Potsdam — Die Junge Union in Brandenburg will die Nationalhymne als
verbindliches Unterrichtsthema im Musik-Lehrplan der Klassen 7 bis 10
verankern. Verkrampfter Umgang damit führe zu einer “rechtsextremistischen
Verklärung”.
Bereits am 4. Februar war die Aktion “aufmucken gegen rechts”, ein
gemeinschaftliches Kulturprojekt von [ìsolid] — die sozialistische Jugend
und den Gewerkschaftsjugenden, zu Gast in der Potsdamer
Voltaire-Gesamtschule.
Damals wurden gut 300 CDìs, die im Rahmen des Projektes von den
Jugendlichen produziert worden sind und auf denen neben so bekannten
Künstlern wie “Seeed” oder “Die Sterne” auch die Potsdamer Band “Lex
Barker Experience” zu finden ist, innerhalb weniger Minuten an die
Voltaire-Schüler verteilt.
Neben der Musik enthält die CD mit dem Untertitel “Beweg Dich! — damit
sich was bewegt” auch einen PC-Datenteil mit Texten, die über braune
Ideologie und Propaganda aufklären und eine Link-Sammlung zu verschiedenen
antirassistischen und antifaschistischen Initiativen und Verbänden.
Im Rahmen der internationalen Woche gegen Rassismus vom 15.- 21. 03.
werden die Initiatoren des Projektes auch in Potsdam wieder aktiv gegen
braune Monokultur.
Dazu erklärt Robert Wollenberg (20), Sprecher von “aufmucken gegen rechts”
und Landesvorsitzender von [ìsolid] Brandenburg:
“Nach der Verteilaktion im Stadtzentrum geht es jetzt quasi in “die
Peripherie”. Die Internationale Woche gegen Rassismus bietet dabei genau
den richtigen Rahmen für unser Projekt.
Wir werden auch in dieser Woche weiterhin das Konzept verfolgen, Kultur
und Politik möglichst eng miteinander zu verbinden.
Schwerpunkte sind unsere CD-Verteilungen an der Stoiben-Gesamtschule am
Mittwoch und an der Rosa-Luxemburg-Schule am Donnerstag. Für beide Schulen
stehen uns dabei insgesamt gut 400 CDìs zur Verfügung.
Ein inhaltliches Angebot unterbreiten wir von Montag bis Mittwoch im
sozialkritischen Buchladen “Sputnik” in der Charlottenstraße. Den Anfang
machte dabei am Montag der Film “No Exit”, der den Alltag der “Freien
Kameradschaft Frankfurt/Oder” dokumentiert. Am heutigen Dienstagabend
folgt ein Referat zu Rechtsrock und rechtem Mainstream, am morgigen
Mittwoch gibt es ein Referat über neofaschistische Organisationen in
Brandenburg. Beginn ist um 19.00 Uhr.
Den Abschluss unserer “aufmucken”-Aktionen bildet am Donnerstag ein
Konzert im Waschhaus. Für einen Soli-Beitrag von 3? wird der geneigte
Besucher ab 21.00 Uhr mit Rock- und Reggea-Klängen versorgt. Es spielen
Tools ìnì Toys aus Potsdam und Hans der Kleingärtner aus Berlin. Die
Einnahmen des Konzerts gehen zugunsten des Vereins “Opferperspektive”, der
sich um die Vertretung von Opfern rechter Gewalt kümmert.
Wir bedanken uns ausdrücklich bei allen PartnerInnen und UnterstüzerInnen,
insbesondere der DGB-Jugend Berlin-Brandenburg, dem Sputnik, dem
Waschhaus, Hans der Kleingärtner und Tools ìnì Toys.”
Abschußzahlen sind nicht alles
(Potsdam, 11.3.) Die Fraktion Die Andere begrüßt die Entscheidung der Kulturhauptstadt-Jury für Görlitz und Essen. Potsdam hat noch einmal Glück gehabt und wird von den Folgekosten einer Kulturhauptstadtbewerbung und –durchführung verschont bleiben.
