BAD FREIENWALDE. Am Sonnabend will die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (Schill-Partei) in Bad Freienwalde (Märkisch-Oderland) ihre Landesliste für die Bundestagswahl am 22. September aufstellen. Es würden zehn Kandidaten aus allen Regionen des Landes präsentiert, kündigte die Partei am Donnerstag an. Ziel sei ein zweistelliges Ergebnis. Für den Wahlkreis 59 soll außerdem ein Direktkandidat nominiert werden. Die Partei hat laut Sprecher Marc März gegenwärtig in Brandenburg 103 Mitglieder. Einen Landesverband gibt es noch nicht.
Monat: Juli 2002
DÖBERN. Nach dem Tod eines 17-jährigen Polen, der vor einer Fahrzeugkontrolle in Döbern (Spree-Neiße) fliehen wollte, ist Haftbefehl gegen den 27-jährigen Beifahrer wegen Hehlerei erlassen worden. Das teilte die Staatsanwaltschaft in Cottbus mit. Die Polen hatten am Dienstag mit ihrem Wagen vor einer Zollkontrolle fliehen wollen. Dabei waren sie gegen ein BGS-Fahrzeug geprallt. Der 17-Jährige starb, ein BGS-Mann wurde schwer verletzt. Der Beifahrer liegt im Krankenhaus.
FÜRSTENWALDE. Brandenburgs Polizeiwachen sollen bürgerfreundlicher werden. “Zur Polizeireform gehören auch Dienststellen, in denen jeder das Gefühl hat, dass er wirklich willkommen ist”, sagte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Donnerstag in Fürstenwalde (Oder-Spree) bei der Eröffnung der ersten modernisierten Wache. Im neu gestalteten Eingangsbereich können Wartende unter anderem kostenlos im Internet surfen. Mehr als 30 Dienststellen sollen umgebaut werden.
Aussiedler ohne neue Bleibe
Max K. hat Angst und will aus Wittstock wegziehen
WITTSTOCK (MAZ) Max K. will einfach nur weg. Weg aus Wittstock, der Stadt, in der er Anfang Mai zusammengeschlagen wurde. Der 21-jährige Russlanddeutsche ist traumatisiert nach dem fremdenfeindlichen Überfall, bei dem sein Freund Kajrat in der Nacht nach Himmelfahrt so schwer verletzt wurde, dass er wenig später starb (die MAZ berichtete).
Nun hat Max K. Angst, wenn er durch Wittstocks Straßen geht. Deshalb möchte er nach Neuruppin. Doch aus seinen Umzugsplänen wird wohl so schnell nichts werden. “Es sind in der Stadt gerade keine Sozialwohnungen frei, die von der Größe her geeignet wären”, sagte Renate Schwedtland, die zuständige Mitarbeiterin des Sozialamts auf MAZ-Anfrage. Erst im September würden wieder Unterkünfte zur Verfügung stehen, die günstig genug sind, um den Richtlinien des Sozialamts zu entsprechen. Bis dahin müsse Max K. sich gedulden.
“Bei dem Leerstand, den es in Neuruppin gibt, finden wir es erschütternd, dass es nicht möglich ist, eine Bleibe für jemand in einer so schwierigen Lebenssituation zu finden”, sagt Claudia Luzar von der Opferperspektive. Der Verein betreut landesweit Opfer rechter Gewalt. “Max geht es sehr schlecht, er macht eine Therapie. Es ist belastend für ihn, jeden Tag an der Stelle vorbeizukommen, an der er angegriffen wurde”, so Luzar. Zumutbar sei es daher für Max K. nicht, weiter im Wohnheim im Wittstocker Ortsteil Alt Daber zu leben.
Überlebener von Naziangriff will weg aus Wittstock
NEURUPPIN (Ruppiner Anzeiger / Gorm Witte) Leer stehende Sozialwohnungen mit nur einem Zimmer gibt es in Neuruppin derzeit nicht. Das sagen übereinstimmend Walter Tolsdorf, Geschäftsführer der Neuruppiner Wohnungsbaugesellschaft, und Renate Schwedtland, Fachgruppenleiterin für Soziales und Wohnungsbauwesen. “Im Moment haben wir keine kleinen Wohnungen”, so die Frau aus dem Neuruppiner Rathaus.
