Donnerstag gegen 19.00 Uhr wurde der Polizei bekannt, dass in Eberswalde im
Park an der Friedensbrücke aus einer Gruppe von Jugendlichen heraus “Sieg
Heil” gerufen wurde. Durch die eingesetzten Polizeibeamten wurden ahndung
sieben Personen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren, darunter drei Mädchen,
festgestellt. Bei drei männlichen Jugendlichen wurden Materialien über
Hitler und die NS-Zeit sowie mehrere selbstgebrannte CD mit vermutlich
indizierter Musik festgestellt und zur Gefahrenabwehr sichergestellt. Die
Beschuldigten wurden nach durchgeführter Vernehmung entlassen.
Eine Rose für die Integration
INNENSTADT Nikolai Epchteine ist sichtlich gerührt. “Das sagt uns, dass wir
auf dem richtigen Weg sind”, so der Leiter des Potsdamer Kultur‑,
Integrations- und Beratungszentrum (Kibuz). Gerade ist das Kibuz mit dem
Integrationspreis der Stadt Potsdam ausgezeichnet worden. Genauer gesagt:
Kibuz hat den ersten Platz von 16 Initiativen belegt, die sich um den Preis
beworben hatten. Das Zentrum hat sich die Integration von jüdischen
Umsiedlern zum Ziel gesetzt. “Das Kibuz öffnet sich immer mehr nach außen”,
lobte die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Birgit Müller.
Monatlich würden bis zu 1000 Besucher das Zentrum in der Berliner Straße
aufsuchen.
Der Integrationspreis wurde in diesem Jahr erstmalig zu Beginn der
Interkulturellen Woche verliehen. “Der Preis soll zur Fortsetzung der
Aktivitäten in der Integrationsarbeit beitragen”, sagte Oberbürgemeister
Jann Jakobs. Alle 16 Projekte würden das Motto der Interkulturellen Woche
“Potsdam — unser gemeinsames Zuhause” mit Leben erfüllen, so Jakobs. Jedes
Projekt erhielt deshalb eine Urkunde und eine Rose zum Dank.
Neben dem Kibuz, das für die Fortsetzung seiner Arbeit 400 Euro erhielt, hat
die neun-köpfige Jury drei weitere Initiativen mit einem zweiten Platz und
je 200 Euro ausgezeichnet: die Frauenselbsthilfegruppe “Black Flowers”, die
Studenten-Initiative für Begegnungen und den Schlaatzer Integrationsgarten
des Brandenburgischen Kulturbundes.
Zu den Jury-Mitgliedern zählten neben anderen Fernsehmoderatorin Ulla Kock
am Brink, Potsdams Ausländerbeauftragte Magdolna Grasnick und Albana Gjoka
vom Ausländerbeirat. Gjoka war es auch, die die Preis-Idee hatte. Sie
stellte die Black Flowers dem Publikum vor: Afrikanische Frauen würden sich
hinter dem Verein verbergen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Migrantinnen
mit deutschen Frauen zusammenzubringen. Bei den Treffen werde grundsätzlich
nur Deutsch gesprochen, so Gjoka.
Aus spontanen Aktionen ist die Initiative für Begegnungen entstanden, die
eine Vielzahl von Aktivitäten einschließt: von Länderabenden bis zur
Kinderbetreuung für Flüchtlinge. Der Integrationsgarten schließlich ist laut
Jury-Mitglied Maria Zinckernagel ein Projekt, das Generationen und Nationen
miteinander vereint. 14 Familien gärtnern am Schlaatz gemeinsam.
Anlässlich der Interkulturellen Woche wurde gestern zudem eine Ausstellung
des jüdischen Malers Ilja Kleiner im Atrium der Stadtwerke eröffnet. Zu
sehen sind etwa 100 Werke des Künstlers (werktags von 8 bis 18 Uhr).