Die Bewerbung war von Anfang an wenig überzeugend. Es gab weder innovative Visionen noch ein Konzept, das den Ausschreibungsbedingungen für die Kulturhauptstadt entsprochen hätte. Die Dimensionen und Konstanten, die Potsdam für eine gesamt€päische Kulturentwicklung ausmachen, lassen sich eben nicht durch nebulöse Metaphern wie „das Paradies auf Erden“ oder „die Insel der Visionen“ herausarbeiten und auch Potsdams Bedeutung als Ort der Kunst, Kultur, Wissenschaft und Stadtentwicklung wurde offensichtlich falsch dargestellt.
Die Bewerbung ist nicht bei den Menschen in Potsdam angekommen, was die Initiatoren ja auch unumwunden selbst immer wieder feststellten. Auch die vielen anderen Patzer im Verlauf der Bewerbung wie offensichtlich manipulierte Internetumfragen, Schirmherren wider Willen und Mittelkürzungen bei den ansässigen Kulturträgern werden ihr Übriges zum Scheitern beigetragen haben.
Die Kulturhauptstadtbewerbung diente fast ausschließlich zur Legitimierung des Wiederaufbaus von Stadtschloß, Garnisonkirche und anderen historischen Details (wie des Stadtkanals). Diese Strategie ist nun gescheitert. So stellt die mutmaßliche Niederlage letztendlich doch einen Gewinn für die Stadt Potsdam dar, gibt es jetzt doch wieder Hoffnung dafür, daß das Großprojekt „Wiedergewinnung der historischen Potsdamer Innenstadt“ nicht mehr länger eine innovative und den Menschen und der Zeit angemessene Lösung für den städtebaulichen Mangel in Potsdams Zentrum blockiert.
Grüner Kreistagsabgeordneter fragt nach der Rolle des Jugendamtes als Ersatz für Elternhäuser
(MAZ) HAVELLAND Der Potsdamer Polizeipräsident und die Leiterin des
Polizei-Schutzbereiches Havelland werden am Freitag vor den Bürgermeistern
und Amtsdirektoren des Kreises Havelland über die Hintergründe der Nauener
“Freikorps”-Affäre berichten. Das hat Landrat Burkhard Schröder gestern
Abend im Kreistag angekündigt. Anlass dafür war eine Anfrage des
bündnisgrünen Abgeordneten Klaus-Ulrich Mosel. Wie mehrfach berichtet,
hatten die jetzt vom Oberlandesgericht verurteilten elf
“Freikorps”-Mitglieder in den Jahren 2003 und 2004 insgesamt zehn
Brandanschläge auf Imbissbuden von Ausländern verübt.
Mosel hatte vom Landrat wissen wollen, in welcher Form das Jugendamt des
Kreises möglicherweise die Funktion der Elternhäuser der Verurteilten oder
ihres sozialen Umfeldes wahrnehmen könne. Mosel bezog sich dabei auf die
deutschlandweite Berichterstattung über den Nauener Fall. In ihr war
deutlich geworden, dass es ganz offensichtlich zahlreich Mitwisser gegeben
haben muss, die die Anschläge hätten verhindern können. Der Landrat räumte
ein, dass eine “Toleranz bei Eltern, Schulen und im kommunalen Bereich”
tatsächlich erkennbar sei. “So blind kann keiner sein”, sagte Burkhard
Schröder. Nach der Beratung am Freitag und nach einer Thematisierung in den
Fachausschüssen gelte es, “klare Schlussfolgerungen” zu ziehen, ohne einen
“Schnellschuss” zu landen.
“Sie haben uns erobert”
POTSDAM Die Äußerung des Kleinmachnower CDU-Gemeindevertreters Fred Weigert,
wonach der 8. Mai ein Tag der Eroberung sei, hat zu massiven Protesten
geführt. Weigert hatte kürzlich in einem Brief geschrieben: “Stalins rote
Horden haben uns vom Faschismus befreit. Weiß Gott nicht! Niedergeknüppelt,
geschunden und jahrzehntelang ausgebeutet haben sie uns. Sie haben uns nicht
befreit, sondern erobert.”
