Für den Angriff auf einen Staatsanwalt hat das Amtsgericht Frankfurt/Oder gegen einen 27-Jährigen eine zweimonatige Bewährungsstrafe verhängt. Es sprach den Angeklagten André J gestern in einem beschleunigten Verfahren der Beleidigung und Körperverletzung schuldig. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt. Nach Auffassung des Gerichts hatte J. den 34-jährigen Beamten in der Nacht zum 3. November auf offener Straße als “Scheiß Staatsanwalt” beschimpft und dann mindestens sechs Mal ins Gesicht geschlagen. Der aus einer Kneipe kommende Angeklagte sei auf den auf der anderen Straßenseite stehenden Mann aus unbekanntem Grund zugegangen. Ohne jeden Anlass habe er den Beamten angeredet und dann grundlos auf ihn eingeschlagen, so das Gericht. Das Opfer zog sich dabei Blutergüsse und Prellungen zu. Für eine Notwehr, auf die die Verteidigung hinwies, habe es keine Anzeichen gegeben.
Neonazi-Band in Bornstedt
Monatelang hat in Bornstedt die bekannteste deutsche Neonazi-Band “Landser” geprobt. In den Potsdamer Stadtteil kam sie vermutlich im Frühjahr, nachdem das “Clubhaus der Vandalen” in Berlin-Weißensee dicht gemacht worden war, sagt ein Szenekenner vom Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) in Berlin der MAZ. Zwischen 30. September und 5. Oktober verhaftete der Berliner Staatsschutz für die Bundesstaatsanwaltschaft das Quartett samt Produzent; gestern kamen zwei wieder auf freien Fuß.
Offiziell saßen Sänger Michael R. “Lunikow” (36) und Bassist André M. (34), Christian W. (26) und Jean-René B. (34) sowie Produzent Jan W. (26) in Moabit in U‑Haft, gesehen hat sie dort keiner. “Entweder waren sie extrem abgeschirmt”, sagt der ZDK-Mann, der “gute Drähte” in den Knast hat, “oder waren woanders”.
In einem Bornstedter Keller hatte sich die Band nach “Spiegel”-Angaben immer sonntags um 13 Uhr getroffen. Die Fahnder hörten stets mit, hatten monatelang die Autos und Telefone der Band verwanzt.
Die bislang vier CDs sind weit verbreitet. “In Berlin kennt man die Landser auf jedem Schulhof”, sagt der Experte: “Die CD kostet rund 30 Mark, auf dem flachen Land bis zu 50.” Eingespielt wurden die Titel bei Resistant Records, dem größten US-Produzenten rechtsextremer Musik. Die Bänder wurden in Polen bei 30 bis 40 Pfennig Herstellungskosten zu CDs gebrannt, nach Dänemark geschickt zur Skandinavien-Filiale des vor einem Jahr in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerks “Blood and Honour” (Blut und Ehre) — bis zu seinem Tode geführt vom Brandenburger Marcel Schilf, jetzt von einem Berliner. In Werder/Havel hatte “Blood and Honour” ein Postfach, das es unter dem Adressaten “Hate Records” immer noch gibt. “Hass-Platten” sind auch die Landser-Werke: Sie rufen zu Gewalt, Mord und Krieg auf. Zitate: “Ran an den Feind, Bomben auf Israel”, “die BRD ist viel zu klein, mein Vaterland muss größer sein”, “Brot für die Welt, ihr könnt mich mal, ob andere hungern, ist mir egal”.
Über Hamburg kamen die Platten nach Deutschland, zuletzt “Ran an den Feind” (2000). Rund 8000 Stück seien gepresst, schreibt “Der Spiegel”. Beim ZDK aber glaubt man, dass es wie schon bei “Landser — Rock gegen Oben” (1998) eher “sechsstellige Stückzahlen” gibt. “8000 findet man schon, wenn man zwei grenznahe Polenmärkte abgrast”, so der ZDK-Experte.
Die “Landser” sind Ost-Berliner, der Produzent ein Sachse. Die ersten Demo-Bänder nahmen sie 1991 auf, als sie noch “Endlösung” hießen — gegründet von der “ariogermanischen Kampfgemeinschaft — Vandalen”, die es in der DDR seit 1982 gab. “Lunikow” ist der “dienstälteste” der seit 1998 bestehenden Besetzung. Sie arbeitet konspirativ mit Kenn- und Codewörtern, tritt selten und nur vor kleinstem Publikum auf, stets maskiert und zuweilen vom Lkw aus, von dem nur für vier, fünf Titel die Plane gezogen wird.
