GROßZIETHEN Mit roter Farbe haben unbekannte Täter in den vergangenen Tagen ein Hakenkreuz an die Eingangstür eines Ladens in Großziethen gesprüht. Das Nazi-Symbol ist 65 mal 50 Zentimeter groß.
Monat: August 2002
POTSDAM Die Affäre um den enttarnten V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes, der als Neonazi in Straftaten verwickelt war, zieht weiter Kreise. SPD und oppositionelle PDS forderten gestern von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) Aufklärung des Falls. “Wenn die Straftaten des V‑Mannes bis zum Mordaufruf an Prominenten gehen, ist die Grenze überschritten”, sagte SPD-Innenpolitiker Werner-Siegwart Schippel. Die PDS will eine grundsätzliche Debatte über die Arbeit mit V‑Leuten führen. Landeschef Ralf Christoffers sagte, es liege eine fehlerhafte Arbeit der politisch Verantwortlichen mit V‑Leuten vor.
Unterdessen wächst der Druck vor allem auf Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin, dem Koalitionspolitiker die Hauptschuld daran geben, dass der V‑Mann trotz Führung durch den Verfassungsschutz aus dem Ruder laufen konnte. Das Innenministerium wollte sich gestern zu dem Fall nicht äußern. Kommende Woche tagt dazu die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags.
Indes werden immer neue Details bekannt, wie der 27-jährige V‑Mann an der Herstellung von CDs mit rechtsextremistischem Inhalt aktiv beteiligt war. Er soll bereits im Jahr 2000 an der Erstellung der CD “Noten des Hasses” mitgewirkt haben. Auf dieser CD wird zum Mord an prominenten Neonazi-Gegnern aufgerufen.
Auf beiden Seiten abkassiert
POTSDAM/GUBEN Die Vorwürfe gegen den enttarnten Spitzel des brandenburgischen Verfassungschutzes, Toni S., werden immer massiver. Er soll als V‑Mann nun auch Straftaten im Zusammenhang mit der Produktion einer volksverhetzenden CD begangen haben, gegen deren Hersteller und Vertreiber die Berliner Justiz ermittelt.
Wie die MAZ aus Sicherheitskreisen erfuhr, soll der 27-jährige Neonazi Ende 2000 “bei der Erstellung der CD ‚Noten des Hasses aktiv mitgewirkt” haben. Für die erste Pressung dieser Hass-CD soll S. Kontakte zwischen den Musikern der rassistischen Band “White Aryan Rebels” und den Tonstudios hergestellt sowie “an den Studioaufnahmen mitgewirkt” haben. In welchem Umfang dies geschehen sein soll, ist nicht bekannt. Aufgenommen wurden die “Noten des Hasses” wahrscheinlich im Ausland, in “Ungarn oder Dänemark”.
Erst gestern hatte die MAZ von bislang unbekannten Machenschaften des Spitzels berichtet. Demnach soll S. im Jahr 2000 auch an Herstellung und Vertrieb der CD “Ran an den Feind” der Neonazi-Kultband “Landser” beteiligt gewesen sein. Potsdamer Regierungskreise bestätigten dies gestern indirekt. Gegen die Mitglieder von “Landser” ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.
Der jüngste Verdacht gegen den V‑Mann, auch CDs für die “White Aryan Rebels” produziert zu haben, geht über die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft hinaus. Bislang glaubt man dort lediglich, dass Toni S. einer von wenigen Großvertreibern der CD “Noten des Hasses” gewesen sei. Die Produktion der CD wurde ihm hingegen nicht angelastet. Staatsanwaltliche Ermittlungen zu den Produktionsumständen der vermutlich ausverkauften Erstauflage dieser CD seien Anfang 2001 nach Paragraph 170, Absatz 2 der Strafprozessordnung (aus Mangel an Beweisen) eingestellt worden, teilte die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft, Ariane Faust, gestern mit.
Die aktuellen Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft haben nichts mit dieser Erstauflage der CD “Noten des Hasses”, sondern mit einer geplanten Neupressung zu tun. Nach Erkenntnissen der Berliner Justiz soll sich S. angeboten haben, die neuen “Noten des Hasses” in großer Stückzahl zu vertreiben. Wegen dieses Verdachts sitzt Toni S. seit etwa zwei Wochen in Untersuchungshaft. Festgenommen wurde er am 20. Juli von einem Spezialkommando des Berliner Landeskriminalamts in Marzahn. Diese und weitere Aktionen der Berliner Polizei in Brandenburg waren mit den Potsdamer Behörden nicht abgestimmt.
