Ein 34-jähriger Pakistaner ist in der Nacht zum Donnerstag (15.08.02) in Frankfurt/Oder von zwei Männern geschlagen und fremdenfeindlich beschimpft worden. Der Mann war zunächst gemeinsam mit einer Gruppe von sechs alkoholisierten Männern zwischen 18 und 23 Jahren im Bus gefahren. Nachdem die Betrunkenen den Fahrer beschimpften, sind sie aus dem Bus verwiesen worden und hatten den Pakistaner verfolgt, der eine Haltestelle später ausstieg. Alle sechs Verdächtigen sind vorläufig festgenommen worden, fünf von ihnen blieben in Gewahrsam.
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BERLIN taz Der Auftritt signalisierte rot-schwarze Geschlossenheit: In der V‑Mann-Affäre präsentierten sich gestern Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und der SPD-Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) im Potsdamer Landtag einmütig. Schönbohm erklärte, er werde Vorwürfen nachgehen, dass der seit drei Wochen in Berlin inhaftierte V‑Mann Toni S. “aus dem Ruder gelaufen sei” und “Straftaten über das vereinbarte Maß hinaus” begangen habe. Trotzdem wolle er auch in Zukunft daran festhalten, dass V‑Leute Straftaten begehen dürften.
Der PKK-Vorsitzende Christoph Schulze erklärte, die Mehrheit des Ausschusses billige das Vorgehen des Innenministeriums. Die PDS-Abgeordnete Kerstin Kaiser mochte den Persilschein nicht unterschreiben. Für sie steht fest, dass Toni S. aus dem Ruder lief. Ihren Antrag, alle Akten zur Affäre einzusehen, lehnte die PKK ab. Stattdessen sollen Ende August die Berliner Staatssekretäre für Inneres und Justiz vorgeladen werden.
Sowohl die PKK als auch Schönbohm erneuerten den Vorwurf, Berliner Indiskretionen hätten dem Kampf gegen Rechtsextremismus geschadet. Auch beim Dementi um einen möglichen Informanten des Landeskriminalamtes gab es Schuldzuweisungen. Ein entsprechender Aktenvermerk des LKA Sachsen-Anhalt sei deren “Bockmist”, so Schönbohm.
POTSDAM/BERLIN Die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags hat das Verhalten des Potsdamer Verfassungsschutzes in der V‑Mann-Affäre um den Cottbuser Neonazi Toni S. gestern gebilligt. Zugleich machte das Gremium Berliner Strafverfolgungsbehörden für einen schweren Rückschlag in der Bekämpfung des Rechtsextremismus verantwortlich. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) räumte allerdings ein, dass Spitzel S. ohne Wissen des Geheimdienstes Straftaten begangen hatte. Die PDS sprach deshalb davon, Toni S. sei “aus dem Ruder gelaufen”.
Mit der Enttarnung des Agenten habe Berlin die koordinierte Arbeit mehrerer deutscher und ausländischer Nachrichtendienste “in unwiederbringlicher Weise kaputtgemacht”, kritisierte PKK-Vorsitzender Christoph Schulze (SPD). Die unter brandenburgischer Federführung geplante Zerschlagung eines €paweiten rechtsextremen Musiknetzwerkes sei “in greifbarer Nähe” gewesen. Der durch das unabgestimmte Agieren der Berliner Exekutive und der Festnahme des 27-jährigen V‑Manns angerichtete “Flurschaden” sei “gigantisch” und “völlig unnötig” gewesen, beklagte Schulze. “Es ist unerklärlich, was einige Leute in Berlin da geritten hat.”
Fehler des Potsdamer Geheimdienstes in der V‑Mann-Affäre konnte die PKK nach eigener Auskunft nicht erkennen. Nach ausführlicher Information durch Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin hätten “alle Mitglieder” zum Ausdruck gebracht, “dass man Hintergründe, Anlass und Ablauf vollständig nachvollziehen kann”, betonte Schulze. “Die PKK billigt unter Maßgabe des jetzigen Informationsstandes das Handeln der Behörde”, hieß es. Es sei nach jetzigem Wissensstand auch nicht erkennbar, dass aus der Affäre strukturelle Konsequenzen gezogen werden müssten: weder für den Umgang der Behörde mit Vertrauensleuten noch für Entscheidungsabläufe innerhalb der Geheimdienstbehörde. Diese Auffassung vertrat auch Innenminister Schönbohm (CDU). Präzisiert werden soll möglicherweise das brandenburgische Verfassungsschutzgesetz.
Allein die PDS, die eine Zusammenarbeit mit V‑Leuten grundsätzlich ablehnt, betrachtet das Handeln des Verfassungsschutzes nach wie vor mit Skepsis. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Kerstin Kaiser-Nicht, die ihre Partei in dem vierköpfigen Kontrollgremium vertritt, beantragt weiterhin Akteneinsicht. Die SPD-CDU-Mehrheit in der PKK hatte den Antrag abgelehnt und auf die nächste Sitzung am 22. August vertagt, an der auch Berliner Behördenvertreter teilnehmen sollen. Es sei dennoch “unerklärlich”, so Kaiser-Nicht, “dass die PKK ihr Akteneinsichtsrecht nicht wahrnimmt” — zumal bereits nach jetzigem Erkenntnisstand erstaunen müsse, “dass sich ein V‑Mann in dem Umfang an der Verbreitung rechtsextremer CDs beteiligen konnte”. Dies sei “ein Skandal”.
