Eisenhüttenstadt (dpa) Rund 850 wilde Hanfpflanzen hat ein aufmerksamer Bürger in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) entdeckt. Er rief am Sonntag die Polizei zu einer Freifläche am Kanal. Die Beamten entdeckten die Pflanzen, die inmitten von Unkraut willkürlich aufgegangen waren, wie die Behörde gestern mitteilte. Das etwa 10 bis 45 Zentimeter hohen Grünzeug wurde mit Hilfe der Feuerwehr geerntet und beschlagnahmt.
Duldung bis zum Bleiberecht
Seelow (epd) Die vietnamesische Familie Nguyen aus Altenberg soll trotz der Ankündigung, sie erhalte ein langfristiges Bleiberecht, zunächst eine weitere Duldung erhalten. Die zuletzt bis Ende Mai befristete Aussetzung der Abschiebung werde bis Ende August verlängert, da die Entscheidung des Innenministers noch nicht vorliege, teilte gestern der Landkreis Märkisch-Oderland mit. Die Härtefallkommission hatte sich dafür ausgesprochen, der vierköpfigen Familie ein Bleiberecht zu gewähren. Dem hatte Jörg Schönbohm entsprochen.
Essen für alle – und zwar umsonst!
(30.05.05)KW Bei strahlendem Sonnenschein fanden sich am 29.05.2005 gegen 14:00 Uhr mehrere junge
Menschen am Bahnhofsvorplatz in Königs Wusterhausen ein, um ein kostenloses Buffet
aufzudecken. Durchgeführt wurde die anderthalb Stunden andauernde Aktion von der
Initiative für ein Autonomes Soziales Zentrum (SOZ), die es sich zum Ziel gesetzt
hat, ein ebensolches Zentrum in KWh oder Umgebung aufzubauen. In der
Selbstdarstellung des SOZ heißt es unter anderem: „Vor allem die KWer Zustände, die
vielen Nazi-Übergriffe, die fehlenden Freiräume zur Selbstverwirklichung, kaum Orte
für Jugendliche und das viel zu kleine Kulturangebot der Stadt sind Gründe, die für
das SOZ sprechen. Damit so ein Haus nicht Wunschdenken bleibt, sondern Wirklichkeit
wird, hat sich die Initiative gegründet und versucht, durch kreative Aktionen auf
sich aufmerksam zu machen und die Menschen davon zu überzeugen, dass ein Autonomes
Soziales Zentrum für alle, egal wie alt oder woher, notwendig ist.“
Zu den Klängen von Benny Goodman und den Beatles begannen die SOZ-AktivistInnen mit
dem Aufbau der Tische und Bänke, richteten mittels noblem Kerzenständer,
Blumensträußen und blütenweißer Tischdecke ein edles Ambiente her und fingen an,
PassantInnen mit Sekt zu empfangen. Viele reagierten positiv, interessierten sich
für das Anliegen der jungen Leute, die mit Flugblättern und Sektflasche in der Hand
unterwegs waren. In zahlreichen Gesprächen wurden Fragen beantwortet und Infos zur
Arbeit der Initiative gegeben. Anne H., die sich gerade ein Stück Kuchen auf den
Pappteller legt, findet die Aktion „toll“. Die 23-jährige Auszubildende, die gerade
mit der Bahn angekommen war, sagt weiter: „Das ist Mal was anderes als immer nur
langweilige Infostände. Da kommt man ahnungslos des Weges und wird mit Sekt und
allerlei lecker Essen empfangen.“
Auch Eltern kamen mit ihren Kindern an die Tische und bedienten sich am
reichhaltigen Buffet, das neben Kuchen, belegten Brötchen und Obst auch aus
gekühlten Getränken bestand. Im Hintergrund des Schauplatzes prangte ein Transparent
mit der Aufschrift „Essen für alle und zwar umsonst!“
Dass das Buffet mitten in der Öffentlichkeit und für alle erreichbar stattfand,
kommt nicht von ungefähr. Es soll den sozialen Aspekt der Initiative unterstreichen
und den Menschen die Möglichkeit geben, sich in ihrem alltäglichen Umfeld wohler zu
fühlen. „Gegen das triste Grau dieser Stadt halten wir unsere bunten und kreativen
Aktionen, mit denen wir alle jene erreichen wollen, die Alternativen zum
gesellschaftlichen Einheitsdenken leben möchten. Deswegen laden wir heute alle
Vorbeikommenden ein, mit uns zu essen und zu reden. Sie sollen unsere Idee eines
Autonomen Sozialen Zentrums in Königs Wusterhausen kennen lernen“, so Michaela F.
aus dem Kreis der SOZ-AktivistInnen. Zudem betont sie: „Wir führen unser Brunch
heute auf dem Bahnhofsvorplatz nicht nur aus dem Grund eines fehlenden Hauses durch,
sondern wollen uns durchaus auch den öffentlichen Raum zurückerobern. Die Straßen
als Ort gesellschaftlicher Interaktion sind dafür ideal.“
Zum Schluss lässt Michaela noch verlauten, dass dies „nicht die letzte Aktion des
SOZ gewesen ist.“ Weitere Veranstaltungen sind geplant.
Wenn die Kinder zu Nazis werden
(30.05.05)
Am Anfang war die Musik, die aus dem Zimmer von Martin* klang. Laut und
schrill. «Ich habe da erst gar nicht genau hingehört, aber das war irgendwie
krass» , erinnert sich sein Vater Rolf Heinze. Bald jedoch kam der damals
16-jährige Sohn in Springerstiefeln und Bomberjacke nach Hause. Seine Haare
wurden kürzer. Rolf Heinze hatte keine Zweifel mehr, dass Martin, damals
Schüler der zehnten Klasse eines Gymnasiums, ein Rechtsradikaler geworden
war.
Irgendwann schaute Heinze sich dann doch die CDs seines Sohnes genauer an:
«Die sind alle zufällig in meinen Händen zu Bruch gegangen» , bekennt er. Am
nächsten Tag waren sie neu gebrannt wieder da. Für Heinze, der in einer
Kleinstadt in der Niederlausitz wohnt und im öffentlichen Dienst arbeitet,
brach eine Welt zusammen: «Man fragt sich natürlich sofort, wo habe ich
versagt und vor allem, was kann ich jetzt machen.»
