Am Mittwoch, den 14. August 2002, findet ab 13.00 Uhr vor dem Amtsgericht Rathenow (Bahnhofstr. 19, Raum 2.13) ein Prozess gegen drei rechtsradikale Männer statt. Die drei 18, 20 und 40 Jahre alten Männer hatten am 30.10.2001 zwei Sudanesen auf dem Märkischen Platz in Rathenow angegriffen. Der 30-jährige Oussama K. kam am frühen Abend
mit seinem Landsmann Walid A. vom Einkaufen, als sie unvermittelt mit “Nigger, was machst du hier?” beschimpft wurden. Dann wurde Walid A. von einem der Skinheads geschlagen und getreten, während die beiden anderen
Oussama K. von vorne und hinten schlugen. Auch noch, als er auf den Boden fiel, wurde weiter auf ihn eingetreten. Oussama K. erlitt Prellungen am ganzen Körper. Auch wenn die körperlichen Verletzungen nicht besonders schwer waren, so hinterließ der rassistische Angriff dennoch tiefe seelische Spuren. Nur etwa zwei Monate hatte er in Rathenow gelebt, als er zum ersten Mal mit einer rassistischen Aggression mitten im Stadtzentrum am helllichten Tag konfrontiert wurde. Oussama K. musste sich seither in psychotherapeutische Behandlung begeben.
Wünschenswert wäre, wenn die Gerichtsverhandlung zur Aufklärung der Hintergründe dieser rassistischen Aggression beitrüge. Ungefähr einmal pro Woche geschieht in Brandenburg etwas dergleichen, eine Entspannung der Lage
zeichnet sich nicht ab.
Monat: August 2002
POTSDAM — Das brandenburgische Innenministerium hat gestern Vorwürfe zurückgewiesen, durch einen aus dem Ruder gelaufenen V‑Mann des Verfassungschutzes politisch unter Druck zu stehen. Wie der Vize-Sprecher des Ministeriums, Wolfgang Brandt, sagte, gebe es keine Anhaltspunkte, dass der in Berlin inhaftierte V‑Mann Toni S. bei der Produktion rechtsextremistischer CDs mitgewirkt habe, auf denen zum Mord an bekannten Persönlichkeiten aufgerufen werde.
Der Verfassungsschutz habe auch niemals Gelder zur Herstellung von so genannter Hass-Musik zur Verfügung gestellt. Nach MAZ-Recherchen hat der 27-jährige Spitzel, der Anfang 2000 vom Verfassungsschutz zur Ausforschung der €paweit tätigen rechtsradikalen Musikszene angeworben worden war, Ende 2000 bei der Herstellung der CD „Noten des Hasses“ aktiv mitgewirkt. Laut Brandt sei dem V‑Mann lediglich der begrenzte Handel mit den CDs zur Aufrechterhaltung seiner Tarnung erlaubt worden.
Toni S., der am 20. Juli von der Berliner Polizei verhaftet worden war, soll in Verhören erklärt haben, dass die Tonträger auch mit Geld des Brandenburger Verfassungsschutzes produziert wurden.
Dem Vernehmen nach hat sich Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) – derzeit noch im Urlaub – gestern von Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin ausführlich über die Aktivitäten des V‑Manns informieren lassen. Für den Minister ist die Affäre brisant. Nicht nur die oppositionelle PDS, sondern auch der eigene Koalitionspartner SPD haben das offensichtlich freihändige Agieren des Spitzels kritisiert. Während die PDS bereits Konsequenzen fordert, verlangt die SPD Aufklärung darüber, ob der V‑Mann Straftaten begangen hat. Die Parlamentarische Kontrollkommission, die den Geheimdienst kontrolliert, will sich kommende Woche mit dem Fall beschäftigen.
Für das Schönbohm-Ministerium ist der Fall auch deshalb pikant, weil er Ärger mit den Nachbarn in Berlin verursacht hat. Ohne Abstimmung mit Potsdam hatten die Berliner Toni S. auffliegen lassen. Dafür waren die Hauptstädter von der märkischen Koalition schwer geprügelt worden. Nun scheint es, als wende sich der V‑Mann mit seinen Aussagen gegen die einstigen Auftraggeber. „Der kann doch jeden Tag ein anderes Märchen erzählen, und wir müssen zusehen“, heißt es in Potsdam.
Rückendeckung erhalten die märkischen Verfassungsschützer bei ihrem umstrittenen V‑Mann-Einsatz von Fachleuten. So erklärte Hans-Peter Bull, emeritierter Verwaltungsrechtler an der Universität Hamburg und Ex-Innenminister von Schleswig-Holstein, gestern gegenüber MAZ: „Es ist immer so in dieser Szene, dass Informanten nicht einfach gehorchen.“ Ähnlich argumentiert der Staatsrechtsprofessor Wolfgang Löwer von der Universität Bonn, der den Bundestag als Prozessbevollmächtigter im NPD-Verbotsverfahren vertritt: „Im Grundsatz gilt aber, dass der V‑Mann nach Begehen einer Straftat sofort abgeschaltet werden muss.“ Bei Toni S., der eine CD mit Mordaufrufen mitproduziert und vertrieben haben soll, sei das vermutlich der Fall. Aber auch hier müsse abgewogen werden. Die Bewertung hänge davon ab, wie nahe der Verfassungsschutz der Aufklärung des gesamten CD-Vertriebsnetzes gewesen sei. „Da die CD mit den Mordaufrufen ohnehin schon produziert war, überwog möglicherweise der Vorteil, der Täter insgesamt habhaft werden zu können“, so Löwer.
