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IM-Debatte auf dem Parteitag

(Berlin­er Zeitung, 21.2.) BLOSSIN. Die PDS in Bran­den­burg hat einen neuen Lan­desvor­sitzen­den: Thomas
Nord ist 47 Jahre alt und lan­despoli­tisch noch ein unbeschriebenes Blatt.
Diszi­plin­iert, aber nicht eben begeis­tert fol­gte die Basis auf einem
Parteitag am Woch­enende in Blossin bei Königs Wuster­hausen dem
Per­son­alvorschlag des schei­den­den Parte­ichefs Ralf Christof­fers. Der trat
wegen gesund­heitlich­er Prob­leme nicht mehr an. Es gab keinen
Gegenkan­di­dat­en, etwas Gegrum­mel und nur 77 Prozent Zus­tim­mung für Nord.
Seine wichtig­ste Auf­gabe: Maßge­blich dazu beizu­tra­gen, dass die PDS 2006 die
Rück­kehr in den Bun­destag schafft. Seine größte Hypothek: Als
Jugend­clubleit­er lieferte er der Stasi bis zur Wende Berichte über Leute,
die sich kri­tisch über die DDR äußerten. Heute bedauert er sein
“per­sön­lich­es Versagen”. 

Vor zwei Jahren hat­te Christof­fers Thomas Nord als Landesgeschäftsführer
nach Pots­dam geholt. Diese und andere Funk­tio­nen hat­te er auch in der
Berlin­er PDS schon inne. Mitte der 90er-Jahre war er Mitar­beit­er Stefan
Heyms im Bun­destag. Die jüng­sten Erfolge — Sieg bei der Europa-Wahl,
erst­mals zweit­stärk­ste Kraft im Land­tag — wer­den in der PDS auch Nord
angerech­net. Dass Christof­fers den Mann aus der zweit­en Rei­he zu seinem
Nach­fol­ger aus­rief, hat viele in der PDS über­rascht — und irritiert. 

Offen opponiert hat auf dem Wahlparteitag aber nur Hein­rich Parthey: “Ich
bin noch so erzo­gen: Der größte Lump im ganzen Land ist der Denunziant”,
rief der Delegierte aus Märkisch-Oder­land unter Unmuts­bekun­dun­gen im Saal.
Seine Sorge, “Mit­glieder und Wäh­ler kön­nten es übel nehmen, wenn zum ersten
Mal ein inof­fizieller Mitar­beit­er der Staatssicher­heit zum PDS-Landeschef
gewählt wird”, fand wenig Resonanz. 

Andere Vor­be­halte gegen den Neuen an der Spitze sind weit­er ver­bre­it­et. Die
Bil­dungspoli­tik­erin Ger­rit Große etwa bekan­nte am Rande ihre Bauchschmerzen,
was man­gel­ndes poli­tis­ches Pro­fil und Bekan­ntheit von Nord ange­ht. Andere
Abge­ord­nete sprechen von einem “Kul­tur­bruch”, den die PDS vol­lziehe. Die
alten Kämpfer sind auf dem Rück­zug. Der langjährige Frak­tion­schef Lothar
Bisky weilt zum Parteitag in Neusee­land. Und Heinz Viet­ze, ohne den in 15
Jahren keine Per­son­alie entsch­ieden wurde, war wegen ein­er Kur verhindert. 

Inter­essiert ver­fol­gte dafür Ste­fan Liebich, Berlins PDS-Partei- und
Frak­tion­schef, das Geschehen. Aus den Zeit­en, als der heutige
Wirtschaftsse­n­a­tor Har­ald Wolf noch Frak­tion­schef und Liebich Landeschef
ohne Par­la­ments­man­dat war, erin­nert er sich: “Die entschei­dende Medienarbeit
find­et im Land­tag statt. Man sollte sich da keine sinnlose Konkurrenz
liefern.” Doch die Frak­tionsvor­sitzende Dag­mar Enkel­mann bestritt am Sonntag
nicht, dass sie sich auf dem Parteitag deut­lichere Akzente Nords bei
lan­despoli­tis­chen The­men gewün­scht hätte.

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Elektro-Armbänder für Schläger

(BM, 21.02.) Pots­dam — Angesichts zahlre­ich­er Fälle von häus­lich­er Gewalt prüft die
Lan­desregierung auch unkon­ven­tionelle Gegen­maß­nah­men. So habe sie
Infor­ma­tio­nen über ein Pilot­pro­jekt in der Region Madrid bei der spanischen
Botschaft einge­holt, antwortete Sozialmin­is­terin Dag­mar Ziegler (SPD) auf
eine par­la­men­tarische Anfrage. Dort wür­den Elek­tro-Arm­bän­der gegen prügelnde
Ehemän­ner einge­set­zt. Damit kön­nten Täter rund um die Uhr elektronisch
überwacht werden.

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Kategorisches Nein! Zu Studiengebühren

Mit ein­er über­wälti­gen­der Mehrheit sprachen sich am Woch­enende die
Delegierten des Lan­desparteitags der Bran­den­burg­er PDS gegen
Stu­di­enge­bühren in jed­er Form aus. Sie fol­gten damit einem
Ini­tia­ti­vantrag, den Lan­desvor­stand und Mit­glieder von [“sol­id]
Bran­den­burg gemein­sam mit Peer Jür­gens, dem studierendenpolitischen
Sprech­er der PDS-Land­tags­frak­tion, einge­bracht hat­ten. Hierzu erklärt
Stef­fen Kühne aus dem Lan­desvor­stand des PDS- nahen Jugendverbandes: 

“Wir sind sehr froh über die Entschei­dung und auch darüber, wie
ein­deutig das Votum der Delegierten ausfiel.
Eine ungerechte Maß­nahme wird nicht plöt­zlich bess­er, nur weil ein
Gericht sie nicht mehr aus­drück­lich ver­bi­etet. Für die Geg­ner­in­nen und
Geg­n­er ein­er sozial selek­tiv­en Zwei-Klassen-Bil­dung muss die Antwort auf
die Forderung nach Stu­di­enge­bühren deshalb auch nach der Entscheidung
des Bun­desver­fas­sungs­gerichts ein klares Nein! zu Stu­di­enge­bühren sein.
Es ist jet­zt nicht die Zeit für Exper­i­mente oder die Diskussion
ange­blich “sozialverträglich­er” Gebühren­mod­elle in vorauseilendem
Sachzwanggehorsam. 

