NEURUPPIN. Rund zehn als Anhänger der rassistischen Organisation Ku-Klux-Klan (KKK) verkleidete Jugendliche sind am Freitagabend durch den Neuruppiner Stadtteil Treskow gezogen. Nach Informationen der linken Internetseite inforiot zogen die Jugendlichen zu Halloween mit einer KKK-Fahne und einem Holzkreuz von Haus zu Haus und verlangten Süßigkeiten. Andernfalls drohten sie, brennende Holzkreuze in die Vorgärten zu stellen. Die Polizei in Neuruppin bestätigte am Montag den Vorfall. Es seien die Personalien von acht Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren festgestellt und Platzverweise ausgesprochen worden, sagte Polizeisprecherin Beatrix Kühn. Derzeit werde geprüft, ob die Jugendlichen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Rechenschaft gezogen werden können. (kbi.)
Jahr: 2003
Antifa-Gedenken in Halbe verboten
(„Initiative gegen Heldengedenken in Halbe”, Pressemitteilung 3.11.) Das zuständige Ordnungsamt des Landes Schenkenländchen hat die geplante Mahn- und Gedenkveranstaltung zu Ehren der ukrainischen Zwangsarbeiterlnnen am 15. November 2003 auf dem Waldfriedhof in Halbe verboten.
In der Begründung heißt es, die Veranstaltung zum Gedenken an die ZwangsarbeiterInnen sei eine politische Veranstaltung und somit „nicht mit dem Ziel und Zweck des Friedhofs vereinbar, im Gegenteil, sie laufe diesem geradezu zuwider”.
Die Existenz von Gräbern ukrainischer ZwangsarbeiterInnen auf dem Waldfriedhof in Halbe ist das Ergebnis von Politik, und zwar deutscher Politik während der NS-Zeit. Und somit muss das Gedenken an die Opfer des deutschen Faschismus zwangsläufig politisch sein.
Den Hinweis in der Ablehnungsbegründung des Ordnungsamts „… Weitere Besucher des Friedhofs wären an diesem Tag durch diese Veranstaltung in ihrer Trauer und in ihrem stillen Gedenken an die Toten gestört …“, halten wir für sehr makaber, da sich gerade Alt- und Neonazis für diesen Tag als Besucher ankündigen, um die gefallenen SS-Divisionen, die bei der Kesselschlacht von Halbe umgekommen sind, zu ehren.
Alt- und Neonazis wollen am 15. November an das nationalsozialistische „Heldengedenken” zwischen 1933 bis 1945 anknüpfen. Neben den 57 als Deserteure verurteilte und hingerichtete Soldaten und ukrainische ZwangsarbeiterInnen, die während des Krieges in den umliegenden Gemeinden und Firmen ausgebeutet wurden und an den Folgen von Hunger und Entkräftung starben liegen auf dem Friedhof hauptsächlich im Krieg gefallene deutsche Wehrmachtsoldaten.
Zu dem geplanten Aufmarsch und Heldengedenken rufen einschlägige rechtsterroristische Gruppierungen aus dem Kameradschaftsspektrum der Freien Nationalisten sowie der „Freundeskreis Halbe e. V.” und das „Ehrenkomitee 8. Mai” unter dem Motto „Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten“ auf. Mit dieser revisionistische Parole verherrlichen sie eindeutig die Verbrechen der Wehrmacht und des Nationalsozialismus.
Ein Bündnis von Antifaschistischen Gruppen aus Berlin/Brandenburg und VVN-BdA Berlin rufen zur massenhaften Beteiligung an den antifaschistischen Gegenveranstaltungen in Halbe am 15.11.2003 ab 11°° Uhr am Waldfriedhof Halbe und zur Mahn- und Gedenkveranstaltung zu Ehren der ukrainischen ZwangsarbeiterInnen ab 12°° Uhr auf dem Waldfriedhof auf.
Es ist eine Brüskierung der Opfer, wenn auf dem Friedhof in Halbe Neonazis im Angesicht der
Gräber der Opfer ein „Heldengedenken” für die deutschen Täter durchführen wollen. Dies gilt es am
15.11.2003 zu verhindern. Die größte Ehrung der Opfer des deutschen Faschismus ist die
Bekämpfung von Neonazis und deren Aufmärsche.
Weitere Informationen unter:
Mehr Infos auf der Inforiot-Sonderseite und unter www.redhalbe.de.vu.
Am Abend des 31. Oktober zogen ca. 10 als KuKluxKlan- Anhänger verkleidete Glatzen durch den Neuruppiner Ortsteil Treskow ( Vorort- Siedlung). Mit KKK- Fahne und Holzkreuz bewaffnet zogen die Nachwuchsnazis von Haus zu Haus und verlangten nach Süßigkeiten. Wer nichts geben wollte, bekam die Drohung dann später ein brennendes Holzkreuz im Vorgarten zu finden.
Ca. zwei Stunden konnten sie ungestört durch den besagten Ortsteil ziehen, bevor sie sich vermutlich zum Weiterfeiern in eine Bungalow- Siedlung zurückzogen.
Ebenso widerliche Dinge spielten sich in der selben Nacht am Bollwerk ( seit langem beliebter Nazitreffpunkt am Ruppiner See/ Nähe Innenstadt) ab. Mehrere Betrunken „Volkshelden“ standen am dortigen Spielplatz. Scheinbar war die Gruppe dabei sich aufzulösen, als in militärischem Ton „ Stillgestanden! Und Abtreten mit eine Sieg Heil…“ gebrüllt wurde. Daraufhin riefen mehrere Personen lautstark ein paar Mal hintereinander „Sieg Heil“ und zeigten den Hitlergruß.
Erst als Mensch aufforderte das Maul zu halten und androhte die Polizei zu rufen, liefen sie eiligst davon.
Passanten die sich ebenfalls am Bollwerk aufhielten, reagierten darauf gar nicht.
Bei beiden Vorfällen handelte es sich um 14- 17-jährige Jugendliche mit diversen äußerlich erkennbaren Nazi- Symbolen („White- Power“- Aufnäher, Fascho- Skinhead- Outfit).
Haltet die Augen offen! Verhindert faschistische und rassistische Übergriffe!!!
Kein Fußbreit den Faschisten!!! Schlagt zu wo ihr sie trefft!!!
Auch vor deiner Haustür!
