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Law & Order

Bericht über Widerstand und Organisierung im Knast

Der fol­gende Bericht von Chris­tine Schwenke zeigt auf, welche Mit­tel u.a. von Knästen genutzt wer­den, um wider­ständi­ge Gefan­gene zu unter­drück­en und eine Organ­isierung von Gefan­genen zu verhindern.

Chris­tine, Gefan­gene der JVA Luck­au-Duben, ver­sucht sich auf mehrere Art und Weisen gegen die Ver­hält­nisse im Knast zu wehren. So stellte sie zum Beispiel seit Mai 2015 3700 Anträge an den Knast (das sind kleine Zettel, welche von Gefan­genen aus­ge­füllt wer­den und dann durch ver­schiedene bürokratis­che Abteilun­gen im Knast wan­dern), welche kri­tis­che Fra­gen und Antworten zum Knast(alltag) bein­hal­ten. Ein immer wieder aufk­om­mendes The­ma ist dabei die Inter­essen­vertre­tung von Gefan­genen, d.h. eine Gemein­schaft von Gefan­genen, welche sich ange­blich für die Inter­essen aller ein­set­zt. Wichtig anzumerken: Inter­essen­vertre­tun­gen wer­den, wenn sie sich in Knästen über­haupt etablieren, von den Knästen abso­lut überwacht und kon­trol­liert. Sie gehören zum Knast­sys­tem und sind nicht unab­hängig davon zu betra­cht­en (§ 113 BbgJVol­lzG).

Dazu merk­te Chris­tine in ihren Anträ­gen z.B. an:

Warum find­et seit 4 Jahren keine Inter­essen­vertreter­wahl statt? Warum wird eine Inter­essen­vertreterin durch die JVA Luck­au-Duben einge­set­zt, die kein­er ken­nt? Wed­er Aushänge noch Sprechzeit­en wer­den ange­boten. Inter­essen der Gefan­genen wer­den somit bewusst und ganz gezielt unterbunden!“

Der Knast ließt solche Fra­gen und Antworten natür­lich nicht gerne. Knastver­hält­nisse zu hin­ter­fra­gen bedeutet auch das Sys­tem zu hin­ter­fra­gen, welch­es ihn her­vor­bringt: den Staat. Deswe­gen ist es Staatsknecht­en ein drin­gen­des Anliegen, jegliche kri­tis­che Stimme zum schweigen zu brin­gen, selb­st, wenn es nur um Anträge geht, die lediglich intern im Knast herum­fliegen und die Anstalt­store nicht ver­lassen. Dafür hal­ten sich Staatsknechte ver­schiedene Repres­salien bereit.

So wurde Chris­tine am 21.März 2019 beispiel­sweise mit ein­er Zellen-Razz­ia kon­fron­tiert, es fol­gte ein seit August 2018 gel­tendes „Notiz-Zettel-Ver­bot“ bei Besuch­ster­mi­nen. Weit­er ging es mir der Nicht­genehmi­gung ein­er Schreib­mas­chine, zusät­zlich muss Chris­tine 7,5 Monate auf einen Besuch bei ihrem Sohn im Knast Tegel warten. Ein möglich­er Drei­monat­srhyth­mus wird eben­so abgelehnt, wie ein direk­ter Tele­fonkon­takt zu ihrem Sohn. Außer­dem wird Chris­tine bei der Vor­bere­itung ihres Wieder­auf­nah­mev­er­fahrens behin­dert, indem ihr das Lesen der Ver­fahren­sak­ten und Geset­zes­texte ver­boten wird: „Seit 4 Jahren wird das Lesen der Ver­fahren­sak­ten nicht genehmigt. Während der U‑Haft in der JVA Luck­au-Duben war es am PC möglich, da alle 80 Akten dig­i­tal­isiert sind. Seit dem 28. Feb­ru­ar 2019 ist mir das Lesen der für Gefan­gene angeschafften Geset­zbüch­er eben­so unter­sagt, wie z.B. die Nutzung von Wikipedia im Bil­dungs­bere­ich. In Briefen mit­geschick­te Infos (Geset­ze­sauszüge u.ä.) wer­den mir nicht aus­ge­händigt! Mir wird jegliche Möglichkeit der Infor­ma­tion untersagt!“

Chris­tine ist sich bewusst, dass der Knast sie mit alltäglichen Schika­nen mund­tot machen will. Beu­gen will sie sich dem aber nicht, im Gegen­teil: stetig ver­sucht sie, andere Gefan­gene zu motivieren, sich dem Knast­sys­tem nicht zu fügen, son­dern wider­ständig zu sein. Allein der Ver­such der Organ­isierung wird allerd­ings vom Knast durch mehrere Meth­o­d­en im Keim erstickt:

Ich habe verzweifelt ver­sucht wenig­stens auf der Sta­tion 31 eine Ein­heit zu schaf­fen. Völ­lig zweck­los. In vier Jahren auf Sta­tion 31 (Durch­gangssta­tion) waren hier über 1300 Gefan­gene, bei 15 Haft­plätzen unterge­bracht. Der Durch­lauf ist zu schnell. Es kommt noch hinzu, dass wir untere­inan­der, damit meine ich zwis­chen den vier Sta­tio­nen mit je 16 Plätzen, kaum Kon­takt haben, nur die eine Stunde Freigang.“ Was das für Gefan­gene im All­t­ag bedeutet, erk­lärt sie eben­falls: „Eine Gefan­gene von Sta­tion 21 hat­te Geburt­stag – ein Geschenk muss zur Freis­tunde geschmuggelt wer­den. Ein Stück Geburt­stagskuchen rüberzugeben wird verboten.“

Durch starken Durch­lauf und der Isolierung der Gefan­genen wird eine Organ­isierung dementsprechend kaum ermöglicht. Hinzu kommt, dass die Vol­lzugsabteilungslei­t­erin anderen Gefan­genen dro­ht: wer Kon­takt mit Chris­tine hat, würde Nachteile riskieren.

Mehrfach wurde mir zuge­tra­gen, dass die Vol­lzugsabteilungslei­t­erin S. andere Mit­ge­fan­gene vor mein­er Per­son warnt – der Kon­takt mit mir kön­nte son­st Nachteile bringen.“

Spal­tungsver­suche wie diese zeigen die Angst der Staatsknechte auf: zwar geht es nur im mick­rige Anträge ein­er Gefan­genen, wenn sich deren Inhalte aber erst ein­mal im Knast herum­sprechen wür­den und andere Gefan­gene auch auf die Idee kämen, ähn­liche Fra­gen zu stellen und Antworten zu geben, wäre der Knast mit mehreren kri­tis­chen Gefan­genen kon­fron­tiert. Wenn diese Gefan­genen jet­zt auch noch auf die Idee kom­men wür­den, sich zu ver­bün­deln, gemein­sam Kri­tik zu äußern und sich Gegen­strate­gien ein­fall­en ließen, käme das ein­er Organ­isierung gle­ich, welche für jeden Knast eine Gefahr darstellt. Jed­er Anfang ein­er Organ­isierung, fol­glich einzelne kri­tis­che Gefan­gene, sollen daher, z.B. mit­tels alltäglich­er Schikane, mund­tot gemacht wer­den. Weit­er­hin wer­den die Gefan­genen voneinan­der isoliert. Durch Dro­hun­gen wie in Christines Fall soll Angst geschürt und damit Spal­tung vor­angetrieben werden.

Diese Repres­salien sind nicht nur All­t­ag in der JVA Luck­au-Duben, son­dern gehören zur Logik eines jeden Knastes, eines jeden Staates. So wie herrschafts­freie Per­spek­tiv­en und Organ­isierun­gen dem Staat ein Dorn im Auge sind, so ver­suchen auch Knäste jegliche Kri­tik und Organ­isierung von Gefan­genen zu unter­drück­en. So wie wir uns draußen an vorherrschende Regeln hal­ten sollen und bestraft wer­den, wenn wir bei Mis­sach­tung erwis­cht wur­den, so sollen auch Gefan­gene zu einem angepassten Ver­hal­ten gezwun­gen wer­den. „Angepasst“ bedeutet dabei immer, vorherrschende Regeln und Machtver­hält­nisse nicht zu hin­ter­fra­gen, son­dern sich ihnen stillschweigend zu beu­gen. Wehren sich Gefan­gene gegen die Logik „Herrschende und Beherrschte“, indem sie Machtver­hält­nisse z.B. mit­tels ein­er Organ­isierung ver­schieben wollen, schwingt die Repres­sionskeule noch stärk­er, als eh schon. So auch bei Christine.

Ent­ge­gen dieser Logik ist es deswe­gen umso wichtiger, Chris­tine zu zeigen, dass sie nicht alleine ist. Schreibt ihr, fol­gt den Infos aus dem Knast auf Twit­ter (ger­ade lei­der ges­per­rt) und informiert euch auf ihrer Home­page (geht nicht über Tor zu öff­nen). Lasst euch vieles ein­fall­en, um ihr zu zeigen, dass wir sie nicht vergessen und unsere wider­ständi­gen Herzen bei ihrem sind.

Chris­tine Schwenke
Lehmki­eten­weg 1
15926 Luck­au                         

schwenke52(at)gmx.de

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(Anti-)Rassismus

Aufstehen gegen Hass und Gewalt!

Eber­swalde, Halle, Hanau, Kas­sel, Mölln … nur eine Auswahl von Orten, an denen ras­sis­tisch-motivierte Morde und Angriffe ein trau­riger Teil der Stadt­geschichte sind. Es sind Orte und Ereignisse, die uns daran erin­nern, dass noch nicht genug gegen men­schen­feindliche Stim­mung und Gesin­nung getan getan wor­den ist und die uns auch weit­er­hin aufrüt­teln soll­ten, mehr zu tun. Denn nur zu oft vergessen wir, dass schon
abfäl­lige und aus­gren­zende Blicke, Bemerkun­gen, Belei­di­gun­gen und Bedro­hun­gen erste Alarm­sig­nale für All­t­agsras­sis­mus sind. Wir wollen, dass sich alle Men­schen gegen Ras­sis­mus und Frem­den­feindlichkeit posi­tion­ieren, ein­schließlich jen­er, die nicht selb­st von Ras­sis­mus und Frem­den­feindlichkeit betrof­fen sind bzw. diese erfahren haben!

