Vom 27- 29 Juli 2007 wurde das Open-Air Festival „Force Attack“ in Behnkenhagen in der Nähe von Rostock veranstaltet. Die Besucher_innenzahl beträgt etwa 10.000 Menschen, die aus unterschiedlichsten Gebieten anreisen.
Mit 42 Bands wie Hausvaboot, Boxhamsters, Loikaemie, Pöbel und Gesocks, Zaunpfahl oder die Skeptiker wurde auch dieses Jahr an 3 Tagen auf 2 großen Bühnen wieder das als größte „Punkerparty“ weltweit geltende Festival begangen.
“Force Attack 2006 in Zahlen :
Ca. 14 000 zahlende Gäste
780 Fässer (a 50 Liter)Rostocker Pils
das DRK hat ca. 800 verletzte Leute vor Ort behandelt “(indymedia)
Unter anderem aufgrund eines hohem Alkoholkonsums und der weitesgehenden „Regellosigkeit“ und der daraus resultierenden niederen Hemmschwelle im zwischenmenschlichen Umgang, kam es auf dem Festival wiederholt zu sexuellen Handlungen und Übergriffen, die in dem Moment, in dem sie die Grenzen anderer Personen übertreten, aufs Schärfste zu verurteilen sind.
Da dieses offensichtlich auch dem Veranstalter bekannt wurde, griff jener zu einer besonderen Taktik um gegen solche Vorfälle vorzugehen:
Mit einer eigens dafür angesprochenen Antisexismus-Gruppe sollte in diesem Jahr für ein besseres Wohlbefinden gesorgt und den Berichten von Beobachter_innen sowie Betroffenen über gehäuft vorkommende sexuelle Übergriffe etwas entgegengesetzt werden.
Die Antisexismus Gruppe soll Frauen, die von sexuellen Übergriffen betroffen sind, in einem eigens dafür eingerichtetes Kontakt- und Rückzugszelt im Backstagebereich des Festivalgeländes betreuen. Auf einem am Eingang verteilten Flyer soll auf diese Arbeit hingewiesen werden. Eine Zusammenarbeit mit der Security sei geplant. Die aus einer (Straf-)Tat resultierenden Handlungen(Platzverweis, Polizei) werden von der Organisation übernommen. Der Gruppe wurde Gerätschaft(Funkgerät),Vollverpflegung, sowie Vergütung für 6–8 Menschen zugesprochen.
So weit, so gut…
Aber, dass Antisexismus-Arbeit viel mehr heißt als bloß in ‘einem Zelt zu hocken‘, das hat der Veranstalter wohl nicht bedacht.
Gegenwärtige Geschlechterverhältnisse
Die derzeitigen Herrschaftsverhältnisse werden unter anderem durch eine binäre Geschlechterordnung aufrechterhalten, die Menschen in zwei (und ausschließlich zwei) Geschlechter einsortiert, die dementsprechend beurteilt und behandelt werden. Dieses, als natürlich wahrgenommene System schreibt den zwei Geschlechtern unterschiedliche Verhaltensweisen zu und schreibt Hierarchien fest, wodurch Frauen in allen Bereichen des Lebens benachteiligt werden. Dieses System wird sowohl von Frauen und Männern, als Gestalter_innen sozialer Prozesse aufrechterhalten und weitergeführt. Wir sind alle Teil sexistischer Strukturen: Unser alltägliches Verhalten, unsere Geschlechtidentität, unsere Gefühle und Körper sind Teil und Ergebnis dieser Strukturen und reproduzieren diese gleichzeitig, ebenso wie unsere „ganz normale“ Sexualität. Zum Aufrechterhalten der Macht- und Herrschaftsverhältnisse müssen die sexistischen Strukturen immer wieder hergestellt werden. Eine der stärksten Manifestationen sexistischen Verhaltens dieser (Wieder-)Herstellung der Verhältnisse sind sexualisierte Übergriffe und Vergewaltigungen. Sie übergehen das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Frau völlig und vermitteln ihr das Gefühl der absoluten Ohn-macht. Sexualisierte Gewalt ist damit das brutalste Instrument zur Aufrechterhaltung sexistischer Machtverhältnisse.
Antisexistischer Widerstand
Antisexistische Politik heißt, sich mit gesellschaftlichen Ursachen und Strukturen von Sexismus auseinander zu setzen und für Veränderung zu kämpfen. Es heißt aber vor allem auch Antisexismus auf sich und das eigene Umfeld anzuwenden und das eigene Handeln zu reflektieren.