Wir sehen in der Entschei­dung nicht zulet­zt auch ein deut­lich­es Zeichen
an die Studieren­den des Lan­des, dass sie mit ihrem Protest nicht alleine
ste­hen — und dass nach den Wahlen nicht alle ihr Mei­n­ungs­fähn­lein derart
beliebig in den tage­spoli­tis­chen Wind hän­gen wie die Brandenburger
Sozialdemokratie. 

Wir rufen alle Men­schen auf, sich an den stu­den­tis­chen Protesten gegen
die Pläne zur Ein­führung von Stu­di­enge­bühren zu beteili­gen und hoffen
auf einen laut­en Früh­ling für Matthias Platzeck und alle anderen
Gebührenfreunde.”

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Friedhof verunstaltet

Ahrens­felde. Mit Plakat­en zum Todestag von Horst Wes­sel hatten
Unbekan­nte vorgestern den Fried­hof in Ahrens­felde verun­stal­tet. Sie
hat­ten auch die Auto­bahn­brücke zwis­chen Lin­den­berg und Neu Buch
plakatiert. Die Polizei enfer­nte alle Plakate.

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Das Feld für die Rechten wurde seit Jahren bestellt”

(ak — analyse + kri­tik — Zeitung für linke Debat­te und Prax­is / Nr. 492 / 18.2.2005)

Seit eini­gen Jahren gibt es in den neuen Bun­deslän­dern und Berlin Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt und Mobile Beratung­steams (MBT), die in Kom­munen Hil­festel­lung geben bei der Bekämp­fung von Recht­sex­trem­is­mus, Ras­sis­mus und Anti­semitismus. Im Zuge des von Bun­deskan­zler Ger­hard Schröder einge­forderten “Auf­s­tands der Anständi­gen” im Som­mer 2001 wer­den diese Pro­jek­te durch Bun­des­gelder teil­fi­nanziert. Wir sprachen mit Dominique John, Opfer­per­spek­tive Bran­den­burg, und Lorenz Korgel von der Berlin­er Mobilen Beratung gegen Recht­sex­trem­is­mus, bei­de Koor­di­na­toren für den jew­eili­gen Bere­ich, über die momen­tane NPD-Diskus­sion, das Erstarken der Recht­en und die Arbeit ihrer Projekte. 

Ihr arbeit­et in Pro­jek­ten, die sich gegen die Aktiv­itäten von Recht­en und Neon­azis richt­en — und zwar mit staatlich­er Unter­stützung im Rah­men des CIV­I­TAS-Pro­gramms. Wie wirken auf euch die aufgeregten Reak­tio­nen der etablierten Poli­tik in den let­zten Wochen nach dem so genan­nten Dres­d­ner Eklat zum Holocaust-Gedenken? 

Dominique John: Wir ver­fol­gen diese Debat­ten teil­weise mit Kopf­schüt­teln, zum Teil aber auch mit einem gewis­sen Schmun­zeln. Kopf­schüt­teln deshalb, weil es offenkündig ist, dass die Poli­tik­er im säch­sis­chen Lan­despar­la­ment aber auch in Bran­den­burg mit der ent­stande­nen Sit­u­a­tion vol­lkom­men über­fordert sind. Schmun­zel­nd deshalb, weil man mit einem gewis­sen Recht sagen kann, dass nun in den Lan­despar­la­menten etwas angekom­men ist, was Aus­druck ein­er poli­tisch-kul­turellen Entwick­lung ist, mit der wir uns auf den Straßen, in den Kom­munen und Land­kreisen schon seit langem auseinan­der set­zen. Ins­beson­dere in Sach­sen hat die NPD eine über Jahre gewach­sene soziale Ver­ankerung. In eini­gen Land­kreisen muss man regel­recht von ein­er kul­turellen Hege­monie recht­sex­tremer Struk­turen sprechen. Wer sich jet­zt schock­iert zeigt über die — wie es heißt — Ent­gleisun­gen recht­sex­tremer Abge­ord­neter, der hat diese Entwick­lung entwed­er nicht wahrgenom­men oder ein­fach nicht ernst genommen. 

Lorenz Korgel: Es ist schon merk­würdig, wenn das “Phänomen NPD” immer wieder als Prob­lem von Protest­wäh­lern dargestellt wird. Ger­ade in den ländlichen Regio­nen, wo die NPD einen Wahlkampf “an der Haustür” führte, wis­sen die Leute sehr genau, wen sie gewählt haben. Ich muss sagen, ich ver­band mit der Tat­sache, dass ein sozial ver­ankert­er Recht­sex­trem­is­mus nun in den Par­la­menten angekom­men ist, die Erwartung, dass dies zu ein­er ern­sthaften Auseinan­der­set­zung der etablierten poli­tis­chen Struk­turen mit den Entwick­lungs­be­din­gun­gen für Recht­sex­trem­is­mus führt. Nun scheint aber ger­ade eine umgekehrter Effekt einzutreten: Die Par­la­men­tari­er der etablierten Parteien schie­len lediglich auf die poli­tisch sym­bol­is­che Auseinan­der­set­zung inner­halb des Par­la­ments. Sie scheinen von der einge­trete­nen Sit­u­a­tion förm­lich absorbiert zu sein. Die Tat­sache, dass beispiel­sweise Bran­den­burg beschlossen hat, die Gelder für das lan­desweite Aktions­bünd­nis gegen Recht­sex­trem­is­mus oder auch für die Beratung von Opfern rechter Gewalt zu kürzen bzw. ganz einzustellen, kann ich mir nur so erk­lären, dass man die Wichtigkeit der­ar­tiger Pro­jek­te zum Auf­bau sozialer Struk­turen gegen Recht­sex­trem­is­mus nicht erkan­nt hat. 

Die NPD im säch­sis­chen Par­la­ment hand­habt eine Strate­gie der kalkulierten Pro­voka­tion — und die Reak­tio­nen zeigen, dass diese Strate­gie aufge­ht. Welche Wirkung hat das auf die organ­isierte Nazi-Szene und ihre Mitläufer? 