Anlässlich des 30. Todestages von Amadeu Anto­nio möchte die Barn­imer Kam­pagne „Light Me Amadeu“ in Koop­er­a­tion mit der Stadt Eber­swalde und dem Land­kreis Barn­im gemein­sam mit möglichst vie­len Men­schen ein deut­lich­es Zeichen gegen Ras­sis­mus, Hass und Het­ze, für Sol­i­dar­ität, Demokratie und Men­schen­rechte setzen.

Trotz der Coro­na-Pan­demie wird dieses Gedenken stat­tfind­en. Nicht so, wie wir es ursprünglich geplant haben, son­dern dezentral.

Wir rufen deshalb dazu auf, sich in der Zeit zwis­chen dem 25. Novem­ber (Tag nach dem Angriff) und dem 6. Dezem­ber 2020 (Tag seines Todes) an einem dig­i­tal­en und dezen­tralen Gedenken zu beteiligen.

Legt in dem gesamten Zeitraum einzeln oder in kleinen Grup­pen am Gedenkstein Blu­men und Botschaften nieder! Streamt Videobotschaften!

Ver­bre­it­et eure State­ments und Fotos unter dem Hash­tag #amadeuan­to­nio. Schickt bitte alles auch an palancaev(at)gmx.de.

Eine kleine Gedenkver­anstal­tung mit begren­zter Teil­nehmerzahl find­et unter Beach­tung der Coro­na Aufla­gen statt am

Son­ntag, den 6. Dezem­ber 2020 um 14 Uhr in Eberswalde

Geplant ist eine Auf­tak­tkundge­bung am ehe­ma­li­gen “Hüt­ten­gasthof” (Ecke Lichter­felder / Eber­swalder Straße) mit anschließen­dem Demon­stra­tionszug zur etwa 250 m ent­fer­n­ten Mahn- und Gedenk­tafel für Amadeu Anto­nio. Dort kön­nen nach den kurzen Wort- und Musik­beiträ­gen Kerzen oder Blu­men nieder­legt werden.

Um 17.00 Uhr find­et ein dig­i­taler Work­shop zum The­ma All­t­agsras­sis­mus statt. Achtet auf aktuelle Ankündi­gun­gen. Wir laden alle Men­schen zur Teil­nahme ein, die für Respekt und Sol­i­dar­ität, gegen Hass, Het­ze und Gewalt einstehen.

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus jüdisches Leben & Antisemitismus Law & Order

Ein Appell anlässlich der Angriffe vonseiten der AfD

Zeichen set­zen für unsere Bran­den­burg­er Zivilgesellschaft.
Ein Appell anlässlich der Angriffe von­seit­en der AfD-Landtagsfraktion

Autokratis­che, anti­demokratis­che und nicht zulet­zt faschis­tis­che Ten­den­zen sind weltweit ein Prob­lem. Zwar ist das Ver­trauen in die demokratis­chen Insti­tu­tio­nen nach wie vor hoch. Doch die vie­len Debat­ten, Demon­stra­tio­nen und gar Ter­ro­ran­schläge darüber zeigen auch: Die Zwi­etra­cht ist gesät und viele begin­nen, das Selb­stver­ständliche mit anderen Augen zu betra­cht­en. Und manche über­legen bere­its: Wenn man die Demokratie zer­stören wollte – wie und mit wem wäre zu agieren? Und nicht wenige Beziehun­gen, glob­al oder auch in Frank­furt Oder und Słu­bice, führen zur AfD.

So wird klein Ange­fan­gen. Und dafür kann man auf die demokratis­chen Insti­tu­tio­nen selb­st zurück­greifen. Etwa, indem man im Land­tag „Kleine Anfra­gen“ zu Akteur*innen der Zivilge­sellschaft stellt, die vor allem eines demon­stri­eren sollen: „Wenn wir kom­men, wird „aufgeräumt“!“ So getan hat es kür­zlich die bran­den­bur­gis­che AfD-Frak­tion, indem sie die Lan­desregierung nach „Erken­nt­nis­sen“ zum „Utopia e.V.“ aus Frank­furt (Oder) fragt – und Infor­ma­tionsver­anstal­tun­gen (wie The­men­t­age zu Nation­al­is­mus und Anti­semitismus),  Demon­stra­tionsvor­bere­itun­gen (wie zur Pride oder See­brücke), Sem­i­nare und Konz­erte sowie Kul­turver­anstal­tun­gen in die Nähe des extrem­istis­chen drän­gen möchte. Als seien solche Aktiv­itäten nicht die Grund­lage der Demokratie.

