Wittstock Zu dem voraussichtlich bundesweit größten Ostermarsch gegen den Tiefflugbetrieb der Luftwaffe in Nordbrandenburg erwartet die Bürgerinitiative “Freie Heide” nach eigenen Angaben wieder tausende Teilnehmer. An der Demonstration wollen auch Ministerpräsident Matthias Platzeck, Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (beide SPD) und die brandenburgische Bundestagsabgeordnete der Grünen, Cornelia Behm, teilnehmen. Der Widerstand gegen die Wiederinbetriebnahme des früheren Luft-Boden-Schießplatzes dauert schon 15 Jahre. Früher hatten ihn die sowjetischen Streitkräfte als Bombenabwurfplatz genutzt. Die Bundeswehr will auf der rund 14 000 Hektar großen Fläche den größten Tiefflugübungsplatz Mittel€pas einrichten.
Jahr: 2007
Christen-Schwund
Sie singen. Einer hält ein großes Kreuz aus zwei einfachen Holzlatten. Kurz darauf hält ein anwesender Pfarrer eine kurze Predigt, dann folgt ein gemeinsames Gebet. Rund 70 Jugendliche haben sich so versammelt. Die Szene auf dem Bassinplatz am vergangenen Freitagabend erregt auch die Aufmerksamkeit einer Passantin: „Was passiert denn hier, ist das eine Sekte?“
Die 17-jährige Meike und die ein Jahr ältere Johanna kennen solche Reaktionen. Sie sind zwei Mädchen aus der Jugendgruppe auf dem Bassinplatz, die sich am vergangenen Freitag zum jährlichen Ökumenischen Kreuzweg der Jugend in Potsdam getroffen haben. „Es ist manchmal schon so, dass Vorurteile gegen Menschen bestehen, die Gott vertrauen – dabei lässt sich unser Glaube mit dem Leben und der Schule ganz normal vereinbaren“, sagt Meike. Sie und ihre Freundin engagieren sich bei der jungen Gemeinde der französisch-reformierten Kirche am Bassinplatz, einer evangelischen Kirche. „Engagieren heißt allerdings vor allem den Glauben gemeinschaftlich mit den anderen zu erleben“, so Meike. Deshalb geht sie auch jeden Sonntag in die Kirche statt lange auszuschlafen: „Es kommt darauf an, was einem wichtig ist.“
Allerdings gehören die beiden Mädchen in Potsdam zu einer immer kleiner werdenden Gruppe. Dies zumindest stellt Kreisjugendpfarrerin Ulrike Mosch fest. „Wir merken ganz deutlich, dass wir zurzeit immer stärker mit den geburtenschwachen Jahrgängen zu tun haben“, sagt Mosch. An einem plastischen Beispiel macht sie dies fest: 2002 habe es noch mehr als 7000 Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren in Potsdam gegeben – 2010 seien dies nur noch rund 2500. „Vor ein paar Jahren sind zum Jugendkreuzweg noch knapp 200 junge Leute gekommen, heute weniger als die Hälfte.“ Gleichzeitig gebe es das generelle Problem, dass durch den immer deutlicher spürbaren Druck der Schule und viele andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung viele potentiell Interessierte nur selten den Weg zu den kirchlichen Jugendorganisationen fänden. „Viele bleiben eben weg und kommen nur zu einzelnen Höhepunkten im Jahr“, so Mosch. Meinungsumfragen geben der Jugendpfarrerin zum größten Teil Recht. In der aktuellen Shell-Jugendstudie für Brandenburg gaben vor zwei Jahren 76 Prozent der Befragten an, dass in ihrer Region zwar Freizeitangebote von kirchlichen Gruppen vorhanden seien – diese sie aber nicht interessierten. Insgesamt wurden in der Studie rund 3400 Brandenburger Jugendliche befragt. 8,4 Prozent von ihnen sagten, dass sie sich in einer kirchlichen Organisation engagieren, im Alter ab 18 Jahren waren dies sogar nur 5,4 Prozent.
Solchen Trends möchte Jugendpfarrerin Mosch natürlich entgegenwirken. Doch viel machen lässt sich offenbar nicht. „Wir fassen viele Aktivitäten in Zentren zusammen, damit nicht einzelne Stadtteilgruppen irgendwann zu klein werden und dann vielleicht gänzlich zerbrechen“, sagt Mosch über die derzeitige Strategie, um die fehlenden Mitglieder zu kompensieren. Dies ließe sich auch kaum verhindern: Ihre Arbeit sei nicht auf „Großmissionierung“ ausgelegt.