Partyhauptstadt Potsdam
POTSDAM Lampenfieber vor dem Tag der Deutschen Einheit? Lukas ist sechs Jahre alt und mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester zur Chorprobe nach St. Nikolai gekommen, in die große Potsdamer Stadtkirche, die ein wenig aussieht wie der römische Petersdom. Die zwölf Jungen vom Knabenchor treten immer bei einem Gottesdienst im Monat auf. Am 3. Oktober ist es wieder soweit. Aber da werden ganz andere Leute in den Bänken sitzen als sonst. Einen kennt Lukas, weil seine Mutter ihm ein Bild in der Zeitung gezeigt hat: “Der Präsident.” Neben Horst Köhler werden Gerhard Schröder, Angela Merkel, Wolfgang Thierse und alle anderen Spitzenpolitiker da sein. Und natürlich Matthias Platzeck als Gastgeber, denn es richtet immer jenes Land den Einheitstag aus, das gerade den Vorsitz im Bundesrat hat. Außerdem werden sich Bundestagsabgeordnete, Botschafter aus über hundert Ländern und Bürgerdelegationen aus ganz Deutschland die Ehre geben. Insgesamt 900 geladene Gäste, die dem ökumenischen Festgottesdienst am 15. Jahrestag der Einheit beiwohnen werden. Nicht zu vergessen die Fernsehzuschauer in ganz Deutschland bei der Live-Übertragung. Und Lukas und seine kleinen Kollegen werden vorne stehen und zwischen den Ansprachen die so oft geprobten Lieder anstimmen. Aber deswegen aufgeregt sein? “Nee”, sagt Lukas, grinst fröhlich und verschwindet im Kircheninneren, wo Reinigungstrupps den alten Säulen neuen Glanz verleihen. Während auf dem Alten Markt mit Feuereifer an den letzten Metern der schicken Granitpflasterung und dem neuen Rollrasen gearbeitet wird.
Nicht mehr lang ist es bis zum Tag der Deutschen Einheit oder besser gesagt: den Tagen der Deutschen Einheit. Denn Brandenburg gönnt sich in seiner Landeshauptstadt mit einem riesigen Bürgerfest gleich zweieinhalb Einheitstage: Zum Auftakt am 1. Oktober gibt es ein Festkonzert in St. Nikolai mit einem Auftritt des Dresdner Kreuzchors und einer Rede des luxemburgischen Premiers Jean-Claude Juncker. An den nächsten beiden Tagen ist dann Party: Musik, Kultur, Kinderevent und Sport in acht Festbereichen nebst 13 Bühnen — alles in der wunderschönen Kulisse der historischen Innenstadt, alles bei freiem Eintritt. Von einem Mini-Fläming-Skate über die Brandenburg-Meile und das Kinder-Fest-Land bis zu den Diskussionen und Lesungen. Ein besonderes Highlight: Der Stadtkanal wird eigens für das Fest geflutet und zur weltweit ersten Kanu-Regattastrecke umfunktioniert, die mitten im Herzen einer Stadt liegt. Wobei alles hier Aufgezählte nur ein Promille-Ausschnitt des detaillierten Festprogramms ist, das 80 Seiten umfasst.
500 000 Gäste werden zur Riesenfete erwartet — nach vorsichtigen Schätzungen. Denn allein am Brandenburg-Tag 2003 schoben sich schon 300 000 Menschen durch die historische Innenstadt, und nun ist laut Veranstaltungsmotto sogar “Deutschland zu Gast in Brandenburg”, mit entsprechendem Besucheraufkommen. Offiziell werden sich die Bundesländer auf einer Ländermeile präsentieren, wo man sich zum Beispiel — “oans, zwoa, drei, gsuffa” — durch bayerische Biersorten testen kann. Oder dem Rätsel nachgeht, was sich hinter dem “Zipfel-Gipfel” verbirgt: Einfach nur die Präsentation jener Orte, die geografisch am äußersten Rand, also den Zipfeln, der Republik liegen, wie List auf Sylt. Wesentlich exotischer sind da wahrscheinlich die Fest-Gäste aus der Lindenstraße: Mutter Beimer wird mit einer Schauspielerdelegation in einem Zelt am Alten Markt Selbstgekochtes servieren. Eigentlich hatten die TV-Macher im Vorfeld der Potsdamer Einheitsfeiern auch Matthias Platzeck einen Mini-Gastauftritt in ihrer Serie zugedacht, als Reklame für die Riesenparty. Aber der Ministerpräsident hatte keine Lust auf Lindenstraßen-Ruhm.