Um genau solch eine Wohnung bemüht sich der Aussiedler Max K., der derzeit im Wittstocker Ortsteil Alt Daber lebt. Die Dossestadt will er unbedingt verlassen. Aus gutem Grund, wie Claudia Luzar vom Verein Opferperspektive berichtet. Am Himmelfahrtstag, den 9.Mai, wurden der Rußlanddeutsche und sein Freund Kajrat B. bei einer Tanzveranstaltung überfallen. Max K. entkam den Angreifern, Kajrat B. verstarb an den Folgen des Angriffs im Krankenhaus. “Max ist derzeit in Therapie”, so Luzar. Der 21-Jährige ist durch den Vorfall traumatisiert. Er wünsche sich nichts sehnlicher, als aus der Stadt Wittstock wegzukommen, die bei der Polizei als Hochburg Rechtsextremer gilt.
Schwedtland und ihre Mitarbeiter versichern, sich in der Angelegenheit zu bemühen. “Er hat bei uns Priorität”, sagt die Fachgruppenleiterin über den Aussiedler. Auch die Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg, Almuth Berger, will sich laut Opferperspektive der Sache annehmen.
Nur Wohungen werden dadurch nicht frei. Das bedauert auch Schwedtland. Im August sollen Räume gefunden werden, spätestens Mitte September. “Wir wollen ja seinem Wunsch entsprechen.” Das heißt, das Quartier in der Fontanestadt sei Max K. sicher, sobald ein entsprechendes frei steht. Und auch seine Angehörigen wollen Wittstock verlassen. “Die Familie wird garantiert versorgt”, so die Sozial-Fachgruppenleiterin.
Aber schneller geht es nun einmal nicht, trotz aller Bemühungen. Für Max K. gilt es also, abzuwarten. Und das in einer Stadt, die ihm das Fürchten lehrte.
Extreme Brandenburger
BERLIN, 10. Juli. Viele Brandenburger neigen zu extremen politischen Ansichten. Das hat eine am Mittwoch veröffentlichte Studie in der Region Berlin-Brandenburg ergeben. Der Untersuchung zufolge hängen 29 Prozent der Brandenburger traditionalistisch-sozialistischen Ideen an, wie sie einst von SED oder DKP vertreten wurden. Das sind fast doppelt so viele wie in Berlin. Sie befürworten etwa die Verstaatlichung von Wirtschaftsunternehmen.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums zählt die Studie 24 Prozent der Brandenburger dem rechtsextremistischen Lager zu. Die Befragten vertreten zum Beispiel die Ansicht, dass Hitler heute als großer Staatsmann gewürdigt würde, hätte er nicht die Vernichtung der Juden befohlen.
Ost-West-Gefälle
Im Auftrag der Deutschen Paul-Lazarsfeld-Gesellschaft und des Otto-Stammer-Zentrums der FU Berlin hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa 2 000 Berliner und Brandenburger zu politischen Einstellungen und Wahlabsichten befragt.
Rund 40 Prozent der Wahlberechtigten in der Region sind laut Umfrage den Politikverdrossenen zuzurechnen, die zwar die Demokratie bejahen, aber mit ihrer Umsetzung unzufrieden sind. Dabei zeigt sich ein deutliches Gefälle: Demokratieverdrossenheit und mangelndes Integrationsgefühl sind in West-Berlin am geringsten ausgeprägt und steigen proportional über Ost-Berlin und die Berlin-nahen Gebiete bis in die Randlagen Brandenburgs an.
Laut Untersuchung nimmt in Berlin und Brandenburg die Zustimmung für eine Fusion beider Länder ab. Für eine rasche oder spätere Vereinigung sprachen sich 71 Prozent der Berliner und 52 Prozent der Brandenburger aus. Im Jahr 2000 waren es noch 76 Prozent der Berliner und 59 Prozent der Brandenburger.
