POTSDAM. Die Innenpolitiker im Potsdamer Landtag sind aufgeschreckt. Für
Donnerstag ist eine Sondersitzung der parlamentarischen Kontrollkommission
für den Verfassungsschutz (PKK) anberaumt. Auch der Innenausschuss hat am
gleichen Tag dringenden Informationsbedarf. Es geht um zwei völlig
unterschiedlich gelagerte Fälle. Zum einen geht es um die Frage, ob der
CDU-Generalsekretär Sven Petke Erkenntnisse des Verfassungsschutzes unbefugt
öffentlich machte. Zum anderen geht es darum, ob der SPD-Politiker Norbert
Langerwisch beim Oberbürgermeister-Wahlkampf in Brandenburg/Havel mit
kriminellen Mitteln von einem V‑Mann des Landeskriminalamtes unterstützt
wurde. Auch für SPD-Fraktionschef Günter Baaske haben aber beide Fälle etwas
gemeinsam: “Das schürt den Verdacht, dass Verfassungsschutz und Polizei
politisch instrumentalisiert wurden. Ich sehe das mit großer Sorge.”
In Sachen Petke prüft seit Montag auch die Staatsanwaltschaft, ob der
Anfangsverdacht eines Geheimnisverrates vorliegt. Bislang ermittelt die
Behörde gegen den Politiker wegen Verleumdung. Im September hatte er den
Potsdamer Imam Kamal A. als “Hassprediger gegen den Westen” und “Kaplan von
Potsdam” angegriffen. Daraufhin hatte dieser Anzeige gegen Petke erstattet.
Der CDU-Politiker, der bis 1999 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes war,
wies am Montag erneut zurück, dass er seine Informationen vom Geheimdienst
erhalten habe. Vielmehr habe er aus der muslimischen Gemeinde heraus von
aufwiegelnden Reden des Imam erfahren und sich selbst “vor Ort kundig
gemacht”, sagte Petke.
Allerdings sieht der Verfassungsschutz seit einiger Zeit einen neuen
Arbeitsschwerpunkt in der Beobachtung des Ausländerextremismus. PDS- und
SPD-Politiker sehen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) unter
Rechtfertigungsdruck, weil bislang kaum Erkenntnisse erzielt wurden. Über
die Bewertung des Ausländerextremismus soll es auch Differenzen im
Innenministerium geben. Deswegen waren alle PKK-Mitglieder nach den
Petke-Anwürfen kurz vor den Landtagswahlen auch “pappesatt”, wie der
Vorsitzende Christoph Schulze sagte. Wenn es Auswüchse in der Potsdamer
Moschee gegeben habe, seien die Akteure damit gewarnt worden: “Das macht man
nicht, das sollte Petke als ehemaliger Verfassungsschützer wissen.” Da das
Innenministerium seit Jahren auf Indiskretionen rigoros mit Anzeigen wegen
Geheimnisverrats reagiere, wundere er sich sehr, dass es in diesem Fall
nicht geschehen sei, sagte Schulze. Ministeriumssprecherin Dorothee Stacke
hält dagegen: Eine öffentlich gehaltene Predigt sei nicht geheim.
Bürgermeister beurlaubt
Die Affäre um Brandenburgs Bürgermeister Langerwisch bringt dagegen die SPD
unter massiven Druck. Langerwisch, einst Polizeichef von Brandenburg, musste
einräumen, dass ein stadtbekannter Akteur aus dem Drogenmilieu 2003 seinen
Wahlkampf unterstützte. Zunächst hatte er das bestritten. Jener Dirk R.
sitzt seit einer Drogenrazzia im Sommer in Untersuchungshaft und hat dort
angegeben, von einem Polizeikommissar — einem Vertrauten Langerwischs — zur
Produktion gefälschter Wahlzettel und einer Bombendrohung bei einer
CDU-Wahlveranstaltung angestiftet worden zu sein. Das Innenministerium
erklärt, erst am vergangenen Donnerstag erfahren zu haben, dass Dirk R. in
dieser Zeit V‑Mann des Landeskriminalamtes war. Er sei im Januar 2004
“abgeschaltet” worden.
Am Montagabend sagte Brandenburgs Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann
(CDU), sie habe Langerwisch für drei Monate beurlaubt, um die Affäre zu
klären.
Bürgermeister suspendiert
V‑Mann erhebt schwere Vorwürfe gegen das Landeskriminalamt
(MAZ) BRANDENBURG/HAVEL Wegen angeblicher Verwicklung in eine versuchte Wahlmanipulation ist der
Bürgermeister von Brandenburg/Havel, Norbert Langerwisch (SPD), gestern mit
sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert worden. Dies geschehe zu dessen
Schutz und dem der Verwaltung, hieß es aus dem Umfeld von
Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU).
Der vermeintliche Drogenhändler und hochkarätige V‑Mann des
Landeskriminalamts (LKA), Dirk Rauch, hatte den Ex-Polizeichef der
Havelstadt zuvor beschuldigt, von der vermeintlich versuchten
Wahlmanipulation bei der Oberbürgermeisterwahl 2003 gewusst zu haben.
Langerwisch, der damals gegen Tiemann kandidierte, bestreitet dies und
erstattete am Sonntag Strafanzeige gegen Rauch.
Nach eigenen Angaben hatte Rauch auch seinen V‑Mann-Führer mit Tarnnamen
“Hotte” über die behaupteten Vorgänge in Brandenburg informiert. Zudem habe
“Hotte” ihn zu Aufklärungszwecken zur Mitarbeit in einer Drogenbande
aufgefordert, die vom LKA am 30. Juni 2004 ausgehoben wurde. Seither sitzt
Rauch in Untersuchungshaft und fühlt sich vom LKA verraten und missbraucht.
Rauch wurde im Juli 2002 als V‑Mann verpflichtet. Danach trug er zur
Aufklärung zahlreicher schwerer Straftaten bei. Sein V‑Mann-Führer lobte ihn
als zuverlässig und gewissenhaft. Im Januar 2004 sei die Zusammenarbeit
aber, so das Innenministerium, “unverzüglich eingestellt” worden, nachdem
“Hinweise auf Unzuverlässigkeit” Rauchs vorlagen. “Das entspricht nicht der
Wahrheit”, kontert Rauchs Anwalt Veikko Bartel. Eine Beendigung der
V‑Mann-Tätigkeit sei Rauch nie mitgeteilt worden — schon gar nicht in der
“erforderlichen schriftlichen Form unter Entbindung von jeglichen erteilten
Aufträgen”. Gegen eine ordentliche “Abschaltung” des V‑Manns spricht der
wiederholte SMS-Kontakt von “Hotte” mit Rauch noch in diesem Jahr. Am 9.
Juni, drei Wochen vor Rauchs Festnahme, gratulierte “Hotte” so zum
Geburtstag: “Zum heutigen Heldentag alles Gute aus der Landeshauptstadt.
Hoffen, unser Bauprojekt in der Ferne ist bald beendet und können mit dir
wieder was reißen.”