Ohnehin braucht das Fest nicht wirklich die PR-Schützenhilfe des Fernsehens. Denn die Bürger basteln bei ihrem Einheitsfest auch freudig selbst mit, mit vielfältigen Initiativen: “Mensch, das wäre doch eine tolle Sache für uns”, war die spontane Reaktion von Andreas Hoeppner, dem Leiter des Olympiastützpunkts Potsdam, als er vom Bürgerfest hörte. Allerdings wollte Hoeppner dort nicht nur die eigene Einrichtung präsentieren: “Wir haben alle anderen Olympiastützpunkte in Deutschland angeschrieben, um 15 Jahre gemeinsamen deutschen Spitzensport auf dem Fest zeigen zu können.” Viele der Spitzenathleten aus den anderen Bundesländern haben mittlerweile schon für das Fest zugesagt.
Aber auch viele andere haben spontan eine Einladungskarte verschickt: Andrea Böhlke zum Beispiel, die in Potsdam eine Musikalienhandlung besitzt und eine Kollegin von einem Musikverlag in Kassel kontaktiert hat. Gemeinsam wollen sie einen eigenen Stand am barocken Neuen Markt betreuen. Ein bisschen aufgeregt ist Andrea Böhlke schon, allein wegen der Menschenmassen. “Aber ich wollte meiner Bekannten einfach mal zeigen, wie schön Potsdam geworden ist und wie wenig die Herkunft aus Ost oder West hier noch eine Rolle spielt.” Und was für eine bessere Kulisse könnte man sich dafür vorstellen als die grandiosen Einheitsfeiern?
Am 30. September erscheint die MAZ-Beilage “Bürgerfest: Zum Tag der deutschen Einheit” mit dem kompletten Festprogramm. Informationen gibt es auch im Internet unter www.maerkischeallgemeine.de/einheit
So unterschiedlich die Projekte sind – alle 16 Bewerber für den Integrationspreis, der gestern zum ersten Mal in Potsdam verliehen wurde, hatten ein wesentliches Kriterium erfüllt: Das Konzept musste in deutscher Sprache eingereicht werden. Im Rahmen der Eröffnung der interkulturellen Woche verlieh Oberbürgermeister Jann Jakobs, unter dessen Schirmherrschaft die multikulturelle Arbeit in der Stadt gewürdigt werden sollte, den Integrationspreis der Stadt Potsdam.
Initiiert wurde die Ehrung vom Ausländerbeirat, unterstützt wurde das Vorhaben von den Stadtverordneten und mit einem Preisgeld von insgesamt 1000 Euro ausgestattet. Erfreulich war für die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Birgit Müller die hohe Zahl der Beteiligung: „Ein guter Anfang“, meinte sie, „im nächsten Jahr wird der Preis wieder vergeben.“
Die öffentliche Auszeichnung soll dazu motivieren, den von Toleranz gegenüber anderen Kulturkreisen und anderen Sprachen geprägten Integrationsgedanken weiter zu entwickeln. In Potsdam, so betonten die Jurymitglieder aus Politik, Wirtschaft, Sicherheitskonferenz und Ausländerbeirat, werde bereits heute eine engagierte Arbeit auf diesem Gebiet geleistet. Aber das Verhältnis zwischen Zuwanderern untereinander und zu den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft sei nicht immer konfliktfrei. Darum sei öffentliche Integrationsarbeit zunehmend ein Thema für Gegenwart und Zukunft auch der Stadt Potsdam.
„Die Auswahl der Preisträger fiel schwer“, gab Alba Gjoka vom Ausländerbeirat zu. Den ersten Preis nahm Dr. Nikolai Epchteine, Leiter des Kultur,- Integrations- und Beratungszentrums der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland in Empfang. Kibuz sei ein Vorbild für wirkungsvolle Integrationsarbeit, vor allem, weil sich der Verein dafür einsetzt, die Potsdamer Bevölkerung einzubeziehen. Überrascht waren auch die anderen Initiativen, die zweite Preise erhielten. Black Flowers e.V. zum Beispiel, das sind Frauen vorwiegend mit schwarzer Hautfarbe, die in Potsdam eine Selbsthilfegruppe gegründet haben, um besser in der neuen Heimat zurecht zu kommen. Stolz nahmen Vertreter der Initiative für Begegnungen die Anerkennung ihrer Arbeit entgegen. Die jungen Leute aus Potsdam – vorwiegend Studenten – sind seit langem im Asylbewerberheim am Lerchensteig willkommene Gäste. Sie helfen dort vor allem den Kindern, mit den Schulaufgaben zurecht zu kommen, organisieren Feste der Begegnungen mit Potsdamer Familien. Ihre ehrenamtliche Arbeit verrichten sie ohne großes Aufsehen. Ähnlich wie die Mitglieder der Initiative am Schlaatz, die einen Integrationsgarten betreiben. Auf brachem Gelände haben 14 Familien aus verschiedenen Ländern einen Garten angelegt und bewirtschaften ihn gemeinsam und regelmäßig mit Schülern der nahe gelegenen Weidenhof-Grundschule.