Hintergrund des Streits ist die geplante Einrichtung einer Gedenkstätte, die
an ein ehemaliges KZ-Außenlager erinnern soll. In diesem Zusammenhang hatte
Weigert einen Brief mit den umstrittenen Passagen an Axel Mueller
geschrieben. Beide Männer sind im Heimatverein Kleinmachnow aktiv. Der
bündnisgrüne Mueller war daraufhin an die Öffentlichkeit gegangen.
Sowohl SPD als auch PDS und Grüne warfen der Union mit Blick auf das
Kriegsende vor 60 Jahren ein verzerrtes Geschichtsbild vor. Die CDU verwies
darauf, dass die Auseinandersetzung über das Thema vor Ort geführt werden
müsse. Es sei “abstoßend”, dass ein privater Briefwechsel in der
Öffentlichkeit diskutiert werde. Laut CDU-Generalsekretär Sven Petke sei
Weigert ein “untadeliger und honoriger Demokrat”. Inhaltlich stellte er sich
zum Teil hinter Weigert: “Das Kriegsende war die Befreiung vom
verbrecherichen NS-Regime — aber gleichzeitig auch der Beginn eines
stalinistischen Unterdrückungsregimes in Ost€pa und Teilen Deutschlands.”
Es sei auffällig, dass immer wieder aus den Reihen der märkischen CDU solche
geschichtsrevisionistischen Forderungen kämen, kritisierte
SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness. “Auch ein softer Revisionismus ist
Revisionimus.” Damit würden sich einige aus der CDU in der Tradition von
Ernst Nolte bewegen, der Anfang der 80er Jahre den Historikerstreit
ausgelöst hatte, als er die Singularität von Auschwitz angezweifelt hatte.
Ness betonte, dass der 8. Mai ein Tag der Befreiung sei, weil er den Aufbau
der Demokratie in Deutschland ermöglicht habe.
“Mit dem Geschichtsrevisionismus rechter CDUler darf man sich nicht
abfinden”, forderte auch der PDS-Landesvorsitzende Thomas Nord. Es dürfe
nicht zugelassen werden, dass immer wieder der Versuch unternommen wird, mit
der Nachkriegsgeschichte die Verbrechen des Faschismus zu relativieren, so
Nord. Dies sei eine der Quellen für den aktuellen Rechtsextremismus im Land.
Laut Grünen-Chef Joachim Gessinger kennzeichne es den historischen
Revisionismus, den Faschismus dadurch relativieren zu wollen, “dass man
Opfer anderer Unrechtsregime dagegen aufrechnet”. Petke wie Weigert vereine
“die Unfähigkeit, den Unterschied zwischen politischem Konservatismus und
geschichtsvergessenem Verbalrabaukentum zu erkennen”.
Auch in Berlin gibt es erbitterten Streit um den 8. Mai. Die CDU
Steglitz-Zehlendorf hatte einen Gedenktext verabschiedet, wonach der 8. Mai
1945 neben der Befreiung vom Nazi-System auch für das Leid der Bevölkerung
stehe, das die Rote Armee zu verantworten hat. Dies war auf heftige Kritik
von Jüdischer Gemeinde, der SPD, der Grünen und der PDS gestoßen.
Das “Aktionsbündnis gegen Heldengedenken und Naziaufmärsche in Halbe”
sieht einen wachsenden Widerstand in der Region gegen Rechts.
