GUBEN. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm kommt am 17. Juli zu einem Arbeitsbesuch in die Neißestadt. Schwerpunkt seiner Visite wird die Polizeiwache in Guben sein. Dort will er mit dem Leiter, Ulrich Kleo, über die ersten Erfahrungen nach dem In-Kraft-Treten der Polizeireform sprechen. Der Innenminister hatte die Polizeiwache in Guben zum letzten Mal in der Nacht zum 9.Januar 2001 besucht, damals unangekündigt. Nach dem Ministerbesuch wurde in der Wache kräftig am Personalkarussell gedreht, das Personal verjüngt. Seitdem sind etwa 50 Prozent der Beamten ausgetauscht.
jW sprach mit Dominique John, Mitarbeiterin der Opferperspektive Brandenburg
F: Wittstock an der Dosse gilt als eines der Zentren
braunen Terrors in Brandenburg. Seit dem Mord an dem 24jährigen rußlanddeutschen Aussiedler Kajrat B. am 4. Mai macht die Stadt erneut Schlagzeilen. Wie ist die Situation in Wittstock und Umgebung?
Es gibt hier nicht nur eine straff organisierte Naziszene, der dreißig bis vierzig Leute zugeordnet werden und die in den letzten Jahren zahlreiche Demonstrationen organisiert hat. Für das, was man als rechte kulturelle Hegemonie bezeichnet, ist Wittstock ein anschauliches und extremes Beispiel. Eine linke, alternative oder wenigstens ausdrücklich nicht-rechte Jugendkultur gibt es in der Stadt nicht. Die Rechten beherrschen in einem erschreckenden Ausmaß das Stadtbild.
Die rußlanddeutsche Community steht massiv unter Druck. Viele wollen weg. Jede Familie, zu der wir bisher Kontakt aufgenommen haben, berichtete über rassistische Beschimpfungen oder gar Angriffe auf der Straße, in den Wohnblocks und auch in den Schulen. Aus Angst weigern sich Kinder zum Teil, in die Schule zu gehen. Ein ganz großes Problem ist auch die Situation im öffentlichen Nahverkehr, wo immer wieder Rußlanddeutsche angemacht werden. Die Lage ist so zugespitzt, daß es sogar Überlegungen bei der Polizei gibt, die Busse zu begleiten.
Was ist am 4. Mai in Wittstock passiert?
Kajrat und sein Freund Maxim waren an diesem Abend in einem Club. Als die beiden dort auftauchten, haben sie relativ schnell gemerkt, daß sie am »falschen Ort« waren. Sie überlegten, wie sie aus der Situation am besten herauskommen, und entschieden sich dafür, im Hintergrund zu bleiben und abzuwarten, bis das Gros der Leute gegangen ist. Als sie dann gingen, wurden sie jedoch plötzlich von hinten angegriffen. Es ist bekannt, daß mindestens drei Leuten auf sie eingetreten haben. Einer der Angreifer hat dann einen 15 Kilogramm schweren Feldstein genommen, ihn hochgestemmt und Kajrat auf die Brust geworfen. Nach fast dreiwöchigem Aufenthalt auf der Intensivstation ist Kajrat an seinen inneren Verletzungen gestorben.
F: Gab es in Wittstock Reaktionen auf diesen Mord?
Es gab zunächst eine große Betroffenheit. Vor allem bei Mitgliedern des »Bündnis für ein Wittstock ohne Gewalt«. Das hat sich im November letzten Jahres gegründet und will sich mit der Problematik von Rechtsextremismus und der rechten kulturellen Hegemonie in Wittstock auseinandersetzen. Vertreter der Stadt, der Kirchen und Einzelpersonen sind dabei. Nach dem Mord an Kajrat beginnt man im »Bündnis«, über die Situation der Rußlanddeutschen nachzudenken. Zuvor hatte man hier die Rußlanddeutschen nicht als von rassistischen Angriffen Betroffene wahrgenommen. Daß hängt wohl auch damit zusammen, daß Rußlanddeutsche als eine gesellschaftliche Gruppe angesehen werden, um die sich — nach unserem Dafürhalten — fast so etwas wie ein Mythos rankt: Es scheint allgemein angenommen zu werden, daß Rußlanddeutsche gut organisiert, schlagfertig und vor allem in der Lage sind, zurückzuschlagen. Es sei mal dahingestellt, wie diese Zuschreibungen zustande kommen. Klar ist nur, daß die Handlungen der Verantwortlichen in der Stadt durch diese Bilder stark beeinflußt sind.
