Nach der gescheiterten Abschiebung eines 17-jährigen Kirgisen ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft gegen mehrere Beamte des Bundesgrenzschutzes Berlin wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. Der Flüchtlingsrat
Berlin begrüßte die Ermittlungen. Da der Kirgise nach eigener Darstellung am 19. Dezember vergangenen Jahres mit Schlägen von den Beamten traktiert worden sei, müsse dies verfolgt werden. Der Seelsorger des weiter in Abschiebehaft sitzenden Vollwaisen, Dieter Ziebarth, sagte: “Ich habe keinen Anlass, an der Darstellung des Kirgisen zu zweifeln.” Demnach hatte der Jugendliche, der alleine in seine Heimat abgeschoben werden sollte, in einer
Maschine am Flughafen Schönefeld gegen die Trennung von seinem älteren Bruder protestiert. Daraufhin hätten Beamte — der 17-Jährige spricht laut Ziebarth von vier uniformierten und zwei zivilen Beamten — ihm unter anderem
auf den Kopf geschlagen und den Mund zugehalten. Die Abschiebung sei abgebrochen worden, als der Pilot die Beamten des Flugzeuges verwies.
Autor: redax
Landesvorsitzender JOACHIM GESSINGER warnt vor Klassensystem im Hochschulsektor / “Wir brauchen eine bessere Förderung des vorhandenen Potenzials”
Zur Debatte um den Aufbau von “Elite-Universitäten” sagt der Landesvorsitzende von
BÜNDNIS90/Die Grünen, Prof. Dr. JOACHIM GESSINGER:
“Der Vorschlag, in Deutschland Elite-Universitäten einzurichten, packt das Problem
vom falschen Ende an. Wir brauchen keine neuartigen Hochschulen, sondern eine
bessere Förderung des jetzt schon vorhandenen Potenzials an Begabung, innovativem
Denken und wissenschaftlicher Kompetenz. Dazu gehört eine deutliche Verbesserung der
Studienbedingungen und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hochschulen
dürfen nicht länger, wie in Brandenburg, als nachgeordnete Landesbehörden ohne
Gestaltungsspielraum geführt werden, sondern müssen als eigenverantwortliche Akteure
ihre Strukturen und Inhalte im Rahmen ihres Bildungs- und Ausbildungsauftrages
selbst bestimmen können.”
“Es macht keinen Sinn, wenn die Länder Hochschulen dauerhaft unterfinanzieren und
der Bund die Förderung des Hochschulbaus herunterfährt — gleichzeitig aber Geld in
ausgewählte Universitäten gepumpt wird. Man erzeugt dadurch nur ein
Dreiklassensystem im Hochschulbereich — Fachhochschulen, Massenunis und
vermeintliche Nobelpreisschmieden. Es wird in Deutschland wie schon bei den neuen
Hochschulabschlüssen nur eine schlechte Kopie der USA geben — keine Ivy League à
la Yale, Harvard oder Princeton, dafür eine Menge deklassierter shit halls.”
“Das Ergebnis wird ein weiterer Verfall der Ausbildungsqualität im Hochschulbereich
auf breiter Linie sein”, sagt JOACHIM GESSINGER. “Schon heute sind Studienanfänger
in zunehmender Zahl nicht studierfähig. Wenn die Investitionen zum Beispiel in die
Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern weiter reduziert werden, wird sich dieses
Problem noch verschärfen und die Eingangsphase eines Hochschulstudiums zur besseren
gymnasialen Oberstufe werden. In Verbindung mit der gegenwärtig laufenden Verkürzung
des Studiums durch Einführung der Bachelor-Studiengänge wird dies zu einer
systematischen Senkung der Ausbildungsqualität für einen Großteil der
Hochschulabsolventen führen.”
“Spitzenleistungen werden nicht durch Sahnehäubchen auf bröseligem Tortenboden
erzeugt, sondern durch eine gut strukturierte Ausbildung, die breite Förderung von
Begabungen und eine staatlich nicht reglementierte Entfaltung dieser Begabungen in
Forschung, Lehre und Lernen. Und das fängt, wie Pisa gezeigt hat, beim Kindergarten
an.”