Starke rechte Jugendszene
Eine Erklärung, warum Martin, der ältere von zwei Söhnen, in den braunen
Sumpf geriet, kann der Vater bis heute nicht finden. Martin wuchs in einer
intakten Familie auf, wurde christlich erzogen. Beide Eltern waren nie
arbeitslos. In der Schule gab es keine Probleme, Martins Noten waren gut.
Der Vater hatte sich seit Jahren als Elternsprecher engagiert. «Es gab
damals hier im Ort bei den Jugendlichen nur rechts oder links, es gab keine
Mitte und in gewissen Kreisen war es chic, rechts zu sein» , beobachtete
Rolf Heinze.
Eine starke rechte Jugendszene prägt auch das Bild in dem Lausitzer Dorf, in
dem die Gymnasiastin Karla* lebt. Die war gerade erst 13 Jahre alt, als
ihrer Mutter Christine Scholz* auffiel, dass die Tochter in
Familiengesprächen plötzlich aggressiv und kontrovers diskutierte, wenn es
um die jüngere deutsche Geschichte, um Schuld und Verantwortung für das
dritte Reich ging. Auch Christine Scholz will nur anonym darüber reden, wie
ihre Tochter in den braunen Sumpf geriet. Bei fast allen betroffenen Eltern
sind Schamgefühl und Angst vor den Reaktionen im Freundes‑, Bekannten- und
Kollegenkreis groß.
Streit um Neonazikleidung
Bald bekam die Mutter mit, mit wem Karla und ihre beste Freundin einen
großen Teil ihrer Freizeit verbrachten: mit Anhängern einer bekannten
Neonaziband aus der Lausitz. Deren Musik lief auch bald in Karlas Zimmer.
Anders als Martin veränderte sie sich äußerlich nicht. Nur die Familie bekam
mit, das sich im Kopf des Mädchens etwas änderte.
Der Vater von Martin hatte sich zunächst wegen der immer deutlicheren
rechten Szenekleidung seines Sohnes zurückgehalten. «Meine Frau hat mich
gebremst, die hat das anfangs unterschätzt und ich wollte keinen
Familienkrach.» Als Rolf Heinze sich nicht länger zurückhalten wollte, war
Martin inzwischen 18 Jahre alt geworden: «Dann wollte der eines Tages
ausziehen, weil er nicht mit mir reden wollte.» Was dann begann, bezeichnet
Heinze als unvorstellbar schmale Gratwanderung, bei der er manchmal auch
einen Schritt zurückweichen musste, um dann wieder zwei Schritte vorangehen
zu können.
Er machte seinem Sohn klar, was er von dessen neuer Gesinnung hielt, ohne es
zum offenen Bruch kommen zu lassen. Der Vater setzte durch, dass keine
braune Musik mehr im Haus dröhnte. Manchen Kumpel seines Sohnes, der in
Neonazikluft an der Tür klingelte, schickte er nach Hause, sich umziehen.
Und er suchte immer wieder das Gespräch mit Martin. Das, so wurde dem Vater
schnell klar, war der einzige Weg. Drastische Verbote oder ein Anreiz mit
Geld und Vergünstigungen seien völlig zwecklos, so seine Erfahrung.
Gesprächsstoff für Vater und Sohn boten bald die ersten Ermittlungsverfahren
der Polizei, die gegen den Gymnasiasten wegen Schlägereien eingeleitet
wurden.
Gespräche und Geduld
Anfangs sei in den Gesprächen auf beiden Seiten nur Frust gewesen: «Er
dachte, er kann die Welt verändern, ich war verzweifelt, weil ich was
anderes gewollt hatte.» Rolf Heinze fing an, viel über die Nazizeit zu
lesen, über rechtsradikale Strategien und Argumente, um seinem Sohn in
Debatten gewachsen zu sein. Anfangs hatte er kaum Hoffnung, dass von dem,
was er sagte, irgendetwas bei Martin ankam. Doch irgendwann fing der ganz
langsam an, mit seinem Vater zu reden.
Auch Christine Scholz und ihr Lebensgefährte, der Stiefvater von Karla,
fühlten sich zunächst völlig hilflos und überfordert. Versuche, der Tochter
den neuen Freundeskreis zu verbieten, scheiterten kläglich. Dann setzten
auch Karlas Eltern auf Geduld. Sie wollten erst mal herausfinden, was das
Mädchen inzwischen denkt. «Wir haben sie anfangs nur reden lassen, wenn wir
da abgeblockt hätten, hätten wir sie für immer verloren» , sagt Christine
Scholz.
Inzwischen hat Martin seinen Bundeswehrdienst abgeleistet und mit einem
Studium angefangen. Von der braunen Gesinnung sei er weg, sagt der Vater,
auch wenn Martin sich bei Wochenendbesuchen noch gelegentlich mit Bekannten
aus der alten Szene trifft. «Um ganz damit zu brechen, muss man
wahrscheinlich sehr weit wegziehen» , sagt Rolf Heinze. Die Angst, dass der
Sohn wieder in den braunen Sog geraten könnte, sei jedoch immer noch
vorhanden.
Bleibende Angst
Diese Angst ist auch die Mutter von Karla noch nicht los. Die Tochter, die
sich vor drei, vier Jahren weigerte, einen Döner zu essen, geht inzwischen
mit ihrer Mutter in ein griechisches oder italienisches Res taurant und
trifft ihre rechtsradikalen Freunde von einst nur noch gelegentlich in der
örtlichen Disco. Die inzwischen 17-Jährige schaut sich
Geschichtsdokumentationen über die Nazizeit im Fernsehen an. «Sie wirkt
jetzt so, als ob sie nicht mehr alles glaubt, was da in der rechten Szene
erzählt wird, aber ich kann nicht in ihren Kopf sehen» , sagt Christine
Scholz.
Mit Fürsorge, Aufmerksamkeit und einem scheinbar ganz normalen bürgerlichen
Leben hätten die Rechtsradikalen Karla für die Szene geködert. «Die haben
ihr sogar bei den Hausaufgaben geholfen» , sagt die Mutter. Da sich die
leiblichen Eltern von Karla damals gerade trennten, sei das Mädchen
vermutlich für diese Aufmerksamkeit besonders empfänglich gewesen. Von der
Nazizeit hatte das Mädchen im Geschichtsunterricht noch nichts gehört, als
sie sich Rechsradikalen anschloss.