(LR, 01.11.) Die seit Jahren in Deutschland lebende Familie Cikaj aus dem Kosovo wird am
5. November definitiv nach Pristina abgeschoben. Das hat die
Ausländerbehörde des Landkreises Spree-Neiße der im Forster Asylbewerberheim
untergebrachten Familie am Donnerstag mitgeteilt. Der Termin war seit
September mehrfach verschoben worden. Cikajs müssen nun zurück in ein Land,
das die Kinder kaum kennen.
Vater Iljaz Cikaj (42) floh vor zehn Jahren vor dem Krieg auf dem Balkan.
Drei Jahre später folgten ihm Ehefrau Dusha (40) mit ihren damals drei
Kindern Jeton (18), Mirlinda (14) und Rexh (10) nach Berlin. In der
Hauptstadt kam Jetmir (6) zur Welt. Seit gut zwei Jahren lebt die
sechsköpfige Familie in Forst. Die drei jüngeren Kinder besuchen die Schule.
Der 18-Jährige hat in diesem Jahr die 10. Klasse abgeschlossen.
«Zur Ausreise ab Berlin-Schönefeld» habe sich die Familie am 5. November um
7 Uhr «mit Reisegepäck» in der Ausländerbehörde einzufinden, wurde Cikajs
vorgestern erklärt. Ein Dienstfahrzeug des Landkreises werde sie zum
Flughafen bringen.
«Wir können es nicht fassen» , ringt der älteste Sohn nach Worten. Doch er
weiß: «Alle rechtlichen Mittel sind ausgeschöpft.» Das Verwaltungsgericht
sieht keinen Anspruch auf Duldung der Familie in Deutschland. Auch ein neues
psychologisches Gutachten änderte nichts an der Auffassung des Gerichts.
«Für uns ist das eine Katastrophe» , sagt Jeton Cikaj. «Das ist wie ein
plötzlicher Tod in der Familie, den keiner begreifen kann.» Weder seine
Freunde und Sportkameraden im Forster Fußballverein noch die Mitschüler
seiner Geschwister würden die Entscheidung verstehen. Wenn Jeton mit seinen
Eltern und Geschwistern nächsten Mittwoch in Pristina landen wird, «dann
stehen wir vor dem Nichts» , fürchtet der 18-Jährige. «Wir wissen nicht,
wohin es ab Pristina geht, ob wir eine Unterkunft erhalten.» Dies sei mit
Blick auf den nahenden Winter besonders erschütternd. Die Familie habe auch
nicht das nötige Geld für einen Neuanfang. «In Forst lebten wir von
Gutscheinen.» Und dass er im Kosovo arbeiten gehen kann, glaubt der junge
Mann auch nicht. «Die Arbeitslosigkeit ist dort sehr hoch.»
«Unsere Kinder kennen ihren Geburtsort nicht. Für sie ist Forst der zweite
Geburtsort» , sagt Vater Iljaz. «Meine Heimat ist hier» , ergänzt die
14-jährige Realschülerin (Durchschnitt 2,3) Mirlinda.
«Ich muss es erst einmal verdauen» , meint auch Heimleiter Andreas Halla.
«Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Abschiebung so schnell vollzogen
wird.» Er müsse die Entscheidung jedoch akzeptieren, wenngleich es «von der
menschlichen Seite» nicht nachvollziehbar sei. Die Dramatik bestehe darin,
dass die Familie im Kosovo kaum eine Grundlage für den Aufbau einer Existenz
habe, so Halla. Die hier angewandte «besonders große Härte» stelle im
Vergleich zu anderen Familien eine «ungerechtfertigte Behandlung» dar.
Ursprünglich sollten Cikajs schon vor einem Jahr abgeschoben werden, nachdem
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag
abgelehnt hatte. Sie konnten zunächst bleiben, um dem ältesten Sohn den
Schulabschluss zu ermöglichen. Seit August 2003 erhielten Cikajs insgesamt
viermal eine kurzfristige Verlängerung ihrer «Grenzübertrittsbescheinigung»
. Auch diesmal suchen sie «krampfhaft nach einem Ausweg» , so Heimleiter
Halla. «Aber den wird es wohl nicht geben.»
Der Feind wird gemacht
Im Prozess um die Ermordung von Marinus Schöberl in Potzlow sind die Urteile gesprochen. Die Täter sind »ganz normale« Rechtsextremisten.
(Jungle World, 45/2003, Jens Thomas) Sebastian F. hat gut lachen. Mit einer Plastiktüte in der einen Hand und einer Zigarette in der anderen verlässt er grinsend den Gerichtssaal. Der 18jährige muss wegen seiner Beteiligung an der Ermordung des 16jährigen Marinus Schöberl im vergangenen Jahr im brandenburgischen Potzlow nur für zwei Jahre nach dem Jugendstrafrecht hinter Gitter, die Haft kann er später antreten. Das Gericht wirft ihm lediglich »gefährliche Körperverletzung« und »Nötigung« vor.
Seinen Mittätern dagegen ist das Lachen vergangen. Regungslos nahmen Marcel S. und sein Bruder Marco S. ihre Urteile entgegen. Der Hauptangeklagte Marcel S., wie Sebastian F. heute 18 Jahre alt und zum Tatzeitpunkt noch minderjährig, wird für acht Jahre und sechs Monate wegen »Mordes« und »schwerer Körperverletzung« in Haft müssen, sein 24jähriger Bruder Marco S. wegen »versuchten Mordes« und »schwerer Körperverletzung« für 15 Jahre.
Die Urteile im Potzlow-Prozess sind am vergangenen Freitag vor dem Landgericht Neuruppin verhängt worden. Bis zu dem Mord war das kleine Dorf Potzlow in der Uckermark ein unbekannter Fleck auf der Landkarte. Das änderte sich, als Marinus Schöberl tot in einer Jauchegrube aufgefunden wurde. In der Nacht zum 13. Juli 2002 brachten die drei nun verurteilten jungen Männer den 16jährigen auf bestialische Weise um. Sie schlugen ihn, sie urinierten auf ihn, und sie zwangen den Jungen, sich als Juden zu bezeichnen. Marcel S. sprang ihm beim »Bordsteinkick« auf den Kopf und warf anschließend zweimal einen Stein auf den Schwerverletzten, bis er tot war.