L.K.: Die organ­isierte Szene ist z.Z. sehr inten­siv mit der Diskus­sion um die so genan­nte Volks­front, also der Bün­delung aller “nationalen Kräfte” unter dem Dach der NPD beschäftigt. Hier geht es keineswegs immer so har­monisch zu, wie dies die öffentlichen Bekun­dun­gen der recht­sex­tremen Szene sug­gerieren wollen. Wenn sich poli­tis­che Bewe­gun­gen for­mal­isieren, gibt es immer Kon­flik­te, da macht die recht­sex­treme Bewe­gung keine Aus­nahme. Es geht ein­er­seits um das Span­nungsver­hält­nis “Radikalität vs. Realpoli­tik”, ander­er­seits aber auch um sim­ple Besitz­s­tands­fra­gen wie der Vor­wurf der Ämter­häu­fung oder die Frage, ob denn die Dienst­wa­gen der säch­sis­chen NPD-Abge­ord­neten nicht zu fett seien. 

Trotz dieser Stre­it­igkeit­en, die NPD-Erfolge ent­fal­ten auf die recht­sex­tremen Aktivis­ten eine motivierende Wirkung. Die DVU galt ja eher als Lach­num­mer, dage­gen bietet die NPD schon Möglichkeit­en der Identifikation. 

D.J.: Auch ich denke, dass die par­la­men­tarischen Erfolge und die Möglichkeit, sich nun gezielt pro­voka­tiv inner­halb des etablierten Parteien­spek­trums bewe­gen zu kön­nen, die Szene pos­i­tiv bee­in­flusst. Wir bekom­men das insofern konkret mit, als sich organ­isierte Recht­sex­trem­is­ten und ihr Umfeld deut­lich selb­st­be­wusster zu bewe­gen scheinen. Dies bet­rifft das Auftreten auf Demos, aber auch gezielte Pro­voka­tio­nen bis hin zu Angrif­f­en auf tra­di­tionell linke Ein­rich­tun­gen scheinen zuzunehmen. Ich möchte nur an die Sprengstof­fan­schläge auf das Net­zw­erk für demokratis­che Kul­tur im säch­sis­chen Wurzen im Novem­ber let­zten Jahres erin­nern oder kür­zlich an den Anschlag auf ein Jugendzen­trum im bran­den­bur­gis­chen Bernau. 

Wie drückt sich das Erstarken der neon­azis­tis­chen Bewe­gung in eur­er Arbeit aus? 

L.K.: In der unmit­tel­baren Arbeit wirkt sich das in jedem Bun­des­land unter­schiedlich aus. In Sach­sen gelingt es der NPD zunehmend, das poli­tis­che Kli­ma zu vergiften, beson­ders dort, wo sie in den Kom­mu­nal­par­la­menten sitzt und stark lokal ver­ankert ist. Die Beratungs­fälle sind in solchen Sit­u­a­tio­nen oft emo­tion­al aufge­laden, was mögliche Hand­lungss­chritte häu­fig ver­stellt. Die Wahrnehmungskonzen­tra­tion der Öffentlichkeit und der demokratis­chen Parteien­land­schaft auf die Geschehnisse im säch­sis­chen Land­tag ver­stellt oft den Blick auf die ganz alltäglichen Vorgänge in den ländlichen Gebieten. 

In anderen Regio­nen ist die Sit­u­a­tion so schlimm bzw. so gut wie schon vor den NPD-Erfol­gen. Wie gesagt, das poli­tis­che Kli­ma hat sich ja nicht auf einen Schlag zu Gun­sten recht­sex­tremer Akteure verän­dert. Die Ein­stel­lungspoten­ziale bewe­gen sich auf einem ähn­lichen Niveau wie vorher. Es ist jeden­falls vor Ort nichts davon zu spüren, dass sich die NPD selb­st “entza­ubert” und deswe­gen an Zus­pruch ver­liert, wie dies etwas naiv aus Kreisen von SPD und CDU zu hören ist. 

Hat der Erfolg der NPD Auswirkun­gen auf die Arbeit der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt? 

D.J.: Wir machen keine exak­te Daten­er­he­bung bezüglich der Täter. Aber wir begleit­en die Betrof­fe­nen in aller Regel durch die Prozesse und kön­nen uns daher ein ganz gutes Bild von den Tätern machen. Wir haben es nor­maler­weise nicht mit organ­isierten Recht­sex­trem­is­ten zu tun, son­dern mit Tätern aus einem eher losen recht­en Umfeld der recht­en Skin­head- und Kam­er­ad­schaftsszene. Ins­ge­samt haben die Opfer­ber­atungsstellen in Sach­sen und Bran­den­burg seit den Land­tagswahlen eine Zunahme von Angrif­f­en rechter Schläger reg­istri­ert. In aller Regel han­delt es sich um Tat­en, die aus ein­er Gruppe her­aus began­nen wer­den, oft spielt Alko­hol eine Rolle. Wir beobacht­en übri­gens auch immer öfter, dass Frauen in diesen Grup­pen eine gewichtige Rolle spie­len. Sie beteili­gen sich dann zwar nicht unmit­tel­bar an der Tataus­führung, wirken aber insofern mit, als sie zu den Tat­en ans­pornen oder gar als Ideenge­berin­nen auftreten. 

Sind die Recht­en nicht auch Prof­i­teure ein­er gewan­del­ten Selb­st­wahrnehmung der Deutschen? Bombenkrieg, Flucht und Vertrei­bung sind The­men, die immer “unbe­fan­gener” disku­tiert wer­den. In diesem Diskurs wird die Gren­zen zum Geschicht­sre­vi­sion­is­mus nur zu oft über­schrit­ten und die Recht­en greifen das gezielt auf, wie z.B. am let­zten Woch­enende in Dresden. 

D.J.: Ja, das Feld f
ür die Recht­en wurde seit Jahren bestellt. Es sei nur an den His­torik­er­stre­it der 1980er Jahre erin­nert, die Debat­te um die Neue Wache in Berlin Mitte der 1990er Jahre, also ein­er Gedenkstätte für Opfer und Täter gle­ichzeit­ig, oder eben die Diskus­sio­nen zum Bombenkrieg gegen das faschis­tis­che Deutsch­land. Die poli­tis­che Elite in Deutsch­land scheint einen Kon­sens gefun­den zu haben, der als Nor­mal­isierung beschrieben wird. Wenn Deutsch­land das Ver­hält­nis zur eige­nen Geschichte so einord­nen kann, wie dies auch in anderen Län­dern möglich ist, ste­ht ein­er Führungsrolle Deutsch­lands in Europa und darüber hin­aus nichts mehr im Wege. Vor diesem Hin­ter­grund sind auch die Bemühun­gen der rot-grü­nen Bun­desregierung, die “Rolle Deutsch­lands” im inter­na­tionalen Gefüge zu stärken, zu bewerten. 

