Gegen den 23-jährigen Haupttäter einer Körperverletzung mit fremdenfeindlichem Hintergrund — nicht gegen einen 19-Jährigen, wie von der Polizei irrtümlich vermeldet — erließ das Amtsgericht Potsdam auf Antrag der Potsdamer Staatsanwaltschaft am Montagnachmittag Haftbefehl. Der Potsdamer wurde in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Die Straftat hatte sich am Donnerstagabend in einer Straßenbahn ereignet, in der der Beschuldigte zusammen mit einem 19-jährigen Komplizen die Fahrgäste anpöbelte und zwei später hinzugestiegene Afrikaner beleidigte sowie körperlich angriff. Der ermittelte Haupttäter hatte am Sonntagabend eine weitere Straftat verübt. Er wurde bei einer Sachbeschädigung in einer Straßenbahn gestellt. Der angetrunkene Mann (1,93 Promille) trug einen Schlagring bei sich und war zur Verhinderung weiterer Straftaten in den Polizeigewahrsam gebracht worden.
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Potsdam (ddp-lbg). Über das Thema Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg wird nach Ansicht des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit derzeit zu sparsam in den Medien berichtet. «Es gibt beinahe täglich im Land Überfälle, aber viele davon werden von der Presse nicht wahrgenommen», kritisierte am Montag der Vorsitzende Rolf Wischnath in Potsdam. Seit dem Frühjahr sei es wieder zu zahlreichen Zwischenfällen gekommen, die leicht zu Todesfällen hätten führen können, betonte Wischnath. Nichts wäre daher falscher, als sich zurückzulehnen und das Thema Rechtsextremismus für abgehakt zu erklären.
Vorwürfe gegen Ausländerbehörde
RATHENOW Gibt es in Rathenow ausreichend gesellschaftliche Initiativen, um Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass einzudämmen oder ist es ausschließlich der starken Polizeipräsenz zu verdanken, dass die Überfälle auf Asylbewerber und andere Straftaten — vornehmlich mit rechtsextremen Hintergrund — zurückgegangen sind? Diese Kernfrage wurde schnell zum zentralen Diskussionsthema im “Politischen Café”. Zum zweiten Mal war Lea Rosh mit ihrem Team nach Rathenow gekommen. Mit ihr standen am Samstag in der Aula der Weinbergschule Lutz Gündel (stellvertretender Leiter), Silke Egner vom ökumenischen Begegnungskreis, Rathenows Bürgermeister Ronald Seeger, Kay Wendel (Verein Opferperspektive), Manfred Lenz (SPD, MdL), Thomas Otto (RAA) und andere Gäste.
Das Gespräch im “Politischen Café” machte deutlich, dass die Bewertung der Initiativen, die in Rathenow ein Miteinander zwischen Ausländern und Flüchtlingen auf der einen wie deutschen Stadtbewohnern auf der anderen Seite organisieren, äußerst unterschiedlich ist. Kay Wendel sagte, “dass es in Rathenow nach wie vor kaum gesellschaftliche Bewegungen gibt, um die Isolation der Flüchtlinge zu durchbrechen”. Wendel erneuerte seinen Vorwurf, in Rathenow gebe es nach wie vor starke ausländerfeindliche Strömungen. Erst, wenn Deutsche und Ausländer eine gemeinsame Lebensperspektive haben, so Wendel, könnte sich das ändern. Er selbst sei nicht sehr optimistisch, dass sich die Grundstimmung in Rathenow schnell ändern werde.
So schwarz sieht Thomas Otto, Leiter der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländer, Jugend und Schule (RAA), nicht: “Es gibt Perspektiven. Wir müssen Jugendliche zum demokratischen Miteinander erziehen und wir müssen sie darin bestärken, dass es richtig ist, demokratisch mitzuwirken.” Die Bestrebungen, in Rathenow ein Jugendparlament einzurichten seien deshalb ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Eingangs hatte ein Wissenschaftler von der Universität Potsdam erklärt, dass bei vielen Jugendlichen nicht nur das politische Interesse fehle, sondern auch die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren. Das gehe oft mit ausländerfeindlichen Einstellungen einher. Bürgermeister Ronald Seeger und Manfred Lenz verwiesen auf zahlreiche Rathenower Initiativen, die seit dem Asylbewerber-Memorandum im Februar 2000 ihre Arbeit aufgenommen haben. “Ich kann die Asylbewerber nur einladen, sich am Leben in der Stadt zu beteiligen”, sagte Seeger. Nur so könne der Kontakt zwischen Deutschen und Ausländern gestärkt werden.
