POTSDAM. Das Landeskriminalamt Brandenburg hat am Freitag die Wohnung des Betreibers der Internetseite “linkeseite.de” durchsucht. Das linke Nachrichtenportal hatte zuvor eine Bekenner-Mail der “Autonomen Gruppen” veröffentlicht, die sich zu einem Anschlag auf einen Hochspannungsmast bei Zeuthen bekannten. Die Polizisten hofften auf dem Computer des Betreibers Hinweise auf den Verfasser der Mail zu finden. Unbekannte hatten am 4. September den Mast einer 110-Kilovolt-Leitung angesägt, der sich dadurch zur Seite neigte. Wäre der Mast umgestürzt, dann hätte es auf dem Flughafen einen Stromausfall gegeben. Die “Autonomen Gruppen” bezeichnen in ihrem Schreiben Schönefeld als “eine zentrale Infrastruktur der rassistischen und imperialistischen Flüchtlingspolitik”.
Monat: September 2002
Schill-Partei mit Landesverband
POTSDAM. Die rechtspopulistische Schill-Partei will am Sonnabend in Potsdam ihren brandenburgischen Landesverband gründen. Erster Landesvorsitzender soll der 41-jährige Bernauer Zahnarzt Dirk Weßlau werden, ein ehemaliger CDU-Politiker.
Auch der einstige stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Klaus Häßler ist nun Mitglied der Schill-Partei. Häßler war 1997 wegen Stasi-Kontakten in einem umstrittenen Parteigerichtsverfahren aus der CDU ausgeschlossen worden. Der frühere CDU-Landtagsabgeordnete Joachim Stöcker, derzeit zweiter Nachrücker für den Landtag, liebäugelt ebenfalls mit der Schill-Partei. Der Stadtverordnete aus Gransee (Oberhavel) trat im April aus der CDU aus. Weßlau sagte am Freitag, dass zwei ehrenamtliche Bürgermeister aus dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz am Sonnabend ihren Eintritt in die Schill-Partei bekannt geben werden.
Die DSU-Fraktion in der Senftenberger Stadtverordnetenversammlung hat bereits angekündigt, sich in Schill-Partei umzubenennen. Nach eigenen Angaben zählt die Partei in Brandenburg derzeit 125 Mitglieder.
EBERSWALDE. Vor zwölf Jahren bekam der Name Eberswalde einen unangenehmen Beiklang. Er stand für den ersten Neonazi-Mord an einem Ausländer nach der Wende. Am 25. November 1990 traten drei Dutzend Rechtsextremisten so brutal auf den Angolaner Antonio Amadeu ein, dass er starb.
Zwölf Jahre später hängt im Gymnasium Eberswalde-Finow ein großes Wandbild. Zu sehen sind eine schwarze und eine weiße Hand, die sich berühren — die Schule begeht ihren Angola-Tag. Ein Jahr, nachdem fünf Jugendliche der Stadt nach Luanda reisten, sind neun afrikanische Schüler zum Gegenbesuch gekommen. Sie sollen erleben, wie sich Eberswalde geändert hat. Dass die Stadt nun auch für Ausländerfreundlichkeit steht. Auf dem Schulhof ruft Schulleiter Hartmut Mahling: “Lasst uns gemeinsam glauben an eine bessere Welt.”
Die Schüler klatschen. Niemand von ihnen hat Ähnlichkeit mit einem Skinhead. Ein Junge, der ein “Lonsdale” T‑Shirt — Lieblingsmarke der Neonazis — trägt, hat das Bekleidungsstück mit einem Spruch versehen. “Laut gegen rechte Gewalt” steht nun über dem Markennamen.
Seit vier Jahren engagieren sich Schüler und Lehrer für Angola, auch wegen des Mordes. “Es ist verdammt nötig, positive Zeichen zu setzen”, sagt der Schulleiter. “Die Schüler lernen Toleranz nur, wenn sie das Fremde hautnah kennen lernen können.” Die afrikanischen Gäste tanzen und diskutieren mit ihren Gastgebern. Am Ende ihres zweiwöchigen Besuchs begegnen sich viele wie Freunde. Der 16-jährige Domingos Mufa sagt: “Ich bin begeistert von der Gastfreundschaft und wie sehr sich alle für uns interessieren.” Er ist ein afrikanisches Straßenkind und geht erst seit vier Jahren zur Schule. “Das ist meine einzige Chance”, sagt er. Er will Lehrer werden und freut sich, Deutschland gesehen zu haben.