L.K.: Für mich ist außer­dem bemerkenswert, dass die Zus­tim­mung zu NPD-Parolen wie “Bomben­holo­caust” über die unmit­tel­bare Anhänger­schaft der NPD hin­aus­re­ichen. Es ist daher inter­es­sant, zu beobacht­en, was sich kul­turell in den ver­gan­genen Jahren verän­dert hat. Gui­do Knopp, Gün­ther Grass, Jörg Friedrich oder Thor Kunkel ste­hen für eine Lust endlich und “befre­it” das “Deutsche Leid” darzustellen. Es han­delt sich bei diesen Pro­tag­o­nis­ten natür­lich nicht um Recht­sex­trem­is­ten, aber ihre Betra­ch­tung des Zweit­en Weltkrieges als “human­itäre Katas­tro­phe” ohne Reflex­ion der Ursachen ent­poli­tisiert den Diskurs um die Geschichte des Nation­al­sozial­is­mus und seine Fol­gen. Es ist dann nicht mehr weit zur Gle­ich­set­zung von “Dres­den, Coven­try (damals) und (heute) Bag­dad”, wie es bürg­er­lich-demokratis­chen Kräften in Dres­den vorgemacht haben. Spätestens hier gerät dieser Diskurs dann zur Steil­vor­lage für die recht­sex­tremen “Predi­ger”.

Zum Glück gibt es ger­ade in Dres­den auch sehr pos­i­tive Gegen­beispiele. Dort haben sich eine Rei­he von Ini­tia­tiv­en zusam­menge­tan, um eine eigene “Erin­nerungskul­tur” zu beschreiben. Sie inter­na­tion­al­isieren den Diskurs und öff­nen so die verengte deutsche Per­spek­tive, sie the­ma­tisieren und benen­nen die deutschen Täter und ver­hin­dern damit die geschichtsvergessende Gle­ich­set­zerei der Opfer. Ich denke, Nazis haben in einem Diskurs unter solchen Rah­mungen keine Chance. 

Macht eure Arbeit unter diesen gesellschaftlichen Rah­menbe­din­gun­gen Sinn? 

L.K.: Wie viele andere auch ver­suchen wir mit unser­er Arbeit, demokratis­che Struk­turen aufzubauen und zu erhal­ten. Mit­tels dieser Struk­turen wollen wir men­schen­rechtliche Stan­dards als Quer­schnittsauf­gabe der gesamten lokalen poli­tis­chen Kul­tur etablieren. Wir sind aber nicht so naiv, gle­ich alles auf ein­mal umkrem­peln zu wollen. Stattdessen sprechen wir von “sozio-kul­turellen Inseln” in ein­er son­st recht tris­ten poli­tis­chen Land­schaft. Wir haben die Hoff­nung, dass diese Inseln wach­sen, sich ver­net­zen und es dadurch gelingt, ein kul­turelles Gegengewicht zu einem recht­en Main­stream zu schaf­fen. Herkömm­liche Vorstel­lun­gen in der Poli­tik zur Eindäm­mung des Recht­sex­trem­is­mus wer­den wir mit einem solchen Konzept ent­täuschen: Wir wer­den nicht ver­hin­dern kön­nen, dass NPD-Anhänger die NPD in die Par­la­mente wählen. Aber die diskur­sive Macht der Recht­sex­trem­is­ten vor Ort lässt sich durch eigene The­menset­zun­gen brechen. 

D.J.: Das mag sich so ein biss­chen daher gere­det anhören. Es gibt aber Beispiele dafür, dass es an eini­gen Stellen dur­chaus gelun­gen ist, Struk­turen zu schaf­fen und zumin­d­est ein­er recht­en Hege­monie etwas ent­ge­gen­zuset­zen. Ich möchte auch behaupten, dass die Sit­u­a­tion weitaus schlim­mer sein würde, gäbe es nicht diese vielfälti­gen Ver­suche ein­er alter­na­tiv­en und linken Pro­jek­te­land­schaft. Übri­gens weit über die staatliche finanzierten CIV­I­TAS-Pro­jek­te hinaus. 

Die Finanzierung eur­er Pro­jek­te ste­ht auf kein­er gesicherten Basis. Wie es nach den Bun­destagswahlen 2006 weit­erge­ht, ist vol­lkom­men offen. Wie seht ihr eure Zukunft? 

D.J.: Wie es nach 2006 mit der Bun­des­fi­nanzierung für die Pro­jek­te aussieht, ste­ht zur Zeit noch in den Ster­nen. Ab und zu ist die Rede von ein­er Bun­dess­tiftung, die diese Arbeit übernehmen kön­nte. Konkrete Entwürfe dazu sind uns aber nicht bekan­nt. Land auf, Land ab ist man sich einig, dass es falsch wäre, nur Sym­bol­poli­tik oder nur “Stro­hfeuer” zu betreiben. In der Real­ität wer­den die Pro­jek­te aber immer nur ein Jahr lang mit sicheren Zusagen aus­ges­tat­tet. Nach­haltige Struk­turen sind damit nur in Ansätzen zu schaffen. 

Inter­view: mb.

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Hetzjagd auf alternative Jugendliche in Bad Freienwalde

(MUT, Ralf Fis­ch­er und Jan Schön­berg­er) Tobias und Nico (Namen geän­dert) sitzt der Schreck­en noch tief in den Knochen. Die beiden
Jugendlichen reden nur sehr sel­ten mit anderen Per­so­n­en über das Ereignis,
welch­es ihre immer noch währende Unsicher­heit aus­löste. Dabei teilen sie ihre
Erfahrun­gen mit vie­len linken Jugendlichen in Bran­den­burg — die Erfahrung von
Gewalt durch Rechtsextreme. 

