Gestern wurde der bekannte Neonazi Sandy L. vor dem Landgericht Neuruppin wegen mehrerer rechter Gewalttaten zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Der Mitangeklagte Raiko K. erhielt eine Freiheitstrafe von 9 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zusammen hatten sie im September 2015 eine damals 16-jährige Schülerin und ihren 18-jährigen Begleiter im Einkaufszentrum REIZ mit einem Fausthieb zu Boden geschlagen und anschließend durch Fußtritte erheblich verletzt.
Am selben Abend machten die beiden Rechten gemeinsam mit anderen an einer Tankstelle Jagd auf weitere linke Jugendliche. Eine 15-jährige Schülerin wurde von Sandy L. abgefangen, gegen die Wand der Tankstelle geschubst und mehrfach getreten und geschlagen. Zuvor hatten die alkoholisierten Neonazis bereits am alternativen Jugendprojekt
„MittenDrin“ randaliert. Ursprünglich hatten die Rechten geplant, zu einer Demonstration nach Hamburg zu reisen, ihren Plan aber auf Grund eines Verbots der Veranstaltung geändert. Ein weiterer Mittäter wurde bereits gesondert verurteilt.
Besonders bedrückend war es im Gerichtssaal festzustellen, wie die brutalen Angriffe von wenigen Minuten Dauer bei den Betroffenen noch Jahre später nachwirkten und sie nachhaltig in ihrem Sicherheitsgefühl erschütterten. Die Jugendlichen berichteten davon, wie sie nach dem neonazistischen Gewaltexzess ihr Leben umstellten, und sich lange nicht in ihrem gewohnten Umfeld bewegen konnten. Bis heute vermeiden sie es teilweise, alleine bei Dunkelheit in Neuruppin unterwegs zu sein. Das Ziel der Neonazis, linke Jugendliche durch Drohungen und Gewalt einzuschüchtern, wurde zumindest zeitweilig erreicht.
„Die in den vergangenen Wochen verhandelten Gewalttaten verdeutlichen noch einmal eindrücklich, wie enthemmt und rücksichtslos Neonazis gegen politische Gegner_innen und Geflüchtete vorgehen. Die gegen die Betroffenen ausgeübte Gewalt war nicht zufällig, sondern eine logische Folge der rechten Ideologie der Verurteilten an. Ich bin erleichert, dass Staatsanwaltschaft und Strafkammer dies in Plädoyer bzw. Urteilsbegründung würdigten, indem sie die aus der Tat sprechende menschenverachtende Gesinnung als Hatecrimedelikt nach §46 Absatz 2 StGB als strafverschärfend werteten.“, kommentierte nach Prozessende Anne Brügmann, Beraterin beim Verein Opferperspektive, die zwei der Betroffenen im Prozess begleitet hatte.
Sandy L. und Raiko K. gehören zu den führenden Kadern der militanten Neonaziszene in der Region. Der 36-jährige L. war Sektionsleiter der Kameradschaft „Weiße Wölfe Terrorcrew“, die im vergangenen Jahr durch das Bundesinnenministerium verboten wurde. Sie agitiere „offen und aggressiv gegen Staat und Gesellschaft, Migranten und Andersdenkende“, hieß es in der Verbotsverfügung. Was dies in der Praxis bedeutet, wurde im September 2015 in Neuruppin deutlich.
Monat: August 2017
Am Samstagabend veranstaltete eine kleine Gruppe Neonazis einen spontanen Aufmarsch im Stadtgebiet von Rathenow. Diese Versammlung fand zunächst unangemeldet statt. Später soll sich ein 35 Jähriger aus Magdeburg als Versammlungsleiter zu erkennen gegeben haben. Aus dem Aufzug sollen, laut Märkischer Allgemeiner Zeitung (MAZ), unter Berufung auf Angaben der Polizei, außerdem einzelne Straftaten verübt worden sein. Die Versammlung sei später sogar aufgelöst worden.
Aus Videomitschnitten, die im Internet kursieren, und zugespieltem Fotomaterial soll das Ereignis nachfolgend rekonstruiert und analysiert werden. Ein großer Teil des Materials wurde durch den so genannten „Patrioten Kanal“, einer rechten Internetseite, in die Öffentlichkeit lanciert. Sie vermittelt einen sehr nahen, jedoch auch deutlich propagandistisch wirkenden Einblick in das Versammlungsgeschehen und dokumentiert zugleich auch mutmaßliche Straftaten. Fotos und Videos von distanzierten Passanten zeigen hingegen er einen unbedeutend klein wirkenden Haufen Neonazis.