Schön finden dies Meike und Johanna nicht. Sie wollen, dass sich die Kirche mehr nach außen öffnet, üben sie Kritik. „Viele haben ja auch eher ein Problem mit der Institution Kirche als mit Glaube an sich – auch wir“, sagt Johanna. Wie sie selbst zu ihrem Glauben gekommen sind, das vermögen sie nur schwer in Worte zu fassen. Meike versucht es so: „Ich denke, es ist kein Gläubig-Werden, sondern vielmehr ein Entdecken Gottes.“
Einstimmig gegen die Abschiebung
Der Widerstand gegen die geplante Abschiebung der Familie Ndemu wächst. Die Ndemus leben in Rathenow und sollen zurück nach Kamerun. Der Petitionsausschuss des Landtags hat sich jedoch für eine erneute Überprüfung ausgesprochen.
»Wir haben die Landesregierung aufgefordert, die Abschiebung der Frau und ihrer vier Kinder nochmals zu überdenken«, sagt der Ausschussvorsitzende Thomas Domres (Linkspartei). »Dafür haben wir ihr eine Frist von drei Wochen eingeräumt.« Am 24. April werde der Petitionsausschuss sich dann erneut mit dem Fall befassen. Die Entscheidung fiel nach einer mehr als zweistündigen emotionalen Debatte einstimmig. »Es gibt inzwischen neue Aspekte, die unbedingt bewertet werden müssen«, betont Domres.
Maria Awa Ndemu sollte mit ihren Kindern ursprünglich am Mittwoch nach Kamerun ausreisen. Doch das Verwaltungsgericht Potsdam verfügte am Montag einen vorläufigen Abschiebestopp bis zum 18. April. Bis dahin sind die vorläufigen Einreisepapiere der Kameruner Botschaft verfallen, was die Abschiebung dann vorerst unmöglich macht. Erfahrungsgemäß dauere es längere Zeit, bis neue Papiere ausgehändigt werden, erzählt Domres.
Die 35-jährige Kamerunerin und ihre Kinder waren 2001 nach Deutschland eingereist. 2003 wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Der Familienvater ließ sich inzwischen scheiden und ist mit einer Deutschen verheiratet, hat deswegen ein Bleiberecht. Die Härtefallkommission hatte sich dafür ausgesprochen, dass die Frau und ihre Kinder in Deutschland bleiben dürfen. Doch Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) setzte sich über das Votum hinweg. Diese harte Haltung ist auch in der CDU-Landtagsfraktion heftig umstritten. Hier formierte sich erstmals Widerstand gegen die Ausländerpolitik Schönbohms. Zu den Kritikern gehören vor allem der CDU-Kreischef im Havelland, Dieter Dombrowski, und Innenexperte Sven Petke.
Am Dienstag demonstrierten Schüler des Rathenower Jahn-Gymnasiums vor dem Landtag. Sie übergaben der Parlamentsvizepräsidentin Gerlinde Stobrawa (Linkspartei) eine Liste mit Unterschriften gegen die Abschiebung ihrer Mitschülerin, der 15-jähri-gen Marvelle. Eine Schülersprecherin sagte, dass Marvelle zu den besten Schülern in ihrer Klasse gehöre.
(MAZ, 3.4.07) Unbekannte haben in den frühen Montagmorgenstunden die Geschäftsstelle der Linke.PDS mit Farbbehältern beworfen, die an der Gebäudewand rote Farbspritzer hinterließen. Einen Tatzusammenhang aufgrund gleicher Vorgehungsweise, Tatzeitraum und identischer Tatmittel sehen die Ermittler mit der ebenfalls durch rote Farbbeutel begangenen Sachbeschädigung am Jahn-Gymnasium. Im Bereich der Bildungseinrichtung, der dazu gehörigen Mehrzweckhalle sowie der Badestraße wurden außerdem mindestens 70 Aufkleber — inhaltlich NPD-Werbung — festgestellt.
Am Jahn-Gymnasium bewegte sich zum möglichen Tatzeitpunkt ein roter VW-Passat älteren Modells.
In diesem Zusammenhang werden Zeugen gesucht, die Angaben zu den Straftaten, zum Fahrzeug oder zu möglichen Tätern machen können. Hinweise bitte an die Polizei unter der Telefonnummer 03562/92–0.
„Der spannendste Film sind wir“
Referentinnen:
Anne Frisius: Dokumentar-Filmemacherin
Sabine Rietz: Journalistin
Bei dem Seminar könnt Ihr lernen, wie man einen kurzen Dokumentarfilm bzw. Fernsehbeitrag macht. Wir bringen Euch bei, wie man ein Thema eingrenzt, gute Bilder filmt und schneidet, Texte formuliert, die jeder versteht und das alles zu einem unterhaltsamen und dennoch inhaltlich guten Film zusammen baut. Ziel ist es, dass wir gemeinsam spannende Diskussionen über die Situation junger Flüchtlinge führen und die Ergebnisse in einem möglichst Berlinale-reifen Film zusammenfassen.