Aufruhr im Asylbewerberheim
Die Heimleiterin befürchtete eine Revolte und rief die Polizei um Hilfe. In mehreren Einsatzwagen rückten die Beamten ins Asylbewerberheim in Bahnsdorf ein, hielten mit massiver Präsenz die Flüchtlinge im Zaum. Platzverweise
wurden erteilt. Den Aufruhr verursacht hatte die Ausgabe neuer Wertgutscheine.
Montagmittag, Asylbewerberheim Bahnsdorf. An Eingangstoren Einsatzwagen der Polizei, auf dem Heimgelände Mengen aufgebrachter Asylbewerber und Polizisten. Bei Erscheinen der Presse scharen sich die Demonstranten um zwei
RUNDSCHAU-Reporter. Sie schimpfen auf die Wertgutscheine, die ihnen Sozialamtsmitarbeiter des OSL-Kreises aushändigen wollten. «Wir wollen Bargeld, keine Scheine. Wir haben sie zurückgegeben» , wettert in gebrochenem deutsch Alfred Lyonga aus Kamerun. Lyonga und seine Mitbewohner
reihen Argumente gegen die herrschende Praxis des Einkaufs mit Warengutscheinen auf:
Nur in einigen Geschäften in Senftenberg, Sedlitz und Räschen werden die
Scheine überhaupt angenommen. Man bekommt für sie nur Lebensmittel, keine
Kleidung. Es muss genau in Höhe des Scheinwertes eingekauft werden, weil die
Kassierer höchstens ein Zehntel des Scheinwerts an Wechselgeld rausgeben
dürfen.
Chukwu Sunday Okoro, ebenfalls Schwarzafrikaner, findet drastische Worte:
«Wir sind keine Kinder, die mit Geld nicht umgehen können.» Und: «In diesem
Land sind Hunde mehr wert als Menschen.» Oft würde man von Verkäufern oder
Kunden schief angeguckt beim Einkauf. Der Besuch öffentlicher Einrichtungen
wie Diskotheken sei unmöglich. Damit Möglichkeiten der Integration total
eingeschränkt. Zumal Besucher 2,50 Euro zahlen müssen, um das
Asylbewerberheim zu betreten.
40 Euro Taschengeld bekomme ein Asylbewerber, weiß Tem Crescenicia. Viel zu
wenig. Gerade an einem so abgelegenen Ort. Allein Zug- oder Bahnfahrt zu den
Geschäften in Senftenberg oder Großräschen verschlingen viel Geld. Wegen
schwebender Asylverfahren müsse zudem fast jeder Heimbewohner einen
Rechtsanwalt bezahlen. Bargeld brauche man auch fürs Telefonieren. Arbeiten
dürfen Asylbewerber nicht. Würden die 160 Euro an Wertgutscheinen in Bargeld
umgetauscht — es wäre den Flüchtlingen sehr geholfen.
Umtausch weit unter wert
Nach RUNDSCHAU-Informationen ist der Umtausch der Wertgutscheine gegen
Bargeld weit unter Wert gängige Praxis. Doch die Wertgutscheine, die der
OSL-Kreis seit Montag verteilt, lassen Tauschgeschäfte nicht mehr zu, weil
auf jedem Schein der Name des Besitzers steht.
Die Kreis-Sozialamtsleiterin Erika Körner vermutet schwarzafrikanische
Asylbewerber aus dem Heim in Sedlitz hinter dem Aufruhr: «Wahrscheinlich
haben sie die Mehrzahl der Asylbewerber, die ihre Gutscheine friedlich
abholen wollten, so unter Druck gesetzt, dass auch sie die Scheine
zurückgegeben haben.»
Die Amtsleiterin beruft sich auf Bundesgesetzgebung: Laut
Asylbewerberleistungsgesetz hätten die Landkreise Wertgutscheine auszugeben.