Der Übergriff 

Mit Gewalt, aus­ge­hend von Recht­sex­trem­is­ten, sind nicht-rechts orientierte
Jugendlichen in Bran­den­burg tagtäglich kon­fron­tiert. Tobias und Nico wur­den am
20. August let­zten Jahres in bran­den­bur­gis­chen Kle­in­stadt Bad Freienwalde
Opfer eines recht­sex­tremen Angriff. Auf dem Weg zu einem Fre­und wur­den die
bei­den Jugendlichen — äußer­lich sehr leicht als ′links′ — zu erken­nen von fünf
jugendlichen Recht­sex­trem­is­ten ange­grif­f­en. Diese hat­ten zuvor auf dem
Mark­t­platz abge­hangen und Bier getrunk­en. Als die bei­den linken Jugendlichen
die Gruppe passieren woll­ten, wur­den sie zunächst (nur) angepö­belt. Doch
solche Reak­tion auf ihr Äußeres ken­nen sie schon. Sie gin­gen ihres Weges
unbeein­druckt weit­er. Doch als sie sich der anderen Gruppe gegenüber abwandten
und weit­ergin­gen warf ein­er aus der Bande (Trupp) der Recht­sex­trem­is­ten eine
Bier­flasche nach ihnen, die ihr Ziel nur äußerst knapp verfehlte. 

Die bei­den ergrif­f­en die Flucht. Als Nico sich noch ein­mal kurz umdrehte, sah
er, wie ein­er aus der recht­en Gruppe den Hit­ler­gruß zeigt. Er ran­nte noch
schneller. Als Nico und Tobias sich in Sicher­heit gebracht hat­ten, riefen sie
die Polizei und erstat­teten Anzeige gegen den Wer­fer der Flaschen sowie
den­jeni­gen, der den Hit­ler­gruß zeigte. 

Kein Einzelfall 

In Bad Freien­walde sind solche Het­z­jag­den kein Einzelfall. Tobi berichtet,
dass in der bran­den­bur­gis­chen Kle­in­stadt im Land­kreis Märkisch-Oder­land immer
wieder neon­azis­tis­che Plakate auf­tauchen, die dazu auf­fordern “linke Banden”
zu zer­schla­gen. Ihre Fre­unde, die ähn­lich denken wie sie, sind auch häufig
damit kon­fron­tiert, vor recht­en Schlägern zu fliehen. Diese alltäglich sehr
bedrohliche Sit­u­a­tion sei “nor­mal” für die Kleinstadt. 

Opfer müssen sich rechtfertigen
Gegen den 17-jährige Haupt­täter Ron­ny M. wurde am Mon­tag, den 17.01.05, vor
dem Amts­gericht Bad Freien­walde ver­han­delt. Gemein­sam gin­gen Nico und Tobias
mit eini­gen Fre­un­den zur Ver­hand­lung. Während die Rich­terin mehrfach die
bei­den Zeu­gen fragte, warum sie sich so sich­er seien, dass es sich bei der
gezeigten Geste um den Hit­ler­gruß gehan­delt haben soll, wurde die versuchte
Kör­per­ver­let­zung via Flaschen­wurf gar nicht erst ver­han­delt. Auskün­fte über
die Verurteilung von Ron­ny M. erfuhren Tobias und Nico nicht. Genau­so wie die
Presse. Der Urteilsspruch bleibt, da der Täter zur Zeit der Tat ein
Jugendlich­er war, unbekannt. 

Die Angst bleibt 

Ihre Angst, dass sich solch eine Het­z­jagd, wie sie sel­ber erleben mussten,
sich vielle­icht wieder­holt steckt tief. Auf die Frage, ob sie Angst haben,
dass ihnen ähn­lich­es wieder passieren könne antwortet Tobias: “gut
möglich”. “Als link­er Jugendlich­er in Bran­den­burg, hast du es schon nicht
ein­fach.”, ergänzt Nico.

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Kommission für Härtefälle nach zehn Jahren

(Berlin­er Zeitung, 18.2.) POTSDAM. Nach zehn­jähriger Diskus­sion hat sich am Don­ner­stag in Pots­dam die
Härte­fal­lkom­mis­sion für aus­reisepflichtige Aus­län­der kon­sti­tu­iert. Die
Kom­mis­sion soll prüfen, “ob drin­gende human­itäre oder per­sön­liche Gründe
vor­liegen, die einen weit­eren Aufen­thalt in Deutsch­land trotz bestehender
Aus­reisepflicht aus­nahm­sweise recht­fer­ti­gen”, sagte Innen­min­is­ter Jörg
Schön­bohm (CDU). Er hoffe, dass nun in strit­ti­gen Fällen ein Konsens
gefun­den werde. Dafür spreche die Zusam­menset­zung der Kommission. 

Der Kom­mis­sion gehören acht stimm­berechtigte Mit­glieder an — Vertreter der
evan­ge­lis­chen und katholis­chen Kirche, der Liga der Wohlfahrtsver­bände, des
Innen- und Sozialmin­is­teri­ums, der Flüchtling­sor­gan­i­sa­tio­nen und zweier
kom­mu­naler Spitzen­ver­bände. Die Aus­län­der­beauf­tragte hat kein Stimmrecht. 

4 000 geduldete Flüchtlinge 

Die seit zehn Jahren von Kirchen und Flüchtlingsver­bän­den geforderte
Kom­mis­sion lehnte der Innen­min­is­ter lange ab. Nun kann das Gremi­um in
umstrit­te­nen Fällen den Min­is­ter ersuchen, aus human­itären Grün­den von einer
Abschiebung abzuse­hen. In Bran­den­burg gibt es 4 000 geduldete Ausländer. 

Flüchtlingsrat und Grüne begrüßten die Ein­rich­tung der Kom­mis­sion. Sie
kri­tisierten aber zugle­ich die “restrik­tiv­en Auss­chlusskri­te­rien”, die ein
“bun­desweit ein­ma­liges Boll­w­erk gegenüber möglichen Antragstellern”
darstellen. Auch könne sich die Kom­mis­sion nur mit einem Fall beschäftigen,
wenn zwei Drit­tel der Mit­glieder dies wünschen. 

Auch die Aus­län­der­beauf­tragte Almuth Berg­er bemän­gelte, dass sie als
Beauf­tragte der Lan­desregierung kein Stimm­recht bekommt hat. “Aber ich
hoffe, es wird ein Gremi­um, das vie­len helfen wird, und keine
Ver­hin­derungskom­mis­sion.” Wichtig sei, wie die Ausschlusskriterien
gehand­habt wer­den. So dürfe sich die Kom­mis­sion nicht mit Härtefällen
beschäfti­gen, wenn bere­its ein Abschiebeter­min fest­ste­ht oder die Ausländer
zur Fah­n­dung aus­geschrieben sind. “Es sollte aber Über­gangs­fris­ten geben für
Leute, die wegen ein­er dro­hen­den Ausweisung den Schutz des Kirchenasyls
gesucht haben”, sagte Berger. 

