Hausdurchsuchung eines alternativen Wohnprojektes in Potsdam wegen einer „nicht messbaren Menge“ Cannabis
In der Nacht vom 08.04. zum 09.04.2002 kam es zu einem Zwischenfall. 2 Frauen und ein Mann beschimpften 2 Personen, die aus einem alternativen Wohnprojekt kamen als „Zecken“.
Sich dies nicht gefallen lassend, kam es zu einem Wortwechsel, bei dem der intolerant eingestellte Bürger zu Fall kam und sich einen Schaden an seiner Lederjacke zuzog.
Die beiden setzten ihren Weg fort. Die BürgerInnen empfanden die Situation als Verletzung ihrer Rechte und riefen, die Bullen. Wohlweislich die Situation der Beleidigung verschweigend, tischten sie den Beamten die Story vom grundlosen Angriff der Chaoten auf sie, die friedliebenden Staatsbürger, auf. Den Wahrheitsgehalt der Worte zogen die Beamten, trotz des Alkoholisierungsgrades des „Opfers“ nicht in Zweifel, denn solche Täter sind ernst zu nehmen.
In wohlbekanntem Ermittlungseifer leiteten die Beamten sofort eine Nahbereichsfahndung (!) ein. Es darf nicht vergessen werden, dass die Jacke des „Opfers“ Schaden getragen hatte.
Die beiden wurden aufgegriffen. Im Rahmen einer Leibesvisitation zur „Eigensicherung“ wurde bei L. eine Tüte gefunden, die „Anhaftungen“ einer cannabisähnlichen Substanz aufwies.
Die Beamten reagierten im Hinblick auf diesen enormen Fund von Betäubungsmitteln angemessen und beherzt.
L. wurde verhaftet und wegen Verdunkelungsgefahr in Gewahrsam genommen.
Bei der aufgefundenen Menge an Betäubungsmitteln drängte es sich geradezu auf, dass eine Hausdurchsuchung (Hds) zum Auffinden von weiterem Beweismaterial notwendig war.
Angeblich sei der Notstaatsanwalt kontaktiert worden, der eine sofortige Hds anordnete. Dies ist an sich dem Richter vorbehalten, dem Staatsanwalt war dies nur möglich, da „Gefahr im Verzug“ vorgelegen habe. Auf Grund der Menge, die bei L. aufgefunden wurde, wird wohl auch niemand daran zweifeln, dass bei weiterem Abwarten ‑auch wenn L. im Gewahrsam war- die Beseitigung weiterer größerer Mengen zu befürchten war.
3 Beamte verschafften sich daraufhin, gegen 01.20 Uhr Zutritt zu dem verschlossenen Gelände des Wohnprojektes. Sie betraten eines der Wohngebäude.
In Vorurteilen schwelgend, zog ein Beamter seine einsatzbereite Schusswaffe im dunklen Flur. Es wurde irgendeine Wohnung betreten. Gewisse Bevölkerungsgruppen können keine Grundrechte — so wie Beckstein es in seinen Zukunftsvisionen sieht — für sich in Anspruch nehmen.
Der Hund schlug an. Der Beamte meinte, dem Hund eine Kugel durch die Schädeldecke jagen zu müssen, wenn dieser nicht sofort zurück genommen würde. Die völlig ahnungslosen 2 BewohnerInnen der Wohnung taten dies. Sie widersprachen den Maßnahmen und forderten die Staatsdiener auf, die Wohnung zu verlassen. Sie wiesen auch mehrfach darauf hin, dass weder der eine noch die andere L. sei, da dieser ja im Gewahrsam saß.
Die Bullen, nun zu allem bereit, versuchten den beiden weis zu machen, dass sie auch das ganze Haus durchsuchen könnten, weil L. angeblich der einzige Bewohner des ganzen Hauses sei (nur er sei dort polizeilich gemeldet). Unverständlich für unsere 3 Helden war es nun, dass die beiden BewohnerInnen sie weiterhin aufforderten, das Haus zu verlassen. Na ja, hätte ja auch klappen können.
Letztendlich schafften sie es, die Bullen aus dem Haus zu bekommen.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass L. einen Bauwagen bewohnte. Das wussten die Bullen auch. Bezeichnender Weise haben sie aber das Haus betreten und nicht etwa nach dem Bauwagen gesucht. Für den unbeteiligten Beobachter drängt sich der Gedanke auf, dass eine solche Gelegenheit, bei der man sich Zutritt zu dem Wohnprojekt verschaffen konnte, auch ausgenutzt werden sollte. Zu welchem Zweck dies geschah liegt im Dunkeln, jedoch waren die Handlungen dieser Nacht auf Provokation ausgerichtet. In alter Manier sollten wohl die vermeintlichen Besetzer (Scheiß auf einen Pachtvertrag!) soweit aufgebracht werden, dass eine Räumung in der Öffentlichkeit, mit von den Chaoten ausgehender Gewalt, hätte gerechtfertigt werden können.
Zurück zum Geschehen:
Nun, die Lage war nun eindeutig brenzlig geworden, also wurde Verstärkung angefordert.
Den mittlerweile zahlreich erschienenden Bullen wurde der Zutritt zum Gelände verwehrt. Es kam zu Auseinandersetzungen, an denen die Beamten durch ihre aggressive Art ausreichend Anteil nahmen. So wurde der Vermieter auf dem Boden liegend, mit Knebelbändern außer Gefecht gesetzt. Aber rein kamen sie nicht!
Nach diesem Fehlschlag wurde L. (endlich) aus dem Gewahrsam an den Ort des Geschehens verbracht. Er sollte nun der Durchsuchung beiwohnen.
