“Hinten, unter meinen Gürtel, hatte ich den Schleifstahl für das Dönermesser gesteckt. Als die auf mich zukamen, griff ich danach, und sie dachten: ›Der schießt gleich‹, und blieben stehen”, erzählt Ali Aydin und zieht kräftig an seiner Zigarette. “Viele denken, alle Ausländer sind in der Mafia und haben eine Waffe. Das ist dumm, aber es hilft manchmal, verschafft dir Respekt”, sagt er achselzuckend. Die Geschichte hört sich an wie aus einem Western: Zwei Dutzend aggressive junge Männer belagern den Imbisscontainer und bedrohen seinen Kollegen, der sich eingeschlossen und die Polizei alarmiert hat, während Aydin ihm von außen zu Hilfe kommen will.
Gelassene Wachsamkeit
Seit zwölf Jahren verkauft Ali Aydin in Brandenburg Döner-Sandwiches, und er hatte mehrmals unangenehme Erlebnisse mit Rechtsextremen. Ein paar Jahre lang arbeitete er in einem Imbiss in Rathenow, einer Kameradschafts-Hochburg nahe Berlin. Bei der Arbeit hatte er dort Ruhe. Sein Wagen stand neben einem von Antifas besetzen Haus, und deren Präsenz wirkte wie eine Schutzmacht. Aber an einem 20. April (Hitlers Geburtstag) wurden er und seine deutsche Freundin auf dem Weg zur Disko zusammengeschlagen und konnten vor Schlimmerem gerade noch fliehen.
Später übernahm er in Pritzwalk den Imbisscontainer am Bahnhof. Auf diesen gab es einen missglückten Brandanschlag, und hier erlebte er die beschriebene Belagerung und die paradoxe Wirkung von Vorurteilen. Wo der Container stand, ist heute ein Parkplatz und aus dem Imbiss ein kleines Restaurant geworden. Ali Aydin erzählt keine Heldengeschichten. Er spricht von der Angst, die er durchlebt hat. Sein Lebensgefühl prägt eine gelassene Wachsamkeit. “Es kann heute oder morgen sein. Als Ausländer rechnest du immer damit, dass etwas passiert. Alle tun das hier”, sagt er, wieder achselzuckend, und betont, dass er auch gute Erfahrungen gemacht hat und gerne in Pritzwalk arbeitet. Er legt seine Hand auf den Tisch. “Alle fünf Finger sind verschieden. So ist das auch mit den Deutschen. Es gibt viele gute Leute hier.” Dann berichtet er von seinem früheren Alltag im türkisch-kurdischen Bürgerkriegsgebiet. In seiner biografischen Bilanz schneidet Brandenburg immer noch gut ab.
Ganz anders geht es Bülent Düzgün*, der alle Symptome einer schweren Traumatisierung kennt. Er ist in Behandlung, weil er nicht mehr schlafen kann, und die ständige Anspannung gesundheitliche Folgen hat. Er ist ebenfalls Kurde und arbeitet in einem Imbiss am Bahnhof einer Kleinstadt östlich von Berlin. Drei Angriffe mit Ketten und Flaschen hat er erlebt. Sein Sohn ist von einer älteren Nachbarin mit den Worten: “Ich schlag dich kaputt, wenn du Kanakenkind hier nicht verschwindest!” im Supermarkt bedroht worden, nachdem sie Tage zuvor ihren bissigen Dackel auf ihn gehetzt hatte. “Das ist das Problem”, sagt Bülent Düzgün, “dass mir nicht nur die Glatzköpfe, die sich am Bahnhof treffen, zu schaffen machen, sondern auch Nachbarn und ganz normale Kunden.” Ob die Polizei dagegen nichts machen kann oder will, das weiß er nicht. Aber sich vertreiben lassen, ins nahe Berlin ziehen, das wäre eine Niederlage, eine Beschämung, die er nicht zulassen will, und er glaubt auch nicht, dass es dort besser wäre, denn “Deutschland ist überall”, sagt er resigniert.
Osman Agdan* erzählt ähnliche Geschichten, aber er ist wütend, sehr wütend. Auf das Ordnungsamt, das von ihm verlangte, er solle den verkohlten Baum ersetzen, der bei einer Brandstiftung zusammen mit seinem Imbisscontainer Feuer fing, auf die Leute, die Steine auf sein Auto werfen oder behaupten, er sei ein Dealer. Osman Agdan besitzt mehrere Imbissbetriebe in Brandenburg und hat einige Angestellte. Einheimische stellt er nicht mehr ein, das ist seine Art von Rache.
