BRANDENBURG/HAVEL. Der Rechtsanwalt des Kongolesen Talaka Ndualu, der
mit
seiner Familie in Brandenburg/Havel Kirchenasyl gesucht hat, will
Anzeige
gegen Unbekannt erstatten. “Personenbezogene Akten des Bundesamtes für
die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sind unter Verstoß gegen das
Datenschutzgesetz an die Öffentlichkeit gegeben worden”, sagte Anwalt
Stefan
Gräbner am Dienstag. Der Hintergrund: In einem Bericht des
Nachrichtenmagazins Focus war der Kongolese der Vergewaltigung
bezichtigt
worden. Das Magazin stützte sich dabei auf die Vernehmungsprotokolle
von
1993, die Focus zugespielt worden waren. Gräbners Verdacht: Die
Ausländerbehörde oder das Potsdamer Innenministerium könnten die Akten
aus
politischen Motiven weitergereicht haben.
Streit gibt es um den Inhalt: Nach Focus-Lesart der Protokolle hat sich
Ndualu bei dieser Vernehmung selbst bezichtigt, 1992 während einer
Demonstration gegen das Mobutu-Regime an einer Vergewaltigung beteiligt
gewesen zu sein. Die evangelische Kirche und Rechtsanwalt Gräbner
verweisen
auf einen Übersetzungsfehler. In der zentralafrikanischen Sprache
Lingala
bedeute Demonstration und Vergewaltigung dasselbe. Gräbner: Ndualu habe
gesagt, dass er sich an einer Demonstration beteiligt habe. Experten
äußern
sich unterschiedlich. “Ich prüfe auch rechtliche Schritte gegen Focus”,
sagte Gräbner.
Monat: Januar 2003
Antirassistisch Einkaufen
Donnerstag, 30.01.03
Ab 14.00 Uhr im Marktkauf Cottbus
Im Rahmen der antifaschistischen Aktionswochen und des Aktionstages der
Volksini gegen das Sachleistungsprinzips veranstalten wir am 30.1. ab 14 Uhr
einen antirassistischen Einkauf in der Marktkauffiliale in Cottbus. Dabei
sollen die KonsumentInnen vor Ort angesprochen und auf den diskriminierenden
Gehalt des Wertgutscheinsytems aufmerksam gemacht werden.
Flüchtlinge in Brandenburg erhalten bis auf wenige Ausnahmen ihre
Sozialleistungen in den ersten 3 Jahren in Form von Wertgutscheinen, mit
denen sie nur in bestimmten Märkten und lediglich Waren des täglichen
Bedarfs einkaufen können. Telefonanrufe, kulturelle Veranstaltungen,
Anwaltskosten etc. sind mit Gutscheinen allerdings nicht bezahlbar. Die
Gutscheinpraxis stellt nur einen Teil der rassistischen bundesdeutschen
Flüchtlingspolitik dar, deren wesentliches Moment Abschreckung darstellt.
Gerade hier eröffnen sich jedoch Möglichkeiten, dem praktisch etwas
entgegenzusetzen. So geht es uns bei dieser Aktion natürlich auch darum,
potentielle EinkäuferInnen zum Einkauf mit Gutscheinen zu bewegen. Wir
hoffen, möglichst viele Gutscheine an diesem Tag umzutauschen bzw. neue
Tauschpartner hinzu gewinnen zu können.
Also Geld eingesteckt, Einkaufszettel geschrieben und ab zu Marktkauf!!!
Auch Flüchtlinge brauchen Geld im Kapitalismus!
Zu Dokumentationszwecken hier ein Text des Brandenburger Verfassungsschutzes vom 24.1.2003. Siehe hierzu auch den Bericht Rathenower Antifas: Spontanaktion von antifaschistischen Jugendlichen in Rathenow sowie das Inforiot-Archiv. Ergänzend dazu hier eine Sonderseite zum jüngsten Skandal, in den die Brandenburger VerfassungsschützerInnen verwickelt waren.