Nur wer länger als 36 Monate im Land ist, habe ein Anrecht auf 356 Euro
Bargeld. Dass also die meisten Asylbewerber 160 Euro in Wertgutscheinen
bekommen und 40 Euro Bargeld, sei korrekt. Dennoch kann Erika Körner die
Nöte der Asylbewerber nicht nachvollziehen: Die Scheine sind so gestückelt,
dass planmäßiger Einkauf möglich sei. Kleidung bekommen die Flüchtlinge — im
OSL-Kreis sind rund 400 Asylbewerber zentral in Bahnsdorf und Sedlitz
untergebracht — zwei Mal im Jahr. Und weite Fahrten bis in die Geschäfte
müsse auch die Dorfbevölkerung auf sich nehmen.
(Berliner Zeitung) POTSDAM. Knapp drei Wochen nach der versuchten Abschiebung eines minderjährigen Vollwaisen aus Kirgisien hat die Potsdamer Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen sechs BGS-Beamte wegen Körperverletzung im Amt übernommen. Das teilte die Behörde in Potsdam mit. Der 17-Jährige sollte am 19. Dezember in sein Heimatland abgeschoben werden. Dabei erlitt er Verletzungen, darunter eine Gehirnerschütterung, die den Abbruch der Rückführung und eine kurzzeitige Einlieferung ins Krankenhaus erzwan- gen.
Ermittlungen gegen BGS nach Eklat um Kirgisen
(FR) Berlin/Potsdam. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hat
knapp drei Wochen nach der versuchten Abschiebung eines minderjährigen
Vollwaisen aus Kirgistan in sein Heimatland die Ermittlungen gegen sechs
Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) wegen Körperverletzung im Amt
übernommen. Dies teilte die Behörde am Dienstag mit. Der 17-Jährige sollte
am 19. Dezember abgeschoben werden. Dabei erlitt er Verletzungen, darunter
eine Gehirnerschütterung, die den Abbruch der Rückführung und eine
kurzzeitige Einlieferung ins Krankenhaus erzwangen.
Der Anwalt des Betroffenen hatte am 22. Dezember Strafanzeige gegen die
beteiligten BGS-Beamten gestellt, die den Jugendlichen nach dessen Angaben
auch geschlagen haben sollen. Der Jugendliche war nach Angaben des
Flüchtlingsseelsorgers Dieter Ziebarth auf dem Flughafen Schönefeld in eine
russische Linienmaschine geschleift worden. Um ihn am Schreien zu hindern,
hatten ihm die Beamten im voll besetzten Passagierraum zunächst Mund und
Nase zugehalten und ihn dann geschlagen. Ziebarth hatte die versuchte
Abschiebung des Vollwaisen auch gerügt, weil der Jugendliche damit von
seinem in Berlin ebenfalls auf die Abschiebung wartenden Bruder getrennt
worden wäre.
Mit den Zuständen im Abschiebegefängnis und in der ZAST in Eisenhüttenstadt wird sich am kommenden Samstag ein offenes Treffen beschäftigen. Die VeranstalterInnen aus dem antirassistischen Bündnis “Alliance of Struggle” laden dazu interessierte Gruppen und Einzelpersonen ein. Das Treffen findet im Büro der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) statt:
Samstag, 10. Januar
14 Uhr
ARI — Yorckstraße 59 — Berlin-Kreuzberg
Es können bei Bedarf Schlafplätze organisiert und die Anreisekosten erstattet werden. Bei weiteren Fragen wendet euch per Mail über alliance_of_struggle@yahoo.de an Alliance of Struggle.
Politischer Wirbel um Ausgehverbot für Kinder / Richstein: Keine hilfreiche Lösung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität
(Tagesspiegel, Thorsten Metzner) Potsdam. Das von der bayerischen CSU geforderte Ausgehverbot für Kinder
unter 14 Jahren nach 20 Uhr sorgt in Brandenburg für politischen Wirbel. Der Grund: CDU-Innenminister und Landeschef Jörg Schönbohm sowie sein Parteivize
Sven Petke haben den Vorstoß des CSU-Generalsekretärs Markus Söder ausdrücklich begrüßt.
