Potsdam. Der 48 Jahre alte Vietnamese Xuan Khang Ha darf vorerst nicht
abgeschoben werden. Das Verwaltungsgericht Potsdam folgte damit einem
Eilantrag des 48-Jährigen, wie es am Donnerstag mitteilte. Begründet wird
die Entscheidung mit dem großen überregionalen Medienecho im Fall des Mannes
und seines fünfjährigen Sohnes. Um ihn abzuschieben, waren Anfang Januar
Kirchenräume in Schwante von der Polizei durchsucht worden. Dem Mann drohe
in Vietnam Verfolgung. Es müsse nun der normale Rechtsweg beschritten
werden.
Monat: Januar 2003
Hick-Hack um Jugendarbeit
WITTSTOCK Die Jugendarbeit in der Wittstocker Region steht auf dem
Prüfstand. Alle sechs über das so genannte 610-Stellen-Programm des Landes
besetzten Stellen, mit der ein Teil der Jugendarbeit abgedeckt wurde, sollen
neu ausgeschrieben werden. Das hat der Jugendhilfeausschuss des Kreises bei
seiner jüngsten Sitzung beschlossen (wir berichteten). Die Ausschreibung
werde Ende Februar oder Anfang März erfolgen, so Kreisjugendamtsleiterin
Annemarie Hefenbrock gestern auf MAZ-Nachfrage.In die Ausschreibung sollen
auch die Ergebnisse einer Sozialraumanalyse für Wittstock einfließen, die
derzeit aber noch in Arbeit ist. Die Analyse wird die Richtung für die
künftige Jugendarbeit vorgeben. “Sie sollte besser ausgerichtet sein”, so
Annemarie Hefenbrock. Eine Besetzung der Stellen werde voraussichtlich erst
im September erfolgen. Denn auch dem “in Verantwortung stehenden Träger”
solle Zeit gegeben werden, sich neu zu orientieren. Es gebe auch
vertragliche Bindungen, die berücksichtigt werden müssten. Die Stellen
werden nach folgenden Schwerpunkten neu ausgeschrieben: Zwei Stellen offene
Kinder- und Jugendarbeit, zwei Stellen mobile Jugendarbeit, eine Stelle
offene Jugendarbeit im Sport und eine Stelle Sozialarbeit in der Schule.
Träger von fünf 610-er-Stellen ist derzeit der Wittstocker
Jugendförderverein “Nanü”. Der Verein werde die Ausschreibung abwarten, so
Vorstandsvorsitzende Sandra Steier. Dann erst soll die Entscheidung fallen,
auf welche Stellen sich der Verein neu bewerben wird. Hintergrund für die
Diskussion um die Vereinsarbeit waren Probleme mit rechtsextremen jungen
Leuten in Wittstock. Auch nach der Gewalttat an zwei Aussiedlern nach einer
Disco Anfang Mai in Alt Daber wurde die Jugendarbeit zum Thema. An den
Folgen der Tat war einer der Aussiedler gestorben, fünf junge Angeklagte
müssen sich deshalb zurzeit vor Gericht dafür verantworten. Die Jugendarbeit
kam in die Kritik. Vom Kreis-Jugendausschuss wurden an der Wittstocker
Arbeit Mängel festgestellt. Die Angebote entsprächen nicht mehr der
“besonderen Situation in der Stadt”, hieß es. So habe sich das Jugendamt
gegenüber dem Förderverein geäußert, sagt Sandra Steier. Der Verein Nanü
kann jedoch zahlreiche Projekte im vergangenen Jahr aufzählen, die sich mit
den Themen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit sowie Integration und
Toleranz beschäftigten. So war der Verein Mitorganisator und Teilnehmer bei
den “Rock gegen Rechts”-Konzerten, bei Toleranzprojekten wie “Die Welle” und