Dass nicht alle in Eberswalde gastfreundlich sind, weiß ein anderer Angolaner zu berichten, der seit 1987 in Eberswalde lebt. “Es ist noch nicht so weit, dass ich mich allein durch die Stadt traue”, sagt er. “Nur im Auto fühle ich mich sicher.” Aber solche Aktionen in den Schulen machen ihm Mut. “Es ist ein Anfang. Und der ist wichtig.”
NPD erst ein‑, jetzt ausgeladen
NEURUPPIN Der Neuruppiner Verein Frauen für Frauen hat gestern für sich die Notbremse gezogen und den bereits eingeladenen Neuruppiner NPD-Bundestagskandidaten Renald Christopeit vom Frauenpolitischen Stammtisch am 18. September wieder ausgeladen.
“Wir wollen über frauenpolitische Themen reden und uns diese Veranstaltung nicht durch die Anwesenheit von Herrn Christopeit sprengen lassen”, sagte Vorstandsmitglied Elisabeth Abend (52). Abend verwies auf das Wahlforum in Perleberg zu Wochenbeginn. Dabei war es zum Eklat gekommen, weil sich der NPD-Bewerber nicht von dem Mordanschlag auf einen Spätaussiedler und vom Brandanschlag auf die Gedenkstätte Belower Wald distanzieren wollte. Daraufhin war er vom Publikum des Saales verwiesen worden. In der Debatte war es danach noch lange um den Umgang mit der NPD und rechtem Gedankengut gegangen (die MAZ berichtete).
Ein ähnliches Debakel befürchtet der Verein Frauen für Frauen nun auch für seinen Stammtisch. “Christopeit müsste sich nicht allein von den Anschlägen distanzieren, er müsste auch sagen, dass diese menschenverachtend sind”, sagte Abend. Dazu sei Christopeit jedoch auch gestern in einem Vorgespräch für den Frauenpolitischen Stammtisch nicht bereit gewesen. Zwar wollte Christopeit nicht von selbst dieses Thema ansprechen, doch könne der Verein keinesfalls ausschließen, dass einer der anderen Bundestagskandidaten der Region die Anschläge nochmals thematisiere.
Dass der Verein mit seinem Ausladen einer inhaltlichen Debatte mit der NPD ausweicht, sieht Elisabeth Abend nicht. “Wir wollen aber an diesem Tag über frauenpolitische Themen reden, wie die Erwerbstätigkeit von Frauen, die Existenzsicherung von Frauen sowie über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.” Gleichwohl gibt der Verein offen zu, dass er mit dem gestrigen Schritt auch ein Zeichen setzen will, ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt.
Die anderen sechs Bundestagsbewerber der Region haben für den Frauenpolitischen Stammtisch übrigens zugesagt. Die Runde, die nicht nur für Frauen und Mädchen gedacht ist, beginnt am Mittwoch, 18. September, um 19 Uhr im evangelischen Gymnasium in Neuruppin in der Regattastraße 9.
(Inforiot) Die Ereignisse beim Wahlforum in Perleberg sind im MAZ-Artikel Erst wurde der NPD-Kandidat Christopeit abgewählt, dann verließ CDU-Bewerber den Saal nachzulesen. Mehr zur Person Renald Christopeit im Inforiot-Archiv.
Senftenberg. Die DSU-Fraktion in der Senftenberger Stadtverordnetenversammlung wird ab kommenden Montag künftig unter dem Namen Partei Rechtsstaatlicher Offensive (bekannter als Schill-Partei) arbeiten. “Die Wähler der DSU wurden darauf aufmerksam gemacht, dass die kommunalpolitische Programmatik beibehalten und nahtlos fortgesetzt wird ” , erklärte der Fraktionsvorsitzende Fred Frahnow am Mittwochabend vor den Stadtverordneten. Die aus den Abgeordneten Fred Frahnow und Kurt Kosmehl bestehende Fraktion sieht es als wesentliches Ziel an, in Senftenberg eine Ortsgruppe der Schill-Partei zu gründen. In Ortrand gibt es derzeit derartige Ambitionen nicht, sagte gestern Bürgermeister Alf Korn, der auch DSU-Fraktionschef im Kreistag ist. Seiner Fraktion möchte sich der aus der CDU ausgetretene Abgeordnete Jürgen Knerlich anschließen. “Dem Antrag wird stattgegeben ” , so Korn. In Potsdam gründet sich dem Vernehmen nach morgen ein Landesverband der Schill-Partei.