Rechte Gegendemonstranten erwartet
(PNN) Innenstadt — Potsdams Innenstadt wird am Sonnabend zum Schauplatz einer antifaschistischen Demonstration. Etwa 500 Menschen erwartet die Berliner Initiative Kritik & Praxis zur Kundgebung am Hauptbahnhof und dem Demonstrationszug durch die Innenstadt. Auch mit Gegendemonstranten aus der Berliner und Potsdamer Neonazi-Szene wird von Seiten des Veranstalters gerechnet. Die Initiative Kritik & Praxis wurde daher von der Potsdamer Polizei beauflagt, dass die eigenen Ordnungskräfte alle Teilnehmer der Demonstration nach Waffen zu durchsuchen haben. Wie Initiativensprecher Holger May sagte, eine bislang einmalige Auflage. Die Kundgebung soll sie für die Freiheit von Julia S. einsetzen sowie „gegen die Expansion der Berliner Naziszene nach Potsdam und das skandalöse Vorgehen der Polizei und Staatsanwaltschaft mobilisieren“, heißt es in dem Aufruf.
Die Demonstration soll um 15.30 Uhr beginnen und wird dann von einer Hundertschaft Polizei über die Lange Brücke zum Platz der Einheit (Kundgebung), Charlottenstraße, Luisenplatz (Kundgebung), Hegelallee und über die Friedrich-Ebert-Straße (Kundgebung) zurück zum Bahnhof geleitet. Wie Holger May vom Veranstalter gestern sagte, werde die antifaschistische Szene nicht länger zuschauen, wenn die Rechten prügeln. Er bekräftigte den Ausspruch aus der Demonstrationsankündigung: „Sollten die Nazis auch am Samstag in Potsdam versuchen, eine dicke Lippe zu riskieren, werden sie diese auch bekommen“. Zuletzt kam es vor einer Woche zu Störungen einer Demonstration antifaschistischer Jugendlicher in Hennigsdorf. Dort sprach die Polizei mehr als einhundert Platzverweise gegen Rechte Gegendemonstranten aus.
Dass vermehrt rechtsextreme Gewalttäter aus verbotenen Berliner Kameradschaften in Potsdam aktiv sind, bestätigte unlängst Polizeichef Ralf Marschall. Die würden unter anderem zu den Kameradschaften Tor (für Frankfurter Tor) und Baso (Berliner Alternative Süd-Ost) zugerechnet. Nach einer Mitteilung von Kritik & Praxis gab es in Potsdam seit Anfang des Jahres mehr als zwanzig Übergriffe aus der Neonaziszene. Unter anderem am 3. Julia auf Tomás B. und einen Freund. Damals stoppten etwa 20 rechtsgerichtete Jugendliche eine Tram und schlugen die beiden zusammen. Während er sich in antifaschistischen Gruppierungen organisiert, habe sein Freund an diesem Abend das Pech gehabt, mit ihm unterwegs gewesen zu sein, sagte Tomás B. gestern. Die Täter konnten zum Teil ermittelt werden, es wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Anders im Fall Julia S. Sie soll Ende Juni mit vier weiteren Linken einen bekannten Neonazi mit einem so genannten Totschläger überfallen und zusammengeschlagen haben. In diesem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen „versuchten Mordes“. Wie berichtet sitzt Julia S. seit drei Monaten in Untersuchungshaft.
Die antifaschistischen Gruppen sowie die Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht bemängeln, dass die Justiz mit zweierlei Maß messe und die Potsdamer Bevölkerung teilweise wegschaue. So sei beispielsweise beim Überfall auf Tomás B. keine Hilfe gerufen worden.