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt nach wie vor gegen Toni S. Es werde im Zusammenhang mit der Zweitauflage der CD “Noten des Hasses” weiter “geprüft, in welchem Umfang er an Herstellung und Vertrieb beteiligt” war, sagte Sprecherin Ariane Faust. Weder Toni S. noch dem Berliner Lars B., der als zweiter Beschuldigter in dem Verfahren in Untersuchungshaft sitzt, werde vorgeworfen, Mitglied der Neonazi-Band “White Aryan Rebels” zu sein. Aus Kreisen Berliner Sicherheitsbehörden wurde S. bislang als Kopf der Band bezeichnet. Der brandenburgische Verfassungsschutz hatte dies stets bestritten und statt dessen den ehemaligen Berliner Vorsitzenden der verbotenen rechtsextremen FAP, Lars B., in dieser Rolle gesehen.
Den Verdacht, dass es in Brandenburg einen zweiten V‑Mann-Skandal gebe, wies die PKK gestern ebenfalls einstimmig zurück. Der ehemalige Brandenburg-Sektionschef der verbotenen militanten Skinhead-Gruppe Blood & Honour sei zu keinem Zeitpunkt Informant, Tipgeber oder V‑Mann des Landeskriminalamtes gewesen, erklärte Christoph Schulze. Sven Sch., der deutschlandweit mit rechtsextremer Musik handelt, war auf einer neonazistischen Internet-Seite als LKA-Spitzel bezeichnet worden. Als Beleg diente ein Vermerk des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt. “Der Vermerk ist inhaltlich falsch”, sagte Schulze.
Kommentar von Frank Schauka
Fehler
Die V‑Mann-Affäre um den enttarnten Spitzel Toni S. ist noch nicht restlos aufgeklärt, eine Schadensbilanz lässt sich dennoch ziehen: Fehler gemacht haben Brandenburger wie Berliner Behörden. Unbestritten war der Potsdamer Nachrichtendienst über Eigenmächtigkeiten seines Spitzels beim Vertrieb von Nazi-Musik nicht ausreichend im Bilde. Insofern war S. “aus dem Ruder gelaufen”. Ein Skandal erwüchse daraus, sollte sich bewahrheiten, was die Berliner unterstellen: Dass ein märkischer Geheimdienst-Angestellter den überzeugten Neonazi S. vor Durchsuchungen warnte. Indiskutabel bleibt in jedem Fall, dass Berliner Sicherheitsbehörden Toni S. ohne Abstimmung mit Potsdamer Stellen festnahmen, ihn durch eine Indiskretion enttarnten und in Lebensgefahr brachten. Ein Berliner Alleingang wäre nur zur rechtfertigen, wenn es Grund zu der Annahme gäbe, dass dem brandenburgischen Verfassungsschutz bis in die Führungsspitze die nötige Distanz zur rechtsextremen Szene fehlt. Diese Annahme aber ist absurd.
Am Montag den 19. August (erster Schultag nach den Sommerferien) findet um 18.00 Uhr
in der Berliner Strasse 24 im Kontaktladen des Utopia e.V. in Frankfurt das erste Treffen der „Kampagne gegen den Verkauf von rechtsextremistischen und militaristischen Zeitungen und Zeitschriften in Frankfurt (Oder)“ statt.
Die Idee zur Kampagne hatten verschiedene Antifas aus Franfurt (Oder) im Juni diesen Jahres. In unserer Stadt werden seit Jahren offen und unter den Ladentischen
mehrerer Läden rechtsextreme Zeitungen verkauft. Dazu zählen vor allem die „Deutsche National-Zeitung“ der DVU, die „Junge Freiheit“ und bis vor kurzem und vielleicht
wieder in Zukunft die „Deutsche Stimme“ der NPD.
Aber auch das Heftchen „Der Landser“, welches eindeutig kriegsverherrlichende Inhalte hat, wird fast überall angeboten. Wir wollen uns damit nicht abfinden und mit einer Kampagne gegen diesen Verkauf protestieren. Alle interessierten sind herzlich zu unseren Treffen eingeladen.
Parlamentarische Kontrollkomission will die Fälle von zwei mutmaßlichen Informanten aus der Neonaziszene aufrollen
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ist wegen seines Umgangs mit V‑Leuten seit Wochen unter Druck. Heute will er öffentlich zur Affäre um einen Neonazi und V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes Stellung nehmen, der Straftaten verübt haben soll.
Schönbohms Koalitionspartner SPD warnte den Innenminister gestern, die Fragen zu der Affäre “als Wahlkampfgetöse abzutun”. Es dürfe “nicht einmal der Anschein entstehen,” sagte SPD-Landesgeschäftsführer Günther Ness, dass durch Verfassungsschutzaktivitäten rechtsextreme Strukturen “gedeckt oder gar gefördert” würden.
