15 Jahre Superdeutschland:
Poplinker Antinationalismus als höchstes Stadium des jungen deutschen Kulturnationalismus
(Günther Jacob)
Der Anspruch der Szenen, die während den 1980er Jahren in der alten BRD Pop mit (irgendwie) linken Bedeutungen aufladen wollten, war eher bescheiden und selbstgenügsam: Es ging gegen „Altlinke“ und die Ignoranten im bürgerlichen Feuilleton, die immer noch nicht begriffen hatten, dass auch Pop kulturell wertvoll sein kann. Einen besonderen nationalen Auftrag hatte man sich weder selbst erteilt, noch wurde er den „dissidenten Konsumenten“ dieser Zeit von staatlicher Seite zuerkannt. Es reichte damals die Überzeugung, dass Popmusik für westliche Freiheit steht, die ganz von selbst ihre subversive Wirkung im Ostblock entfaltet. Zwar richtete sich schon die „Neue Deutsche Welle“ gezielt gegen die „angloamerikanische Dominanz“ im Pop, aber eine politische Bedeutung konnten solche Stimmungen angesichts des „Eisernen Vorhangs“ nicht entfallten.! An so etwas wie eine „Wiedervereinigung“ in überschaubarer Zeit glaubte nicht einmal die politische Klasse. „Dissidenter Popkonsum“ war daher kaum mehr als eine harmlose Bürgerkindernische im Schatten des Kalten Krieges. Auch die Erwartung besonderer Karrieren an Hochschulen oder bei der FAZ war mit dem Erwerb subkultureller Kompetenzen – enzyklopädische Plattenkenntnisse, kulturelle Codes etc. – nicht verbunden. An die Hochschulen kannte man Cultural Studies nicht mal dem Namen nach und im Feuilliton gab die hochkulturelle Premierenkritik den Ton an.
All das änderte sich gleich in den ersten Jahren nach der völkischen „Wiedervereinigung“, besonders nach dem Beschlus, die alte Reichshauptstadt wieder zum politischen und kulturellen Zentrum Superdeutschlands zu machen.
Durch die Wandlung der alten BRD zu „Deutschland“ beschleunigte sich die Ablösung der Alten, die zur eigenen Überraschung den Zweiten Weltkrieg doch noch gewonnen hatten, durch die Jungen, die nun die Chancen nutzen wollten, die sich an den Unis des Ostens, im „Haupstadtjournalismus“ oder bei der weltweiten Ausdehnung der Aktivitäten des Goethe-Instituts boten. Hinreichend vorbereitet war dieser Generationenwechsel durch den Aufstieg von Öko- und Jungsozialisten, die in dem Maße, in dem sie politischen Einfluss erlangten, in „Deutschland“ nicht mehr den Staat der Revanchisten sahen, sondern eben IHREN Staat, den sie nun gestalten wollen. Und dieser Blickwechsel gefiel durchaus auch den Seilschaften aus der Jungen Union, die zeitgleich dabei waren, gegen die Altvorderen im rechtskonservativen Feuilleton und Kulturbetrieb eine Jungtürken-! Revolte anzuzetteln.
Und so wie aus dem Staat der Revanchisten plötzlich der Staat der Antifaschisten wurde, die ihre Bomber mit der Aufschrift „Nie wieder!“ gen Belgrad schicken, so wurde auch aus dem Staat der postfaschistischen Pseudohochkultur der weltoffene Popstandort Deutschland, vor dem sich niemand mehr fürchten musste, der nicht gerade mit falschem Paß oder falscher Hautfarbe in Hoyerswerda, Solingen oder sonstwo wohnte. Während die Popszenen und der Kunstnachwuchs komplett aus dem Köln/Bonner Raum nach Berlin Mitte wechselten, um in diesem vorgeblich menschenleeren Gebiet vormaliges DDR-Staatseigentum und auch so manches einst „arisierte“ Haus in angesagte locations zu verwandeln und so der rotgrünen staatstragenden Mittelschicht, die sich nun in der neuen Hauptstadt breit machte, gleich ein passendes „hippes Kulturleben“ zu bieten, entdeckte man in den Feuilletons und den diversen Kulturinstitutionen zwischen Volksbühne und Museumsszene (und später der Bundeskulturstiftung) die Möglichkeiten eines antinationalen Kulturnationalismus.
Der „anständige“ antinationale Kulturnationalismus grenzt sich in Identifikation mit dem Staat, der nun wirklich der eigene ist – der Staat der jungen Eliten, die es satt haben, von New Yorker Taxifahrern mit Hitler in Verbindung gebracht zu werden — , vom dumpfdreisten revanchistischen Deutschnationalismus ab. Antinationaler Kulturnationalismus erfindet Deutsch-Rap gegen die angloamerikanische Vorherrschaft und goutiert zugleich den „Orient-Rap“, den man den vormals englisch rappenden Jugendlichen mit „emigrantischem Hintergrund“ als „authentische Alternative“ empfohlen hat. Antinationaler Kulturnationalismus reinigt die Reichshaupstadt mittels Loveparade von ihrem Nazi-Image, um dann kundzutun, dass man nun gerade deshalb so richtig stolz auf Deutschland ist. Antinationaler Kulturnati! onalismus publiziert Aufrufe gegen Rechts, nur um dann die Bands der „Hamburger Schule“ (und ihrer Nachfolger) als beste deutsche Dichtung seit Goethe abzufeiern und sie als Botschafter des jungen Deutschlands per Goethe-Institut in alle Welt zu schicken. Und um möglicher linker Kritik zuvorzukommen (eine unsinnige Sorge) produziert der Antinationale Kulturnationalismus hin und wieder sogar einen „antinationalen“ Pop-Sampler, auf dem antinationale Deutschpopgruppen, die normalerweise mit dem Goethe-Institut in Estland oder Japan („Deutschlandjahr“) unterwegs sind, nahezu völlig unter sich sind, wo es also auch keine Orientrapper, Englischsinger und andere Rand- und Unterschichtenvertreter gibt, denn hier wird definitiv DEUTSCH gesprochen wird.