dem “Baff-Projekt”, beim Integrationssportfest und bei einer
Integrationsdisco. Außerdem habe es kontinuierliche Mitarbeit in jedem
Gremium gegeben, das sich mit Integration und dem Thema Fremdenfeindlichkeit
befasst hat, beteuert die Vereinsführung. Schon im Sommer vergangenen Jahres
sei im Jugendhilfeausschuss darüber beraten worden, wie es mit der
Jugendarbeit in Wittstock weiter gehen soll. Der Ausschuss, so dessen
Mitglied Anke Richard, sprach sich damals für eine Sozialraumanalyse
Wittstocks und die Schaffung einer zusätzlichen Stelle für einen
Stadtjugendpfleger aus. Gleichzeitig wurde das Jugendamt vom Ausschuss
beauftragt, die “Zielvereinbarungen” der in Wittstock arbeitenden 610-er-
Stellen der aktuellen Situation entsprechend zu präzisieren. Nun fragt sich
der Nanü-Vorstand, wie es plötzlich zur Stellenausschreibung kommt, anstatt
mit den Trägern die Ziele für Jugendarbeit zu überarbeiten. Eine
Trägervielfalt, so heißt es, soll eine gute Jugendarbeit in der Stadt
garantieren. Der Jugendförderverein leiste seit zehn Jahren gute Jugend- und
Jugendsozialarbeit für Wittstock, sagt der Vorstand. Nun aber bangen fünf
Nanü-Mitarbeiter um ihre Stellung.
Diskussion um die politische Ausrichtung der Schill-Partei auf Mitgliederversammlung in Velten
(MAZ) OBERHAVEL In der Kommission, die das Programm der Schillpartei erarbeitet,
sind nach Aussage von Lothar Friedrich viele Berufsgruppen vertreten:
Polizeibeamte, Ärzte, Landwirtschaftswissenschaftler, Landwirte,
Rechtsanwälte, Handwerker oder Umweltexperten. Zur Mitgliederversammlung am
Mittwoch nach Velten kamen auch Interessenten, unter ihnen ein Pfarrer aus
Falkensee. Er berichtete von seiner politischen Suche über Ost-CDU,
Republikaner, DVU und nun Schill-Partei. Dieser bot er seine Mithilfe am
Programm an. Darin vermisse er Grundaussagen des Neuen Testaments. Lothar
Friedrich hieß ihn herzlich willkommen. Denn es sei das Ziel der
Schill-Partei, den schleichenden Werteverlust in der Gesellschaft
aufzuhalten. Werte wie Fleiß, Ehrlichkeit, Offenheit halte man hoch und
diese Werte seien ja auch die Botschaft des Herrn. In der Diskussion ging es
dann darum, ob die Schill-Partei eine rechte Partei sei. Sie habe rechte
Elemente, so ein Parteimitglied, aber im Sinne von rechtsstaatlich . “Wir
sind keine rechtsextreme Partei, wir wenden uns den zentralen Themen zu, die
die Menschen bewegen”, betonte Friedrich. Auf eine Position zum Irak-Krieg
wollten sich die Teilnehmer nicht einigen. Die Informationslage sei ihnen zu
dürftig, meinten sie.
Alle fünf Angeklagten im Prozess umd den Tod des Russlanddeutschen Kajrat Batesov sind normal intelligente junge Männer ohne Entwicklungsdefizite. Dies befand Schaverständiger Dr. Mathias Lammel in den psychiatrischen Gutachten, welche zur Beurteilung der Verantwortung- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten beitragen sollen. Eine verminderte Schuldfähigkeit könne nur in Zusammenhang mit den unterschiedlich ausgeprägten Rauschzuständen gesehen werden, welche teils durch durch Alkohol und teils durch den Konsum von Drogen verursacht worden weien, so Lammel.