Nach Auffassung der Berliner Justiz ist Toni S. derart tief in den Handel mit neonazistischer Musik verstrickt, dass dies unvereinbar ist mit seiner Tätigkeit für den Verfassungsschutz.
Dies gilt besonders für den Vertrieb der CD “Noten des Hasses” von “White Aryan Rebels”. Herstellung und Vertrieb dieser CD gelten deshalb als strafbar, weil sie Mordaufrufe gegen prominente Neonazi-Gegner enthält. Grundsätzlich ist der Handel mit neonazistischer Musik hingegen nicht verboten. Bestimmte CDs — solche, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert werden — dürfen lediglich nicht an Jugendliche abgegeben werden.
Toni S., so ein Kenner der Szene, habe offenkundig versucht, den brandenburgischen Verfassungsschutz zu narren. Der überzeugte Neonazi habe einerseits Geld aus der Staatskasse für seine Spitzeldienste kassiert, andererseits habe er ohne Wissen seines Auftraggebers strafrechtliche relevante Nazi-CDs verkauft. “Der ist doppelgleisig gefahren und wollte auf beiden Seiten verdienen”, heißt es.
Bis zu seiner Enttarnung durch Berliner Behörden hat V‑Mann Toni S. dem brandenburgischen Verfassungsschutz offenbar tiefe Einblicke in die konspirativen Strukturen der neonazistischen Musik-Szene gewährt. S. galt als so gut informiert, dass auch das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln von seinen Informationen profitieren wollte. Das Bundesamt, heißt es, habe die Handelstätigkeit des Spitzels mitgetragen, obwohl erkennbar wurde, dass er eigenmächtig agierte. So habe er ohne Wissen seines Auftraggebers weit mehr als hundert “Ran an den Feind”-CDs von “Landser” verkaufen wollen. Dies sei in der Hoffnung akzeptiert worden, Toni S. könne das geheime, weitverzweigte Vertriebsnetz der Band enttarnen helfen.
Straftaten sind untersagt
Der Umgang mit V‑Leuten ist sehr sensibel. Nach dem brandenburgischen Verfassungsschutzgesetz dürfen von ihnen “keine Straftaten begangen werden”. Geschieht dies doch, müssten sie sofort “abgeschaltet” werden, außerdem muss die Staatsanwaltschaft Ermittlungen einleiten.
Da V‑Leute sich in der Szene selbst enttarnen würden, wenn sie sich nicht anpassten, wird in der Praxis in aller Regel so verfahren: Ein V‑Mann, der zur Aufrechterhaltung seiner Tarnung und zur Aufklärung einer großen Straftat ein kleines Vergehen verübt, wird zwar zunächst angezeigt. Sollte die Straftat jedoch gering sein, wird das Ermittlungsverfahren später meistens wieder eingestellt.
Druck auf Wegesin nimmt zu
POTSDAM In der V‑Mann- Affäre wächst der Druck auf Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin, aber auch auf Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Koalitionspartner SPD und die oppositionelle PDS im Landtag verlangten gestern lückenlose Aufklärung des Falles. Das Innenministerium ging nach der MAZ-Veröffentlichung gestern auf Tauchstation und lehnte jede offizielle Stellungnahme ab.
Ein 27-jähriger, inzwischen enttarnter V‑Mann aus Cottbus, soll massiv in Straftaten verwickelt und dem brandenburgischen Verfassungsschutz völlig aus dem Ruder gelaufen sein. Der Mann, der in Untersuchungshaft sitzt, soll an der Herstellung rechtsextremistischer CDs beteiligt gewesen sein, in denen zum Mord an Prominenten aufgerufen wird.
Der innenpolitische Sprecher der SPD, Werner-Siegwart Schippel, sagte, die Grenze sei überschritten, wenn der V‑Mann Straftaten bis zum Mordaufruf begangen habe. “Das wäre eine neue Dimension, die es in Brandenburg noch nicht gab”, sagte Schippel gestern der MAZ. Zu klären sei, wann die Ministeriumsspitze über die Vorgänge info
rmiert wurde. Die politische Verantwortung dafür trage in jedem Fall der Innenminister. Er hätte im Vorfeld den Fall begleiten und dem Agieren der Verfassungsschützer Einhalt gebieten müssen. Der Verfassungsschutz, betonte der SPD-Politiker, habe “keinen Freibrief”. Die Vorgänge sollen kommende Woche in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) behandelt werden, die den Verfassungsschutz überwacht.