Problematisch finden wir in diesem Zusammenhang die Presseberichterstattung nach dem Mord an Kajrat. Ob es nun der Tagesspiegel ist oder der Spiegel, immer wird ein Bild der Rußlanddeutschen gezeichnet, das von entsprechenden Stereotypen strotzt. Da ist von Selbstjustiz die Rede, von Rußlanddeutschen, die angeblich »Patrouillen« bildeten und »auf eigene Faust« nach Nazis suchen. Diese kollektiven Zuschreibungen haben allerdings nach unserer Wahrnehmung nichts mit den realen Verhältnissen in Wittstock zu tun. Zwar gibt es Jugendliche, die für sich den Schluß gezogen haben, sich in Zukunft zu wehren, doch die Berichterstattung verkennt die Realität in Wittstock vollkommen. Die Gewalt geht dort eindeutig von rechts aus.
FRANKFURT (ODER). Der mutmaßliche Boss einer internationalen Schleuserbande muss für sieben Jahre hinter Gitter. Das Landgericht Frankfurt (Oder) sprach den 33-jährigen Aserbaidschaner am Mittwoch in 14 Fällen der gewerbsmäßigen Einschleusung von Ausländern schuldig. Nach Überzeugung der Kammer war der Angeklagte spätestens ab September 2000 bis zu seiner Festnahme im vorigen Jahr führendes Mitglied einer vielköpfigen Bande, die geschäftsmäßig Ausländer vor allem aus Ost€pa nach Deutschland einschleuste.
Am 27.6.02 veröffentlichte der Tagesspiegel auf Seite drei eine Reportage der
Journalistin Hanna Kolb. Diese hatte zu den Umständen der Ermordung des
Russlanddeutschen Kajrat B. (24) in Wittstock (Brandenburg) recherchiert, der in der
Nacht vom 3. auf 4. Mai diesen Jahres von deutschen Tätern schwer zusammengeschlagen
worden und nach knapp drei Wochen seinen inneren Verletzungen erlegen war. Auch wenn
die inzwischen gefassten Täter nicht zur organisierten rechten Szene Wittstocks
gehören, geht die Staatsanwaltschaft, nach Angaben ihres Pressesprechers, von einem
“fremdenfeindlichen Motiv” aus. Frau Kolb lässt in ihrer Reportage
Familienangehörige des Toten zu Wort kommen. Auch mit anderen Mitglieder der
russlanddeutschen Gemeinde sowie mit Vertretern der Kommune und der Polizei scheint
sie gesprochen zu haben. Ein ansehnliches Stück Recherche — könnte man meinen — und
dann auch noch im Tagesspiegel, einer Zeitung, die für ihre fundierte und gut
recherchierte Berichterstattung bekannt ist. Der Schein trügt.
Ca. eine Woche vor Veröffentlichung des Artikels erhielt der Verein
Opferperspektive, der sich um Opfer rechtsextremer Gewalt in Brandenburg kümmert,
einen Anruf aus Wittstock. Nichts ungewöhnliches, denn für besagten Verein ist
Wittstock und die dort lebenden Russlanddeutschen in den letzten Monaten zu einem
Schwerpunkt der Arbeit geworden. Zu den dort betreuten Opfern zählt auch die Familie
von Kajrat B.. Trotzdem war der Anruf eher ungewöhnlich. Die Mutter des Verstorbenen
wollte wissen, was sie denn mit einer Journalistin tun solle, die sich auf die
Opferperspektive berufend, selbst eingeladen hätte und keine Anstalten mache zu
gehen. Falls sie nicht den Wunsch habe, ein Interview zu geben, empfahlen wir der
Familie, die Journalistin, deren Namen Hanna Kolb war, vor die Tür zu setzen. Und so
geschah es auch. Eine tüchtige Schmierenkomödie und dies auf Kosten von Menschen,
die sich nach wie vor in einem Schockzustand befinden. Die Episode wäre
wahrscheinlich vergessen, wäre die Reportage von Frau Kolb nicht im Tagesspiegel
abgedruckt worden. Nicht nur, dass Frau Kolb einen unseriösen Recherchestil zu
pflegen scheint, ihre gesamte Reportage ist ein Ausbund an Sensationsjournalismus.