Mehr als die Hälfte der rechtsradikalen Gruppe, mit der Martin als Schüler
durch seine Heimatstadt zog, waren Abiturienten. In der Schule seines Sohnes
habe man das nicht wahrhaben wollen, sagt Rolf Heinze. Bei einem Gespräch
mit dem Schulleiter stieß er auf Unverständnis. Doch er gab nicht auf und
holte das “Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit” im Land Brandenburg in die Stadt. Das Team
veranstaltete in mehreren Schulen Informationsabende über Erkennungszeichen,
typische Kleidung und Musik der braunen Szene. Inzwischen bietet das Team
auch persönliche Beratungen für betroffene Eltern an. Das “Mobile
Beratungsteam” in Sachsen denkt ebenfalls über ein solches Angebot nach.
«Wir bekommen zunehmend Anfragen von betroffenen Eltern» , sagt Markus
Kemper vom sächsischen Team.
Erziehung keine Garantie
Rolf Heinze engagiert sich noch heute in seinem Ort, um der rechten Szene
«das Wasser abzugraben» , wie er sagt. In den Schulen, so seine Kritik,
würde den Heranwachsenden zu wenig vermittelt, wie Demokratie und Freiheit
funktionieren und dass das Werte sind, die es zu verteidigen lohnt.
Warum es gerade sein Sohn war, der den braunen Parolen auf den Leim ging,
das fragt sich Rolf Heinze nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht
mehr: «Es kann jede
n treffen, da hilft auch die beste humanistische
Erziehung nicht, das ist keine Garantie.» Christine Scholz beklagt, dass
gerade auf dem Land an rechtsradikaler Gesinnung kaum Anstoß genommen würde.
Wenn Anhänger dieser Szene dazu noch ein unauffälliges bürgerliches Leben
führten und keinen Krawall machen, würden sie akzeptiert. Eine Situation,
die Karlas Mutter beunruhigt: «Das bringt eine schleichende Normalisierung
mit sich und damit irgendwann auch eine Legalisierung solcher Ansichten.»
*
Namen geändert
(ND)COTTBUS 35 Grad zeigte das Thermometer und Schatten gab es nirgends. Trotzdem kamen
über 300 Menschen am Samstagnachmittag in
der Cottbuser Innenstadt zusammen, um unter der Losung ” Für ein schönres
Leben — Neonazistrukturen aushebeln” in den
Stadtteil Neuschmellwitz zu ziehen.
Er zählt seit Jahren zu den Brennpunkten rechter Gewalt in Cottbus. Doch in
den letzten Wochen haben sich die Übergriffe
gehäuft. Das war auch der Grund für das “Antifaschistische Aktionsbündnis
Südbrandenburg” relativ kurzfristig zu der
Demonstration aufzurufen. Die Organisatoren waren mit der Resonanz
zufrieden. Schließlich hatten sich neben vielen jungen
Antifaschisten auch zahlreiche ältere Bewohner der Demonstration
angeschlossen. Zeichen der Unterstützung des antifaschistischen
Anliegens der Demonstration gab es auch auf andere Weise. So zeigten
Bewohner auf der Demoroute duruch ein Transparent mit
antifaschistischen Parolen ihre Unterstützung, andere Anwohner verteilten
spontan Wasserflaschen an die von der Hitze
erschöpften Demonstranten. Die Polizei hielt sich sehr zurück, obwohl es
strenge Auflagen gab. So war das Rufen agrressiver
Parolen untersagt.
Auf der Demoroute wurden Anwohner und Passanten immer wieder aufgefordert,
nicht weg zusehen, wenn Flüchtinge und alternative
Jugendliche von den Rechten bedroht werden.
Die Serie rechter Überfälle der letzten Zeit ist lang. So wurde in der Nacht
zum 8.Mai ein 57jähriger Mann indischer Herkunft in einem Bus von zwei
Rechten mit rassistischen Parolen angepöbelt. Nachdem er in Neuschmellwitz
ausgestiegen war, wurde er von den Rechten verfolgt und zusammen geschlagen.
Nur wenige Tage zuvor wurden zwei Studenten aus Kamerum in einer Cottbuser
Disco von Rechten bedroht und durch Schläge
verletzt. Ein weiterer spektakulärer Naziüberfall ereignte sich am 14.Mai
2005 im Cottbuser Stadtteil Sachsendorf, der ebenfalls zu
den rechten Brennpunkten der Stadt zählt. Dort wehren sich die ehrenamtlich
arbeitenden Mitarbeiter des Jugendclubs Fragezeichen schon lange
gegen die rechte Dominanz in der Jugendkultur. Sie versuchen sogar bewußt
andere Akzente zu setzen. So hatten sie am
14.Mai eine Veranstaltung mit dem Antifaschistischen Pressearchiv aus Berlin
organisiert.
Schon bei Beginn der Veranstaltung wurden zwei bekannte Neonazis unter den
Besuchern enttarnt und des Hauses verwiesen.
Kurze Zeit später überfiel eine Gruppe von mehr als 20 vermummte Nenazis den
Jugendclub, zerstörten Teile der Einrichtung
und verletzten mehrere Besucher.
Der Überfall war einer der Höhepunkte rechter Gewalt in Cottbus und hat die
antifaschistische Szene auch aus der Umgebung
mobilisiert. So nahmen an der Demonstration auch Antifaschisten aus Guben,
Forst und Berlin teil. “Nazizentren zu Dönerbuden”
hieß eine der Parolen auf den Transparenten. Damit solidarisierte man sich
mit den häufig von Nichtdeutschen
betriebenen Imbissen in Brandenburg, die in den letzten Monaten verstärkt
Ziel von rechten Attacken wurden. Das beginnt bei
Beschimpfungen des Personals und der Gäste und reicht über tätliche Angriffe
bis zu Brandanschläge auf Dönerbuden in mehreren
Städten in Brandenburg.
Die Organisatoren der Antifademo betonten gegenüber ND, dass es ihnen auch
darum gegangen ist, die Opfer rechter Gewalt
nicht allein zu lassen. “Wir lassen uns von dem Terror der Neonazis nicht
einschüchtern”, war eine der Botschaften.
Das zeigte sich besonders deutlich, als mehrere Neonazis aus einer Wohnung
in
Neuschmellwitz Demonstranten fotografierte.
Statt weg zu laufen, wurden die Rechten mit Parolen eingedeckt, so dass sie
bald das Fotografieren
einstellten.