Konfrontation von Antifa und Antifa-Gegnern
Nach “rechts” oder “links” sortieren sich viele junge Leute selber ein; die andern heißen für sie dann “Faschos” oder “Zecken”. In Rathenow hat sich diese Konfrontation seit Jahren verfestigt. Beteiligt an ihr sind Schläger aus der Skinhead-Szene wie militante Krawallmacher der Antifa; aber neben diesen Extremisten auch eher unpolitische Jugendliche, die sich nur wegen subkultureller Trends als Feinde der “andern” definieren, oder politisch Aktive, deren Erregbarkeit größer ist als ihre Urteilskraft.
Mit einer Spontandemonstration unter dem Motto “Wir fordern ein drastisches Vorgehen gegen den Nationalsozialismus und Ausländerhass” traten diese Spannungen erneut zutage. Anlass waren nach Angaben der “Antifaschisten Front Rathenow” und der “Antifaoffensive Westhavelland” gewalttätige Übergriffe auf Hopper, Skater und Punks in jüngster Zeit. Rasch fanden sich Angehörige der Gegenszene ein. Die Polizei verhinderte Gewalttaten.
Fotos und Fäuste als Kampfmittel
Die feindlichen Beobachter des Aufzugs sollen versucht haben, Fotos zu schießen. Dergleichen gehört zum Ritual der Auseinandersetzungen.
Ähnlich verhielt es sich bereits, als am 15. Juni 2002 eine Demonstration zum Thema “Wegsehen war schon immer Scheiße — Gegen den rassistischen Konsens vorgehen! Nazistrukturen zerschlagen!” durch Rathenow zog. Damals waren auch Aktivisten der “Antifaschistischen Aktion Berlin” angereist, die für ihre Militanz berüchtigt ist. Rechtsextremistisch orientierte Rathenower, die sich provokant in deren Blickfeld schoben, wurden mit Bierflaschen und anderen Gegenständen beworfen. Wie selbstverständlich wurden auch Polizisten attackiert.
Auch am 6. September 2002, am Rande des Stadtfestes, eskalierten die Auseinandersetzungen. Wieder konnte die Polizei verhindern, dass verbale Beschimpfungen in eine Schlägerei ausarteten.
Was Fotodokumentationen angeht, ist allerdings die Antifa ihren Gegnern um Längen voraus. Sie sammelt mit Eifer und Fleiß Bilder und Daten von vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten in Rathenow und publiziert sie von Fall zu Fall. Viele der detailreichen Angaben treffen zu, etliche auch nicht oder nicht mehr.
Wachsamkeit ist möglich!
Unbestreitbar ist freilich, dass die militanten Gruppierungen junger Rechtsextremisten in Rathenow, die von Hass auf Ausländer und “Linke” geprägt sind, eine scharfe Beobachtung verdienen. Dafür sind die staatlichen Sicherheitsbehörden da.
Wachsamkeit ist aber nicht nur eine Beamtenpflicht, sondern auch eine Bürgertugend. Deshalb tun die Rathenower gut daran, wenn sie bei solchen Auseinandersetzungen nicht wegschauen, sondern den jungen Leuten ins Gewissen reden, solange diese für Argumente und bessere Einsicht noch offen sind.
Wer dafür nicht mehr erreichbar ist, muss anders in die Schranken gewiesen werden. Schlägereien sollten von den Opfern und von Augenzeugen auf jeden Fall bei der Polizei angezeigt werden. Die Auflistung solcher Fälle in eigenen Dokumentationen bringt nichts, wenn die Strafverfolgungsbehörden nicht informiert werden.
Am Freitag, dem 24.01.2003, versammlten sich ca. 50 Jugendliche in der Schopenhauer Straße in Rathenow um gegen rechtsextreme Gewalt zu protestieren.