So lässt einem schon die Überschrift nichts Gutes erwarten: “Hass, zwangsläufig”, so
ist da, eher unverständlich, zu lesen. Darüber, in kleineren Buchstaben, eine kurze
inhaltliche Zusammenfassung mit dem abschließenden Satz: “Weil die Polizei nichts
tut, üben die Aussiedler jetzt Selbstjustiz”. Der Begriff lässt aufhorchen und
schaudern zugleich. Als Beleg für ihre Behauptung muss zunächst der Bruder von
Kajrat B. herhalten. Seit er mehrere Male von Jugendlichen angepöbelt wurde und die
Polizei sich geweigert habe, eine Anzeige entgegen zu nehmen — so wird er indirekt
zitiert -, verlasse er sich, “lieber auf seine Fäuste als auf deutsche Polizisten”.
Die Realität ist jedoch anders. Einen Tag vor dem Angriff auf Kajrat B. unterstützte
der Verein Opferperspektive den Bruder des später Ermordeten, Jugendliche, die ihn
beleidigt und genötigt hatte, bei der Polizei anzuzeigen. Ein mutiger Schritt, wie
viele der anderen Russlanddeutschen in Wittstock finden und weit davon entfernt, das
Faustrecht in Anspruch zu nehmen, wie Frau Kolb dem jungen Mann unterstellt. Die
Kolbsche Argumentationslinie der “Selbstjustiz” erfährt jedoch gegen Ende eine
weitere Blüte. In Wittstock, so ihre Analyse, “ist offenbar ein rechtsfreier Raum
entstanden”. Die Rede ist von der Siedlung am Rande der Stadt, wo — und dies ist
richtig — viele der russlanddeutschen Familien untergebracht sind. Zitiert wir nun
der Leiter der Wittstocker Polizeiwache Benedickt, der hier “fünf bis zehn
Aussiedler” ausgemacht haben will, die “schon länger in Wittstock sind”, sich aber
nur “in ihrem Kulturkreis aufhalten”. Die polizeiliche Perspektive auf das Problem
in dieser Siedlung ist sicherlich interessant, jedoch bei weitem nicht hinreichend,
um für eine fundierte Recherche herzuhalten. Doch danach steht Frau Kolb
offensichtlich auch nicht der Sinn. Vielmehr braucht es nun noch einen weiteren
Beleg für die in der Überschrift angekündigte “Selbstjustiz”. So berichtet sie, dass
fünf Aussiedler aus dem Kreise eben jener nicht Integrierten nach dem Trauermarsch
zu einem Treffpunkt der Rechten gefahren seien, um zwei junge Männer
zusammenzuschlagen. Dann erfährt man noch, dass der schon ins Visier geratene Bruder
des toten Kajrat dabei gewesen sein soll. Tatsächlich hat es in der Nacht nach dem
Trauermarsch einen Auseinandersetzung zwischen fünf Aussiedlern und zwei Deutschen
gegeben. Und tatsächlich sind fünf mutmaßlich an der Auseinandersetzung beteiligte
Russlanddeutsche vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen worden. Allerdings sieht
die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm, die einen der Beschuldigten vertritt
und mit den Akten des Falles vertraut ist, “keinerlei Hinweise auf einen
Rachefeldzug. Vielmehr waren es erneut Provokation der beiden Deutschen, welche die
Schlägerei ausgelöst haben.” Dass der Bruder von Kajrat B. an diesem Abend zu Hause
war und sich um seine Familie gekümmert hat, weiss auch die Polizei. Nur Hanna Kolb
scheint das bei “ihren Recherchen in Wittstock” nicht mitbekommen zu haben. Oder hat
dies nicht in ihr Konzept gepasst?