POTSDAM. Brandenburg will seine Rasterfahndung nach so genannten Schläfern der Terrorszene im Land fortsetzen. Das geht aus einer am Mittwoch im Landtag vorgelegten Stellungnahme zum jüngsten Bericht des Datenschutzbeauftragten hervor. Im Zuge der Rasterfahndung wurden fast eine halbe Million Datensätze von Einwohnern erstellt, von denen mehr als 27 000 die Rasterkriterien erfüllen. Ein “Schläfer” wurde jedoch bisher nicht entdeckt. Der Datenschutzbeauftragte Alexander Dix hatte deshalb die sofortige Einstellung der Rasterfahndung gefordert. Im Bericht der Regierung heißt es indes, dass der mit der Rasterfahndung verbundene Datenabgleich noch nicht abgeschlossen sei. Deshalb könne gegenwärtig noch nicht gesagt werden, ob der Zweck der Maßnahme erreicht wird.
Flucht vor Zollkontrolle
Frankfurt (Oder) (ddp-lbg). Auf der Flucht vor einer Zollkontrolle ist ein 17-jähriger Pole bei Cottbus tödlich verunglückt. Unmittelbar nachdem der Jugendliche mit einem Audi ein Fahrzeug des Bundesgrenzschutzes (BGS) gerammt hatte, ging der Audi in Flammen auf, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch in Frankfurt (Oder). Der junge Pole wurde schwer verletzt und starb wenig später in einem Krankenhaus.
Für zwei vietnamesische Geschäftsbesitzer in Wittichenau begann der Sonnabend mit einer bösen Überraschung. Durchs Telefon waren sie geweckt worden. Am anderen Ende der Leitung teilte ihnen die Polizei mit, dass ihre Schaufenster in Wittichenau eingeschlagen wurden.
Wittichenau.
Die Betroffenen waren auch gestern noch schockiert. Seit Anfang Mai betreibt Pham Van Quang (31) sein Geschäft, in dem es um gebratene Nudeln und knusprige Ente geht. Der Imbiss hat gemütliche Sitzmöglichkeiten und einen Straßenverkauf. Bisher sei alles recht gut angelaufen, erzählt er. Ärger oder irgendwelche Auseinandersetzungen habe es ebenfalls nicht gegeben. Die Wurfgeschosse werden von Pham Van Quang im Hinterhof aufbewahrt. Sein Nachbar, der seinen Obst- und Gemüseladen erst vor einer Woche eröffnete, will über den Vorfall nicht weiter sprechen. Böser Jungenstreich, Versehen, Racheakt oder gezielte Ausländerfeindlichkeit? Diese Frage, die sich nicht nur die Besitzer stellen, konnte bisher allerdings noch nicht geklärt werden. Aus der Bautzener Polizeidirektion gab es gestern zunächst erst einmal eine Entschuldigung. Pressesprecherin Petra Kirsch war der Vorfall am Wochenende “durchgerutscht” . Deshalb suchte man die Meldung im offiziellen Bericht vergeblich. Die Fakten lieferte sie nach: Der Vorfall muss sich in der Nacht von Freitag zu Sonnabend zwischen 21.30 Uhr und 5.15 Uhr ereignet haben. Der Schaden beträgt 1500 Euro, die Tat wird als Sachbeschädigung eingestuft. Für einen rechtsextremen Hintergrund gäbe es bisher keine Anhaltspunkte. Erste Zeugen seien vernommen, Spuren vor Ort gesichert worden. Bereits vor zwei Jahren gab es in Wittichenau einen ähnlichen Vorfall. Damals waren jeweils zweimal die Fensterscheiben der Pizzeria Roma eingeschlagen worden. Nach intensiven Ermittlungen konnten Jugendliche für die Straftat verantwortlich gemacht werden. Heute gibt es große Rollläden vor den Fenstern, die gerade durch ein Wittichenauer Unternehmen instand gesetzt werden. Vielleicht um sich vor neuen Attacken zu schützen? Roma-Mitarbeiter Mohmood Akhtar ist bereits seit 1996 in Wittichenau und mit seinem Job zufrieden. “Wir kommen seit langem hier recht gut mit den Leuten aus. Ich möchte darüber nicht mutmaßen, wer es gewesen sein könnte. Auf jedenfalls ist die Geschichte ganz schön traurig.” Die Meinung von Gerold Bartsch steht hingegen wohl für die Gedanken vieler Wittichenauer: “Es ist beschämend, was hier passiert ist” , verurteilte er. “Ich gehe gerne in den Laden, weil ich immer mit einem Lächeln begrüßt werde.” Erika Kliche, die in Wittichenau arbeitet, fügte hinzu: “Ich verstehe die Leute nicht, die so etwas tun, warum wird überall mit so roher Gewalt vorgegangen?” Aus dem Wittichenauer Rathaus war gestern trotz mehrmaliger Versuche keine Stellungnahme zu dem Vorfall zu bekommen.
