POTSDAM. In der V‑Mann-Affäre ermittelt die Cottbuser Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter des Brandenburger Verfassungsschutzes. Anlass sind Presseberichte, wonach die Behörde den Neonazi Toni S. “erpresst” haben soll, um ihn als V‑Mann zu gewinnen. Das Magazin “Focus” hatte gemeldet, S. habe 1998 wegen Trunkenheit am Steuer seinen Führerschein verloren und sei Anfang 2001 von zwei Verfassungsschützern bei einer Fahrt mit seinem Pkw gestellt worden. Die Männer sollen S. angeboten haben, die illegale Fahrt zu vergessen, wenn er in der rechten Szene spioniere. Die Cottbuser Staatsanwaltschaft hat nun ein Verfahren wegen des Verdachts der Nötigung gegen die namentlich nicht bekannten Verfassungsschutz-Mitarbeiter eingeleitet. In Sicherheitskreisen hieß es, S. sei lediglich “aufgezeigt worden, wie er wieder an den Führerschein herankommen könnte”. Von Nötigung könne keine Rede sein. Der Ärger mit ehemaligen V‑Männern nimmt kein Ende. Während die Affäre um den Spitzel Toni S. noch schwelt, sieht sich Brandenburgs Verfassungsschutz mit einem neuen Problem konfrontiert: Der frühere, im Sommer 2000 enttarnte V‑Mann Carsten S. wird verdächtigt, er habe bei illegalen Waffengeschäften mitgemischt. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat, wie erst jetzt bekannt wurde, bereits vor mehreren Monaten gegen S. und drei weitere Neonazis Anklage erhoben. Der Vorwurf lautet: Verstoß gegen das Waffengesetz. Carsten S. soll Ende 1999 eine in Berlin besorgte Pistole, Kaliber neun Millimeter, samt Munition an den Mitangeklagten Uwe M. weitergegeben haben. In der Anklage gegen Uwe M., Mitglied der rechtsextremen Potsdamer Rockband “Proissenheads”, sowie Christian W. und Tino W., wird außerdem eine “Langwaffe” (Gewehr) und eine nicht mehr funktionstüchtige Maschinenpistole der Wehrmacht erwähnt. Am 9. Dezember beginnt vor dem Amtsgericht Potsdam der Prozess. S. bestreitet jeden Vorwurf. Sicherheitsexperten glauben, die Mitangeklagten hätten sich an Carsten S. wegen seiner Spitzeltätigkeit rächen wollen und ihn deshalb mit Aussagen belastet.
Autor: redax
SDAJ Oder-Spree gegründet
Vor etwa einem Monat hat sich in Schöneiche bei Berlin die SDAJ Oder-Spree (SDAJ steht für “Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) gegründet. Diese steht in Tradition aller bisherigen SDAJ-Gruppen. Da wir noch ganz neu sind, sind wir an einer engen Zusammenarbeit mit anderen linken
Organisationen interessiert.
Wir planen am 20. September eine Veranstaltung in Schöneiche
durchzuführen. Es ist eine Podiumsdiskussion zu dem Thema: “Bush, Berlusconi, Le Pen, Stoiber — Die Welt am rechten Abgrund? “.
Mit roten Grüßen
(Inforiot) Bei der SDAJ handelt es sich um eine formell unabhänigige jedoch faktisch eng an die DKP (Deutsche Kommunistische Partei) gebundene Organisation. Eine aktuelle, funktionierende Homepage der SDAJ ist die der Ortsgruppe Berlin.
Triumph der Verdrängung
Potsdam - “Ende der Vorstellung” verlangte auf einem Spruchband die “Antifaschistische Aktion Potsdam” rigoros am Donnerstag Abend im Filmmuseum und wollte durch die Belagerung des Eingangsbereichs Interessierte an der Rezeption von Leni Riefenstahls Film “Tiefland” hindern. Eine weitere Aktionsgruppe, die es vorzog, anonym zu bleiben, eroberte die Bühne des Kinosaals. Ihr Sprecher verlas eine lange Erklärung zur Situation der Sinti und Roma während der Dreharbeiten 1940/41, die damals als “spanisches Kolorit” dem im Bergischen Land gedrehten, aber in den Pyrenäen angesiedelten Film die nötige Exotismus-Würze geben sollten.
Dass diese Komparsen auf-grund genau dieser Besonderheit im Aussehen gleichzeitig in Konzentrationslagern saßen, weshalb sie für die Dreharbeiten von der Riefenstahl GmbH zwangsverpflichtet wurden, beeindruckte die Regisseurin, Hauptdarstellerin und Produzentin damals wie heute wenig. Sie verstieg sich sogar, wie Rainer Rother vom Deutschen Historischen Museum ausführte, noch im Jahr ihres hundertsten Geburtstages zu der inzwischen gerichtlich verbotenen — Aussage, dass sie nach dem Krieg fast alle Darsteller wieder gesehen habe und keinem etwas passiert sei.