Dominique John und Claudia Luzar
(Opferperspektive Brandenburg)
FRANKFURT (ODER). Das Brettspiel ist eine Mischung aus Monopoly und Spiel des Wissens. Doch während man zu Beginn einer Monopoly-Runde immerhin mit ein wenig Geld ausgestattet ist starten bei „Crashkurs Asyl” alle als arme Schlucker. Und im Verlauf des Spiels, bei dem man sich unter anderen auf die Felder Polizei (grün), Justiz (braun) oder Heim (blau) würfelt, wird das für die meisten nicht besser: Um etwas zu kaufen, gibt es Gutscheine, kein Geld. Und nur 1 bis 5 Prozent kommen überhaupt durch, heißt es lakonisch in der Spielanleitung. Den Crashkurs haben sich Jugendliche aus Cottbus ausgedacht. Eine etwas andere Art, zu vermitteln, wie sich Asylbewerber hierzulande fühlen. Und auch wenn die Erfolgschancen bei dem Spiel gering sind (Ziel ist es, eine Aufenthaltsbefugnis zu erhalten), mit dem Spiel hatten die Cottbuser gute Aussichten, am Montag im Rathaus in Frankfurt (Oder) einen Preis zu gewinnen. Vor 200 Besuchern im Rathaussaal präsentierten sich die Cottbuser und weitere neun Gruppen als Teilnehmer des antirassistischen Jugendwettbewerbs „Aktion Analyse” und zeigten ihre Wettbewerbsbeiträge. Die Cottbuser haben nicht nur den Crashkurs entworfen. Eine Befragung der Cottbuser zum Thema Rassismus gehörte ebenso zu ihrem Wettbewerbsbeitrag wie ein Kurzfilm über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in der Stadt. Der Wettbewerb wurde nach einem ungewöhnlichen Modus ausgewertet. Die zehn Gruppen hatten ihre Wünsche aufgelistet. Jede Gruppe konnte sagen, was sie für ihre Arbeit alles brauchen könnte. Eine lange Liste war zusammengekommen: Ein Faxgerät, ein Scanner, ein Seminar, Zeitungsabonnements oder auch Bücher. Mit der Liste waren die Auslober des Wettbewerbs losgezogen und hatten Spenden gesammelt. Am Montag machten die Gruppen dann untereinander aus, wer welchen Preis erhält. Die Idee dieses Wettbewerbs war, nach den vielen Jahren, in denen rassistische Gewalt in Brandenburg nicht entscheidend nachgelassen hat, die Ursachen zu ergründen. Ein Projekt der Brandenburger Jugendinitiative „Aktion Noteingang”. Die Macher des kleinen schwarz-gelben Aufklebers, auf der eine flüchtende Gestalt zu sehen ist, wurden mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Heute fürchtet die Aktion um ihre weitere Finanzierung.
Aktion Analyse beendet
FRANKFURT/ODER Rund 200 AktivistInnen und Gäste waren am Montag bei der Abschlußveranstaltung der Aktion Analyse im Rathaus Frankfurt/Oder zugegen. Die Ergebnisse der Arbeit eines dreiviertel Jahres aus den elf lokalen Initiativen wurden präsentiert und prämiert. Die Laudatio teilten sich Anetta Kahane (Amadeu-Antonio-Stiftung), Karl Diefenbach (Aachener Friedenspreis) und Germ (Brothers Keepers). In Redebeiträgen wurde kritisiert, dass sich seit dem Antifasommer 2000 nichts grundlegendes in den Brandenburger Gemeinden und Kommunen geändert hat. Zudem hätte die Landesregierung die Situation der Flüchtlinge durch Verschärfung diskriminierender Regelungen weiter verschlechtert. Partizipatorische, demokratische und antirassistisch engagierte Basisinitiaiven würde immer weniger finanzielle Untertützung zuteil kommen, an ideller Rückendeckung offizieller Stellen mangelte es sowieso seit eh und je. Insgesamt sei die Aktion Analyse — der Nachfolger der Aktion Noteingang — ein voller Erflog gewesen, lautete das Fazit der AktivistInnen.
Die beeindruckenden Arbeitsergebnisse der Aktion-Analyse-Gruppen sind unbedingt lesenswert. Im Netz sind sie unter
folgender Adresse zusammengefasst abrufbar:
Ein Videozusammenschnitt der Abschlussveranstaltung sowie die Filmbeiträge aus den einzelenen Städten — allesamt von hervorragender Qualität — sind beim Umbruch Bildarchiv anzuschauen:
Interviews und Mitschnitte der Beiträge kannst du dir als Audiodateien beim Antifa-Schulnetz Cottbus herunterladen und anhören:
media.asncottbus.org
aktion-analyse.org
Hier noch ein Artikel aus der linken Zeitschrift “Analyse und Kritik” mit Hintergründen und Konzepten der Aktion Analyse:
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Trotz Schwierigkeiten: Antirassistische Jugendarbeit ist möglich
(Analyse und Kritik) Die Vernetzung von politischen AktivistInnen in einem Flächenland wie
Brandenburg stellt eine permanente Herausforderung dar. Sie ist umso
größer, wenn Vernetzung nicht nur Selbstzweck ist, sondern eine
praktische Zusammenarbeit in überregionalen Kampagnen und Initiativen
zum Ziel hat. Eine solche Vernetzung realisiert das Demokratische Jugend
Forum Brandenburg (DJB e.V.) seit etlichen Jahren mit unterschiedlichsten
Aktions- und Organisationsformen.