Dass sich in den Köpfen der Rathenower noch einiges verändern muss, bestritt auch Lutz Gündel nicht. Zwar habe es in diesem Jahr bis zum Juni noch keine Straftat mit rechtsextremen Hintergrund in Rathenow gegeben, das sei jedoch in erster Linie der besonderen Polizeipräsenz zu verdanken. Schwerste Vorwürfe gegen die Mitarbeiter der Ausländerbehörde erhob Silke Egner vom Ökumenischen Begegnungskreis. “Wenn ein Asylbewerber zur Ausländerbehörde geht, wird er permanent mit Du angesprochen und erniedrigend behandelt. Außerdem wird so laut geredet, dass man auf dem Gang vor den Zimmern hört, was drinnen geredet wird.” Konkreter beschrieb sie diese Vorwürfe jedoch nicht. Manfred Lendt, Leiter der Kreisordnungsbehörde, saß im Publikum. Am Rande der Veranstaltung betonte er, “dass diese Vorwürfe so mit Sicherheit nicht stimmen”. Falls ein Asylbewerber in der Ausländerbehörde schlecht behandelt werde, habe er die Möglichkeit sich sofort zu beschweren — beispielsweise bei der Ausländerbeauftragten. “Wenn Frau Egner sagen kann, wer die Asylbewerber menschenunwürdig behandelt hat, dann soll sie das melden und wir gehen der Sache nach.”
Braune Brandstifter
TREBBIN Sehnsüchtig hatte Trebbins Bürgermeister Thomas Berger das Urteil erwartet. Doch ganz befriedigte ihn das Ergebnis des Prozesses gegen fünf Männer, die 1996 italienische Bauarbeiter durch Trebbin (Teltow-Fläming) gejagt und geprügelt hatten, dann doch nicht.
Bereits seit Monaten sorge die Mitgliedschaft von zwei der Angeklagten in der Freiwilligen Feuerwehr für Gerede im Ort, bestätigt das Stadtoberhaupt auf MAZ-Anfrage. Auch sechs Jahre nach der Tat sollen Steffen T. und Silvio K. noch immer rechtsextreme Einstellungen haben. Letzterer ist nicht nur einfaches Mitglied, sondern auch Jugendausbilder für Atemschutzgeräte. Für CDU-Mann Berger eine unerträgliche Situation. “Entweder die beiden distanzieren sich öffentlich vom Rechtsextremismus — oder sie müssen die Feuerwehr verlassen.”
Ganz so einfach sei ein Rausschmiss jedoch nicht, erklärt Berger. Brandenburgs Brandschutzverordnung sehe einen Ausschluss aus der Feuerwehr erst bei einer Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe vor. Doch Silvio K. und Steffen T. profitierten davon, dass auf sie nachträglich Jugendstrafrecht angewendet wurde, da sie zur Tatzeit erst 18 und 17 Jahre alt waren. Sie kamen mit Verwarnungen und Geldstrafen davon.
Dafür, dass sich die beiden Angeklagten in den vergangenen Jahren von ihrer rechtsextremistischen Einstellung verabschiedet haben, spricht wenig. Nach Überzeugung der Neuruppiner Staatsanwaltschaft war Silvio K. am Überfall auf den dunkelhäutigen Amerikaner Edward C. am 14. April 2001 beteiligt. Die Anklage wegen des “Verdachts auf Körperverletzung” wurde dann jedoch nach Paragraph 153 eingestellt. Ein Passus, der zur Anwendung kommt, wenn “die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht”.
Im Frühjahr wurden sowohl Silvio K. als auch Steffen T. erneut von der Polizei aufgegriffen: beim Hören von Liedern der Neonazi-Kultband “Landser”, die in einigen Texten zum Mord aufruft. Besonders pikant: Die rechtsextreme Party fand am 20. April statt, Hitlers Geburtstag. Bezeichnend für die innere Einstellung Steffen T.s war auch die Aussage einer Jugendgerichtshelferin: Sie berichtete, dass Steffen T. ihr gegenüber Ausländer pauschal als “Sozialschmarotzer” beschimpft habe.