Hintergrund waren die jüngsten Übergriffe im Dezember 2002 und Januar 2003 auf linksorientierte jugendliche Hopper, Skater und Punks. Von der Schopenhauer Straße zog der Protestzug zum innerstädtischen Märkischen Platz, wo mehrere antifaschistische Flyer verteilt wurden.
Dort erschienen dann auch mehrere Polizeieinsatzwagen, die die Jugendlichen aber gewähren ließen.
Mehrere Rechtsextremisten sammelten sich ebenfalls in der Nähe des Märkischen Platz und versuchten einzelne Jugendliche zu fotografieren. Insgesamt wurde die Spontanaktion gegen Nazis von den beteiligten
Jugendlichen aber als Erfolg gewertet und lässt für die Zukunft hoffen.
Antifaschistische Front Rathenow und Antifaoffensive Westhavelland
Härte gegen stumme Zeugen
(Berliner Morgenpost, M. Lukaschewitsch)
Zeugen von brutalen Verbrechen schweigen oft aus Angst, manchmal aus
Gleichgültigkeit und gelegentlich, um Täter zu schützen. Jetzt müssen sie
damit rechnen, dafür bestraft zu werden.
Potsdam/Neuruppin — Wegschauen bei rassistisch motivierten Übergriffen,
Untätigbleiben, wenn ein Schüler wegen seiner Haarfarbe stundenlang
drangsaliert und zum Schluss bestialisch ermordet wird: Das soll nach dem
Willen der Brandenburger Ermittlungsbehörden — und speziell der Neuruppiner
Staatsanwaltschaft — bald der Vergangenheit angehören: Mitwisser und Zeugen
von Gewaltverbrechen dürfen bei Ermittlungen und vor Gericht nicht mehr auf
Gnade hoffen.
«Die Menschen sollten wissen, dass Schweigen und Lügen bei Strafverfahren
keine Kavaliersdelikte sind», sagte gestern Petra Marx, Sprecherin von
Justizministerin Barbara Richstein (CDU). «Wenn sich bei den Ermittlungen
schon herausstellt, dass ein Großteil von Zeugen die Unwahrheit sagt, dann
ist unsere Marschroute ganz klar: Dann werden wir im Prozess den Rahmen des
Strafrechts bis auf das Äußerste ausreizen», machte Gerd Schnittcher,
Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin, gestern deutlich.
Zu spüren bekommen haben die härtere Gangart jetzt schon vier Zeugen im
Prozess um den Tod des Russlanddeutschen Karjat Batesov, für den sich vor
dem Landgericht in Neuruppin derzeit fünf junge Männer im Alter zwischen 20
und 22 Jahren verantworten müssen. Vier zunächst als Zeugen geladene junge
Männer, die in der Tatnacht am 4. Mai vergangenen Jahres dabei waren, als
Karjat Batesov zusammengeschlagen und dann mit einem 17 Kilogramm schweren
Feldstein getötet wurde, schickte Staatsanwalt Kai Clement wegen
Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Und prompt zeigten sie wenig
später Gesprächsbereitschaft. Die Gedächtnislücken füllten sich mit
Erinnerungen. «Wir müssen die Mauer des Schweigens durchbrechen», sagte
Oberstaatsanwalt Schnittcher. Mindestens 30 Menschen standen vor der Disko,
als die Schlägerei begann. «Es kann nicht sein, dass keiner gesehen haben
will, was genau passiert ist.»
Augen verschließen schützt vor Strafe nicht: Wie auch im Fall des ermordeten
Sonderschülers Marinus Schöberl, der in Potzlow von drei Rechtsradikalen
wegen seiner gefärbten Haare und seinem Hip-Hop-Outfit ermordet worden war.
Drei Zeugen müssen sich nun wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten.