Beide Juristen halten die Zusammenarbeit mit V‑Leuten für nötig. So gibt es für Bull keinen Ausweg aus dem Dilemma, dass der Staat sich mit Leuten einlassen muss, „die nicht gerade zum Notar taugen“. Löwer sieht zwar die Gefahr, dass die Informanten aus dem Ruder laufen können, hält aber den Spitzel-Einsatz mit all seinen Risiken für unverzichtbar: „Es gab noch nie ein Vereinsverbot, bei dem wesentliche Erkenntnisse nicht von V‑Leuten kamen.“
Andreas Müller ist unabhängiger PDS-Kandidat, der im Wahlkreis Märkisch-Oderland/Barnim II ein Direktmandat erringen will. Einen Namen hat sich der 41-jährige Emsländer aber als Jugendrichter in Bernau gemacht. Harte Urteile gegen Neonazis und öffentliches Eintreten gegen Rechtsextremismus haben ihn bundesweit bekannt gemacht. Über den V‑Mann-Skandal sprach mit ihm Igor Göldner.
Herr Müller, ein neuer Skandal um einen mit Steuergeldern bezahlten V‑Mann des Verfassungsschutzes, der als Neonazi in der Musikszene in Straftaten verwickelt war, sorgt für Aufregung. Wie beurteilen Sie diesen Fall?
Müller: Wir hatten Mitte 2000 in Brandenburg den Fall “Piato”. Der wegen Mordversuchs an einem Asylbewerber verurteilter Neonazi Carsten S. hat jahrelang dem Verfassungsschutz als V‑Mann gedient. Er hatte Gelegenheit, Jugendliche mit seinen menschenverachtenden Gedanken zu beeinflussen. Für Brandenburg war das kontraproduktiv. Im neuesten Fall kommt heraus, dass der möglicherweise bereits vorbestrafte V‑Mann Toni S. zwei Jahre lang Chef eines Szeneladens in Guben war, wo 13‑, 14- und 15-Jährige ihre Bomberjacken und rechtsradikalen CDs kauften. Der Verfassungsschutz hat aus der Affäre “Piato” nichts gelernt. Die machen genau das Gleiche weiter.
Aber muss der Verfassungsschutz nicht auch solche Risiken in Kauf nehmen, um an die Hintermänner in der rechtsextremen Szene heranzukommen?
Müller: Nach meinem Dafürhalten nicht. Im günstigsten Fall ist der Verfassungsschutz nach einer solchen Aktion vielleicht an zwei Hintermänner der Szene herangekommen. Aber zeitgleich ist über Jahre rechtsextremes Gedankengut in viele Köpfe gebracht worden. Der Nutzen, V‑Leute einzuschleusen, steht in keinem Verhältnis zum Erfolg.
Als Jugendrichter haben Sie sich mit harten Urteilen vor allem gegen junge Neonazis einen Namen erworben. Macht sich der Staat mit V‑Mann-Pannen dieses Kalibers nicht lächerlich?
Müller: Ja. Ich fühle mich als Richter, der jahrelang gegen rechtsextreme Tendenzen kämpft, an der Nase herumgeführt. Ich weiß nicht mehr, was man noch machen soll: Einerseits haben wir das Tolerante Brandenburg, das gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit vorgeht. Anderseits hat man den Eindruck, dass der Rechtsextremismus in Brandenburg mit dem Einsatz von V‑Leuten erst richtig aufgebaut wird. Jeder Richter muss sich inzwischen fragen, welcher Zeuge oder Angeklagte ist als V‑Mann tätig. Dadurch gerät die Justiz in die Bredouille. Das empört mich.
Muss die Arbeit mit V‑Leuten nach der Enttarnung und Verhaftung von Toni S. generell neu beurteilt werden?
Müller: Die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags muss alle V‑Leute nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung überprüfen. V‑Leute, die Straftaten begangen haben oder kurz davor stehen, müssen von den Behörden sofort abgeschaltet werden.
Unter welchen Umständen halten Sie den Einsatz von V‑Leuten für gerechtfertigt?
Müller: Dass V‑Leute notwendig sind, will ich nicht verneinen. Es muss aber klargestellt werden, dass über bezahlte V‑Leute nicht ein einziger Jugendlicher mit rechtsextremen Vorstellungen infiltriert werden darf.
Wer trägt die Verantwortung für die V‑Mann-Skandale?
Müller: Schlampereien in einem so hochsensiblen Bereich darf es nicht geben. Wenn der V‑Mann mit dem Segen von Verfassungsschutz und Innenministerium in seinem Laden rechtsradikale Gesinnung verbreiten konnte oder zum Mord an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufrufen sollte oder aufgerufen hat, sind für mich Konsequenzen nötig. Dann muss zumindest der dafür zuständige Leiter der Verfassungsschutzabteilung, Herr Wegesin, zurücktreten. Er hat dann aus dem Fehler mit “Piato” Carsten S. nichts gelernt. Ob gegebenenfalls auch der Innenminister persönliche Konsequenzen ziehen muss, dürfte davon abhängig sein, inwieweit er von den Vorgängen Kenntnis hatte.
Was V‑Mann bedeutet, ist eigentlich eindeutig: Vertrauens-Mann. Die Geschichte von Toni S., dem Neonazi aus Cottbus mit einem Geschäft für rechtsextremes Zubehör in Guben, lässt an diesem Wortsinn jedoch zweifeln. In seinem Fall, möchte man meinen, steht “V” wohl eher für Verzweiflung.
Erst hat er Politiker in Berlin und Brandenburg zur Verzweiflung getrieben und nun den märkischen Verfassungsschutz. Mehr als zwei Jahre lang hat V‑Mann Toni in Südbrandenburg für die Geheimen gespitzelt. Er sei, heißt es lobend über den 27-Jährigen, eine äußerst ergiebige Quelle gewesen. Kein Wunder: Im Hinterzimmer seines Ladens “Top One”, trafen sich führende Mitglieder von NPD und Skinheads. Sogar Bundesprominenz der rechtsextremen Partei soll bei Toni verkehrt haben. Zur Freude seiner Auftraggeber saß der gelernte Fensterbauer wie die Spinne im Beziehungsnetz der Neonazis. Das Problem war nur, dass der Toni einer war, der “für Geld tickt”, offenbar nur für Geld. Deshalb missbrauchte er das Vertrauen der Geheimen und zerschredderte nicht Hunderte verbotener CDs, wie die Verfassungsschützer ihm aufgetragen hatten. Nach seiner Enttarnung lebt Toni nun gefährlich. Da seine rechtsextremen Geschäftspartner äußerst brutal und skrupellos sind, muss Toni S. mit Hilfe der Behörden nun verschwinden. “V” wie verschwinden.