Trotz dieser Vorkommnisse tut sich Feuerwehr schwer mit einer Entscheidung. Gerade Silvio K. sei einer der “leistungsstärksten Kameraden”, heißt es. Burkhard Heinrich, Chef der 72-köpfigen Trebbiner Feuerwehr, verwies darauf, dass für einen Ausschluss der Amtsbrandmeister Peter Gieseler zuständig sei. Dieser glaubt, dass man nicht viel machen könne, “außer auf die Gesinnung Einfluss zu nehmen”. Immerhin: Von seinem Posten als Ausbilder wurde K. inzwischen entbunden.
Verärgert zeigt sich der Bürgermeister darüber, dass Steffen T. sich trotz Aufforderung bislang noch kein einziges Mal bei ihm gemeldet habe. Auch Silvio K. habe sich — trotz erster Rücksprache — noch nicht klar zu den Vorwürfen geäußert. Seine Geduld sei jetzt am Ende. Beide Kameraden hätten jetzt noch bis zum Ende der Herbstferien Zeit, so Berger. “Dann will ich ein klares Zeichen sehen — sonst wird es Konsequenzen haben.”
Unmöglich ist der Rauswurf jedenfalls nicht: Ein Blick in die “Verordnung über die Laufbahnen der ehrenamtlichen Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehren”, zeigt Wege auf. Dort steht unter Absatz 3, dass ein Ausschluss möglich ist, wenn der Angehörige “aus einem anderen Grund nicht mehr würdig erscheint, den Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr zu verrichten”. Entscheidungsbefugt darüber sei “der Leiter der Feuerwehr im Benehmen mit dem Träger des Brandschutzes”.
Der Chef des Landesfeuerverbands Klaus Schultze zeigte sich erstaunt über die Schwierigkeiten der Trebbiner. Ein Kamerad, der durch rechtsextreme Äußerungen auffällt, sei auch am Strahlrohr kein verlässlicher Partner mehr, macht Schultze klar. So sei etwa in der Zeuthener Wehr vor einiger Zeit ein Mitglied durch NPD-freundliche Kommentare aufgefallen. “Alle anderen haben massiv Front gegen ihn gemacht. Der war nicht mehr lange dabei.”
Verurteilung kurz vor der Verjährung
Die Trebbiner Menschenjagd hatte weit über die Landesgrenzen hinaus für Entsetzen gesorgt: Am Abend des 30. September 1996 hatte eine Meute von Rechtsextremen gezielt Jagd auf italienische Bauarbeiter gemacht und diese teils schwer verletzt.
Doch nur zwei der Schläger mussten damals büßen. Jan Weicht wurde 1997 wegen versuchten Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er hatte dem Italiener Orazio Giamblanco mit einer Baseballkeule den Schädel zertrümmert. Das Opfer überlebte knapp und ist seitdem schwer behindert. Francesco Heim, ein weiterer Mittäter, verbüßt seit 1997 eine achtjährige Jugendstrafe.
Der Prozess gegen die restlichen Schläger kam im letzten Augenblick: Kurz vor Verjährung der Tat packte Haupttäter Jan Weicht aus und belastete sieben seiner früheren Kumpel aus der “Freien Kameradschaft Trebbin” schwer. Vor dem Luckenwalder Amtsgericht wurde der Fall nochmals aufgerollt. Obwohl der Hauptbelastungszeuge nachweisbar in einigen Punkten gelogen hatte und alle Zeugen aus der rechtsextremen Szene unter kollektivem Gedächtnisverlust litten, sah der Richter eine Mittäterschaft als erwiesen an.
Das Urteil: Silvio K. (24) und Steffen T. (23) erhielten nach Jugendstrafrecht eine Verwarnung. Letzterer muss zudem 400 Euro an Amnesty International zahlen, Silvio K. 600 Euro an einen Suchthilfeverein. André P. (28) erhielt acht Monate auf Bewährung, seine früheren Kumpane René E. (27) und Dirk P. (29) kamen mit je vier Monaten davon, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt werden. Auch sie wurden zu Geldstrafen zwischen 250 und 600 Euro verurteilt. Alle Verurteilten haben inzwischen Berufung eingelegt.
Das Verfahren gegen die Angeklagten Karsten H. und Rico Z. wurde abgetrennt. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.