Im Groben wird das Seminar wie folgt aussehen, wobei es je nach Wünschen und Bedürfnissen immer Änderungen geben wird:
Anmeldung und Infos
Seminarplan für das Video-Seminar für jugendliche Flüchtlinge
am 13.–15. (Freitag-Sonntag) April und am Samstag/Sonntag 12./13. Mai 2007
Ort: Inwole Villa, Rudolf Breitscheid Str. 164, 14482 Potsdam
Maximale Teilnehmerzahl: 8–10
Anreise, Übernachtung und Verpflegung werden für Euch bezahlt
Verbindliche Anmeldung so schnell es geht an: anne.frisius(at)freenet.de
Zeitplan
Freitag 13. 4.:
Anreise und Kennenlernen,
Abendessen
Film anschauen (bei Interesse könnten das Teile aus dem Filmmaterial über die Innenministerkonferenz und Eure Proteste in Nürnberg sein), erste Diskussionen über Inhalte eines gemeinsamen Filmes
Samstag 14.4.:
Frühstück
Wie mache ich einen Film?
Überblick über verschiedene Formate
Die Dramaturgie eines spannenden Dokumentarfilms, auch wenn er nur drei Minuten lang ist
Die wichtigsten Regeln für gute Bilder und passende Texte
Einführung in die Technik
Praktische Übungen mit der Kamera
Mittagessen
Konzeption des gemeinsamen Films, Diskussion und Schreiben eines Drehbuches
Abendessen
Einführung in den Filmschnitt mit praktischen Übungen zum Beispiel am Material aus Nürnberg
Sonntag 15.4.:
Frühstück
Aufteilung des Teams und praktische Arbeit
Mittagessen
Fortsetzung praktische Arbeit
Kaffeepause
Verabschiedung und Abreise
Samstag 12.5.:
Anreise und Sichten des bisherigen Materials mit anschließender Diskussion
Mittagessen
Filmschnitt und Texte schreiben
Abendessen
Letzte Feinarbeiten am Film
Sonntag 13.5.:
Frühstück
Gemeinsame Vorführung des Films mit Diskussion und Planung für öffentliche Vorführungen
Mittagessen
Zeit für alle übrig gebliebenen Fragen und Planungen in die Zukunft
Kaffeepause
Verabschiedung und Abreise
Staatsschutz ermittelt zu Überfall
Hennigsdorf — Die Polizei hat noch keine Zeugenhinweise zu dem mutmaßlichen Überfall auf einen 56-jährigen Mann aus Burundi erhalten. Der in Berlin-Spandau lebende Afrikaner war am Sonnabendmorgen gegen acht Uhr dem Personal eines Backshops in der Nähe des S‑Bahnhofs Hennigsdorf aufgefallen. Er saß schlafend am Tisch. Das Personal informierte die Polizei über das „Auffinden einer hilflosen Person“. Die Beamten ließen den Mann, der offensichtlich verwirrt und desorientiert war, aber keine äußerlichen Verletzungen aufwies, in ein Krankenhaus einliefern. Dort stellten die Ärzte fest, dass der Mann einen Schädelbruch erlitten hatte. Er wurde in eine Berliner Klinik verlegt.
Bei einer kurzen Befragung am Sonntag – mehr ließ sein Gesundheitszustand nicht zu – gab der Mann an, dass er in der Nacht zum Sonnabend in der S‑Bahn kurz vor Hennigsdorf von mehreren Personen geschlagen worden sei. Tatzeugen gibt es bislang nicht. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt. Der 56-Jährige ist nicht vernehmungsfähig. Die Polizei bittet daher dringend darum, dass sich mögliche Zeugen der Tat, die sich zwischen Freitagabend und Sonnabendmorgen zugetragen haben soll, unter der Telefonnummer 0700333330331 melden.
“Man ist halt gerne unter sich”
Im Landkreis Oberhavel finden Rechte, was sie suchen: nette Ecken zum Wohnen, rechte Strukturen, wichtige NPD-Funktionäre — sagt Ralph Gabriel, lokaler Streiter gegen rechts
taz: Herr Gabriel, warum fühlen sich Berliner NPD-Größen gerade in Oberhavel so wohl?