Zum Beschuldigten Mike S., der sich nach eigenen Angaben nicht an den Tathergang erinnern kann, bei welchem Batesov durch zahlreiche Tritte und einem Steinwurf zu Tode kam und sein Freund Max K. verletzt wurde, sagte Lammel: “Hier habe ich keine Zweifel an einem Vollrauschzustand.” Auch bei Marko F., der als derjenige gilt, der den Stein auf den Getöteten warf, schließt der Sachverständige eine verminderte Steuerungsfähigkeit aufgrunbd von Alkohol- und Kokainkonsum nicht aus. Das Lammel bei Patrick S. keine konkreten Anhaltspunkte für eine verminderte Steuerungsfähigkeit fand — obwohl dieser auch wie Marko F. ein ähnlich abweichendes Verhalten am Tatabend gezeigt habe — veranlasste Verteidiger Georg Unnebrink, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Das Gericht wird am Freitag darüber entscheiden.
Bei den Angeklagten Ralf A. und Michael H., die sich selbst in der Tatnacht als angetrunken beschrieben, könne der Alkoholkonsum lediglich als begünstigender Faktor in das Urteil mit einfließen, so Lammel.
Die Berichte der Jugendgerichtshilfe für die Angeklagten Mike S. und Marko F., die zum Zeitpunkt noch unter 21 Jahre alt waren, zielten darauf ab, für die Angeklagten das Jugendstrafrecht walten zu lassen. Dies jedoch stünde nicht mit dem psychiatrischen Gutachten im Einklag, gaben sowohl Lammel als auch Richterin Gisela Thaeren-Daig zu bedenken.
Das Behördengutachten des Landeskriminalamtes scheint keine konkreten Hinweise über die Tatbeteiligung zu bringen: So wurden keine Blutspuren der beiden Aussiedler an der Kleidung der Beschuldigten gefunden. Auch Faserspuren konnten nicht eindeutig zugeordnet werden.
Erneut geladen waren der Zeuge Stefan W., der am vierten Verhandlungstag wegen Falschaussage verhaftet, aber wieder auf freien Fuss gesetzt worden war. Er verweigerte die Aussage.
Weitere Zeugenaussagen brachten — wie auch die Vernehmung von bisher mehr als 40 Zeugen — wenig Licht in die Tatnacht, wo sich niemand an den Steinwurf erinnern mag. “Aufgefallen sind sie, die Aussiedler”, so eine Discobesucherin. “Und jemand sagte: Da sind ein paar Russen.”
Gericht verfügt Abschiebeschutz
POTSDAM Das Verwaltungsgericht Potsdam hat dem alleinerziehenden
vietnamesischen Vater, der sich bis Mitte Januar im Schwantener
Kirchenasyl
aufhielt, vorläufig Abschiebeschutz gewährt. Auf Grund einer
Stellungnahme
des UN-Flüchtlingshilfswerks könne nicht mit hinreichender Sicherheit
ausgeschlossen werden, dass der 48-jährige Asylbewerber wegen seines
exilpolitischen Engagements bei einer Rückkehr in sein Heimatland
ernsthaft
gefährdet sei, teilte das Gericht am Mittwoch mit und gab damit einem
Eilantrag von Xuan Khang Ha statt. Dieser darf nun bis zu einer
endgültigen
Entscheidung über seinen erneuten Asylantrag nicht abgeschoben werden.
Anfang Januar hatte die geplante Abschiebung des alleinerziehenden
Vaters
und seines fünfjährigen Sohnes zu einem schweren Konflikt zwischen der
evangelischen Kirche und der Landesregierung geführt. Ha war seit
Anfang
November von der Kirchengemeinde Schwante bei Oranienburg Kirchenasyl
gewährt worden. Am Tag vor der geplanten Abschiebung am 7. Januar
durchsuchten dann Polizeibeamte das dortige Pfarr- und Gemeindehaus,
ohne
die Vietnamesen in Gewahrsam nehmen zu können. Innenminister Jörg
Schönbohm
(CDU) betonte am Mittwoch im Landtag, dass Kirchen kein rechtsfreier
Raum
seien.
Soko Rex klärt Überfälle auf
Die Sonderkommission “Rechtsextremismus” (Soko Rex) hat drei Überfälle
auf
Ausländer der vergangenen vier Wochen in Kamenz aufgeklärt. Gegen den
19-jährigen Haupttäter wurde Haftbefehl wegen Körperverletzung
erlassen. Es
werde gegen sieben Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren ermittelt. Die
Ermittler gehen von rechtsextremistischem Hintergrund und Ausländerhass
als
Motiv aus, sagte ein Sprecher der Behörde.