Altlandsberg (ddp-lbg). Die vietnamesische Familie Nguyen aus Altlandsberg bei Berlin kann zumindest vorerst weiter in Deutschland bleiben. Die Ausländerbehörde des Landkreises Märkisch-Oderland verlängerte am Donnerstag die befristete Duldung bis zum 24. Januar 2003, hieß es aus Kirchenkreisen. Ursprünglich sollte die vierköpfige Familie am 16. September abgeschoben werden.
Mit der abermaligen Verlängerung verbinde sich die Hoffnung, dass die Nguyens nach Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes zum Jahresbeginn 2003 doch noch als Härtefall behandelt werden und dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen. Der indischstämmige Altlandsberger Bürgermeister Ravindra Gujjula sprach von einem Riesenerfolg. Die seit 1990 in Deutschland lebende Familie sei integriert und habe ein Recht, hier zu bleiben.
Der Fall Nguyen hatte vor zwei Jahren für Aufsehen gesorgt, als Vater und Sohn für mehrere Monate Kirchenasyl im Oderbruch fanden. Damit sollte eine Trennung der Familie verhindert werden. Seit über einem Jahr wohnt die Familie mit dem elf Jahre alten Sohn und der knapp zweijährigen Tochter in Altlandsberg.
NEURUPPIN. Nach dem rechtsextremistischen Brandanschlag auf das Todesmarschmuseum Belower Wald bei Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) gehen die Ermittler jetzt von einer so genannten Serientat aus. Im Hinblick auf ähnliche Vorkommnisse in Mecklenburg-Vorpommern sei die Sonderkommission um mehrere Spezialisten aus dem Nachbarland aufgestockt worden. Das sagte Brandenburgs Innenstaatssekretär Eike Lancelle nach einem Besuch bei der Sonderkommission am Donnerstag in Neuruppin. Ein vernetztes Vorgehen in beiden Ländern erhöhe die Chancen auf eine schnelle Aufklärung.
Der geplante NPD-Aufmarsch sowie die anschließende Kundgebung in Potsdam dürfen am Samstag stattfinden. Das hat das Verwaltungsgericht gestern entschieden. Die Verbotsverfügung des Polizeipräsidiums sei “aller Voraussicht nach rechtswidrig”, heißt es in der Begründung. Denn es sprächen keine “konkreten Tatsachen” dafür, dass bei den NPD-Veranstaltungen insbesondere der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt werde. Die NPD will unter dem Motto “Schluss mit der Masseneinwanderung russischer Juden, Deutschland uns Deutschen” antreten. In Potsdam formiert sich inzwischen eine Bewegung gegen Rechts.
Nach Ansicht des DGB-Landesbezirks ist der NPD-Aufruf zu der Kundgebung ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Es könne nicht angehen, dass unter dem Deckmantel des Parteienprivilegs antisemitische und volksverhetzende Aufmärsche stattfänden, sagte Landeschef Dieter Scholz.
Das Gericht unterstrich, der pauschale Hinweis, dass bei der Demonstration Straftaten von erheblichem Ausmaß drohten, reiche für ein Verbot nicht aus. Auch sei eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht absehbar. Der NPD-Aufmarsch war am Dienstag vom Potsdamer Polizeipräsidenten Bernd Küpper wegen Volksverhetzung verboten worden. Dem Präsidium bleibt noch der Weg vor das Oberverwaltungsgericht.
Wie berichtet, formiert sich unterdessen in der Stadt Protest gegen den geplanten NPD-Aufmarsch. Unter dem Motto “Potsdam bekennt Farbe” ruft die Stadt die Bürger Potsdams am Samstag zu einer Gegendemonstration für Toleranz und ein friedliches Miteinander auf.
Der gemeinsame Aufruf der Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Birgit Müller (PDS), und des amtierenden Oberbürgermeisters Jann Jakobs (SPD) wird von zahlreichen Parteien, Verbänden und Einrichtungen mit getragen. Zusätzlich zu den bereits am Mittwoch bei der Verwaltung eingegangenen Unterstützungserklärungen sind gestern weitere Teilnahmebekundungen zur Toleranz-Demonstration von Firmen, Organisationen und Privatpersonen abgegeben worden, berichtet Rathaussprecherin Regina Thielemann. Dazu gehören unter anderem die Hoffbauer-Stiftung Hermannswerder, der HFS-Immobilienfonds als Betreiber der Bahnhofspassagen, die Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul, der Olympiastützpunkt Potsdam sowie das St.-Josefs-Krankenhaus und die Evangelisch-methodistische Kirche.