Der klagende Kölner Rom e.V. verlangt zudem eine Geste der Wiedergutmachung seitens der umstrittenen alten Dame, die aus der Privatschatulle Hitlers sieben Millionen Mark für die Produktion bekommen haben soll, wogegen das karge Salaire der Ziegeuner-Komparsen direkt an die Leitung der beiden Konzentrationslager Marzahn und Maxglan ging.
Die Protestkundgebungen hatten also ihren guten Grund und es war ein Verdienst des Anonymus, die Namen der später in Auschwitz oder anderen Lagern umgebrachten Sinti und Roma zu verlesen. Ganz und gar undemokratisch allerdings war, dass er das Publikum daran hindern wollte, den erst 1954 fertig gestellten Film überhaupt zu sehen.
So kam es nach tumultartigen Szenen, die durch einige riefenstahlbegeisterte, ältere Zuschauer mit verursacht wurden, dazu, dass uniformierte Polizisten die Störenfriede aus dem Saal entfernten. Schade, denn man sollte doch wissen, worüber man urteilt. Leni Riefenstahl flüchtete sich nach ihren das NS-Regime verherrlichen-den Dokumentarhymnen “Triumph des Willens” und “Olympia” in den Kriegsjahren mit “Tiefland” in eine lichtumklärte Kostümschmonzette.
Die geographische Entrückung der Geschichte in albern wirkende, mythenumrankte spanische Gebirgsreginen, verzückte Pseudoflamencotänze der damals fast Vierzigjährigen, die durch ent-sprechende Lichtsetzung wie zwanzig wirken sollte und eine Stilisierung der Hauptfigur zur Guten, unschuldig in den Fängen es Despoten Gelandeten sprechen eine im Gegenlicht theatralisch überhöhte, eigene Sprache. Sie habe sich immer ausschließlich für die Ästhetik ihrer Filme interessiert, behauptet die Hundertjährige auch heute noch, doch das Verdrängte bahnte sich seinen Weg schon in “Tiefland”. Es scheint, als habe sie sich von einer Schuld reinwaschen wollen.
Der durch Bernhard Minetti dämonisch wirkende Großgrundbesitzer, der seine Untergebenen entrechtet, ausbeutet und misshandelt, weist deutliche Führer-Parallelen auf, die arme Naive, schuldlos Abhängige wäre Leni Riefenstahl wohl selbst gern gewesen. Wie konnte sie, die in der anschließend gezeigten Dokumentation von Sandra Maischberger noch einmal bekräftigte, dass sie sich immer wie ein zwanzigjähriges Mädchen gefühlt habe, auch wissen, dass gerade ihre — harmlos formuliert — politische Gedankenlosigkeit und das in Bezug auf andere gänzlich fehlende Mitfühlen neuer Anlass zu abermaliger Schuld sein würde? Uneinsichtig und stur aber bleibt sie ein Phänomen, an dem sich die Geister scheiden.
Crossover Summercamp beendet
Nachtrag vom 30.August:
Ein
Auswertungstext zum Camp erschien am 30.8. Zuvor gab es schon einen Auswertungsstext auf Indymedia. Ganz neu und superinteressant: Die gerade ins Netz gestellten Audio-Dateien vom Camp.
Am heutigen Sonntag, den 11.08.02 endete das 1. CrossOver Summercamp in Cottbus. Cirka 350 Menschen aus verschiedenen euopäischen Ländern diskutierten eine Woche lang über das Zusammenwirken verschiedener Macht- und Herrschaftsverhältnisse wie Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus etc. In unterschiedlichen Workshops wurden diese Thematiken auf theoretischer Ebene behandelt, woraus sich verschiedene symbolische Aktionen in und um Cottbus entwickelten.
So beschäftigten sich die TeilnehmerInnen des Camps mit dem rassistischen Überfall auf einen Kubaner, der am 03.08.02 an einer Cottbusser DEA-Tankstelle attackiert worden war. Dort treffen sich regelmäßig Gruppen von Neonazis — auch die mutmasslichen Täter. Freitag Abend wurde die Tankstelle in einer erfolgreichen Aktion von etwa hundert CampteilnehmerInen besetzt, wobei mit Flugblättern auf die Hintergründe der Aktion aufmerksam gemacht wurde. Hier gibt es Fotos von der Aktion. Mit der Besetzung der Tankstelle wurde ein seit zwei Jahren von Neonazis okkupierter und terrorisierter Raum — symbolisch und temporär- zurückerobert, um gegen die gesellschaftliche Akzeptanz von Naziorten und rassistische Gewalt zu protestieren.