Die AfD „fragt“ gerne und oft zu Vere­inen und Ini­tia­tiv­en, die sich gegen Gewalt, Recht­sex­trem­is­mus und Ras­sis­mus ein­set­zen, vor allem wenn sie im zivilge­sellschaftlichen Net­zw­erk „Tol­er­antes Bran­den­burg“ engagiert sind oder ein­fach nicht in ihr Welt­bild passen wollen. Wie zum Beispiel die Beratungsstelle „Opfer­per­spek­tive“, die seit über 20 Jahren Betrof­fene rechter Gewalt im Land Bran­den­burg unter­stützt. Die AfD scheut auch nicht davor zurück, eine Anfrage zu den demon­stri­eren­den Schüler*innen von „Fri­days for Future“ zu stellen. Dies erscheint auf den ersten Blick harm­los, doch muss man nie­man­dem erk­lären, welch­es Ziel hin­ter diesen Anfra­gen ste­ht: die Diskred­i­tierung, Läh­mung und Ein­schüchterung ein­er sol­i­darischen Zivilge­sellschaft. 2019 waren es die Antidiskri­m­inierungsar­beit und Teile der Umwelt­be­we­gung, 2020 das mus­lim­is­che Gemein­deleben an der Oder und der „Utopia e.V.“. Näch­stes Jahr wer­den sie ver­suchen, die Legit­im­ität weit­er­er Vere­ine, Ini­tia­tiv­en und demokratis­chen Net­zw­erke zu untergraben.

Wir Bran­den­burg­er Akteur*innen der Zivilge­sellschaft machen unsere wichtige Arbeit in der Nach­barschaft, im Sport, im sozialen und im kul­turellen Bere­ich. Ob ehre­namtlich, haup­tamtlich oder in kleinen Gesten – wir beziehen im All­t­ag Stel­lung für eine sol­i­darische und emanzi­pa­torische Gesellschaft.  Die meis­ten von uns sind es dabei nicht gewohnt, sich in der poli­tis­chen Öffentlichkeit laut Gehör zu ver­schaf­fen. Doch kein Vere­in, keine Ini­tia­tive, kein Net­zw­erk oder Einzelper­son soll sich von den lär­menden Recht­saußen unter Druck geset­zt fühlen. Nie­mand sollte sich die Frage stellen müssen, wie die eigene Arbeit wohl aussähe, wenn die AfD „das Sagen“ hätte

Deswe­gen unterze­ich­net diesen Appell und ladet alle ein, es uns gle­ich zu tun! Wir sind bunt, sol­i­darisch und ste­hen zusam­men! Bei „kleinen Anfra­gen“ und bei großen Her­aus­forderun­gen, vor denen wir über­all gle­icher­maßen ste­hen: den Stimmungsmacher*innen am recht­en Rand die Stirn zu bieten. Und unsere vielfälti­gen Kul­turen in der Stadt und auf dem Land zu verteidigen.

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus Arbeit & Soziales jüdisches Leben & Antisemitismus Law & Order Parlamentarismus

Pressemitteilung des Utopia e.V. zur AfD-Anfrage vom 29.10.

Pressemitteilung des Utopia e.V. zum antidemokratischen Angriff durch die Anfrage der AfD im brandenburgischen Landtag vom 29.10.

Die AfD Bran­den­burg stellte am 29.10.2020 eine Anfrage im Bran­den­burg­er Land­tag zu den „link­sex­trem­istis­chen Verbindun­gen des Utopia e.V. in Frank­furt (Oder)“.

Im Jahr 2020 in dem die Zahl recht­sex­tremer Morde auf einem neuen Höch­st­stand angekom­men ist. In dem sich inner­halb der AfD die Gruppe des „Flügel“ wegen extrem rechter Machen­schaften auflöst. In dem die bun­desweite Jugen­dor­gan­i­sa­tion, der AfD, „JA“ eben­falls als erwiesen­er­maßen recht­sex­trem behan­delt wird und der bran­den­bur­gis­che Lan­desver­band der AfD trotz Rauswurf des Neon­azis Andreas Kalb­itz die par­la­men­tarische Stimme der extremen Recht­en bleibt. Julian Mey­er, Sprech­er des Utopia e.V. sagt dazu: „Es ist gle­ichzeit­ig voraus­sag­bar und unfass­bar, wie eine extrem rechte Partei ver­sucht durch par­la­men­tarische Anfra­gen unsere Arbeit als Träger*in der Freien Jugen­dar­beit in Frank­furt (Oder) zu diskred­i­tieren. Ger­ade in Zeit­en der Pan­demie mit den dazuge­höri­gen Ein­schränkun­gen ist Jugen­dar­beit und das Ermöglichen von Freiräu­men exis­ten­tiell wichtig.“

Die AfD stellt sys­tem­a­tisch in Par­la­menten Anfra­gen zu demokratis­chen Vere­inen und Insti­tu­tio­nen der Zivilge­sellschaft. So stellte die AfD in Bran­den­burg in diesem Jahr schon Anfra­gen zum Beratungsnetz „Tol­er­antes Bran­den­burg“ [1], dem Bil­dungs- und Kul­tur­ort Frei­land in Pots­dam [2] und auch schon zur Schüler*innengruppe „Fri­days for Future“ in Frank­furt (Oder) [3].
In einem Antrag mit ähn­lich­er Absicht der AfD zu den Falken Bran­den­burg, in der eine Rück­zahlung der Fördergelder gefordert wird, zeigt deut­lich das eigentliche Ziel der Partei [4]. Julian Mey­er meint dazu: „Wir als klein­er ehre­namtlich­er Vere­in haben dadurch einen erhöht­en Ver­wal­tungsaufwand sowie schwierigere Förderbe­din­gun­gen, müssen viel mehr Elternar­beit leis­ten und sehen uns direkt bedroht“.