Panne um V‑Mann verärgert Schönbohm
Die Ermittlungsbehörden in Brandenburg waren einer Neo-Nazi-Musikgruppe dicht auf den Fersen. Doch dann nahm die Berliner Polizei ein Gruppenmitglied fest, der zugleich V‑Mann war.
BERLIN Das Potsdamer Innenministerium bestätigte die Festnahme eines eigenen V‑Mannes durch die Berliner Polizei. Ein Sprecher von Innenminister Jörg Schönbohm dementierte am Samstag jedoch einen Vorabbericht des Münchner Magzins “Focus”, wonach der Mann “Chef einer gefährlichen Neonazi-Band” gewesen sein soll. Der Festgenommene soll dem Bericht zufolge Kopf und einziges festes Mitglied der rechtsradikalen Musikgruppe “White Aryan Rebels” sein, die im vergangenen Jahr mit einer CD unter anderem zum Mord an Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland und der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) aufgerufen hatte.
Nach Ansicht der Brandenburger Behörde beruhe der Bericht von “Focus” auf einer “schwerwiegenden Indiskretion” aus einem laufenden Verfahren. Dadurch sei “ein Ermittlungserfolg massiv gefährdet” worden.
Die Behörden hätten die “eigentlichen Hintermänner und Großverdiener rechtsextremistischer Tonträgerstrukturen” im Visier gehabt, heißt in der Erklärung aus dem Hause Schönbohm.
Die Festnahme der “Informationsquelle” durch die Berliner Behörden sei mit dem brandenburgischen Verfassungsschutz nicht abgestimmt worden. Dies sei “umso bedauerlicher, da der brandenburgische Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit Verfassungsschutzbehörden des Bundes und anderer Länder die internationalen Verflechtungen der kommerziellen Produktions- und Vertriebsstrukturen rechtsextremistischer Tonträger” aufgeklärt habe.
BERLIN/POTSDAM Nach der Verhaftung eines V‑Mannes in der Neonazi-Szene durch die Berliner Polizei zeigt sich Brandenburg nach wie vor empört.In Berlin ermitteln unterdessen Polizei und Staatsanwaltschaft wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen. Der V‑Mann Toni S. war am 20. Juli bei einer Razzia des Berliner Landeskriminalamtes festgenommen worden. Wenig später stellte sich heraus, dass er als Informant des brandenburgischen Verfassungsschutzes tätig war. Berlin hätte das bekannt sein müssen, hieß es in Potsdam.
Es bestehe der Verdacht, dass Informationen aus dem Kreis der Berliner Ermittlungsbehörden „möglicherweise gegen Geld weitergegeben wurden“, teilte die Berliner Innenverwaltung gestern mit. Hintergrund sind Medienberichte mit Details über die Affäre. Zuvor hatte das Potsdamer Innenministerium den Berliner Ermittlern „Indiskretionen in unerträglichen Dimensionen“ vorgeworfen. Die jüngsten Medienveröffentlichungen zeigten, dass Abhörprotokolle von Telefonüberwachungen sowie dort angestellte Verdächtigungen aus Berlin „gezielt und breit in die Öffentlichkeit lanciert“ worden seien. Berlins Innenstaatssekretär Lutz Diwell bezeichnete diese Mutmaßung als „nicht akzeptabel“. Notwendig sei eine „Rückkehr zur sachlichen Kooperation“ zwischen Brandenburg und Berlin.
Toni S. war in Straftaten verwickelt
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hatte am Wochenende einerseits zugegeben, dass Toni S. mit Wissen der Behörden in Straftaten verwickelt gewesen sei. Gleichzeitig warf er den Berliner Behörden vor, sie hätten durch die nicht abgestimmte Verhaftung des Mannes den Zugriff auf Hintermänner in der rechten Szene verhindert.
Schönbohm sagte in einem Zeitungsinterview, der Verfassungsschutz müsse jeweils abwägen, wie weit ein V‑Mann gehen könne: „Bei Toni S. haben Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in einem Fall zugestimmt, dass er sich am Vertrieb von CDs beteiligen konnte, um an Hintermänner heranzukommen.“ Als der Mann jedoch stärker als abgesprochen in das CD-Geschäft eingestiegen sei, habe man ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Inzwischen gebe es auch eine interne Untersuchung, ob bei der Führung des V‑Mannes Fehler begangen worden seien. „Vielleicht“, so Schönbohm, „hängt die Enttarnung auch damit zusammen, dass es in Berlin einen gewissen Konkurrenzkampf gibt zwischen LKA und Verfassungsschutz, in den wir hineingeraten sind.“
Schönbohm bemängelt, dass es an Absprachen zwischen Berlin und Brandenburg gefehlt habe. Das geht aus einem internen Papier des Ministers hervor, dass in seinem Führungskreis entstanden ist und Journalisten vorliegt.
Namen von V‑Männern im Internet
Schönbohm sieht auch Gefahren für Menschenleben. Denn mittlerweile kursierten Inhalte aus Ermittlungsakten in der rechten Szene, zitiert das Boulevard-Blatt „B.Z.“ aus dem Papier. Namen von Mitarbeitern und anderen V‑Männern seien bereits über rechtsextreme Internetseiten weltweit verbreitet worden. „Für einen Gewährsmann des brandenburgischen Verfassungsschutzes mussten wir bereits ein Schutzprogramm anlaufen lassen, weil für ihn und seine Familie konkrete Gefahr besteht“, sagte Schönbohm.
Er nannte es „unerträglich“, wenn Berliner Behörden und die politisch für sie Verantwortlichen, „die sich in der Angelegenheit als Gralshüter des Rechtsstaates aufführen“, die Weitergabe der Protokolle nicht verhindert haben. Schönbohm appellierte an Innensenator Ehrhart Körting und Justizsenatorin Karin Schubert (beide SPD), diese „Unzuträglichkeiten“ und „Indiskretionen“ abzustellen. Heute sollen zwischen beiden Ländern Gespräche auf Staatssekretärsebene aufgenommen werden.