Im Mai dieses Jahres begann der Prozess gegen die drei Angeklagten. Seitdem versuchten ihre Anwälte stets, das Strafmaß zugunsten der Täter zu mindern. Immer wieder wurde behauptet, die Tat sei nicht politisch motiviert gewesen, von Antisemitismus könne keine Rede sein, Alkohol sei im Spiel gewesen. Der Anwalt des Hauptangeklagten Marcel S. forderte darum maximal acht Jahre, sein Bruder Marco solle mit einer Haft »deutlich unter zehn Jahren« bestraft werden. Sebastian F.s Anwalt wollte gar, dass auf eine Haftstrafe für seinen Mandanten gänzlich verzichtet werde. Stattdessen sollte es lediglich eine »Verurteilung zu Erziehungsmaßnahmen« geben.
Dabei steht fest, dass alle drei Täter Marinus Schöberl als »Juden« beschimpften, ihn als »Untermenschen« und als »nicht lebenswert« verachteten. Denn er stotterte, trug HipHop-Hosen und hatte blondierte Haare. Marco S., der Älteste der drei, war ein stadtbekannter Neonazi, er schlug nur kurze Zeit nach dem Mord einen Mann aus Sierra Leone brutal zusammen. Sebastian F. besaß Nazidevotionalien und rechtsextreme CDs. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Trotzdem soll die Tat in den Augen der Anwälte und auch der meisten Dorfbewohner nicht politisch rechts motiviert gewesen sein. Einer der Anwälte erklärte, Marcel S. habe aus einem »Reflex« gehandelt. Obwohl das Opfer stundenlang gequält wurde. Wie lange soll ein »Reflex« demnach dauern dürfen?
Trotz seiner außergewöhnlichen Grausamkeit ist vieles an dem Mord von Potzlow typisch für das Verhalten rechtsextremer Täter heutzutage. Charakteristisch ist zum Beispiel, dass sie eher als »lose Gesellungen« agieren, wie es der Rechtsextremismusforscher Richard Stöss nennt, mit teilweise diffusen, nicht immer klassisch rechtsextremen Weltbildern. Sie sind kaum noch organisiert, vielmehr handeln sie in gruppendynamischen Prozessen, meist unter Alkoholeinfluss. In über 80 Prozent der rechten Übergriffe spielt Alkohol eine große Rolle, fand der Trierer Soziologe Helmut Willems in einer Studie heraus. Und 90 Prozent der rassistischen Taten werden aufgrund spontaner Entschlüsse begangen; eine ungeplante Situation eskaliert, oder organisierte Rechtsextremisten stiften andere an, ohne dass man sie später als Täter identifizieren kann.
Die Richterin Ria Becher hatte Recht, als sie in der Begründung des Urteilsspruchs sagte, die rechtsextreme Einstellung der Jugendlichen sei ein Tatmotiv gewesen, sie hätten darum aus »niederen Beweggründen« gehandelt. Zu »niederen Beweggründen« zählen ebenso beispielsweise Rachsucht oder Eifersucht.
Der Begriff der »rechtsextremen Tat« ist in jedem Fall irreführend. »Rechtsextremismus« ist ein interner Arbeitsbegriff der Verfassungsschutzämter, kein Rechtsbegriff, und er ist in der Wissenschaft nicht einheitlich definiert. Meist wird er jedoch in Anlehnung an den Verfassungsschutz benutzt, der ihn seit 1974 verwendet.
Dadurch beschränkt sich die Sichtweise meist zu sehr auf den Nachweis der Mitgliedschaft eines Täters in einer rechtsextremen Partei oder Organisation. Ein Verdienst des Bielefelder Erziehungswissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer ist es – trotz aller berechtigter Kritik an seinen Studien –, den Blick auf rechte Täter deutlich erweitert zu haben. Heitmeyer spricht bereits von einer rechtsextremen Orientierung, wenn eine »Ideologie der Ungleichheit, Gewaltakzeptanz und Gewaltanwendung« vorhanden ist.
Der Übergang vom »normalen« Dorfjugendlichen zum Rechtsextremisten ist heute oftmals fließend. Darum ist die Argumentation, insbesondere vieler Potzlower Dorfbewohner, es handle sich bei den Verurteilten doch um ganz normale Jugendliche, nicht außergewöhnlich.
In einem Punkt aber hatten die Anwälte der drei Angeklagten Recht: Die Beweggründe seien nicht auf eine politische Tat zu reduzieren, sondern die Ursachen lägen tiefer. Dagegen ist nichts einzuwenden. Auch bei einer Vergewaltigung oder einem Amoklauf spielen immer mehrere Einflüsse eine Rolle. Das hilft allenfalls, eine Tat zu erklären, entschuldigt aber gar nichts.
Der Mord in Potzlow war einer der grausamsten rechtsextremen Morde seit der Wende. Besonders grausam auch deshalb, weil die Täter sich ihr Opfer gewissermaßen selbst gestalteten. Marinus Schöberl war ein guter Bekannter der Mörder, und wenn die Feindbilder, die von der Gesellschaft mitproduziert werden, fehlen – in Potzlow gibt es so gut wie keine Migranten –, dann schafft man sich eben eigene. Marinus Schöberl wurde das zum Verhängnis.
my Brandenburg — ein Steppenland?
“Brandenburg, Bauen, Fontane …” sind die ersten Keywords, mit denen das Land Brandenburg die Seiten, die sie die offizielle Internetpräsenz des Landes Brandenburg nennen (brandenburg.de), beschreiben. Joachim Kaiser, Seniorkritiker der “Süddeutschen Zeitung”, wählt die Headline “Das ist doch alles Cottbus” für seinen Artikel im Spiegel (14/2001), der über das intellektuelle Niveau der Berliner Republik berichtet. Offensichtlich betrachtet er Cottbus als das Synonym für Provinzialität. Gleichzeitig warnte die AWO Berlin im Jahr 2001 vor Fahrten ins grüne Brandenburg für Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben.
Was ist denn nun eigentlich dieses Brandenburg? Wie sieht es in diesem Land aus? Wie sehen Leute, die hier tagtäglich wohnen, ihren Alltag?