Er werte die immer umfangreicher werdende Unterstützung als ein Zeichen dafür, dass eine breite Mehrheit der Potsdamer die antidemokratischen und antihumanistischen Parolen der NPD verabscheue und etwas dagegen tun wolle, so Jakobs.
Die Demonstration für Toleranz beginnt am Sonnabend um 10 Uhr am Luisenplatz. Sie führt zum Alten Markt, wo gegen 11 Uhr eine Kundgebung stattfindet. Neben Jakobs wird die Ausländerbeauftragte des Landes, Almuth Berger, sprechen.
Kirchenasyl für den kleinen Minh
OBERHAVEL Die Ausländerbehörde des Landkreises Oberhavel will einen allein erziehenden vietnamesischen Vater ohne dessen fünfjährigen Sohn abschieben. Als Termin ist bereits der kommende Montag ins Auge gefasst. Der Ausländerausschuss des evangelischen Kirchenkreises Oranienburg hat deshalb jetzt Alarm geschlagen. Pfarrer Johannes Kölbel forderte gestern die Behörde auf, die Abschiebung unverzüglich auszusetzen, bis alle offenen Fragen geklärt sind.
Davon gibt es offenbar eine ganze Reihe. Warum die Kreisverwaltung die Abschiebung des Vietnamesen, der 1988 als Vertragsarbeiter in die DDR geholt worden war, so verbissen verfolgt, ist den Mitarbeitern des Kirchenkreises ein Rätsel. Xuan Khang Ha, der seit dem 5. August in Eisenhüttenstadt in Abschiebehaft sitzt, hat sich in Deutschland nichts zu Schulden kommen lassen. Der Mann hatte 1992 Asyl beantragt, weil ihm wegen Mitgliedschaft in einer Oppositionsgruppe in Vietnam Verfolgung droht. Bis zum vorigen Jahr hatte er eine geregelte Arbeit, die er erst verlor, als der Kreis ihm die längerfristige Aufenthaltsduldung verweigerte. In Hennigsdorf lebte der Asylbewerber in einer Mietwohnung, sein Junge besuchte eine Kita. “Er war hier voll integriert”, sagt Simone Tetzlaff vom kirchlichen Ausländerausschuss .
Die Verhaftung des Vaters erfolgte am 5. August, drei Tage vor dem fünften Geburtstags seines Sohnes Minh Duc. Die Ausländerbehörde hatte den Vietnamesen zu einer “Identitätsfeststellung” für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Zusammenhang mit seinem Asylfolgeantrag “eingeladen”. Dort wurde ihm jedoch eröffnet, dass beide am Folgetag abgeschoben werden sollen. Nur eine Erkrankung des Jungen verhinderte, dass sich Vater und Sohn gemeinsam bei der Behörde meldeten. Seither ist der Junge bei Bekannten untergekommen.
Hatte der Kreis bisher nur eine gemeinsame Abschiebung geplant, soll jetzt der Vater allein ausgeflogen werden. Der Schwanter Pfarrer Kölbel hat für den Jungen gestern Kirchenasyl angeboten.
Gute Spurenlage nach Brandanschlag
NEURUPPIN Der Anschlag auf die Gedenkstätte im Belower Wald (Ostprignitz-Ruppin) wird nach Einschätzung von Brandenburgs Innenstaatssekretär Eike Lancelle voraussichtlich schnell aufgeklärt. Ansatzpunkte böten ähnliche Vorfälle in Mecklenburg-Vorpommern, sagte Lancelle gestern nach einem Besuch bei der Sonderkommission in Neuruppin. Zudem sei ein “erhebliches Maß an Spuren zusammengetragen worden”.
Für die Aufklärung könnten laut Leitendem Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher Menschen im Umfeld der Täter wichtig werden, die bisher aus Angst vor Repressalien nichts gemeldet hätten. Schnittcher wies darauf hin, dass die vom Justizministerium ausgesetzte Belohnung von 10 000 Euro auch für Hinweise aus jener Gruppe gedacht seien. Man sichere jedem Hinweisgeber absolute Anonymität zu. Bei dem Anschlag auf das “Museum des Todesmarsches” in der vergangenen Woche war ein Ausstellungsraum ausgebrannt.