Anschlag mit Molotowcocktail
Werder — Es ist eine brenzlige Situation gewesen, wie sie der türkische Wirt Fahrettin Altunsoy (40) aus Berlin öfter erlebt. Gäste in seinem City-Café in Werder (Potsdam-Mittelmark) fangen Streit an; eine Zeitlang toleriert man die Radau-Brüder; dann bittet man sie vor die Tür — und die Sache ist erledigt. Anders an diesem Abend, Ende Dezember 2004.
“Mein Café war voll, mehr als 30 Gäste waren hier”, erinnert sich Altunsoy. In der einen Ecke, gleich am Fenster, feierten vielleicht 13 junge Leute einen Geburtstag. In der anderen Ecke, in der Nähe der Tür, saßen Stephan L. (19), Daniel K. (23) und Werner G. (44).
Eigentlich wollten die drei an diesem Abend in ihre Lieblingskneipe, doch die war geschlossen. Also gingen sie ins City-Café. “Plötzlich gab es Streit zwischen der Geburtstagsrunde und den drei Männern”, erinnert sich der Wirt. Schließlich griff Fahrettin Altunsoy ein: Er bat die drei Männer aus dem Lokal. Daniel K. drohte mit Karateschlägen. Stephan L., der in Werder als Rechtsradikaler gilt, setzte noch drauf: “Du bekommst heute noch einen Kopfschuß!” Es gab eine kurze Rangelei, doch die Situation beruhigte sich. Das Trio verschwand. Wirt Altunsoy ging wieder hinter seinen Tresen.
Knapp 30 Minuten später zersplitterte die große Fensterscheibe des Cafés mit einem lauten Knall. Eine 0,3er-Becks-Bierflasche, präpariert als Molotowcocktail, flog in den Gastraum. “Die Flammen schlugen hoch. Bei einem Gast brannten die Haare. Er löschte sie mit seinen Händen. Ein junges Mädchen hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zu. Alle waren in Panik”, erzählt der Gastronom.
Sein Bruder Haydar (30) und weitere Gäste nahmen die Verfolgung der mutmaßlichen Täter auf.
Altunsoy rief unterdessen die Polizei. In der Brandenburger Straße hielten die Verfolger zwei junge Männer fest — Daniel K., der eigentlich in der Mozartstraße wohnt, und Stephan L., der mit seiner Schwester zusammenlebt und zuletzt in einer Drückerkolonne arbeitete. Die Polizei nimmt beide fest. Stephan L. soll die Brandflasche geworfen haben, wird den Türken erklärt. Am frühen Morgen stürmen die Beamten auch die Wohnung von Werner G. im Kugelweg. Er hat eine Platzwunde am Hinterkopf und Rippenprellungen. Warum, sagt er zunächst nicht. G. soll das Geschehen von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachtet haben.
Seit dem 30. Dezember sitzen die drei Männer in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem versuchten Mord vor.
Eigentlich wollte Fahrettin Altunsoy den Vorfall nicht an die große Glocke hängen — um dem Image der Stadt nicht zu schaden, auch um den beiden jungen Tätern nicht die Zukunft zu verbauen.
Doch dann zeigten ihn die mutmaßlichen Brandstifter wegen schwerer Körperverletzung an. Der Wirt mußte zur erkennungsdienstlichen Behandlung aufs Revier. “Ich habe mich gefühlt wie ein Verbrecher”, beklagt Altunsoy, “und von der Stadt gab es keinerlei Reaktion oder Unterstützung.” Jetzt will er, daß die Täter hinter Gitter bleiben.
Der Prozeß beginnt heute um 10 Uhr im Saal 015 des Landgerichts in Potsdam.
Die Organisatoren der Antifa-Demo am Samstag, die Gruppe Kritik & Praxis [KP] Berlin und der ak_antifa Potsdam, veranstalteten heute in Potsdam eine Pressekonferenz.
Dabei schilderte eines der Opfer neonazistischer Gewalt in Potsdam, Tamás B., den Überfall von einem Duzend Faschisten auf sich und einen Freund und stellte diesen Übergriff in den Kontext der sich häufenden Aktivitäten von Neonazis. Er thematisierte insbesondere die Verbindungen der lokalen Naziszene in Potsdam mit Kadern der in Berlin verbotenen Kameradschaften Tor und BASO und deren Kampf um die Hegemonie in der Potsdamer Innenstadt.