CDU-Gen­er­alsekretär Sven Petke warnte vor hohen Erwartun­gen. “Bere­its
getrof­fene rechtsstaatliche Entschei­dun­gen von Ver­wal­tun­gen und Gerichten
kön­nen durch die Kom­mis­sion nicht mehr aufge­hoben werden.” 

Ähn­liche Kom­mis­sio­nen gibt es in Nordrhein-Westfalen,
Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Berlin, Schleswig-Hol­stein, Hes­sen plant sie.

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Koalition vor neuem Wortbruch

(17.2.) Mit ihren Sparab­sicht­en bei Ini­tia­tiv­en und Vere­inen, deren Arbeit sich gegen
Recht­sex­trem­is­mus und Frem­den­feindlichkeit richtet, legt die rot-schwarze
Lan­desregierung die Grund­lage für den näch­sten Bruch des Koali­tionsver­trages, sagte
der Lan­desvor­sitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, JOACHIM GESSINGER heute nach einem
Gespräch mit dem Vere­in “Opfer­per­spek­tive”.

“Die angekündigte Stre­ichung der Lan­desmit­tel für den Vere­in Opfer­per­spek­tive sind
skan­dalös und ste­hen in krassem Wider­spruch zu dem im Koalitionsvertrag
fest­gelegten Ziel, Recht­sex­trem­is­mus im öffentlichen Raum zurück­zu­drän­gen. Für die
Bekämp­fung von Recht­sex­trem­is­mus und Frem­den­feindlichkeit ist diese Sparankündigung
fatal. Die heuti­gen Äußerun­gen von Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm, die Bekämp­fung des
Recht­sex­trem­is­mus habe weit­er­hin Pri­or­ität, ent­pup­pen sich vor diesem Hintergrund
als hohle Phrasen. Wie drän­gend das Prob­lem ist, zeigen auch die heute von
Schön­bohm vorgestell­ten Zahlen zur poli­tisch motivierten Gewalt 2004: Bei
recht­sex­tremen Gewalt­tat­en ist ein Anstieg um 18 auf 105 Delik­te zu verzeichnen.
Opfer­per­spek­tive spricht von 174 Opfern rechter Gewalt 2004; das ist ein neuer
Höchststand.” 

Der mehrfach aus­geze­ich­nete Vere­in Opfer­per­spek­tive, der Opfer recht­sex­tremer Gewalt
betreut, soll 2005 keine Lan­desmit­tel mehr erhal­ten. Im ver­gan­genen Jahr wurde er
noch mit 32.000 Euro durch das Jus­tizmin­is­teri­um unter­stützt. Der Weg­fall der Mittel
würde auch das Aus für die Förderung durch den Bund bedeuten, die an die
Kofi­nanzierung des Lan­des gebun­den ist. 

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern das Land auf, die Kofi­nanzierung für Opferperspektive
weit­er bere­itzustellen. Der prinzip­iell richtige Sparkurs darf nicht dazu führen,
dass die Bekämp­fung des für Gesellschaft und Demokratie zen­tralen Prob­lems des
Recht­sex­trem­is­mus ver­nach­läs­sigt wird. Im Gegen­teil, die Anstren­gun­gen müssen weit
über das bish­er Geleis­tete hin­aus­ge­hen. Dazu gehört, dass Vere­inen wie
Opfer­per­spek­tive eine solide Finanzierungs- und Pla­nungs­grund­lage gewährleistet
wird. 

Nicht hin­nehm­bar sind zudem die geplanten Kürzun­gen beim 610-Stel­len­pro­gramm des
Lan­des für die Jugen­dar­beit. Etablierte Struk­turen, die die Sen­si­bil­isierung und
Aufk­lärung von Jugendlichen gegenüber Frem­den­feindlichkeit und Rechtsextremismus
ermöglichen, wür­den hier fahrläs­sig zerstört.”

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Nur das Opfer bietet Rechtsextremen die Stirn


Von Cot­tbuser Mitläufern und vom Weg­guck­en der Zeu­gen eines brutalen
Über­falls / Amts­gerichts­di­rek­tor: Kein Einzelfall

(LR, 17.2.) Es geschieht am hel­l­licht­en Tag: Recht­sex­treme über­fall­en in Cot­tbus einen
16-Jähri­gen, schla­gen, treten und demüti­gen ihn — aus Rache, weil er nichts
mit einem von ihnen zu tun haben will. Die Zeu­gen der Tat, die Kumpels von
Mar­cel L., schauen aus Angst ein­fach weg, schweigen, alarmieren nicht einmal
die Polizei. Nur das Opfer fürchtet sich nicht. Seine Peiniger sind deshalb
jet­zt verurteilt worden. 

Stephan H. (20) trägt sein Haar raspelkurz, gerne eine schwarze Bomberjacke.
Er wirkt ungepflegt, hat drei Dieb­stäh­le auf dem Buck­el, ist Alkoholiker.
Die Arbeit­sagen­tur hält ihn wegen sein­er Trinksucht derzeit für nicht
förderungs­fähig. Seine Jugendgericht­shelferin charak­ter­isiert ihn als
“beque­men Men­schen mit Reifede­fiz­it, der nicht mit Geld umge­hen und sein
Leben nicht selb­st organ­isieren kann” , als einen Typen, “der Konflikten
eher auswe­icht” , als einen Lern­schwachen und Ver­hal­tensauf­fäl­li­gen, der
verken­nt, “dass er wegen seines Bil­dungs­stands momen­tan gar keine andere
Stelle als einen Ein-Euro-Job bekäme” . 

Seine Lehrstelle hat Stephan H. vor zwei Jahren ver­loren, weil er getrunken
hat. Eine sta­tionäre Entwöh­nung im Cot­tbuser Kranken­haus brach er nach einer
Woche ab. “Er braucht auf jeden Fall Hil­fe” , sagt seine
Jugen­drecht­shelferin. Und die hat sich Stephan H. an einem Samstagnachmittag
im Okto­ber dann auch geholt. 