Die Situation für Schönbohm hatte sich nach Berichten von taz und SFB verschärft. Danach habe ein weiterer brandenburgischer Neonazimusikhändler als mutmaßlicher Informant einer Schönbohm-Behörde gedient — dem Brandenburger Landeskriminalamtes (LKA). Schönbohm dementierte die Berichte — obwohl zuvor ein Sprecher seines Ministeriums jegliche Stellungnahme zum Fall Sven S. abgelehnt hatte. “Wir können keine Aussagen über operative Vorgänge und Verfahren machen”, sagte Wolfgang Brand.
Sven S. soll ausweislich eines Aktenvermerks im Verfahren um die Fortführung des verbotenen Neonazinetzwerks Blood & Honour als Informant des LKAs geführt worden sein. Die zuständige Staatsanwaltschaft Halle und Sicherheitskreise bestätigten die Authentizität des Vermerks.
Gegenüber der taz behauptete Sven S., ihm sei vor einigen Tagen eine Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm des LKA angeboten worden. Weiter behauptete S., er habe dieses Angebot abgelehnt. S. bestreitet, als Informant tätig gewesen zu sein und Aussagen gemacht zu haben.
Die innenpolitische Sprecherin der brandenburgischen PDS-Landtagsfraktion, Kerstin Kaiser-Nicht, kündigte an, sie werde bei der heutigen Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) Aufklärung verlangen. “Es muss nachgefragt werden, wie der Vermerk zustande kam und wie das Innenministerium ihn bewertet”, so Kaiser-Nicht. Ein Vertreter des Potsdamer Innenministeriums soll heute der vierköpfigen Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK), die die Arbeit des Verfassungsschutz überwachen soll, Rede und Antwort stehen. Im Mittelpunkt steht dabei die Affäre um den vor drei Wochen bei einem Neonazikonzert in Berlin festgenommenen V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes Toni S.
Neben den Pannen bei seiner Enttarnung durch Berliner Ermittler soll auch geklärt werden, inwieweit der Verfassungsschutz über Straftaten des V‑Mannes informiert war und ihn gewähren ließ. Schönbohm hat bislang Fehler seiner Behörde bestritten. Derweil ermittelt die Berliner Justiz auch gegen den V‑Mann-Führer von Toni S. wegen Strafvereitelung im Amt.
“V‑Leute dürfen keine Straftaten begehen”, sagt hingegen der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz. “Ansonsten muss der V‑Mann abgeschaltet werden.” Das Geheimdienstkontrollgremium das Bundestages muss sich ebenfalls mit einem straffällig gewordenen V‑Mann aus der Neonazi-Musikszene beschäftigen. Der sächsische Rechtsextremist soll für das Bundesamt für Verfassungsschutz gearbeitet haben.
Drei Nazis in Rathenow vor Gericht
RATHENOW Mit Geldbußen und zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen endete gestern ein Prozess gegen drei Rathenower Rechtsradikale vor dem Rathenower Amtsgericht. Das Gericht verurteilte die Männer der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung, einer der drei wurde außerdem noch der Beleidigung für schuldig befunden.
Verhandelt wurde ein Vorfall vom 30. Oktober 2001. Am frühen Abend dieses Tages hatten die drei Angeklagten auf dem Märkischen Platz zwei aus dem Sudan stammende Asylbewerber angegriffen. Rädelsführer des Trios war der 20-jährige Ricardo G. Er hatte die beiden Asylbewerber aus dem Heim am Birkenweg, 30 und 34 Jahre alt, ohne Grund beschimpft. “Wir müssen den Buckel krumm machen und ihr kriegt alles in den Arsch geschoben” hatte er geschrieen. Außerdem sollen die Worte Neger und Scheiß-Ausländer gefallen sein.
Bei dem verbalen Angriff blieb es indes nicht. Unmittelbar nach der Beschimpfung schlug Ricardo G. auf einen der Afrikaner ein. Die beiden anderen Rechten, zwei Brüder, 18 und 20 Jahre alt, kamen hinzu und attackierten Oussama K., den anderen der beiden Asylbewerber. Im Verlauf der Schlägerei ging dieser zu Boden, konnte sich aber aufrappeln und mit seinem Freund rechtzeitig die Flucht ergreifen.
Noch am selben Abend erstatteten sie Anzeige bei der Polizei. Ein Arzt, der die beiden untersuchte, stellte Prellungen an Armen und Beinen fest. Schwere Verletzungen diagnostizierte er nicht.
Gestern versuchten die Angeklagten, den Vorfall zu bagatellisieren. Eine Rauferei sei es gewesen, höchstens, sagte Ricardo G. Eigentlich habe man sich nur verteidigen wollen, denn handgreiflich geworden seien die Sudanesen. Die Angeklagten stritten ab, dass die Worte “Neger” und “Scheiß-Ausländer” gefallen seien.
Die Befragung der Opfer ergab ein anderes Bild. Detailliert schilderten sie den Angriff, schilderten, wie die drei aus heiterem Himmel auf sie losgegangen waren, und wie sie sich nur mit Mühe vor schlimmeren Verletzungen hatten retten können. Nahtlos passten die Aussagen zusammen, Widersprüche waren nicht erkennbar. Dass sich die Freundin eines der Angeklagten bei ihrer Zeugenaussage heillos in Widersprüche verstrickte, stützte die Version der Asylbewerber.