Brandenburgs Innenminister präsentiert korrigierte Zahlen über rechte
Straftaten. Der Trend: nach wie vor steigend. Verein Opferperspektive
fordert, Initiativen gegen rechts nicht alleine zu lassen
Es war kein schöner Tag für Jörg Schönbohm: Gestern präsentierte
Brandenburgs CDU-Innenminister die Jahresstatistik 2002 für politisch
motivierte Straftaten in Brandenburg. Einen Anstieg von über 8 Prozent
verzeichneten die Behörden bei der Anzahl der Delikte mit rechtem
Hintergrund — insgesamt waren es 983. Die meisten seien dem
Propagandabereich zuzuordnen, so Schönbohm. Lediglich im Bereich der
Gewalttaten meint der Innenminister einen Rückgang zu erkennen. Die
Sicherheitsbehörden meldeten im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang
rechter
Angriffe um 6 auf 81. “Der gewaltbereite Rechtsextremismus ist
weiterhin die
gesellschaftliche Herausforderung Nummer eins”, so Schönbohm.
Dabei scheint gerade im Bereich rassistisch und rechtsextrem
motivierter
Gewalttaten eine endgültige Bewertung noch gar nicht möglich.
Beispielsweise
taucht der Mord an Marinus Sch. in Potzlow bislang nicht in Schönbohms
Statistik auf. Die drei mutmaßlichen Täter — allesamt als Mitglieder
der
rechten Szene gerichtsbekannt — hatten bei ihren Vernehmungen
angegeben,
dass Marinus Sch. sterben musste, weil ihnen die HipHopper-Hose des
16-Jährigen nicht gepasst habe. Auch der mutmaßlich rassistisch
motivierte
Mord an dem Russlanddeutschen Kajrat B. in Wittstock wird bislang nicht
in
der Statistik registriert. In beiden Fällen würden die politischen
Hintergründe noch geprüft, erklärte Schönbohm.
Dass das Brandenburger Innenministerium überhaupt 81 rechtsextreme
Gewalttaten in seiner offiziellen Statistik erfasst, liegt unter
anderem an
dem Verein “Opferperspektive”. Der Verein hatte zu Jahresbeginn eine
eigene
Statistik veröffentlicht und 106 rechtsextrem motivierte Gewalttaten
für das
Jahr 2002 aufgelistet. 8 Vorfälle auf dieser Liste, die nach
Polizeiangaben
nicht angezeigt worden waren, sind nun auch in die offizielle Statistik
aufgenommen worden. 9 weitere Fälle würden derzeit noch überprüft,
heißt es
im Ministerium.
“Es gibt keinen Grund zur Entwarnung”, sagte Kay Wendel von der
Opferperspektive. Eine Zunahme rechter Gewalt registriere der Verein
derzeit
in Potsdam, wo Asylsuchende mehrfach Opfer rechter Gewalt wurden.
Besorgniserregend seien auch die zunehmenden Angriffe auf alternative
Jugendliche in Cottbus, Vetschau und Guben. “Angesichts der offiziellen
Statistiken ist es fahrlässig, wenn jetzt das Civitas-Bundesprogramm
gegen
rechts zurückgefahren werden soll”, so Wendel.
Potsdam — Die Bekämpfung des Rechtsextremismus im Land Brandenburg
bleibt
nach Ansicht von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) die
gesamtgesellschaftliche Herausforderung Nummer 1. Wenngleich die Anzahl
der
rechtsextrem motivierten Gewaltdelikte um 6,9 Prozent von 87 im Jahr
2001
auf 81 im vergangenen Jahr sank, stieg insgesamt die rechtsmotivierte
Kriminalität um 8,4 Prozent von 907 auf 983 Fälle — einschließlich so
genannter Propagandadelikte wie z. B. Hakenkreuzschmierereien. Diese
werden
erst seit 2002 in die Statistik «politisch motivierte Kriminalität von
rechts» aufgenommen.