Andere, wie Özal Yildirim* im Landkreis Potsdam-Mittelmark, hatten noch nie Probleme. “Dumme Sprüche, ja, aber Idioten gibt es überall”, sagt der energische Wirt und lächelt selbstgewiss. Der andere türkische Wirt im Ort hat sein Döner-Restaurant von einem Landsmann übernommen, dem mehrmals die Scheiben eingeschlagen wurden. Der neue Betreiber ist zuversichtlich, dass bei ihm alles ruhig bleibt. Er ist mit einer Familie im Ort befreundet, die einige braune Kameraden in ihrer Verwandtschaft hat — Beziehungen, auf die er sich verlässt.
Täter im Kundenkreis
Im Allgemeinen gilt die als “Migrantenökonomie” oder “ethnische Ökonomie” bezeichnete Selbstständigkeit Zugewanderter als wichtiger Integrationsfaktor. Was für die Ballungsgebiete der alten Bundesländer gelten mag, sieht allerdings in der Fläche der ländlich strukturierten neuen Bundesländer anders aus. Wer in Brandenburg übers Land fährt, findet zwar in den verschlafensten Ortschaften noch einen Döner-Imbiss oder eine Asia-Pfanne, aber es gibt hier keine Community von Landsleuten — eine wichtige soziale und ökonomische Voraussetzung für den Sprung in den unternehmerischen Mittelstand. Im Gegenteil, meist sind die Imbissbetreiber die einzigen Ausländer und sichtbaren Fremden im Ort, und ihre soziale Position ist äußerst prekär und zwiespältig. Sie bieten eine wichtige Dienstleistung an, denn mangels Alternativen trifft man sich beim “Türken”. Gleichzeitig werden die Wirte und die wenigen Wirtinnen nur unter Vorbehalt akzeptiert und sind eine exponierte Zielscheibe für Ausländerfeindlichkeitund rechtsextreme Gewalt.
In den vergangenen sechs Jahren gab es in Brandenburg 34 Brandanschläge auf ausländische Imbissbetriebe, bei denen die Justiz fast ausnahmslos im rechtsextremen Umfeld ermittelt beziehungsweise bereits verurteilte. Oft gehören die Täter zum Kundenkreis oder stammen aus dem gleichen Ort. Bei einer Befragung im Jahr 2004 beschreiben ausländische Imbissbetreiber die Beziehungen zu ihren Gästen mehrheitlich als ambivalent bis angespannt. Offensiv deutsch-national eingestellte Gäste und rechte Cliquen unter der Kundschaft sind ein Problem, die ansonsten freundlichen Stammgäste, die sich unter Alkoholeinfluss als ausländerfeindlich oder rassistisch entpuppen, das andere. Rechtsextreme Gewalt wirkt in dieser Gemengelage weit über die konkrete Tat und den Täterkreis hinaus. Sie stellt eine Drohkulisse dar, die sich im Konfliktfall beliebig gegen potenzielle Opfer instrumentalisieren lässt, durch Anspielungen, ein gesprühtes Hakenkreuz oder ganz unmittelbar, wie in Lehnitz, einem 2.500-Einwohner-Städtchen. Dort schimpfte ein eifersüchtiger Ehemann am lokalen Nazi-Treffpunkt über den türkischen Imbissbetreiber, der ihm die Ehefrau ausspannte. Daraufhin brannten drei Cliquenmitglieder den Imbisswagen nieder.
“Das Zusammenspiel zwischen Rechtsextremismus und bürgerlicher Ausländerfeindlichkeit wird in den betroffenen Kommunen zunehmend wahrgenommen”, meint Thomas Weidlich vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung Demos. Die langjährige Arbeit lokaler Initiativen trage langsam Früchte, und auch die aufgeregte Mediendebatte um No-Go-Areas habe sicherlich dazu beigetragen, dass in den jüngsten Fällen die kommunalen Eliten einen aktiven Umgang suchten, anstatt — wie bisher so oft — die Vorfälle kleinzureden oder ihren politischen Charakter zu leugnen. In Brück zum Beispiel erfährt Kayihan Kutlu breite Unterstützung aus der Gemeinde. In sein Imbissbistro flog 2004 ein Molotow-Cocktail. Vier junge Männer aus dem Ort wurden dafür verurteilt. Seitdem wird Kutlu immer wieder bedroht, sein Haus und sein PKW wurden beschädigt, zuletzt im Juli. Nun hat sich ein Bürgerbündnis gegen Fremdenfeindlichkeit gegründet, um dem etwas entgegen zu setzen, mit engagierter Bete
iligung der Kommunalverwaltung. In Rheinsberg gehen die Stadtoberen und engagierte Initiativen schon lange sehr aktiv gegen Rechtsextremismus vor, so auch bei den Angriffen auf ausländische Gewerbebetriebe in diesem Jahr. Dass die Medien selten darüber berichten, stattdessen lieber den Kontrast zwischen der idyllischen Tucholsky-Kulisse und finsteren braunen Umtrieben in Szene setzen, wird hier als wenig hilfreich empfunden.