Kein Sommer für Bornstedt
Demonstration: Den rassistischen Konsens angreifen! Für eine befreite Gesellschaft!
Samstag, den 13. Juli 2002
14 Uhr Potsdam Luisenplatz
Kein Sommer für Bornstedt
Beinahe die Hälfte der im Potsdamer Stadtteil Bornstedt lebenden
abstimmberechtigten Einwohner unterschrieben seit März dieses Jahres
die Erklärung einer “Bürgerinitiative Bornstedt”, in der gegen die
Verlegung der Asylbewerber des Standorts Michendorfer Chaussee in ein
bisher zur Unterbringung von russischen Spätaussiedlern genutztes
Gebäude protestiert wird. Dass es sich dabei um einen durchaus
normalen Vorgang im wiedervereinigten Deutschland handelt, davon
zeugen etliche ähnliche Vorgänge z.B. in Neustrelitz und Bad Doberan.
Auch in Bornstedt kam es bereits Anfang der 90er Jahre zu Protesten,
als das betreffende Objekt erstmals als Flüchtlingsunterkunft in
Betrieb genommen wurde.
Die Argumentation der explizit zu diesem Thema gegründeten
Bürgerinitiative vereint die volle Bandbreite rassistischer und
wohlstandschauvinistischer Denkmuster. In Anfragen in die
Stadtverordnetenversammlung Potsdam, in offensiver Öffentlichkeits-
und Pressearbeit und nicht zuletzt auf einer gut besuchten
Bürgerversammlung am 19. März wird diese immer wieder mit Ängsten in
der Bornstedter Bevölkerung gerechtfertigt. Die geäußerten
Befürchtungen reichen dabei von Image- und Werteverlusten Bornstedter
Immobilien, Überfremdungsängsten gerade in Bezug auf die Wohnsituation
und Lehr- und Lernbedingungen in der Schule, der Zunahme von Drogen-
und Eigentumsdelikten bis hin zu deutlich rassistischen Projektionen.
In dieser Vorstellung schleichen die Immigranten tagsüber durch die
Vorgärten, klauen, vergewaltigen Frauen und Kinder und hindern die
benachbarten Bewohner durch exzessives Feiern am Schlafen. Die
Versuche des stellvertretenden Bürgermeisters Jann Jakobs, dem mittels
standortökonomischer Logik beizukommen, scheiterten am sturen Beharren
der Protagonisten. Diese ließen sich nicht davon beeindrucken, dass
auf dem sogenannten Sago-Gelände in der Michendorfer Chaussee mit der
Errichtung eines Biotechnologieparks auch Arbeitsplätze entstehen
werden, und selbst mit der nur provisorischen Neubelegung des Heimes
die Zahl der Immigranten in Bornstedt ab- statt zunimmt. Vielmehr trat
mit jedem entkräfteten Argument immer mehr für Rassismus typische,
irrationale Ressentiments bis hin zur unmissverständlichen Androhung
von physischer Gewalt gegenüber den Immigranten durch die normalen
Bürger zutage. Hierbei wurde unter anderem auf Hoyerswerda und
Rostock-Lichtenhagen verwiesen.
Projektion und deutsche Leidkultur
Daran kann man erkennen, dass rassistische Vorurteile nicht
ausschließlich mit ökonomischen Fakten zu begründen sind. Es ist den
Menschen in Bornstedt — wie allen Menschen — der Eintritt
individuellen Glücks durch eigene Schaffenskraft versagt geblieben.