Bekannt waren lange nur Jean-René B. und “Lunikow”, der 1998 verhaftet worden war, weil er für die Nationalrevolutionären Zellen ein Scharfschützengewehr besorgte.
Laut ZDK wollte man mit der Verhaftung der “Landser” ein Exempel statuieren — offenbar nicht sehr nachhaltig.
POTSDAM Das brandenburgische Justizministerium hat damit begonnen, den Einfluss rechtsextremer Jugendlicher in den Haftanstalten des Landes zu brechen. Das bundesweit einmalige Projekt läuft in den fünf Gefängnissen Spremberg, Frankfurt (Oder), Wriezen, Oranienburg und Luckau bis Ende 2004 und kostet eine Million Mark, erklärte Justizminister Kurt Schelter (CDU) gestern. Anschließend soll das Modellprojekt “Präventive Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen” wissenschaftlich ausgewertet und bei Bedarf in Gefängnissen anderer Bundesländer nachgeahmt werden. Das Projekt wird von den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung inhaltlich und finanziell unterstützt.
Keine Gruppe ist in den Jugendabteilungen der Gefängnisse des Landes so dominant wie die der rechtsextrem orientierten Straftäter. Von den etwa 350 in den Haftanstalten einsitzenden Tätern, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, zählen etwa 100 bis 120 zu dieser Gruppe, berichtet Werner Koldehoff, Abteilungsleiter für Strafrecht im Justizministerium. Das sind 28 bis 35 Prozent der nach Jugendstrafrecht Inhaftierten, also des Personenkreises, den das Projekt erreichen soll. Bei Betrachtung nur der etwa 280 deutschen Straftäter liegt der Prozentsatz entsprechend höher, er schwankt zwischen 35 und 43 Prozent. Der harte Kern der rechtsextremen Rädelsführer soll aus 20 bis 25 Personen bestehen.
Die Gruppe der rechtsextremen jugendlichen Häftlinge sei in sich nicht homogen, sondern unterschiedlich stark ideologisiert, erklärte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Deshalb, so Minister Schelter, könne auch “nicht die Rede davon sein, dass die Haftanstalten in der Hand von Rechtsextremisten sind”. Schelter: “Wir haben eine relativ entspannte Situation.” Es gebe keine von Rechtsextremen aufgebaute Strukturen in den Haftanstalten des Landes, und die vom Verfassungsschutz seit Jahren beobachtete rechtsextremistische “Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige” spiele in Brandenburg “praktisch keine Rolle”.
Das Modellprojekt soll in erster Linie dazu beitragen, einen “Bewusstseins- und Haltungswandel” der rechtsextremen Mitläufer zu bewirken. Das Projekt zielt nicht auf die Umerziehung der Rädelsführer, sondern will sie “entzaubern”, so Minister Schelter. Geschehen soll dies besonders durch wöchentliche Bildungsprogramme, die jeweils drei Monate dauern. Die rechtsextremen Häftlinge sollen sich dabei mit ihrer Tat und der Rolle des Opfers auseinandersetzen, außerdem mit Gruppenzwang, also dem Einfluss der “Kumpels”. Ferner sollen sie sich mit der Geschichte von Nationalsozialismus und Rassismus sowie ihrer eigenen Zukunft nach Ablauf der Haftzeit beschäftigen.
Das Trainingsprogramm will das Wissen jugendlicher Straftäter über rechtsextreme Themen vermehren und so die Deutungshoheit der Rädelsführer brechen. “Deutungshoheit bedeutet Macht”, erklärt Projektleiter Helmut Heitmann vom “Archiv der Jugendkultur” den Reformansatz. Seinen Optimismus leitet Schelter aus den Erfolgen eines sechsmonatigen Vorprojekts ab, das im März endete. Es habe gezeigt, dass zwei rechtsextreme Führer in Diskussionen entzaubert und von einstigen Mitläufern ausgelacht wurden. Die Anführer wurden so entmachtet.