Tat­mo­tiv: Ausgrenzung 

An diesem Tag glaubt er sich offen­bar bei Den­nis K. (19) an der richtigen
Adresse. Vor der Cot­tbuser Stadthalle zis­chen die bei­den ein Bier, quatschen
ein biss­chen. Da bit­tet Stephan H. Den­nis K. und Daniel P. um Unterstützung.
Er habe da ein “Prob­lem” mit einem anderen Jugendlichen, mit Mar­cel L.,
erzählt er ihnen. Der hat­te ihn ein paar Tage zuvor angepflaumt, dass er
sich ver­pis­sen solle, weil er mit den Recht­en nichts zu tun haben wolle. 

Die Drei fack­eln nicht lange, um das mal zu “klären” . Auf dem Spielplatz
hin­ter der Wohn­scheibe an der Cot­tbuser Stadt­prom­e­nade greifen sie sich den
Jun­gen aus ein­er Clique raus. Ein biss­chen schub­sen, dann schlägt ihm Dennis
K. auch schon zweimal die Faust ins Gesicht. Stephan H. schaut zu, als ginge
ihn das nichts an. Nur das Opfer aus­gelacht soll er haben. Daniel P. scheint
indes Blut geleckt zu haben, packt Mar­cel L. am Hals, drückt ihn an einen
Baum, zer­rt ihn ins Gebüsch. Nie­mand aus Marcels Clique auf dem Spielplatz
schre­it­et ein — auch nicht, als er gezwun­gen wird, sich hinzuknien, als ihm
Daniel P. seinen Springer­stiefel auf die Stirn drückt, um ihn am Boden zu
hal­ten, ihm gegen das Bein tritt. Und es hil­ft ihm auch nie­mand, als Dennis
K. danach noch auf ihn uriniert. 

Den­nis K. erscheint vor Gericht in Hand­schellen. Er ist wegen des Überfalls
schon im Jan­u­ar verurteilt wor­den, sitzt seine Strafe in Cot­tbus ab. “Ich
wollte das auf meine Art und Weise regeln. Deshalb habe ich Stephan
weggeschickt. Ich war wie im Rausch” , sagt er. “Ich war darauf aus, dass es
soweit kommt. Ich wollte mich vor den anderen pro­fil­ieren.” Von Reue keine
Spur. Nach sein­er Zeu­ge­naus­sage blinzelt Den­nis K. noch Daniel P. und
Stephan H. kom­plizen­haft zu. 

Warum er die bei­den anderen mitgenom­men hat, um seine eigene “Sache” zu
klären” “Weil ich mich allein nicht durch­set­zen kann” , sagt Stephan H. Er
scheint so etwas wie ein Mitläufer zu sein, ein­er, mit dem man alles machen
kann. Im Som­mer hat­ten ihn seine Kumpels nach einem Zechge­lage nachts vor
seine eigene Woh­nungstür geset­zt — split­ter­nackt war er anschließend einer
Polizeistreife in die Arme gelaufen. Seine “Fre­unde” hat­ten ihn vorher
ausgezogen. 

Niedrige Gewaltschwelle 

Mit einem wie Daniel P. hätte das wohl nie­mand gemacht. Der wirkt wie ein
ganz anderes Kaliber als Stephan: Glatze, Pierc­ing, Sprin gerstiefel,
schwarze Hose “und bei Alko­holkon­sum eine äußerst niedrige Frus­tra­tions- und
Gewaltschwelle” , wie Rich­terin Mar­i­on Rauch ihm attestiert. 

Seine Bekan­nten ord­nen Da-niel P. der recht­en Szene zu. Er gilt als harter
Hund. Acht Ein­träge weist das Bun­deszen­tral­reg­is­ter für den 22-Jähri­gen aus:
zwei Kör­per­ver­let­zun­gen, schw­er­er Dieb­stahl, Sachbeschädi­gung, vorsätzliches
Fahren ohne Fahrerlaub­nis — ein Kerl, der den Kon­takt zu seiner
Bewährung­shelferin ein­fach abge­brochen hat, den die Aufla­gen für die
Aus­set­zung sein­er Bewährungsstrafe keinen Deut scheren, der sich auch der
Andro­hung eines Unge­hor­sam­sar­restes nicht beugt, seit dem Som­mer arbeitslos
ist und von Hartz IV lebt. 

Warum Mar­cel knien musste” Um ihn klein zu machen, als Demü­ti­gung” “Ja” ,
antwortet Daniel P. “Kann schon sein, dass ich ihn getreten habe. Aber das
mit dem Anpis­sen ging mir zu weit, weil das abar­tig ist. Da bin ich
gegangen.” 

Nie­mand alarmiert die Polizei 

Am Abend nach der Tat stellen Ärzte bei Mar­cel L. Prel­lun­gen am Schädel, am
Knie und an den Unter­schenkeln fest. Nie­mand aus sein­er Clique hat­te ihm
geholfen, nie­mand hat­te die Polizei gerufen, nie­mand will seinen Namen
nen­nen — obwohl sie das Gebrüll gehört, zumin­d­est die ersten Schläge gesehen
haben müssen. Nur ein einziges Mäd­chen wagt es, ihn als Zeu­g­in zu begleiten,
als er Anzeige erstat­tet. Warum” Ein 17-Jähriger, der das Geschehen
beobachtet hat­te, sagte noch im Nach­hinein: “Ich mis­che mich nicht in Sachen
ein, die mich nichts ange­hen.” Und auch ein anderes Mäd­chen rechtfertigte
sich später: “Weil man dann von den Leuten selb­st eins auf die Schnauze
kriegt.” Ein Einzelfall? Der Cot­tbuser Amts­gerichts­di­rek­tor Wolfgang
Rupieper schüt­telt den Kopf. Er ken­nt dieses Ver­hal­tens­muster. “Zeu­gen
guck­en weg, weil sie während des Über­griffs Angst haben, und andere greifen
nicht ein, weil sie mit den Recht­sex­tremen sym­pa­thisieren” , analysiert er.
“Und andere wiederum fürcht­en nach ihrer Zeu­ge­naus­sage Repres­salien. Da
reicht schon oft die Dro­hung, ich weiß wo dein Auto oder dein Fahrrad
steht.” 

Spätestens nach der Aktenein­sicht der Täter-Anwälte treten die Zeu­gen aus
der Anonymität. Das ver­schließt manch einem den Mund. “Ich kenne aber auch
Beispiele” , sagt Rupieper, “da steigen selb­st Beschuldigte nicht aus, weil
sie Angst haben, danach von den Punks oder ihren eige­nen Leuten verdroschen
zu werden.” 