Von den 81 Gewaltdelikten waren 52 fremdenfeindlich und vier
antisemitisch
motiviert. Die Aufklärungsquote rechter Gewaltdelikte lag bei 72
Prozent,
die der von rechts motivierten Straftaten insgesamt bei 46 Prozent. Da
die
Polizei mit ihren repressiven Maßnahmen «am Anschlag» angelangt sei,
werde
jetzt verstärkt auf die Verzahnung von Repression und Prävention
gesetzt,
sagte Schönbohm gestern.
So könne mit Einführung der Polizeistrukturreform im vergangenen Sommer
die
Arbeit der Mobilen Einsatzeinheit gegen Gewalt und
Ausländerfeindlichkeit
(Mega) und der Tomeg (Täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische
Gewalt) statt bisher zentral von den Polizeipräsidien effizienter von
den
einzelnen Schutzbereichen wahrgenommen und verzahnt werden. Überdies
soll
die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Polizei, insbesondere über
Patenschaften verstärkt werden, denn zwei Drittel der bekannten Täter
seien
zwischen 14 und 21 Jahren alt und vornehmlich Schüler und
Auszubildende. Von
dem derzeit laufenden Modellprojekt Konfliktmanagement für Polizei,
Lehrer
und Sozialarbeiter in der Uckermark erhofft sich Schönbohm Impulse auch
für
andere Landkreise.
Im Vergleich zur Anzahl rechtsextremer Straftaten ist die Zahl
linksmotivierter Delikte mit 78 Fällen (Aufklärungsquote 41 Prozent),
davon
22 Gewaltstraftaten, im vergangenen Jahr gering. Drei Fälle politisch
motivierter Ausländerkriminalität registriert die Statistik. Dennoch
dürfe
vor allem der islamistisch motivierte Terrorismus nicht außer Acht
gelassen
werden, so Schönbohm.
81 Fälle rechtsextremer Gewalt
Innenminister Jörg Schönbohm warnt vor politisch motivierter Kriminalität
POTSDAM Brandenburg bekommt die rechtsextreme Gewalt nicht in den
Griff.
Mindestens 81 Fälle registrierte die Polizei im vergangenen Jahr — fast
genauso viel wie in den Jahren zuvor, als 87 (2001) und 86 (2000)
solcher
Straftaten registriert wurden. Von den 81 Fällen hatten 52 einen
fremdenfeinlichen und vier einen antisemitischen Hintergrund. Der
gewaltbereite Rechtsextremismus bleibe “die gesamtgesellschaftliche
Herausforderung Nummer 1 in Brandenburg”, räumte Innenminister Jörg
Schönbohm (CDU) am Dienstag in Potsdam ein. Die Zahl links motivierter
Gewalttaten stieg nach Angaben des Innenministers von 21 auf 22.
Einheitliche Zählweise
Insgesamt verzeichnete die Polizei im Vorjahr 983 rechtsextreme
Straftaten,
die Aufklärungsquote lag bei 46 Prozent. Im Jahr zuvor wurden noch 907
Straftaten erfasst. Die Zunahme führte Schönbohm vor allem auf den
hohen
Anteil von Propagandadelikten zurück, die nach einer inzwischen
bundesweit
einheitlichen Zählweise erfasst würden.
Die Zählweise lässt trotz fester Vorgaben einigen Ermessensspielraum:
Während ein Hakenkreuz, das in die Toilettentür einer Grundschule
geritzt
wurde, in der Regel als Staatsschutzdelikt “ohne explizite politische
Motivation” in die Statistik eingeht, wird das an eine Autobahnbrücke
gemalte Hakenkreuz als rechte Straftat gewertet. Erfasst muss
jedenfalls
alles werden. Und so registriert der Innenminister, der der Zählweise
eigentlich skeptisch gegenübersteht, zufrieden den Rückgang der
politisch
motivierten Kriminalität von 2 062 Fällen im Jahr 2001 auf 1 530. In
die
Statistik aufgenommen wurden dabei bereits acht Straftaten von rechts,
von
denen die Polizei erst durch den Verein Opferperspektive erfuhr. Neun
weitere Straftaten, auf die der Verein außerdem aufmerksam machte,
würden
noch überprüft.