V‑Mann-Affäre: Neue Hinweise
Die Affäre um den enttarnten V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Toni S., geht in eine neue Runde. Berliner Sicherheitskreise dementierten gestern einen Bericht der Lausitzer Rundschau, wonach ein V‑Mann einer bislang nicht genannten Sicherheitsbehörde der Hauptstadt mit seinen Hinweisen das Verfahren gegen Toni S. maßgeblich in Gang gebracht haben. Die Zeitung hatte berichtet, bei dem Mann handele es sich um einen Informanten der Berliner Behörden, der im rechtsextremen Umfeld von Toni S. und Lars B. aktiv gewesen sei. Er wäre der dritte enttarnte Informant aus dem Kreis von Herstellern und Vertreibern der Neonazi-CD “Noten des Hasses” der Band “White Aryan Rebels”. Neben dem Brandenburger V‑Mann Toni S. soll der ebenfalls in die CD-Produktion verwickelte sächsische Neonazi Mirko H. V‑Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutzes gewesen sein. Berliner Sicherheitskreise sprachen hingegen von einem “Hinweisgeber”, der nicht mit einem V‑Mann zu vergleichen sei. Ihm sei Anonymität zugesichert worden, als er mit Informationen über die “Weiße Arische Bruderschaft” an die Polizei herangetreten sei.
Zunächst sei man davon ausgegangen, dass die neonazistische Bruderschaft, zu der auch Lars B. und Toni S. gehört haben sollen, in Wehrsportübungen und Waffendeals verwickelt war. Ermittlungen wegen “Noten des Hasses” seien danach ein Zufallsprodukt. Der Prozess gegen Toni S. soll am 5. November vor dem Amtsgericht Tiergarten beginnen.
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat gegen den V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes Toni S. Anklage erhoben. Die Anklagebehörde wirft dem V‑Mann Verbreiten von Propagandamaterial sowie Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz vor, sagte Justizsprecherin Ariane Faust gestern. Ein Prozesstermin stehe noch nicht fest.
Toni S. soll zusammen mit einem bereits verurteilten Komplizen für Herstellung und Vertrieb der CD “Noten des Hasses” der rechtsextremistischen Band White Aryan Rebels verantwortlich sein. Die CD ruft zur Ermordung des Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden, Michel Friedman, und weiterer Prominenter auf. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte bei Durchsuchungen in einem dem Angeschuldigten zugeschriebenen Lager eine Vielzahl von Tonträgern mit kriminellen Texten sowie Plakate und Kleidung mit rechtsextremistischen Aufdrucken beschlagnahmt. Toni S. war bei einer Razzia gegen die rechtsextremistische Musikszene am 20. Juli festgenommen worden, die nicht mit den Brandenburger Sicherheitsbehörden abgestimmt war. Dies hatte zu schweren Verstimmungen zwischen den Bundesländern geführt.
V‑Mann-Affäre zeigt Wirkung
POTSDAM. Als Konsequenz aus der V‑Mann-Affäre drängt die SPD auf eine Änderung des Brandenburger Verfassungsschutz-Gesetzes. Gestrichen werden solle ein Passus, der “rechtspolitisch bedenklich” sei, sagte Fraktionssprecher Ingo Decker.
Zu den Befugnissen des Verfassungsschutzes beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel heißt es dort: “Die abschließende Aufzählung der Straftatbestände, die verwirklicht werden dürfen, erfolgt in einer Dienstvorschrift nach Vorlage in der Parlamentarischen Kontrollkommission.” Dies erwecke den Eindruck, als legitimiere eine solche Vorschrift das Begehen von Straftaten, sagte Decker. Dies sei aber nicht der Fall. Kurz zuvor ist im Gesetz klar formuliert: “Beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel dürfen keine Straftaten begangen werden”. Aus “gutem Grund” sei die gesetzlich vorgegebene Dienstvorschrift nie erlassen worden, sagte Decker. Die Streichung dieser Passage diene auch der Rechtsklarheit, die von Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg zu Recht eingefordert worden sei. Ausgangspunkt der Affäre war die Festnahme eines Brandenburger V‑Mannes in Berlin, der an Produktion und Vertrieb volksverhetzender CDs beteiligt war.