Das Justizministerium sowie Projektleiter Heitmann schließen nicht aus, dass sich Rädelsführer gegen den drohenden Einflussverlust wehren, indem sich Druck auf die ausüben, die sich von der Szene abwenden wollen. Um dem entgegenzuwirken, müssen in das Projekt auch die Justizvollzugsbediensteten eingebunden werden, so Heitmann. Ihr Wissen über rechtsextreme Szene-Zeichen und Strukturen soll deshalb verbessert werden.
Das Modellprojekt soll für die rechtsextrem orientierten jugendlichen Straftäter nicht mit dem Tag der Haftentlassung enden. Familie und Freundeskreis des Häftlings, Schule, Lehrstelle sowie Vereine sollen vielmehr in die Aufklärungsarbeit mit einbezogen werden. “Es ist wichtig, dass ein nachhaltiger Effekt entsteht”, so der Präsident der Bundeszentrale, Krüger.
Für Justizminister Schelter ist der Rechtsextremismus in den Gefängnissen die Folge eines “Defizits an politischer Grundbildung” an den Schulen. Es fehle ein “Mindestmaß an Kenntnissen über den Nationalsozialismus”. Lehrer — nicht nur in Brandenburg — hätten “oft selbst Probleme”, diese brisanten Themen ihren Schülern zu vermitteln, so der Minister.
Guter Einstieg
Kommentar von Frank Schauka
Der Rechtsextremismus besetzt nicht mehr die Spitzenplätze der Nachrichten, für eine Entwarnung besteht jedoch kein Anlass. Die Zahl der Gewalttaten hat sich auf hohem Niveau stabilisiert, obwohl Polizei und Justiz ihren Druck erhöhten. Das führt logischerweise dazu, dass die Zahl rechtsextremer Täter im Gefängnis wächst. Dabei besteht die Gefahr, dass die Haftanstalten dauerhaft zu Brutstätten für weitere Neonazis werden. Das Brandenburger Modellprojekt “Präventive Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen” setzt an der richtigen Stelle an. Es gibt nur die Möglichkeit, beeinflussbare Mitläufer über das menschenverachtende Wesen des Nationalsozialismus aufzuklären, damit sie sich davon distanzieren. Kritikwürdig an dem Modellprojekt wäre allein, dass es sich auf die nach Jugendstrafrecht Verurteilten konzentriert. Das Problem des Rechtsextremismus hinter Gefängnismauern ist in Wirklichkeit umfassender. Doch ein Modellprojekt, das sagt der Name, ist ein Einstieg.
In fünf brandenburgischen Haftanstalten wird ab Januar ein vielversprechendes Modellprojekt anlaufen. Bisher ist es bundesweit einmalig. Bei der Vorstellung dieses Projekts berichtete Justizminister Schelter, dass junge Strafgefangene mit rechtsextremistischer Orientierung an einem Bildungs- und Trainingsprogramm teilnehmen werden. Dabei erfahren sie mehr über Nationalsozialismus und Rassismus, über germanische Mythologie und Skinheadmusik. Vor allem aber müssen sie sich mit ihrer Rolle als Täter, mit den Erlebnissen ihrer Opfer und mit ihrer eigenen Zukunft auseinandersetzen. In offenen, auch kontroversen Diskussionen werden Rädelsführer — denen regelmäßig sehr schnell die Argumente ausgehen — entzaubert und Mitläufer zum Nachdenken gebracht. Ein sechsmonatiges Vorprojekt hatte bereits Erfolge gezeigt.
Von den Strafgefangenen, die nach Jugendstrafrecht verurteilt sind, gilt mindestens ein Drittel als rechtsextremistisch beeinflusst; einige sind bekennende Neonazis. Und die rechtsextremistische Propaganda macht vor den Gefängnismauern nicht Halt.
Die neonazistische “Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige”(HNG) betreut inhaftierte Rechtsextremisten durch Kontaktpflege: Die als “politische Gefangene” heroisierten Gesinnungskameraden erhalten aufmunternde Post, nur selten allerdings Besuche und fast nie Geld. Die Namen bekannter Aktivisten aus dem In- und Ausland, aber auch weiterer Häftlinge, die Briefkontakte wünschen, werden in den monatlich erscheinenden “Nachrichten der HNG” listenförmig veröffentlicht. Regelmäßig sind auch Häftlinge aus Brandenburg dabei. Die “Nachrichten der HNG” sind voll von Briefen, in denen Gefangene — auch aus brandenburgischen Justizvollzugsanstalten — ihre Haftsituation schildern.