Einige Tage zuvor gab es Workshops zum Thema “Konstruktion von Geschlechtern”. Um zu zeigen, dass die Aufteilung in “männlich” und “weiblich” sozial konstruiert ist und um auf die Geschlechternormierungen, die sich z.B. in geschlechtsspezifischen Dresscodes ausdrücken, aufmerksam zu machen, wurde am nächsten Tag bei der Modekette H&M eine öffentlichkeitswirksame Aktion veranstaltet. Die Frauen- und Männerabteilung wurden vertauscht, indem die Kleidung von der einen in die andere gebracht wurde. Männer zeigten gegenüber FachverkäuferInnen Interesse für Frauenkleidung und Frauen für Männerkleidung. Weiterhin liessen sich bei der Drogeriekette “Müller” nackte Menschen über Parfüm und Nagellack beraten. Damit wurde einerseits die Sexualisierung menschlicher Körper angesprochen, andererseits wurde auf die gesellschaftliche Kodierung der nachgefragten Artikel als weibliche Artikel verwiesen und vorherrschende Schönheitsideale kritisiert.
Das Camp hatte den Anspruch, Herrschaftsverhältnisse bewußtzumachen und in die öffentliche Diskussion einzubringen, gerade auch durch kreative, symbolische Aktionen. Obwohl das Camp von der günstigeren Lage in der Stadt zum Stadtrand verlegt wurde und somit viel von seiner Aktionsfähigkeit einbüssen mußte, konnten dennoch viele Aktionen in die Stadt getragen werden. Leider schienen die Inhalte trotz guter Vorbereitung nicht immer vermittelbar.
Zum Abschluss des CrossOver Sommercamps versammelten sich am gestrigen Samstag, den 10.08.02, etwa 100 CampteilnehmerInnen auf dem Vorplatz der Stadthalle zu einer Kundgebung mit dem Schwerpunkt “Arbeit, Gender und Migration”. In einem Redebeitrag wurden nocheinmal die damit verknüpften Herrschaftsstrukturen und ihr unweigerlicher Zusammenhang thematisiert. Anschliessend zogen sie demonstrierend durch die Cottbusser Innenstadt und kehrten dann zum Camp zurück, das anschliessend aufgelöst wurde.
Alle Artikel auf einen Blick
Noch mehr zum Camps findest Du beim Webjournal www.xover.asncottbus.org und auf der Mobilisierungsseite summercamp.squat.net.
Der vorbereitende Reader für das Camp enthält viele Informationen zu den stattgefundenen Workshops. Download hier.
Wir campen uns queer
Nach zwei Jahren theoretischer Auseinandersetzung und Vorbereitung fand vom 3. bis 11. August in Cottbus das Crossover-Summercamp statt. Vom strömungsübergreifenden Ansatz her sicher das am weitesten gehende der
unzähligen Politcamps dieses Sommers. Schließlich ist der Leitsatz der Crossover-Bewegung, dass „all die verschiedenen gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse untrennbar miteinander verknüpft sind und sich wechselseitig durchdringen und oft stabilisieren.“ So stand es im Aufruf für das Camp in Cottbus, so stand es im Aufruf für die vorbereitende crossover-conference in Bremen (Januar 2002) und so war
und ist es auf Flyern, in Texten … immer wieder zu lesen. Als Ziel wird dabei formuliert, „zum Aufbau einer neuen Konstellation politischer Strömungen beizutragen.“ Und das meint vor allem, dass neben den in den drei etablierten Hauptströmungen Antirassismus, Antifaschismus und
Antikapitalismus auch antisexistische Positionen einen höheren Stellenwert in linker Debatte und Praxis bekommen sollen, und zwar nicht nur als Lippenbekenntnis. Denn: „Wir wollen ein Ende der Dominanz der heterosexuellen Kultur in der radikalen Linken.“ Soweit der Anspruch. Und was brachten die Tage in Cottbus? Der größte Erfolg ist wohl
banalerweise, dass das Camp überhaupt stattgefunden hat. Das ist verglichen mit dem formulierten Eigenanspruch des Camps nicht viel, doch in Zeiten, in denen Machismo und Mackergehabe in der Linken weiterhin unreflektiert und unkritisiert durchgehen, ist das Stattfinden immerhin
mit „Immerhin“ zu bewerten.