Gemeinsam mit anderen Menschen aus Brandenburg entsteht hier ein Reiseführer, der Brandenburg so vorstellt, wie wir es kennen. Wir, das sind junge engagierte Menschen, die in Brandenburg wohnen oder wohnten, die sich in diesem Land für Gleichberechtigung und Emanzipation, gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen. Gleichzeitig wollen wir keinen abgeschlossenen Reiseführer einer kleinen redaktionellen Gruppe erstellen, sondern diese Seite ist für alle da, die wie wir auch etwas zu diesem Land zu sagen haben. Denn uns geht es nämlich nicht nur um eine — unsere — Sicht auf das Land, sondern um eine Kommunikation über unser alltägliches Leben und das, was uns umgibt.
Uns interessieren hier Sehenswürdigkeiten, die wir für sehenswürdig halten, und die Geschichten, die wir mit ihnen verbinden. Gleichzeitig geht es uns aber auch um den Versuch, über die Entwicklungen, die seit der so genannten Wende in den Städten, in denen wir wohnen, vor sich gegangen sind, zu reflektieren.
My Brandenburg — ein Steppenland?
Vielerorts gab es in diesem Sommer in Brandenburg Empörung, weil erneut das schlechte Image Brandenburgs in den Fokus der Diskussion gerückt wurde: Erst warnten Wissenschaftler, dass das Land in weiten Teilen zu veröden und zu versteppen droht (wegen der Bevölkerungsflucht aus den Randregionen und geringer werdender Niederschläge), und kurz darauf erkennen wiederum andere Wissenschaftler die Gefahr der „Verblödung“ Brandenburgs, wie Prof. Ulf Matthiesen vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Auch uns sind bereits an vielen Orten Phänomene von Verödung, aber vor allem kultureller Versteppung aufgefallen, und so nahmen wir diese Diskussion zum Anlass, um uns zu fragen: Ist Brandenburg bereits ein Steppenland? Mit diesem Reiseführer wollen wir auf die Spur gehen und Versteppungsfaktoren vor Ort ausfindig machen, aber auch den kreativen Potenzialen der Regionen nachspüren und ein Forum bieten.
Dieser Reiseführer wird ein Buch über Land und Leute, über Sehenswürdigkeiten und Sehensunwürdigkeiten, über Orte, die freundlich sind, und jene, an denen man sich lieber nicht blicken lässt. Wir planen zunächst eine Online-Version, aus der später, wenn genügend Material zusammengesammmelt ist, ein Buch entstehen soll.
Eingeladen zur Mitarbeit sind all jene, die Lust haben, anderen ihre Sicht auf ihre Stadt oder Gemeinde oder Region mitzuteilen. All diejenigen, die spannende Geschichten zu berichten haben — egal, ob basierend auf einem historischen oder aktuell politischen Hintergrund oder einfach aus persönlichen Erfahrungen. Mitmachen könnt ihr unter www.mybrandenburg.net — hier könnt ihr einfach nur Eure Eindrücke niederschreiben, aber auch mit uns in Kontakt treten und diskutieren.
Wir interessieren uns bisher vor allem für:
+ eine Kurzbeschreibung deiner Stadt;
+ die Stadtgeschichte/ ‑entwicklung;
+ einen Stadtrundgang und/oder eine Stadtreportage;
+ Sehenswürdigkeiten/ SehensUNwürdigkeiten;
+ alternative Jugendzentren/ ‑projekten;
+ Kulturelles;
+ Restaurants;
+ Übernachtungsmöglichkeiten;
+ Kuriositäten / Anekdoten und
+ lokale Besonderheiten
Mitmachen heisst auch Fotografieren, die Idee des Projektes weitererzählen oder Leute suchen, die Interessantes berichten können. Meldet Euch, wenn ihr Lust habt unter info@djb-ev.de oder macht einfach auf dieser Seite mit. Registriert Euch mit Eurer E‑mail Adresse, und schon könnt Ihr Eure Reisenotizen und ‑eindrücke veröffentlichen.
Proteste gegen “Sozialkahlschlag”
Gewerkschaften und Sozialverbände rufen am Samstag in Berlin zu einer Kundgebung gegen Sozialabbau auf
(RBB) Zu der Demonstration unter dem Motto “Es reicht! Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag” würden mindestens 10 000 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet, sagte Mitorganisator Pedram Shahyar vom Koordinierungskreis “Attac”.
Die Demonstration richte sich vor allem gegen die Gesundheitsreform und die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Berlin rief ihre Mitglieder auf, sich der Demonstration anzuschließen. “Diese Gesellschaft kann und muss sich Solidarität leisten”, betonte der GEW-Landesvorsitzende Ulrich Thöne.
In Brandenburg wollen ab Montag mehrere Kommunen gegen die Finanznot der Städte und Gemeinden protestieren. Sie beteiligen sich damit an der bundesweiten Aktionswoche “Reformen statt Kahlschlag” vom 3. bis 11. November.
In Potsdam wird am Montag um 9.30 Uhr vor dem Stadthaus in der Friedrich-Ebert-Straße eine Protestflagge mit “leerem Stadtsäckel” hochgezogen. Am Freitag ist ein “Tag der geschlossenen Tür” geplant, wo symbolisch für eine Stunde die Dienstleistungen der Kernverwaltung der Stadtverwaltung Potsdam, der Stadt- und Landesbibliothek und der Volkshochschule eingestellt werden.
Der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), Martin Patzelt (CDU), hisst am Montag um 11.00 Uhr vor dem Rathaus eine Protestfahne und gibt damit den Auftakt für eine Kundgebung. Zum Abschluss um “fünf vor Zwölf” wird symbolisch das “leere Frankfurter Stadtsäckel” gehisst.
In Treuenbrietzen wird es am Montag eine Demonstration mit Unterschriftensammlung geben. Mehrere Stadtoberhäupter werden am Mittwoch zur Demonstration der Bürgermeister vor dem Bundesrat in Berlin reisen.
Potzlow: 18-Jähriger bleibt frei
(BM) Neuruppin — Einer der drei verurteilten Peiniger des ermordeten Schülers
Marinus Schöberl bleibt auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft habe ihre
Beschwerde gegen die Aufhebung des Haftbefehls zurückgenommen, sagte gestern
ein Sprecher des Landgerichts Neuruppin.
18-Jähriger bleibt frei
Beschwerde zurückgezogen
(Tagesspiegel) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Beschwerde gegen die Aufhebung des
Haftbefehls für den 18-jährigen Tatbeteiligten zurückgenommen, sagte ein
Sprecher des Landgerichts Neuruppin am Donnerstag. Der wegen
Körperverletzung zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilte 18-Jährige durfte
direkt nach der Urteilsverkündung vergangene Woche nach Hause gehen. Von
seiner Strafe hatte er bereits elf Monate in Untersuchungshaft abgegolten.