Der vorsitzende Richter Hendrik Buck verurteilte Ricardo G., der sich im vergangenen Jahr bereits wegen eines Flaschenwurfes auf das Asylbewerberheim vor Gericht verantworten musste, zu einer Bewährungsstrafe von 12 Monaten. Der eine der Brüder erhielt eine Strafe von 7 Monaten, der andere kam mit einer Geldbuße davon. Damit folgte das Gericht dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft.
Das Motiv der Tat sei einzig und allein Ausländerfeindlichkeit gewesen, so der Richter in seiner Urteilsbegründung. Es könne nicht hingenommen werden, dass Menschen fremder Nation in Deutschland von Rechtsradikalen völlig grundlos beleidigt und attackiert würden.
V‑Mann-Affäre: Gefährliche Grauzone
Sie flüstern in Königs Wusterhausen noch immer, wenn sie seinen Namen erwähnen: “Szczepanski war da.”
Dieser oder jener, meist aus der linken Szene, heißt es beteuernd, habe ihn gesichtet — wahrscheinlich, auch wenn das unwahrscheinlich ist: Carsten Szczepanski, den 1995 wegen versuchten Mordes an einem nigerianischen Asylbewerber verurteilten überzeugten Neonazi. Seit seiner Enttarnung 1999 als V‑Mann “Piato” des brandenburgischen Verfassungsschutzes lebt er, verfolgt von Morddrohungen enttäuschter, rachsüchtiger Gesinnungsgenossen, an einem unbekannten Ort, im Ausland vermutlich, aber genau wissen das nur wenige, und die es wissen, schweigen.
So dubios, wie Szczepanski nach seinem Untertauchen manchem erscheint, war sein Verhalten als Agent. In der rechtsextremen Szene war “Piato” für den Potsdamer Nachrichtendienst die wohl ergiebigste Quelle. Ein Präzisionsgewehr, das ein militanter Neonazi aus Königs Wusterhausen kaufen wollte, wurde nach seinem Hinweis sichergestellt. “Piato” führte die Fahnder auch zu einem Keller in Berlin. Die dort versteckte Rohrbombe sollte ebenfalls für eine Racheaktion gegen Linke benutzt werden.
Doch Szczepanski, einer der führenden NPD-Kader in Brandenburg, argwöhnen andere, war nicht nur jener Aufklärer, der gegen Geld seine Nazifreunde verriet. Merkwürdig erscheint bis heute, dass es nach seiner Haftentlassung nicht lange dauerte, bis in Königs Wusterhausen der Streit zwischen der linken und der rechtsextremen Szene eskalierte. Bald brannten Autos, auch Szczepanskis. Er selbst habe seinen Wagen angezündet, mutmaßen Insider: um die Stimmung anzuheizen und sich in Szene zu setzen. Nach seiner Enttarnung ging kein Wagen von Szene-Angehörigen mehr in Flammen auf.
“Piato”, lautet deshalb der Vorwurf, sei ein agent provocateur, ein vom Verfassungsschutz bezahlter Anstifter gewesen. Erst der Agent Szczepanski habe die rechtsextreme Szene maßgeblich strukturiert und mit seinem dominanten Führergehabe stabilisiert. Dann habe er im Auftrag und im Sold der Geheimen die von ihm geschaffenen Strukturen ausgekundschaftet.
Rätselhaft sind auch die Umstände von “Piatos” Enttarnung: Mal hieß es — dies wohl zu unrecht — Polizeibeamte hätten zuviel ausgeplaudert. Es ist hingegen nicht auszuschließen, dass die Verfassungsschutzbehörde selbst ihren Spitzel enttarnte, weil sich der ehemalige Ku-Klux-Klan-Anhänger nicht mehr führen ließ und eigenmächtig agierte. Möglicherweise hatte “Piato” den Bogen überspannt, als er dem damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der brandenburgischen PDS, Stefan Ludwig, einen Drohbrief schickte und dem Landtagsabgeordneten aus Königs Wusterhausen vielsagend “ein neues Kampfjahr” ankündigte. Offiziell hat der brandenburgische Verfassungsschutz jedoch stets bestritten, dass V‑Mann “Piato” Straftaten begangen hatte.
Im Umgang der Verfassungsschutzbehörden mit Vertrauens-Leuten ist dies das entscheidende Problem — so auch in dem seit drei Wochen öffentlich geführten Streit zwischen Berlin um Brandenburg um die Rolle des enttarnten V‑Manns Toni S. aus Cottbus. Die Berliner Behörden sind überzeugt, dass der 27-Jährige eine Schlüsselfigur im neonazistischen Musikhandel ist. S. habe sich dabei in einem Ausmaß strafbar gemacht, dass er als V‑Mann sofort hätte “abgeschaltet” werden müssen. Schon mit der stillschweigenden Duldung seiner kriminellen Tätigkeit hätten sich Polizei und Staatsanwaltschaft strafbar, verlautet aus Berlin.
Rechtlich erscheint der Einsatz von V‑Leuten des Verfassungsschutzes eindeutig geregelt. In Paragraph 6, Absatz sieben des brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes werden unter der Überschrift “Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde” die Einsatzbedingungen für V‑Leute beschrieben.
“Beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel dürfen keine Straftaten begangen werden”, heißt es dort. Dann jedoch wird eine “abschließende Aufzählung der Straftatbestände, die verwirklicht werden dürfen”, erwähnt. Diese Aufzählung erfolge “in einer Dienstvorschrift nach Vorlage in der Parlamentarischen Kontrollkommission”. Dieses Gremium, die PKK, setzt sich aus vier Landtagsabgeordneten von SPD, CDU und PDS zusammen und beaufsichtigt die Verfassungsschutzbehörde.
Die erwähnte Dienstvorschrift gibt es bis heute nicht. Daraus ist jedoch nicht zu schlussfolgern, dass V‑Leute als Quelle sofort “abgeschaltet” werden müssen, sobald sie straffällig werden. Ebenso wenig bedeutet das Fehlen der Dienstvorschrift zwangsläufig, dass der Nachrichtendienst seinen V‑Leuten einen “Freibrief zur Verübung von Straftaten ausgestellt” habe, wie die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Potsdamer Landtag, Kerstin Kaiser-Nicht, erklärte.
Die Verfassungsschutzbehörde selbst erkennt Gründe zur Rechtfertigung von Spitzel-Straftaten in den Paragraphen 86 und 86 a des Strafgesetzbuches. Sie behandeln das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen sowie das Verwenden ihrer Kennzeichen. Als Strafe für diese Vergehen sieht das Gesetz zwar grundsätzlich einen Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Doch Paragraph 86, Absatz 3 nennt Ausnahmen. Demnach ist die Propagandaverbreitung beispielsweise gestattet, “wenn das Propagandamittel oder die Handlung der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen dient”. Dieselben Ausnahmeregelungen gelten für die Paragraphen 86 a und 130 des Strafgesetzbuches. Letzterer definiert die Kriterien für Volksverhetzung. In den Paragraphen 86, 86 a und 130 geht es genau um jene Straftaten, die die Berliner Justiz dem Cottbuser V‑Mann Toni S. zur Last legt.
Das brandenburgische Innenministerium bezieht sich auf die Ausnahmebestimmung. Für die Behörde steht fest, dass die meisten dem Verfassungsschutz bekannten Straftaten des V‑Manns S. der “Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen” dienten. Das Verhalten des Agenten sei somit zu rechtfertigen — zumal durch Toni S.s Einsatz ein €paweites Netzwerk neonazistischer Musikhändler zerschlagen werden sollte. Vor diesem Hintergrund, argumentieren die Potsdamer, sei eine begrenzte Mitwirkung am Vertrieb der Hass-CDs zu akzeptieren. Nicht hinnehmbar gewesen wäre hingegen eine Beteiligung des Spitzels an der Produktion der zum Mord an prominenten Neonazi-Gegnern aufrufenden CD “Noten des Hasses” der Neonazi-Band “White Aryan Rebels”. Doch dass Toni S. an dieser CD-Produktion mitgewirkt habe, wird in Potsdam nach wie vor bestritten.
Strittig bleibt dennoch, ob der Paragraph 86, Absatz 3 des Strafgesetzbuches geeignet ist, Straftaten von V‑Männern zu legitimieren. Spitzenjuristen in Brandenburg widersprechen, allerdings inoffiziell, dieser Deutung des Nachrichtendienstes. “Für den Verfassungsschutzmitarbeiter gibt es keine Ausnahme”, heißt es in der Justiz. Paragraph 86, 3 sei “kein Freibrief” für den V‑Mann, mit Duldung des Geheimdienstes Propagandastraftaten zu begehen oder zur Volksverhetzung anzustacheln. Vielmehr müsse die Justiz ausnahmslos gegen jeden Straftäter ermitteln. Doch sei es dem Staatsanwalt erlaubt, das Ermittlungsverfahren im nachhinein einzustellen, wenn sich die Schuld des Spitzels als gering erweise.
In der Praxis kann der Staatsanwalt noch auf eine andere Weise auf den Erfolg einer Geheimdienstoperation Einfluss nehmen: über das Tempo der Ermittlungen. Habe ein Spitzel lediglich leichte Straftaten verübt, könne “man die Ermittlungen schon einmal zeitlich etwas strecken”, erläutert ein Spitzenjurist. Sollte jedoch der
Spitzel gewichtige Straftaten begangen oder sogar die Szene angeheizt haben, gebe es “keinen Grund, ihn nicht festzunehmen” — wie es die Berliner Justiz bei Toni S. getan hatte. “Wenn er der Motor war, kann man ihn nicht einfach weitermachen lassen.”
Ob Toni S. einer der Motoren des rechtsextremen Musikhandels in Berlin und Brandenburg war, ist noch nicht geklärt. Dafür sprechen könnte immerhin, dass ein Berliner Richter einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hat. Für diese Maßnahme, heißt es, müsse es gravierende Gründe gegeben.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Berliner Landeskriminalamt (LKA) Ermittlungserkenntnisse vorlegen konnte, die sogar eine Untersuchungshaft rechtfertigten. Schließlich hatte das LKA Toni S. monatelang observiert und sein Telefon abgehört. Wie gut die Berliner informiert waren, beweist auch, dass sie bei der Großaktion in der Nacht des 20. Juli das geheime CD-Depot des V‑Manns fanden. Mehr als 2000 Tonträger soll Toni S. dort versteckt haben. Der brandenburgische Verfassungsschutz als Auftraggeber des Neonazis soll davon nichts gewusst haben.