Sie hätten nach Überzeugung der Staatsabwaltschaft den Tod des Jungen
verhindern können, weil sie mitbekommen hatten, dass das Trio den Jungen im
Visier hatten. Das Mittel ist nicht neu: Im Fall Dolgenbrodt 1992 kamen die
Mitwisser erst zur Räson, nachdem Strafverfahren gegen sie eingeleitet
worden waren.
Nach Mord von Potzlow Zeuge bedroht
(Lausitzer Rundschau) Im Zusammenhang mit dem Mord an dem Schüler Marinus Schöberl im
uckermärkischen Potzlow (die RUNDSCHAU berichtete) ist laut
Staatsanwaltschaft ein Zeuge bedroht und mit Gas besprüht worden. Der
Vorfall habe sich auf dem Schulhof im Nachbarort Passow ereignet. Gegen eine
16-Jährige, die Freundin des ältesten Beschuldigten, wurde Haftbefehl
erlassen, sagte gestern die Neuruppiner Oberstaatsanwältin Lolita
Lodenkämper. Das Mädchen habe den Schüler als “Verräter” beschimpft und
gedroht, ihm “könne auch so etwas passieren.”
Die Frau ist laut Lodenkämper wegen gefährlicher Körperverletzung in
Tateinheit wegen versuchter Nötigung in Haft genommen worden.
Im Februar soll laut Staatsanwaltschaft Anklage erhoben werden.
Zeuge im Mordfall Potzlow bedroht
(Berliner Morgenpost) Neuruppin — Im Mordfall Marinus Schöberl aus Potzlow (Uckermark) gab es
bereits am vergangenen Donnerstag eine weitere Festnahme. Nicole B., 16-jährige Schülerin und Freundin von Marco S., einem der drei
Hauptverdächtigen, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Sie hat einen der
Hauptbelastungszeugen, den 15-jährigen Schüler Matthias M. aus Strehlow, als
«Verräter» beschimpft und ihm gedroht, dass ihm das gleiche wie Marinus
passieren würde. Dann sprühte sie ihm K.O.-Gas ins Gesicht.
Der Schüler gehört zu den Zeugen, die die skelettierte Leiche von Marinus
Mitte November fanden, den Marco S. gemeinsam mit seinem Bruder Marcel S.
und Sebastian F. bereits im Juli auf bestialische Weise umgebracht und
anschließend in einer Jauchegrube verscharrt haben soll.
Zeuge im Mordfall Schöberl bedroht
(MOZ) Neuruppin/Welsebruch (MOZ) Ein Zeuge im Mordfall Marinus Schöberl ist am
Donnerstag auf dem Schulhof in Passow (Uckermark) als Verräter beschimpft,
bedroht und mit Gas besprüht worden. Wie die Staatsanwaltschaft Neuruppin
erst am Montag mitteilte, soll die Freundin eines der drei Mordverdächtigen
dem Schüler gedroht haben, ihm könne “auch so etwas passieren” wie Marinus
Schöberl. Der 16-Jährige war im Sommer 2002 in Potzlow brutal erschlagen und
in einer alten Jauchegrube vergraben worden. Gegen die 16-Jährige, die den
Zeugen angriff, wurde Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung in
Tateinheit mit versuchter Nötigung erlassen, gab die Neuruppiner
Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper bekannt. Das Mädchen sei zusammen mit
ihrem 23-jährigen Freund, der im Mordfall Schöberl als Hauptverdächtiger
gilt, bereits 2002 in einem anderen Verfahren nach einem Angriff auf einen
dunkelhäutigen Asylbewerber in Prenzlau wegen gefährlicher Körperverletzung
verurteilt worden. Die gegen sie verhängten zehn Monate Jugendstrafe seien
jedoch noch nicht rechtskräftig. Der von dem Mädchen bedrohte Jugendliche
war am vergangenen Donnerstag nach der Schule ins Jugendhaus Strehlow
gegegangen und hatte dort von dem Vorfall berichtet. “Daraufhin haben die
Betreuer sofort die Polizei alarmiert, die mit der Festnahme auch sehr
schnell gehandelt hat”, so Karin Dörre vom Mobilen Beratungsteam (MBT)
Brandenburg. Im Februar soll laut Staatsanwaltschaft Anklage im Mordfall
Schöberl erhoben werden. Der Prozess findet vor dem Landgericht in Neuruppin
statt.