Aber da sind wir schon bei der Kritik: Nach Cottbus dürfte klar sein, dass das Konzept der vielen Sommercamps, bei dem sich jede/r den Themenschwerpunkt und die Leute seiner/ihrer Wahl aussuchen kann, gescheitert ist. Die Grenzcamps in Jena (250 Leute) und Hamburg ( …)
sowie das Crossover-Camp in Cottbus (150) zeigen, dass es zwar schön ist, mit 150–250 Leuten im Wesentlichen einer Meinung zu sein, der geforderten und dringend nötigen Auseinandersetzung um Standpunkte dabei aber locker aus dem Weg gegangen werden kann. Wurde nach heftiger
Auseinandersetzung auf dem Grenzcamp 2001 in Frankfurt und der crossover-conference in Bremen mit mehr als 500 TeilnehmerInnen noch klar die Fortsetzung der Debatte und Übertragung in eine politische Praxis gefordert, konnte Cottbus diesem Anspruch nicht gerecht werden.
Dementsprechend harmonisch war die Woche in Cottbus. Nicht, dass ich etwas gegen Harmonie hätte, für ein politisches Camp, das sich an der Verknüpfung linker Themen wie z.B. Rassismus messen lassen will, war es dann doch etwas zu ruhig. Und für eine Woche Sommerurlaub hätte sich
sicher ein lauschigeres Plätzchen gefunden. Ganz offensichtlich gab es auf dem Camp keinen Konsens darüber, wie man/ frau gegen den rassistischen Alltag vor Ort, zu dem im Übrigen ein Nazi-Überfall auf einen Kubaner am Tag vor der Camperöffnung zählt, vorgehen kann. Zum
einen dauerte es fünf Tage, ehe sich überhaupt ein paar Leute zusammenfanden, die eine Aktion gegen den Überfall planten. Da sich die Faschos in Cottbus und Umgebung bevorzugt Tankstellen als Treffpunkt suchen und auch der Überfall auf den Kubaner an einer solchen geschah,
war der Aktionsort relativ bald klar. Mit welchen Ansprüchen Leute nach Cottbus gereist waren, zeigte sich dann aber auf einem sieben(!)stündigen Plenum. Da die Mehrheit der TeilnehmerInnen scheinbar in relativ nazi-freien Gegenden wohnt und sich scheinbar auch nicht im
Klaren darüber war, dass linke Präsenz in Cottbus auch heißen muss, sich mit den Menschen zu solidarisieren, die jede Woche in Gegenden wie diesen angegriffen werden, war eine wesentliche Devise, die Nazis auf keinen Fall zu provozieren und sich mit der Bullerei gut zu stellen.
Schließlich sei es wichtiger, einem Angriff auf das Camp zu entkommen.
Wahrscheinlich haben viele erstmals gemerkt, was es heißt, als Migrant/Linker/Homosexueller usw. täglich in sogenannten “National befreiten Zonen” zu leben Ein ziemlich zynisches Verhalten, schließlich haben die Opfer rassistischer Gewalt meist nicht diese Wahl.
Als dann aber doch die wichtigsten Facts der Aktion an der Nazi-Tanke ausgetauscht wurden, sich eine Mehrheit auf dem Plenum dafür begeistern ließ und der Rest zumindest nicht dagegen stimmen wollte, machte ein Veto das Chaos perfekt. Offensichtlich hatte sich niemand auf dem Plenum mit der Konsequenz eines Vetos auseinandergesetzt und die ModeratorInnen nur danach gefragt „weil das halt so üblich ist.“ Obwohl nach immerhin jetzt schon vierstündigem Plenum die Stimmung immer gereizter wurde und viele sauer waren, versicherten sich alle, dass ein Veto ein Veto ist und die Aktion keinesfalls an dem vorgesehenen Tag (an dem auch das
Plenum war) stattfinden darf. Über das offensichtliche Machtinstrument „Veto“ und dem Einfluss einer Person über die Interessen des gesamten Camps wurde nicht diskutiert.
Allerdings zeigte schon derselbe Abend, wie ernst das Camp die auf dem eigenen Plenum verabschiedeten Beschlüsse nahm. Auf eine Anfrage der Antifa aus dem 30 Kilometer entfernten Guben nach einer Tankstellenbesetzung, dem Treffpunkt der örtlichen Nazis, folgten genau die 70 Leute, die sich zuvor auf dem Plenum für eine Tanken-Aktion in Cottbus ausgesprochen hatten. Schließlich hatte es auf dem Plenum ja
nicht explizit ein Veto gegen eine Aktion in Guben gegeben. So schnell kann man/ frau die eigenen Entscheidungsstrukturen umgehen und damit der
Lächerlichkeit preisgeben. Letztlich war die Aktion in Guben aber als Ventil für das Klima auf dem Camp wichtig, zu viel Frust hatte sich zuvor angesammelt und es ist schon erstaunlich, wie schnell sich durch ein halbwegs erfolgreiches gemeinsames Auftreten das Zusammengehörigkeitsgefühl wieder kitten lässt.