400 junge Leute protestieren gegen neue Nazis
Friedliche Demonstration zwischen Stadthalle und Schmellwitz
(LR)(30.05.05) COTTBUS
Etwa 400 Demonstranten protestierten am Sonnabend gegen das Erstarken von
Neonazis in Cottbus und forderten eine Solidarisierung mit den Opfern
rechter Übergriffe. Der friedliche Zug von der Stadthalle nach Schmellwitz
und zurück wurde von einem Großaufgebot der Polizei begleitet.
Zunächst demonstriert die Polizei Stärke: Eine Hundertschaft ist schon in
der Mittagsstunde zur Stadthalle angerückt und bezieht Posten. Nach und nach
finden sich die ersten Demo-Teilnehmer ein. Musik dröhnt aus einem
Lautsprecherwagen. «Bleibt friedlich, lasst euch von der Polizei nicht
provozieren» , ruft ein Sprecher. Verhaltensregeln sind ausgehandelt: kein
Alkohol, keine Flaschen, keine Gewalt, und, so sagt der Sprecher, «Drogen
soll ja ohnehin jeder zu Hause lassen» .
«Für ein schöneres Leben — Nazi-Strukturen aushebeln» ist das Motto des
Nachmittags. Der geplante Beginn um 14 Uhr ist bereits überzogen. «Wir
warten noch auf einen Zug aus Berlin, der komischerweise 45 Minuten
Verspätung hat.» Unter den Teilnehmern als einziger Stadtverordneter Ralf
Fischer von den Grünen, dazu der Cottbuser PDS-Geschäftsführer Matthias
Loer. Allerdings hatte sich die Antifa dagegen ausgesprochen, dass Parteien
mit Plakaten auf den Zug aufspringen. «Das ist unsere Demo, wir wollen
keinen Wahlkampf» , so ein Sprecher der Veranstalter.
Kurz vor drei geht es dann los, zunächst ohne die Berliner. «Wir wollen ein
Zeichen setzen und darauf aufmerksam machen, das Nazis immer stärker werden
in Cottbus» , sagt ein Sprecher der Antifa, der seinen Namen nicht in der
Zeitung lesen will. Vorsicht sei geboten: «Wir haben ein paar Nazis gesehen,
die fotografieren.» Im Internet kursieren Listen mit Namen, Adressen und
Fotos — aus der linken wie der rechten Szene. Journalisten erhalten deshalb
ein gelbes Band.
In der Karlstraße steht ein Ausländer und sieht dem Zug zu: «Wir haben alle
schon mal Pöbeleien, Drohungen oder noch Schlimmeres erlebt. Es ist gut,
dass die jungen Leute zeigen, dass es auch andere gibt» , sagt er.
Schmellwitz sei bewusst als Ziel der Demo gewählt, so der Antifa-Sprecher.
Der Stadtteil gilt als Hochburg der Neonazi-Szene. In der Neuen Straße war
ein Inder im Nachtbus von Nazis zunächst beleidigt, später auf der Straße
verfolgt und zusammengeschlagen worden. Als sich der Demo-Zug durch die Neue
Straße und den Hopfengarten bewegt, wird von Balkons und aus Fenstern
fleißig gefilmt und fotografiert — wohl nicht fürs Familienalbum.
Auf einer kurzen Kundgebung erinnert ein Sprecher an die Vielzahl rechter
Übergriffe in der Stadt, die allein in diesem Jahr die Öffentlichkeit
aufgeschreckt haben (siehe Hintergrund). Sprüche folgen wie «Gebt den Nazis
die Straße zurück — Stein für Stein» oder «Gegen Hartz und Mindestlohn,
Nazis in die Produktion» .
Neben der Polizei, die einen Ring um den Zug bildet und Straßen sperrt,
begleiten auch Mitarbeiter vom Cottbuser Jugendhilfe-Verein die
Demonstration. Spontan schafft ein Sozialarbeiter Wasser für die Teilnehmer
heran, die unter der glühenden Sonne marschieren. Kurz vor dem Ende schwitzt
sich ein Teilnehmer noch die Bemerkung ab: «Eigentlich schade, dass die
Bullen keine Wasserwerfer dabei haben.» Zur Abkühlung springen dann einige
Demonstranten in die Brunnen vor der Stadthalle.
Allerdings reicht das Wasser offenbar nicht für alle: Ein Berliner Demo-Gast
möchte in die Spree Galerie, doch der Eintritt wird ihm vom Wachschutz
verwehrt: «Hausrecht» . Eine kurze Rangelei, die Polizei greift ein — und
muss sich dafür beleidigen lassen mit Sprüchen wie «Kleine Dienstgrade» ,
gefolgt von einer Schimpfkanonade auf «Ostdeutschland» . Dann entdecken die
Autonomen zwei vermeintliche Nazis und rüsten schon zum Sturm. Andr
eas Rothe
vom «Cottbuser Aufbruch» versucht zu bremsen: «Das ist unfair den
Veranstaltern gegenüber, die sich hier um eine friedliche Demo bemüht
haben.» Die Hitzköpfe beruhigen sich.
Doch noch bis in die Abendstunden fahren auffällig viele Polizeiautos
regelmäßig an der Stadthalle vorbei.
Hintergrund Nazi-Übergriffe
Im Februar wurden zwei Studenten aus Kamerun in der Innenstadt angegriffen
und geschlagen. Im April wurde ein 16-jähriger Afghane durch rechte Schläger
schwer verletzt. Im Mai verprügelten Neonazis einen Inder in Schmellwitz,
der sich aus Angst vor weiteren Übergriffen zunächst weder behandeln ließ
noch zur Polizei ging. Höhepunkt der Gewaltwelle: der organisierte Überfall
auf den Jugendclub «Fragezeichen» in Sachsendorf.
Zwei Gesichter
(LR)(30.05.05) COTTBUS
Gesicht zu zeigen gegen Neonazis, das fiel den Demons tranten am Sonnabend
nicht leicht. Es gehört eine große Portion Mut dazu, sich Neonazis
öffentlich entgegenzustellen — viele Cottbuser haben diesen Mut nicht.
Dass die Demo-Veranstalter im gleichen Atemzug am liebsten Fotos verbieten
wollten, auf denen Gesichter zu erkennen sind, hat wohl etwas mit ihrer
verständlichen Angst vor Verfolgung zu tun. Allerdings bezieht das die
linksautonome Szene nicht nur auf Nazis, sondern auch auf die Polizei.
Zwei Gesichter zeigten einige Teilnehmer, die aus Berlin angereist waren.
Wozu nach friedlichem Verlauf der Demo noch Wachschutz, Polizei und
Passanten — selbst wenn Letztere zur rechten Szene gehören — provozieren?