Offensiver Charakter der Demo
Im Anschluss erläuterte der Sprecher der Berliner Gruppe Kritik & Praxis [KP] die Intention der Demo und stellte deren offensiven Charakter in den Vordergrund. Einige Aussagen der Gruppe hatten im Vorfeld der Pressekonferenz für Aufsehen gesorgt. Ein Sprecher hatte auf die Naziprovokationen am Rande einer antirassistischen Demonstration am vergangenen Wochenende verwiesen und angekündigt, dass man „eine dicke Lippe riskierenden Nazis auch eine dicke Lippe bescheren werde.“
Solidarität mit inhaftierter Antifaschistin
Zum Thema machen will die Demonstration am Samstag auch die skandalösen Umstände, die dazu führten, dass sich eine Antifaschistin seit nun bereits über zwei Monaten in Untersuchungshaft befindet. So soll die Demonstration auch zeigen, dass sich antifaschistischer Widerstand nicht einschüchtern lässt.
In diesem Zusammenhang wies der Sprecher auch auf die massive Repressionswelle in Berlin hin, wo am 6. Juli 15 Wohnungen durch bewaffnete Sondereinsatzkommandos gestürmt und durchsucht wurden. Hintergrund der Ermittlungen ist ein Fall von antifaschistischem Selbstschutz im Anschluss an einen Prozess gegen Neonazis in Potsdam.
Die Initiatoren der Demonstration forderten daher unmissverständlich, die eigens gegründete Sonderkommission +Rechts-Links+ der Potsdamer Polizei aufzulösen und seine Kapazitäten der Bekämpfung des organisierten Neofaschismus zu widmen.
Demonstration am Samstag, den 24.09. um 15.30 Uhr am Hauptbahnhof in Potsdam.
Zugtreffpunkt aus Berlin ist 14.15 Uhr auf dem Regionalbahngleis des Bahnhofes Alexanderplatz.
Die stille “Schule der Neonazis”
Sie tragen keine Springerstiefel, sondern eher weiße Kniestrümpfe. Sie
lärmen und poltern nicht, sondern verhalten sich leise und unauffällig. Sie
hören keine Neonazi-Musik, sondern beschäftigen sich zum Beispiel mit
Friedrich Schiller — oder mit General Ludendorff und seiner Frau.
Der Verfassungsschutz in Brandenburg zählt den Verein “Bund für
Gotterkenntnis (Ludendorff)” zu den Rechtsextremisten im Land. In Kirchmöser
fallen die Ludendorffer vor allem dadurch auf, dass sie einen
heruntergekommenen Bauernhof in der Gränertstraße herrichten lassen und das
Anwesen von Jahr zu Jahr schöner aussieht.
Die Zeitschrift “Stern” zählte dieses “Haus Märkische Heide” allerdings
unlängst in Zusammenhang mit einem Bericht über die NPD zu den “Schulen der
Neonazis” in Deutschland. “Heimlich, still und leise kaufen
Rechtsextremisten Immobilien auf, die sie deutschlandweit zu Bildungs- und
Trainingszentren umbauen”, schrieb die bekannte Illustrierte und führte den
Hof in Kirchmöser sowie 19 weitere Häuser auf. Der Verfassungsschutz
bestätigt dem Stadtkurier die Einschätzung.
“Der bereits 1937 gegründete Verein mit Sitz im bayerischen Tutzing
propagiert rassistisches und antisemitisches Gedankengut”, berichtet
Wolfgang Brandt, stellvertretender Sprecher des Innenministeriums.
Die Mitglieder berufen sich auf die Weltanschauungslehren der 1966
verstorbenen Mathilde Ludendorff, der Ehefrau des Generals Erich von
Ludendorff, der zeitweise Hitlers Wegbegleiter war und 1937 ein
Staatsbegräbnis erhielt.
Die Resonanz der “Ludendorffer” innerhalb der bundesweiten
rechtsextremistischen Szene schätzt der Verfassungsschutz als “äußerst
gering” ein. Brandt: “Der Bund für Gotterkenntnis, der schon seit längerem
an Überalterung leidet, konnte in der Region keinen Nachwuchs für seine
krude rassistische Weltanschauung rekrutieren.”
