POTSDAM. Das erste Internet-Café des Landes für Flüchtlinge wird am
Sonnabend im Asylbewerberheim in Potsdam-Bornstedt eröffnet. Das Projekt der
Flüchtlingsinitiative “Refugees Emancipation” mit sechs Computern soll nach
Angaben der Wohnheimleitung für die 95 Bewohner eine Alternative zu teuren
kommerziellen Internet-Cafés bieten. Es ermöglicht den Bewohnern
Weiterbildung am PC und hilft beim Aufbau eines Flüchtlingsnetzwerkes in
Deutschland. Die Computer stellten Sponsoren zur Verfügung. Unterstützung
leisten auch die Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes
sowie studentische Initiativen aus Potsdam und Berlin.
Jahr: 2003
Verbot für Potsdamer Waffenbörse
Potsdam. Die Potsdamer Stadtverwaltung hat die am kommenden Wochenende
geplante Waffenbörse verboten. Oberbürgermeister Jann Jakobs erklärte, dass
die für den 10. bis 12. Oktober im “Blauhaus” angekündigte Börse nicht
stattfinden wird. Polizeipräsident Bruno Küpper unterstützt Jakobs. Zuletzt
hatte eine Waffenbörse Mitte März in Potsdam stattgefunden. Damals hatten
die Grünen vor der Veranstaltungshalle gegen den Militaria-Handel
demonstriert und anschließend Ministerpräsident Platzeck aufgefordert,
derartige Börsen künftig nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens zu verbieten.
Betrunken Nazi-Parolen gebrüllt
Am Mittwoch gegen 11.40 Uhr wurde der Polizei mitgeteilt, dass gegen 11.35 Uhr in Wittstock, Königstraße, ein Mann in einem Bekleidungsgeschäft rechtsradikale Parolen (“Heil Hitler”) rief. Anschließend flüchtete der Mann
aus dem Laden in unbekannte Richtung. Im Zuge der sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen konnte der 22-jährige Tatverdächtige in unmittelbarer Nähe festgestellt und vorläufig festgenommen werden. Der erheblich unter
Einwirkung von Alkohol stehende Tatverdächtige (2,48 Promille) wurde in Gewahrsam der Wache Wittstock gebracht. Eine Blutentnahme wurde angeordnet und durchgeführt. Nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen wurde der
22-Jährige am Donnerstag in Abstimmung mit der zuständigen
Staatsanwaltschaft Neuruppin aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.
Unbekannte Täter klebten in der Nacht zu Donnerstag in Belzig Zettel bzw.kleine Plakate mit nazistischem Hintergrund entlang der Straße der Einheit
und im Weitzgrunder Weg. Die Täter beklebten neben Privathäusern auch öffentliche Gebäude wie die Baurhalle, den Busbahnhof, die Grundschule, das Infocafe und das Schwimmbad. Die Polizei stellte ca. 100 solcher Zettel
fest. Die Zettel wurde noch heute Vormittag durch Mitarbeiter der Stadtverwaltung, der Polizei und Bürger entfernt.
(Inforiot) Im folgenden der Begleittext für drei Interview-Videos, die soeben beim Umbruch Bildarchiv aus Berlin veröffentlicht wurden. Die Filme können hier angeschaut werden. Weiterhin sei auf die — leider länger nicht aktualisierte — Sonderseite auf Inforiot zum Mord an Kajrat B. in Wittstock und der dortigen Naziszene verwiesen.
Am 06. September 2003 gab es in Wittstock eine Info-Vanstaltung mit dem Thema: “Rostock — Lichtenhagen”. Es war die erste Veranstaltung seit Jahren, die von linken Jugendlichen organisiert wurde und sie wurde auch prompt von Neonazis gestört. Von Berliner BesucherInnen bekamen wir einen Bericht und Interviews, die an diesem Tag in Wittstock geführt wurden. Sie sind auf der rechten Seite als Streaming-Video zu sehen. Im ersten Gespräch wird das soziale und politische Umfeld der linken Jugendlichen beleuchtet, im zweiten erzählt ein Aussteiger seine Geschichte und im dritten wird nochmal kurz und bündig der tägliche Streß aufgezeigt. Vielen Dank dafür.