Ralph Gabriel: Das ist nicht eindeutig zu sagen. Erst einmal ist der Speckgürtel mit seiner Nähe zu Berlin ein attraktives Wohngebiet. Zudem treffen die NPDler hier auf eine rechtsextreme Struktur, die sich um den Leiter des rechten Deutschen Rechtsbüros Richard Miosga verfestigt hat. Dieser wohnt schon seit Jahren in Birkenwerder, stellt sein Postfach auch der NPD und den Jung-Nationalen zur Verfügung und ist anscheinend mit allen regionalen NPD-Größen verstrickt. Diese Infrastruktur scheint mir ein wichtiger Zuzugfaktor zu sein, denn es gibt schönere Ecken hier als Birkenwerder und Hohen Neuendorf. Aber man ist halt gerne unter sich.
Welchen Folgen hat das für Oberhavel?
Die Auswirkungen der Zuzüge können wir jetzt schon spüren: Die NPD tritt in Oberhavel wieder stärker in Erscheinung. Sie traute sich etwa, mit Postwurfsendungen gegen unsere Antira-Demo am vergangenen Mittwoch mobil zu machen. Zudem liefen NPD-Vertreter ganz dreist im Demozug mit. Daneben wird zunehmend eine sanfte Seite ihres Rassismus gefahren: ein völkischer und deutscher Ethnopluralismus.
Gibt es denn einen besonderen rechten Wählerzuspruch in Oberhavel?
Den würde ich weniger in Birkenwerder und Hohen Neuendorf sehen, wo sich ja Nahrath, Hähnel und Palau niedergelassen haben, als in manchen Gegenden von Hennigsdorf und Velten. Dort haben sich seit gut zwanzig Jahren rechte Strukturen etabliert. Das könnte nun aber auch in Birkenwerder und Hohen Neuendorf drohen. Denn wo NPD-Mitglieder aktiv wohnen, entwickeln sie ein nicht unbedeutendes Mobilisierungspotenzial gerade bei Jugendlichen.
Stella Palau war leitend in einem Familienzentrum tätig — ist das nicht ein Paradebeispiel der bürgerlichen Integration, wie die NPD sie propagiert?
Das kann man wohl sagen. Die Rechten fressen Kreide, geben sich sympathisch und eloquent. Es muss nicht gleich verdächtig sein, wenn eine Frau in ihrer Müttergruppe deutsche Kuchenrezepte ausprobieren will. Bei Stella Palau ist es das schon. Da war das eindeutig politisch gemeint.
Hätten die Mitarbeiter im Familienzentrum nicht misstrauisch werden müssen?
Palau hat das sehr geschickt gemacht und sich nicht zu erkennen gegeben. Als bekannt wurde, wer wirklich dahintersteckt, ist das den Frauen in alle Glieder gefahren. Man ist auf dem Land aber manchmal noch etwas blauäugig.
Ist es ein Zufall, dass es gerade Stella Palau als Frau so gut gelang, Sympathien zu ernten?
Nein. Frauen in der NPD stehen für Soziales, gelten als weniger radikal und vertreten oft die vordergründig gesellschaftsfähigen Anliegen der Partei. Diese scheinbare Harmlosigkeit ist eine große Gefahr.
Was können lokale Vereine gegen Interventionen der NPD tun?
Das Familienzentrum Hohen Neuendorf hat gezeigt, wie´s geht: wenn solch ein Fall bekannt wird, klar distanzieren. Gerade bei einer so hinterhältigen Angelegenheit muss man zeigen, wo Schluss ist. Ansonsten braucht man ein wachsames Auge, eine öffentliche Diskussion und den bürgerlichen Protest. Der scheint sich jetzt hier ja bereits zu regen: Da kommt hoffentlich eine starke Gegenbewegung zur NPD in Gang.
Braune Heimat Speckgürtel
Erst machen sie auf gute Nachbarn, dann packen sie die Ideologie aus: Immer mehr NPD-Funktionäre aus Berlin lassen sich im Landkreis Oberhavel nieder — und engagieren sich dort in Vereinen und sozialen Einrichtungen. Offenbar wollen die Rechten ihre Ansiedlungsstrategie noch ausdehnen
Astrid Mollenhauer ist immer noch ganz aufgebracht. “Wir sind total schockiert. Stella war immer nett und freundlich, liebevoll zu den Kindern. Und plötzlich das.” Ein Jahr lang hatte Mollenhauer im Familienzentrum von Hohen Neuendorf gemeinsam mit Stella Kinder betreut, Schwangere und Mütter beraten — mit Stella Palau, Familienbeauftragte des Bundesvorstands der NPD, Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen, Mitglied im Landesvorstand der Berliner NPD. Dass sie es mit einer von Deutschlands hochrangigsten Rechtsextremen zu tun hatten, ahnten Astrid Mollenhauer und ihre Kolleginnen nicht.