Rechtsextreme Gewalttaten sind nach den Worten Schönbohms meist durch
“dumpfen Fremdenhass” geprägt. Täter und Tatverdächtige seien
überwiegend
Schüler und Auszubildenden zwischen 14 und 18 Jahren. Als Beispiele
nannte
Schönbohm unter anderem zwei Mordversuche an einer italienischen
Familie und
einem Mosambikaner. Eine fest gefügte rechte Szene gibt es nach
Erkenntnissen des Landeskriminalamtes aber nach wie vor nicht.
Schönbohm forderte mehr Anstrengungen bei der Prävention politisch
motivierter Gewalttaten. “Wir sind mit unseren repressiven Maßnahmen am
Anschlag”, beklagte der Innenminister. Die Polizei könne mit ihren
Mitteln
zwar zur Zurückdrängung “dieses Phänomens” beitragen. Sie könne aber
nicht
gesellschaftliche Fehlentwicklungen bes
eitigen, wie sie in der
Gewaltbereitschaft von Jugendlichen und der “Nichtanerkennung von
Eigentum”
zum Ausdruck komme. Hier stünden Eltern und Schule in der Pflicht.
Immerhin hat sich nach dem Eindruck Schönbohms die Zusammenarbeit von
Schulen mit der Polizei verbessert. Bundesweit einzigartig sei ein
Weiterbildungsprojekt in der Uckermark, bei dem Lehrer, Polizisten und
Sozialarbeiter in einer Kooperation von Landespräventionsrat und der
Fachhochschule Potsdam geschult werden. Allerdings müssten an manchen
Bildungseinrichtungen noch Berührungsängste überwunden werden.
Die politisch motivierte Kriminalität soll in Brandenburg künftig durch
mehr
“Flexibilität vor Ort” bekämpft werden. Die Bedingungen dafür sieht der
Minister durch die im Juli 2002 vollzogene Polizeireform gegeben.
“Polizeipräsidien und Schutzbereiche haben jetzt mehr Kompetenzen.”
Die Statistik der rechtsextremen Gewalttaten ist möglicherweise noch
nicht
vollständig. Denn nicht berücksichtigt wurden zwei der schlimmsten
Verbrechen des Vorjahres in Brandenburg — die Tötung eines
Spätaussiedlers
im Mai 2002 vor einer Diskothek in Wittstock und der Mord an einen
16-jährigen Jungen im Juli in der Uckermark. Ob in beiden Fällen
Rechtsextremismus eine Rolle spielte, wie Begleitumstände nahe legen,
sollen
erst die Gerichte klären.
Potsdam (ddp-lbg). Einen garantierten Schutz von Kirchenräumen vor polizeilicher Durchsuchung kann es laut Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) nicht geben. Es handele sich nicht um rechtsfreie Räume, unterstrich
der
Minister am Mittwoch im Landtag. «Wenn eine Staatsanwaltschaft im
Rahmen der
bestehenden Gesetze zur Überzeugung kommt, dass Räume durchsucht werden
müssen, dann wird sie das veranlassen», betonte der Minister.
Zuvor hatte Schönbohm gesagt, dass die kirchliche Obhut im Rahmen der
Gesetze «zu respektieren» sei, wenn sie dazu diene, einen Fall noch
einmal
zu überprüfen. Wenn jedoch rechtsgültige Gerichtsurteile vorliegen,
«dann
sind die Behörden gehalten das zu vollziehen». Andernfalls würde der
Tatbestand des illegalen Aufenthalts und der Hilfe zur Beihilfe
vorliegen.
«Diejenigen, die das Asylrecht missbrauchen, haben Deutschland zu
verlassen».