Aus dem Marsch vom Sonnabend müsste eigentlich ein Demo-Marathon werden.
Denn einerseits sind weitere Übergriffe rechter Schläger zu befürchten.
Andererseits weiß man nicht, wohin die schweigende Mehrheit auf Balkonen
oder hinter den Gardinen in Cottbuser Wohnungen gedanklich tatsächlich
neigt. Rechte Ideologie und Gewalt sind ein gesellschaftliches Problem, das
sich mit Demonstrationen zwar nicht aus Cottbus herausschaffen lässt. Was
solche Demos jedoch leisten können, ist die Ermutigung derer, die etwas
machen wollen, bislang aber nicht wussten, wer mitzieht. Die Kräfte müssen
gebündelt werden, da das jüngste Vorgehen der Nazis in Sachsendorf eine
straffe Organisation erkennen lässt.
Um so wichtiger bleibt es, in der Stadt im Alltag Gesicht zu zeigen — gegen
rechte Gewalt, gegen Nazi-Strukturen und Intoleranz.
Heiße Party am Neuen Palais
POTSDAM (30.05.05)” Ich finde es gut, dass es in Potsdam so viele Freunde gegen Nazis gibt”,
brüllt Knorkator-Sänger Stumpen ins Mikrofon. Vor der Bühne drängeln sich,
nach Schätzungen von Stumpen, 2000 Leute, die bei seiner Aufforderung,
“gegen die Scheiß-Nazis” zu rocken, ihre Arme in die Höhe reißen und jubeln.
“Deutschlands meiste Band der Welt”, wie sich die Musiker der Berliner
Gruppe Knorkator bezeichnen, spielte am Sonnabend zum Abschluss des
Hochschulsommerfestes der Uni Potsdam. Das Freilichtspektakel am Neuen
Palais fand unter dem Motto “Pop und politische Themen” statt. Für “umsonst
und draußen”, wie es in der Einladung hieß, gab es acht Stunden Live-Musik.
Und dazu Staropramen und Grillwurst sowie Infostände über Rassismus und
einen Kuchenbasar für Habari in Afrika. Über den Tag sollen 3000 Gäste
gekommen sein.
Bei der Potsdamer Band Fosbury Flop und dem Reggae Sänger Martin Jondo aus
Berlin blieb das Publikum noch fern der Bühne im Schatten. Eine kleine
Tanzgruppe mit Bikiniträgern und Strohhüten bewegte sich zu den
lateinamerikanisch-karibischen Klängen von Sazón. Die Band aus Jena singt
deutsch, englisch und spanisch. Ihre teils gesellschaftskritischen Texte
waren aufgrund der Akustik schwer zu verstehen. Die Textpassage “Ich bin
dagegen” sorgte für einige Mitsinger im Publikum. Auch die Texte der
Punkrocker von Freygang nur zu erahnen. Die Tanzgruppe zog sich zurück,
gesetzteres Publikum sammelte sich vor der Bühne. Für Unterhaltung in den
Umbaupausen sorgte Student Robert Lucas mit einem Salsa-Tanzkurs. Auch
Kinder und Hunde drehten sich da im Kreis. Kaum einer lag oder saß noch auf
der Wiese, als mit dem Einbruch der Dunkelheit Knorkator auf die Bühne kam.
Der schwarz tätowierte Sänger, bekleidet nur mit gelbem Badeanzug, schlug
Purzelbäume und hüpfte chaotisch von einer Ecke in die andere. Bei dem Lied
“Ich hasse Musik” warf er wütend eine Lautsprecherbox aus Schaumstoff ins
Publikum. Der virtuose Krach und die etwas derben Texte sorgten bei den
Zuschauern für kräftiges Haareschütteln und unaufhörlichen Jubel. Am Ende
der Veranstaltung konnte auch der einsatzbereite Krankenwagen ohne Blaulicht
losfahren.
Folter-Prozess
Frankfurt (Oder) Stundenlang malträtierten drei Männer in Frankfurt an der Oder einen 23-Jährigen. Das Opfer wird sein Leben lang behindert sein. Selbst erfahrene Prozessbeobachter sind fassungslos angesichts der bestialischen Tat. Im Juni wird das Verfahren fortgesetzt.
Frankfurt an der Oder — Das Opfer ist ein Deutscher namens Gunnar, 1981 geboren, wohnhaft in Frankfurt an der Oder, einer Stadt mit immenser Arbeitslosigkeit, unmittelbar an der Grenze zu Polen gelegen und von den verheerenden Zerstörungen durch den Krieg noch immer gezeichnet. Vieles, was nach der Wende hoffnungsvoll begonnen wurde, hat sich dort längst zerschlagen. Städtebauliche Fehlinvestitionen kümmern vor sich hin: leere Einkaufszentren, gähnende Auslagen, verwaiste Flaniermeilen. Elend und Resignation spiegeln sich in den Gesichtern der Passanten. Luxusgeschäfte oder teure Restaurants — Fehlanzeige. Eine Buchhandlung wirbt mit einem Kochbuch “Gerichte für einen Euro”.
In den Zeitungen, die aus der Gegend berichten, finden sich fast täglich Meldungen über Opfer wie Gunnar und Täter wie Ronny, Daniel, David, Ramona und Stephanie. Was Gunnar von Seinesgleichen angetan wurde, ist in seiner Grausamkeit und Menschenverachtung genau das, was der forensische Psychiater Andreas Marneros in seinem neuesten Buch “Blinde Gewalt” (Scherz Verlag, 2005) beschreibt.
Marneros stellt darin einige der Fälle rechtsradikaler Gewalt vor, die er als von ostdeutschen Gerichten beauftragter Sachverständiger in der letzten Zeit zu begutachten hatte. Man hört die rechtsextremen Beschuldigten sprechen, sieht sie in ihrer hohlen Aufgeblasenheit vor sich, man erfährt, was sie dem Gutachter auf Fragen nach ihren Lebensumständen, nach Motiv und Tatablauf antworten. Marneros, Hochschullehrer an der Universität Halle-Wittenberg, ist auf Zypern geboren. Er bringt mit seinen Fragen nach Wut und Hass die zumeist jungen Neonazis nicht selten in Erklärungsnöte, wenn sie ihm, dem gebürtigen Griechen, ihre Gedankenwelt beschreiben sollen. Nicht alle schämen sich ihrer Taten. Nicht alle sind bereit zuzugeben, dass in Wirklichkeit sie es sind, die sich verabscheuungswürdig verhalten — und nicht die Ausländer und die Juden und die sonstigen Feindbilder.
