DAHLEWITZ Fritz Lenk wartete an jenem Montag vergeblich auf den Obdachlosen Dieter Manzke. Der Bürgermeister der Gemeinde Dahlewitz (Teltow-Fläming) wollte sich um eine Wohnung für den 61-Jährigen kümmern, auch sollte der alkoholkranke Mann eine Betreuerin bekommen. Darüber wollte Lenk mit Manzke sprechen.
Am Freitag erfuhr Lenk, dass er nicht länger zu warten braucht. Manzke war tot — ermordet, gefoltert, zu Tode gequält, wie jetzt im Prozess gegen seine Peiniger bekannt wird. Damals war alles “top secret”, sagt Lenk. “Wir wussten, dass er tot geschlagen wurde, wie er aussah wurde der Öffentlichkeit nicht gesagt.”
Der 70-Jährige sitzt in einem Versammlungsraum im Bürgerzentrum von Dahlewitz. Früher war in der grauen, niedrigen Baracke die bäuerliche Handelsgenossenschaft untergebracht. Der Bürgermeister lässt die Wochen nach dem Mord Revue passieren. Wohl ist ihm nicht dabei. Manchmal sagt er: “Das schreiben Sie jetzt aber nicht.” Dabei streckt er den Arm aus, als wolle er eine Gefahr abwehren. Die Angst, missverstanden zu werden, sitzt immer noch tief. Lenk fürchtet um Dahlewitz Ruf. Der 1800-Einwohner-Ort soll nicht als braunes Nest erscheinen. Als solches war er nach der Tat in die Schlagzeilen geraten.
Nicht nur von der Presse, auch von der Arbeitsgemeinschaft Tolerantes Mahlow fühlt sich Lenk in die rechte Ecke gedrängt. Mit der AG lag die Gemeinde vor allem wegen der Beerdigung Manzkes im Clinch. Die Kommune und die Angehörigen wollten den Ermordeten in kleinem Kreis beisetzen, die AG hingegen wollte Öffentlichkeit, um ein Zeichen zu setzen. Man traf sich schließlich getrennt an Manzkes Grab. Lenk fühlt sich ungerecht behandelt: “Man wollte einen rechten Hintergrund finden, dagegen haben wir uns energisch gewehrt.”
Verwaltung hat sich bemüht
Auf dem Tisch vor Fritz Lenk liegt ein Stapel Papier. Akribisch ist darauf notiert, was aus seiner Sicht zum Fall Manzke zu sagen ist. Er spricht sehr sachlich, etwa von den Bemühungen der Gemeinde, Manzke zu helfen. “Er wurde seit Mitte der 90er-Jahre von unserer Behörde betreut”, sagt Lenk. Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, Mietrückstände, es gab immer etwas zu regeln. “Die Verwaltung hat sich ernsthaft bemüht.”
Lenk kennt Manzke aus besseren Zeiten. “Er war ein fleißiger Arbeiter”, sagt der Bürgermeister. Nach der Wende verlor Manzke seinen Job, der Alkohol wurde ihm zum Verhängnis. Seine Familie zerbrach daran. Manzkes Frau starb 1998, zu seinen drei Töchtern hatte er keinen Kontakt . Doch da waren noch seine Kumpels. Mit denen traf er sich vor Edeka, vor Plus oder vor der Post. Sie tranken zusammen Bier und Schnaps.
Neben dem grauen Gebäude mit dem gelben Schild über der Tür steht heute keiner mehr. “Die Totenecke”, nennen sie die Stelle, an der Dieter Manzke ermordet wurde, erzählt Wolfgang Below*. Er ist einer von Manzkes Freunden.
Der kleine Mann mit den schulterlangen Haaren trägt Armeeklamotten und zieht kräftig an seiner Zigarette, die er zwischen Daumen und Zeigefinger hält. Dann sagt er: “Er war ein Kumpel.” Was er damit meint? “Wenn er Geld hatte, hat er welches gegeben.” Er und Manzke kannten sich seit 20 Jahren. Einen Winter lang hat Manzke bei Below gewohnt. Dann ist er weiter gezogen. “Sobald es Frühling wurde, musste der Igel wieder los”, sagt Below und lächelt. Igel, so nannten Manzke alle, wegen seiner Frisur.
Die Täter kennt Wolfgang Below nicht, er hat sie nie gesehen. Was er denen wünscht? “Na”, sagt er und lacht — es klingt rau und bitter, “schön lange Knast”. Mehr will er nicht sagen, auch nicht über Manzke, seinen Kumpel.
Im Zeitungskiosk, in dem auch die Post in Dahlewitz untergebracht ist, sind ganz andere Töne zu hören. “Die können sie alle aufhängen”, poltert der Inhaber und zeichnet mit der Hand fünf senkrechte Striche in die Luft, vermutlich die Galgen. Mehr ist von ihm nicht zu erfahren: “Dazu habe ich nichts zu sagen, ich habe schon genug gesagt.”