Vertreter aller demokratischen Parteien im Kreis haben sich kürzlich mit
Bürgern und Vertretern verschiedener Gruppierungen getroffen, “um sich im
Kampf gegen rechte Strukturen zusammenzuschließen”, heißt es in einer
gemeinsamen Erklärung der Kreisverbände von CDU, SPD, PDS und des
DKP-Landesverbandes. Ziel sei es, den “demokratiefeindlichen Kräften keinen
Raum für ihre volksverhetzenden und die Opfer des Faschismus verhöhnenden
Machenschaften zu lassen.” Besonders wichtig sei den Mitgliedern des
Bündnisses, die Einwohner von Halbe bei der Gestaltung des Volkstrauertages
einzubeziehen: “Nur gemeinsam ist es möglich, erfolgreich gegen den
Naziaufmarsch ein Zeichen zu setzen.” Das Aktionsbündnis will eine Reihe von
Veranstaltungen durchführen und unterstützen, an diesem Freitag unter
anderem die Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des
Konzentrationslagers Lieberose und im April zum 60. Jahrestag der
Kesselschlacht von Halbe. Außerdem wird eine enge Zusammenarbeit mit der
Denkwerkstatt in Halbe angestrebt. Auch Bildungsveranstaltungen mit der
Ebert-Stiftung und der Luxemburg-Stiftung sind geplant. Die Mitglieder
wollen “besonders bei den Jugendlichen die Sinne schärfen, damit sie nicht
in die Fänge der Rechten geraten.” Deshalb seien die Schulen aufgerufen,
sich “aktiv in das Aktionsbündnis mit einzubringen.”
Das nächste Treffen findet am Donnerstag, dem 17. März, in der Alten Schule
in Halbe statt (Kirchstraße, Beginn 18.30 Uhr).
(BM)Potsdam — Nach der Verurteilung von elf jungen Männern im Potsdamer
Neonazi-Prozeß wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung haben fünf
Verteidiger beim Bundesgerichtshof Revision eingelegt. Die Gruppe hatte aus
Fremdenhaß 2003 und 2004 zehn Anschläge auf Imbisse und Geschäfte von
Ausländern im Havelland verübt. Dazu gründete sie nach Auffassung des
Gerichts die rechtsextreme Kameradschaft “Freikorps”. Während die Haupttäter
die Anschläge einräumten, wiesen alle Angeklagten den Terrorismus-Vorwurf
zurück. Anwalt Michael Tschirschke, dessen Mandant als Rädelsführer zu
viereinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde, sagte, die Revision werde
auf den Terrorismusvorwurf abzielen; nach seiner Überzeugung fehlten für
eine Verurteilung wesentliche Voraussetzungen. So habe die Gruppe weder eine
feste Struktur noch terroristische Zwecksetzungen gehabt.
Revisionsanträge im Neonazi-Prozess
Anwälte bestreiten Terrorismus-Qualität
(MAZ)BRANDENBURG/HAVEL Nach der Verurteilung von elf jungen Männern im Potsdamer
Neonazi-Prozess wegen Gründung der terroristischen Vereinigung “Freikorps”
haben bislang fünf Verteidiger Revision eingelegt. Nach Angaben des
Brandenburgischen Oberlandesgerichtes sollte die Antragsfrist am Montag um
Mitternacht auslaufen. Der zwölfte Angeklagte, der vor einer Woche nicht
wegen des Terrorvorwurfs verurteilt worden war, verzichtet auf Revision.
Auch die Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg will nach eigener Aussage
keine Rechtsmittel einlegen.
Die Gruppe aus Schülern und Lehrlingen aus der Gegend um Falkensee hatte aus
Fremdenhass zwischen August 2003 und Mai 2004 zehn Anschläge auf Imbisse und
Geschäfte von Ausländern im Havelland verübt. Ziel der
Untergrundorganisation war es, die wirtschaftliche Existenzgrundlage der
Kleinunternehmer zu vernichten, um sie so zum Wegzug aus Brandenburg zu
zwingen. Verletzt wurde bei den Brandanschlägen niemand. Der Sachschaden
betrug etwa 800 000.
Während die Haupttäter die Anschläge einräumten, wiesen alle zwölf
Angeklagten den — strafverschärfend wirkenden — Terrorismus-Vorwurf zurück.
Nach Einschätzung des Oberlandesgerichtes und der Generalstaatsanwaltschaft
hatte die Kameradschaft einen mit einer Terrorgruppe vergleichbaren
Organisationsgrad. Außerdem waren die Anschläge geeignet, Bevölkerungsteile
in Brandenburg in Angst und Schrecken zu versetzen sowie dem Land einen
erheblichen Schaden zuzufügen, weil es erneut als besonders
ausländerfeindlich beschrieben worden wäre.