Nach Informationen des „Spiegel“ hat der V‑Mann unterdessen eingestanden, bei der Herstellung eines CD-Beiheftes der rechtsextremen Band „Landser“ mitgewirkt zu haben. Sein V‑Mann-Führer solle als Beschuldigter von der Berliner Staatsanwaltschaft vernommen werden. Gegen ihn werde wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt.
Der „Spiegel“-Artikel ist nach Ansicht des brandenburgischen Innenministeriums auch einer der Belege dafür, dass Berlin Abhörprotokolle von Telefonüberwachungen „gezielt und breit“ in die Öffentlichkeit lanciert hätten. Laut Magazin „Focus“ will die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe den Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, Heiner Wegesin, in der Sache Toni S. als Zeugen vernehmen.
Bürgermeister hängt “Gästebuch” ab
SCHIMPFTIRADEN GEGEN WITTSTOCK IN GEMEINSCHAFTS-INTERNETSEITEN NICHT MEHR MÖGLICH
WITTSTOCK Die Stadt Wittstock sei ein “braunes Drecksnest” . Diese und schlimmere Titulierungen gingen seit Wochen auf den Gästebuchseiten des Städtenetzes Prignitz im Internet ein. Auch seitenlange Erzählungen mit politischem Touch, “Küsse von Mausi an Hasi” und vieles mehr fanden sich immer öfter auf der Wittstocker Internetseite. “Das können wir nicht länger dulden, zumal das ein gemeinschaftlicher Internetauftritt aller Städte im Prignitz-Städtenetz ist”, sagt Wittstocks Bürgermeister Lutz Scheidemann.
Die Art und Weise, in der die Stadt gezielt mit den Eintragungen im Gästebuch beschimpft und verunglimpft werden soll, treffe alle Prignitzstädte gleichermaßen. Anfangs hatte Scheidemann die missliebigen Mitteilungen täglich löschen lassen. Der Erfolg war jedoch bescheiden. Einige Autoren ließen nicht locker und schoben immer neue Kommentare, Bemerkungen und Zoten hinterher. “Das Gästebuch des Prignitz-Städtenetzes ist keine Spielwiese”, kommentiert Scheidemann.
Seit dem jüngsten Fernsehbeitrag in der Sendung “Kontraste”, in der es um die vermeintlich ausländerfeindliche und stark rechte Dossestadt ging, wurde das Gästebuch fast nur für geschmacklose Ausfälle gegen Wittstock missbraucht. Das Abschalten des elektronischen Gästebuches sei erforderlich gewesen, meint Scheidemann und gab den Auftrag dazu.
Die Internetseiten von Wittstock sind unter www.wittstock.de zu finden.
Presseerklärung zur Besetzung der DEA-Tankstelle in Cottbus am 09.08.02.
In den Abendstunden des 09.08.02 besetzten etwa 100 TeilnehmerInnen des CrossOver Summercamps die DEA-Tankstelle in Cottbus-Sandow. Sie wollten mit dieser symbolischen, spielerischen Aktion auf einen stadtbekannten Treffpunkt jugendlicher Neonazis aufmerksam machen. Weiterhin sollte diesen zumindest für eine Stunde der Raum genommen werden, sich wie sonst üblich zu treffen.
Am Samstag, den 03.08.02 war an selber Stelle der Kubaner Rafael A.F. bei einer rassistischen Attacke schwer verletzt worden. Mit der einstündigen Besetzung sollte deutlich gemacht werden, dass es immer möglich ist, mit friedlichen Mitteln gegen Treffpunkte Rechtsextremer vorzugehen, von denen Gewalt ausgeht.
Während der Aktion wurden auf dem Gelände der Tankstelle Musik gespielt, getanzt, Fußball und Badminton gespielt, jongliert und Flugblätter verteilt. Im Zuge der Aktion gesellten sich Anwohner zu den Besetzern, die Verständnis für das Anliegen der Demonstrierenden zeigten.
Die Polizei reagierte auf die ebenfalls anwesenden Neonazis mit Platzverweisen. Gegen Ende der Aktion hatten sich gegenüber der Tankstelle etwa 50–60 Rechtsextreme versammelt.
Nach etwa einer Stunde verliessen die TeilnehmerInnen der Aktion wie geplant die Tankstelle friedlich, um zum CrossOver Summercamp zurückzukehren.
In der Folge dokumentieren wir das bei der symbolischen Besetzung verteilte Flugblatt.
Solidarität mit den Opfern rassistischer Gewalt
Flugblatt zur Besetzungsaktion: Keinen Fussbreit den Faschisten an der DEA-Tankstelle und überall !
Auf der Tankstelle Muskauerstrasse in Cottbus wurde am vergangenen Samstag gegen 3 Uhr morgens der seit 10 Jahren hier ansässige Kubaner Rafael A.F. Opfer eines rassistisch motivierten Überfalls. Nachdem er brutalst zusammengeschlagen worden war, blieb er mehrere Stunden unbemerkt an der Tankstelle liegen, schleppte sich dann in einen Hauseingang, wo er später gefunden und mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Obwohl dieser Übergriff mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht unbemerkt von Dritten geschah, schritt niemand ein.
Für uns stellen sich nach dem rassistischen Übergriff viele Fragen:
‑Warum ist der Tankwart, der die Tat zumindest teilweise mitbekommen hatte und das Opfer kannte, nicht eingeschritten oder hat Hilfe geholt?
‑Warum wurde in den schlecht recherchierten Zeitungsartikeln vom 5. August der Eindruck erweckt, der Kubaner habe eine Mitschuld am Geschehen?
‑Warum kann sich an einer Tankstelle mitten in Cottbus-Sandow eine Skinhead-Szene breit machen, die Leib und Leben von Menschen gefährdet und darüber hinaus eine Bedrohung für die gesamte Umgebung darstellt?