Die PDS verlangt Konsequenzen. Es sei aber nicht allein ein “Fall Wegesin”, betonte Landeschef Ralf Christoffers. Die politisch Verantwortlichen im Innenministerium seien mit V‑Leuten fehlerhaft umgegangen. Der Verfassungsschutz habe sich selbst delegitimiert, wenn V‑Leute in Straftaten verwickelt seien oder selbst aktiv welche begehen würden. Christoffers hält vor allem zwei Fragen für dringend klärungsbedürftig: Wer im Innenministerium hat wann etwas von der V‑Mann-Panne gewusst? Und: Ist Schaden durch die Verbreitung der rechtsextremistischen CDs bei konsumierenden Jugendliche angerichtet worden?
Ungeachtet der massiven Vorwürfe versucht die CDU den Fall herunterzuspielen. Dierk Homeyer, Vize-PKK-Chef, sagte der MAZ: “Es ist alles sauber gelaufen.” Es habe von Seiten der Verfassungsschützer ein “Abwägungsprozess” stattgefunden, schließlich habe man an die Hintermänner in der Neonazi-Szene herankommen wollen. “Das ist immer eine Grauzone.” Homeyer weiter: “Ich gebe aber zu, dass das Führen von V‑Leuten ein schwieriger Prozess ist.”
Im Innenministerium war gestern Krisenstimmung. Schönbohm selbst ist um Urlaub, lässt sich aber auf dem Laufenden halten. Nach außen soll das Vorgehen in der V‑Mann-Affäre gerechtfertigt werden. Schon jetzt wird nach einer Argumentation für die PKK-Sitzung kommende Woche gebastelt: “Propagandadelikte” durch V‑Leuten müssten demnach in Kauf genommen werden. Eine gewisse Beteiligung am Vertrieb solcher CDs sei deshalb nötig, hieß es, damit der V‑Mann in der Szene keinen Argwohn erwecke.
Kommentar von Volkmar Krause
V‑Mann-Pleite
Die Affäre um den jüngst enttarnten brandenburgischen V‑Mann entpuppt sich immer mehr als Pleite der märkischen Sicherheitsverantwortlichen. Wurde noch in der Vorwoche massiv auf die Berliner Kollegen eingeprügelt, weil diese Toni S. hochgehen ließen, so müsste nun der Ehrlichkeit halber eingeräumt werden: Die Festnahme von S. war juristisch nicht nur gerechtfertigt, sie war wohl die einzig mögliche Vorgehensweise. Immerhin steckte der 27-jährige Neonazi ganz tief in Produktion und Vertrieb rechtsextremer Musik-CDs. Da auf diesen Tonträgern auch zum Mord an Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg aufgerufen wird, hätten die Potsdamer Geheimdienstler ihren V‑Mann “abschalten” müssen. Bei der Frage, warum das nicht geschehen ist, kann nicht allein auf Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin gezeigt werden. Wegesins Dienstherr ist Innenminister Schönbohm. Wer war wann über die braunen Aktivitäten von Toni S. informiert? Noch deckelt das Innenministerium. Falls niemand richtig darüber informiert war, was S. mit Steuerzahlergroschen trieb, dann wäre der Skandal erst recht perfekt.
NEURUPPIN “Junge Frau, Sie haben nichts gesehen”, bekam eine Prenzlauerin zu hören, als sie am 28. September vergangenen Jahres nach einem Spaziergang mit ihren Hunden gegen Mitternacht ihren Hausflur betrat. So steht es in den Akten, die derzeit zur Verhandlung auf dem Richtertisch der Jugendstrafkammer des Landgerichts Neuruppin liegen.
Die Anklagebank ist lang: auf ihr sitzen seit gestern (07.08.02)zehn Männer zwischen 17 und 38 Jahren, denen unter anderem Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, in zwei Fällen sogar versuchter Mord vorgeworfen wird. Denn als die zehn in jener Septembernacht die Wohnung in der Bergstraße in Prenzlau verließen, war die Einrichtung zertrümmert, lagen zwei Verletzte auf dem Boden.