Erst der Hinweis eines Lokalredakteurs klärte die Frauen vom Familienzentrum über ihre prominente Mitstreiterin auf. Ein Schock. Seitdem hat Stella Palau Hausverbot in der Einrichtung, und Hohen Neuendorf diskutiert heftig über seine Nazis. Denn Palau ist nicht die einzige Berlinerin mit braunem Parteibuch in Oberhavel, dem brandenburgischen Landkreis, der nördlich von Reinickendorf an Berlin anschließt. Mit ihrem Mann Jörg Hähnel, “nationalem Liedermacher”, NPD-Bezirksparlamentarier in Lichtenberg und Medienchef der Bundes-NPD, wohnt sie beschaulich in der 20.000-Einwohner-Stadt.
Im Nachbarstädtchen Birkenwerder haben sich die Berliner Nazi-Anwälte Richard Miosga und Wolfram Nahrath niedergelassen. Miosga trat zuletzt bei der vergangenen Bundestagswahl für die NPD in Tempelhof an. Nahrath, letzter Vorsitzender der im Jahr 1994 verbotenen Wiking-Jugend, unterhält bis heute eine Kanzlei in Weißensee. Zusammen leiten beide das Deutsche Rechtsbüro — einen Zusammenschluss von rund 40 rechtsextremen Juristen, die straffällige Kameraden aus ihren Prozessen zu boxen versuchen. Als Extraservice bieten sie die Überprüfung der Liedtexte von Rechtsrockbands an, damit diese nicht auf dem Index landen. Und in Oranienburg wohnt nicht nur Brandenburgs Vize-NPD-Chef, der frühere Berliner Detlef Appel, sondern auch Thomas Salomon. Der heutige Pressesprecher für den Brandenburger NPD-Landesverband und Lehrgangsleiter des Bundesvorstands war bis 1997 noch Chef der Berliner Nationaldemokraten. Die NPD-Kader scheinen sich in Oberhavel pudelwohl zu fühlen.
“Hier kommts wirklich massiv zusammen”, stöhnt Ralph Gabriel vom lokalen Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt. “Das reiht sich wie an einer Schnur an den Orten mit S‑Bahn-Halt auf”, so der 36-Jährige. Auch Gabriele Schlamann vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg (MBT) sieht die Entwicklung mit Sorge: “Die Rechten scheinen in Oberhavel einen Rückzugsraum entdeckt zu haben, wo sie in Ruhe gelassen werden.”
Das bestätigt auch der Brandenburger Verfassungsschutz. “Wahrscheinlich gehen sie davon aus, im Umland besser der Beobachtung durch die Antifa entgehen zu können”, sagt Geert Piorkowski, Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums. Zudem hält man in der Behörde Kontakte zu bereits in Oberhavel wohnenden Parteifreunden für ausschlaggebend. Die Brücke Berlin-Oberhavel bestehe schon länger: Zu Vorträgen der NPD Oberhavel reisten stets auch Berliner Rechte an. Die verstärkte Ansiedlung der hauptstädtischen Rechten in Oberhavel habe man daher “aufmerksam registriert”, versichert Piorkowski.
Pikant am geballten Zuzug der NPD-Funktionäre ist deren scheinbar gutbürgerliches Engagement in den brandenburgischen Provinzen. Wolfram Nahrath zeigt sich aktiv im lokalen Fußballverein, Stella Palau beim Hohen Neuendorfer Kinderturnverein und im Familienzentrum. Zuletzt leitete die NPD-Frau in der Kindereinrichtung gar das Mutterfrühstück. “Sie hat sich hier stets als engagierte Mutter präsentiert”, bekennt Astrid Mollenhauer vom Familienzentrum. “Es gab keinen Punkt, an dem wir misstrauisch geworden wären.”
Genau davor warnt Gabriele Schlamann vom MBT: “Das ist das Ziel der Rechtsextremen: erst sich in der Mitte der Gesellschaft etablieren, dann die Ideologie auspacken.” Der Verfassungsschutz sieht das nicht anders. “Das Beispiel Oberhavel passt in die bundesweite Strategie, sich über das Engagement in den Kommunen einen bürgerlichen Anschein zu geben”, sagt Geert Piorkowski. Einer der führenden Verfechter dieser Taktik ist Stella Palaus Ehemann Jörg Hähnel. In seiner Geburtsstadt Frankfurt (Oder) gab er schon in den 90ern Ständchen in Altenheimen und pflanzte “deutsche” Eichen. Eine Strategie, die der NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern als Erfolgsrezept im Wahlkampf galt.