Dieses Versprechen bürgerlicher Ideologie musste eine Lüge bleiben,
denn die zugrundeliegende Vorstellung vom Glück durch Macht,
Sicherheit und Wohlstand ist verknüpft mit dem Erfolg in der
permanenten Konkurrenz des Marktes. Gerade die Alteingesessenen
mussten sich nach dem Zusammenfall des realexistenten Sozialismus aber
an eine Situation gewöhnen, in der ihre Arbeitskraft nicht mehr
benötigt wird. Der wohlstandschauvinistische Reflex, das auserwählte
Stück des Kuchens gegen mögliche, nichtdeutsche Konkurrenten zu
verteidigen, ist aber kein unausweichlicher Automatismus. Der Einzelne
hat für sein Denken und Handeln eine individuelle Verantwortung.
Eine erfolgreiche bürgerliche Revolution hätte den Individuen eine
solche Vorstellung von selbstverantwortlicher und gleichberechtigter
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nahegebracht. Anstelle der
zugrundeliegenden, unbedingten Verknüpfung von demokratischen
Grundrechten an das bürgerliche Subjekt wird in Deutschland jedoch
preußisch-monarchistisches Denken tradiert. Doktrin des Zusammenlebens
und damit Vorraussetzung für die Gnade gesellschaftlicher Akzeptanz
ist die Unterordnung des Einzelnen unter volksgemeinschaftliche Werte
wie Gehorsamkeit, Ordnung, Fleiß und Sauberkeit, wobei die Erziehung
auf die Gefolgschaft zum Monarchen ersetzt worden ist durch Zurichtung
zum selbstbeherrschten Untertan. Die Vorstellung von Glück und
gesellschaftlicher Anerkennung ohne auf Arbeit und Befehlsausführung
hin verstümmeltes Bewusstsein ist diesem nicht nur fremd, sondern
gefährdet seine Stabilität und die der Leidensgemeinschaft. Und da er
den bestehenden Zustand nicht in Frage stellen will, muss er die
Schuld an seinem Unglück auf andere projizieren. In seiner Phantasie
profitieren diese nicht nur an seiner Arbeitsleistung, sondern haben
auch sonst ohne die ihm ansozialisierten und selbstauferlegten
Defizite ein von Wohlstand, sexueller Freizügigkeit, und
kosmopolitischem Hedonismus geprägtes Leben. Dafür muss er sie — bei
Strafe seines psychischen Zusammenbruchs — angreifen und vertreiben.
Nichts anderes ist gemeint, wenn von einer Gefahr für die deutsche
Kultur, einer Grenze der Integrationsfähigkeit die Rede ist.
Projektionsobjekt Ausländer
Wie die Gemeinschaft den Einzelnen daran integriert, so erfolgt auch
die Ausgrenzung alles Undeutschen anhand der deutschen
Sekundärtugenden. Der Ausländer an sich gilt also — bis auf wenige,
für die Nation als nützlich kategorisierte Ausnahmen — als anders,
kriminell, faul und nur aufs feiern bedacht, als krank, unsauber und
nicht integrationswillig. Dass Asylbewerber in Deutschland
gezwungenermaßen tatsächlich größtenteils nicht arbeiten und
zurückgezogen in Heimen leben, stigmatisiert sie weiter in diesem
Sinne und prädestiniert sie für solche Projektionsleistungen.
Die Kernaussage des strukturellen Rassismus benannte Alwin Ziel,
Sozialminister in Brandenburg, in seiner Ablehnung einer
antirassistischen Initiative: Der diesbezügliche bundesweite Konsens
besteht darin, die Lebensumstände der Flüchtlinge möglichst
abschreckend zu gestalten. Nach Deutschland vor Krieg, Verfolgung und
Armut — vor allem Auswirkungen der kapitalistischen Verwertungslogik -
flüchtende Menschen sind also mit der Gegebenheit konfrontiert, schon
vom Gesetzgeber und den Verwaltungsorganen aus in gesellschaftliche
Isolation gezwungen und an einem normalen Leben gehindert zu werden.