Vergleichbare Gefangenenlisten und Haftberichte erscheinen auch in unabhängigen neonazistischen Publikationen, etwa der “Kameradenhilfe”, oder in Fanzines der Skinhead-Szene.
Aber auch in den Gefängnissen selbst gibt es hin und wieder Versuche von Rechtsextremisten, sich zu organisieren. Seit 1995 wurden Selbsthilfegruppen aufgebaut, die sich “Knast- und Kerkerkameradschaften” (KKS) nennen. Ein Mitinitiator der KKS war in Brandenburg inhaftiert. Seit er 1997 aus der Haft entlassen wurde, zerfielen, jedenfalls in Brandenburg, die KKS wieder. Die frühere KKS-Zeitschrift “Der weiße Wolf” erscheint inzwischen unabhängig von der rechtsextremistischen Gefangenenhilfe.
Ob mit oder ohne ideologische Munitionierung von außen — bei Rechtsextremisten steigert sich in der Haft leicht die Wut auf das “System”, das sie hinter Gitter gebracht hat. Und dann gibt es junge Häftlinge, die womöglich gar nicht wegen eines politisch motivierten Delikts verurteilt sind, aber schon früher für rechtsextremistische Denkklischees anfällig waren. Wenn sie im Gefängnis an die falschen Kameraden geraten, besteht die Gefahr, dass sich ihre Vorurteile und Fehlhaltungen verfestigen.
Hiergegen ist das demnächst beginnende Projekt ein wirksames Gegenmittel.
Die Volksinitiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte begrüßt die Verständigung der Berliner Ampelkoalition zur Einführung der Dienstnummernpflicht für die Berliner Polizei (siehe Berliner Zeitung vom 20.11.01).
Es ist soziologisch längst anerkannt, daß die Nichtidentifizierbarkeit die Hemmschwelle senkt, sich an Gewalttätigkeiten zu beteiligen. Dieses Argument wurde insbesondere zur Rechtfertigung des verfassungsrechtlich umstrittenen Vermummungsverbotes im Versammlungsgesetz herangezogen. Die Dienstnummernpflicht ist die logische Konsequenz dieser Argumentation für die Polizei selbst.
Die Volksinitiative geht davon aus, daß die konsequente Einführung der Dienstnummernpflicht zu einer höheren Aufklärungsquote bei Übergriffen von Polizisten führen und den Umgangston der Polizei gegenüber der Bevölkerung spürbar verbessern wird. Für Sachbeschädigungen und Körperverletzungen, die Beamte im Dienst begehen, wird es künftig häufiger möglich sein, die Verantwortlichen selbst zur Rechenschaft zu ziehen. Bislang mußten derartige zivilrechtliche Ansprüche im Rahmen des Amtshaftungsprinzips wegen der Nichtidentifizierbarkeit einzelner Polizisten häufig aus der Landeskasse beglichen werden.
Wir halten es für dringend erforderlich, eine Möglichkeit zur Identifizierung uniformierter Polizei auch Brandenburg möglichst bald umzusetzen.
Die Dienstnummernpflicht galt in Brandenburg bereits 1990–1996, war aber auf Anordnung des Innenministers Alwin Ziel nicht eingehalten worden. Mit der Änderung des Polizeigesetzes Anfang 1996 wurde die Dienstnummernpflicht abgeschafft.
Allerdings könnte das Innenministerium im Rahmen der Dienstaufsicht das Tragen von Dienstnummern mit einem Runderlaß ohne weiteres anordnen.
Beate Netzler
NEURUPPIN Als “katastrophal” bezeichnet der Brandenburger Flüchtlingsrat die Situation im Neuruppiner Asylbewerberheim. In einem Bericht beschreibt der Verein den “schlechten baulichen Zustand” des Gebäudes in Neuruppin-Treskow und den angeblich aggressiven Führungsstil der Heimleitung.