“An diesem Abend waren ca. 40 WittstockerInnen bei der Informationsveranstaltung. Thema waren die Pogrome in Rostock — Lichtenhagen von 1993. Zu Beginn gab es eine Filmdokumentation, die mit Interesse verfolgt wurde. Die anschliessende Diskussion war sehr lebhaft und interessant. An dieser Stelle geht ein weiteres Dankeschön an den Referenten!
Schon den ganzen Abend wurde die nähere Umgebung des Veranstaltungsortes von Neofaschisten beobachtet. Sie fuhren mit fünf Autos ums Carré, sowie mit Fahrrädern und Mofas. Nach 22:00 Uhr fingen die Pöbeleien und Provokationen an, z.B. wurde der Hitlergruß gezeigt und ihre Homophobie fand auch Ausdruck, indem sie männliche Besucher nur wegen ihrer langen Haarpracht als “schwul” beschimpften. Zu den Provokationen: z. B. wollten drei Nazis, mit Baseballschlägern bewaffnet, die Veranstaltung stören. In der Zwischenzeit wurde die Polizei von den Vorfällen verständigt. Zu dem Zeitpunkt, an dem der erste Streifenwagen ankam, hatten sich ca. 25 Nazis auf dem Marktplatz versammelt, noch mindestens 10 weitere waren zu Fuß in der Nähe unterwegs. An der “ELF”-Tankstelle war auch eine Gruppe Nazis versammelt.
Die Polizei sprach als erstes einen Platzverweis für alle Nazis aus, der für die Gasse galt, in welcher der Veranstaltungsraum war. Daraufhin wurde die Polizei von diesen wertkonservativen Jugendlichen angepöbelt, worauf diese mit Verhaftungen antworteten. In dieser Nacht wurden drei von ihnen mitgenommen. Unter dem Faschomob auf dem Marktplatz befanden sich zwei Frauen (keine Reenies) und der große Teil dieser Gruppe war zwischen 17 und 25 Jahre alt. Aus dem Nachbardorf Rheinsberg und wahrscheinlich aus Neuruppin waren auch Nazis vorbeigekommen. Langsam aber weiterpöbelnd verließen die Nazis nach der Ankunft der Polizei die nähere Umgebung der Gasse. Danach, also ab 1:00 Uhr nachts machten sich dann auch die Gäste auf den Heimweg, wobei nicht wenige “Umwege” und ähnliches als Vorsichtsmaßnahmen benutzten.
Trotz der Störungen durch die Neonazis war es eine erfolgreiche Veranstaltung, nicht nur wegen der Information über die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, sondern auch weil die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Gruppen gut gelaufen war (es hatte zum Beispiel als sehr sinnvoll erwiesen, für die Veranstaltung einen eigenen Schutz zu organisieren). Den WittstockerInnen haben sich über die Unterstützung gefreut und sie haben neuen Mut gefaßt.”
Kontakt nach Wittstock: phoenix111@gmx.net
Nutzung von kirchlichen Strukturen für die Vernetzung in der Flüchtlingsarbeit
Moderation: Ausländerseelsorgerin Annette Flade, Potsdam
12.11.2003, 14:30 – 18:30 Uhr, Eisenhartstr. 13, 14469 Potsdam
Diese Gesprächsrunde richtet sich vor allem an Menschen, die sich entschließen Flüchtlinge zu unterstützen, wenn diese vor der Abschiebung stehen. Was aber kann man tun, was ist nötig, wie kann man helfen und wer ist ansprechbar? Es existieren zwar bereits kirchliche Strukturen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, aber die Bevölkerung, die noch keinen Kontakt zu dieser oder ähnlichen Initiativen hat, ist oft allein gelassen, wenn sie sich entscheiden einzelnen Flüchtlingen zu helfen.