Siehe auch die Inforiot-Sonderseite zumMord in Potzlow
Gestern fand der 4. Prozeßtag gegen ein Mitglied der Potsdamer Kampagne gegen
Wehrpflicht statt. Wegen eines Zeitungsartikels, in dem schwere Vorwürfe gegen die
Polizei erhoben wurden, die nach einem Überfall von Nazis und Herthafans auf das
alternative Wohnprojekt in der Potsdamer R.-Breitscheid-Str.6 das Haus selbst
stürmte und verwüstete, wird jetzt die Anklage wegen Übler Nachrede verhandelt.
Am 27.01.03 sagte erstmals auch ein Polizist aus, ein Video vom Einsatz gesehen zu
haben, auf dem Polizisten Festgenommene als “Schlampe” beschimpften.
Der Einsatzleiter Andreas Merten mußte einräumen, entgegen der Strafprozeßordnung
keine Durchsuchungszeugen hinzugezogen zu haben. Auch die Betroffenen durften
rechtswidrigerweise nicht an der Durchsuchung teilnehmen. Ganz offensichtlich wollte
die Polizei im Haus ohne lästige Zeugen durchsuchen können.
Allen Ernstes behauptete Merten, daß die Polizei keine Anwesenheitslisten bei den
Einsätzen führt und im Nachhinein die eingesetzten Beamten nur über die
Funkprotokolle feststellen könne, falls diese das Funkgerät benutzt haben. Er und
der die Durchsuchung leitende ETK-Beamte Hauke Geffrath wollten noch nichts davon
gehört haben, daß das Potsdamer Amtsgericht die Durchsuchung inzwischen für
rechtswidrig erklärt hat. So etwas wird nach Angaben der Bematen im Nachhinein nicht
mehr in der Polizei ausgewertet.
Die von der Verteidigung benannten Zeugen bestätigten eine erniedrigende Behandlung
der Festgenommenen durch die Polizei und die Verwüstungen, die die Polizei im Hause
anrichtete.
Gestern wurde auch ein Aktenvermerk verlesen, nachdem schon am 30.08.01 im
Polizeipräsidium fetsgestellt wurde, daß die Fahndungsüberprüfung ergeben hat, daß
keiner der beschlagnahmten Gegenstände gestohlen war. Dies behauptet die Polizei
aber bis heute noch.
Schon jetzt ist abzusehen, daß der Prozeß noch mindestens 2–3 neue Verhandlungstage
benötigen wird.
Am fünften Verhandlungstag, am Montag, dem 3.2. 9.30 Uhr im Amtsgericht Potsdam werden weitere an der Durchsuchung beteiligte Polizisten und einer der Bewohner der
Breiti vernommen.
(Berliner Morgenpost) Potsdam — Mit einer «Begehung» des historischen Weges von der Nikolaikirche
am Alten Markt zum Standort der einstigen Garnisonkirche in der Breiten
Straße soll am 21. März des «Tages von Potsdam» erinnert werden. «Das ist
ein geeignetes Mittel für die richtige Akzentuierung», sagte
Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Der «Tag von Potsdam» werde von der
Stadtverwaltung nicht ignoriert. Man unterstütze das von einer kirchlichen
Bürgerinitiative um Stadtkirchenpfarrer Martin Vogel und Björn Wiede, Kantor
der Nikolaikirche, für die Woche vom 17. bis 21. März vorgesehene
Bildungsforum und Schülerprojekt. «Wir wollen eine lebendige Diskussion und
uns aktiv mit diesem Stück Geschichte auseinandersetzen», so Jakobs. Dazu
würden Gespräche, Filmvorführungen, Vorträge und ein tägliches Wort zum Tage
in der Nikolaikirche vorbereitet.