Der Besitzer und Betreiber des Flüchtlingsheims, Karl Wiesemann, weist die darin geäußerten schweren Vorwürfe zurück. “Ich engagiere mich stark für das Wohl der Heimbewohner”, sagt der 61-Jährige, dem bundesweit noch drei weitere Asylbewerberheime gehören. Er verweist auf den Einbau von über 100 neuen Fenstern und die Renovierung der Fassade. “Sogar einen Sportraum will ich einrichten. Das muss ich laut Vertrag nicht. Ich will aber, dass es den Leuten gut geht”, so Wiesemann. Sein Motto: “Nur wer Liebe gibt, wird Liebe ernten.”
Militärischer Umgangston?
Dem entgegen stehen die Klagen zahlreicher Heimbewohner: Der Umgangston Wiesemanns, der regelmäßig in Neuruppin ist, sei “militärisch und herrisch”. Einziges Interesse des Heimbesitzers sei es, die Kosten zu senken: Wasser sparen, Strom sparen. So ist es den Asylbewerbern nicht gestattet, eigene elektrische Geräte in ihren Zimmern zu haben. “Meine Mikrowelle wollen sie mir wegnehmen und in den Keller schließen”, bestätigte eine Heimbewohnerin. Wiesemann sagt, dies sei aus Brandschutzgründen notwendig.
“Oft kommt das Personal auf Anweisung vom Chef mit einem Generalschlüssel in die Zimmer, auch wenn niemand da ist”, sagt Nguyen Thi Huyen. Sie fühlt sich dadurch in ihrer Privatsphäre verletzt. Nach einem Konflikt mit Heimleiterin Margitta Dauksch musste die schwangere Vietnamesin vor einigen Wochen für vier Tage ins Krankenhaus (die MAZ berichtete). Bei dem Streit ging es um ein Türschloss, das Thi Huyen einbauen ließ, um ihr Zimmer vor willkürlichen Kontrollen und Diebstählen zu schützen.
Kein Gemeinschaftsraum
“Vertraglich mag das Vorgehen Wiesemanns korrekt sein, jedoch werden die Asylbewerber zu Menschen zweiter Klasse degradiert”, kommentiert Dominique John, der das Heim für den Brandenburger Flüchtlingsrat besuchte. Der Berliner sieht die Menschenrechte der Bewohner durch die “repressiven Maßnahmen” des Betreibers verletzt. Wiesemann verteidigt die Kontrollen als notwendig und will die Rundgänge bald aller zwei Wochen statt wie bisher monatlich durchführen lassen.
Einen besonders harschen Kritikpunkt brachte eine Heimbewohnerin gegenüber der MAZ an: Wiesemann komme nicht nur ohne anzuklopfen in die Zimmer, sondern kontrolliere gelegentlich auch in den Duschen — “wenn sich dort gerade Frauen waschen”.
“Das ist nicht wahr”, dementiert der Hesse. Er müsse zwar gelegentlich auch in den Duschen nach dem Rechten sehen, “aber doch nicht, wenn sie gerade benutzt werden”.
Eckhard Häßler, Mitarbeiter der “Initiativgruppe Ausländerarbeit Neuruppin”, zeigte sich von dem Vorwurf nicht überrascht: ” Mir liegen ähnliche Berichte vor . Das ist eine absolute Frechheit.” Er verweist zudem auf einen Vorgang von vor eineinhalb Jahren. Eine Bosnierin hatte damals behauptet, von Wiesemann als “Scheißasylantin” beschimpft und geschlagen worden zu sein. Häßler: “Es ist, gelinde gesagt, sehr schwer, sich mit diesem Menschen auseinander zu setzen.”
Laut dem vorläufigen Flüchtlingsrat-Bericht trägt der schlechte bauliche Zustand des ehemaligen Lehrlings-Wohnheims zur angespannten Atmosphäre im Alltag bei. “Kaum auszuhalten” seien die hygienischen Bedingungen, sagte eine vietnamesische Frau der MAZ. Kalt und feucht sei es, hinzu komme der Schmutz in Bad und Küche — Kakerlaken seien ein enormes Problem. “Die Duschen haben keine Vorhänge und es gibt nur eine schlecht ausgestattete Gemeinschaftsküche je Etage”, sagte ein anderer Heimbewohner, der wie die Vietnamesin anonym bleiben möchte. Auch klagen viele der Flüchtlinge in Treskow über das Fehlen eines Gemeinschaftsraumes.