Überrascht war die Potsdamer Behörde auch darüber, dass Toni S. insgeheim erheblich mehr Exemplare der CD “Noten des Hasses” vertrieben hatte, als ihm gestattet war. Um sich in der rechtsextremen Szene zu tarnen, hatte man ihm den Vertrieb von 500 bis 1000 CDs erlaubt. Doch nach Berliner Erkenntnissen soll Toni S. 1500 “Noten des Hasses” verkauft haben: die Hälfte der ersten Auflage.
Es verstummen auch nicht die Hinweise, dass der Cottbuser ohne Wissen der Behörden an der Herstellung gewaltverherrlichender Musik beteiligt war. Als sicher gilt, dass er zumindest das Beiheft einer CD der Neonazi-Kultband “Landser” gedruckt hat. Für diese Beteiligung hat S. zwischen 90 und 100 Exemplare der CD “Ran an den Feind” erhalten, die er auf eigene Rechnung verkaufen durfte — ebenfalls ohne Wissen der Behörden. Toni S., der Neonazi, der “nur für Geld tickte”, wie es heißt, hatte damit CDs im Wert von etwa 1500 Euro erhalten.
Dass der Umgang mit V‑Leute kein spezifisch Brandenburger Problem ist, hat Anfang dieses Jahres das Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD bewiesen. In der gemeinsamen Begründung von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag, mit der die “aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung” belegt werden sollte, fanden sich zahlreiche Zitate von V‑Männern des Verfassungsschutzes. Nach offiziellen Angaben sollen 30 der 210 NPD-Vorstandsposten auf Länder- und Bundesebene mit Spitzeln der Nachrichtendienste besetzt sein. Insider deuten an, dass auf dieser Ebene noch mehr staatlich bezahlte Agenten beschäftigt sind. Insgesamt sollen in den Reihen der NPD mehr als 100 V‑Männer sitzen.
Nach Einschätzung von Rechtsexperten könnte die starke Durchsetzung der NPD mit V‑Leuten das Verbotsverfahren scheitern lassen. Süffisant behauptet die NPD-Parteispitze, dass die Gründe für ein Parteiverbot erst durch Spitzel und Provokateure des Verfassungsschutzes geschaffen worden seien. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1999 wäre dies strikt verboten. Das Gericht hatte auf eine Klage der Partei “Die Republikaner” betont, beim Einsatz von V‑Leuten sei darauf zu achten, “dass diese nicht die Zielsetzung oder Aktivitäten eines Beobachtungsobjekts entscheidend bestimmen”.
Unter Juristen kursiert bereits ein Witz, wie sich das Problem mit der NPD auch ohne Parteiverbotsverfahren rasch lösen ließe? Die Antwort: Die V‑Leute des Verfassungsschutzes in den Vorständen der Partei stimmen für die Selbstauflösung.
Kommentar von Frank Schauka
Skandalös
Agenten, V‑Leute, Informanten — wie immer man sie auch nennt: Der Umgang der Sicherheitsbehörden mit ihnen ist, nach allem, war jetzt bekannt wurde, skandalös. Der Name eines angeblichen Informanten des märkischen Landeskriminalamts hätte nie auf einer rechtsextremen Internet-Seite auftauchen dürfen. Die Verantwortung dafür liegt nicht bei der Staatsanwaltschaft, auch wenn das veröffentlichte Dokument aus ihren Ermittlungsakten stammt. Noch ist unklar, welches Landeskriminalamt die Verantwortung trägt. Die Behörde in Magdeburg hätte sich Kritik zu stellen, wenn sie von Sven Sch.s Nebenbeschäftigung bei Abhöraktionen erfuhr und sich mit dem Brandenburger Landeskriminalamt nicht konsultierte. Möglich ist auch, dass Potsdam die anhaltinischen Kollegen über die Dienste des Mannes informierte. Ganz gleich: Das Detail steht in Akten, die den Anwälten der Neonazi-Szene zugänglich sind. Durch diesen Dilettantismus wird der Neonazi möglicherweise Racheakten ausgesetzt.
Liebe Freundinnen und Freunde,
unsere Initiative führt von Freitag, dem 18.10. bis Sonntag, den 20.10.2002 im Potsdamer Tagungshaus Hochdrei das Wochenendseminar “Polizei auf dem Prüfstand.
Eine kritische Zwischenbilanz neuer Polizeibefugnisse” durch. Dazu laden wir Euch hiermit herzlich ein.
Das Seminar bietet eine ideale Möglichkeit, sich einen Überblick über Polizeiarbeit und ‑befugnisse insbesondere im Land Brandenburg zu verschaffen. Erstklassige
Referent/innen werden am Freitag und Samstag vormittag einen kompakten Überblick über wesentliche Entwicklungen des Polizeirechtes und die Struktur der brandenburgischen Polizei vermitteln.