Im Frühjahr 2002 hatte der Verein das Haus in der Gränertstraße 15 für den
Tagungsbetrieb geöffnet. Die Aktivitäten im “Haus Märkische Heide”
beschränken sich auf interne Veranstaltungen der Vereinsmitglieder, die fast
alle außerhalb Brandenburgs ihren Wohnsitz haben. Kontakte zu anderen
rechtsextremistischen Gruppierungen im Land wurden dem Verfassungsschutz
nicht bekannt. Ziel des Vereins ist es, in Kirchmöser Seminare, Tagungen und
Freizeiten für die Mitglieder und den Dunstkreis anzubieten.
Das Vorderhaus ist seit etwa drei Jahren fertig. Gegenwärtig wird an dem
Verbindungsgebäude gearbeitet, dem ehemaligen Schweinestall. Dort entstehen
Ferienzimmer für Vereinsmitglieder und Sympathisanten. Der hintere Längsbau
soll anschließend zum Tanz- und Veranstaltungssaal ausgebaut werden.
Die Ludendorff-Kennerin Antje Gerlach rechnet den Verein der “braunen
Esoterik” zu. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für
Antisemitismus-Forschung an der Freien Universität Berlin, nennt die
Schriften der nach dem Krieg als “Hauptschuldige” eingestuften Mathilde
Ludendorff antisemitisch und den Verein “rechtsradikal”.
Die Ludendorffer möchten dem Stadtkurier keine Auskunft geben, teilt ihr
Mitglied Friedrich Bading mit. Die MAZ möge erst einmal die Stellungnahme
abdrucken, die er vor drei Jahren nach der ersten Berichterstattung
eingereicht habe.
Die MAZ hält das seitenlange Elaborat für verzichtbar. Denn die Sicht der
Ludendorffer ist bekannt: Der 1937 gegründete und aus dem Vorläufer
“Deutschvolk” hervorgegangene Verein bezeichnet sich als
“Weltanschauungsgemeinschaft, die die philosophischen Erkenntnisse Mathilde
Ludendorffs (1877–1966) vertritt und Interessierten zugänglich macht. Die
Frau wurde 1950 in die Gruppe der Hauptschuldigen eingeordnet, die
Spruchkammer bescheinigte ihr eine “außerordentliche Begünstigung des
Nazismus”.
Der Vorsitzende Gunther Duda bezeichnete die Einschätzung des
Verfassungsschutzes als falsch, dass der Bund rassistisch und antisemitisch
sei. Denn der Bund lehne jede Art von Rassevergottung ebenso ab wie “einen
religiös-jüdisch-orthodoxen Auserwähltheitsanspruch”.
Das Auftreten der Rechtsextremisten in Kirchmöser behat Ortsbürgermeister
Magnus Hoffmann (Pro Kirchmöser) als solide und anständig erlebt. An dieser
Gruppe stört sich nach seiner Kenntnis niemand im Ort.
Die Heimat wird wiederentdeckt
POTSDAM Der Begriff “Heimat” löst unterschiedliche Assoziationen aus:
Pionierlieder oder Jodelfilme der 50er-Jahre. Häufig bekommt die “Heimat”
einen negativen Beiklang — wenn sie in der kruden Rhetorik rechtsextremer
Hetzer auftaucht. Doch jetzt soll der Begriff “Heimat” wieder positiv
besetzt werden. Das ist zumindest Ziel des Projekts “Zeitsprünge”, das
gestern von Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) in Potsdam vorgestellt
wurde.
“Zeitsprünge” fächert sich in 26 Unterprojekte auf. Ab dem kommenden
Mittwoch werden jeweils zehn bis 20 Jugendliche im Alter zwischen zwölf und
18 Jahren die Geschichte ihrer Heimatorte erforschen. Sie werden in Kirchen
oder Gemeindehäusern recherchieren und mit Zeitzeugen sprechen — und so
unter anderem dem jüdischen Leben in Zossen oder dem christlichen Widerstand
in Brandenburg/Havel zur Zeit des Nationalsozialismus nachspüren.
Insgesamt 40 000 Euro stehen für die “Zeitsprünge” zur Verfügung, jeweils
zur Hälfte gedeckt durch die Staatskanzlei und die Stiftung Demokratische
Jugend. Die Stiftung setzt das Projekt zusammen mit dem Landesjugendring
Brandenburg um und verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Die Abwanderung junger
Menschen aus Brandenburg soll durch die Stärkung ihrer Heimatbindung
eingedämmt werden.