Die DEA-Tankstelle fungiert nach Angaben einiger AnwohnerInnen schon seit mindestens 2 Jahren allabendlich als Treffpunkt für Neonazis. Laute Nazimusik, rassistische Sprueche und aggressive Skinheads gehören zur Tagesordnung.
Überall in Deutschland treffen sich rechte Schläger an solchen Orten. Hier versorgen sie sich mit Benzin für ihre Anschlaege und formieren sich zum rassistischen Mob. Durch ihre Präsenz schaffen sie “national befreite Zonen”, in denen sich “AusländerInnen” und andere, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen, um ihr Leben fürchten müssen. Durch die zentrale Lage sind Menschen, die aus der deutschen, heterosexistischen Norm fallen, gezwungen, weite Umwege in Kauf zu nehmen. AsylbewerberInnen haben in Deutschland wegen der Residenzpflicht nicht einmal das Recht, ihren Wohnort frei zu wählen, um sich so den Nazischlägern zu entziehen. Weil gefährdete Personen diese Orte meiden, finden die Übergriffe selten direkt an den Tankstellen statt.
Der Überfall von Cottbus-Sandow war nicht der einzige Übergriff in dieser Woche. Auch aus anderen Städten wurde über rassistische Gewalt berichtet, so z.B. aus Halle, wo ein Mann aufgrund seiner Hautfarbe zusammengeschlagen wurde. All dies vor dem Hintergrund, dass neueste Statistiken einen Rückgang rassistischer Gewalt behaupten.
Die Realität von Cottbus Sandow zeigt jedoch, dass sich an dem aggressiven, rassistischen und antisemitischen Klima in Deutschland nichts geändert hat.
Wir fordern deshalb:
Keine Akzeptanz von Naziorten: Antifaschistische Präsenz zeigen!
Gegen den rassistischen Normalzustand: Greift ein, schaut nicht weg!
Das Crossover Camp
Für weitere Informationen siehe www.summercamp.squat.netoder www.xover.asncottbus.org.
Aufruf zur Buendnisdemonstration zum Abschluss des Crossover Summer Camps am 10. August 2002 in Cottbus
12 Uhr, vor der Stadthalle, Berliner Platz, Stadtmitte
Das Schwerpunktthema dieser Demonstration ist der Zusammenhang von Arbeit, Geschlecht und Migration.
Im gesellschaftlichen Mainstream, aber auch in vielen linken Stroemungen, wird “Arbeit” als etwas Wesenhaftes, Universelles dargestellt, das angeblich in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten mehr oder weniger das Gleiche war bzw ist.
Tatsaechlich ist das, was meist “Arbeit” genannt wird — die formale Lohnarbeit -, eine historisch spezifische kapitalistische Form menschlicher Taetigkeit. Das wird vom vorherrschenden Diskurs verleugnet.
Indem die bezahlte, formale “Arbeit” in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt wird, wird aber auch die Existenz vieler anderer Formen von Taetigkeit und anderer Arten von Ausbeutung verdraengt. Formen von Taetigkeit — unbezahlte Hausarbeit beispielsweise — und Arten der Ausbeutung — z. B. die Ausbeutung weiblicher “Gefuehlsarbeit” — die fuer den Zusammenhalt und das Weiterbestehen der Gesellschaft ganz essentiell, aber gesellschaflich “unsichtbar” sind.
Die traditionell linke Aufteilung menschlicher Taetigkeiten in “Produktion” und “Reproduktion” wirkt an diesem “Unsichtbarmachen” mit, indem sie die sogenannte Reproduktion als unpolitisch, privat und geschichtslos erscheinen laesst.
Unter den Begriff der Reproduktion werden verschiedenste Taetigkeiten gefasst: vom Kinderkriegen (der “biologischen Reproduktion”) ueber Kindererziehung, die Pflege von Alten, “Behinderten” und Kranken, Kochen, Putzen und andere Hausarbeiten bis zum Troesten, Bestaetigen und Zuhoeren (“emotionale Reproduktion” ). All diese Taetigkeiten haben eine Geschichte — die nicht einfach in Abhaengigkeit von Veraenderung in der “Produktionsweise” verlaeuft — und sind Gegenstand von politischen Kaempfen.
“Arbeit” ist nicht — wie viele linke Stroemungen geglaubt haben und noch glauben — der emanzipatorische Gegenpol zum Kapital. Sondern eine spezifisch kapitalistische Form, menschliches Tun zwanghaft, ausbeuterisch und entfremdet zu organisieren.
Das klarzustellen ist im internationalen Kontext wichtig, und in Deutschland ist Kritik am Arbeitswahn noch einmal besonders wichtig.
Wir befinden uns in einem Land, in dem im Namen der Arbeit Millionen von Menschen vernichtet wurden. Natuerlich nicht nur im Namen der Arbeit, aber auch im Namen der Arbeit: der ehrlichen, sauberen, deutschen Arbeit. Dass “Arbeit macht frei” ueber dem Tor eines der wichtigsten Konzentrationslager der Nazis stand, ist kein Zufall.
“Die Juden” stehen im modernen Antisemitismus fuer eine machtvolle, unfassbare internationale Verschwoerung, sie repraesentieren fuer den Antisemiten die abstrakte Vernunft, das abstrakte Recht, das Geld- und Finanzkapital. In der Naziideologie waren die Juden als Parasiten und Schmarotzer am Volkskoerper der Gegenpol zur konkreten, das heisst guten, sauberen, deutschen… Arbeit.
Die gesellschaftlichen Verhaeltnisse haben sich gewandelt, aber es gibt bedeutende Kontinuitaeten zur NS-Vergangenheit. Zum Beispiel was den positiven Bezug auf “Arbeit” betrifft.
Wir leben zwar in einer post-faschistischen, aber eben auch in einer post-faschistischen Gesellschaft.