Der Antinationale Kulturnationalismus wurde nicht zuletzt gegen die antinationale Linke der 1990er Jahre entwickelt. Die Abgrenzung von der „überzogenen Nationalismuskritik“ war damals schon das einigende Band zwischen den Bands und Schreibern von heute und zugleich Voraussetzung für ihre gute Presse bei den Etablierten. Als man damals endlich ganz unbefangen ein Kraut with attitude sein wollte, um dann als Stuckrad-Barre, Poschardt oder Berlin-Redakteur der FAZ groß heraus zu kommen, war man noch sichtlich verdutzt, als da aus einem antinationalen linken Minimilieu heraus Front gegen den Popnationalismus gemacht wurde. Denn Mitte der Neunziger Jahre, als die Jungen noch nicht fest im Sattel saßen und die Angst vor einer schlechten Presse im Ausland noch etwas bewegte, sah man sich noch gezwungen, auf diese völlig marginale linksantinationale Kritik zweifach zu reagieren – mit dem Nachweis, dass der Nationalismusvorwurf ein typisch linkes Hirngespinst ist und der Beteuerung, dass man selbst schon immer „gegen Nationalismus“ war und dass es sich bei den Diskussionen um Radioquote und Popstandort Deutschland nur um eine ökonomische Thematik handele, die sich in der Hitze des Gefechts ideologisch auflade.
Ende 2005 ist der Antinationale Kulturnationalismus selbst ein deutsches Popgenre geworden. Indem die Lieblingsbands des Goetheinstituts, der Bundeskulturstiftung, der Pop-Professoren und des nationalen Feuilletons zwischen Taz und FAZ, die zugleich die Lieblingsbands der meisten linken Kulturzentren und der Bürgerkinderantifa sind, sich gegen die (längst in den Schatten gestellte) Radioquote und Bands wie Mia abgrenzen, wollen sie darüber hinwegtäuschen, dass sie bereits getan haben und TUN, was Mia & Co. jetzt erst aussprechen und dass die realen Überschneidungen zum Lager der Quotenfans (z.B. Jan Delay) daher auch kein Zufall sind. Der Aufstieg der meisten Bands, die z.B. auf dem neuen Sampler „I can’t relax in Deutschland“ vertreten sind, verdankt sich eben einer informellen Quote, verdankt sich der medialen und institutionell! en Förderung, die diese Bands seit 1990 erfahren haben, und zwar ausdrücklich aus den Gründen, aus denen das Goethe-Institut sie um den Erdball schickt: Sie sollen – ganz ohne verbalen Nationalismus – das neue Deutschland reprä
;sentieren. Der linke Popjournalismus, der heute die Linernotes für solche Sampler schreibt, ist mit diesen Bands bzw. den Labels direkt verbandelt. Ihre Begleitschreiben sind Empfehlungschreiben auch in eigener Sache, gut geeignet für einen kleinen deutschantinationalen Diskurs der Anständigen auf 3Sat, in der Frankfurter Rundschau oder in der Volksbühne.
Der Antinationale Kulturnationalismus scheint selbst randständig zu sein, und im Vergleich zu anderen gesamtdeutschen Popereignissen – Rechtsrock, Quotenrock, Loveparaden, Schlagermoves, Ostalgiefestivals etc. – ist er es tatsächlich. Doch seine Bedeutung lag nie in seinem Hitpotential, sondern vor allem darin, dass er den von links und rechts her kommenden neuen jungen Eliten, die auf der Ebenen der Institutionen (Museen, Theater, Institute) und des Feuilletons (Welt, FAZ, Taz) längst zusammengefunden haben und z.B. problemlos zwischen der Affirmation von Jörg Friedrichs Bombenkriegs-Buch und der Herausgabe der Klassiker der Comic-Literatur osszilieren, eine Möglichkeit gab und gibt, auf zeitgemäße und „anständige“ Weise für Deutschland zu sein.
(Wer wissen will, was da zusammen geht: Am Sonntag, dem 2. Oktober diskutieren in der Volksbühne verschiedene Vertreter des Antinationale Kulturnationalismus über den linkspopulistischen Sampler “I can‘t relax …“. Mit dabei: Tobias Rapp von der Taz, Ulf Poschardt von der Welt am Sonntag und der Linernotes-Schreiber Roger Behrens. Danach spielen – gut in Form nach der Goetheinstitutstour durch Estland: Kante).
Veranstaltung mit Günther Jacob
Samstag, 1. Oktober, 19:00 Uhr, Potsdam, Ort: Fabrik (Potsdam)
Günther Jacob, in den Neunzigern als HipHop/Soul-DJ, Autor mehrerer Popbücher (u.a. “Agit-Pop. Schwarze Musik und weiße Hörer”), Mitherausgeber der Zeitschrift 17 °C und als Kritiker der Poplinken tätig, lebt in Birmingham und Hamburg. Zum Thema Popnationalismus veröffentlichte er nach vielen Beiträgen in „Konkret“ zuletzt „Die Modernisierung der Identität. Pop als Teil des Gründungsmythos der Berliner Republik“ (in „Pop & Mythos“, Schlingen 2001) sowie “Archäologie des Hipnessverfalls“ (in „Die offene Stadt“, Essen 2003).
Die Veranstaltung findet im Rahmen des antinationalen Kongresses “Null Gründe zu feiern” statt // presented by: JD/JL Brandenburg, Naturfreundejugend Berlin, ak_antifa Potsdam