LUDWIGSFELDE Drei von den vier fristlos entlassenen Mitarbeitern der
Stadtverwaltung Ludwigsfelde werden weiter beschäftigt. Das steht jetzt
nach
Entscheidungen des Arbeitsgerichts fest. In Ludwigsfelde war vier
Angestellten aus verschiedenen Bereichen gekündigt worden, weil über
ihre
Computer rechtsextreme beziehungsweise sexistische E‑Mails gelaufen
waren.
Aus denselben Gründen sind gegen zwei Beamte disziplinarische Maßnahmen
angestrengt worden. Ein Verfahren läuft noch, eins ist inzwischen
abgeschlossen worden. Die weiter beschäftigten Angestellten haben nach
Entscheidung des Arbeitsgerichtes in zwei Fällen eine Abmahnung
erhalten, in
einem Fall muss ein Bußgeld gezahlt werden. Zu diesen “rein
disziplinarischen Entscheidungen”, wie es im November zu der
Angelegenheit
aus der Stadtverwaltung hieß, werde es keine Stellungnahme geben, sagte
Bürgermeister Heinrich Scholl auf MAZ-Nachfrage; das seien hausinterne
Personalangelegenheiten.
POTSDAM — Auf den ersten Blick wirkt das Blättchen über den “Bankrott
des
Gesundheitssystems” harmlos. Aber schon ein paar Zeilen Text zeigen,
wes
Geistes Kind die Verfasser sind: “Ausländische Gesundheitstouristen,
Strafgefangene, Asylbewerber und Sozialhilfeempfänger” werden für
diesen
“Bankrott” verantwortlich gemacht. Vor vierzehn Tagen waren die Zettel
der
“Unabhängigen Nachrichten” ausgerechnet in der Mensa der Universität
Potsdam
Am Neuen Palais aufgetaucht. Die hiesige Uni: ein heimlicher Hort
rechter
Umtriebe? “Wir haben niemanden beim Verteilen der Blätter erwischt”,
sagt
Asta-Vorstandsmitglied Tamás Blénessy. Die Verteiler hatten zwar wohl
Ortskenntnisse. Eine studentische Beteiligung ist damit jedoch nicht
bewiesen. Allerdings auch nicht ausgeschlossen. Denn Hochschulen sind
nicht
per se frei von braunen Flecken. Der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey hat
ein
Jurastudium absolviert, in München bot die Burschenschaft Danubia
gewalttätigen Skinheads Zuflucht und die Berliner Zeitung “Junge
Freiheit”,
die sich gerne unabhängig gibt und ihre Autoren auch aus dem
akademischen
Umfeld rekrutiert, schiebt immer wieder rechtes Gedankengut ins Blatt.
Innenministerium gibt Entwarnung
Keinen Grund zur Beunruhigung sieht das brandenburgische
Innenministerium.
Dessen Sprecher Heiko Homburg stellt zu den Flugblättern klar: Die
rechtsextremistische Publikation “Unabhängige Nachrichten” werde in
großer
Zahl außerhalb Brandenburgs hergestellt. “Bisher gibt es keine
Hinweise,
dass sie von Studenten vertrieben werden.” Rechtsextremistische
Strukturen
seien an brandenburgischen Hochschulen bisher nicht festgestellt
worden;
auch keine Versuche, solche aufzubauen. “Sollte es irgendwann
Bemühungen
geben, rechtsextremistische Strukturen an brandenburgischen Hochschulen
zu
formieren, so würden diese unmittelbar auf dem Radarschirm unserer
Sicherheitsbehörden sichtbar”, versichert Homburg. Dementsprechend
werden an
der Universität Potsdam die Flugblätter auch nicht als Beleg für einen
Rechtsruck gewertet. Asta-Hochschulreferent Blénessy schätzt trotz
gelegentlicher Hakenkreuzschmierereien oder gar geschriebene “Sieg
Heil”-Rufe auf Toiletten die Verbreitung rechter Gesinnungen unter
Potsdams
Studierendenschaft eher unterdurchschnittlich ein: “Wir haben hier fast
gar
keine Erfahrung mit Burschenschaften, die der rechten Ecke zuzuordnen
wären.” Die letzten Wahlen hätten viel mehr die Stärke linker
Gruppierungen
belegt. “Zumindest mit Rechtsextremismus haben wir hier kein Problem”,
lautet Blénessys Fazit. Immerhin wurde der Potsdamer Ring Christlich
Demokratischer Studenten (RCDS) auf die Tätigkeit seines
Vorstandsmitglieds
Steffen Königer als Autor der “Jungen Freiheit” angesprochen. “Wir
wissen
nicht, warum er das macht”, sagt Potsdams RCDS-Vorsitzender
Hans-Wilhelm
Dünn. Königer sei ein umgänglicher Mensch, und beim RCDS bisher nicht
durch
rechte Äußerungen aufgefallen: “Sollte das vorkommen, dann wären wir
die
ersten, die sich von ihm trennen müssten”, verspricht der RCDS-Chef.