Mitten im Dorf
Auf dem Marktplatz in Potzlow wird ein Gedenkstein für den ermordeten Marinus enthüllt
(Tagesspiegel, Claus-Dieter Steyer) Potzlow. Er hat den besten Platz bekommen. Der Gedenkstein für Marinus
Schöberl wird auf dem Marktplatz des Uckermarkstädtchens Potzlow stehen. Er
soll an den 16-jährigen Schüler erinnern, der vergangenes Jahr von anderen
Jugendlichen bestialisch ermordet wurde.
Am Marktplatz muss jeder irgendwann vorbei. Heute Abend wird der Stein aus
hellem Granit enthüllt. Die Kirchengemeinde hat den Mut zu diesem Mahnmal
aufgebracht. “Man kann doch den armen Jungen nicht einfach vergessen”, sagt
ein älterer Mann. “Vielleicht hilft der Stein ja, die Jugend aufzurütteln.”
Das Dorf am Großen Potzlowsee wirkt wie ausgestorben. Ab und zu scheint sich
hinter den Fenstern eine Gardine zu bewegen, manchmal bellt ein Hund. Das
Licht vom Fernseher spiegelt sich in einigen Scheiben. 600 Menschen leben
hier, ein Drittel ist offiziell arbeitslos gemeldet, tatsächlich sollen es
mehr als 50 Prozent sein. In einem Hof füttert eine ältere Frau ihre Hühner.
Misstrauisch nähert sie sich dem Fremden. “Irgendwann muss doch Schluss
damit sein. Die drei Täter haben doch ihre Strafe bekommen”, sagt die Frau
und wirft die Haustür zu. Da irrt sie. Nur die beiden Brüder Marcel und
Marco aus Potzlow sind zu achteinhalb Jahren Jugendhaft beziehungsweise 15
Jahren Haft verurteilt worden. Der dritte Tatbeteiligte, ein 18-Jähriger aus
Templin, wurde zu zwei Jahren Jugendhaft verurteilt. Da er bereits neun
Monate in Untersuchungshaft saß, kam er frei. Die Staatsanwaltschaft hatte
zunächst gegen die milden Urteile Revision eingelegt, ihre Beschwerde aber
zurückgezogen (siehe Kasten). Es scheint, als habe sich in dem Jahr seit
Bekanntwerden der Tat nicht viel verändert im Dorf. Damals hatte sogar der
Bürgermeister von einer “Einzeltat” gesprochen. Die käme in Berlin jeden Tag
vor. Als die antifaschistische Bewegung einen Gedenkmarsch durch Potzlow
ankündigte, gab es einen Aufschrei im Dorf. Der Prozess vor dem Neuruppiner
Landgericht zeigte, dass etliche Potzlower schon lange vor der Entdeckung
der Leiche von der Tat gewusst haben.
Die Tortur des Schülers Marinus Schöberl hatte in einer Wohnung vor mehreren
Zeugen begonnen. Marcel S. prahlte später immer wieder mit der Tat. Niemand
unternahm etwas — vier lange Monate. Für den Gedenkstein sollen auch die
Eltern der beiden Brüder Marcel und Marco S. Geld gegeben haben, erzählt man
im Dorf. Sie selbst sind nicht zu sprechen. Aus ihrem Wohnzimmerfenster
schauen sie direkt auf den Tatort, wo ihre Kinder den 16-Jährigen mit einem
Sprung auf den Kopf töteten. Auch die Eltern von Marinus werden beim Blick
aus dem Fenster an den Mord erinnert. Sie schauen im zehn Kilometer von
Potzlow entfernten Gerswalde direkt auf den Friedhof. Dort erinnert an den
Jungen seit einigen Wochen endlich ein Grabstein, für den die Eltern lange
Zeit kein Geld hatten. Berliner spendeten schließlich das meiste Geld dafür.
Oder: Was geht wirklich in den Köpfen des WSWS vor?
In der Nacht zum 16. September fand eine Aktion unbekannter AntirassistInnen gegen
die Ausländerbehörde in Frankfurt/Oder statt. U.a. wurden Türen verklebt, Parolen
gesprüht und Fenster eingeschlagen. Am Tatort fand die Polizei einen Artikel von der
WSWS, der sich kritisch mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung
auseinandersetzte. Der Brandenburger Verfassungschutz — der angesichts einer
verschwindet kleinen linken Szene froh ist über alles was er berichten kann und
jedes Umfallen eines roten Damenfahrrades zur Revolution aufbauscht — diese Behörde,
die hauptsächlich durch ihre Verquickungen mit der Neonaziszene Schlagzeilen machte,
warf der WSWS in der Folge die geistige Urheberschaft am militanten Agieren gegen
den rassistischen Repressionsapparat vor.
Was nun linken PublizistInnen nicht allzu
selten passiert, dass sie und ihre theoretischen Werke für das praktische Handeln
anderer verantwortlich gemacht werden, zeitigte im Falle der WSWS unerwartete
Folgen. Anstatt stolz zu sein (oder sich kritisch mit den Machenschaften des
Brandenburger VS auseinanderzusetzen) veröffentlichte die WSWS den Artikel
“Brandenburger Verfassungsschutz verleumdet World Socialis Web Site”. In diesem
Artikel versicherte die WSWS in erster Linie ihre Treue zur bürgerlichen
Rechtsordnung, distanzierte sich umfassend von der Aktion in Frankfurt/Oder,
diffamierte radikale und militante Linke und raunte etwas von einer möglicherweise
durch den VS selbst begangenen Tat.
Dieses Verhalten wäre politisch kritisierbar,
zeigt es doch wiedereinmal das Versagen parteimäßiger Strukturen bezüglich einer
radikalen Staats- und Rechtskritik — ein Publikmachen dieses Agierens der WSWS wäre
nicht erforderlich. Doch mit ihrem weiteren Verhalten erzwang die WSWS, dass ihr
Verhalten weithin publikgemacht werden muss. In ihrem Artikel “Was geschah wirklich
in Frankfurt/Oder” beschreibt ein Ulrich Rippert für die WSWS was die WSWS weiterhin
unternahm. Als erstes führte sie Gespräche mit Polizei und Staatsanwaltschaft in
Frankfurt/Oder, kritisierte deren schleppende Ermittlungsarbeit und forderte sie
auf, den gefundenen Text auf Fingerabdrücke und drucktechnische Merkmale zu
untersuchen. Anschließend unternahm die WSWS vor Ort eigene Ermittlungen.