Vergewaltigen, verletzen, töten
Diese rechtsradikal gesinnten jungen Leute tun genau das, was sie “dem Dreck, der im Klo hinuntergespült werden muss”, vorwerfen: Sie vergewaltigen, verletzen, töten, sie pumpen sich und andere mit Rauschgiften voll, sie sind die Schmarotzer, die der Allgemeinheit auf der Tasche liegen.
Marneros kommt noch zu einem weiteren Schluss: “Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass von der Gewalt der Rechtsextremisten ausschließlich Schwarze, Ausländer und Juden betroffen sind. Rechtsextremistische Gewalt trifft auch die Deutschen.” Rechtsextremistische Gewalt, das erfährt er immer wieder, ist nichts als blanke Kriminalität, gepaart mit primitivem, Ekel erregendem Hass. Jeder könne heute Zielscheibe dieses oft tödlichen Hasses werden, warnt Marneros: der Spaziergänger, der Hausbewohner, der Kneipenbesucher am Nebentisch. Wer Opfer werde, so der Gerichtsgutachter, sei purer Zufall.
Auch Gunnars Schicksal war Zufall. Er wurde am 5. Juni vorigen Jahres auf dem Weg zum Einkaufen nichts ahnend mitten in der Stadt von fünf, ihm flüchtig bekannten jungen Leuten im Alter zwischen 20 und 29 Jahren überfallen, ins Auto gezerrt und in die Wohnung eines Bekannten geschleppt — weil, ja weil irgendjemand behauptet hatte, er sei ein “Kinderficker”. Ein Gerücht, nichts weiter, Näheres wusste keiner. Das Gerücht stimmt nicht. Es ist nichts daran. Gunnar ist kein “Kinderficker”, er hat nichts gemacht. Doch egal. Die selbsternannten Rächer, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten nach exzessivem Alkohol- und Drogenmissbrauch in den Tagen und Nächten zuvor, wollten ihm “eine Lektion” erteilen.
Sie treten die Wohnungstür ein. Ronny, berichtet später der Wohnungsinhaber, habe ihn vom Balkon werfen wollen. “Wenn Daniel und die Frauen nicht gewesen wären, wäre ich runtergeflogen.” Gunnar wird beschimpft als “nicht arisch”, er sei “weniger wert als ein Hund”, dann hagelt es Fußtritte und Schläge. Gunnar muss sich ausziehen. Es kommt zu sexuellen Übergriffen. Ein Brotmesser muss er sich selbst anal einführen, es wird nachgestochert. Es folgen eine Toilettenbürste, ein Fleischwender, ein Kochlöffel. Mit einer Gabel sticht man in seine Schenkel.
Ronny, sagt später einer aus der Gruppe, habe die perversesten Einfälle gehabt, er habe die Gegenstände mit seinem Schuh weiter hineingedrückt. Gunnar schreit vor Schmerz. Er muss die Klobürste ablecken. Daniel verbrennt mit einem heißen Bügeleisen Gunnars Rücken, die Arme, die Brustwarzen, das Gesäß. Brennende Zigaretten werden auf Gunnars Penis ausgedrückt. Einer nimmt Ronny das Messer weg, als er sich anschickt, auf das am Boden liegende Opfer auch noch einzustechen. Ronny uriniert in Gunnars Mund.
“Hör auf mit der Scheiße”
Dazwischen immer wieder Schläge und Tritte. Gunnar muss Spülmittel trinken. Ronny springt dem mittlerweile schwer Verletzen mehrfach auf den Brustkorb. Gunnar erbricht. David nimmt eine Spraydose und macht daraus einen Flammenwerfer, den er gegen Gunnars wunden Rücken richtet. Gunnar wird minutenlang mit einem Staubsaugerrohr traktiert. Er blutet. Immer wieder das Messer. Dann wird mit einer Hundekette zugeschlagen.
Und die Frauen sitzen auf dem Sofa, lachen, und eine brüllt immer wieder “Kinderficker”, so der Wohnungsinhaber als Zeuge vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder. Die andere schlägt vor aufzuhören, weil sie mit einer Freundin ausgehen will. “Hör auf mit der Scheiße.”
“Haben Sie mal daran gedacht, die Polizei zu verständigen?”, fragt der Vorsitzende Richter Andreas Dielitz einen Zeugen, der bei der Gewaltorgie dabei war. “Ich war zu sehr beschäftigt mit dem Saubermachen des Teppichs”, entschuldigt sich der junge Mann. “Der Gunnar hatte einen Darmdurchbruch und alles kam raus. Es sah aus wie Blut und ein Stück vom Darm.” Und hinterher? “Da war ich zu feige.” Ronny und David ziehen Gunnar einen Bettbezug über und werfen ihn aus der Wohnung. Dann legen sie sich schlafen. Auch die Mädchen sind müde.
“Hätten die währenddessen gehen können?”, fragt der Vorsitzende. “Ja sicher”, sagt der Zeuge. Die Mädchen waren zwischendurch auch mal im Bad. Eine telefonierte mit ihrem Freund. “Ich habe mich nicht getraut”, sagt der Zeuge.
Der Verteidiger einer der angeklagten Frauen trägt eine Erklärung vor: Das Lachen seiner Mandantin habe sich auf Gespräche der Frauen untereinander bezogen. Es sei nicht festzustellen, wer “Kinderficker” gebrüllt habe und so weiter. “Jetzt haben wir gehört, welche Rechtsauffassung Sie vertreten”, beendet der Vorsitzende sarkastisch seine Ausführungen.
Dass Gunnar jenen Vormittag überlebt hat, ist ein Wunder, er befand sich in akuter Lebensgefahr. Durch die Zerreißungen des Darmes kam es zu lebensbedrohlichen Blutungen. Ins Gewebe übertretende Bakterien drohten, eine eitrige Bauchfellentzündung herbeizuführen. Die Schmerzen müssen ihm fast den Verstand geraubt haben. Es wurde sofort operiert. Gunnar bekam einen künstlichen Darmausgang. Heute quälen ihn nicht nur Alpträume, sondern auch noch schmerzhafte Verwachsungen. Lebenslang wird er an den Folgen des Gewaltexzesses leiden müssen.