Dass dem Potential an respektlosem, übergriffigen und sexistischen Verhalten bei 14.000 Besuchern nicht mit 6–8 Menschen entgegengetreten werden kann, wird schnell klar.
Andere Antisexismus-Gruppen bestätigten, durch ihre Erfahrungen mit anders fokussierten Veranstaltungen, welche im Gegensatz zum Force Attack weniger „alkoholdominiert“ waren, dass diese Art der Antisexismus-Arbeit auch mit weitaus mehr Helfer_innen zu einer Überlastung führen kann und schätzten zudem Antisexismus-Arbeit auf dem Force Attack als besonders schwierig ein.
Daraus schlussfolgernd wurden die Angebote des Veranstalters von der Antisexismus-Gruppe um grundlegende Selbstverständlichkeiten und Arbeitsgrundlagen wie z.B. mehr Helfer_innen, Zusage zu grundlegender, uneingeschränkter Unterstützung des Orga- und Schutzteams, sowie in vermehrter Öffentlichkeitsarbeit, erweitert und detaillierter schriftlich kommuniziert.
Die Vor- und Nachbereitungszeit, konzeptionelle Arbeit, Kontakt zu anderen Einrichtungen, sowie die psychische Belastung, der mensch bei dieser Arbeit ausgesetzt ist, wurde hier nicht mit einkalkuliert.
Die Empörung des Veranstalters über hinzugefügte und ergänzende Details der Antisexismus-Arbeit artikulierte sich dann in einer 3zeiligen Absagemail mit Hinweis auf falsche Angaben bezüglich eines Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Mitglied einer Band, die in diesem Jahr auf dem Force Attack auftreten wird.
In einem von der Gruppe initiierten Telefongespräch äußerte sich der Organisator allerdings auf Nachfrage, wie dieser Bereich(Antisexismus) denn nun organisiert wird, nicht.
(Mittlerweile haben wir in Erfahrung gebracht das 3 Menschen diesen ‘Bereich abdecken‘.)
Sämtlichen Beobachtungen und Zeugenberichten entsprechenden Vorkommnisse über gehäufte sexuelle und gewalttätige Übergriffe auf (überwiegend) Frauen begegnet der Veranstalter wohl weiterhin mit dem Statement, dies sei “kein großes Problem“.
Warum ihm kaum Fälle bekannt sind, liegt vielleicht daran dass es bis jetzt kaum oder gar keine Ansprechpartner_innen für sexuelle/sexistische Übergriffe gab.
Ihm zufolge werde das Publikum und das Festival mit den grundlegenden Forderungen der AntisexismusGruppe „vorverurteilt“ und die Festivalleitung ihrer Entscheidungsmacht enthoben („wer vom Gelände fliegt entscheiden immer noch wir“).
Mit dem Verweis auf ein „ungutes Gefühl“ werden die Basisforderungen, wie sie bei jeder andern fundiert arbeitenden Antisexismus-Gruppe zu finden sind, als zu „dick aufgetragen und zu wichtig genommen“ empfunden.
Da es genug professionellen Schutz dort gebe und ein Großteil dessen von Menschen aus dem linken politischen Umfeld (Antifas) ausgeführt werde, sei keine grundlegende Auseinandersetzung mit den selbigen nötig (als wenn es in der ‘ linken Szene‘ keine Sexisten gäbe).
Die Antisexismus-Gruppe sei zudem nur „eine von vielen Aktionen auf dem Festivalgelände“ und eine Art Serviceleistung.
Wenn es nicht einmal ernsthafte und glaubwürdige Bestrebungen des Veranstalters gibt, an den dortigen höchstgradig sexistischen und gewaltätigen Situationen etwas zu ändern sollte die Beteiligung an jenem hinterfragt werden. Die Entscheidung an diesem Festival als kritisch denkender, Hierarchie-ablehnender und antisexistisch eingestellter Mensch aktiv, passiv oder irgendwo dazwischen überhaupt mitzuagieren und dieses weiterhin in irgendeiner Weise zu unterstützen,sei jeder_jedem selbst überlassen.
Sexistisches Verhalten, Einstellungen und deren Unterstützung/Reproduktion sind unserer Meinung nach grundsätzlich abzulehnen!
Fight Sexism!
Kontakt: as_grrr@yahoo.de