Auch die Verkäuferin im Obst- und Gemüseladen nebenan hüllt sich in Schweigen. “Wir Geschäftsleute sagen dazu nichts, das wäre geschäftsschädigend.” Warum? “Weil die einen Kunden dafür sind und die anderen dagegen.” Wofür und wogegen? Sie antwortet nicht. Manzkes Mord sei gar kein Thema für ihre Kunden, sagt sie. Und im August, als es passiert ist? Die Verkäuferin lächelt erleichtert: “Da war ich im Urlaub.”
Auch im Dahlewitzer Jugendclub herrscht Sprachlosigkeit. Die 14- bis 17-Jährigen sitzen dicht gedrängt auf den drei Sofas neben der Eingangstür, trinken Cola, rauchen, die Jungs machen Faxen, die Mädels kichern, der Clubleiter Jens Fischer redet.
Als rechter Club verschrien
Er erzählt, dass der Club noch lange unter der Berichterstattung nach dem Mord an Manzke litt. “Wir hatten das Image eines rechten Jugendclubs”, sagt der 31-Jährige. Er findet das ungerecht, denn die Täter verkehrten dort nicht. “Ich kannte die Leute überhaupt nicht”, so Fischer. Aber Dieter Manzke, den kannte er. Manchmal hat sich Fischer mit ihm unterhalten. Den Obdachlosen kannten alle. “Er war immer irgendwie präsent, sagt der 17-jährige Marcel. “Es fällt schon auf, dass er nicht mehr da ist.”
Die 16-jährige Marén kennt auch einen der Täter. Uwe R., der jüngste von Manzkes Folterern und der einzige, der nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags angeklagt ist, ging in ihre Parallelklasse. “Das ist schon krass”, sagt die Blondine mit dem grellroten Lidschatten. “Von dem hätte ich das nicht gedacht, das war ein ruhiger Kunde.” Ein Rechtsradikaler ist er nach ihrer Ansicht nicht. “Ein bisschen rechts orientiert vielleicht”, sagt sie. Was sie damit meint, kann Marén nicht erklären. Sie lächelt.
“Man darf nicht jeder Tat, die an Randgruppen verübt wird, ein rechtsradikales Motiv unterstellen”, sagt Jens Fischer. Er wehrt sich gegen die Vorverurteilung seines Jugendclubs. Der Sozialarbeiter erzählt, wie eine linke Gruppierung aus Blankenfelde-Mahlow nach Manzkes Tod vor der Tür demonstriert und die Mädchen beschimpft hat.
Dabei haben die Dahlewitzer nach Manzkes Tod gemeinsam mit zwei anderen Jugendclubs Veranstaltungen mit Obdachlosen organisiert. Die Jugendlichen sollten lernen, wie schnell man auf der Straße landen kann. Dieses Jahr wollen sie das christliche Sozialwerk Ichthys in Mahlow besichtigen. Norbert Dennewill, Gründer und Leiter der Einrichtung, kümmert sich dort um Menschen, die ihr Leben ohne Hilfe nicht mehr in den Griff bekommen. Häufig ist dabei Alkohol im Spiel. Manche kommen aus dem Knast, andere von der Straße.
Norbert Dennewill hat sich auch um Ronny und Dirk gekümmert, zwei der Täter. “Dirk war ein Jahr hier, bei Ronny weiß ich es nicht genau”, sagt Dennewill. Er ist schockiert: “Ich bin erschüttert, mit fehlen die Worte.” Er ist sich sicher, dass die Täter in ihrer Kindheit selbst Grauenvolles erlebt haben. Deshalb hätten sich die fünf auch den schmächtigen Dieter Manzke als Opfer gesucht. Der war so wehrlos wie sie selbst als Kinder. “Die Tat zeigt, wie es in denen aussehen muss.” Dennewill will die Mörder nicht in Schutz nehmen. “Was passiert ist, ist eine Katastrophe, denn das Leben eines Menschen ist das Höchste”, sagt er, fordert aber zugleich “zu prüfen, ob die Täter selbst die Möglichkeit zum Leben gekriegt haben.”
Auch Bürgermeister Lenk grübelt über das Motiv: “Wie können Jugendliche nur so sadistisch sein?”, fragt er sich. Die Brutalität und Sinnlosigkeit der Tat beunruhigt ihn. Sein Trost: “Dahlewitz ist zwar der Tatort, aber
die Täter selbst sind keine richtigen Dahlewitzer.” Einer war erst kurz vor der Tat zugezogen. Die anderen kommen aus Mahlow und Blankenfelde — zwei Nachbarorten.