Kapitalistische gesellschaftliche Verhaeltnisse sind nicht geschlechtsneutral, sondern mit patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen unaufloesbar verbunden. Es kann keine Aufhebung der kapitalistischen Verhaeltnisse ohne die Aufhebung patriarchaler Verhaeltnisse geben — z.B. weil die Ausbeutung unbezahlter Erziehungs- und Hausarbeit von Frauen eine wichtige Grundlage kapitalistischer Verwertung darstellt; weil es patriarchale Strukturen sind, die Frauen nahelegt, aus Kindern im Erziehungsprozess marktfaehige Individuen zu machen (und so das kapitalistische System reproduzieren); weil patriarchale Strukturen dafuer sorgen, dass Frauen Maenner fortlaufend emotional reproduzieren, (und damit ihr Funktionieren im kapitalistischen Konkurrenzkampf absichern)…
Und umgekehrt, denn patriarchale Verhaeltnisse existieren zwar schon bedeutend laenger als kapitalistische, das moderne “westliche” Patriarchat ist aber ein durch und durch kapitalistisches. Das laesst sich an der Sexindustrie verdeutlichen, in der die patriarchale Verdinglichung weiblicher Koerper eine spezifisch kapitalistische Form annimmt. Oder an der neuen Maennlichkeit der im Entstehen begriffenen transnationalen Eliten, zu deren Kernbestand der Erfolg in der kapitalistischen Konkurrenz gehoert.
Damit soll nicht behauptet werden, patriarchale Strukturen seien immer funktional fuer den Kapitalismus, genausowenig, dass kapitalistische Verhaeltnisse immer patriarchale Strukturen stabilisieren wuerden. Widersprueche existieren sowohl innerhalb als auch zwischen verschiedenen Macht- und Herrschaftsverhaeltnissen.
Wir denken, es macht nicht so viel Sinn, sich “das Patriarchat” als getrenntes “System”, das neben dem anderen “System” Kapitalismus existiert und mit ihm interagiert vorzustellen. Schlauer waers, Gesellschaft eher als ein widerspruechliches Ensemble von gesellschaftlichen Verhaeltnissen zu denken, die zugleich patriarchal, rassistisch, kapitalistisch und noch einiges anderes sind.
In den letzten Jahren gab es in Prag, Seattle, Genua zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder eine nennenswerte Mobilisierung von Leuten im Zeichen radikaler, antikapitalistischer Forderungen. Das laesst hoffen, unterstreicht aber unserer Ansicht nach gerade die Notwendigkeit, innerhalb der “Globalisierung von unten” die Verkuerzungen der verschiedenen linken Ideologien, die hier kursieren, zu kritisieren und zur Entwicklung einer emanzipatorischen Theorie und Praxis innerhalb der neu entstehenden Bewegungsansaetze beizutragen, die den Komplexitaeten der globalen Macht- und Herrschaftsverhaeltnisse und unserer Verstricktheit in sie gerecht wird.
Ein Antikapitalismus ohne radikale Staatskritik, ohne Kritik an Fortschrittsglauben und “Entwicklung”, ohne Arbeitskritik ist schlimmer als nutzlos. Er oeffnet autoritaeren Entwicklungen und Buendnissen mit Faschisten — z.B. in Gestalt rot-brauner Buendnisse “gegen Globalisierung” oder “nationaler Antworten auf die soziale Frage” — Tuer und Tor.
Ebenso wichtig ist, festzuhalten, dass ein nicht-feministischer Antikapitalismus auf einer falschen Kapitalismusanalyse beruht und daher nicht in der Lage sein wird, die kapitalistischen Verhaeltnisse zu ueberwinden.
Und ein Antikapitalismus, der antirassistische Kaempfe zum Nebenwiderspruch deklariert, gehoert auch auf den Muellhaufen der Geschichte!
Erinnern wir uns: In der Sowjetunion fuehrte ein um Staatskritik, Arbeitskritik usw, — von Patriarchatskritik mal ganz zu schweigen -, verkuerzter Antikapitalismus in eine brutale Entwicklungsdiktatur, die an den rassistischen und patriarchalen Unterdrueckungsverhaeltnissen, an der Form der Arbeit, an der Form der Technik, an der Verdinglichung menschlicher Beziehungen, an oekonomischer und emotionaler Ausbeutung usw nichts Grundsaetzliches geaendert hat. Die sozialistische Idee wurde durch den Pseudosozialismus sowjetischer, chinesischer und anderer Praegung weltweit in Verruf gebracht, zum Schaden linker Politik ueberhaupt.
Der Wert kapitalistischer Arbeit wird durch patriarchale und rassistische gesellschaftliche Beziehungen bestimmt. Abgesehen davon, dass Frauen weltweit schlechter bezahlt werden als Maenner, ist “Arbeit”- im Sinne von gesellschaftlich notwendigen Taetigkeiten, — eben nicht nur bezahlte Lohnarbeit.
Wie gesagt, die unbezahlte Arbeit von Frauen ist essentiell aber wird unsichtbar gemacht. Oekonomische Ausbeutung geht Hand in Hand mit emotionaler Ausbeutung von Frauen in oeffentlichen und privaten Situationen. Die Ausbeutung “sexueller Arbeit” ist nicht nur geschlechtsspezifisch sondern auch heterosexistisch. Mit “sexueller Arbeit” meinen wir die Art und Weise, wie persoenliche Faehigkeiten und Emotion
en in den Arbeitsprozess eingebunden werden, z.B. bestimmte Weisen der Selbstdarstellung in Kleidung und Verhalten, wie eine Person Gespraeche fuehrt, aggressiv auftritt oder ruhig bleibt, usw. Sexuelle Arbeit in einem zwangsheterosexuell und zweigeschlechtlich organisierten kapitalistischen System bedeutet den Zwang, Geschlecht und Heterosexualitaet eindeutig darstellen zu muessen.
Wir wollen, dass Arten von Arbeit und Typen von Ausbeutung, die auch in der Linken verdeckt und an den Rand gedraengt wurden — von entgarantierten Arbeitsverhaeltnissen ueber unbezahlte Hausarbeit durch Frauen der Mehrheitsgesellschaft, schlecht bezahlte Hausarbeit durch (oft illegalisierte) Migrantinnen, verschiedene Formen von Sexarbeit, bis zur Gefuehlsarbeit in verschiedenen Arten von Beziehungen -, gesellschaftlich sichtbarer werden.