Das soll nun auch in Oberhavel funktionieren, wo die Berliner Nazis auf eine funktionierende Infrastruktur treffen: Hier befindet sich die Verwaltung des brandenburgischen Landesverbands, hier tummeln sich im NPD-Kreisverband nach eigenen Angaben die meisten Mitglieder im Land, hier wurde der vergangene Landesparteitag abgehalten. Offenbar nicht zufällig wohnte in Hennigsdorf bis vor wenigen Jahren noch der heutige NPD-Bundeschef Udo Voigt.
Und beim Status quo solls nicht bleiben. “Die NPD hat deutliche Bestrebungen kundgetan, sich hier weiter auszubreiten”, sagt Gabriele Schlamann vom MBT. Erstmalig wollen sie bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr flächendeckend in Brandenburg antreten. Auch dabei werden die Berliner Kameraden hilfreich sein: Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass “aufgrund des Mangels an vorzeigbarem Personal Rechtsextreme, die ihren politischen Schwerpunkt bislang in Berlin hatten, sich dem Brandenburger Landesverband als Kandidaten zur Verfügung stellen”, so Piorkowski.
In Hohen Neuendorf und Umgebung geraten diese Aktivitäten nun durch die “Causa Palau” in den Fokus der Bevölkerung. “Es gibt hier viel Gesprächsbedarf”, bestätigt Astrid Mollenhauer. Eiligst wurde in der vergangenen Woche ein Informationsabend über Rechtsextremismus in der Region abgehalten — über 240 Besucher lauschten dem referierenden Mobilen Beratungsteam und dem Verfassungsschutz. “Man hat ja so Klischees von Rechten im Kopf, die hier nicht mehr zutreffen.” Im Familienzentrum habe man Texte von Palau ausgehängt. “Die meisten Eltern sind völlig ungläubig und überrascht”, so Mollenhauer. Die lokale NPD spricht derweil von einer “Hexenverfolgung” gegen ihre Spitzenfrau.
Die Betroffene selbst gibt sich gelassen. Ein Hausverbot aufgrund eines Parteibuchs sei “selbstverständlich vollkommen daneben”, aber nicht überraschend “in dieser Demokratie”, so Stella Palau. Mehrere Bürger hätten sich mit ihr solidarisiert. Eine lokalpolitische Betätigung will die 29-Jährige daher inzwischen nicht mehr ausschließen: “Vielleicht kommt mir die plötzliche Popularität ja noch zugute.”
Die NPD Oberhavel hat längst bei Palau angefragt, ob sie nicht als Wahlkreiskandidatin für die Kommunalwahl im nächsten Jahr zur Verfügung stünde. Man kenne sich ja bereits. Im vergangenen Jahr sprach Palau schon einmal vor den Kameraden aus Oberhavel — über “nationale Familienpolitik”.
»Weiber, küsst die Schienen, ich komme.« Was ein russischer Soldat an die Garnisonsmauer Wünsdorfs sprayte, markierte das Ende einer 100-jährigen Militärtradition. Es begann das regionale Konversionszeitalter.
Das war 1994. Seither darf die 6900-Seelen-Gemeinde südlich von Berlin ohne das Militär auskommen. Das streng bewachte, mit MG und Kanone bewehrte Eingangstor, das die B 96 abrupt unterbrach, ist einem Discounter gewichen. Eine Asphaltstraße führt hoch in die Waldstadt – vorüber am erneuerten Kommandantenhaus, in dem jetzt bei gutem Zuspruch die asiatische Küche residiert.
Ringsum sind einstige Kasernen aufwendig saniert worden. Die Landesregierung hat in ihr Musterprojekt in Sachen Konversion 225 Millionen Euro gesteckt – in die Infrastruktur ebenso wie in die Sanierung. Dennoch steht trotz günstiger Mieten eine Unzahl von Wohnungen leer. In gängigen Analysen ist von 1000 Wohnungen die Rede, Ortsbürgermeisterin Sabine Brumm hält dies für übertrieben. Sie geht von womöglich 300 leeren Einheiten aus. Die unterschiedlichen Zahlen erklären sich aus der mäßigen Auskunftsfreude der besitzenden Vermieter.
Aus einem ehemaligen kaiserlichen Pferdestall ist ein Museum gewachsen, in dem die Geschichte des Heidedörfchens nachgezeichnet wird. In einem anderen Gebäude wird der Alltag der russischen Soldaten beschrieben. Bis zu 50 000 dienten seit Kriegsende zeitweise in der Garnison.
20 000 Leute besuchen alljährlich die Ausstellungen samt der Bunker und spitzen Luftschutztürme, die zum Anschauen hergerichtet wurden. Von hier aus dirigierte das Oberkommando der Wehrmacht den Krieg gegen die Sowjetunion und andere Völker. Auf Wünsdorfer Gelände wurden die sogenannten Wunderwaffen namens »Dicke Berta« sowie Wernher von Brauns Raketen erprobt. Kaiser und Könige, Reichskanzler, SS-Größen und Generalstäbler gaben sich die Klinke in die Hand.