Nachdem die AktivistInnen 1998/ 99 eine massives Ablehnung ihres
Engagements im Rahmen der “Aktion Noteingang” durch die Kommunen erfahren
hatten, setzte mit dem “Sommer der Betroffenheit” im Jahr 2000 eine
Trendwende ein. Es ließ sich feststellen, dass inzwischen alle
vernommen hatten, dass Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt.
Allerdings wollte niemand es gewesen sein und die politisch
Verantwortlichen lagerten die Verantwortung aus: Alle sollen mehr
Zivilcourage zeigen. Aus dieser Situation heraus bildeten sich allerorts
Bürgerbündnisse “gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit”, das
Land Brandenburg schuf sein Handlungsprogramm “Tolerantes Brandenburg” und
der Bund das Millionen-Förderprogramm “civitas” für Strukturförderung
gegen Rechts.
Schnell wurde klar, was all diese Institutionen gemein hatten: Wirklich
ernst gemeintes antifaschistisch-antirassistisches Engagement, welches die
wahren Ursachen der angeprangerten Zustände benennt, ist
unerwünscht. Dies wird besonders in der finanziellen Förderpraxis
deutlich. So wurde uns vom Landesjugendamt Brandenburg mitgeteilt, dass es
eine Prioritätenverschiebung in der Förderung gebe und eine Förderung
von Strukturen wie der unseren nach zehnjähriger Förderung keine
Priorität mehr habe. Zudem würden etablierte Träger schon
lange gegen Rechts arbeiten. Nun — wir machen dies nahezu seit der Wende
und ein weiterer Träger, der dies in Brandenburg mit eben solchem
Engagement seit nunmehr elf Jahren und mit gleicher Kompetenz tut, ist uns
nicht bekannt.
In diesem Kontext ist auch die Trendwende in der “civitas”-Förderung zu
sehen. Eine Rückkehr zur “Normalität” erfolgt; denn scheinbar
ist das Problem Rechtsextremismus erfolgreich bewältigt: “Die Zahl
der übergriffe sinkt beständig”; wer das nicht so sehen will,
braucht nicht mehr auf finanzielle Unterstützung zu warten, denn die
Hand, die einen füttere, so wurden wir belehrt, die beiße man
schließlich nicht. Gerade das Anprangern staatlicher Asylpraxis ist
den Verantwortlichen ein Dorn im Auge. Und so werden immer mehr
Anträge abgelehnt, die selbstorganisiertes Handeln Jugendlicher in
Initiativen und Vereinen gegen Rassismus und Rechtsradikalismus fördern
wollen.
Die Motivation der Akteure des “Sommers der Betroffenheit” war eben sehr
unterschiedlich. Manche Einzelpersonen waren ernsthaft daran interessiert,
die Lebensbedingungen von Nicht-Deutschen zu verbessern. Antirassistische
Gruppen wollten die Debatte nutzen, um die rassistische Alltagskultur zu
kritisieren. Die Innen- und SicherheitspolitikerInnen von SPD und CDU
begriffen den Kampf “gegen (Rechts-) Extremismus und Gewalt” jedoch vor
allem als autoritäre Aufrüstung des Staates und somit als Abbau
von Grund- und Bürgerrechten und einer damit einhergehenden weiteren
Diskriminierung von Flüchtlingen.
Aktion Analyse: Research n action
Demzufolge stellte sich uns die Frage: Was haben drei Jahre “Aktion
Noteingang” und ein Sommer voller Betroffenheit verändert? Nach
unserer Meinung hat im Wesentlichen lediglich eine Transformierung des
Blut-und-Boden-Rassismus in einen Rassismus nach Kriterien der
ökonomischen Verwertbarkeit stattgefunden. Doch gerade dies und die
Ergebnisse der “Aktion Noteingang” sind der Grund dafür, neue,
weiterführende Konzepte zu ersinnen. So wurde die Idee der “Aktion
Analyse” geboren.
Wie hat die gesellschaftliche Sensibilisierung in den Kommunen gewirkt?