“Wir tun alles, um das Heim sauber zu halten”, hält Wiesemann dagegen. Ursache für die gelegentliche Verschmutzung sei das asoziale Verhalten einiger Heimbewohner. “Es ist richtig, dass wir öfter Ärger mit Kakerlaken haben. Deshalb habe ich einen Kammerjäger engagiert.” Dennoch glaubt er, dass die Bedingungen im Heim gut sind: “Ich hätte keine Probleme damit, hier wohnen zu müssen. Wenn ich hier bin, benutze ich dieselben sanitären Anlagen.”
Sabine Schmidt, Chefin des Kreissozialamts und für das Heim zuständig, sieht das anders: “Es ist ganz bestimmt kein leichtes Leben, gerade für Familien, wenn man im Heim untergebracht ist.” Das liege am problematischen Umgang der Flüchtlinge untereinander, habe aber auch andere Ursachen. Wiesemann hätte “ein ausgezeichnetes Konzept” vorgelegt, als er sich vor zweieinhalb Jahren um den Betrieb des Heimes bewarb. “Doch an der Umsetzung hapert es ein wenig. Wir haben unterschiedliche Auffassungen, wie so ein Heim geführt werden sollte”, so Schmidt. “Er ist ein sehr schwieriger Mensch.”
Hauptsache Ruhe
Alexandra Willers war für ein halbes Jahr im Heim angestellt. “Das war die schlechteste Arbeit, die ich hatte. Ständig mischte Wiesemann sich mit seinem militärischen Ton ein”, schildert die 29-Jährige. Um die Asylbewerber konnte sich die studierte Sozialarbeiterin kaum kümmern, da der Heimbetreiber sie oft zum Aufpassen am Eingang oder zum Überprüfen der Küchen und Zimmer einsetzte. “Manche Heimbewohner benahmen sich tatsächlich sehr daneben, andere verkümmerten geistig total”, beschreibt Willers. “Doch Wiesemann wollte nur, dass Ruhe herrscht, die dringend nötige Sozialarbeit konnte ich kaum leisten.” Nach ihrer Kündigung zog die jetzige Stadtjugendpflegerin von Rheinsberg gegen ihren ehemaligen Chef vor Gericht: “Noch immer schuldet er mir ein halbes Monatsgehalt.”
Eins steht für Willers fest: “Wiesemann ist ein knallharter Geschäftsmann, der maximalen Profit machen will. Die Betreuung von Menschen hingegen überfordert ihn.”
NEURUPPIN Seit sechs Wochen demonstrieren Kriegsgegner in Neuruppin gegen die Bombenangriffe der USA auf Afghanistan. Zu den bekannten Transparenten “Krieg beenden, Hilfe zulassen!” und “Krieg ist auch Terror” kam gestern ein neues hinzu: “Ein guter Gedanke ist mehr als 3900 Soldaten” stand darauf in Anspielung an den Beschluss der rot-grünen Bundesregierung, sich mit der Bundeswehr am Krieg zu beteiligen.
Seit auch die Grünen der deutschen Kriegsbeteiligung zugestimmt haben, macht sich unter den Demonstranten Resignation breit. Der grüne Kreistagsabgeordnete Wolfgang Freese zitierte den Sänger Rio Reiser: “Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird.” Jugendwart Eckhard Häßler verlas die Resolution der evangelischen Kirche gegen den Krieg. Dann machten sich knapp 100 Demonstranten mit Kerzen und Fackeln auf den Weg von der Pfarrkirche zum Neuruppiner Kreiswehrersatzamt, das Freese als “symbolischen Ort” bezeichnete. Um Provokation gehe es nicht. Die wäre auch gar nicht möglich gewesen. Als die Protestierer ihre Transparente an den Zaun des Bundeswehr-Gebäudes hängten, brannte in den Büros kein Licht mehr. Die Mitarbeiter der Behörde hatten längst Feierabend.
Nachdem die Demonstrantenschar zwei Friedenslieder gesungen hatte, ging die Spendenbüchse herum — für das Überleben der afghanischen Kinder in diesem Winter.