Russische Rekruten führten hier militär-martialische Shows auf und paradierten vor Ulbricht, Honecker und anderen, um namens ihrer Obrigkeit Kampfstärke und unverbrüchliches brüderliches Miteinander zu bekunden. Aus den Bunkern wurde die DDR regiert, so es in Moskau als nötig erachtet wurde, etwa bei der Operation Mauerbau. Zu DDR-Zeiten erinnerte man sich im Garnisonskomplex der Kommunistin Rosa Luxemburg. Sie war nach ihrer Ermordung 1919 in einen Kellerraum des Lazaretts gebracht worden. Die Russen ehrten die Kommunistin, indem sie eine entsprechende Tafel an der Lazarettwand anbrachten. Dies und manches andere findet sich nicht in der Ausstellung. Irgendeine Baufirma habe die Tafel geklaut, sagt Museumsvereins-Vorsitzender Dieter Kießlich. Er möchte Historie aus Sicht Betroffener im Ort darstellen. Großflächige Schautafeln, dazu persönliche Dokumente, die Leute aus dem Familienerbe anschleppten, Erläuterungen in Mappen. Die Politik will Kießling draußen lassen. »Auf Wunsch wartet ein Bunker-Biwak auf Sie – Lagerfeuer, Feldverpflegung und Getränke in einer wild-romantischen Militärlandschaft«. Man wirbt in einer gewöhnungsbedürftigen Diktion.
Neben Museen entstand ein Komplex militärhistorisch geprägter Antiquariate. Hier und zu literarischen Veranstaltungen sowie Konzerten finden sich weitere 20 000 Besucher im Jahr ein. In kurzer Zeit siedelten sich 19 Antiquariate an, meist als Zweigstelle ihres Stammsitzes in Berlin, wie Werner Borchert vom Tourismus-Verein bedauert. Sie setzten sich ins konversionsgemachte Bett, brauchten faktisch nur die Hand aufzuhalten, weil ABM-Kräfte die Arbeit taten. Als die abgezogen wurden, bauten viele Antiquariate ab. Jetzt sind noch fünf Händler im Geschäft und bieten um die 230 000 Bände sowie allerhand Kunstwerk an.
Doch an allem Anfang des Konversionsprojektes standen die Mühen, aus einer über Jahrzehnte für den Bürger verbotenen und nunmehr menschenleeren Gemarkung einen wohnlichen Ort zu machen. Was blieb von der Garnison, das waren 404 Katzen, 26 Hunde, eine Ziege und ein Mufflon, kontaminierter Boden, 50 000 Tonnen Sperrmüll, 900 mehr oder weniger heruntergewirtschaftete Gebäude.
Bis Ende vorigen Jahres wurden auf dem Kasernengelände 12 837 Spreng- und Brandbomben, Granaten aller Kaliber, Waffen und Waffenteile ausgebuddelt und vernichtet. Zu 90 Prozent sind die Flächen laut Innenministerium beräumt. Anders außerhalb der Kasernenstadt, dem einstigen Manöverfeld. Hier rechnet man noch mit einer »nicht konkret zu kalkulierenden Menge unentdeckter Kampfmittel«. Unterdessen hat sich die Graffiti-Szene der Mauern bemächtigt, die abwechselnd mit Drahtzäunen den engeren militärischen Komplex in der Südstadt abschirmt. In Teilen bietet er dasselbe traurige Antlitz wie vor einem Dutzend Jahren. Nur dass die bauliche Substanz weiter und weiter verfällt. An »stadtbildprägenden Objekten« seien zwar Sicherungsvorkehrungen getroffen worden, hieß es aus dem Brandenburger Finanzministerium, doch sei die Entwicklungsgesellschaft Wünsdorf wirtschaftlich nicht in der Lage, Projekte zu finanzieren. Investoren zu gewinnen, sei »ohne tragfähige Ansätze« geblieben.
Nachdem bislang 125 Hektar an private Investoren veräußert werden konnten, stehen noch immer 300 Hektar zum Verkauf. Das bleibt auf Dauer nicht ohne Wirkung auf Wünsdorf. Ein Drittel der Bewohner sind im Senioren‑, ein Drittel im Nachwuchsalter, sagt Brumm. Viele leben von staatlicher Unterstützung. Vom mittleren Drittel im arbeitsfähigen Alter sind um die 20 Prozent arbeitslos, der Rest geht dem Job zu 70 Prozent außerhalb Wünsdorfs nach.