In einer offenen Gesprächsrunde wird von Annette Flade zur Einleitung ein allgemeiner Erfahrungsbericht zum Thema Kirchenasyl gegeben. Anschließend soll mit der Moderatorin und weiteren geladenen Gästen/ „Experten“, auch aus dem „Netzwerk Asyl in der Kirche Brandenburg“, besprochen werden, welche organisatorischen Schritte einem Kirchenasyl zu Grunde liegen. Der letzte und wichtigste Schritt in dieser Runde wird die Vernetzung von Interessenten und UnterstützerInnen sein. Gemeinsam wollen wir einen Informationspool einrichten, an den die Menschen angeschlossen sind, die im Falle eines Kirchenasyls als Unterstützer angesprochen werden können und die mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Anmeldungen bitte spätestens 5.11.2003
Binationale Ehen – rechtliche und soziale Fragen
Referentin : Rechtsanwältin Antje Klamann, Potsdam
28.11.2003, 13–17 Uhr, Eisenhartstr. 13, 14469 Potsdam
Auch in Brandenburg leben viele binationale Paare. Es ist nicht immer einfach, die teilweise vorhandenen kulturellen Unterschiede zu überwinden, doch bestimmen oftmals vor allem die rechtlichen Fragen den Alltag einer binationalen Ehe.
Dieses Seminar soll es den TeilnehmerInnen ermöglichen, all die offenen Fragen, die sich aus dem bürokratischen Gewirr ergeben, zu stellen:
— was für rechtliche Konsequenzen geht man mit einer (geplanten) binationalen Eheschliessung ein?
— Welche Leistungsansprüche entstehen während der Ehe? (Sozialhilfe, Familienversicherung…)
— Was heisst Ehevertrag? Wie sollte ein Ehevertrag aussehen und welche Konsequenzen hat er?
— Wie ist mein/e (zukünftige) Partner/in vor der Abschiebung geschützt?
Gemeinsam mit der Rechtsanwältin Frau Klamann sollen diese und andere Frage erörtert werden.
Anmeldungen bitte bis spätestens 18.11.03.
Anmeldung für die Seminare über den Flüchtlingsrat Brandenburg.
(Quelle: Verfassungsschutz Brandenburg) In der rechtsextremistischen Szene München fand die Polizei Sprengstoff;
Anschlagspläne wurden bekannt, Querverbindungen weisen u. a. nach
Nordbrandenburg — Meldungen, die beunruhigen müssen. In Cottbus stellt man
sich wie anderswo die Frage, ob solche Entwicklungen auch in der eigenen
Region möglich wären.
Grund genug für zwei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Brandenburg, Heiko
Schäfer und Michael Hüllen, vor Mitgliedern und Gästen des “Cottbuser
Aufbruchs” zu referieren. Eingeladen hatte die Vorsitzende dieses
städtischen Aktionsbündnisses für ein gewaltfreies Miteinander, Dr. Martina
Münch. Die beiden Verfassungsschützer sprachen zum Thema “Grund zur
Entwarnung oder trügerische Ruhe? Zur Entwicklung rechtsextremer Strukturen
und Strategien in Cottbus”. Auch Dirk Wilking vom Regionalbüro Cottbus des
“Mobilen Beratungsteams” (MBT), ein Kenner der örtlichen Verhältnisse,
wusste von neuen Trends zu berichten.
Aktionsorientierter Rechtsextremismus
Die gewaltbereite rechtsextremistische Szene, so führte Schäfer aus, ist in
Cottbus und dem Landkreis Spree-Neiße nach wie vor ein Problem. Aktuell
nimmt die Region einen Spitzenplatz in der Statistik der rechtsextremistisch
motivierten Gewalttaten ein. Fast sämtliche dieser Angriffe richten sich
gegen Fremde.
Neonazistische Kameradschaften in Brandenburg können das
rechtsextremistische Personenpotenzial nur zu einem geringen Teil binden.
Gewalt erscheint ihnen gegenwärtig inopportun; aber am ersehnten “Tag der
Machtergreifung” wollen auch sie mit ihren Feinden abrechnen. Konkrete
Bestrebungen, das vierte Reich herbeizubomben, sind aber derzeit in
Brandenburg nicht zu beobachten.