Jakobs sagte, dass rechten Gruppierungen, die in der Vergangenheit des
öfteren die Stadt für Aufmärsche nutzten, am 21. März kein Raum gegeben
werde. «Wir werden durch die richtigen Rahmenbedingungen darauf Acht geben,
dass nicht ungebetene Gäste die Veranstaltungen stören.»
Potsdam sei keineswegs eine rechte Hochburg, wenngleich die Gefahr bestehe,
ein Symbolort der Rechten zu sein. Es gäbe in der Stadt Konsens für eine
breite Gegenöffentlichkeit. Der Tag von Potsdam, an dem sich vor 70 Jahren
die konservativen Kräfte mit den an die Macht gekommenen Nazis arrangierten
und die Weimarer Republik zu Grabe getragen wurde, böte Gelegenheit, auf die
aktuelle Situation Bezug zu nehmen. Mit dem Tag von Potsdam 1933 und der
Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 sei der Name der Stadt zweimal in die
Weltgeschichte eingegangen. Jakobs: «Das eine bedeutete den symbolischen
Anfang, das andere Datum das symbolische Ende einer Ära.»
Potsdam (ddp-lbg). Die Zahl rechtsextremer Gewaltstraftaten in Brandenburg
ist im vergangenen Jahr leicht gesunken. Insgesamt seien 81 Delikte
registriert worden, 6 weniger als im Jahr zuvor, sagte Innenminister Jörg
Schönbohm (CDU) am Dienstag in Potsdam. Davon seien 52 Straftaten
fremdenfeindlich und 4 antisemitisch motiviert gewesen.
Der gewaltbereite Rechtsextremismus bleibe weiterhin «die
gesamtgesellschaftliche Herausforderung Nummer 1» im Land, betonte
Schönbohm. Die Polizei könne zwar zur Zurückdrängung dieses Phänomens
beitragen, aber nicht gesellschaftliche Fehlentwicklungen beseitigen.
Insbesondere Schulen und Elternhäuser müssten ihre Anstrengungen verstärken.
Mauer des Schweigens
Wittstocker Totschlagsprozeß: 40 Tatzeugen, aber keine Klarheit über Schuldige am Tod eines Aussiedlers
(junge Welt, 23.1.2003) Am 8. Januar begann vor der Jugendstrafkammer des Landegerichts Neuruppin der Prozeß gegen fünf junge Deutsche zwischen 20 und 22 Jahren. Vier von ihnen sind wegen Totschlags und versuchten Totschlags angeklagt, der fünfte wegen gefährlicher Körperverletzung. Terminiert ist der Prozeß bis zum 31. Januar. Bis dahin will das Gericht klären, wer von den Angeklagten den aus Kasachstan stammenden Rußlanddeutschen Kajrat Batisow in den Morgenstunden des 4. Mai 2002 im Wittstocker Ortsteil Alt Dabern erschlagen hat. Kajrats Freund Maxim K. trug bei dem Übergriff schwere Verletzungen davon.
Entscheidenden Anteil daran, daß der Prozeß überhaupt zustande kam, hat der Tatzeuge Hans-Werner B., der die letzten Minuten des tödlichen Dramas aus nächster Nähe beobachtet hatte. Gemäß seinen Schilderungen vor Gericht am 14. Januar wurde er in den Morgenstunden des 4.Mai 2002 von »eigenartigen Klatschgeräuschen« aus dem Schlaf gerissen. Durch sein Schlafzimmerfenster sah er zwei Männer auf der Straße liegen. Einer wirkte leblos, der andere klopfte mit dem Handrücken »wie ein Kampfsportler, der aufgibt«, auf den Boden. Nach Aussage des Zeugen traten zwei Jugendliche auf die Wehrlosen ein. Ein Dritter habe zwischen den beiden am Boden Liegenden hin und her gependelt, ehe er für einen Augenblick verschwand. Laut Hans-Werner B. tauchte besagter Dritter nach kurzer Zeit wieder auf, in den Händen einen großen Feldstein (die Ermittlungen ergaben später ein Gewicht von 17 Kilogramm), mit dem er nacheinander auf seine wehrlosen Opfer einschlug. Daraufhin habe B.s Frau die Polizei und einen Rettungswagen gerufen. Noch vor deren Eintreffen fuhren nach Aussage des Tatzeugen zwei Autos vor, hielten kurz an und preschten dann davon.