Wer entsetzt fragt, was für Menschen das sind, die so etwas tun, erfährt es aus dem Buch von Andreas Marneros. Er beschreibt die Lebensläufe, zitiert die erbärmlichen Ansichten, die best&u
uml;rzende Unkenntnis, wenn es um historische Fakten geht, das allenfalls rudimentäre Allgemeinwissen junger Leute, die zwar in der Minderzahl sind insgesamt, in bestimmten Gegenden Deutschlands aber in erschreckendem Ausmaß an Zahl zunehmen. Kaputte Familien, Alkoholiker die Eltern, Rauschgift, Anabolika, Amphetamine, kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung bei den Kindern. Kontakte allenfalls zu Gleichgesinnten, die rechtsradikale Szene ist schon für Zwölfjährige Familienersatz. Arbeit hat keiner, will keiner, gibt es ja auch nicht. Es regieren Hass, Wut, Enttäuschung, Verbitterung — und der Alkohol. Stabile Beziehungen zu Partnern gelingen nicht, ein Platz im Leben ist nicht in Sicht. Wer sich derart zum Bodensatz der Gesellschaft rechnen muss, der sucht sich dann eben ein Opfer, an dem er wenigstens seinen bösartigen Spaß haben kann, indem er es erniedrigt wie den gepeinigten Gunnar. Zumindest im Vergleich zu ihm ist man doch stark. Oder?
“Mittleres Gewaltrisiko”
Die fünf Angeklagten in Frankfurt/Oder, es geht bei ihnen um gefährliche Körperverletzung, eventuell auch um Beihilfe oder Mittäterschaft, sind von der Leiterin der neuen Maßregelklinik in Eberswalde, Manuela Stroske, begutachtet worden. Mit Ausnahme von Ronny hat sie bei allen volle Schuldfähigkeit festgestellt. Bei ihm diagnostizierte sie eine “kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen” verbunden mit einer Abhängigkeit von mehreren Substanzen, so dass eine Schuldminderung geboten erscheint. Auf freien Fuß allerdings wird Ronny — die Verlesung seiner Vorstrafen ging über eineinhalb Stunden — so schnell nicht kommen, da die Sachverständige eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Vollzug befürwortete.
“Sicherungsverwahrung ist noch nicht eindeutig zu empfehlen”, sagte sie. Es liege eine “mäßig ausgeprägte Psychopathie, ein mittleres Gewaltrisiko” vor. Ronny, der Älteste, bei dem Alkohol, Tabletten und geistige sowie körperliche Verwahrlosung schon tiefe Spuren hinterlassen haben, hat also eine letzte Chance, eine ziemlich geringe allerdings. Was soll aus dieser Generation werden?
Gemeinsame Demonstration Brandenburg-Berlin unter dem Motto:
„Nicht einsam – gemeinsam gegen den Sozialabbau“
am Samstag, den 25.Juni 2005 um 10.00 Uhr in Jüterbog.
Gestern am 29. Mai 2005 fand in Königs-Wusterhausen das zweite Vernetzungstreffen der Montagsdemobewegung für die Bundesländer Brandenburg-Berlin statt. Die Vernetzung und Zusammenarbeit dient der besseren Zusammenarbeit der Städte miteinander, der Koordinierung der Zusammenarbeit und der Vorbereitung größerer gemeinsamer Aktionen beider Bundesländer. Gerade in Anbetracht der oft miserablen finanziellen Situation der Demonstranten ist dieser Zusammenschluss ein großer Erfolg, geht doch damit der Plan der Allparteienkoalition des Sozialabbaus , die außerparlamentarische Opposition und den Widerstand finanziell auszuhungern nicht auf. Auch und gerade in Anbetracht bevorstehender Neuwahlen ist die konsequente Weiterführung des Widerstandes gegen die asoziale Wirtschafts –und Sozialpolitik in diesem Land notwendig, mehr noch muss die Bewegung weiter gefestigt und ausgebaut werden.
Die Regierungskrise und das damit zusammenhängende innenpolitische Chaos sind nicht unwesentlich auf unsere Durchhaltestrategie und unseren Druck zurückzuführen, auch wenn dies die entweder unter Wahrnehmungsstörungen leidenden oder tatsächlich unfähigen Politiker nicht zugeben wollen und wohl auch in Anbetracht drohenden Machtverlustes nicht können. Mit einem Regierungswechsel von Rot-Grün auf Schwarz-Gelb oder gar Schwarz-Rot werden die Demonstrationen und der Widerstand nicht beendet sein.
An dem Regionaltreffen Brandenburg/Berlin nahmen Vertreter aus Königs-Wusterhausen, Eisenhüttenstadt, Jüterbog, Berlin, Senftenberg, Finsterwalde, Elsterwerda und Eberswalde statt. Einige Städte waren auf Grund der Kürze der Anberaumung des Termins nicht vertreten. An dem Ausbau dieser Vernetzung und Zusammenarbeit wird zielstrebig gearbeitet. Das Treffen verlief dann auch sehr konstruktiv, alle Punkte wurden ausdiskutiert und demokratisch abgestimmt. So wurde der ursprünglich vorgesehene Demonstrationsort Königs-Wusterhausen verworfen und man einigte sich statt dessen auf Jüterbog. Auch bezüglich des Ablaufs und der Redebeiträge kam man nach einigen Diskussionen zur Einigkeit. Wichtig war für viele Teilnehmer, dass niemandem Sonderrechte bezüglich der Redezeit eingeräumt werden. Niemand ist wichtiger als andere.
Nun kann und sollte die Mobilisierung für diese gemeinsame Demonstration beginnen. Aufgerufen sind alle Organisationen, Bündnisse, Verbände, Initiativen etc., die aktiven Widerstand gegen Sozialabbau leisten oder leisten wollen.
Fred Schirrmacher
als Vertreter des Berliner Bündnis Montagsdemo
Montags-gegen-2010
auf dem Regionaltreffen am 29.05.2005
in Königs-Wusterhausen
e‑Mail:: KEINSPAM.Fredschirrmacher@aol.com | Homepage:: http://www.montags-gegen-2010.de |
(Berlin, im Mai 2005) Wir, die Unterzeichneten Akademiker in Deutschland, sind über die britischen Kolleginnen und Kollegen empört, die einen Boykott israelischer akademischer Einrichtungen befürworten.
Wir weisen ein solches Ansinnen mit allem Nachdruck zurück und fordern
dagegen eine Solidarität mit israelischen Universitäten und den darin
Lehrenden und Forschenden!