Für rechtsextremistische Großdemonstrationen lassen sich auch unorganisierte
Szeneangehörige mobilisieren. Das haben wieder einmal die Aktionen zum
Todestag des Hitler-Stellvertreters Heß im August gezeigt.
Rückschläge für die NPD
Die NPD hatte gehofft, sie könne neue Anziehungskraft gewinnen, nachdem das
Bundesverfassungsgericht das Verbotsverfahren gegen sie eingestellt hatte.
Doch darin hat sie sich getäuscht, berichtete Hüllen. Anhaltend schlechte
Wahlergebnisse, die kritische Lage der Parteifinanzen und das Fehlen
integrations- und durchsetzungsfähiger Funktionäre machen der NPD erkennbar
zu schaffen.
Seit der Auflösung des gemeinsamen Landesverbandes Berlin-Brandenburg im
April gehen die jetzt selbständigen Organisationseinheiten in beiden
Bundesländern eigene Wege. In Brandenburg ist die NPD zu einer
flächendeckenden Parteiarbeit kaum noch in der Lage. An der Parteibasis
macht sich vielfach Frustation breit. So hat der ehemals besonders aktive
NPD-Kreisverband Spreewald seine Präsenz im Internet resigniert eingestellt.
Gefährliche Kontakte: “Biker” und Rechtsextremisten
Wilking wies darauf hin, dass in Cottbus und den umliegenden Landkreisen
bemerkenswerte Kontakte zwischen rechtsextremistischen Gruppen und
verschiedenen Rocker- und Motorradclubs bestehen. Auch der Verfassungsschutz
beobachtet solche Entwicklungen.
Was steckt dahinter? Vielfach sind es finanzielle Interessen.
Konzertveranstaltungen beispielsweise finden im Süden Brandenburgs ihr
Publikum in beiden Szenen. Das bringt mehr Geld ein. Auch sonst bilden
dubiose Geschäfte den Anreiz für Kooperationen. Bikerclubs geben
Risikokredite für mehr oder weniger legale Geschäfte auch an
Rechtsextremisten.
Die Verfassungsschützer und der Mitarbeiter des MBT waren sich einig: Hier
entsteht eine neue Risikozone. Zwar ist die Gefahr gering, dass die
Rockerszene nachhaltig mit rechtsextremistischer Ideologie durchtränkt wird;
aber bedenklich wird es, wenn aktionsorientierte Rechtsextremisten und
Motorradclubs für fragwürdige oder verbotene Aktivitäten, z. B. den Handel
mit Waffen, auf eine gemeinsame Logistik zurückgreifen können.
Politisches Nachspiel im Parlament nach neuen Vorwürfen gegen Verfassungsschutz
(Tagesspiegel) Potsdam. Durch den neuen Verdacht in der V‑Mann-Affäre gerät das
Innenministerium unter Druck. Die PDS-Fraktion im Landtag verlangt von
Minister Jörg Schönbohm, endlich Akteneinsicht zu gewähren, damit die
Hintergründe des Verrats einer Polizeirazzia durch einen V‑Mann des
Verfassungsschutzes aufgeklärt werden können. “Schönbohm muss die Akten frei
geben”, sagte gestern der Parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Fraktion,
Heinz Vietze. Außerdem kündigte die innenpolitische Sprecherin der
PDS-Fraktion, Kerstin Kaiser-Nicht, für nächste Woche eine Sondersitzung der
Parlamentarischen Kontrollkommission an. Anlass ist der gestrige
Tagesspiegel-Bericht über die mögliche Verstrickung eines leitenden
Verfassungsschützers in die Affäre. Sollte sich der Verdacht bestätigen,
werde er wie schon im August den Rücktritt von Verfassungsschutzchef Heiner
Wegesin verlangen, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion,
Werner-Siegwart Schippel.