“Es ist nicht altmodisch, in Zeiten, in denen die Wirtschaft von jungen
Menschen größtmögliche Mobilität einfordert, ein Heimatgefühl stärken zu
wollen”, verteidigt Bildungsminister Rupprecht das “Zeitsprünge”-Projekt. Er
habe Verständnis dafür, wenn Jugendliche auf Arbeitsplatzsuche Brandenburg
verlassen. “Ich möchte aber nicht, dass junge Brandenburger ihre Heimat
generell aus ihren Zukunftsplänen ausklammern”, ergänzt der Minister. Die
“Zeitsprünge”-Initiative fördere den Dialog zwischen den Menschen gerade in
ländlichen Gebieten und sorge so für eine bessere Stimmung. Auch dadurch
könne eine stärkere Bindung an die Heimat entstehen.
Das sieht Andreas Pautzke genauso. Der Geschäftsführer der Stiftung
Demokratische Jugend gibt allerdings zu, dass sich der Erfolg vergleichbarer
Projekte auf Bundesebene schwer belegen lässt. Es gibt keine gesicherten
Erkenntnisse, ob die Steigerung des Heimatgefühls bei jungen Menschen auch
zu einem Abwanderungsrückgang führt.
Messbar bleibt so allenfalls die Stimmung vor Ort: “Die Dorfjugend war
begeistert, als sie zum ersten Mal ihren selbst gepressten Apfelsaft
probiert hat”, sagt Claudia Günther von der Naturschutzjugend. Sie wird im
Rahmen der “Zeitsprünge” ein schon begonnenes Projekt weiterführen — die
Wiederbelebung einer Schlossgärtnerei im uckermärkischen Gerswalde.
Gesundes Integrationsklima
Der Ausländerbeirat hat eine neue Vorsitzende. Hala Kindelberger wurde zur
Nachfolgerin von Yoham-Panton Kengum gewählt, der aus persönlichen Gründen
die Arbeit im Beirat niedergelegt hat.
Kindelberger lebt seit zehn Jahren in Potsdam, ist verheiratet und hat zwei
Kinder. Sie hat Psychologie und Soziologie in ihrer Heimat studiert, in
Deutschland das Diplom für Soziologie gemacht und bereitet jetzt ihre
Promotion vor. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin ist sie an der
Fachhochschule Potsdam tätig. Die Liebe wars, die die Ägypterin (“Wir sagen
nicht unser Alter” — lacht) hierher verschlagen hat. Ihr Mann ist gebürtiger
Potsdamer und war Mitte der 90er Jahre zum Praktikum in Ägypten, wo sich
beide in einer amerikanischen Computerfirma kennen gelernt haben. Heute ist
er Geschäftsführer der Berlin-Brandenburgischen Auslandsgesellschaft.
Als Mitglied ist Hala Kindelberger seit dem Jahr 2000 mit der Arbeit des
Ausländerbeirates vertraut. “Es ist eine wichtige Arbeit und ich habe die
Wahl zur Vorsitzenden gern angenommen”, sagte sie gestern. Der ehrenamtliche
Beirat hat neun Mitglieder aus sechs Nationen. “Unsere vier Deutschen sind
Gold wert”, so Kindelberger. Der Beirat sei ein politisches Gremium, aber
auch “eine gute Adresse für Ausländer, die hier Anschluss suchen”. Generell,
sagt sie, herrsche in Potsdam ein “gutes Integrationsklima”. Es sei sogar
“viel gesünder als in den alten Ländern”. Neben Rostock habe nur noch
Potsdam als Stadt in den neuen Ländern einen Beirat mit eigener
Geschäftsstelle und bezahlter Mitarbeiterin.
“Wir wollen einen breiten Dialog zwischen den Kulturen und Religionen. Auch
die Jüdische Gemeinde kann sich unserer Unterstützung für den Bau der
Synagoge sicher sein”, so Kindelberger. Der Beirat, dem Kindelberger zu noch
mehr Öffentlichkeit verhelfen will, unterstützt bei Behördengängen und
Arztbesuchen, kümmert sich um Deutschkurse für Schulkinder, hilft
Asylbewerbern, schlichtet bei Wohn- und Arbeitskonflikten, organisiert Feste
und gibt praktische Lebenshilfe.