So sind sie der Residenzpflicht unterworfen und dürfen sich nur in
Ausnahmefällen nach Erlaubnis durch Ausländerbehörde aus dem ihnen
zugewiesenen Landkreis herausbewegen. Mittels “verdachtsunabhängiger
Kontrollen” kann eine Zuwiderhandlung jederzeit festgestellt werden,
mehrere solcher Verstöße können zur Abschiebung führen. Gemäß des
Sachleistungsprinzips erhalten Flüchtlinge über ein Taschengeld von 40
Euro ihre Sozialleistungen — die übrigens unter dem Existenzminimum für
Deutsche liegen — in Form von Wertgutscheinen, die nur in bestimmten
Geschäften und nicht z.B. für Genussmittel oder kulturelle Aktivitäten
ausgegeben werden dürfen. Auch die einzige Möglichkeit, zumindest nach
wertegesellschaftlichen Gesichtspunkten zu gesellschaftlichem Ansehen
zu gelangen, nämlich zu arbeiten, bleibt ihnen versagt. Als damit der
bundesdeutschen Gesellschaft Außenstehende sind sie weiterhin leichte
Beute — ein dem Klischee entsprechendes, willkommenes
Projektionsobjekt.
Geringfügige Besserungen der
rechtlichen Situation wie z.B. die
Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, dienen
rechtspopulistischen Politiker immer wieder als Vorwand für
rassistische Kampagnen um Wählerstimmen. Wie das Beispiel Hessen
zeigte, können sie sich an diesem Punkt eines großen Rückhalts in der
Bevölkerung sicher sein. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es
auch im betreffenden Fall zu Gesprächen zwischen dem Brandenburgischen
Innenminister und CDU-Rechtsaußen Jörg Schönbohm und der
“Bürgerinitiative Bornstedt” kam. Die örtliche CDU tat sich mit
Verständnis für deren rassistischen Verlautbarungen hervor. Auch
Rechtsradikale suchten mittels Flugblättern den Schulterschluss zur
Dorfgemeinschaft. Gemeinsam ist allen das Eintreten für traditionelle
Werte, für die Volksgemeinschaft, für die deutsche Leidkultur und die
damit verbundene Abwertung und Ausgrenzung alles “Undeutschen”.
“Egal, ob Juden, Neger oder Obdachlose — die wollen wir hier nicht.”
An dieser Situation kann auch die zunehmend praktizierte
Wohnungsunterbringung von Flüchtlingen, ja nicht mal deren völliges
Abhandensein etwas ändern. Wie es ein Vertreter der Bornstedter
Freiwilligen Feuerwehr auf der Bürgerversammlung auf den Punkt
brachte, sind die Volksfeinde jederzeit neu definierbar. Der Austausch
der Feindbilder ist jedoch nicht beliebig. Antisemitismus mit seiner
Personifizierung des “Juden” als das abstrakt “Andere” hat eine
besondere Kontinuität und eliminatorische Tendenzen in Deutschland.
Dagegen haben die rassistischen Einstellungen v.a. die Ausnutzung und
Trennung von den kategorisierten “Ethnien” zum Ziel, wenngleich es
auch hier zu Morden kommen kann.
Es ist dem Autoritären ein zwingendes Bedürfnis, zu projizieren, und
ein Abgleichen seiner Wahnvorstellungen mit der Realität lehnt er
konsequent ab. Zivilgesellschaftlichem Engagement wie etwa Aufklärung
über die Flüchtlingssituation ist er deshalb nicht zugänglich.
Vielmehr setzt das der Zivilgesellschaft zugrundeliegende Modell
voraus, dass eine Gemeinschaft gegen konstruierte Feindbilder
eingeschworen wird und aus diesem Konsens heraus reagiert. Ein solcher
Konsens wird in Bornstedt nie ein antirassistischer sein; das
rassistische Kollektiv wird niemals sich selber bekämpfen.
Trotzdem ist es notwendig, dem rassistischen Konsens in Bornstedt
etwas entgegenzusetzen. Die Flüchtlinge, die in Bornstedt leben,
müssen jeden Tag aufs Neue mit der Bedrohung ihres Leben rechnen und
bedürfen deshalb unserer Solidarität. Außerdem ist es nicht
hinnehmbar, dass sich aggressive Öffentlichkeitsarbeit angesichts der
erreichten Erfolge — die Zahl der Flüchtlinge wurde inzwischen von 150
auf 100 reduziert und der Umzugszeitpunkt verschoben — als legitimes
Mittel der Durchsetzung der Volkshygiene weiter etabliert.