Aus Sicherheitskreisen hatte der Tagesspiegel erfahren, der einstige
V‑Mann-Führer mit dem Decknamen “Max” habe in einer Aussage bei der
Staatsanwaltschaft Potsdam seinen früheren Vorgesetzten belastet. Demnach
soll der leitende Beamte gegenüber “Max” geäußert haben, am 17. Februar 2001
werde die Potsdamer Polizei die Wohnungen mehrerer Neonazis durchsuchen. Der
Vorgesetzte habe außerdem “Max” aufgefordert, den rechtsextremen V‑Mann
Christian K. vor der Razzia zu warnen.
Dies geschah dann auch. Kurz darauf, am 6. Februar, informierte K.
telefonisch den Neonazi-Anführer Sven S., dass am 17. Februar eine
Durchsuchungsaktion zu erwarten sei. Das Landeskriminalamt hörte mit und
alarmierte die Potsdamer Polizei. Diese zog die Razzia eilig auf den 7.
Februar vor, fand aber nicht die erhofften Hinweise auf die Terrorgruppe
“Nationale Bewegung”. Sie ist für zahlreiche Straftaten verantwortlich, bis
hin zu Brandanschlägen. Gegen die Gruppe ermittelt Generalbundesanwalt Kay
Nehm seit Januar 2001 — ohne Erfolg.
Nach Informationen des Tagesspiegels war der V‑Mann-Führer “Max” selbst
überrascht, dass sein Vorgesetzter ihm ausnahmsweise das genaue Datum einer
Razzia nannte. Auch der inzwischen wegen Geheimnisverrats zu einer
Bewährungsstrafe verurteilte Ex-Spitzel Christian K. sagte im Juni dem
Tagesspiegel, abweichend von den sonst üblichen allgemeinen Warnungen habe
ihm sein V‑Mann-Führer in diesem Fall den Termin der bevorstehenden Razzia
genannt. Warum das geschah, bleibt unklar. Das Innenministerium teilte
gestern nur mit, aus den von der Staatsanwaltschaft überreichten Unterlagen
ließen sich die jetzt erhobenen Vorwürfe nicht nachvollziehen.
In Sicherheitskreisen wird auch gerätselt, warum der V‑Mann-Führer “Max” in
sechs dienstlichen Erklärungen log, er habe dem Spitzel das Datum der Razzia
nie genannt — obwohl sich “Max” darauf hätte berufen können, er habe die
Weisung seines Vorgesetzten erfüllt. Einige Experten schließen nicht aus,
der Vorgesetzte von “Max” könnte von Anfang an gewusst haben, dass die
dienstlichen Erklärungen unrichtig sind. Verwunderlich sei auch, dass
Christian K. trotz des Verrats der Razzia noch mindestens 15 Monate vom
Verfassungsschutz als V‑Mann geführt und bezahlt wurde.
V‑Mann-Affäre brodelt weiter
PDS fordert Akteneinsicht / Grünen-Kritik
(MAZ) POTSDAM Die V‑Mann-Affäre in Brandenburg sorgt weiter für Aufsehen. Nach
einem Bericht des “Tagesspiegel” soll neben einem V‑Mann-Führer auch ein
leitender Beamter des Verfassungsschutzes in die Affäre um den Verrat einer
Razzia in der Neonazi-Szene verwickelt sein. Der Beamte soll den
V‑Mann-Führer mit dem Decknamen “Max” aufgefordert haben, den Termin für die
Razzia an den rechtsextremen Spitzel Christian K. weiterzugeben.
Der Landesvorstandssprecher der Grünen, Roland Vogt, reagierte bestürzt auf
den Bericht. Eine solche “gespenstische Verquickung zwischen Regierungsmacht
und rechtsextremer Szene” stelle eine erhebliche Gefahr für die Demokratie
und den Rechtsstaat dar, sagte er. Vogt forderte, dass die PKK “endlich
Klarschiff machen” müsse. Dazu gehöre auch die Forderung nach personellen
Konsequenzen im Verfassungsschutz oder im Innenministerium.
Der parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Fraktion, Heinz Vietze, dringt
unterdessen weiter auf Akteneinsicht. Der Vorsitzende der Parlamentarischen
Kontrollkommission, Christoph Schulze (SPD), hat für die kommende Woche eine
Sondersitzung des Gremiums einberufen. Das Innenministerium müsse zu den
Vorwürfen Stellung beziehen.