Es ist keine einfach Sache, ein Geschehen zu beleuchten, an dem so viele mutmaßliche Täter beteiligt sein sollen. Erschwert wird die Aufgabe der Richter noch durch die Versuche eines Anwalts, das Verfahren mit Anträgen erst einmal zu blockieren. Sein Mandant möchte ihn als neuen Pflichtverteidiger beigeordnet bekommen. Zu mehreren Stunden Verspätung allerdings kam es zum Prozessauftakt, weil der 23-jährige Timo M. nicht zur Verhandlung erschien und erst mit Polizeigewalt vorgeführt werden musste. “Die Punks würden uns platt machen”, erzählte schließlich der jüngste Angeklagte über die Hintergründe jener Tat. Der 17-jährige Maik S. sprach über ein Gerücht, das jener in Umlauf gesetzt haben soll, der das eigentliche Ziel des Angriffs gewesen sei. Die Linken auf die Rechten zu hetzen, eine Keilerei zu provozieren, das hätte er gewollt und dafür hätten sie ihn alle zusammen zur Rede stellen wollen. Nach einer Party bei einem der Angeklagten seien sie also mit Autos, in denen sich schon ein Baseballschläger und eine Sturmmaske befanden, in die Bergstraße gefahren. Der Wohnungsinhaber, der sie wohl hatte kommen sehen, konnte rechtzeitig verschwinden. Seine beiden Besucher, die bei ihm übernachteten, nicht. Die zehn sollen die Wohnung gestürmt und dort das Mobilar auseinander genommen haben. Der 32-jährige Ingo M. und der 33-jährige Heiko R., beide in Haft, hätten mit dem Baseballschläger und einem Regalbrett mit Tritten und Schlägen auf ihre Opfer eingeprügelt. Die beiden Männer, die bis jetzt von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, werden am schwersten von der Staatsanwaltschaft belastet. Versuchter Mord wird ihnen angelastet. Ob dieser Vorwurf haltbar ist, werden die kommenden Verhandlungstage zeigen.
Gestern haben ca. 150 TeilnehmerInnen des Crossover Summercamps in der Innenstadt von Cottbus einige Aktionen zu den Themen Geschlechternormierung, Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexismus und Schönheitsideale durchgeführt.
In den Filialen von H&M und New Yorker wurden die “Damen”- und “Herren”-Abteilungen ausgetauscht. Die Kleidungsstücke wurden jeweils von der einen in die andere Abteilung getragen, um auf die Normierung von Menschen durch geschlechtspezifische Kleidung aufmerksam zu machen. Desweiteren haben sich die AktivistInnen entgegen der herrschenden Geschlechts- und Kleiderordnung in den Geschäften umgezogen und für einige Verwirrung gesorgt. Zur Vermittlung der Aktion wurden Flugblätter an die VerkäuferInnen, KundInnen und PassantInnen verteilt. Dabei entstanden zahlreiche Gespräche mit Cottbusser BürgerInnen. Zum Abschluss haben sich Einzelne nackt in der Pafümerie Müller kosmetisch beraten lassen. Mit ihrer Nacktheit wollten sie sich den vorherrschenden geschlechtsspezifischen Kleidungsvorschriften symbolisch widersetzen. Besonders geschminkte Männer sorgten dabei für Unverständnis und Aggression bei anwesenden PassantInnen.
Die Aktionen am gestrigen Tag haben gezeigt, wie tief sexistische Denkmuster in der Gesellschaft verwurzelt sind, und dass es trotzdem möglich und vor allem nötig ist, diese zu thematisieren und anzugreifen.
Goys will be birls will be goys will be birls will be…
Mehr Bilder hier.
Das CrossOverCamp hat begonnen!
Notiz zum Start des Camps am Samstag
Am Samstag, dem 03. August begann in Cottbus das CrossOver Summercamp. Im Laufe der ersten zwei Tage wurden Aufgabengruppen gebildet, sodass das Vorbereitungsteam sich wie geplant auflösen konnte und die Organisation des Camps in die Hände der 300 TeilnehmerInnen legte. Im folgenden geben wir einen Eindruck von der Organisationsstruktur des Camps und wie die Prozesse darin ablaufen.