Ziel des Seminars ist eine kritische Bewertung der seit einigen Jahren in Brandenburg geltenden polizeilichen Befugnisse (Aufenthaltsverbote, Todesschuß,
Videoüberwachung, Schleierfahndung). Die Folgen und Ergebnisse dieser Befugnisse wollen wir nach Einführungsreferaten gemeinsam in Arbeitsgruppen diskutieren. Unsere Arbeitsergebnisse sollen in einer Broschüre veröffentlicht werden.
Der Seminarplan läßt dennoch genug Raum zum gegenseitigen Kennenlernen. Wir wünschen uns ausdrücklich, daß das Seminar einen Beitrag leisten kann, interessierte
polizeikritische Gruppen miteinander bekanntzumachen und die künftige Zusammenarbeit zu verbessern.
Der Seminarbeitrag beträgt 31 Euro mit und 22 Euro ohne Übernachtung (jeweils mit Vollverpflegung). Weitere Ermäßigungen können je nach vorliegenden Anmeldungen mit
uns telefonisch vereinbart werden.
Einen Anmeldeschein und das aktuelle Seminarprogramm findet Ihr auf den folgenden Seiten.
Volksinitiative
Programm Wochenendseminar:
Polizei auf dem Prüfstand — Eine kritische Zwischenbilanz neuer Polizeibefugnisse
Die Einführung neuer Polizeibefugnisse wurde auch in Brandenburg mehrfach kritisch öffentlich diskutiert. Während die Befürworter/innen einen Zugewinn an Sicherheit
und eine effektivere Bekämpfung von Straftaten versprachen, befürchteten Bürgerrechtsorganisationen schwere Eingriffe in Grund- und Bürgerrechte. Inwieweit
sich Bedenken und Versprechungen in der Praxis bewahrheitet haben, soll in dem Seminar erstmals umfassend und kritisch untersucht werden.
Freitag, 18.10.02
Anreise 16–18 Uhr
18.00–19.00 Uhr Einführung ins Seminar
19.00–19.45 Uhr Abendbrot
20.00 Uhr Im permanenten Ausnahmezustand: Die Antiterrorgesetzgebung in der Bundesrepublik und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen — Rolf Gössner (Rechtsanwalt und Buchautor)
Samstag, 19.10.02
9.00–10.00 Uhr Frühstück
10.00–11.30 Uhr Organisation, Aufbau und Struktur der Polizei in Brandenburg N.N. (Cilip, Institut für Polizei u. Bürgerrechte Berlin, angefragt)
11.30–12.00 Uhr Vorstellung der Arbeitsgruppen
12.00–12.45 Uhr Mittagspause
13.00–14.45 Uhr Weiterarbeit in moderierten Arbeitsgruppen mit Impulsreferaten
AG Aufenthaltsverbote: N.N. Initiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei
AG Schleierfahndung: Martin Herrnkind (ehem. Sprecher BAG Kritische PolizistInnen)
15.00–16.45 Uhr AG Videoüberwachung: Dr. Fredrik Roggan (Jurist und Buchautor)
AG Polizeiliche Todesschüsse: Otto Diederichs (Cilip, angefragt)
17.00–18.00 Uhr Auswertung der Arbeitsgruppen
18.00–19.30 Uhr Abendbrot
20.00 Uhr Rassismus in der Polizei? Georg Claasen (Flüchtlingsrat Berlin, angefragt)
Sonntag, 20.10.02
9.00–10.00 Uhr Frühstück
10.00–12.00 Uhr Die Entwicklung des Demonstrationsrechtes: Bilanz und Perspektiven — N.N. (Rote Hilfe, angefragt)
12.00–13.00 Uhr Mittag
13.00–14.00 Uhr Abschlußplenum
14.00–15.00 Uhr Bilanz und Verabschiedung
16.00–18.00 Uhr Polizeiskandale in Brandenburg: Fallbeispiele aus der Praxis — Lutz Boede (Initiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei
Anmeldung an
Polizeikontrollstelle. Initiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei
14467 Potsdam, Lindenstraße 47
Tel. 0331–280 50 83
Fax 0331–237 02 72
O Ich melde mich und ___ weitere Personen zum Seminar Polizei auf dem Prüfstand vom 18.–20.10.02 in Potsdam an.
O Wir brauchen Übernachtungen für ___ Personen.
Name, Vorname und Telefonnummer für evtl. Rückfragen
Datum und Unterschrift
(Nach Empfang der Anmeldung schicken wir Wegbeschreibung und das evtl. aktualisierte Seminarprogramm zu.)
POTSDAM Brandenburgs Sicherheitsbehörden haben den Handel mit rechtsextremer Musik möglicherweise stärker beeinflusst als bekannt.
Der ehemalige Brandenburg-Sektionschef der verbotenen militanten Skinhead-Organisation “Blood & Honour”, Sven Sch. aus Potsdam-Mittelmark, soll dem brandenburgischen Landeskriminalamt (LKA) zugearbeitet haben. Sch. hatte vor drei Jahren das größte deutsche Skinhead-Konzert organisiert und besitzt inzwischen ein landesweites Vertriebsnetz für “patriotische Musik”, wie er sie bezeichnet. Dies wäre der zweite Fall einer Musik-Kooperation zwischen Staat und Neonazis. In der V‑Mann-Affäre um den enttarnten Agenten des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Toni S. aus Guben, hatte sich zuvor herausgestellt, dass auch dieser Spitzel eine Schlüsselfunktion im neonazistischen Musikhandel innegehabt hatte.