Nun kam es zu einer 20 minütigen Hds des Bauwagens an der 3 Beamte, L. und zwei weitere BewohnerInnen des Projektes teilnahmen.
Diese wurde zu einem durchschlagenden Erfolg. Die Bullen konnten sagenhafte drei Pfeifenköpfe ihrer Asservatenkammer übergeben.
Die rechtliche Situation ist folgende:
Art. 13 Grundgesetz schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Deshalb darf gemäß § 105 Strafprozessordnung nur der Richter eine Durchsuchung anordnen. Nur in Ausnahmefällen ist dies auch dem Staatsanwalt möglich. Das ist der Fall, wenn Gefahr im Verzug vorliegt.
Diese nichts sagende Wendung meint Situationen, in denen bei weiterem Abwarten mit hoher Wahrscheinlichkeit das Auffinden von Beweismitteln vereitelt würde. Gesetzlich betrachtet, ist die Anordnung durch den Staatsanwalt der Ausnahmefall.
Der Alltag ist aber, dass die Staatsanwaltschaft jederzeit Gefahr im Verzug angenommen hat, die gesetzliche Ausnahme ist zum Regelfall geworden.
Damit hat sich das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2001 auseinandergesetzt und angeordnet, dass sich das wieder zu ändern habe. So soll jedes Gericht einen 24-Stunden- Eildienst einrichten, damit jederzeit ein Richter zu erreichen ist. Sollte dies in der Organisationsphase trotzdem nicht möglich sein, so sind die Gründe für die Annahme der Ausnahmevoraussetzungen in den Akten genau zu vermerken.
In den Ermittlungsakten stand über dem Durchsuchungsprotokoll, „wegen KV (Körperverletzung)“, obwohl die Beamten darauf pochten, eine Durchsuchung wegen des Fundes von Betäubungsmitteln durchzuführen. Angaben zu irgendwelchen Gründen, warum Gefahr im Verzug vorlag, waren nicht zu finden.
Zum Besitz von Cannabis ist noch anzumerken, dass es sich dabei zwar um eine Straftat handelt. Seit dem Cannabisurteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch wurde der Repressionsapparat genötigt, von einer Bestrafung abzusehen, soweit die mitgeführte Menge zum Eigenverbrauch verwendet werden soll. So gibt es keinen einheitlichen Richtwert, aber mit 3 — 4 Gramm ist man auf der sicheren Seite. Das Gericht hatte geurteilt, dass Cannabiskonsum, mit seinen gegenüber Alkoholkonsum weit geringeren Folgen, für den Einzelnen und die Allgemeinheit bis zu einem gewissen Maß nicht bestraft werden dürfe.
Jedem steht die Möglichkeit offen, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bezüglich der Rechtmäßigkeit der Hds zu stellen. So auch L.
Es folgten herbe Enttäuschungen. Das Amtsgericht sah sich genötigt, eine halbe Seite Begründung zu entwerfen, in der es heißt, „Es lag offensichtlich Gefahr im Verzug vor.“ Die Kursivschrift sollte wohl eine Begründung, warum dies der Fall war, ersetzen. Zudem sei klar, dass die Hds wegen des Cannabis stattgefunden habe. Woher wusste der Richter all das? Aus den Akten jedenfalls nicht!
Auf die Beschwerde des L., urteilte das Landgericht, dass die Entscheidung des Amtsgerichts nicht zu beanstanden sei. Diese fiel sogar noch kürzer aus.
Die Maßnahme w
ar offensichtlich (um mit den Worten des Amtsgerichtes zu sprechen) rechtswidrig. Es lag keine Gefahr im Verzug vor. Wer hätte den Durchsuchungserfolg (welchen eigentlich?) gefährden sollen, solange L. in Gewahrsam war?
Dazu ist noch anzumerken, dass dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz missachtet wurde. U — Haft darf nur angeordnet werden, wenn dies nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Bestrafung liegt. Der Besitz einer nicht messbaren Menge Cannabis führt zur Einstellung des Verfahrens!
Derselbe Grundsatz gilt auch bei der Anordnung einer Hds, der aus denselben Gründen rechtswidrig war.
Nun ist beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde anhängig. Dieses hat bereits beim Brandenburgischen Innenministerium angefragt, wie es mit dem Eildienst in Potsdam stehe und wie es das Vorliegen von Gefahr im Verzug zu rechtfertigen gedenke.
Da bleibt Hoffnung.
Wozu aber dieser Artikel? Für das Wohnprojekt ändert sich durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts mehr. Für L. vielleicht. Er ist bereits angeklagt, wegen des Besitzes von Cannabis. Aus der nicht messbaren Menge wurden nun 0,2 Gramm. Das an sich ist schon lächerlich. Eine solche ist als gering einzustufen. Die Anklage ist bloße Schikane.
Aber sollte es ein positives Urteil geben, so ist es an der Zeit diesen Staat so in der Öffentlichkeit darzustellen, wie er ist. Es wissen noch nicht alle. Deutschland — Polizeistaat!
i.A. Rote Hilfe e.V. OG Potsdam
Hans Schulz
Rote Hilfe e.V. — OG Potsdam
Zeppelinstr. 25
14471 Potsdam
potsdam@rote-hilfe.de
www.rote-hilfe.de
Sprechzeiten:
jeden 2. Mittwoch
(ungerade Woche)
18.00–20.00 Uhr
im Madia, der Lindenstr. 43
Weiteres zum Thema:
Zeppelin 25 durchsucht
Pressemitteilung der Roten Hilfe vom 19. April 2002