Was ist aus der Kritik an den diskriminierenden Lebensbedingungen für
Flüchtlinge im Land geworden? Wie ist die Situation für
alternative Jugendliche heute? Was ist also angekommen, vom “Aufstand der
Anständigen” in den Gemeinden und Städten Brandenburgs? Zu
diesen und anderen Fragen haben Jugendgruppen und ‑initiativen aus
zwöf Städten und Gemeinden Brandenburgs im Rahmen der “Aktion
Analyse” recherchiert, analysiert und dokumentiert.
Ziel der Aktion war aber nicht nur eine statistische überprüfung
des Ist-Zustandes, sondern auch das Suchen nach lebendigen und
nachhaltigen Aktionsformen im Kampf gegen Rechtsradikalismus und
Rassismus. Die jeweiligen Herangehensweisen an die Thematik waren sehr
unterschiedlich, einerseits bedingt durch den hohen Grad von gewollter
Selbstorganisierung der Projekte und andererseits durch die Entstehung
neuer antirassistischer Jugendgruppen.
Die antirassistische Kampagne “Aktion Analyse” findet am 1. Juli 2002 mit
der Präsentation der Ergebnisse ihren Abschluss. Erstellt wurden
einerseits umfangreiche Analysen, wie beispielsweise “Rechtsradikalismus
in Eisenhüttenstadt” oder zum Thema Umgang von Schülern mit
Rassismus. Aktionsideen reichen vom Durchführen von
Schulveranstaltungen wie Projektwochen über Demonstrationen bis zum
Konzipieren und Anfertigen eines Brettspiels, das den Prozess des
Asylverfahrens nachzeichnet. Die Dokumentationsformen sind ebenso
vielfältig: Broschüren, Homepages, Kurzfilme und eine
Ausstellung wurden in den letzten acht Monaten angefertigt.
Der Abschluss der Kampagne bedeutet jedoch kein Ende der
Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus u
nd Rassismus in Brandenburg,
sondern die Ergebnisse sind die Grundlage für weiteres Handeln und
Reflektieren im lokalen wie auch überregionalen Raum. Der Erfolg
unserer Kampagne ist und bleibt gekoppelt an die selbst bestimmte Form der
politischen Organisierung von Jugendgruppen und deren kritischer
Auseinandersetzung mit staatlicher Politik und gesellschaftlicher
Wirklichkeit.
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für linke Debatte und Praxis
Die Zeitung ak erscheint monatlich und kostet pro Exemplar 4,20 EUR,
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20255 Hamburg
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(fax) 040‑4017 0175
Der kurze Sommer der Antifa
Die Förderung antirassistischen Engagements ist in Brandenburg weiterhin dringend notwendig,
wie beim Abschluss der Kampagne “Aktion Analyse” am Montag in Frankfurt (Oder) deutlich wurde
FRANKFURT/ODER (Christoph Schulze) Lange ist er her, der viel beschworene Aufstand der Anständigen gegen Neonazis und Rassismus, damals im Sommer des Jahres 2000. Allerorts gab es Bekenntnisse gegen rechts, zivilgesellschaftliches Engagement wurde plötzlich geschätzt, staatlicherseits eine Vielzahl von Programmen und Fördertöpfen ausgelobt. Und heute?
Wie viel vom Antifasommer vor zwei Jahren in Brandenburg, einem der Bundesländer mit den meisten rassistischen Übergriffen, angekommen ist, wurde am Montag in Frankfurt (Oder) hinterfragt. Ein dreiviertel Jahr lang hatten zuvor in elf Brandenburger Städten selbst organisierte Jugendgruppen recherchiert, was in ihrer Heimat los ist. Die Präsentation der Ergebnisse im Rathaus Frankfurt (Oder) bildete den Abschluss der “Aktion Analyse”, einer vom Demokratischen Jugendforum organisierten Nachfolgekampagne zur “Aktion Noteingang”.
“Das Fazit ist so einfach wie bedrückend: Rassismus und Rechtsextremismus sind unverändert präsent, ebenso wie demokratische, das heißt selbst und mitbestimmte Räume in vielen Brandenburger Kommunen nach wie vor fehlen”, bilanzierte “Aktion Analyse”-Vertreter Knut Steinkopf in der Eröffnungsrede. Es ließen sich zwar regionale Verschiebungen der Schwerpunkte rechter Umtriebe feststellen, auch punktuelle Verbesserungen seien in einigen Kommunen spürbar, Entwarnung könne aber nicht gegeben werden.