Und die Aktion war wichtig für den Umgang mit der Bullerei: Kamen diese bis dato jeden Morgen überfreundlich auf das Camp und wollten sogar mit einem Zivi-Wagen über das Camp fahren, um „den Leuten hier ein Gefühl von Sicherheit zu geben“, waren an dem Tag nach Guben klar, dass sich
auf der Wiese am Rand von Cottbus kein Pfandfinderlager mit Hippies befindet, sondern dass es um die Vermittlung von Inhalten geht, was natürlich eine Kritik an der gesellschaftlichen Exekutive einschließt. Schlimm nur, dass das erst am drittletzten Tag gelang, wie überhaupt zu
konstatieren ist, dass die Mehrheit der CampbesucherInnen erstaunlich unerfahren und ängstlich im Umgang mit der Bullerei war. So reichte die Vermutung, dass sich nach 15 Minuten Aktion in Guben die Cottbusser Bullerei auf die Beine macht, um Hals über Kopf abzuhauen und Gubener
Antifa-Kids zurückzulassen, denen klar war, dass sie noch am selben Abend Prügel zu erwarten hatten. Der Anteil von 75 % weiblich konstruierten Menschen kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Vielmehr war der Umgang mit der Bullerei auf dem Camp lange Zeit kein Thema und so wurde auch nicht darüber nachgedacht, wie die Vermittlung
von antirepressivem Verhalten in einem Workshop o.ä. aussehen kann.
Doch das Camp war nicht nur zum Meckern, wie das bisher Geschriebene auch nicht verstanden werden soll. Schließlich ging es ja den VorbereiterInnen um Selbstreflexion und das Aufbrechen von Geschlechterkonstruktionen. Und das bisher Beschriebene zeigt ja nur, dass selbst die dekonstruktivistischen Teile der linken immer wieder in
Rollenverhalten verfallen und sich Strukturen bedienen, die sie eigentlich abschaffen wollen. So könnte auch das Auftreten von so etwas wie „positivem Sexismus“ interpretiert werden. Dieser Begriff ist dem des „positiven Rassismus“ angelehnt, wonach Menschen in bestimmte
Verhaltensmuster gedrängt werden, die angeblich kulturell begründet und für positiv erachtet werden, wie der Döner-Türke oder der gut kochende Chinese. In der Linken führte das vor allem in antirassistischen Kreisen dazu, dass nicht mehr zwischen „Arschloch“ und „Nicht-Arschloch“
unterschieden wurde, sondern die Bewertung von Verhalten mit der Hautfarbe zwischen gut und schlecht variierte. Ich weiß nicht, ob man diese Begrifflichkeit auf Sexismus und sexualisiertes Verhalten übertragen kann, finde aber schon, dass Verhalten nicht-hetero-sexueller Menschen ebenso kritisiert gehört wie das von Heteros oder –as. Und wenn
es auf dem Camp um den Abbau von Dominanzstrukturen gehen soll, muss es auch um diese Strukturen in sexuellen oder sonstigen Beziehungen gehen. Nur gibt es scheinbar den Konsens, gleichgeschlechtliche Paare deswegen nicht zu kritisieren, während ohne Zweifel (und völlig richtig) ein Mann vom Camp fliegt, der sich seiner Freundin gegenüber ähnlich dominant verhält wie es vor allem bei Lesben-Paaren zu beobachten war. Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit noch weit auseinander.
Dass solches Verhalten nicht öffentlich diskutiert wurde, lag u.a. auch an der wiederholten Selbstbestätigung, wie harmonisch das Camp doch sei und an einer Art selbstauferlegtem Tabu, die Harmonie nicht zu brechen.