In einem internen Bericht des sachsen-anhaltinischen Landeskriminalamts vom 10. Dezember 2001 heißt es, Sch. sei “als Informant für das LKA Brandenburg geführt” worden. Die Echtheit des von Neonazis im Internet veröffentlichten Dokuments steht außer Zweifel. Die Staatsanwaltschaft Halle hat gestern bestätigt, dass das Papier Teil ihrer Ermittlungsakte gegen Sch. sei. Sprecher Klaus Wiechmann schloss nicht aus, dass einer der 37 Mitbeschuldigten von Sch. oder einer ihrer Anwälte das Dokument veröffentlicht hat, um den Brandenburger zu denunzieren. Sollte dies die Absicht gewesen sein, war sie erfolgreich. Auf der Internet-Seite wird Sven Sch. als “bezahlter ‚Stricher des Staates” verhöhnt. Racheakte angestachelter Szene-Mitglieder gegen ihn sind nicht auszuschließen.
Der 23-Jährige hat gegenüber der MAZ gestern jede Zusammenarbeit mit dem LKA bestritten. Er habe nur einmal Kontakt zu der Behörde gehabt: vor eineinhalb Jahren, damals sei er als Beschuldigter vorgeladen worden. “Ich habe nie für die Polizei gearbeitet und werde es nie tun”, sagte Sch. Zudem sei es schwer vorstellbar, dass er mit dem LKA kooperiere, während gleichzeitig die Staatsanwaltschaft Halle gegen ihn wegen des Verdachts ermittle, die Arbeit von “Blood & Honour” trotz des Vereinsverbots im Untergrund fortgeführt zu haben, argumentierte Sch. Indirekt Unterstützung erhielt er von Innenminister Jörg Schönbohm. Der CDU-Politiker wies Verdächtigungen über eine neuerliche V‑Mann-Affäre in Brandenburg vehement zurück. “Was da berichtet wird, ist falsch”, sagte Schönbohm.
Ungereimtheiten bleiben dennoch. In dem Vermerk des Magdeburger LKA wird Sch. ausdrücklich nicht V‑Mann genannt, sondern Informant. Im Gegensatz zu Vertrauenspersonen werden diese “Tipgeber” nicht vom Staat bezahlt. Informanten und Polizeibeamte kooperieren auf einer informellen Ebene.
V‑Mann-Affäre ist Parlamentsthema
POTSDAM — Mit der V‑Mann-Affäre wird sich die Potsdamer Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) für den Verfassungsschutz nun bereits am morgigen Donnerstag befassen. PKK-Chef Christoph Schulze (SPD) kündigte die Vorverlegung gestern an und forderte zugleich eine “vollständige und rückhaltlose” Aufklärung. Er halte es daher für “dringend wünschenswert”, dass auch die Berliner Seite auf Staatssekretärsebene bei der Sitzung vertreten sei. “Es sind beide Länder involviert und deshalb gehören sie auch an einem Tisch.” Ursprünglich wollte die Kommission erst am 22. August zusammenkommen.
Die PDS, die am Vortag auf eine Vorverlegung gedrängt hatte, erwartet, dass Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) umfassend Rede und Antwort stehen wird. Ausgehend von dieser Beratung werde die Fraktion ihre weiteren Forderungen — einschließlich eventuell notwendiger personeller Konsequenzen — formulieren, sagte die innenpolitische Sprecherin, Kerstin Kaiser-Nicht. Der nach der Festnahme durch Berliner Sicherheitsbehörden am 20. Juli enttarnte brandenburgische V‑Mann Toni S. sitzt in Berliner Untersuchungshaft.
Sein Verteidiger hatte am Montag einen Antrag auf Freilassung zurückgezogen. Nach Medienberichten hat der junge Mann Bedenken, in Freiheit nicht vor Racheakten der rechten Szene sicher zu sein. Gegen den V‑Mann wird in Berlin wegen Volksverhetzung, der Verwendung von verfassungswidrigen Kennzeichen sowie der Verbreitung von verfassungswidriger Propaganda ermittelt. Er war mit Wissen der Behörden am Vertrieb einer rechtsradikalen CD beteiligt.
Mit Blick auf die Spannungen, die durch die Affäre zwischen Berlin und Brandenburg entstanden sind, meinte Schulz, dass die Zusammenarbeit intensiviert werden müsse. Es wäre falsch, sie nun auf ein Mindestmaß zu reduzieren. “Berlin und Brandenburg sind aufeinander angewiesen und die Bürger beider Länder erwarten völlig zu Recht, dass die Behörden so umfassend und kooperativ wie möglich zusammenarbeiten”, erklärte der SPD-Politiker.
Am Montagabend hatten sich die Staatssekretäre für Inneres und Justiz beider Länder darüber verständigt, welche Probleme vor dem Hintergrund der V‑Mann-Affäre abzuarbeiten sind. Weitere Treffen wurden vereinbart. Schulze betonte, da noch nicht absehbar sei, ob die Berliner so kurzfristig für die Donnerstagsitzung zur Verfügung stehen könne, halte er auch weiter an dem PKK-Sitzungstermin am 22. August fest.