Stadteinwärts ist nach Vorgaben der Landesregierung ein Beamtenstädtchen entstanden, wo sich in sanierten Kasernen 17 Landesbehörden ausbreiten – vom Gesundheits- bis zum Amt für Verbraucherschutz. Leider hat sich keiner der derzeit 878 Mitarbeiter (geplant waren 1028) in der Gemeinde angesiedelt, so Sabine Brumm. Daran sei die Landesregierung nicht ganz unschuldig – sie zahle die An- und Rückfahrt aus und nach Potsdam oder anderen Wohnörtlichkeiten. Das verführe nicht gerade zu Umzügen.
Alles sei im Entstehen und nicht frei von Rückschlägen, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. »Erforderlich ist eine Anpassung an die sich wandelnden Rahmenbedingungen.« Was meint, dass keine Mittel mehr fließen sollen. Ist die Konversion beim Musterprojekt der Landesregierung gescheitert? Borchert winkt ab. Man schaffe es auch mit den vielen Ideen und dem Fleiß der Wünsdorfer allein, den derzeitigen Stand zu halten. Voran komme man vermutlich nur noch mit privaten Investoren wie dem Bauunternehmer Gerhard Gollan, der nicht nur Gebäude saniert, sondern auch beispielsweise die Museen gesponsert hat. Wenn allerdings der Kreis elf Monate benötige, um eine Baugenehmigung zu erteilen, würden Investoren nicht gerade angezogen, wird Gollan zitiert. Wenn nur mal ein Projekt klappen würde, so Brumm, sich vielleicht eine Firma ansiedeln würde – so mit 300 Arbeitsplätzen –, dann käme man voran. Doch ein Sportzentrum von bundesweitem Rang, das seit drei Jahren gebaut werden soll, harrt des Startschusses. Die Ministerien, gebeutelt durch Pleiteprojekte wie Cargolifter, Chipfabrik und Lausitzring, wollen den Geldkoffer der Investoren sehen, die aber erst Planungssicherheit haben, ein Teufelskreis.
Auch das von Moskau geplante russische Haus der Begegnung mit einer von namhaften Großmeistern via Internet geführten Schachschule, einer Ausstellung über sowjetische Streitkräfte und Begegnungen mit Kultur und Kunst scheint neuerdings in den Sternen zu stehen. Einem Gerücht zufolge will Moskau das Projekt in einem weit
kleineren Rahmen angehen. – »budjet«, heißt es nach altem russischem Brauch – es wird, irgendwann und irgendwie.
Weitere Details: Kaiser/Herrmann »Vom Sperrgebiet zur Waldstadt«, Chr. Links Verl., 19,90 EUR auch über ND-Bücherservice zu beziehen.
Rechtsextreme planen Kundgebung
Rathenow: *Der NPD Kreisverband Havel-Nuthe, in dem auch die Rathenower Ortsgruppe der Nationaldemokraten organisiert ist, hat für den 18. April eine Kundgebung auf dem Ehrenfriedhof am Weinberg angemeldet. Das bestätigte Katrin Laurisch, Sprecherin des Polizeischutzbereiches Havelland.
Über das Vorhaben der rechtsextremen Partei zeigte sich Bürgermeister Ronald Seeger wenig glücklich. Sein Sprecher Jörg Zietemann erklärte, dass die Rathenower Stadtverwaltung in der Angelegenheit von der Polizei informiert und angehört werde. “Wir haben jetzt eine ausführliche Stellungnahme ausgearbeitet und besprechen das mit der Polizei”, sagte Zietemann. Grundsätzlich könne der Schutzbereich lediglich Auflagen festsetzen, steckte Katrin Laurisch die Möglichkeiten der Polizei ab. “Wir können andere Kundgebungsorte festlegen, wenn wir glauben, dass der Ehrenfriedhof für einen möglichen Polizeieinsatz ungeeignet ist — zum Beispiel aus Pietätsgründen.” Katrin Laurisch hofft, “dass die Stadt versucht, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen”.
Bürgermeister Seeger werde alles unternehmen, damit die Kundgebung der NPD nicht stattfindet, bestätigte Jörg Zietemann. Sollten allerdings auch Gerichte zu Gunsten der Rechtsextremen entscheiden, setze Seeger auf die Hilfe des Aktionsbündnisses “Tolerante Stadt Rathenow”.
Zur Erinnerung: Am 18. April 1944 fielen Bomben auf Rathenow, betroffen war insbesondere die Gegend um den Friedrich Ebert Ring. Die amerikanischen Bomber sollten ihre Last eigentlich in Berlin abwerfen. Weil an diesem Tag mit starkem Flakfeuer vom Boden zu rechnen war, drehten sie ab und nahmen sich Rathenow zum Ziel.