Jüngstes Opfer rassistischer Gewalt ist der Russlanddeutsche Kajrat B., der im Mai in Wittstock zusammengeschlagen wurde und wenige Wochen später seinen Verletzungen erlag (taz berichtete). Dennoch würden alternative Jugendgruppen vielerorts immer noch eher als Problem denn als Gesprächspartner begriffen, bedauerte Steinkopf. Von Seiten der Landesregierung habe es im Flüchtlingsbereich, unter anderem unter dem Eindruck des 11. Septembers, sogar Verschärfungen gegeben. Die Fördergelder für antirassistisches Engagement würden zudem allmählich versiegen. “Wer demokratische und partizipatorische Strukturen will, wer eine selbst bestimmte Jugendbewegung will”, so Steinkopf, “der sollte statt Steuern zu zahlen in unsere Netzwerke spenden.” Dann gab er sich kämpferisch: “Uns könnt ihr nicht wegkürzen.”
Als die “Aktion Analyse”-Gruppen aus den einzelnen Städten sich und ihre Arbeit vorstellten, wurde das zwielichtige Bild vom selbst ernannten “Toleranten Brandenburg” bestätigt. Stephan Neidert vom “Piraten e. V.” schilderte beispielsweise das “national-konservative Klima” in seiner Stadt Spremberg und wie rassistische Übergriffe von den Stadtoberen gern als “Auseinandersetzungen zwischen Jugendbanden” bezeichnet würden.
Dass Brandenburger Schüler vielfach völlig falsche Vorstellungen zum Thema Migration haben, wies die Neuruppiner “Aktion Analyse”-Gruppe nach. Die Auswertung einer repräsentativen Umfrage an Neuruppiner Schulen brachte Erstaunliches zutage. Im Schnitt schätzten die Schüler den Anteil von Ausländern an der Gesamtbevölkerung Brandenburgs auf 20 Prozent. Der korrekte Wert liegt bei 1,9 Prozent. Die monatlichen Bargeldbezüge von Asylbewerbern wurden auf 235 Euro geschätzt, ebenfalls weit vorbei an den tatsächlichen 40 Euro.
In einer weiteren Frage wurden die Schüler aufgefordert, Menschengruppen (zum Beispiel: Juden, Türken, Deutsche) Eigenschaften (fleißig, pünktlich, ehrlich) zuzuweisen. Achtzig Prozent der Befragten füllten die Tabelle ohne Bedenken aus. “Wir finden, dass dadurch eine allgemeine Offenheit gegenüber rassistischen Denkmustern deutlich wird”, kommentierte die Sprecherin der Neuruppiner Aktionsgruppe, Mirjam Hirsch.
Jugendliche aus Vetschau dokumentierten die Übergriffe von rechts in ihrem Städtchen in einem Videofilm. Der einzige Treffpunkt für Alternative, der Proberaum der Punkband Warndreieck, wurde am Montag von der Stadt geschlossen. Die Beiträge aus den Städten wurden von einem Laudatorenteam gewürdigt und mit Sachpreisen wie Buchpaketen oder Seminargutscheinen belohnt.
Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, zeigte sich begeistert: “Jeder Bürgermeister, der nicht froh ist, Leute wie euch zu haben, der ist einfach bescheuert.” Eine funktionierende Demokratie könne man am besten an der Behandlung von Minderheiten messen, sagte die Laudatorin: “Und genau das fordert ihr in eurer Arbeit ein, darum sind eure Beiträge so wertvoll.”
Eigenberichte von der Auswertungsveranstaltung hier.
www.media.asncottbus.org gestartet
hallo
www.asncottbus.org strotzt ja nur so vor informationen, terminen und archivkram. ähem — zumindest ist sie eher auf “information” angelegt.
da die universen im allgemeinen und wir im speziellen aber noch andere dinge zu bieten haben, wollen wir euch unsere “bunteren” sachen nicht vorenthalten und haben deshalb diese seite hier ausgelagert um — frei von irgendwelchen news und terminen — euch mit schnick-schnack, schmarrn und sonstigem zu versorgen.
ihr findet auf www.media.asncottbus.org
— layoutvorlagen
— texte
— fotos
— pc tools
— mp3 files
— ???
medien special:
das erste special gibts zur pressekonferenz der aktion analyse. es gibt redebeiträge und interviews als audio-stream und zum download.
das zweite special bietet euch die möglichkeit plakate gegen den iwg aufmarsch in cottbus runterzuladen und auszudrucken.
mitmachen:
schickt uns eure fotos, bilder, texte, gedichte und anregungen.
besucht einfach mal www.media.asncottbus.org
Die Arbeitsgruppe Flucht und Migration hat in Zusammenarbeit mit dem
Team Medienwerkstatt/Infoladen Wildost und dem Verein für ein
multikulturelles Europa eine Dokumentation zur dezentralen
Unterbringung von Flüchtlingen herausgegeben. Sie beschreibt am
Beispiel Cottbus die Möglichkeit, andere Wohnbedingungen für
Flüchtlinge als die übliche Heimunterbringung zu verwirklichen. Die
Dokumentation richtet sich vor allem an alle Interessierten, die in
ihren Städten und Kreisen ähnliche Projekte umsetzen wollen.