Nach dem offiziellen Start wurde ein Plenum einberufen, in dem die Idee des Camps und seine Struktur von den InitiatorInnen des Camps erklärt wurden. Die Organisiationsstruktur basiert auf verschiedenen Aufgabengruppen, die sich beispielsweise um Aufgaben wie Küche, Pressearbeit, Cafe, Kulturangebot, Sicherheitsfragen oder auch um von sexualisierter Gewalt oder anderen Übergriffen Betroffene kümmern. Die Idee hinter dieser Struktur war, alle TeilnehmerInnen des Camps in nicht-hierarchischer und basisdemokratischer Weise in den Prozess der Entscheidungsfindung zu integrieren — in allen Bereichen der Camporganisation. Um eben dies zu gewährleisten, gab die InitiatorInnen-Gruppe ihre vorherige Funktion als OrganisatorInnen an das Camp ab. Am ersten Tag, an dem sich diese Struktur bewähren mußte, wurden vier Workshops organisiert — und zwar zu den Themen Körperarbeit, Frauen und Staat, ein Workshop, in dem das Buch “Empire” diskutiert wurde und schließlich einer zu Direct Action, Dekonstruktion und Gender. Die Workshops verliefen allesamt gut. Unter anderem aus dem letztgenannten ‑zu Gender — entstanden schließlich die Aktionen des heutigen Tages.
The Sound of the V‑Mann
Es sollte ein gelungener deutscher Abend werden. Eingeladen wurden die Kameraden für den 20. Juli in einen Bikerclub nach Berlin-Marzahn, um dort NS-Black-Metall-Bands wie Magog und Totenburg zu bejubeln.
Für die Organisatoren, die Weiße Arische Bruderschaft, war es eine Möglichkeit, ihre Stellung in der Naziszene der Hauptstadt zu festigen und Geld zu verdienen. Doch für die rund einhundert Rechten, die der Einladung folgten, entwickelte sich der Abend anders als gedacht. Beamte des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) beendeten unsanft das Konzert, kontrollierten Ausweise und nahmen drei bekannte Neonazis fest.
Zwei von ihnen haben sich überregional einen Namen gemacht. Der 27jährige Toni Stadler mit Wohnsitz in Cottbus und Lars Burmeister aus Berlin. Der 33jährige Burmeister kann auf eine zehnjährige Neonazikarriere zurückblicken. Anfang der neunziger Jahre war er Berliner Landesvorsitzender der mittlerweile verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). Immer wieder machte er mit rechten Propagandaaktionen von sich reden. Er trat in der Uniform der FAP bei Gerichtsprozessen auf, 1992 griff er mit in einer Gruppe von Neonazis im Prenzlauer Berg in Berlin drei Punks an. Eines der Opfer verlor dabei 20 Prozent seines Augenlichts.
Burmeister tauchte unter und wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht. Im August 1995 wurde er im norwegischen Oslo festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert. Später scheute der Neonazi das Licht der Öffentlichkeit und widmete sich einem neuen Betätigungsfeld: rechtsextremer Hassmusik. Die Berliner Ermittler gehen davon aus, dass Burmeister maßgeblich für die CD »Noten des Hasses« des Neonazibandprojekts White Aryan Rebels verantwortlich ist.
Auf der CD wird unter dem Motto »Diese Kugel ist für dich« Michel Friedman, Rita Süssmuth und anderen Prominenten mit dem Tod gedroht. Darüber hinaus finden sich im CD-Beiheft Fotos von zwei Beamten der Berliner Sondereinheit Politisch motivierte Straßengewalt (PMS).
Erste Ermittlungen der Sicherheitsbehörden gegen die Produzenten der CD liefen ins Leere, obwohl sich die White Aryan Rebels in einem Nazifanzine mit ihrer Mitgliedschaft in mittlerweile verbotenen Neonaziorganisationen brüsteten. Angeblich fanden 3 000 Exemplare der CD einen reißenden Absatz. Mit der Festnahme von Burmeister und Stadler am 20. Juli wollten die Berliner Beamten offenbar auch die Herstellung und den Vertrieb von weiteren 3 000 Stück der CD verhindern.
Und einen V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes ausschalten. Denn Stadler, den das Brandenburger Amt vor mehr als einem Jahr angeblich angeworben hatte, um Informationen über die Neonaziszene in Guben zu beschaffen, machte sich im vergangenen Jahr einen Namen als Lieferant für Nazipropaganda aller Art.