Die israelischen Universitäten sind international hoch angesehene
Institutionen, an denen neben den jüdischen Studierenden Studenten und
Studentinnen unterschiedlicher Nationalitäten, darunter auch viele
Araberinnen und Araber, akademisches Wissen erwerben. Das aber verschweigen
die Boykotteure.
Angesichts der historischen Schuld Groß-Britanniens gegenüber dem jüdischen
Volk, als sie den Flüchtlingen vor dem sicheren Tod in dem von den
Nationalsozialisten besetzten Europa und den Überlebenden aus
Konzentrations- und Vernichtungslagern die Einreise in das damalige
britische Mandatsgebiet mit Gewalt verweigerten, ist der Aufruf zum Boykott
israelischer Universitäten ein Indiz für die Unbelehrbarkeit und
Einseitigkeit der Boykotteure, die sich mit akademischer Bildung kaum
verträgt. Europa, einschließlich Groß-Britanniens, hat eine historische
Verantwortung für seine vertriebenen jüdischen Bürger und deren Nachkommen,
für die Juden, die es aus seiner Mitte verdrängte und ermordete. Die Schuld
am arabisch-israelischen Konflikt liegt in zweitausend Jahren €päischer
„Judenpolitik“. Historiker und Akademiker sollten dies wissen.
Wir, die Unterzeichneten, erklären unsere Solidarität mit den vom britischen Boykott bedrohten israelischen Universitäten:
Prof. Dr. Karl E. Grözinger, Universität Potsdam
Dr. Elvira Grözinger, Universität Potsdam
Bitte unterschreiben Sie diesen Aufruf, leiten Sie ihn an Freunde und Bekannte weiter und schicken Sie ihn an uns zurück.
eMail: kgroezi@rz.uni-potsdam.de
“Ein Glücksfall für den Kreis”
(Henning Kraudzun, MOZ) Seelow Die Festveranstaltung zum fünfjährigen Bestehen des Netzwerkes für Toleranz und Integration Märkisch-Oderland (NTI) war dieser Tage im Kulturhaus nicht nur ein Rückblick auf das zuletzt Geleistete, sondern auch eine Vorschau auf künftige Aufgaben.
“Wir müssen vor allem am Thema Integration dranbleiben, das wird ein Schwerpunkt der Arbeit”, sagte NTI-Koordinatorin Kerstin Dickhoff gegenüber der MOZ. Projekte mit Asylbewerbern für Asylbewerber gelte dabei das Hauptaugenmerk. Man wolle außerdem an Schulen aktiv bleiben, die Eltern mit einbeziehen. Wenn viel geleistet werde, könne sich das Netzwerk auf jeden der 43 Mitstreiter verlassen.
Die sind nahezu komplett zur Festveranstaltung gekommen. Auch Amtsdirektoren, Gemeindebürgermeister, Kreistagsabgeordnete, Kirchenvertreter und Sozialarbeiter waren der Einladung gefolgt. “Das Netzwerk ist aus den Strukturen des Landkreises nicht mehr wegzudenken”, würdigte die Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte des Kreises Marianne Huhn das Bündniss. Aus dem zarten Pflänzchen sei ein Baum geworden, der Stürmen standhalten könne.
Die ersten heftigen Winde hat das Netzwerk in fünf Jahren auch überstanden. “Als wir mit der Arbeit begannen, war der Bedarf nach Hilfe groß. Mitarbeiter von Jugendeinrichtungen wussten nicht mehr, wie sie mit Rechtsradikalen umgehen sollten”, so Guido Henning in seinem Vortrag über bisherige Projekte. Es sei schon ein langer Weg gewesen, bis man die Strukturen des Bündnisses abgeklärt hatte und immer mehr engagierte Menschen für das Bündnis anwarb, sagte der frühere Pressesprecher des Netzwerks.
In Dolgelin und Letschin wurden die ersten Projekte mit Schülern entwickelt, ob in Form eines Theaterstücks oder eines Toleranztrainings. Aus Projekttagen ist in Letschin inzwischen die AG Erzählcafé entstanden. “Dort finden Jugendliche Zugang zum Thema Toleranz”, sagte Guido Henning. Eine Zukunftswerkstatt in dem Ort habe außerdem in einer Initiative für einen Jugendklub gemündet.
In guter Erinnerung für alle Beteiligten seien zudem die Projekte im Asylbewerberheim mit Spiel- und Sportfesten, den Weihnachtsfeiern und dem Aufbau des Spielplatzes. “Mit kleinen Vorhaben haben wir die Lebensbedingungen der Asylbewerber etwas verbessert”, sagte er. Als Ergebnis des zweiten Integrationsfachtags sei überdies ein Arbeitskreis Asyl eingerichtet worden, der schnell konstruktive Arbeit geleistet habe. Künftige Aufgaben der Integration sprach auch Ines Schröder-Sprenger vom Büro der Ausländerbeauftragten des Landes an. “Integration ist ein beiderseitiger Prozess. Er muss gemeinsam angepackt werden, von Deutschen und Einwanderern”, so die Mitarbeiterin der Landesregierung. Vor allem im Bereich Rassismusbekämpfung müsse in Brandenburg noch viel getan werden. “Es ist erschütternd, wie viele Menschen im Land noch Ausländer ablehnen. Das haben Studien gezeigt”, sagte Ines Schröder-Sprenger. Das NTI mache da einen großen Schritt in die richtige Richtung.
Eine gute Vorbereitung für künftige Aufgaben mahnte Wolfram Hülsemann, Chef des Mobilen Beratungsteams der RAA Brandenburg, in seiner Rede an. “Die Herausforderungen werden immens größer, als sie uns jetzt überhaupt erahnen lassen”, betonte der Koordinator mehrerer Projekte gegen Rechtsextremismus. Ein Netzwerk habe verschiedene Phasen, auf eine Euphorische könne auch eine Schwierige folgen, sagte Hülsemann und verdeutlichte die Bedeutung neuer Projekte für die Entwicklung des Netzwerks.
Toleranz heiße auch, dass man sich Unterschiede genehmige und sich in die Rolle des anderen versetze, so der Leiter des Beratungsteams, das in sechs Regionen Büros eingerichtet hat. “Das ist die Grundlage demokratischen Handelns”, sagte er. Denn die Zivilgesellschaft wachse von unten, auch durch Bündnisse wie das NTI. “Das Netzwerk ist ein Glücksfall für den Kreis”, erklärte Wolfram Hülsemann.