Dabei geht es gar nicht darum, das Definitionsrecht der Frau von sexistischem Verhalten und alle damit verbundenen Rechte zur Überwindung patriarchaler Strukturen in Frage zu stellen. Über die Notwendigkeit dieser Rechte dürfte in emanzipativen Kreisen ohnehin keine Diskussion
bestehen. Nur geht die Umsetzung an der Sache vorbei, wenn dieses Recht in einem Klima der Unsicherheit und Angst durchgesetzt wird. Ein Beispiel: Am vorletzten Camptag wurde ein Mann kurz nach seiner Anreisewegen eines sexistischen Übergriffes aus der Vergangenheit vom Camp
geworfen. Als Gremien, die diesen Rauswurf durchsetzten, hatten sich schon vorher eine Männer- und eine Frauen-Lesben-Gruppe gebildet. Als dieser Vorfall auf dem Abschlussplenum dargestellt wurde, gab es keine
Nachfragen, was eine Moderatorin zu dem Schluss kommen ließ, das Camp komme seinem Anspruch in anti-sexistischem Verhalten sehr nahe, auf anderen Camps wäre so ein Rauswurf schließlich nicht so ohne weitere und möglicherweise verletzende Nachfragen durchgegangen. Nur hatte sie dabei
übersehen, dass es im Plenum schon ein gesteigertes Interesse an den Details gab, was auch die nach Plenumsende beginnende Diskussion in Kleingruppen bewies. Was die Leute am Fragen hinderte war einzig die Angst vor einem Fettnäpfchen und der folgenden Anpisse.
Was bleibt von Cottbus ist also die Einsicht, dass auch die
Crossover-Bewegung nach so hoffnungsvollen letzten zwölf Monaten immer wieder in die eigenen Widersprüche verfällt. Das ist nicht verwunderlich in einer Linken, die am Beispiel Israel deutlich macht, dass es oft vielmehr um eigene Profilierung und Machterhalt geht als um die Analyse
und Überwindung von Machtverhältnissen. Zuversichtlich stimmt, dass es in Cottbus tatsächlich Ansätze einer strömungsübergreifenden und dekonstruktivistischen Praxis gibt, was die letztlich dann doch durchgeführte Tanken-Besetzung in Cottbus beweist oder eine Aktion zum
Thema Geschlechternormierung, Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexismus und Schönheitsideal, bei der in den Modekaufhäusern „Kleidungsstücke jeweils von der einen in die andere Abteilung getragen wurden, um auf die
Normierung von Menschen durch geschlechtspezifische Kleidung aufmerksam zu machen. Desweiteren haben sich die AktivistInnen entgegen der herrschenden Geschlechts- und Kleiderordnung in den Geschäften umgezogen und für einige Verwirrung gesorgt,“ wie es in der Pressemitteilung vom
Camp heißt.
Ob es eine Zukunft für Crossover gibt und wie diese aussieht, ist zurzeit schwer zu sagen. Das Interesse vor allem von jungen Leuten hat die conference in Bremen und mit Abstrichen auch das Camp gezeigt, dass viele „politikerfahrene“ Alt-Linke das Thema noch immer als Kinderkram abtun, allerdings auch.
do.di
(Inforiot) Dieser Text wurde von einigen TeilnehmerInnen des Crossover Summercamps aus Leipzig geschrieben. Es ist der zweite auswertende Text der uns vorliegt, hier kannst Du den ersten nachlesen. Des weiteren gibt es noch ganz frisch Audio-Dateien, die Aktionen und das Camp an sich dokumentieren sowie den Aufruf, Material und eine ganze Menge Berichte vom Camp.
stoiber war in cottbus
COTTBUS. gestern, am 28.08.02, war edmund stoiber im zuge seiner wahlkampftour in cottbus. um 19.00 sollte er auf dem oberkirchplatz auftreten. knappe 2 stunden davor war die innenstadt schon mit polizei zugepflastert: so ungefähr 25 „sixpacks“ sorgten sich um die sicherheit des kanzlerkandidaten. nicht weniger besorgt waren die vielen cdu-anhänger und parteimiglieder, die allesamt mit „ordner“-binden über den platz schwadronierten: taschenkontrolle am abgesperrten zuhörerInnenareal.
zur überbrückung der wartezeit hat sich eine dixielandkapelle postiert und schrammelte ordentiich was los. nach und nach kamen immer mehr leute an, die sich offensichtlich als opposition verstanden: schilder mit „wenn stoiber kommt, geht d‑land“ bezogen sich wahrscheinlich nicht auf „dixieland“ und auch ne knapp 10-köpfige gruppe mit selbstgemachten„ausbildungsplätze für alle. stoppt stoiber“-t-shirts war da. außerhalb des cdu-gatters sammelten sich dann nach und nach eine menge punks mit „stoppt stoiber“ plakaten. auch schön: eine buchstabenreihe mit „BLA BLA BLA“.
insgesamt vielleicht 400 leute inclusive –na, hm, schwer einzuschätzen- 130 (?) protestierenden.
noch bevor irgendwas losging, bemerkte ein älterer herr einigen leuten gegenüber, daß er das nicht schön fände, was sie vorhätten. irritiert auf diese äußerung angesprochen, wollte er sich die namen der personen geben lassen. naja – bürgerwache.