Erstmals mussten sich vor dem Oberlandesgericht zwölf junge Männer wegen der
Gründung einer terroristischen Vereinigung verantworten. Die
Revisionsverfahren werden vor dem 3. Senat des Bundesgerichtshofs in
Karlsruhe verhandelt. Dabei handelt es sich um eine reine Rechtsüberprüfung.
Die der Beweiswürdigung zugrunde liegenden Tatsachen werden in Karlsruhe
nicht noch einmal überprüft.
Zunächst werde jetzt die schriftliche Begründung des Urteils abgewartet,
sagte der Anwalt Michael Tschirschke. Sein Mandant, der 20-jährige
Abiturient Christopher H. aus Pausin bei Nauen, war als Rädelsführer zu
viereinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Die Revision werde auf
den Terrorismusvorwurf abzielen, so Tschirschke. Nach seiner Überzeugung
fehlten für eine Verurteilung nach Paragraf 129a) — Gründung terroristischer
Vereinigungen — wesentliche Voraussetzungen. So habe die Gruppe weder eine
feste Struktur noch terroristische Zwecksetzungen gehabt.
“Alles stockt. Ich kann nicht mehr arbeiten” , notiert der Jude Victor
Klemperer am 11. Juni 1942 in sein Tagebuch. Es ist wohl das Schlimmste, was
die Nazis dem renommierten Romanisten, Sprach- und Literaturwissenschaftler
antun konnten. Mehr als einhundert Zuhörer lauschen während der gemeinsamen
Veranstaltung mit der Akademie der Künste im Finsterwalder Kreismuseum dem
Vortrag von Walter Nowojski, dem verdienstvollen Herausgeber der Tagebücher
Klemperers.
Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören, als Nowojski aus den
Aufzeichnungen des «manischen Tagebuchschreibers» liest. «Immerhin war ich
frei, was man hier so nennt» , schildert Klemperer am 12. Januar 1942, im
«schlimmsten Jahr für die Juden in Deutschland» , seine Ängste nach einem
entwürdigenden Verhör in der Dresdner Gestapo-Zentrale. Die bedrückende
Atmosphäre ist im Zuhörerraum greifbar. Auch die vielen jungen Zuhörer sind
von dem mit authentischem Material erlebbar gemachten «normalen» Schicksal
eines Juden im nationalsozialistischen Deutschland berührt. Sie haben gerade
etliches im Deutschunterricht über Klemperer und seine einzigartige
Sprachkritik des Dritten Reiches «LTI» gehört, hier sitzt mit Nowojski einer
vor ihnen, der den renommierten Romanisten gekannt hat und dessen eigene
wissenschaftliche Arbeit «ein Leben mit Victor Klemperer» geworden ist.
Als 16-Jähriger macht der Niederlausitzer Walter Nowojski in einer
Senftenberger Buchhandlung die Bekanntschaft mit «LTI» . Das Buch lässt ihn
nicht mehr los. «Ich habe erst bei der Lektüre begriffen, wie wir mit
zynischen und verlogenen Vokabeln wie ‚fanatischer Kampf , ‚arteigen oder
‚Rassenschande groß geworden sind und sie gedankenlos verwendet haben.
Klemperer hat uns den Weg frei gemacht für ein besseres Denken.»
Deshalb gehört Nowojski zu denen, die Klemperers Vorlesungen in Berlin 1952
begeistert erleben. «Ihr Jungen seid die einzigen, die unschuldig sind» ,
vermittelt Klemperer der neuen Wissenschaftler-Generation ein humanistisches
Weltbild und sitzt damit «Zwischen allen Stühlen» . In der DDR gerät er
wegen seiner Geradlinigkeit in Schwierigkeiten und im Westen wird er
gemieden, weil er als bürgerlicher Wissenschaftler in der DDR bleibt. «Ein
solcher Lehrer hinterlässt Spuren.»