Anti­demokratis­che Ten­den­zen und Verbindun­gen zur extremen Recht­en wur­den der AfD auf Bun­de­sebene [5], Bran­den­burg­er Lan­desebene [6] und auch dem Frank­furter Stadtver­band [7] schon mehrfach nachgewiesen. Julian Mey­er ergänzt dazu weit­er: „Es ist nicht neu, dass die AfD durch Angriffe auf die demokratis­che Zivilge­sellschaft ver­sucht ihre Macht auszubauen. Ras­sis­tis­che, nation­al­is­tis­che und patri­ar­chale Ker­nele­mente existieren bere­its seit der Grün­dung der AfD“.
Der­weil scheint die AfD ihren anti­demokratis­chen Kurs weit­erzuführen. Nach dem Rauswurf des Neon­azis Andreas Kalb­itz, der neben Daniel Frei­herr von Lüt­zow und Wilko Möller Ver­fass­er der Anfrage war, wählte die AfD nun den näch­sten Faschis­ten, Hans-Christoph Berndt, zum Vor­sitzen­den. Dieser gelang in der extremen Recht­en in den let­zten Jahren zu Ruhm durch die Grün­dung und Leitung des ras­sis­tis­chen Vere­ins Zukun­ft Heimat. Julian Mey­er stellt dazu abschließend fest: „Wir erken­nen hier eine Kon­ti­nu­ität extrem rechte Posi­tio­nen inner­halb ein­er Partei, die in sämtlichen Par­la­menten sitzt. Antifaschis­tis­che, demokratis­che Werte, wie die der Emanzi­pa­tion, der Gle­ich­berech­ti­gung, der Men­schen­rechte und der Sol­i­dar­ität stellen für diese Partei offen­sichtlich Feind­bilder dar.“

Quellen:
1 Anfrage Nr. 4768 im Bran­den­burg­er Landtag
2 Anfrage Nr. 4481 im Bran­den­burg­er Landtag
3 Anfrage Nr. 4609 im Bran­den­burg­er Landtag
4  Antrag Druck­sache 7/1980 vom 15.09.2020
5 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017–09/afd-kandidaten-bundestagswahl-abgeordnete
6 https://www.deutschlandfunk.de/brandenburger-afd-im-gleichschritt-auf-stramm.720.de.html?dram:article_id=486515
7 https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2014/12/20/die-frankfurter-afd-und-ihre-verstrickungen-in-den-braunen-sumpf/

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Gewalt der Vereinigung

Am 2. und 3. Okto­ber 1990 feierten Mil­lio­nen von Men­schen in BRD und DDR die Vere­ini­gung der bei­den deutschen Staat­en. Der 3. Okto­ber wurde zuvor zum Feiertag erk­lärt und wird als solch­er bis heute began­gen. In diesem „Ein­heit­staumel“ zogen am Abend des 2. Okto­ber 1990 bewaffnete Neon­azis und Rechte los und über­fie­len gezielt Linke und beset­zte Häuser sowie Migrant:innen und Vertragsarbeiter:innen und deren Woh­nun­gen. Es gren­zt an ein Wun­der, dass die teils mas­siv­en Angriffe, von denen einige auch noch am 3. Okto­ber stat­tfan­den, keine Todes­opfer forderten. Während ein Großteil der Gesellschaft aus­ge­lassen feierte, kämpften die Ander­sausse­hen­den und Ander­s­denk­enden, vielfach allein­ge­lassen von Gesellschaft und Polizei, um ihre Häuser – und mancherorts auch um ihr Leben.

Angekündigt und absehbar

Die Angriffe vom 2. und 3. Okto­ber 1990 hat­ten sich im Vor­feld ange­bah­nt und waren entsprechend abse­hbar. In den Monat­en zuvor hat­ten Neon­azis am Rande gesellschaftlich­er Großereignisse wie dem Him­melfahrt­stag oder der Fußball-WM immer wieder Linke und Migrant:innen attack­iert. Zudem hat­ten sie für den 2. und 3. Okto­ber 1990 solche Angriffe konkret angekündigt. Sowohl der Staat als auch die Bevölkerung als auch die Presse wussten also davon und kon­nten sich darauf einstellen.