Neudeutsche und Neonazis
Die Aussiedler in Wittstock sagen, dass sie sich wohlfühlen. Den vielen NPD-Plakaten zum Trotz
Wittstock. „Wie meinen Sie das, ob ich wählen gehe?” Olga versteht die Frage nicht. Das liegt keinesfalls an der Sprache, denn die Mittfünzigerin spricht inzwischen sehr gut Deutsch. Und dass sie am Sonntag ihre Stimme abgibt, ist für sie so selbstverständlich wie für die meisten Spätaussiedler aus Russland. „Wir mussten doch auch zu Hause immer wählen gehen”, sagt sie. Die Parteien und das politische System der Bundesrepublik sind vielen Aussiedlern aus den Briefen vertraut, die Freunde und Verwandte ihnen aus Deutschland schrieben, während sie – oft jahrelang – auf ihre Ausreise warteten. In den Briefen stand auch: „Passt auf, dass ihr nicht nach Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern kommt!” Nun ist Olga mit ihrer Familie wie mehr als 400 Aussiedler in Wittstock gelandet und kann die Warnung verstehen. Wittstock liegt an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die NPD marschiert hier oft auf. Und immer wieder kommt es zu rassistischen Vorfällen: Im Februar 1999 schleuderten junge Neonazis Molotow-Cocktails auf einen türkischen Dönerladen. Im April 2001 wurden US-Amerikaner im „McDonalds” verprügelt. Einen Monat später jagten Vermummte einen 18-jährigen Deutschen mit dunkler Hautfarbe so lange durch Wittstock, bis er sich in seiner Angst von einem Balkon stürzte. Im Mai dieses Jahres überfielen Einheimische zwei junge Spätaussiedler. Kajrat B. (24) starb, sein 21-jähriger Freund Maxim überlebte schwer verletzt. Vor zwei Wochen wurde die Gedenkstätte Belower Wald durch Brandsätze teilweise zerstört und mit antisemitischen Hetzparolen beschmiert. „Es sind nur einige, die immer wieder Unruhe stiften”, sagt Valentina Stranski, die vor neun Monaten mit Mann, Tochter und zwei Enkelkindern nach Deutschland kam. „Wir fühlen uns wie viele Russlanddeutsche in der Stadt wohl. Mich hat noch niemand bedroht. Ich glaube auch nicht, dass die NPD hier viele Stimmen bekommt.” Dabei ist Wittstock in diesen Tagen mit NPD-Plakaten regelrecht zugeklebt. „Deutschland uns Deutschen” steht darauf, und „Ausländer: Rückführung statt Integration”. Wittstocks Bürgermeister Lutz Scheidemann (FDP) wirkt hilflos. Auch in Neuruppin und Wittenberge hingen sehr viele NPD-Plakate, sagt er, aber dort hielten wenigstens die anderen Parteien noch dagegen. Trotzdem ist Scheidemann überzeugt, dass die Wittstocker am Sonntag zu etwa je 30 Prozent für SPD und CDU stimmen, die PDS könne mit 20 Prozent rechnen. Für die NPD prognostiziert er vier bis sechs Prozent. Nach jedem Vorfall hat Scheidemann zu Demonstrationen aufgerufen. Die Bürger kamen zu Hunderten. „Wittstock ist kein braunes Nest”, versichert der Bürgermeister: „Die Amerikaner im McDonalds sind von Rechten aus Berlin überfallen worden, im Mordfall Kajrat gehören die Tatverdächtigen nicht zur rechten Szene.” Trotzdem hat Scheidemann nach dem Anschlag auf die Gedenkstätte endgültig genug: „Gegen diese Leute muss man mit aller Härte vorgehen.” Die Wittstocker Rechten treffen sich jeden Abend an der Elf-Tankstelle. Dort trinken sie Bier und fühlen sich stark. Manchmal kommen sie auch zum Italiener in der liebevoll restaurierten Innenstadt. „Mich akzeptieren sie”, sagt der Chef, „aber beim Türken nebenan machen sie Stress.” Der Türke nebenan will lieber nichts sagen. Dreimal ist seine Schaufensterscheibe schon zu Bruch gegangen. Die NPD distanziert sich offiziell von solchen Vorfällen. Ihr Spitzenkandidat, Mario Schulz, ist Vorsitzender des Landesverbandes Berlin-Brandenburg. Er bemüht sich um Hoffähigkeit. Am Gedenkmarsch für den ermordeten Kajrat ließ er seine Kameraden teilnehmen, weil „das ein Deutscher war”. „Die hatten einfach nur Schiss, dass die Aussiedler zurückschlagen”, sagt ein Betreuer der Russlanddeutschen: „Nach dem Überfall auf Kajrat und Maxim wurden zwei Rechte vermöbelt.” Das Klima unter den jungen Leuten in Wittstock ist entsprechend. „Für die Jugendlichen ist der Zug abgefahren”, sagt Valentina Stranski, die in ihrer Heimat als Lehrerin gearbeitet hat. „Die bleiben unter sich. Man muss bei den Kindern anfangen. Da können Freundschaften entstehen.” Ihre Enkel, die neunjährige Tanja und der siebenjährige Sergej kämen in der Schule gut klar. Die Stranskis betonen immer wieder, wie glücklich sie in ihrer neuen Heimat sind. Valentina zitiert ein altes russisches Sprichwort: Wenn es dir gut geht, sollst du das Gute nicht woanders suchen. Deshalb, erklärt sie freimütig, werden sie und ihre Angehörigen am Sonntag die SPD wählen. Damit seien die Stranskis eher eine Ausnahme unter den Spätaussiedlern, vermutet Lew Sinner, ein 63-jähriger Elektrotechnik-Professor: „Viele wählen die CDU, weil die Schröder-Regierung beschlossen hat, dass jeder Aussiedler einen Sprachtest machen muss. Unter Kohl reichte es, wenn sich ein Familienmitglied diesem Test unterzog.” Lew Sinner hat längst bereut, dass er nach Deutschland gekommen ist, weil er wie andere hochqualifizierte Aussiedler hier nicht in seinem Beruf arbeiten kann. „Mit Wittstock”, sagt der Professor, „hat das aber nichts zu tun.”