Und was für welche bei Nowojski! Als er 1978 von dem riesigen
handschriftlichen Nachlass Klemperers erfährt, ist er nicht zu halten. Er
erhält die Erlaubnis, das Material zu sichten, kämpft sich jahrelang durch
tausende Tagebuchseiten in zum Teil kaum lesbarer Handschrift, erstreitet
die Genehmigung zur Veröffentlichung beim Aufbau-Verlag. Als es soweit ist,
gibt es die DDR nicht mehr und Nowojski bangt um seine Leser. Aber es wurde
«der schönste Irrtum meines Lebens» , die Tagebücher avancieren zum riesigen
Erfolg. Klemperer wurde postum zum Star, auch durch den mehrteiligen
Fernsehfilm.
«Ich zitterte um mein Tagebuch» , schreibt Klemperer nach einer Durchsuchung
im Judenhaus, in dem die Klemperers leben mussten. Die Zuhörer im Museum
lassen sich von den Tagebuchnotizen Klemperers in den Bann ziehen, sie
spüren, welch ein Gewinn die Tagebücher für die deutsche
Geschichtsschreibung sind. 153 Juden von 4500 leben 1945 noch in Dresden.
Klemperer muss den meisten von ihnen am 13. Februar 1945 Briefe mit dem
Befehl zum Abtransport überbringen. Klemperers Beschreibungen machen die
schlimme Situation nacherlebbar. Ironie der Geschichte: Der Brief rettete
die meisten von ihnen vor dem Bombenhagel Stunden später auf die Stadt.
Die Zuhörer erfahren an diesem Abend viel aus dem Leben eines Juden, der
kein Held sein wollte, und vom Schicksal der Juden in Dresden. Das lässt den
1931 in Annahütte geborenen Germanisten Walter Nowojski nicht los. 320
Leidensgefährten von Klemperer spürt er seit Jahren nach, hat schon etliche
Schicksale öffentlich machen können.
Museumsleiter Dr. Rainer Ernst freut sich auf die Mitarbeit Nowojskis an dem
Finsterwalder KulturLand-Projekt «Juden in der Niederlausitz» , das am 9.
November im Kreismuseum mit einer großen Ausstellung eröffnet wird.
Die Visa-Affäre um den früheren Konversionsbeauftragten der Landesregierung
Helmut D. stellt die Ermittler “vor Rätsel”: Der Russland-Experte soll als
für die GUS-Staaten zuständiger Referatsleiter im Justizministerium und
später in der Staatskanzlei zwischen August 2002 und Januar 2005 58
fingierte Einladungen an Ukrainer ausgesprochen haben.
Diese erhielten daraufhin von der deutschen Botschaft in Kiew Einreisevisa.
Mindestens vier kehrten jedoch nicht in ihre Heimat zurück, sondern wurden
in EU-Ländern als Schwarzarbeiter aufgegriffen. Gegen D. wird wegen
Verdachts der Bestechlichkeit, Untreue und Menschenschleusung ermittelt.
Doch das Motiv für die exzessive Einladungspraxis im Namen des Landes
Brandenburg ist bislang weiter unklar. Es gebe “keine nachvollziehbare
Erklärung”, so die Staatsanwaltschaft Neuruppin. Bisher gebe es keine
Hinweise darauf, dass D. Geld bekommen hat, hieß es in Ermittlerkreisen. Der
62-Jährige soll ausgesagt haben, dass seine Einladungen der “politischen
Kontaktpflege und Weiterbildung” gedient hätten. Für die Reisegruppen gab es
jedoch kein offizielles Programm. Allerdings will D. jeweils eine Stunde mit
den Eingeladenen gesprochen haben. Nach seinen Angaben soll es sich bei
ihnen überwiegend um Mitglieder einer sozialdemokratischen Splitterpartei
der Ukraine gehandelt haben. Bei Befragungen durch die deutsche Botschaft in
Kiew konnte dies nicht bestätigt werden.
Andererseits sind die Ermittler skeptisch, dass es um professionelle
Schleusung geht. Dafür sei die Personenzahl zu gering, heißt es. Dagegen
spreche auch, dass nach derzeitigem Kennt nisstand eine Anzahl der
Eingeladenen wieder zurückgekehrt ist. Rätselhaft erscheint schließlich,
dass die deutsche Botschaft in Kiew mehrmals bei D. nachgefragt hat, dieser
jedoch seine Einladungspraxis fortsetzte.