Rekonstruktion des Aufmarsches

Der Aufzug fand in der Zeit zwischen 20.00 und 21.00 Uhr statt. Er begann in der Nähe eines bekannten Treffpunktes von „Autonomen Nationalisten“ in Rathenow, am Kreisverkehr Große Milower Straße, Ausfahrt Heidefeldstraße.
Angeführt von einem Vermummten, der ein Megaphon in der Hand hielt, bewegte sich, gemäß Videomitschnitt des „Patrioten Kanals“, von dort aus eine etwa 15 köpfige Gruppe zunächst in die Heidefeldstraße. Der vermummte Mann, bei dem es sich mutmaßlich um den Rathenower Neonazi Eric U. handelte, trat dabei offenbar als Rädelsführer in Erscheinung. Er begann durch sein Megaphon, so ist es jedenfalls auf einem Video zu sehen und zu hören, die Parole „Autonom und Militant – Nationaler Widerstand“ zu skandieren. Der große Teil der begleitenden Personen wiederholte dann die Parole.
Kurze Zeit später ist im Video zu sehen, wie ein weiterer Neonazi aus Rathenow ein Banner mit der Aufschrift: „N.S Havelland – Frei, Sozial, National“ aus einem Rucksack holte, um es dann offenbar mit weiteren Teilnehmenden des Aufzuges als Frontbanner zu tragen.
Der spontane Aufzug formierte sich dann endgültig zu einem Klein-Aufmarsch. Im Videomitschnitt des „Patrioten Kanals“ ist dann das Skandieren weitere neonazistische Parolen zu hören: „Wir sind Frei, Sozial und National“, „Das System ist am Ende, wir sind die Wende“, „Nationaler Sozialismus jetzt – denn wir kämpfen: frei, sozial, national“, „Widerstand“, „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“, „Hier marschiert der nationale Widerstand“, „Kriminelle Ausländer raus – und die Merkel hinterher“ und „Ob Ost, ob West – nieder mit der roten Pest“.
Von der Heidefeldstraße führte der Aufmarsch dann links ab in die Wolzenstraße und dann noch einmal links ab, in den Grünauer Weg bis in die Großen Milower Straße. Während des Zuges durch die letzt genannten Straßen, ist in den Videomitschnitten immer wieder das Skandieren von neonazistischen Parolen zu hören. Beim Passieren einer Geflüchtetenunterkunft sind in einem Video des „Patrioten Kanals“ausländerfeindliche Sprüche zu hören.
Ab dem Übergang Große Milower Straße zur Brandenburger Straße hatte der spontane Aufzug dann offenbar, so zeigen es zugespielte Fotoaufnahmen, Polizeibegleitung, durch einzelne Streifenwagen. Über einen konkreten Polizeieinsatz gegen die bis dahin unangemeldete Versammlung ist jedoch nichts bekannt.
Offenbar von einem Dachboden aus gefilmtes und anonym ins Internet gestelltes Videomaterial zeigt jedenfalls nur eine recht klein und verloren wirkende Neonazitruppe, welche die Große Milower Straße in Richtung Brandenburger Straße „marschiert“.
Da der Aufmarsch anscheinend dort nicht durch die Polizei aufgehalten wurde, setzte sich der Aufzug so dann über die Brandenburger Straße bis zum Kreisverkehr fort, bog dann rechts in die Berliner Straße ab und führte schließlich bis zum Märkischen Platz.
Dort verweilte die Kleingruppe „Marschierender“, gemäß Webcam, offenbar kurz. Begab sich dann aber anschließend wieder in Marschformation zurück auf die Berliner Straße. Dort setzt sich die Berichterstattung des „Patrioten Kanals“ mit einem weiteren Videomitschnitt fort.
Im Video ist zu sehen, wie ein Polizeibeamter sowie einige offensichtlich betagte und füllige Kollegen am Kreisverkehr in den Berliner Straße Ecke Mittelstraße vergeblich versuchen den Aufmarsch aufzuhalten. Der offenbar leitende Beamte gibt, gemäß Videomitschnitt, laut und deutlich bekannt, dass die Versammlung aufgelöst sei. Außerdem forderte der Polizist die Teilnehmenden zum Halt auf. Die bedanken sich allerdings zunächst nur bei der Polizei, skandieren dann: „Polizei und Demokratie – unsere Ketten brecht ihr nie“ und laufen einfach weiter.
Erst in der Großen Milower Straße Höhe Kreisverkehr Richtung Heidefeldstraße, nach etwa 2,7 km Laufstrecke scheint der Aufzug beendet. Die Polizei hatte sich offenbar verstärkt und schien die Auflösung der Versammlung nun durchsetzen zu können.
In einem Videomitschnitt des „Patrioten Kanals“ erklärte Eric U, der offenbar die Vermummung abgelegt hatte, dass die Spontandemo sowohl (polizeilich) aufgelöst sei als auch von ihm selbst beendet wurde. Weiterhin ist im Video zu sehen, wie offenbar die Personalien aufgenommen und endlos erscheinenden Diskussionen über Medienaufnahmen folgen.