dann kam stoiber und dixieland ging: unbarmherziger stadionrock markierte den einmarsch des unionskandidaten.
waldemar kleinschmidt –ex-oberbürgermeister von cottbus und bundestagsanwärter in dieser wahl- begann mit der show, indem er alles und jeden herzlich willkommen hieß. erste proteste waren zu hören, als er meinte, man könne dankbar sein, edmund stoiber heute live zu erleben und von leuchttürmen in cottbus sprach. „stoiber raus“-rufe auch, als kleinschmidt begann, die schwächen der rot-grünen regierung zu sezieren.
jörg schönbohm, general a. d., setzte zu flutkatastrophen-gejammer an, beschwor die deutsche tatkraft und den zusammenhalt und rechnete danach auch seinerseits mit der bisherigen regierung ab. er wurde schon zu beginn seiner rede mit „nazis raus!“-rufen begrüßt.
nächster in der manege war lothar späth – wirtschaftsexperte der cdu mit welchem stoiber nach diesem auftritt noch im stadthaus weilte und diskutierte – und hypte waldemar kleinschmidt als jemanden, den man jetzt in berlin brauche. späth war auch der erste, der auf die proteste einging. seine aussage war in etwa folgende: diese „lebensfrohen menschen“ seien jene, die noch nicht kapiert hätten, was eine gesellschaft zu leisten hat. er freue sich aber immer, wenn er sie erlebt und könne sich wahlkampfautritte nicht mehr ohne sie vorstellen. der rest von lothars rede war schlichtweg ermüdend, sogar die „lebensfrohen menschen“ konnten sicher dieser lethargie nur selten entziehen. es ging ihm größtenteils um die flut und blutige hände, steuersenkungen und darum, den politischen gegner im schlechtesten licht dastehen zu lassen.
zwischendurch kam es immer wieder zu verbalen schlagabtäuschen zwischen den protestierenden und cdu-anhängern: man solle doch erst mal arbeiten gehen und dann… – oder auch: ihr seid doch alles nichtsnutze!.
dann kam ER.
schon zu beginn seiner rede kamen „stoiber raus!“-rufe, die schon recht ordentlich waren. stoiber machte während seiner reden öfter mal ein paar fehler und zippelte sich dann und wann am ohrläppchen oder fuhr sich über die lippen. er betonte auch –er ging extra für 2, 3 sätze darauf ein- , daß er sich von den protestierenden nicht beirren lasse. Sie seien ihm schlichtweg egal. ob dieses nicht vielleicht doch als anzeichen von unsicherheit zu werten sind, bleibt offen.
stoiber bot sich dem publikum an: wolle gerne mit jedem reden, sich zumindest jedem zeigen. die audienz nahm diese geste dankbar an und zeigte passende reaktionen.
begleitet wurde stoibers rede dann und wann von nahezu klassischen sprechchören, die sich allerdings im laufe der zeit immer seltener hören liessen.
am ende gab es noch eine festnahme. warum und was danach passierte, wie es dem menschen geht, ist nicht herausgefunden worden.
alles in allem verlief die show wie erwartet: polemik satt von der bühne und platte sprüche von den protestierenden. zum „denken“ wird sich niemand so richtig angestoßen gefühlt haben, dafür waren die positionen schon zu klar. da brauchte es auch keine wahlkampfreden mehr.
am 31.08. kommt schill nach vetschau – mal sehen, was da so passiert.
Stoiber in Potsdam
Einen Pressebericht (Titel: “Stoiber trotzt Pfeifkonzert in Potsdam”) zu den Protesten gegen Stoibers Wahlkampfveranstaltung in Potsdam gibt es hier zu lesen.
schill kommt nicht nach cottbus
entgegen der informationen auf www.schillbrandenburg.de, wonach ronald barnabas schill am 31.08.02 nach cottbus kommen soll, verkündet das büro von dirk wesslau ‑bundeswahlkampmanager und spitzenkandidat der brandenburger landesliste- ebenso wie florian gottschalk ‑pressesprecher im bundeswahlkampfteam, daß dieser auftritt verlegt wurde.
schill komme demnach am 31.08.02 um 17.00 uhr auf das 700 jahre — stadtfest nach VETSCHAU.
Samstag: NPD-Demo in Schwedt
Am Samstag um 13.00 Uhr findet in Schwedt mal wieder eine NPD ‑Demo statt. 200 bis 300 Leute sind von einem Neumann angemeldet worden.
Route: vom PVG Busbahnhof zum Platz der Befreiung mit dortiger Kundgebung Das Ganze soll von 10 – 18 Uhr gehen.