Längerfristig kann Herangehensweise aber nur sein, den Rassisten nahe
zu bringen, dass gerade die Erfüllung ihrer projizierten und sich
selbst entsagten Wünsche nach einem nicht auf bestmögliche Verwert-
und Beherrschbarkeit hin ausgerichteten Zusammenleben Vorraussetzung
für ein glückliches Dasein ist. Dieses setzt jedoch die Erfahrung
einer emanzipierten und nonkonformistischen Gesellschaft voraus. Die
zivilisierende Wirkung der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft ist
trügerisch, lauert doch bei der nächsten Krise der Rückfall in die
Barbarei. Rassismus ist Ausdruck der bestehenden Verhältnisse, und
diese gilt es zu verändern.
organisiert von Antifa Aktion Potsdam, Kampagne gegen Wehrpflicht,
Zwangsdienste und Militär Potsdam, progress.pdm [antifascistic youth],
JungdemokratInnen/Junge Linke LV Brandenburg, Antira-Org Potsdam, AG
Antirassismus Potsdam.
Vorabversion eines Artikels aus der kommenden Ausgabe des “Antifaschistischen Infoblatts”: Rassistische Mobilisierung gegen neue Flüchtlingsheime (241 KB, pdf)
Der Song zur Demo:
Die Ärzte — Sommer nur für mich
MP3 Datei zum Download (2,8 MB)
Vor dem Jugendschöffengericht in Eberswalde fand am Montag, den 1.7.02, die Verhandlung gegen Andreas Sch. (18) statt, dem vorgeworfen wurde, zusammen mit zwei rechtsgerichteten Männern im Februar diesen Jahres drei jugendliche Antifaschisten in einem Zug angegriffen, verletzt und genötigt zu haben. Nach Erteilung einer Ermahnung gegen den Angeklagten, wurde das Verfahren nach knapp vierstündiger Verhandlung eingestellt. Im Gegensatz zu den beiden Haupttätern, gegen die ein Prozess noch aussteht, wertete das Gericht den Tatbeitrag von Sch. als eher untergeordnet. Eher spontan scheint sich Andreas Sch. an dem Angriff beteiligt zu haben, in dem er sich an die Ausgangstür des Abteils stellte, um — so die Zeugen — eine mögliche Flucht der Opfer zu verhindern. Das Gericht sowie die Staatsanwaltschaft samt Nebenklage war der Meinung, dass die Verhaftung und die sich anschließende Vernehmung durch die Polizei, sowie die vierstündige Verhandlung, dem Täter “Warnung genug” gewesen sei. Erleichtert verlies der Angeklagte, der sich im übrigen inzwischen die Haare hat wachsen lassen, den Gerichtssaal.
Zur Vorgeschichte: Inforiot-Archiv
Regionalbahn-Schläger vor Gericht
Am Montag, den 1.7.02, ab 9:00 Uhr, findet vor dem Jugendschöffengericht Eberswalde ein Strafprozess gegen einen von drei rechtsgerichteten Männern statt, die angeklagt sind, im Februar diesen Jahres drei junge Männer in einem Zug angegriffen, verletzt und genötigt zu haben.
Der Tat, die sich im Regionalexpress von Berlin Richtung Schwedt ereignete, gingen Provokationen der Angreifer voraus. Offensichtlich suchten sie ihre “Opfer” aufgrund der Kleidung aus. Mindestens zwei der Angegriffenen wurden nicht nur beleidigt sondern auch geschlagen und getreten. Nur durch das entschlossene Auftreten der drei Angegriffenen gelang es diesen den Zug auf dem Bahnhof in Eberswalde zu verlassen, wo sie die Täter sofort bei der Polizei anzeigten. Die drei Angeklagten wurden von einem Kommando der Polizei beim nächsten möglichen Halt aus dem Zug verhaftet.