In einem Aufruf vom Sep­tem­ber 1990 zu ein­er anti­na­tion­al­is­tis­chen Demon­stra­tion am 3. Okto­ber wer­den die Absicht­en der Neon­azis von den Organisator:innen der Demon­stra­tion klar benan­nt: „Das ist umso wichtiger, da auch mehrere Faschis­ten-Grup­pen an diesem Tag Aufmärsche pla­nen. Außer­dem wollen sie diejeni­gen über­fall­en, die in ihren Augen ‚undeutsch‘ sind. Aus diesen Grün­den ist am 3. Okto­ber eine Demo zum Alexan­der­platz geplant, der ein Zen­trum dieser Jubelfeiern sein wird. Dort wer­den wir uns auch dem Auf­marsch der Neon­azis ent­ge­gen­stellen.“2

Die Behör­den waren eben­falls informiert, gaben aber zumeist zu ver­ste­hen, dass sie nicht ein­schre­it­en kön­nen oder wer­den. In Berlin wurde eine PDS-Kundge­bung abge­sagt, da „die Partei durch das Innen­min­is­teri­um und Berlin­er Behör­den gewarnt wor­den [sei], daß die Sicher­heit nicht gewährleis­tet wer­den könne.“4 In Jena rieten die Behör­den den Hausbesetzer:innen, ihr Haus aufzugeben, da sie den Schutz nicht gewährleis­ten kön­nten: „Am 2. Okto­ber dann, am Abend vor der deutschen Ein­heit, ver­ließen die ‚Autonomen‘ ihr Dom­izil. Der Dez­er­nent Stephan Dorschn­er riet ihnen dazu, da Mag­is­trat und Polizei erneut Gewalt­tat­en befürchteten.“5 In Zerb­st erk­lärte die Polizei über eine Pressemit­teilung in der Lokalzeitung: „Informiert ist die Volk­spolizei, daß es in der Nacht vom 2. zum 3. Okto­ber zu einem Zusam­men­stoß ein­er großen Anzahl rechts­gerichteter Jugendlich­er aus Zerb­st, Roßlau und Magde­burg mit links­gerichteten Jugendlichen aus Zerb­st in der Kötschauer Müh­le kom­men soll. Das Zerb­ster VPKA sieht sich auf Grund sein­er zur Ver­fü­gung ste­hen­den Kräfte jedoch außer­stande, dort einzu­greifen.“6 In Hoy­er­swer­da war die Polizei eben­falls durch konkrete Dro­hun­gen über die geplanten Über­fälle u.a. auf die Woh­nun­gen der mosam­bikanis­chen Vertragsarbeiter:innen informiert. Diese wur­den schlicht angewiesen, ihre Woh­nun­gen nicht zu ver­lassen.7 In Ros­tock wur­den die poten­ziellen Opfer der Angriffe immer­hin in Sicher­heit gebracht: „Recht­sradikale Über­griffe befürch­t­end, sind bere­its zu Wochen­be­ginn 25 aus­ge­siedelte sow­jetis­che Juden an einen unbekan­nten Aufen­thalt­sort gebracht wor­den.“8

Die so im Vor­feld angekündigte Zurück­hal­tung (im dop­pel­ten Wortsinn) der Polizei und des Staates hat­te eine zweifache Sig­nal­wirkung: Zum einen wurde den Neon­azis zu ver­ste­hen gegeben, dass sie freies Feld haben. Zum anderen wurde den poten­ziellen Opfern der Angriffe klar gemacht, dass sie sich selb­st schützen müssen.

Dementsprechend bere­it­eten sich in beset­zten Häusern in ganz Ost­deutsch­land die Besetzer:innen auf die Angriffe vor: Sie ver­ram­melten und ver­bar­rikadierten ihre Häuser, ver­net­zten, koor­dinierten und bewaffneten sich. In der Ost­see-Zeitung hieß es: „In mehreren beset­zten Häusern in Ost-Berlin wur­den in Erwartung von Auseinan­der­set­zun­gen Türen und Fen­ster ver­nagelt.“10 Für Pots­dam lässt sich nach­le­sen: „In der Nacht zum ‚Tag der Deutschen Ein­heit‘ 1990 erwarteten Hausbesetzer_innen einen Über­fall auf das alter­na­tive Pots­damer Kul­turzen­trum ‚Fab­rik‘. Ein damals Anwe­sender beschreibt die Sit­u­a­tion: ‚Vor dem Tor Wach­posten. […] Auf dem Hof Punks, bewaffnet mit Knüp­peln, mit denen sie kampfes­lustig oder nervös klap­pern. In der Fab­rik gedämpfte Stim­mung. Leise Musik, Grup­pen, die beieinan­der ste­hen oder sitzen.‘“11

Eine Welle von Angriffen und Gewalt

Kon­ser­v­a­tiv geschätzt beteiligten sich min­destens 1000 Neon­azis und Rechte direkt an den Angrif­f­en. In min­destens dreizehn ost­deutschen Städten kam es zu größeren Attacken:

  • In Zerb­st grif­f­en min­destens 200 Neon­azis über mehrere Stun­den und von der Polizei ungestört das beset­zte Haus an. Schließlich set­zten sie das Haus in Brand. Die Besetzer:innen wur­den von der Feuer­wehr in let­zter Minute gerettet. Beim Sprung vom Dach zogen sie sich teils schwere Ver­let­zun­gen zu.
  • In Erfurt grif­f­en 50 Neon­azis das Autonome Jugendzen­trum an. Dabei geri­et das Nach­barhaus in Brand. Die Polizei schritt erst spät ein.
  • In Weimar grif­f­en über 150 Neon­azis das beset­zte Haus in der Ger­ber­straße 3 u.a. mit Molo­tow-Cock­tails an. Die Belagerung dauerte mehrere Stun­den. Dann schritt die Polizei ein.
  • In Jena stürmten und ver­wüsteten Neon­azis das beset­zte Haus in der Karl-Liebknecht-Straße 58. Dabei waren sie von der Polizei ungestört.
  • In Leipzig ran­dalierten 150 Neon­azis in der Innen­stadt, grif­f­en Passant:innen an und ent­glas­ten anschließend das soziokul­turelle Zen­trum „Die Vil­la“. Die Polizei schritt jew­eils am Ende ein.
  • In Halle (Saale) über­fie­len 15 Neon­azis und Hooli­gans drei Mal in Folge das alter­na­tive Café „“ im Reformhaus, dem Haus der Bürg­er­be­we­gun­gen, und ver­wüsteten es. Die Polizei griff danach ein.
  • In Hoy­er­swer­da grif­f­en bis zu 50 Neon­azis ein Wohn­heim mosam­bikanis­ch­er Vertragsarbeiter:innen an. Die Polizei war vor Ort, schritt aber nur halb­herzig ein.
  • In Guben grif­f­en 80 Neon­azis ein Wohn­heim mosam­bikanis­ch­er Vertragsarbeiter:innen an und set­zten einen pol­nis­chen Klein­bus in Brand. Die Polizei schritt spät ein.
  • In Magde­burg ran­dalierten 70 Neon­azis in der Innen­stadt und grif­f­en einen Jugend­club an. Die Polzei griff zu spät ein. In Magde­burg-Olven­st­edt grif­f­en die Neon­azis das Wohn­heim der viet­name­sis­chen Vertragsarbeiter:innen an. Hier war die Polizei vor Ort und hat­te auch ein Schutzkonzept.
  • In Frankfurt/Oder griff eine kleine Gruppe von Neon­azis zwei Busse mit pol­nis­chen Arbeiter:innen an. Die Busse wur­den beschädigt, ein Fahrer wurde verletzt.
  • In Bergen auf Rügen belagerten teils ver­mummte Neon­azis ein Migrant:innenwohnheim. Der Mob wurde später von der Polizei aufgelöst.
  • In Selms­dorf an der ehe­ma­li­gen innerdeutschen Gren­ze zer­störten 50 Neon­azis die Gebäude der Gren­zkon­troll­sta­tion. Die Polizei schritt spät ein.
  • In Schw­erin kam es zu ein­er Straßen­schlacht zwis­chen ins­ge­samt 200 Linken und Neon­azis sowie der Polizei.

Diese größeren Angriffe waren nur die Höhep­unk­te ein­er Welle neon­azis­tis­ch­er Aktio­nen und Gewalt, von der das gesamte Land erfasst wurde: In Riesa ver­prügel­ten Neon­azis die Gäste ein­er Feier13, in Dres­den zogen Neon­azis durch den alter­na­tiv­en Stadt­teil Neustadt14, in Reck­ling­hausen skandierten 70 Neon­azis ras­sis­tis­che Slo­gans15, in Biele­feld pöbel­ten Neon­azis „Aus­län­der“ an16, in Ham­burg ver­sucht­en Neon­azis die beset­zten Häuser der Hafen­straße anzu­greifen17 – um nur einige zu nen­nen. Ins­ge­samt kon­nten bish­er 39 Vor­fälle in Deutsch­land und in der Schweiz ermit­telt werden.

Koor­diniert und organisiert

Bei nahezu allen Vor­fällen waren die Neon­azis schw­er bewaffnet – mit Flaschen, Pflaster­steinen, schw­eren Schrauben, Holzknüp­peln, Base­ballschlägern, Messern, Schreckschusspis­tolen, Pis­tolen mit Reiz­gas, Feuer­w­erk­skör­pern, Kanis­tern, Fack­eln oder Molotow-Cocktails.

Zudem beteiligten sich an den Angrif­f­en oft Neon­azis aus ver­schiede­nen Städten, auch zugereiste aus dem West­en. An den Ran­dalen in der Leipziger Innen­stadt und am Angriff auf „Die Vil­la“ nah­men etwa Mit­glieder der neon­azis­tis­chen „Gesin­nungs­ge­mein­schaft der Neuen Front“ (GdNF) aus Franken teil.19 Unter den Neon­azis, die das beset­zte Haus in Weimar angrif­f­en, befan­den sich laut der Thüringer Lan­deszeitung eben­falls „viele Zugereiste“.20 Das­selbe gilt für den Angriff auf die Kötschauer Müh­le in Zerbst.

Diese bei­den Sachver­halte – die mas­sive Bewaffnung und die oft städteüber­greifende Koor­di­na­tion der Angriffe – lassen darauf schließen, dass die Neon­azis viele der Angriffe im Vor­feld und in hohem Maße geplant und vor­bere­it­et haben.