“Es ist ein interessanter Vorschlag”, so Schönbohm am Montag. Er äußerte sich allerdings skeptisch, ob ein nächtliches Ausgehverbot für Kinder durchgesetzt werden kann. “Ich sehe große Schwierigkeiten bei der
praktischen Umsetzung.” Entscheidend sei, dass Eltern an ihre erzieherische Verantwortung erinnert werden müssten. Söder hatte unter anderem gefordert, das Jugendschutzgesetz um einen Passus zu erweitern, wonach Kinder unter 14
Jahren nach 20 Uhr das Haus nur noch in Begleitung Erwachsener verlassen dürften.
Der SPD-Koalitionspartner kritisierte Schönbohm und Petke scharf: “So viel Staat gab es nicht einmal in der DDR”, sagte Bildungsminister Steffen Reiche (SPD). “So grast man am dumpfen Rand.” Man könne nicht eine ganze Altersgruppe von Kindern in Brandenburg wegen vielleicht einhundert
Problemfällen bestrafen. Eine nächtliche Ausgangssperre für Jugendliche passe zur elektronischen Fussfessel für Schulschwänzer, für die sich Schönbohm und Petke ebenfalls ausgesprochen hätten, sagte
SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness. Es sei ein Niveau, “über das sich
jeder Stammtisch erhebt.” Nach der Logik könne man die “Kriminalität in
Brandenburg auf Null senken, wenn man das Ausgehverbot auf Erwachsene
ausdehnt.” Und der Kommentar des SPD-Innenpolitikers Werner-Siegwart
Schippel lautete: “Schwachsinn.” Die pädagogischen Rezepte der Brandenburger
CDU erschöpfen sich in Repression, sagte PDS-Oppositionsführer Lothar Bisky.
Auf Distanz zu dem CSU-Vorschlag ging auch CDU-Justizministerin Barbara
Richstein, zugleich CDU-Vizeparteichefin. “Ich glaube nicht, dass das eine
hilfreiche Lösung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ist”, sagte
Richstein. Viele Straftaten von Jugendlichen würden zudem “tagsüber verübt.”
Die Justizministerin sprach sich stattdessen für eine Verschärfung des
Jugendstrafrechtes aus. Sie verwies auf eine Bundesratsinitiative
Brandenburgs, straffällige Jugendliche auch mit gerichtlich zu verhängenden
Fahrverboten, also dem Entzug des Führerscheins, zu bestrafen.
Außerdem unterstützt Richstein ausdrücklich eine neue Bundesratsinitiative
ihres sächsischen CDU-Kollegen Thomas de Maiziere, der die Einführung eines
sogenannten Warnschuss-Arrestes für jugendliche Straftäter vorsieht. “Das
ist ein probates und sinnvolles Mittel”, so die Ministerin gegenüber den
PNN.
Bislang können Jugendliche nur zu Haftstrafen ab sechs Monaten verurteilt
werden. Der Arrest von maximal vier Wochen soll nach dem Sachsen-Vostoß
gegen Jugendliche verhängt werden dürfen, deren Freiheitsstrafe zur
Bewährung ausgesetzt wurde. Bislang spürten solche Jugendliche trotz des
Urteils oft keine Sanktionen, erläuterte Richstein. Mit einem solchen Arrest
könne ihnen klar gemacht werden, was ihnen drohe, wenn sie gegen
Bewährungsauflagen verstießen. “Das kann einen erzieherischen Effekt haben.”
Für andere Wege als Ausgeh-Verbote plädiert auch CDU-Fraktionschefin Beate
Blechinger. Sie unterstütze Forderungen nach Sanktionen gegen Eltern, die
ihre Kinder verwahrlosen lassen oder gar misshandeln, sagt Blechinger. Oft
werde in solchen Fällen viel zu spät interveniert. So müsse diskutiert
werden, in solchen Problemfamilien das Kindergeld von einem Treuhänder
verwalten zu lassen, damit es auch beim Kind ankomme. CDU-Vizeparteichef
Sven Petke, der am Wochenende noch erklärt hatte, ein Ausgehverbot müsse
ernsthaft diskutiert werden, ruderte am Montag zurück: Ihm gehe es nicht um
ein staatliches Verbot, sagte Petke. “Ich erwarte von den Eltern, dass sie
Kinder nach 20 Uhr nicht mehr auf die Straße lassen.” Die Fälle Potzlow oder
Pascale zeigten, dass man vor Verwahrlosungstendenzen nicht die Augen
verschließen dürfe.