Diese
werden in dem Artikel “Was geschah wirklich in Frankfurt/Oder” detailliert
beschrieben. Der Schilderung dieser Ermittlungen unvermittelt vorangestellt sind
zwei Absätze über die soziale Situation in Frankfurt/Oder, die geprägt ist durch
Arbeitslosigkeit und Abwanderung der Bevölkerung. Zur Rolle und Bedeutung von
Frankfurt/Oder und dort ansässiger Institutionen für das deutsche Grenzregime — kein
Wort. In Frankfurt/Oder befragten Leute der WSWS die Anwohner in Tatortnähe über
ihre Beobachtungen zur Tatzeit. Dabei ergab sich sogar eine — wenngleich
glücklicherweise vage — Personenbeschreibung möglicher TäterInnen, die in dem
Artikel auch detailliert wiedergegeben wird. Weil die Polizei nach ihrem Eintreffen
am Tatort relativ locker agierte, zum Beispiel nicht sofort eine umfassende
Nahbereichsfahndung unternahm, und weil die Alarmanlage der Ausländerbehörde nicht
ansprang kommt Rippert zu dem Schluss, dass es sich um eine Aktion des Brandenburger
VS gehandelt haben muss, um die WSWS zu diskreditieren.
Widerlich an Ripperts Artikel ist diese Wichtigtuerei, die aus der Aktion eine Art
zweites Kennedy-Attentat zu machen versucht. Als ob der Brandenburger VS es nötig
hätte, einen Anschlag auf die Ausländerbehörde in FFO zu inszenieren, wenn er der
WSWS geistige Miturheberschaft an linker Militanz unterschieben möchte. Wer weiss,
wie der Brandenburger VS arbeitet, wer schon mal eine Publikation des Brandenburger
VS über die eigene Gruppe in der Hand hatte, kennt die Mischung aus Halbwahrheiten
und Lügen die in den VS-Publikationen gemeinhin zu finden ist.
Nicht nur widerlich sondern geradezu gefährlich ist die von der WSWS unternommene
eigene Ermittlungstätigkeit, eine praktische Hilfeleistung für die Polizei.
Glücklicherweise haben die von der WSWS befragten Nachbarn nichts Genaueres gesehen
und konnten keine detaillierten Personenbeschreibungen geben. Die WSWS hätte diese
ja der Polizei zugänglich gemacht und dadurch bei der Ergreifung der TäterInnen
geholfen. Man kann von der WSWS nicht verlangen, dass sie die Aktion, ihr Ziel und
ihre Mittel gutfindet. Aber von einer sich als links verstehenden Organisation ist
ein Mindestmaß an Solidarität zu fordern, das darin besteht, dass andere Linke (die
man nicht mögen muss) nicht der Polizei ausgeliefert werden.
Warum hat die WSWS ein Problem damit, sich von einer Behörde, die dem Militaristen
Schönbohm untersteht und in der sich Nazis verschiedener Couleur tummeln, als
linksextrem bezeichnen zu lassen? Ist dem WSWS nicht klar, mit wem es sich gemein
macht, wenn es die Verhaftung der TäterInnen fordert? Bloß weil das WSWS in
Verbindung mit Leuten gebracht wurde, die es politisch verachtet (undogmatischen,
aktivistischen Linken)?
Fazit
Der VS verleumdet die WSWS nicht. Im Gegenteil, er stellt ihr ein unwahres
Leumundszeugnis aus. Er rückt sie in die Nähe von militanten AntirassistInnen, gar
RevolutionärInnen. Nichts davon ist wahr. Die WSWS — zumindest die Leute die hier
unter diesem Namen agieren — ist ein Zusammenschluss paranoider, geltungssüchtiger
deutscher Spießer, die davon träumen selbst einmal Polizei spielen zu dürfen. Die
WSWS behauptet sozialistisch zu sein. Zumindest diese Leute, die sich hier in
Brandenburg für diese trotzkistische Splittergruppe betätigen, sind es nicht. Es ist
ein Haufen widerlicher DenunziantInnen. Die WSWS stellt eine relevante Gefahr für
die linke Szene da. Wer bereit ist, nur um sich den >guten Ruf< beim VS nicht zu
versauen der Polizei derart (zum Beispiel durch das Anstellen eigener Ermittlungen
und das Veröffentlichen der Ermittlungsergebnisse) in die Hände zu arbeiten, der
stellt auch ganz schnell einmal Wissen über politische Zusammenhänge, das z.B. in
Bündnissen gewonnen wurde, dem Repressionsapparat zur Verfügung.
Deshalb:
Anna und Arthur haltens Maul — kein Wort zu Bullen, VS und WSWS!
(WSWS, Ulrich Rippert) Sechs Wochen nachdem der Verfassungsschutz des Landes Brandenburg einen Anschlag auf die Ausländerbehörde von Frankfurt/Oder zum Anlass nahm, der World Socialist Web Site (WSWS) die Förderung von Gewaltbereitschaft vorzuwerfen und sie in das Umfeld des gewalttätigen “linksextremistischen Spektrums” zu rücken, liegen die wirklichen Ereignisse jener Nacht noch immer weitgehend im Dunkeln.
Unbekannte Täter hatten in der Nacht zum 16. September die Fenster der Ausländerbehörde in Frankfurt/Oder eingeschlagen, eine übelriechende Flüssigkeit in die Räume geworfen, die Schlösser der Außentüren mit Klebestoff gefüllt und Parolen auf den Giebel gesprüht. Angeblich hatten der oder die Täter einen WSWS-Artikel hinterlassen, der sich kritisch mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung auseinandersetzt.
Kurz darauf erschien auf der Online-Seite des Verfassungsschutzes Brandenburg ein Bericht, der diesen Artikel vom Februar 2001 als Beweis für “den linksextremistischen Hintergrund der Tat” wertete. Der Verfassungsschutz behauptet, der Artikel reihe “sich ein in eine Serie ähnlicher Veröffentlichungen, die in ihrer Summe Gewaltbereitschaft fördern oder direkt hervorrufen”, und schließt mit den Worten: “Mit solchen Texten ist die Straße zur Straftat gepflastert.”