Bürger:innen und Polizei

In eini­gen Städten beteiligten sich auch Bürger:innen, die nicht Teil der recht­en Szene waren, an den Angrif­f­en der Neon­azis. So beschreibt ein Augen­zeuge den Angriff auf das Wohn­heim viet­name­sis­ch­er Vertragsarbeiter:innen in Magde­burg-Olven­st­edt: „Da wurde halt gle­ich um die Ecke, wo ich gewohnt hab, da war ein Viet­name­sen-Wohn­heim, welch­es dann über­fall­en wurde, was dann nicht nur einge­fleis­chte Nazis waren, son­dern wo das halbe Vier­tel mit­gemacht hat.“21 In Leipzig sol­i­darisierten sich eben­falls Teile der Umste­hen­den mit den Neon­azis, wie eine Zeitung berichtet: „Nach ein­er Ver­fol­ungs­jagd durch den Stadtk­ern kon­nte die Polizei mehrere z.T. mit Messern bewaffnete Jugendliche fes­t­nehmen. Dabei kassierte sie sowohl den Beifall der Schaulusti­gen als auch Rufe wie ‚Rote Schweine‘ und ‚Stasiknechte‘.“22 Auch unter den Angreifer:innen in Zerb­st befan­den sich etliche Jugendliche, die nicht der recht­en Szene angehörten.

In den meis­ten Fällen schritt die Polizei nicht, halb­herzig oder zu spät ein – so wie sie es im Vor­feld in Teilen bere­its angekündigt hatte.

Bemerkenswert­er­weise war die Polizei am 3. Okto­ber 1990 wiederum sehr gut und aus­ge­sprochen offen­siv aufgestellt, als es darum ging, in Berlin gegen die von linken Bewe­gun­gen ini­ti­ierte Demon­stra­tion gegen die Vere­ini­gung der deutschen Staat­en – und die in deren Schat­ten zunehmende neon­azis­tis­che Gewalt – vorzuge­hen, diese schlussendlich aufzulösen und dort etliche Teilnehmer:innen anzu­greifen und festzunehmen. Zu diesem Großein­satz der Polizei waren sog­ar Ein­heit­en aus zahlre­ichen Städten West­deutsch­lands und Hub­schrauber herange­zo­gen worden.

Die Gesamtschau lässt hier kaum einen anderen Schluss zu als den, dass staatlich­er­seits den angekündigten Angrif­f­en von Neon­azis auf Linke und Migrant:innen weniger Aufmerk­samkeit geschenkt wer­den sollte als der Unter­drück­ung der linken Proteste gegen die Vereinigung.

Der Presse und den Medi­en generell waren die Angriffe der Neon­azis rund um den 2. und 3. Okto­ber 1990 nur einige Rand­no­ti­zen wert. Eine The­ma­tisierung oder gar der Ver­such ein­er Einord­nung der Gewalt blieb genau­so aus wie eine The­ma­tisierung oder gar öffentliche Empörung von poli­tis­ch­er Seite. Auch scheinen die Täter:innen kaum strafrechtlich ver­fol­gt wor­den zu sein.


Eine Etappe auf dem Weg zu den Pogromen

Die Gewalt zum Tag der Vere­ini­gung der deutschen Staat­en unter­schei­det sich so von den Pogromen der Jahre 1991 und 1992 in Hoy­er­swer­da24, Mannheim-Schö­nau25, Ros­tock-Licht­en­hagen26 und Quedlin­burg27. Diese wur­den von den Medi­en aktiv begleit­et und in Teilen sog­ar mitin­sze­niert. Ein weit­er­er Unter­schied beste­ht darin, dass die Gewalt vom 2. und 3. Okto­ber 1990 weit­ge­hend von der einiger­maßen klar abgrenzbaren Neon­azi- und Skin­head-Szene aus­ging und sich bre­it­ere Teile der Gesellschaft kaum daran beteiligten.

Insofern lassen sich die Angriffe zum Vere­ini­gungstag einord­nen als einen – bish­er kaum beachteten – vor­läu­fi­gen Höhep­unkt ein­er immer weit­er eskalieren­den recht­en Gewalt, die sich in den Pogromen 1991 und 1992 vol­lends entfesselte.


Auch zwei Terroranschläge

In diese Gewaltwelle ord­nen sich auch zwei Ter­ro­ran­schläge ein. In Bonn verübten Unbekan­nte einen Bran­dan­schlag auf das Stadthaus und hin­ter­ließen ein neon­azis­tis­ches Beken­ner­schreiben.28 In Win­terthur in der deutschsprachi­gen Schweiz verübten drei Neon­azis einen Hand­grana­te­nan­schlag auf die ver­meintliche Woh­nung eines antifaschis­tis­chen Jour­nal­is­ten. Dabei kam aus reinem Glück nie­mand zu Schaden. Jedoch wurde die Woh­nung weit­ge­hend zer­stört.29

Anmerkung der Redaktion: 
Im Online-Artikel ist eine Karte der Fälle, diverse Zeitungsar­tikel und Fotos sowie die Quellen der Fußnoten zu finden

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