Über seinen Laden »Top One« in Guben, der erst vor kurzem in »Hatecrime« umbenannt wurde, und einen gleichnamigen Vertrieb bot er nicht nur Merchandisingprodukte der White Aryan Rebels an, sondern auch indizierte CDs. Das Kalkül der Brandenburger Verfassungsschützer lautete: Wer bei »Top One« bestellte, sollte automatisch in den Dateien der Ermittler landen.
Schon 1997 wurde Stadler wegen der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen in Berlin zu einer Geldstrafe verurteilt, und seit Anfang 2001 ermittelte auch die Staatsanwaltschaft Cottbus gegen ihn und über ein Dutzend weiterer Rechter wegen des Verbreitens rechtsextremer Propaganda. Wie viel Geld er für seine Informantentätigkeit erhielt, ist bislang nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass seine Telefonanschlüsse, sein Autokennzeichen und sein Postfach mit entsprechenden Sperrvermerken versehen waren.
Als Stadler im Mai dieses Jahres ins Fadenkreuz der Berliner Ermittler geriet, hätte das auffallen müssen, beschweren sich nun die Brandenburger Verfassungsschützer und werfen den Berliner Ermittlern vor, auch die Gespräche zwischen Stadler und seinem V‑Mann-Führer abgehört zu haben. Nach diesen Abhörmaßnahmen seien die Berliner Polizisten davon ausgegangen, dass Stadler, Burmeister und ein sächsischer Neonazi mit guten Verbindungen zu CD-Presswerken in der Slowakei und in Ungarn auf dem Konzert am 20. Juli in Berlin den Nachdruck der CD »Noten des Hasses« ausliefern würden. Tatsächlich fanden die Beamten bei den Hausdurchsuchungen bei Burmeister und Stadler zwar jede Menge Propagandamaterial und auch CDs, jedoch nicht die zweite Auflage der »Noten des Hasses«.
Während Toni Stadler und Lars Burmeister seit dem Konzert in Berlin in Untersuchungshaft sitzen, eskaliert der Streit zwischen den Berliner und den Brandenburger Sicherheitsbehörden. Aussagen von LKA-Leuten in der Berliner Zeitung, wonach die Berliner ihren Brandenburger Kollegen vorhielten, der V‑Mann sei aus dem Ruder gelaufen und die V‑Männer der Potsdamer Verfassungsschützer seien maßgeblich für die hohe Anzahl rechter Straftaten in Brandenburg verantwortlich, heizten den Streit an.
Die Brandenburger warfen den Berliner Behörden wiederum vor, dilettantisch vorgegangen zu sein und ein »mit befreundeten Diensten« abgesprochenes Verfahren, um die Hintermänner des Handels mit rechtsextremer Musik aufzudecken, verdorben zu haben. Weitere Beschwerden mussten sich die Berliner anhören, als bekannt wurde, dass Berliner Polizeibeamte auch die Wohnung eines Gewährsmannes des brandenburgischen Verfassungsschutzes durchsucht hatten und dass bei der Berliner Justiz ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung und wegen der Verbreitung verfassungswidriger Propaganda gegen den V‑Mann-Führer von Stadler anhängig ist.
Doch der Vorwurf, V‑Männer bauten mit Geld vom Staat die Strukturen erst auf, die die Ermittlungsbehörden dann bekämpfen, lässt sich keineswegs auf Brandenburg beschränken, wie auch das NPD-Verbotsverfahren zeigt. Weder auf Berliner noch auf Brandenburger Art dürfte dem Geschäft mit der Hassmusik ein Ende bereitet werden.
POTSDAM/KÖLN Toni S., der von der Berliner Polizei enttarnte Spitzel des brandenburgischen Verfassungsschutzes, war offenbar tiefer in den Vertriebs und die Produktion rechtsextremer Hass-CDs verstrickt als bisher bekannt. Dies hätte schon Ende 2000 zur sofortigen Abschaltung des V‑Manns führen müssen. Die kürzliche Festnahme des 27-Jährigen durch das Berliner Landeskriminalamt erscheint damit gerechtfertigt.