Polizeiliche Zwangsmaßnahmen oder Ingewahrsamnahmen sind im Videomitschnitt des „Patrioten Kanals“ nichts zusehen. Auch aus der Berichterstattung der MAZ, die auf einer Mitteilung der Polizei beruht, ist diesbezüglich nichts zu entnehmen und erscheint somit als unwahrscheinlich. Zumal einige Teilnehmende anschließend offenbar noch das Dorffest im Rathenower Ortsteil Semlin besuchten, dort Selfies von sich machten und diese anschließend im Socialmedia präsentierten.
Gegen einzelne Versammlungsteilnehmer werde dann aber offenbar doch noch wegen des Zeigen des „Hitlergrußes“ und des Mitführens von „Pyrotechnik“ ermittelt.
Organisierung des Aufmarsches

Der spontane Aufmarsch scheint im Wesentlichen durch Rathenower Neonazis organisiert worden sein. Dies wird zum einen durch den Startpunkt des Aufzuges, in der Nähe eines bekannten Treffpunktes lokaler „Autonomer Nationalisten“, und durch die mutmaßliche Rädelsführerschaft des Eric U, der den Aufmarsch anfangs durch seine Megaphonansagen forcierte, deutlich.
U hat in einem Teil des neonazistischen Milieus durchaus eine Schlüsselfunktion. Er gilt als Scharnier zwischen dem mittlerweile extrem rechts auftretenden PEGIDA-Ableger „Bürgerbündnis Havelland eV“ und überregional aktiven Neonazis aus Sachsen-Anhalt und (Ost)brandenburg.
Seit 2015 ist U als politisch interessiert bekannt. Seit September 2015 nahm er regelmäßig an Versammlungen des „Bürgerbündnisses Havelland“, die sich zunehmend als „asylfeindlich“ darstellten, teil. Zuvor ist über U nur bekannt, dass gegen ihn mehrfach wegen Brandstiftungen polizeilich ermittelt wurde.
Im Rahmen seines Engagements für das „Bürgerbündnis Havelland“, bei dem er oft als Ordner eingesetzt war, folgte eine stetige Radikalisierung. Zunächst trat U und seine Lebensgefährtin im Frühjahr 2016 als „Bürgerwehr Rathenow“ auf, einige Monate später als „Autonome Nationalisten Rathenow“. Ab Dezember 2016 nannte sich die Truppe dann „N.S Havelland“. Ein entsprechendes Banner wurde dann im Januar 2017 bei einem extrem rechten Aufzug in gezeigt. Dort und bei ähnlichen Aufzügen scheinen sich dann auch die Kontakte U.s ins überregionale neonazistische Milieu verfestigt zu haben.
In Rathenow scheint „N.S Havelland“ jedoch weitgehend isoliert, so dass der Truppe momentan kaum mehr als fünf Personen zugeordnet werden können. Während des Aufmarsches am Samstagabend nahm sogar nur eine weitere Person aus U.s direktem Umfeld teil. Eine weitere Person aus Rathenow, die am Anfang der Spontandemo auf einem Videomitschnitt des „Patrioten Kanals“ zu erkennen ist, gehört zum harten Kern der mit dem „Bürgerbündnisses Havelland“ Sympathisierenden.
Bei den anderen Teilnehmenden des samstäglichen Abendaufmarsches handelte es sich hauptsächlich um Zugereiste, die überwiegend aus Sachsen-Anhalt kamen. Die Personen können dem NPD nahen MAGIDA Umfeld bzw der „Brigade Magdeburg“, aus dem sich mutmaßlich auch der Versammlungsleitende zur Verfügung stellte, sowie der „Bürgerbewegung Altmark“, als auch der „Freikorps Heimatschutzdivision 2016“ zugeordnet werden. Zwei weitere Personen kamen aus dem Osten Brandenburgs und sollen der „Kameradschaft Märkisch-Oderland“ angehören.
Nahezu alle Teilnehmenden hatten sich vor der Spontandemo am Samstagabend bereits an einer Versammlung der extrem rechten Vereinigung „Bürgerbündnis Havelland eV“ beteiligt. Lediglich U war von der angemeldeten Veranstaltung ausgeschlossen worden, weil er dort vermummt auftrat.
Drei Teilnehmende des spontanen Abendmarsches hatten zudem auf der Kundgebung des „Bürgerbündnis Havelland eV“ Redebeiträge gehalten. Einer, ein Mann aus Magdeburg, hatte dort sogar zur Stimmabgabe für die NPD bei der kommenden Bundestagswahl aufgerufen.