Die Stadtverordnetenversammlung hat per Presseerklärung mitgeteilt, dass die demo ignoriert (also toleriert..) wird.
BERNAU (MOZ, 26.8.02) Versucht und gewonnen. Nein, die Rede ist nicht vom Sieger der 1. Bernauer Skateboard Jam. Es geht um die Veranstaltung selbst. Die Stadt Bernau und der Jugendtreff Dosto hatte den Versuch gewagt, einen echten Trendwettbewerb an den Rand von Berlin zu holen und landeten damit einen Volltreffer.
“Wo wollen denn die Jungs alle mit diesen Rollbrettern hin?” Gerda Schnell aus Karow staunte am Sonnabendmittag nicht schlecht. Mit ihrem Mann war die Rentnerin nach Bernau gekommen, um im Schatten der Stadtmauer Spazieren zu gehen. Als sie erfuhren, dass mit den “Boards” kleine Kunststücke vorgeführt werden, folgte das Paar dem
Strom der jungen Leute zum Skatepark in der Ladeburger Chaussee.
“Ich dachte, das wären so Rüpel, die einem über die Beine fahren”, erzählt Ehemann Karl, “aber das ist ja ein ganz friedliches, buntes Treiben.” Wenn die beiden Alten nach einer kurzen Weile doch wieder gen Innenstadt zogen, lag das an der prallen Sonne und der lauten Musik. “Das vertragen wir nicht mehr so”, lachte Frau Schnell.
Die bis zu 200 jungen Leuten aus dem ganzen Barnim und Berlin fühlten sich bei den Klängen richtig wohl. Rund 60 Jungen von 9 bis 30 Jahren hatten für den Wettbewerbsmarathon über drei Disziplinen gemeldet. In drei Altersklassen zeigten sie beim “Streetstyle”, auf der “Miniramp” (Jahnturnhalle) und schließlich beim “Pure Streetstyle” vor der Stadthalle ihre Künste. Dort fuhren die Besten sogar über ein altes Auto.
Begeistert war der neunjährige Jeffrey Barz von der 3. Grundschule Bernau bei der Sache. In jeder Wettbewerbspause kurvte der Junge geschickt über die Bahnen. “Das macht total Spaß”, sagte Jeffrey und kümmerte sich nicht um die Schrammen am Auge. “Da bin ich vor zwei Tagen beim Üben gestürzt”, erzählt er, “macht aber nichts!”
Vater Gerd Barz freute sich über das Hobby des Sohnes. “Er war beim Judo und Handball, aber das hier ist seine Welt.” Vor allem aber gefällt dem Vater der Umgang der Skater untereinander. “Kein Streit, kein Ärger, da werden schon mal die Bretter ausgetauscht, wird den Kleinen geholfen”, erzählt er.
Diese prima Atmosphäre begleitete die ganze Veranstaltung. Gut organisiert und vom Bernauer Skater-Ass Nico Grunze dirigiert, zog der Tross von Station zu Station. Immer wieder kamen Schaulustige auf ihre Kosten. Grunze versuchte sie bei der Moderation auch mit den abenteuerlich klingenden Namen der Tricks wie “Backside Lipslide” bekannt zu machen.
Christian Rothenhagen aus Berlin, einer der vier Jury-Mitglieder, machte Bernau ein Kompliment. “Wir wollten mal sehen, ob so etwas außerhalb von Berlin geht? Es geht super. Das muss eine Tradition werden”, sagte der 30-Jährige, der seit 16 Jahren auf dem Board steht.
Neben dem Sport begeisterte alle das “Oxo 86”-Konzert. Für die Party in der “Quila Bar” war mancher dann aber zu müde.
Veranstalter und Sponsoren haben mit der Skater Jam jedenfalls den Nerv der Jugend getroffen.
hallo
vom 03.08. bis 11.08. fand das crossover summercamp in cottbus statt. wenn jemandem nicht ganz vertraut ist, was es damit auf sich hatte, dem sei www.summercamp.squat.net ans herz zu legen.
um es kurz zu machen: es gibt ein audio-camp-tagebuch.
wenn ihr euch einen eindruck verschaffen wollt, wie diskussionen oder aktionen während des camps gelaufen sind oder mal hören wollt, wie “the haggard” den stromausfall während des konzertes überbrücken, dann schaut mal vorbei.
weil die mitschnitte unverfälscht sind, ist eine objektivere grundlage für kritik gegeben.
http://de.indymedia.org/2002/08/28164.shtml wäre da ein anfang.
audio-camp-tagebuch auf: www.media.asncottbus.org
bis dahin.