V‑Mann S. soll nach Informationen der MAZ an der Herstellung der CD “Ran an den Feind” der Berlin-Brandenburger Nazi-Kultband “Landser” beteiligt gewesen sein. Auf ihr wird zum Mord an Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg und anderen prominenten Gegnern der Neonazis aufgerufen. “Es ist nicht auszuschließen, dass S. bei der Produktion in Polen dabei war”, heißt es. Gegen die Mitglieder der 1992 zunächst unter dem Namen “Endlösung” gegründeten Band ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.
Darüber hinaus soll sich S. im November 2000 gegenüber anderen Neonazis angeboten haben, den Vertrieb einer großen Stückzahl der verbotenen Landser-CD zu übernehmen. Die Rede ist von deutlich mehr als hundert Exemplaren. Der brandenburgische Verfassungsschutz soll zu jenem Zeitpunkt erwogen haben, Toni S. als Quelle abzuschalten. Doch nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln hatten die Potsdamer von ihrem Vorhaben wieder Abstand genommen. Beide Geheimdienstbehörden seien damals vielmehr übereingekommen, S. zu benutzen, um einen Einblick in das geheime, weitverzweigte Vertriebsnetz von “Landser” zu erhalten. Toni S., so der Geheimplan, solle die Landser-CDs an andere Zwischenhändler verschicken. Anschließend hätten die Geheimdienstler die Empfänger dieser CD-Sendungen observieren wollen, um bis zu der nächsten Vertriebsstufe vorzudringen. Toni S., heißt es, soll in dem Zusammenhang einige wichtige Erkenntnisse zur Enttarnung der Landser-Vertriebsstruktur beigesteuert haben.
S. soll nicht nur mit der Gruppe “Landser” Geschäfte gemacht haben. Er wird auch mit der Produktion und dem Vertrieb der CD “Kinder des Zorns” in Verbindung gebracht. Die Band “Sturmbrigade”, deren Mitglieder den Nachrichtendiensten bislang noch unbekannt sind, soll diese CD im Jahr 2000 in Dänemark produziert haben. Spitzel S., heißt es, sei dabei gewesen. Auch damit hätte der V‑Mann den Boden des ihm Erlaubten weit verlassen.
Offensichtlich war Toni S. seit seiner Anwerbung für den märkischen Verfassungsschutz zu Anfang des Jahres 2000 stets schwer zu steuern. Etwa ein Dutzend Mal soll er in diesen zwei Jahren ermahnt worden sein, sich an Gesetz und Ordnung zu halten. Wie groß das Misstrauen gegen ihn war, zeigt sich auch darin, dass seine Privatwohnung in Cottbus sowie sein Bekleidungsgeschäft “Top One” in Guben mehrfach durchsucht wurden. Überhaupt setzt sich in Potsdam immer stärker die Erkenntnis durch, “dass der einige Dinge gemacht hat”. “Der war ein Dealer und wollte immer was dazuverdienen.”
Berliner und Brandenburger Behörden hatten sich in der vergangenen Woche gegenseitig die Schuld um die Enttarnung des V‑Manns zugeschoben. Brandenburger Regierungspolitiker forderten sogar eine förmliche Entschuldigung der Berliner Senatoren für Inneres und Justiz. Die Berliner Staatsanwaltschaft nannte das mit Brandenburg unabgestimmte Vorgehen gegen S. hingegen fehlerfrei.
Festnahmen in Hennigsdorf
Verbotene CDs sichergestellt
HENNIGSDORF Die Polizei hat in Hennigsdorf drei junge Männer vorläufig festgenommen, die in einer Wohnung an der Hirschfeldstraße lautstark Musik mit rechtsradikalem Inhalt abgespielt hatten. Bei der Wohnungsdurchsuchung stellten die Beamten verbotene CDs und die Musikanlage sicher. Wie die Polizei gestern mitteilte, waren die Beamten bereits am Sonnabend gegen 14.50 Uhr in die Hirschstraße gerufen worden. In der Wohnung hielten sich drei Männer im Alter von 19 bis 25 Jahren auf. Da alle Beschuldigten unter Alkoholeinfluss standen, mussten sie sich einer Blutprobe unterziehen. Gegen alle drei Männer wurden Anzeigen gefertigt.