Politischer Wirbel um Ausgehverbot für Kinder
Schönbohm: Interessanter Vorschlag / Ablehnung bei SPD und PDS
(LR) Das von der bayerischen CSU geforderte Ausgehverbot für Kinder unter 14
Jahren nach 20 Uhr sorgt in Brandenburg für politischen Wirbel. Der Grund:
CDU-Innenminister und Landeschef Jörg Schönbohm sowie sein Partei-Vize Sven
Petke haben den Vorstoß des CSU-Generalsekretärs Söder ausdrücklich begrüßt.
“Es ist ein interessanter Vorschlag”, erklärte Schönbohm gestern.
Zugleich äußerte sich Schönbohm allerdings skeptisch, ob ein nächtliches
Ausgehverbot für Kinder durchgesetzt werden kann. “Ich sehe große
Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung.” Entscheidend sei, dass
Eltern an ihre erzieherische Verantwortung erinnert werden müssten.
CSU-Generalsekretär Söder hatte unter anderem gefordert, das
Jugendschutzgesetz um einen Passus zu erweitern, wonach Kinder unter 14
Jahren nach 20 Uhr das Haus nur noch in Begleitung Erwachsener verlassen
dürften.
Der SPD-Koalitionspartner kritisierte Schönbohm und Petke scharf: “So viel
Staat gab es nicht einmal in der DDR”, erklärte Bildungsminister Steffen
Reiche. “So grast man am dumpfen Rand.” Man könne nicht eine ganze
Altersgruppe von rund 15 000 Kindern in Brandenburg wegen vielleicht
einhundert Problemfällen bestrafen.
Eine nächtliche Ausgangssperre für Jugendliche passe zur elektronischen
Fußfessel für Schulschwänzer, für die sich Schönbohm und Petke ebenfalls
ausgesprochen hätten, fügte SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness hinzu. Es
sei ein Niveau, “über das sich jeder Stammtisch erhebt”. Nach der Logik
könne man die “Kriminalität in Brandenburg auf Null senken, wenn man das
Ausgehverbot auf Erwachsene ausdehnt”. Und der Kommentar des
SPD-Innenpolitikers Werner-Siegwart Schippel aus Suschow bei Vetschau
lautete: “Schwachsinn”. PDS-Oppositionsführer Lothar Bisky betonte, dass
sich die pädagogischen Rezepte der Brandenburger CDU in Repression
erschöpfen würden.
Auf Distanz zu dem CSU-Vorschlag ging auch CDU-Justizministerin Barbara
Richstein, zugleich CDU-Vizeparteichefin. “Ich glaube nicht, dass das eine
hilfreiche Lösung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ist”, erklärte die
Ministerin. Viele Straftaten von Jugendlichen würden zudem “tagsüber
verübt”.
Für andere Wege als Ausgehverbote plädiert auch CDU-Fraktionschefin Beate
Blechinger. Sie unterstütze Forderungen nach Sanktionen gegen Eltern, die
ihre Kinder verwahrlosen lassen oder gar misshandeln, sagt Blechinger. Oft
werde in solchen Fällen viel zu spät interveniert. So müsse diskutiert
werden, in solchen Pro-blemfamilien das Kindergeld von einem Treuhänder
verwalten zu lassen, damit es auch beim Kind ankomme.
CDU-Vizeparteichef Sven Petke, der am Wochenende noch erklärt hatte, ein
Ausgehverbot müsse ernsthaft diskutiert werden, ruderte gestern zurück: Ihm
gehe es nicht um ein staatliches Verbot, sagte Petke. “Ich erwarte von den
Eltern, dass sie Kinder nach 20 Uhr nicht mehr auf die Straße lassen.” Die
Fälle Potzlow oder Pascale würden zeigen, dass man vor
Verwahrlosungstendenzen nicht die Augen verschließen dürfe.