Dass es
indes an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus
rechtsorientierte Studenten geben könnte, schließt der
hochschulpolitische
Referent des dortigen Studierendenrats, Ingmar Lippert, nicht aus:
“Aber auf
jeden Fall sind solche Gruppierungen bisher nicht in nennenswertem
Umfang
hervorgetreten.” Weder habe es Broschüren noch Aktionen gegeben. Von
rechten
Bestrebungen ist auch dem Referenten für Hochschulpolitik vom Asta der
Frankfurter Viadrina “zum Glück bisher nichts zu Ohren gekommen”. Das
Frankfurter Studentenparlament sei “eher gemischt”, erklärt Hieronim
Rzeppa.
Auch andere extreme Gruppen seien “hier nicht das Problem”. Von
einzelnen
deftigen linken Plakatanschlägen abgesehen, könne man sagen, “dass
extreme
Gruppen hier nicht existent sind”, so Rzeppa. Dass Brandenburgs
Universitäten bisher “clean” geblieben sind, führt der Sprecher des
Innenministers auf deren Aufgabe zurück: “Die Universitäten sind Orte
der
Vernunft und der Bildung”, sagt Homburg. “Im Vergleich zum
Linksextremismus
hat der Rechtsextremismus aber einen viel geringeren
Intellektualisierungsgrad. Das gilt umso mehr für den gewaltbereiten
Rechtsextremismus.” Das sieht auch das Bundesamt für Verfassungsschutz
so.
Im Bericht von 2001 dokumentiert es unter anderem vergebliche Versuche
rechtsintellektueller Kreise qua Kampagnen an kulturellem Boden zu
gewinnen.
Doch Blätter wie “DESG-Inform” oder “Synergon Forum” waren regelmäßig
nach
den ersten Auflagen wieder eingegangen. Selbst der NPD- “Vordenker”
Jürgen
Schwab beklagt die geistige Lethargie seiner Gesinnungsgenossen. “Zur
Zeit
macht der Rechtsextremismus eine Schwächephase durch, in der es ihm
nicht
gelingt, in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einzudringen”, folgert
Guido Selzner, Sprecher beim Verfassungsschutz. Das schließe aber nicht
aus,
dass rechtes Denken auch bei Intellektuellen irgendwann wieder mächtig
werden könnte.
Keine Inseln der Seligen
Doch selbst wenn Rechte auf dem Campus keine Chance haben, heißt das
längst
nicht, dass Hochschulen in jeder Hinsicht Inseln der Seligen wären. So
hat
erst jetzt der Präsident der Technischen Universität (TU) Berlin, Kurt
Kutzler, der Vereinigung “Aqida” den Status einer an der TU
registrierten
Vereinigung entzogen, weil sie der gerade verbotenen islamistischen
Gruppe
“Hizb ut-Tahrir” erlaubt hatte, ihre Forderungen in den Räumen des
Studentenwerks Berlin darzustellen. Und in Brandenburgs
Innenministerium
schaut man durchaus besorgt auf islamistische Strukturansätze im Umfeld
der
BTU.