RATHENOW Aus Mangel an Beweisen wurde gestern ein Verfahren am Rathenower Amtsgericht eingestellt. Angeklagt war Christopher Nsoh, 33-jähriger Asylbewerber aus Kamerun. Die Staatsanwaltschaft wirft dem heute in Berlin Wohnenden vor, auf einer Pressekonferenz am 29. August 2000 zwei Polizistinnen verleumdet zu haben.
Viele werden sich an die Ereignisse jener Tage erinnern, sie sorgten bundesweit für Aufsehen. Am 25. August waren der britische Fotoreporter Justin Jin und drei afrikanische Asylbewerber aus Rathenow (darunter Christopher Nsoh) von einem damals 21-jährigen Rathenower in der Bahnhofstraße mit ausländerfeindlichen Sprüchen beleidigt und mit einem Pflasterstein bedroht worden. In einem Schnellprozess wurde der Täter wenige Tage später zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Das, was gestern vor dem Amtsgericht verhandelt wurde, hatte sich im Schatten dieses Vorfalls abgespielt. Auf einer Pressekonferenz zu den Geschehnissen am 29. August 2000 hatte Christopher Nsoh die beiden Polizistinnen, die zu dem Einsatz gerufen worden waren, beschuldigt, das Opfer des Angriffs, den Fotografen Justin Jin, rüde und respektlos behandelt zu haben. Diese Vorwürfe hatten die Beamtinnen sowie die Leitung des Oranienburger Polizeipräsidiums weit von sich gewiesen und gegen Nsoh Anzeige wegen Verleumdung erstattet.
In der vom Staatsanwalt vorgetragenen Anklageschrift hieß es, Nsoh habe die Beamtinnen beschuldigt, den Fotografen Jin “mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen” in das Polizeiauto gedrängt zu haben. Als Beweis hatte die Staatsanwaltschaft einen Fernsehbeitrag des ORB über die besagte Pressekonferenz angefordert. Ein Beitrag, dessen Aussagekraft — so stellte es sich nach der Vorführung im Gerichtssaal heraus — allerdings gegen Null tendiert.
Zwar spricht der Reporter in dem Film von besagten “zusammengebundenen Händen”. Es ist aber nicht nachweisbar, ob es sich dabei um eine wörtliche Übersetzung der in Englisch geäußerten Vorwürfe Nsohs oder vielmehr eine freie Interpretation des Journalisten handelte.
Nsoh selbst bestritt diesen Wortlaut. Jin sei am Arm gepackt und ins Auto gedrückt, aber nie gefesselt worden, sagte er. Nsohs Verteidiger beschuldigte die Staatsanwaltschaft, mit unzulänglichen Beweismitteln operiert zu haben. Für den Vorwurf der “zusammengebundenen Hände” gebe es nicht den geringsten Anlass. Der Kern der Anklage sei damit nichtig. Dass die Polizeibeamtinnen sich an besagtem Abend nicht korrekt verhalten hätten, sei in einem anderen Verfahren übrigens bereits geklärt worden.
Das Gericht stellte das Verfahren wegen Mangels an Beweisen ein und legte fest, dass die Landeskasse die Verfahrenskosten zu tragen habe.