Kajrat Batisow wurde bewußtlos mit einem Magen- und Leberriß sowie inneren Blutungen auf die Intensivstation gebracht. Am Morgen des 23. Mai starb er an den Folgen des Angriffs. Auch Maxim K. wurde schwer verletzt. Der Feldstein traf ihn an der Hüfte. Noch heute leidet er an Konzentrations- und Gedächtnisstörungen in Folge der Schläge und Tritte auf Kopf und Oberkörper.
Am dritten Verhandlungstag schilderte Maxim K., wie die beiden Freunde eine Techno-Party in der Nähe des Aussiedlerheims in Alt Dabern besuchten. Als sie gegen vier Uhr morgens aufbrachen, passierten sie eine Gruppe von Jugendlichen. »Plötzlich spürte ich von hinten einen Schlag auf meinen Kopf«, so der junge Mann. Seine Erinnerung setzte erst wieder ein, als er am nächsten Morgen im Krankenhaus erwachte.
Über das, was in der Nacht passiert ist, gibt es unterschiedliche Aussagen. Die Angeklagten behaupten, die beiden Rußlanddeutschen hätten sie durch »Zigarettenbetteln« provoziert. Obwohl sich mittlerweile vier der fünf Angeklagten zum Tathergang äußerten, ist bislang unklar, wer von ihnen den Feldstein warf. Auch Hans-Werner B. konnte den Täter nicht identifizieren. Drei Angeklagte haben vor Gericht zugegeben, auf die beiden Rußlanddeutschen eingeschlagen und ‑getreten zu haben. Mehr als 40 Zeugen sollen während des Prozesses angehört werden. Von den bislang vernommenen 35 Partybesuchern wollte sich jedoch keiner erinnern können, wer den Feldstein geworfen hat. Fest steht nur, daß 30 bis 40 Jugendliche den Übergriff beobachtet haben. Lediglich eine junge Frau soll verbal interveniert und »laßt das, ihr schlagt den doch tot« gerufen haben.
»Wir haben den Eindruck, daß viele mauern«, sagte bereits vor Prozeßbeginn Neuruppins Leitender Oberstaatsanwalt, Gerd Schnittcher, der Märkischen Allgemeinen. Die Staatsanwaltschaft vermutet zwar Fremdenfeindlichkeit als Motiv der Tat, hat dies allerdings nicht zur Anklage gebracht. Der Verdacht »konnte nicht sauber herausgearbeitet werden«, so Oberstaatsanwalt Schnittcher gegenüber der Märkischen Allgemeinen. Sollte sich in der Gerichtsverhandlung Fremdenhaß als Tatmotiv herausstellen, wird die Anklage auf Mord erweitert.
Die tödliche Eskalation, die Untätigkeit der Beobachter und das Schweigen der Zeugen hat offenbar einen einfachen Grund: Die beiden Rußlanddeutschen störten die Partygemeinschaft, in den Augen der Techno-Tänzer hatten sie dort nichts zu suchen. Bis auf ein Hakenkreuz auf dem Mobiltelefon eines der Angeklagten gibt es allerdings keine Indizien für eine Zugehörigkeit zu rechtsextremen Strukturen. »Glatzen«, die ebenfalls auf der Party waren, hatten den Ort des Geschehens bereits vor der tödlichen Eskalation verlassen.