dem „Leid der ohnehin schon genug
geschundenen Zivilbevölkerung“ zu identifizieren, ist sie in
Nationalmannschaftsstärke auf der Straße. Wer an Emanzipation
festhält, kann mit der Friedensbewegung keine Bündnisse eingehen.
Wahn und Wirklichkeit
Am Ende des Zweiten Weltkriegs, so wohl das nun alleinige Resümee der
Deutschen, hätte es vor allem jene getroffen, die sowieso schon Opfer
waren: die eigene Zivilbevölkerung. Volksmärchen von Rachemassakern
„der Russen“ an Bauernfamilien, Spekulationen über alliierte Pläne zur
Entvölkerung Deutschlands und vor allem die immerwährende
Argumentation mit der Unmenschlichkeit von Flächenbombardements auf
deutsche Großstädte verdichten das Bild einer sich zu Unrecht
getroffen fühlenden „Volksgemeinschaft“. Die Angst der Deutschen vor
dem “Vernichtungskrieg” (Jörg Friedrich in “Der Brand”), als der die
militärischen Operationen der Alliierten halluziniert wurden, war eng
verknüpft mit der Gewissheit der eigenen Verbrechen in den vergangenen
zwölf Jahren; Guernica, Coventry, Warschau, Rotterdam und Belgrad
waren von der Wehrmacht schon in Schutt und Asche gelegt worden, bevor
die erste alliierte Bombe in Deutschland einschlug.
Selbst zu dem Zeitpunkt, als die Niederlage Deutschlands bereits
absehbar gewesen ist, war von einem Aufgeben nichts zu merken. Die
meisten derer, die über Widerstand gegen die Nazis auch nur
nachgedacht hatten, waren zu diesem Zeitpunkt bereits in
Konzentrationslager eingesperrt bzw. ermordet worden oder hatten sich
rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Der übergroße konforme Teil
der deutschen Bevölkerung übte sich derweil im Wiederholen der
Durchhalteparolen aus der Goebbelsschnauze, im Nachladen der
Volkssturm-Flakstellung, dem Warten auf den Endsieg oder zumindest auf
den Einsatz der versprochenen Wunderwaffe; eine Zivilbevölkerung im
wörtlichen Sinne gab es gar nicht.
Jedoch gab es tatsächlich unschuldige Opfer der Bombardements:
Zwangsarbeiter/innen, die in den Städten eingesetzt wurden, um dort
die Infrastruktur aufrechtzuerhalten und die Nachfuhr an die Front zu
gewährleisten; Andersdenkende und Juden, die sich irgendwo versteckt
halten mussten. Für ebenjene Menschen bedeuteten die zunehmenden
Bombenangriffe aber neben der objektiven Gefahr des Todes auch die
steigende Hoffnung auf die Niederlage des Nationalsozialismus; sie
bedeuteten, dass die Front näher rückte und damit auch das eigene
Überleben immer wahrscheinlicher wurde.
Die Taktik der Alliierten zielte darauf, Volk und Führer zu entzweien,
hatten sie doch in Italien mit den “moral bombing” — in kleinerem
Rahmen — die Erfahrung gemacht, dass mit zunehmenden Kriegswirren die
Bevölkerung gegen das Regime aufbegehrte; dasselbe erhofften zumindest
die Westalliierten ebenso vom deutschen. Zwar dienten die
Bombardements deutscher Städte auch dazu, durch das Zerstören
kriegstauglicher und ‑wichtiger Industrieanlagen den Nachschub an die
Front zu unterbinden. Wichtiger aber war die erhoffte demoralisierende
Wirkung der Flächenbombardements auf die Bevölkerung; auf jene
Menschen die vorher denunziert, sich an jüdischem Eigentum bereichert,
gemordet oder auch nur ruhig zugesehen hatten, und vor allem durch
ihre Arbeitsleistung weiterhin das Überleben der Mordmaschine
sicherten. Doch die Rechnung ging nicht auf, Volk und Führung rückten
in den Luftschutzkellern noch enger zusammen. Selbst um die Trümmern
wurde erbittert gekämpft; allein bei der Befreiung Berlins mussten
noch mehr als 10.000 Sowjetsoldaten ihr Leben lassen.
Auch wenn die Bombardierungen nicht den erhofften Erfolg brachten,
haben sie noch höhere Verluste sowohl auf Seiten der
Antihitler-Koalition, als auch auf Seiten der vom Naziterror
Betroffenen und für die bis zum letzten Tag auf Hochbetrieb laufende
Vernichtung vorgesehenen Menschen verhindert werden. Die Wirkung der
Luftangriffe war nicht zuerst ideeller, sondern eher materieller
Dimension und der kriegsbeendende Effekt maß sich geringer aus als
erhofft. Dennoch haben die Flächenbombardements zu seiner
beschleun
igten Beendigung beigetragen können. Mögen es Tage gewesen
sein; jeder Tag, rettete unschuldige Menschenleben. Wer also
behauptet, die Bombardierungen seien „militärisch unsinnig“ und ein
„moralisches Verbrechen“ ist in den geistigen Luftschutzkellern der
Schicksalsgemeinschaft verschüttet worden.
Sollte je aber eine andere Welt möglich sein, in der die Kritik der
Waffen nicht auch gegen die Waffen der Kritik eingetauscht werden
muss, um das Schlimmste zu verhindern, gilt es, daran zu erinnern,
dass erst die Zerschlagung des Nationalsozialismus mit allen
notwendigen Mitteln die Vorraussetzung für ebendiese schaffte.
organisiert von
AAPO Antifa Aktion Potsdam, progress.pdm antifascist youth
unterstützt von
SIgAA_UP, AG_Antifa im AStA_UP, AG Antirassismus, AK Kritische
Reflexion der Geschichte, Antideutscher SchülerInnenzirkel Belzig,
Redaktion “Communist Cosmopolitan”, BGAA Bündnis gegen Antisemitismus
und Antizionismus berlin, BGA Bündnis gegen Antisemitismus Berlin,
HUmmel Antifa Berlin, Gruppe Gender Killer Berlin, Autonome Antifa
[Nordost] Berlin