Hintergrund: Der
CSU-Vorschlag
Der CSU-Vorstoß beinhaltet, Kindern unter 14 Jahren den Ausgang am Abend nur
in Erwachsenenbegleitung zu gestatten. Laut CSU-Generalsekretär Söder sollte
das Jugendschutzgesetz um einen entsprechenden Paragrafen erweitert werden.
Außerdem seien Eltern, die ihre Kinder verwahrlosen lassen, vom Staat
stärker zur Verantwortung zu ziehen. Laut Brandenburgs CDU-Landes-Vize Sven
Petke seien Kinder- und Jugendkriminalität auch in Brandenburg ein
offenkundiges Problem. So liege der Anteil jugendlicher Straftäter mit mehr
als 30 Prozent deutlich höher als derjenige Jugendlicher an der
Gesamtbevölkerung (20 Prozent).
Vor drei Jahren explodierte ein Brandsatz an der Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam. Die Täter blieben bislang unbehelligt
(Tagesspiegel, Frank Jansen) Potsdam. Der Brandsatz war simple, aber ziemlich perfide Bastelarbeit. Zwei
mit Benzin gefüllte Tetrapacks und eine Kerze steckten in einem Pappkarton, direkt vor der hölzernen Hintertür der Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam. Irgendwann am Morgen des 8. Januar 2001 ging die Werkelei in
Flammen auf. Der Brand zerstörte die linke Hälfte der Doppeltür, Qualmwolken verrußten die ganze Halle und schwärzten die Außenfassade. Der Anblick rief
Entsetzen hervor, weit über Brandenburg hinaus. Innenminister Jörg Schönbohm eilte zum Tatort und kündigte “finster entschlossen” die Verfolgung der
Brandstifter an, keine Woche später zog Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen an sich. 10000 Mark Belohnung wurden ausgesetzt. Doch drei Jahre danach ist die Tat noch immer nicht aufgeklärt.
Und mit ihr eine ganze Serie von Verbrechen einer mysteriösen “Nationalen Bewegung”, die auch auf dem jüdischen Friedhof ein wüstes Pamphlet hinterließ. Im Gegensatz zu der sonst hohen Aufklärungsquote bei
rechtsextremer Gewaltkriminalität stehen Bundesanwaltschaft und Landeskriminalamt in diesem besonders schwer wiegenden Fall mit leeren Händen da. Die Beamten rückten zu zahllosen Razzien gegen die braune Szene aus, observierten potenzielle Tatverdächtige und schnitten reichlich
Telefonate mit. Das Ergebnis fasst die Sprecherin des Generalbundesanwalts, Frauke-Katrin Scheuten, in einem kargen Statement zusammen: “Der Sachstand ist unverändert, die Ermittlungen dauern an.”
In den Brandenburger Sicherheitsbehörden glaubt allerdings kaum jemand an einen Fahndungserfolg. Allerdings nicht, weil die “Nationale Bewegung” besonders professionell aufgetreten ist. Vielmehr ist der Abstand zur der
Straftatenserie inzwischen so groß, dass neue Indizien und Hinweise auf Tatverdächtige fast schon einem Wunder gleichkämen. Denn die obskure Truppe, vielleicht auch nur ein einziger Neonazi, ist seltsamerweise nach einer
letzten Drohung am 30. Januar 2001 nie mehr in Erscheinung getreten.
Fast genau ein Jahr hatte sich die “Nationale Bewegung” ausgetobt: ein Kommunalpolitiker bekam Drohbriefe, Hakenkreuzfahnen wurden an eine Brücke und ein Werbegerüst gehängt, antijüdische Parolen gesprüht, schließlich
brannten türkische Imbisse in Kleinmachnow, Trebbin und Stahnsdorf. Und dann stand die Tür der Trauerhalle des Potsdamer jüdischen Friedhofs in Flammen. Die Polizei zählte insgesamt 16 Taten, fast immer bekannte sich die
“Nationale Bewegung” mit einem Brief oder Anruf zur Tat. Warum dann plötzlich nichts mehr kam, kurz nachdem sich Generalbundesanwalt Nehm eingeschaltet hatte, bleibt rätselhaft.