NEURUPPIN Norbert Arndt hat Probleme damit, den Zettel festzuhalten, auf dem er sich Notizen gemacht hat. Seine Finger zittern ebenso wie seine Stimme. Der Verwalter des Neuruppiner evangelischen Friedhofes ringt mit den Tränen. Sein Blick trifft auf erstarrte Gesichter. Neuruppiner Einwohner lauschen seinen Worten. Sie sind ergriffen.
Eigentlich sollte dies ein Tag der Freude sein, denn das Mahnmal “Ausgeliefert” für die jüdischen Bürger Neuruppins konnte gestern auf dem Friedhof der Öffentlichkeit übergeben werden. Aber Arndt und den rund 100 Gästen war nicht nach Freude zu Mute. Schließlich verbinde sich mit dem Mahnmal eines der dunkelsten Kapitel Neuruppiner Geschichte.
Arndt erinnerte an die vielen Juden, die verfolgt und meist auch deportiert wurden, und warnte davor, den Blick abzuwenden, die Augen vor Hass und Rechtsradikalismus zu verschließen. Mit der von Wieland Schmiedel entworfenen Figurengruppe solle an die dunkle Vergangenheit erinnert werden. Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse in den USA und des Krieges in Afghanistan sei Rückbesinnung erforderlich. “Der tapfere deutsche Soldat wird wieder politikfähig”, so Arndt. Dies müsse kritisch reflektiert werden.
Dieser Ansicht ist auch Andreas Nachama. Der Vorsitzende der Berliner Ausstellung “Topographie des Terrors” betonte, dass Mord niemals die richtige Antwort auf Terror sein könne. Die demokratisch gesinnten Menschen müssten sich wehren, indem sie aufeinander zugehen.
Viele Neuruppiner zeigten sich glücklich, dass nun endlich der jüdische Friedhof eine “angemessene Umrahmung” gefunden habe. Heinz-Joachim Karau, der sich selbst viel mit der Geschichte jüdischer Bürger beschäftigt hat, hofft, dass Schmiedels Werk ein Stolperstein wird. Der frühere Neuruppiner Pfarrer sieht in den sieben Figuren ein Mahnmal und eine Aufforderung zum Nachdenken über jüdische Geschichte. Erinnern, verstehen, diskutieren: Was sich mit dem Denkmal verbinden soll, lebten gut 150 Gäste bereits gestern Abend in der Aula des Schinkelgymnasiums aus. Sie folgten Historiker-Vorträgen zur Geschichte der Neuruppiner Juden und zur Rolle von Denkmälern in Deutschland.
POTSDAM Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) befürchtet eine Belastung des brandenburgischen Regierungsbündnisses wegen des Streits um das neue Zuwanderungsgesetz des Bundes. Wie Schönbohm gestern in Potsdam sagte, könne er sich einen Ausstieg seiner Partei aus der Koalition mit der SPD vorstellen, falls Brandenburg dem Gesetz im Bundesrat zustimmt. “Die Beendigung der Koalition ist das Letzte, was ich will”, so der Minister, zumal die CDU auch angetreten sei, um eine PDS-Beteiligung an der Regierung zu verhindern. Allerdings hingen die Christdemokraten “nicht um jeden Preis” an der Großen Koalition. Beim Votum über die Zuwanderung gehe es um “Glaubwürdigkeit in einer Grundsatzfrage”.
Wie Schönbohm sagte, sei der gegenwärtige Entwurf des Zuwanderungsgesetzes für die märkische Union nicht zustimmungsfähig. Das Papier sei zu ungenau, wie die Zuwanderung begrenzt werden kann. Zudem müsse das Zuzugsalter für Kinder gesenkt werden. Für die Integration sei es dringend nötig, Kinder im frühen Alter nachzuholen. Als junge Erwachsene eingereist, stünden sie oft ohne Sprachkenntnisse und Ausbildung am Rand der Gesellschaft und seien auf Sozialleistungen angewiesen.
Schönbohm erwartet, dass mit dem Koalitionspartner SPD ein “Weg der Vernunft” beschritten werden kann. Sollte es keinen Kompromiss geben, müsse sich Brandenburg bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten. Der Koalitionsvertrag schreibe das bei strittigen Fragen vor. Brandenburg ist in der Länderkammer zum “Zünglein an der Waage” geworden. SPD- und CDU-geführte Länder haben jeweils 31 Stimmen. Für die Mehrheit sind die vier Stimmen Brandenburgs ausschlaggebend. Schönbohm hofft, dass die von der Union geforderten Nachbesserungen bereits bis zur ersten Lesung des Gesetzespakets im Bundesrat am 21. Dezember eingearbeitet sind. “Mal sehen, ob wir den Sprengsatz ent-zündern können.” Der “Lackmustest” erfolge dann Anfang nächsten Jahres bei der Länder-Abstimmung.