Aehnlich wie die Kategorie “Arbeiterklasse” in der Geschichte der sozialistischen (also der anarchistischen, raetekommunistischen, leninistischen, u.a.) Bewegungen, hat die Idee eines einheitlichen Kollektivsubjekts “Frau” in den feministischen Bewegungen dazu beigetragen, wichtige Interessensunterschiede und Dominanzverhaeltnisse zu verschleiern. Diese Idee wurde insbesondere von Schwarzen Feministinnen bzw Feministinnen aus dem “globalen Sueden” scharf kritisiert und wird heute von keiner (pro)feministischen Stroemung, die wir ernst nehmen koennen, noch aufrechterhalten.
p>Globale Buendnisse von Frauen koennen nur ueber wichtige Differenzen hinweg konstruierte Einheiten sein; dieser Konstruktionsprozess ist keine einfache Angelegeheit; und Geschlecht muss nicht immer und fuer alle Frauen (was immer “Frau” genau heissen mag) der primaere Ansatz fuer politische Organisierung sein.
Genauso wie ArbeiterInnenkaempfe gegen das Kapital und fuer die Rechte von ArbeiterInnen gefuehrt werden muessen, aber auch perspektivisch ueber partikulare Klasseninteressen hinausweisen sollten, wenden sich radikale feministische Kaempfe gegen die Unterdrueckung und Abwertung von Frauen, kritisieren aber darueberhinaus auch die bestehenden, gelebten Weiblichkeitsentwuerfe als patriarchale Konstruktionen. Und radikale antirassistische Kaempfe werden zwar zuerst einmal fuer die Rechte rassistisch unterdrueckter und ausgegrenzter Leute, perspektivisch aber gegen die Einteilung von Leuten in sogenannte “Rassen” ueberhaupt gefuehrt.
Natuerlich stellt sich hier die Frage, wie ein politischer Bezug auf solche Kollektivsubjekte (oft auch “Identitaeten” genannt) (“ArbeiterInnen”, “Frauen”, “Schwarze”) angesichts der Tatsache, dass Menschen ja immer in viele Macht- und Herrschaftsverhaeltnisse gleichzeitig eingebunden sind und ihre Identitaet multipel ist (noch dazu kann sie widerspruechlich sein, sich von Situation zu Situation aendern und in verschiedenen Kontexten unterschiedlich interpretiert werden…), sinnvollerweise aussehen kann.
Eine kurze Antwort auf diese Frage haben wir nicht. Sie theoretisch zu behandeln, und zu beginnen, sie praktisch zu beantworten ist ein Hauptanliegen unseres Projekts.
Ein zentraler Punkt fuer eine profeministisch-antikapitalistisch-antirassistische… und ueberhaupt crossover Politik, muesste, wie wir vorhin schon angedeutet haben, die Frage der Verteilung und Organisation der sogenannten Reproduktionsarbeit sein: Hausarbeit, sich um Kinder, alte Leute, kranke Leute kuemmern, Putzen usw. Darueberhinaus muss es natuerlich um die Abschaffung kapitalistischer / patriarchaler / rassistischer Ausbeutung und die Infragestellung der bestehenden Organisation gesellschaftlich notwendiger Taetigkeiten ueberhaupt gehen.
Die zweite Welle der Frauenbewegung in den Metropolenstaaten hat eine andere Verteilung der Reproduktionsarbeit gefordert. Dieser Angriff auf patriarchale Privilegien wurde im Grossen und Ganzen erfolgreich zurueckgeschlagen. Wie alle sozialen Bewegungen, die eine Niederlage erleiden, wurde auch die feministische Bewegung groesstenteils integriert und ihr Impetus in eine Modernisierung des Systems umgelenkt. Der soziale Aufstieg einer bestimmten Schicht meist weisser Frauen wird nun ermoeglicht indem sogenannte Reproduktionsarbeiten in die Verantwortung migrantischer, oft farbiger Frauen ausgelagert werden. Diese Modernisierung des patriarchalen Kapitalismus baut also schon bestehende Spaltungen zwischen Frauen um und vertieft sie zum Teil noch.
Ein damit zusammehaengender Aspekt der Modernisierung des globalen patriarchalen Kapitalismus ist die Entstehung eines neuen internationalen Migrationsregimes, die wir in den letzten 15 Jahren erleben. Die globalen Eliten versuchen, den freien Verkehr von Kapital und Waren durchzusetzen und gleichzeitig die Autonomie der Migration einzuschraenken. Es gibt erste Entwuerfe fuer ein General Agreement on the Movement of People (GAMP, analog dem GATT, dem General Agreement on Trade and Tariffs), die nichts Gutes verheissen, und Organisationen wie die IOM (International Organisation for Migration) und andere versuchen die internationalen Migrationsstroeme unter Kontrolle zu bekommen.
Im Rahmen des €paeischen Integrationsprozesses entsteht unterdessen eine neuartige, supranationale Herrschaftsordnung. Die €paeische Migrationspolitik schafft einen nach dem Modell konzentrischer Kreise organisierten “Migrationsraum”. Es entwickelt sich ein gestaffeltes Abschottungssystem, das zugleich ein selektives Einwanderungssystem ist. Fuer die Zukunft ist ein Migrationsmanagement in Form flexibler Einwanderungsquoten und ‑kriterien mit flankierenden Kontroll‑, Integrations- und Antidiskriminierungsmassnahmen zu erwarten.
Unter den relevanten politischen Akteuren in Deutschland besteht im Grunde Einigkeit ueber die Notwendigkeit, die Migration nach oekonomischen Nuetzlichkeitskriterien zu steuern. Der Streit um das Zuwanderungsgesetz ist in erster Linie eine Show und der Streit um das Thema Migration, der derzeit in den Medien inszeniert wird, dient hauptsaechlich dazu, durch Mobilisierung rassistischer Ressentiments Punkte bei den Wahlen im September zu gewinnen.