Die Redaktion der WSWS hat diese verleumderische Unterstellung in aller Schärfe zurückgewiesen. (Siehe dazu: “Brandenburger Verfassungsschutz verleumdet World Socialist Web Site”)
Seitdem wurde deutlich, dass die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft äußerst schleppend betrieben werden. Auf Anfrage der WSWS teilte die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Oder mit, der zuständige Staatsanwalt Ulrich Scherding befände sich im Urlaub und die Ermittlungsakte sei noch immer bei der Polizei, die die Ermittlungen durchführe. Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Peter Salender dagegen erklärte, für Presseauskünfte in einem schwebenden Verfahren sei die Staatsanwaltschaft zuständig.
Als daraufhin die Redaktion der WSWS schriftlich mehrere Fragen vorlegte, wurde sie zu einem Informationsgespräch ins Polizeipräsidium nach Frankfurt/Oder eingeladen. Doch die Informationen blieben äußerst spärlich.
Frage: Von wem und wann wurde der Anschlag gemeldet? Welche Polizeidienststelle hat die ersten Ermittlungen am Tatort begonnen? Gab es Zeugen aus der Nachbarschaft oder zufällige Beobachter? Wurden Zeugen vernommen? — “Aus Ermittlungsgründen” keine Antwort.
Frage: Welcher gesicherte Tathergang wurde bisher ermittelt? Waren mehrere Personen an der Tat beteiligt? Gibt es Ermittlungen gegen Verdächtige? Wurde Strafanzeige gegen Verdächtige oder gegen unbekannt erstattet? — Keine Antwort.
Frage: Wer hat den WSWS-Artikel gefunden? Wann genau und wo genau wurde dieser Artikel gefunden? Wurde das Schreiben auf Fingerabdrücke und drucktechnische Merkmale untersucht? Gab es handschriftliche oder andere Bemerkungen, oder eine Zuordnung auf dem Schreiben? — Keine Antwort, lediglich der Hinweis, dass die Ermittlungen professionell und mit Hilfe aller zur Verfügung stehenden kriminaltechnischen Mittel durchgeführt würden.
Allerdings bestehe für die Polizei kein Zweifel an der Zuordnung des Artikels, erläuterte Peter Salender. Der oder die Täter hätten ihn am Tatort hinterlassen, um die politische Intention ihres Handelns zu verdeutlichen, davon gehe die Polizei aus. Worauf sich diese Behauptung stütze und wer den Artikel wann und wo gefunden habe — keine Antwort.
Nachbarn nicht befragt
Eigene Recherchen der WSWS in Frankfurt/Oder ergaben ein genaueres Bild des Tathergangs als die dürftigen Aussagen von Polizei und Staatsanwaltschaft und bestätigten gleichzeitig den Eindruck, dass es von Seiten der Behörden wenig Interesse an der Aufklärung des Tathergangs gibt.
In der Grenzstadt zu Polen, etwa hundert Kilometer östlich von Berlin, leben knapp 70.000 Einwohner — Tendenz fallend. Die wachsenden politischen und sozialen Spannungen sind in vielen Bezirken der ehemaligen Industriestadt an der Oder mit Händen zu greifen. Immer mehr Menschen im arbeitsfähigen Alter wandern in andere Teile der Bundesrepublik ab. Die Arbeitslosigkeit nimmt ständig zu. Ende 2001 wies die offizielle Statistik 18,1 Prozent Arbeitslose aus, Anfang dieses Jahres waren es bereits 22 Prozent.
Politisch dominierte in der Stadt bisher die SPD. Bei den Landtagswahlen vor vier Jahren gaben 65 Prozent der Wähler im Wahlkreis Frankfurt/Oder I der SPD oder der PDS ihre Stimme, während die CDU nur 25,3 Prozent und die rechtsradikalen Parteien Deutsche Volksunion und NPD zusammen 5,3 Prozent erzielten. Doch seitdem hat die Opposition gegen die SPD-Politik dramatisch zugenommen. Bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag erlitt die SPD in Frankfurt/Oder eine vernichtende Niederlage und sackte auf 15 Prozent ab. Verglichen mit den Kommunalwahlen vor fünf Jahren sank die Wahlbeteiligung von 74,8 auf 38,3 Prozent. Statt über 39.000 Stimmen (1998) erhielt die SPD nur noch knapp 9.000. Auch die PDS, die zwar fast fünf Prozentpunkt hinzu gewann, verlor durch die geringe Wahlbeteiligung 16.000 Wähler.
Die Ausländerbehörde, die in den frühen Morgenstunden des 16. September überfallen wurde, liegt in einem vergleichsweise ruhigen Innenstadtbezirk. Nur wenige Schritte gegenüber befinden sich Mietswohnungen. Mehrere Anwohner waren durch das Einschlagen von zwölf Fensterscheiben im Gebäude der Behörde aufgeschreckt worden.
Ein älterer Bewohner der Bischoffstrasse, dessen Wohnung einen guten Blick auf das Ausländeramt ermöglicht, berichtete der WSWS, dass er zur Tatzeit wach gewesen sei und etwa um 3.50 Uhr lautes Krachen und Klirren gehört habe. Zwar habe er niemanden erkennen können, aber er habe deutlich gehört, wie mehrere Personen — “mindestens zwei” — die Straße hinunter rannten. Eine Nachbarin habe die Polizei informiert, die auch wenige Minuten später eingetroffen sei.
Er habe das Gefühl, dass weder die Polizei noch die Politik großes Interesse daran habe, den Angriff auf die Behörde ernsthaft aufzuklären. Nachdem in den ersten Tagen in allen Lokalzeitungen und sogar im Lokalfernsehen über die Sache berichtet worden war, seien keine weiteren Informationen erschienen, berichtete er. Er selbst sei von der Polizei zu keinem Zeitpunkt in dieser Angelegenheit befragt worden.
Ähnlich äußerte sich eine andere Anwohnerin. Auch sie sei nicht von der Polizei oder anderen Ermittlungsbehörden befragt oder vernommen worden, obwohl sie einiges zu sagen hätte. In der Tatnacht sei sie vom Krach der zerschlagenen Scheiben aufgewacht und habe von ihrem Balkon aus gesehen, dass wenige Minuten später eine Polizeistreife vorgefahren sei. Die Polizeibeamten machten auf sie einen weitgehend desinteressierten Eindruck. Vor allem sei sie überrascht gewesen, dass sie nicht die geringsten Anstalten gemacht hätten, nach Tätern Ausschau zu halten oder diese zu verfolgen, obwohl der Anschlag erst wenige Minuten zurück lag.