Im März 2001 glaubten die Ermittler, sie seien ganz nah an den Tätern dran. Bei Potsdam wurden die Wohnungen zweier Neonazis durchsucht und größere Mengen Schwarzpulver gefunden. Doch die Indizien reichten nicht aus. War die
Szene gewarnt? Im Februar 2001 hatte ein rechtsextremer V‑Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes eine Polizeirazzia an einen Neonazi verraten. Den in Sicherheitskreisen zu hörenden Verdacht, der
Verfassungsschutz habe einen Spitzel in der “Nationalen Bewegung” geführt und torpediere die Ermittlungen, weist das Innenministerium als “groteske Falschbehauptung” zurück. Und verkündet, “wir werden erst locker lassen,
wenn die Täter hinter Schloss und Riegel sitzen”.
Der Potsdamer Rabbiner Nachum Presman glaubt, die Polizei habe alles getan, um die Brandstifter nach dem Anschlag auf den Friedhof zu ermitteln. Dann erwähnt Presman die Angst der eingewanderten Juden: “Wenn sie draußen sind, sprechen sie russisch nur ganz leise. Damit es niemand hört.”
Die Kriminalpolizei des Polizeipräsidiums Potsdam ermittelt zu einer Straftat auf dem Städtischen Friedhof am Weinbergsweg in Teltow. Am Montagmittag wurden auf dem Friedhof im Bereich des Gedenksteins für die
gefallenen Soldaten der Sowjetarmee mehr als 100 A 4‑Zettel mit rechtsextremistischen und antisemitischen Losungen und Nazi-Symbolen aufgefunden. Auf mehr als 80 davon waren Symbole wie Hakenkreuze und SS-Runen aufgemalt. Die Polizei hat Anzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger
Organisationen aufgenommen und bittet um Mithilfe.
Wer hat im Bereich des Friedhofs Beobachtungen gemacht, die mit der Straftat
in Verbindung stehen könnten?
Zweckdienliche Hinweise nimmt das Potsdamer Polizeipräsidium unter der Bürgertelefonnummer 0700 33 33 0331, bzw. jede andere Polizeidienststelle entgegen.
POTSDAM. Der evangelische Superintendent Heinz-Joachim Lohmann aus Wittstock soll neuer Vorsitzender des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit werden. Die Wahl als Nachfolger
des erkrankten Cottbuser Generalsuperintendenten Rolf Wischnath ist für den 20. Januar vorgesehen, teilte das Aktionsbündnis am Montag mit. Weitere Kandidaten seien bislang nicht vorgeschlagen worden. Der 41-jährige Theologe
Lohmann vertritt seit mehreren Monaten für Wischnath die evangelische Kirche im Aktionsbündnis. Der 56-jährige Generalsuperintendent hatte den Vorsitz des Aktionsbündnisses im Sommer aus Gesundheitsgründen niedergelegt und soll wegen der anhaltenden Erkrankung im April auf eigenen Wunsch in den Ruhestand verabschiedet werden.
An Brandenburgs Schulen nimmt die Zahl von Vorfällen mit einem rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Hintergrund nach Angaben des Bildungsministeriums seit Jahren ab.
Während es im Schuljahr 2000/2001 landesweit noch 257 derartige Vorkommnisse gegeben habe, seien es im Schuljahr 2002/2003 noch 117 gewesen, sagte Minister Steffen Reiche (SPD) auf eine parlamentarische Anfrage.
Diese positive Entwicklung entspreche den Untersuchungsergebnissen des Instituts für angewandte Familien‑, Kindheits- und Jugendforschung an der
Universität Potsdam. Danach ist die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen unter brandenburgischen Schülern rückläufig. Außerdem lehnten immer mehr
Schüler rechtsextreme Positionen völlig ab.
Reiche führt diesen Erfolg auf das 1998 von der Landesregierung entwickelte Handlungskonzept “Tolerantes Brandenburg” mit seinen mobilen Beratungsteams
und den regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule zurück.