Angst ver­schließt den Mund 

Ohne Zeu­gen aber ste­ht Aus­sage gegen Aus­sage — die Täter ent­ge­hen dann ihrer
Strafe, weil ihnen vor Gericht nichts nachzuweisen ist. Im September
ver­gan­genen Jahres nutzte einem recht­sex­tremen Trio, das einen 17-Jährigen
in dessen Woh­nung mit einem Base­ball-Schläger über­fall­en hat­te, aber selbst
das nichts. Zwar war das Opfer, zugle­ich der Hauptzeuge, unter­ge­taucht, nahm
an der Ver­hand­lung nicht teil — für Rich­terin Mar­i­on Rauch damals ein Beleg,
mit welch­er Bru­tal­ität die drei über ihn herge­fall­en sein müssen. Die
Polizei hat­te seine Aus­sage aber pro­tokol­liert, die Täter waren geständig.
Zu ein­er Verurteilung des Trios reichte es trotzdem. 

“Auch ich hat­te vor der Ver­hand­lung Angst” , sagt Mar­cel L. “Jet­zt aber geht
es.” Als er das Urteil hört, atmet er tief durch. Daniel P. muss für ein
Jahr hin­ter Git­ter, Stephan H. zwei Wochen in den Jugen­dar­rest und in die
sta­tionäre Alko­hol-Entwöh­nung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 

Als Marcels Mut­ter, eine 36-jährige Haus­frau, die Täter danach vor der
Stadthalle zur Rede hat­te stellen wollen, war sie noch nur ausgelacht
wor­den. “Und als ich ihnen sagte, dass wir Anzeige erstat­tet ha
ben, rief
ein­er: ‚Dann geh ich eben noch mal in den Knast, aber wenn ich wieder
rauskomme, kön­nt ihr was erwarten′” , erzählt sie. Zumin­d­est das Lachen ist
dem Trio inzwis­chen wohl vergangen.

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Schönbohm beklagt die Mauer des Schweigens

(Tagesspiegel, 17.2.) Im ersten Bran­den­burg­er Ter­ror­prozess gegen die recht­sex­treme Kameradschaft
“Freiko­rps” wird voraus­sichtlich Anfang März das Urteil verkün­det: Die von
einem Gym­nasi­as­ten ange­führten zwölf jun­gen Leute sollen vom Juni 2003 bis
Mai 2004 im Havel­land neun Bran­dan­schläge auf Asia-Imbiss- und Dönerbuden
verübt haben. Hin­weise aus der Bevölkerung an die Polizei gab es keine,
obwohl viele von der braunen Clique wussten. Das ergaben jet­zt Befragungen,
die das Innen­min­is­teri­um im Umfeld der Angeklagten ver­an­lasste. Die
Ergeb­nisse sind so erschüt­ternd, dass Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) von
einem “voll­ständi­gen Ver­sagen der Sozialkon­trolle” spricht. “Kein­er der
befragten Per­so­n­en ist zur Polizei gegan­gen.” Für ihn sei der Fall
“exem­plar­isch”, dass im Land bei Aus­län­der­feindlichkeit “zu viel weggeguckt
wird”. Der Tagesspiegel doku­men­tiert nach­fol­gend einige Aus­sagen befragter
Per­so­n­en aus dem Umfeld der Kameradschaft. 

Ein ehe­ma­liger Mitschüler. Er “äußerte im Rah­men sein­er Vernehmung, dass der
Haupt­tatverdächtige bere­its im Juni/Juli 2003 ihm gegenüber davon sprach,
Imbissstände von Aus­län­dern anzu­greifen”. Er wurde durch den
Haupt­tatverdächti­gen aufge­fordert, dass er “mit­machen” soll, was er jedoch
ablehnte. Im Sep­tem­ber 2003 erzählte ihm der Haupt­tatverdächtige, dass er
den “Dön­er bei Nor­ma in Nauen abge­fack­elt” hätte. Auch zeigte ihm dieser im
März 2004 eine Liste mit Asia- und Döner­im­biss­bu­den und erzählte ihm, dass
er vorhätte, 20 dieser Objek­te gle­ichzeit­ig “abz­u­fack­eln”.

Eine Lehrerin. Sie gab an, dass der Hauptverdächtige ihr gegenüber geäußert
habe, dass es “früher keine Prob­leme mit Schwulen und Les­ben” gegeben hätte.
Auch sei er “zur Abiturab­schlussfeier mit Springer­stiefeln, schwarzen Hosen,
schwarz-rot-gold­e­nen Hosen­trägern und Bomber­jacke erschienen”. Nach ihren
Angaben “wussten die Mitschüler … von dessen poli­tis­ch­er Einstellung”. 

Ein ehe­ma­liger Fre­und. Er äußerte, dass der Haupt­tatverdächtige eine
recht­sex­treme Mei­n­ung (“kranke Mei­n­ung”) hätte und ein “Juden­has­s­er” sei. Er
gab an, dass dieser “eine Unter­grun­dor­gan­i­sa­tion grün­den wollte, um gegen
Juden und Aus­län­der vorzuge­hen”. Dieser hätte “sich auch gegenüber anderen
mit der Durch­führung von Bran­dan­schlä­gen gebrüstet”. 

Eine Kom­mu­nalpoli­tik­erin. Sie äußerte, “dass die Ein­wohn­er von … Angst
vor dem Haupt­tatverdächti­gen und seinen Fre­un­den hät­ten”. Der
Haupt­tatverdächtige und “seine Leute” hät­ten in der Ver­gan­gen­heit Märsche
zur Kies­grube … gemacht. 

Eine andere Lehrerin. Sie gab an, “dass es all­ge­mein bekan­nt gewe­sen sei,
wer die Imbissstände angezün­det hätte”. 

Ein Bürg­er­meis­ter. Er äußerte, dass er zufäl­lig ein Gespräch mitgehört
hätte, in dem es darum ging, dass der Haupt­tatverdächtige an den
Brand­s­tiftun­gen beteiligt gewe­sen sei. 

Ein Bürg­er. Er gab an, dass ihm bekan­nt sei, dass der Haupttatverdächtige
recht­sradikale und aus­län­der­feindliche Ansicht­en ver­tritt. Eine ehemalige
Lehrerin habe ihm erzählt, “dass sie den Haupt­tatverdächti­gen mit Freunden
in Uni­form bei mil­itärischen Spie­len im Wald angetrof­fen hätte”.

Inforiot