Das Zuwanderungsgesetz wird durch die Abschaffung des Duldungsstatus noch mehr Menschen in die Illegalitaet treiben, das ist scheinbar auch so gewollt.
Neben seinen katastrophalen Auswirkungen auf die Situation von Fluechtlingen ist das Zuwanderungsgesetz besonders negativ fuer migrantische Hausarbeiterinnen. Sie sollen offensichtlich weiter ohne Rechte und damit extrem flexibel zur Verfuegung stehen, ihre Arbeit soll weiter unsichtbar gemacht und als unqualifiziert abgestempelt werden.
Wir wenden uns gegen eine Arbeitsteilung, die MigrantInnen Arbeit nach sexistischen und rassistischen Kriterien zuteilt, und die Taetigkeit von Hausarbeiterinnen an der untersten Stufe gesellschaftlicher Anerkennung ansiedelt.
Besonders verlogen finden wir, dass in letzter Zeit in Europa zunehmend Aktionen gegen illegalisierte SexarbeiterInnen (Polizeirazzien mit darauffolgenden Abschiebungen) unter dem Vorwand “Menschenhandel zu bekaempfen” durchgefuehrt werden. Hier werden Teile eines feministischen Diskurses (ueber Frauenhandel) zur Rechtfertigung einer rassistischen Politik benutzt.
Der Begriff Frauenhandel darf nicht missbraucht werden, um Migrationskontrollstrategien und Repressionen gegen illegalisierte Sexarbeiterinnen zu rechtfertigen.
Die wichtigste Voraussetzung, Frauenhandel tatsaechlich zu bekaempfen, waere es, die Rechte von Frauen zu staerken und sie oekonomisch besser zu stellen.
Aus dem bisher gesagten sollte klar geworden sein, dass wir nicht an eine reformistische Verbesserung des bestehenden Systems glauben, sondern dass wir der Meinung sind, dass die fundamentale Umwaelzung aller gesellschaftlichen Beziehungen in einem langwierigen Prozess der sozialen Transformation (hin zu einem niemals abgeschlossenen Projekt einer Gesellschaft ohne Herrschaft) die einzige wirkliche Loesung darstellt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Sinn macht, konkrete Forderungen zu stellen — solange das langfristige Ziel nicht aus den Augen verloren und nicht zu viel Ener
gie in irgendwelche Institutionen oder Parteien gesteckt wird, die besser fuer den Aufbau tatsaechlicher sozialer Bewegung verwendet werden koennte.
Nun also einige Forderungen zu den in diesem Aufruf angesprochenen Themenbereichen, die uns sinnvoll erscheinen:
Wir fordern:
Hausarbeit als gesellschaftlich relevante Arbeit anzuerkennen und sichtbar zu machen.
Ein Ende sexistischer und rassistischer Zuschreibungen — auf dem Arbeitsmarkt, und darueberhinaus in Bezug auf alle gesellschaflich notwendigen Taetigkeiten, auch die, die nicht als Ware gehandelt werden.
Arbeits- und Menschenrechte muessen fuer alle gelten und unabhaengig vom Aufenthaltsstatus einklagbar sein.
Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildungsmoeglichkeiten und sozialen Einrichtungen fuer alle.
Die Anerkennung geschlechts- und sexualitaetsspezifischer Fluchtgruende.
Ein Aufenthaltsrecht fuer alle Immigrantinnen unabhaengig von der Ehe.
Verbesserungen in der rechtlichen Situation illegalisierter SexarbeiterInnen.
Einklagbarkeit entgangenen Lohns auch fuer illegalisierte ArbeiterInnen.
Gleicher Lohn fuer gleiche Arbeit!
Abschaffung der Residenzpflicht!
Ein Recht auf Legalisierung!
Entschaedigungszahlungen fuer die Verbrechen des deutschen Kolonialismus (z.B. im ehemaligen Deutsch-Suedwestafrika).
Entschaedigungszahlungen fuer die Mithilfe deutscher Unternehmen bei der Stabilisierung des rassistischen Apartheidregimes in Suedafrika.
Sofortige Entschaedigung aller ZwangsarbeiterInnen des NS-Regimes.
Mit einer Gewinnshow-Performance “Wer kriegt das Normkind?”
wurden heute (7.8.) Nachmittag vor dem Carl-Thieme-Klinikum die Visionen von Gen- und BiotechnologInnen von einem perfekten Menschen kritisiert.
Die etwa 50 TeilnehmerInnen der Aktion spielten eine Gewinnshow nach und verteilten Flugblätter an PassantInnen. Einige PassantInnen folgten der Einladung sich dazu zu stellen und als Publikum der Gewinnshow mitzumachen. Unter dem Motto “Gegen Normierung und Uniformität. Für das Recht anders zu sein.” suchte ein ExpertInnenteam in der Gewinnshow unter drei verschiedenen Paaren das Paar mit den idealen Genen.
Im Anschluß an einen Workshop zu Gen- und Biotechnologien wollten TeilnehmerInnen des Crossover Summercamps mit dieser Aktion gegen die alltägliche Praxis in Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen protestieren. Im Carl-Thiem-Klinikum werden schwangere Frauen beraten, wenn sie ein erhöhtes Risiko haben, “behinderte” Kinder zu bekommen. In der Vision der Gentechnik ist für diese kein Platz.
Die Aktion sollte die gesellschaftlichen Zwänge, denen Frauen mit “behinderten” Kindern ausgesetzt sind, angreifen. Gen- und Biotechnologien forcieren nicht nur eine individualiserte Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit, sondern stellen gleichzeitig die technischen Möglichkeiten zur Verfügung die Risiken den Frauen selbst aufzubürden. Im Zuge eines immer stärkeren Abbaus sozialer und gesundheitlicher Sicherungssysteme tragen diese nach einem negativen Gentest die individuellen und finanziellen Kosten fast vollständig allein.
Wir sind für eine Welt, in der niemand entscheidet, wer krank und wer gesund ist. Für eine Welt voller bunter nicht verwertbarer Anormalitäten. Für das Recht anders zu sein.