Stattdessen hätten sie nach einem kurzen Rundgang um das Gebäude “lauthals und für jeden Anwohner hörbar” über Funk einen Lagebericht an die Einsatzzentrale gegeben. Darin seien die zwölf eingeschlagenen Scheiben genannt und die an die Fassade gesprühte Parole verlesen worden: “Deutschland deportiert wieder! Widerstand ist notwendig und machbar!” Außerdem hätten die Beamten betont, dass sie ein dreiseitiges Bekennerschreiben vorgefunden hätten. Wenig spä
ter sei diese Polizeistreife von einer zweiten abgelöst worden, die den Tatort abgesperrt habe.
Etwa zeitgleich mit diesem polizeilichen Lagebericht beobachtete diese Anwohnerin, die namentlich nicht genannt werden will, dass sich im Eingang zu einer Turnhalle in etwa 100 oder 150 Metern Entfernung vom Tatort eine männliche Person aufhielt, die die Ereignisse zu verfolgen schien. Aufgefallen seien ihr sowohl eine Tasche, die der Mann in der Hand hielt, als auch die hellen Hosen, die er trug.
Wenig später sei eine ähnliche Person, “auch in hellen Hosen”, am Tatort aufgetaucht, doch soweit sie es habe beobachten können, habe die Polizei kein Interesse gezeigt, diesen Mann zur Rede zu stellen oder zu vernehmen. “Ich war darüber höchst verwundert. Immerhin war es sehr früh am Morgen und die Polizei hatte gerade den Tatort abgesperrt. Da wäre es doch nahe gelegen den Mann zu befragen, zumindest festzustellen, ob er etwas gesehen hat.”
Noch etwas sei ihr aufgefallen. Sie wohne nun seit fünf Jahren in dieser Strasse, und in dieser Zeit sei die Alarmanlage der Ausländerbehörde mindestens drei oder vier Mal losgegangen, soweit sie wisse immer Fehlalarm. Ausgerechnet in dieser Nacht habe kein Alarm stattgefunden. “Ist das nicht seltsam? Wenn Sie mich fragen”, erklärte die Anwohnerin, “war der Alarm abgeschaltet, aus welchem Grund auch immer.”
Auskünfte des Amtsleiters
Bei dem Gebäude, in dem die Ausländerbehörde untergebracht ist, handelt es sich um einen typischen Flachbau aus DDR-Zeiten. Im Erdgeschoss befindet sich ein Einwohnermeldeamt der Stadt. Die wenigen Räume der Ausländerbehörde liegen im ersten Stock. Für das Gebäude gäbe es keinen eigenen Hausmeister, erklärte der Amtsleiter, Herr Terlach, dem WSWS. Statt dessen kontrolliere der Wachschutz der Stadtverwaltung die Behörde, und sie liege auf der Route der Polizeistreife. In welchen Abständen die Polizei das Gebäude nachts kontrolliere, könne er nicht sagen, erklärte Herr Terlach.
Er wohne außerhalb und sei in der Tatnacht um 4.30 Uhr von der Polizei informiert worden und eine Stunde später am Tatort gewesen. Bei seiner Ankunft sei das Gelände bereits abgesperrt gewesen. Die Polizei habe die Eingangstüren nicht aufbrechen wollen und daher auf ihn gewartet. Allerdings sei dann festgestellt worden, dass die Türschlösser verklebt waren und erst durch einen Schlüsseldienst geöffnet werden konnten. Niemand sei in die Büroräume eingedrungen. Akten und Computer seien weder beschädigt noch entfernt worden. Aber durch die eingeschlagenen Scheiben sei eine übel riechende Chemikalie geworfen worden, die in einigen Büros den Teppichboden ruiniert habe.
Auf die Frage nach einem Bekennerschreiben antwortete Herr Terlach mit dem Hinweis, dass ihm zwar mitgeteilt worden sei, dass ein Text gefunden wurde. Obwohl er als Amtsleiter für die Ausländerpolitik der Stadt mitverantwortlich sei, habe er das Schreiben aber nie zu Gesicht bekommen. Später habe er erfahren, dass es sich um einen eher allgemeinen und älteren Text handle, der sich nicht direkt gegen seine Behörde richte und offenbar auch nicht von den Tätern verfasst war. Außerdem gab er an, dass er keinerlei Informationen über den Stand der Ermittlungen habe.
Neue Fragen
Sechs Wochen nach dem Anschlag stellen sich mehr Fragen als am Anfang: Warum ermittelt die Polizei derart schleppend und desinteressiert? Warum wurden potentielle Zeugen nicht befragt? Warum werden Ermittlungsergebnisse, die nicht sicherheitsrelevant sind, nicht bekannt gegeben? Nach sechs Wochen gibt es von den Ermittlungsbehörden keine Informationen, die über das hinaus gehen, was am ersten Tag in den Medien veröffentlicht wurde.
In deutlichem Gegensatz zur Passivität der Ermittlungsbehörden steht das Vorgehen des Verfassungsschutzes, der den Anschlag auf die Ausländerbehörde sofort nutzte, um eine sozialistische Publikation in einen linksextremen und gewalttätigen Zusammenhang zu stellen. Und dies obwohl die Ermittlungsbehörden bis heute über Täter und Hintergründe des Anschlags nicht die geringsten Angaben machen können oder wollen. Der gegen die WSWS gerichtete Artikel des Verfassungsschutzes trägt das Datum vom 16. September, dem Tag des Anschlags auf die Frankfurter Ausländerbehörde.
Angesichts dieser Lage stellen sich die Fragen weiter, die wir bereits in der ersten Stellungnahme aufwarfen: Waren Agenten des Verfassungsschutzes am Anschlag auf die Frankfurter Ausländerbehörde am 16. September beteiligt? Weiß der Verfassungsschutz mehr, als er zugibt? Hatte er bei der Hinterlegung des WSWS-Artikels selbst die Hände im Spiel?
Siehe auch:
Brandenburger Verfassungsschutz verleumdet World Socialist Web Site (18. Oktober 2003)