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, zu den angeblichen Vorgängen gebe
es keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Es sei bekannt, dass die
Abläufe im Innenministerium auch disziplinarrechtlich geprüft werden. Aus
den dafür auch seitens der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellten
Unterlagen ließen sich die konkreten Vorwürfe nicht nachvollziehen.
Nach den neuesten Erkenntnissen soll die im Februar 2001 geplante Razzia in
der Neonazi-Szene auf Initiative eines leitenden Beamten verraten worden
sein. Das habe “Max” bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt, heißt es aus
Sicherheitskreisen. Bislang hieß es stets nur, dass der V‑Mann den Termin
bekannt gemacht habe.
Platzeck redet über Zuwanderung
Potsdam. Auf Wunsch von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wird
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) im Bundesrat nicht mehr über das
Zuwanderungsgesetz reden. Der Regierungschef selbst dagegen wird als
SPD-Vertreter im Vermittlungsausschuss am Zuwanderungskompromiss mitwirken.
An dem Eklat bei der Abstimmung über das Gesetz im Bundesrat vor eineinhalb
Jahren wäre Brandenburgs Koalition fast zerbrochen. Regierungschef Manfred
Stolpe (SPD) hatte damals mit “Ja” und sein Vize Jörg Schönbohm (CDU) mit
“Nein” gestimmt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht deshalb das rot-grüne
Zuwanderungsgesetz kassiert hatte, brachte die Bundesregierung es erneut in
den Bundestag ein. Nach dessen Zustimmung und der Ablehnung des Bundesrates
ist nun der Vermittlungsausschuss am Zuge. Platzeck hatte jüngst
angekündigt, dass Brandenburg im Bundesrat nötige Reformen nicht blockieren
werde und ausdrücklich auch das Zuwanderungsgesetz genannt.
Die Erkenntnis nach dem versuchten Anschlag in München: Neonazis in den alten und neuen Bundesländern arbeiten eng zusammen
(Süddeutsche Zeitung, 26.09.03) Es stehen seltsame Kreuze an den Straßen Vorpommerns. Die Querbalken weisen schräg nach unten, und nach oben laufen sie spitz wie Pfeile zu. Die Kreuze erinnern an Verstorbene, die hier an den Bäumen zerschellten – sehr spezielle Verstorbene: Rechtsradikale, die alles Christliche ablehnten und nun auch im Tod nicht mit einem christlichen Symbol belästigt werden sollen. An den Bäumen Vorpommerns stehen immer öfter solche hölzernen Runen. Und im Telefonbuch des Städtchens Anklam wirbt der Dachdecker Mirko Gudath mit einer Lebensrune für seine Dienste – für jeden Neonazi sofort als Zeichen der eigenen Szene erkennbar. Gudath ist einer der Anführer der rechtsradikalen Kameradschaft Anklam, im örtlichen Anzeigenblättchen darf „der Jungunternehmer“ für seine Heimatverbundenheit werben und erzählen, dass er „geschichtlich sehr interessiert“ sei – durchaus, an der Heroisierung des Nationalsozialismus nämlich.
Was sich in Anklam zeigt, ist Teil einer Strategie, die „kulturelle Subversion“ heißt und nur eines bedeutet: Rechtsextremisten wollen Einfluss auf die Gesellschaft, auf die Kultur gewinnen – nicht nur Trommel schlagend und mit Koppel und schwarzem Hemd marschierend, sondern auf dem leisen Weg durch die Institutionen. Vor zwei Wochen rief das rechtsradikale Internetforum „Störtebeker-Netz“ seine Anhänger dazu auf, sich als Schöffen zur Verfügung zu stellen. Damit könne jeder Bürger „sein individuelles Rechtsempfinden zumindest teilweise in einen Gerichtsbeschluss einfließen lassen“. Im Klartext heißt das: Neonazis, unterwandert die Gerichte! Und wenn wieder ein Skinhead vor Gericht steht, könnt Ihr dann auf Bewährung und Milde hinwirken. Mittlerweile befürchten die Eltern in Vorpommern, dass Neonazis demnächst in den Schulen mitbestimmen. Viele der rechten Kader haben Kinder, die demnächst in die Schule kommen, und sie werden in die Elternvertretungen streben.