Schönbohm räumte ein, dass bei der Zuwanderung Druck von der Bundes-CDU ausgeübt werde. Es gebe einige Leute, die damit in den Bundestagswahlkampf 2002 ziehen wollten. Er plädiere aber dafür, das Thema aus dem Schlagabtausch der Parteien herauszuhalten. Allein mit der Arbeitslosigkeit und den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gebe es genug Stoff für Auseinandersetzungen.
SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness sieht keinen Bedarf, das Zuwanderungsgesetz nachzubessern. Für ihn sind Schönbohms Äußerungen “parteipolitisch motiviert”. Das Gesetz sei gerade auch von der Wirtschaft begrüßt worden. Natürlich solle man Veränderungen nicht von vornherein ausschließen. “Bis 21. Dezember haben wir noch eine Menge Zeit.” Ness zeigte sich zuversichtlich, dass die Potsdamer SPD/CDU-Regierung bis 2004 hält.
Ähnlich äußerte sich Gunter Fritsch, SPD-Fraktionschef im Landtag. Zu Bundesratsentscheidungen habe es immer Einigungen gegeben. Damit sei auch diesmal zu rechnen. Die Stimmenthaltung sei die Variante für den absoluten Notfall.
PDS schlägt Bürgerpolizei vor
POTSDAM Die brandenburgische PDS will sich mit einem eigenen Konzept in die aktuelle Debatte zur inneren Sicherheit einmischen. Tenor des 17-seitigen Papiers, das auf dem Landesparteitag am Sonnabend in Potsdam offiziell vorgestellt wird: Statt Repression mehr Prävention. “Wir wollen zeigen, dass wir die Ängste der Bürger ernst nehmen”, sagte gestern Vize-Landeschef Stefan Ludwig vor Journalisten.
Die PDS schlägt vor, das “Bild einer Bürgerpolizei zum Leitbild der brandenburgischen Polizei” zu erklären. Priorität müsse die Polizeiarbeit vor Ort haben, hieß es. Im Kern soll die Zahl der Revierpolizisten im Land weiter ausgebaut werden. Derzeit sei ein Revierpolizist für 5000 Einwohner zuständig.
Ludwig sprach von einem “Totalausfall der SPD” in der inneren Sicherheit. Deshalb gebe es in der öffentlichen Wahrnehmung bisher nur die konservativen Thesen von CDU-Innenminister Jörg Schönbohm. Die PDS sei gegen Lauschangriff, Videoüberwachung, den finalen Rettungsschuss sowie den Einsatz verdeckter Ermittler und V‑Leute. “Dieser Weg des Ausbaus staatlicher Gewalt und der Einschränkung von Grundrechten sei falsch”, so Ludwig.
Kritisch wird sich auch mit der Rolle des Verfassungsschutzes auseinander gesetzt. Die PDS lehnt mehr Personal entschieden ab. Die Auflösung der Einrichtung wird nur deshalb nicht gefordert, weil die Kompetenzen des Verfassungsschutzes nur dem polizeilichen Staatsschutz übertragen werden würde, was wiederum ein Verstoß des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdienst wäre. Allerdings heißt es: “Der beste Verfassungsschutz sind aktive, mündige Bürger. Die PDS setzt sich dafür ein, den materiellen Schutz der Verfassung zu stärken mit dem letztendlichen Ziel, den institutionalisierten Verfassungsschutz überflüssig zu machen.” Auf die Terroranschläge in den USA vom 11. September und die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus wird in dem Papier nicht gesondert eingegangen.
Aus Sicht von PDS-Landeschef Ralf Christoffers zeige das Konzept, dass die PDS einen “unverkrampften Umgang mit der Polizei” habe. Das Papier soll — wie auch jene zur Bildung und zur Haushaltspolitik — auf dem Parteitag nicht verabschiedet, sondern zunächst breit diskutiert werden, sagte Christoffers.