Ludwigsfelde — Am Samstagabend erhielt die Polizei die Mitteilung, dass ein 37-jähriger Mosambikaner nach seinen Angaben in den frühen Morgenstunden am Samstag in der Nähe des Waldstadions in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming) von einer mehrköpfigen Gruppe Jugendlicher geschlagen und in der weiteren Folge beraubt wurde. Am Samstagnachmittag begab sich der Geschädigte selbstständig in ärztliche Behandlung. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund der Tat kann nicht ausgeschlossen werden. Die Kriminalpolizei des Polizeipräsidiums Potsdam hat die Ermittlungen übernommen.
Der Geschehensablauf kann derzeit aufgrund der lückenhaften Schilderung des Geschädigten nicht nachvollzogen werden.
Die Polizei bittet daher um Mithilfe und sucht Zeugen, die den Mosambikaner in den frühen Morgenstunden am Samstag in Ludwigsfelde bzw. in der Nähe des dortigen Waldstadions allein oder in Begleitung Jugendlicher gesehen haben.
Sachdienliche Hinweise nehmen das Polizeipräsidium Potsdam (0700 3333 0331) bzw. jede andere Polizeidienststelle entgegen.
Cottbus (dpa) — Der nach einem vermutlich rechtsextremen Überfall in Cottbus verletzte Kubaner hat bislang wegen seiner schweren Verletzungen noch keine präzisen Hinweise auf die Täter gegeben. Bei besserem Gesundheitszustand sollen dem Mann Fotos von Verdächtigen vorgelegt werden, sagte der zuständige Staatsanwalt in Cottbus. Derzeit würden mehrere Spuren verfolgt. Hinweise auf die Täter könne auch das Videoband der Tankstelle liefern, das noch ausgewertet werde. Der Kubaner war von drei Schlägern angegriffen worden.
“Weniger rechtsextreme Schüler”
ZAHL DER VORFÄLLE IST IM VERGANGENEN SCHULJAHR DEUTLICH ZURÜCKGEGANGEN
POTSDAM Die Zahl rechtsextremer Vorfälle an Brandenburgs Schulen hat abgenommen. Während die Schulämter 2000/01 noch 257 Fälle meldeten, waren es im vergangenen Schuljahr nur 179. Außerdem kam es nach dem Erfurter Amoklauf zu sechs Bedrohungen. Zwei Mal fuchtelten Schüler mit Schreckschusswaffen herum, vier Mal gab es Drohungen wie “Erinnert euch, was in Erfurt passiert ist!”. Das geht aus einem Papier des Bildungsministeriums hervor, das der MAZ vorliegt.
Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) zeigte sich erfreut über die Entwicklung. “Das ist der Erfolg unserer Prävention.” Er hoffe, dass der Trend anhalte. Dafür spreche, dass die Zahl der Vorfälle im ersten Halbjahr mit 135 bedeutend höher gelegen hätte, als im zweiten Halbjahr (44).
Auch der Potsdamer Jugendforscher Dietmar Sturzbecher beobachtet seit Jahren eine Abkehr vom Rechtsextremismus. So sei etwa die Leistungsbereitschaft von Schülern seit drei Jahren deutlich angestiegen. “Die nehmen ihr Leben wieder in die eigene Hand.”
Trotz des landesweiten Rückgangs gibt es regionale Unterschiede. Den größten Erfolg konnte der Schulamtsbezirk Prignitz/Ostprignitz-Ruppin/Oberhavel melden. Nur 14 Vorfälle mit fremdenfeindlichen, rechtsextremen oder antisemitischen Hintergründen wurden dort im Schuljahr 2001/02 bekannt. (2000/01: 42). Einzig der Bezirk Uckermark/Barnim bricht aus dem Trend aus: Dort mehrten sich die Vorfälle von 11 auf 28.
Bei 123 der 179 Verstöße wurden Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet, bei 25 kam es zu Beleidigungen, bei 19 zu Drohungen und bei 12 zu Gewalt. Überdurchschnittlich betroffen sind die Gesamtschulen. Dort kam es zu 83 Taten. Laut Reiche hänge dies damit zusammen, dass ein Teil der Gesamtschulen eine “schwierige Schülerklientel” habe.
Um künftig die Zahl fremdenfeindlich und rechtsextremistisch motivierter Taten weiter zu senken, werde es demnächst eine “Partnerschaftsvereinbarung” zwischen der Polizei und der Schule geben, kündigte der Bildungsminister gegenüber der MAZ an. “Dann wird es für jede Schule einen Polizisten als Gesprächspartner geben.”