Vorpommern ist nah
Vorpommern ist sehr weit weg von München. Und doch sehr nah. Denn von hier kommt der Anführer der rechtsradikalen Kameradschaft Süd, der 27 Jahre alte Martin Wiese, der in München die Baustelle des jüdischen Gemeindezentrums in die Luft sprengen wollte. Gegen ihn und sechs weitere Beschuldigte ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. In Anklam ist Wiese geboren, im nahen Pasewalk aufgewachsen. Hierher und in die nordbrandenburgische Uckermark fuhr Wiese immer wieder zu Besuchen – etwa zur Geburtstagsfeier seines Kumpels Andreas J., gegen den nun von der Generalbundesanwaltschaft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein Haftbefehl erwirkt wurde. Hier, im Nordosten der Republik, leben die Verdächtigen, die als Wieses Unterstützer bei dem geplanten Bombenanschlag gelten.Von hier kommt das, was bayerische Polizisten „importierte Neonazis“ nennen, die die eher ruhige Szene in München aufgeputscht hätten. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2002 steht, die „Kameradschaft Süd“ mit ihrem Anführer aus dem Osten strebe nach einer „Vorreiterrolle im neonazistischen Spektrum“. Wer genau hinsieht, erkennt, dass die Rechtsradikalen ein dichtes Netz persönlicher Beziehungen über ganz Deutschland gesponnen haben. Nur zufällig saß die Spinne dieses Netzes in München.
Leute aus Wieses Gruppe schlugen bereits in Thüringen zu. Einer seiner mutmaßlichen Waffenlieferanten war Mitglied der NPD und viele in seinem Umkreis standen rechten Bündnissen wie dem „Märkischem Heimatschutz“ oder der „Pommerschen Aktionsfront“ nahe. In München lebten Wiese und sein Freund Alexander Metzing, ebenfalls 27, in einer Wohnung an der Landsberger Straße 106. Metzing kam auch aus dem Osten, aus Luckenwalde in Brandenburg. Die beiden Männer hatten sich hier zwei Mädchen angelacht, die 18 Jahre alte Ramona Sch. aus München und die 17-jährige Monika S. aus Baldham. Die war sogar die Chefin des „Frauenbundes“ der Kameradschaft: Die völkischen Mädels trafen sich regelmäßig in einer Schwabinger Kneipe. Außer den beiden Paaren zählt der Generalbundesanwalt noch drei junge bayerische Männer zum harten Kern der terroristischen Vereinigung: Karl-Heinz St., 23, David Sch., 20, und Johannes Thomas Sch. – der Mann, der den bayerischen SPD-Politiker Franz Maget ausspioniert hatte. Zumindest Karl-Heinz St. und David Sch. hatten intensive Kontakte in die neuen Bundesländer. Die beiden scheinen ein eingespieltes Team zu sein. Sie haben offensichtlich — so fanden der MDR Thüringen und die Süddeutsche Zeitung heraus ‑bereits vor drei Jahren zwei Afrikaner im thüringischen Eisenach überfallen. Karl-Heinz S. war damals zu einem Jahr und zwei Monaten Haft verurteilt worden, David Sch. zu sieben Monaten auf Bewährung. Im Urteil gegen S. hieß es damals: Der Verurteilte werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder gewalttätig und aus seiner Gesinnung heraus weitere Straftaten begehen“.