Die Dokumentation enthält eine Chronologie des Diskussionsprozesses in
Cottbus, wichtige Dokumente (Rechtsgutachten, SVV-Beschlüsse) und
einen Pressespiegel. Sie ist im Netz auf
www.zelle79.info/projekte/dezentral zu finden. Sie ist dort auch als
Druckfassung im PDF-Format downloadbar.
Aus dem Vorwort:
“Im Land Brandenburg ist es die Regel, dass Flüchtlinge, die in
Deutschland um Asyl ersucht haben, in Sammelunterkünften untergebracht
sind. Einige dieser Heime stehen irgendwo im Wald, andere befinden
sich wenn schon in der Stadt, dann doch in ungünstigen Randlagen,
Industriegebieten oder ähnlichem. Oft sind es ehemalige Kasernen,
Baracken oder Container-Siedlungen. 6 m² Wohnraum werden pro Person
zugestanden. Die gemeinschaftliche Nutzung von Küchen und sanitären
Einrichtungen ist üblich. Hinzu können Kontrollen durch Wachdienste
oder das Heimpersonal kommen.
Im Zusammenwirken mit der Bewegungseinschränkung durch die im
Asylverfahrensgesetz festgelegte “Residenzpflicht” und mit immer
wieder erfahrenen rassistischen Beleidigungen und Angriffen im
öffentlichen Raum erleben viele Flüchtlinge diese Lebensbedingungen
als eine Art “offenes Gefängnis”. — Es ist eine ganz alltägliche,
staatlich sanktionierte Ausgrenzung.
Diese offensichtliche Sonderbehandlung von Flüchtlingen, ihre
Entrechtung und soziale Erniedrigung wiederum bestätigen und stärken
rassistische Ressentiments der deutschen Bevölkerung. Real
existierender Rassismus.
In Cottbus gab es in den Jahren 2000 und 2001 Diskussionen zu einem
Konzept, das dieses System aufbricht. Einige Engagierte aus
verschiedenen Bereichen setzten sich für die Idee ein, dass es ganz
normal sein soll, dass Menschen in Wohnungen leben. Das Ergebnis ist,
dass es heute für den überwiegenden Teil der Flüchtlinge in Cottbus
Normalität geworden ist.
Die Dokumentation versucht, diesen Prozess zu verdeutlichen, und will
zum Nachmachen anregen. Sie zeigt auf, dass die Idee einer dezentralen
Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen umsetzbar ist und Erfolg
haben kann.
Eine Fortführung dieses Konzeptes in Cottbus wie in anderen Städten
und Landkreisen, also die konkrete Auseinandersetzung um bessere
Lebensbedingungen für Flüchtlinge ist sicher aus Gründen der Humanität
geboten. Diese praktische Kritik an einem institutionellen Rassismus
ist daneben genauso ein Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft,
geht es doch dabei um die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am
öffentlichen Leben sowie um die Erringung und Stärkung individueller
Rechte und Freiheiten.”
Hoyerswerda. Auch die Diensthundestaffel der Polizei wurde am Sonntag zum Lausitzer Platz von Hoyerswerda gerufen. Insgesamt waren nach gestrigen Angaben von Polizei-Pressesprecherin Petra Kirsch 24 Beamte im Einsatz, um gegen die Ausschreitungen vorzugehen: Vorgestern Nachmittag randalierten rund 30 angetrunkene Personen nach dem Ende des Fußball-WM-Endspiels im Zentrum der Neustadt. Dabei wurde eine Schaufensterscheibe eingeschlagen. Einige der 17 bis 30 Jahre alten Leute warfen mit Steinen gegen die Polizei. 14 Personen wurden vorläufig festgenommen, so die Polizei. Ein Beamter erlitt eine Verletzung am Bein. Nun werden weitere Zeugen gesucht: 46760.