Dass D. “nur helfen” wollte, wie in seinem Umkreis vermutet wird, leuchtet
den Ermittlern aber ebenfalls nicht ein: “Dazu war es wiederum zu
organisiert.” Ein geheimdienstlicher Hintergrund und selbst Erpressung
werden deshalb nicht völlig ausgeschlossen. D., der fließend Russisch
spricht, unterhält aus seiner Zeit als Konversionsbeauftragter enge Kontakte
zu Russland und Staaten der früheren Sowjetunion.
Der vom Dienst suspendierte D. wollte sich wegen der laufenden Ermittlungen
nicht äußern: “Ich suche mir jetzt einen Anwalt”, sagte er der RUNDSCHAU.
Allerdings sei ihm sehr an einer “Versachlichung” gelegen.
Gegen Rechtsradikalismus
LUCKENWALDE Abgeordnete evangelischer Gemeinden trafen sich am Samstag in
Luckenwalde zur Synode des Kirchenkreises Niederer Fläming. Nach einem
Gottesdienst in der Johanniskirche ging es im Gemeindehaus um ein wichtiges
Thema: Haupttagesordnungspunkt war der Bericht zweier Mitglieder des Mobilen
Beratungsteams Potsdams beziehungsweise Trebbins zum Rechtsextremismus in
der Gesellschaft.
Wolfram Hülsemann, Leiter der Geschäftsstelle in Potsdam, verdeutlichte:
“Wir bringen unsere Erfahrungen mit, Sie sind unsere Partner vor Ort.”
Der erste Schritt sei das Erkennen des Problems. Das sei nicht immer einfach
und eindeutig. Wer sich an Stammtischen umhöre, könne sich gut ein Bild von
der Stimmungslage machen und rechtsextreme Tendenzen erkennen. Eine Äußerung
wie “Es bräuchte einen Mann, der mal auf den Tisch haut und sagt, wo s lang
geht” mache den Einzelnen zwar noch nicht zu einem Rechtsradikalen, bereite
aber fruchtbaren Boden für organisierte Gruppen und deren Aktionen.
Dabei gehe es vor allem um drei Bereiche, wie Andrea Nienhuisen aus Trebbin
veranschaulichte: den Kampf um Köpfe, Parlamente und Räume. Manch
Bahnhofsvorplatz, Diskothek oder Dorfanger wurde so bereits zur “national
befreiten Zone”. Dabei fällt es laut Nienhuisen zunehmend schwerer, die
Zugehörigkeit zur rechten Szene zu definieren. Die wenigsten hätten Glatzen,
trügen Bomberjacken und Springerstiefel. Neonazis seien salonfähig geworden.
Allerdings bevorzugen sie bestimmte Kleidungsmarken, Labels, mit denen man
sich vertraut machen sollte. Selbst das Palästinensertuch, einst sicheres
Erkennungsmerkmal der Linken, sei als Ausdruck antisemitischer Haltung
übernommen worden.
In Gruppengesprächen kamen die Besucher der Synode anschließend auf ihre
eigenen Erfahrungen zu sprechen und stellten übereinstimmend fest, dass man
in Diskussionen schnell zum Außenseiter wird, wenn man sich gegen Rechts
positioniert. Das Angebot eines Argumentationstrainings vom Mobilen
Beratungsteam wurde von vielen Teilnehmern begrüßt.
Ein weiterer Tagesordnungspunkt war der Bericht des Kreiskirchenrates,
vorgetragen von Superintendent Matthias Fichtmüller. Bis zum Herbst wird die
Sollstellenplangruppe Vorschläge erarbeiten, welche Stellen im Kirchenkreis
künftig eingespart werden können. Für die neue Evangelische Grundschule in
Jüterbog seien bereits zwei Lehrkräfte eingestellt worden, so Fichtmüller.
Auch die Standortfrage sei geklärt, die Schule soll nun doch gleich ins
ehemalige Landratsamt einziehen. Lediglich die Finanzierung sei noch immer
offen, da sich die Richtlinien der Landesregierung zur Förderung Freier
Schulen geändert hätten.