Interessant ist auch, wen der Generalbundesanwalt als Unterstützer der Münchner Neonazis im Auge hat: Steven Z. und Andreas J. aus dem kleinen Ort Menkin sowie Marcel K. aus dem Örtchen Brüssow. Sie alle sollen Sprengstoff und Waffen nach München geliefert haben. Marcel K. war einige Jahre NPD-Mitglied, wurde aber aus der Kartei gestrichen – er hatte die Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt. Steven Z. fällt dadurch auf, dass ihm der linke Unterarm fehlt – er hatte sich beim Basteln an selbst gesammeltem Sprengstoff den Arm weggesprengt. Zu diesen Waffennarren gehört auch noch ein Mann aus Güstrow, der schon Mitte 50 ist.
Am Dienstagabend berichtete der Fernsehsender RBB in Berlin, Wiese habe am 3. Mai auf einer Geburtstagsparty bereits angedeutet, er wolle den Bau des jüdischen Gemeindezentrums in München mit allen Mitteln verhindern. Seine mutmaßlichen Waffenlieferanten Steven Z. und Marcel K. sollen in einem Bunkergebiet an der polnischen Grenze nach altem Sprengstoff aus dem Zweiten Weltkrieg gebuddelt haben.
Doch es ist nicht das Weltkrieg-II-Material, das die Fahnder so aufschreckt. Es sind die 1,7 Kilogramm TNT, das sich Wiese in Polen besorgt hat. Die Neonazis erzählen in den Vernehmungen zwar, sie hätten das TNT „im Wald gefunden“, doch die Ermittler gehen anderen Spuren nach. Es scheint Verbindungen zu einer kriminellen Szene in Polen zu geben. „Die Nachschublinie ist nicht unterbrochen“, sagt ein hochrangiger Ermittler. „Das ist weiterhin brandgefährlich.“ Denn die Fahnder befürchten, dass aus der Quelle auch noch andere Rechtsextremisten beliefert werden sollten.
„Bunt statt Braun“
Vor allem treibt die Fahnder die Frage um, woher die Neonazis um Wiese das Geld für das TNT hatten. Als Hilfsarbeiter wie Wiese oder als Zimmerer wie sein Kompagnon Metzing verdienen die Neonazis aber auch nicht so viel, um für Tausende von Euro Sprengstoff einkaufen zu können. Am gefährlichsten wäre es, räsonieren Sicherheitsexperten, wenn die Gruppe für jemand anderen die Schmutzarbeit verrichten sollte, der sich selbst die Finger nicht dreckig machen wollte – so jemand könnte dann das TNT kostenfrei zur Verfügung gestellt haben. Die Pläne für den Anschlag waren weit gediehen – offenbar wollte die Gruppe
durch die Münchner Kanalisation an den Ort des geplanten Attentats herankommen.
In Bayern schlugen die staatlichen Stellen auf jeden Fall Alarm. Wiese stand seit Monaten unter genauer Beobachtung. Im Nordosten ist das etwas anders. Dem Verfassungsschutz in Mecklenburg war Wiese nicht bekannt, auch die anderen Unterstützer gelten als unbeschriebene Blätter. In Brandenburg hatte der Verfassungsschutz lediglich von Marcel K., dem ehemaligen NPD-Mitglied, Kenntnis.
Für Günther Hoffmann vom anti-nazistischen Bündnis „Bunt statt Braun“ in Anklam ist das kein Wunder. „Hier gelten Leute erst als Mitglieder der rechten Szene, wenn sie so etwas wie einen Mitgliedsausweis und eine entsprechende Homepage haben“, sagt Hoffmann. In Vorpommern werden Kameradschaften ja auch gerne als Ordnungsfaktor betrachtet. Wo sie sind, geschehen wirklich weniger Straftaten. Hoffmann: „Da entschuldigt sich der Kameradschaftsführer sogar beim Kneipenwirt, wenn seine Leute am Abend davor etwas zerdeppert haben.“ Kameradschaften in Vorpommern veranstalten mittlerweile Kinderfeste und neuerdings sogar Volleyballturniere, dazu gibts Bratwurst. „Es wird um gepflegtes Äußeres gebeten (kein Skinhead-Look)“, steht in der Einladung zum Spiel für den 11. Oktober. „Verbotene Symbole und Parolen sind unerwünscht.“ Vermutlich ist das in Vorpommern dann auch wieder kein Fall für den Verfassungsschutz.