POTSDAM. Nun hat es auch noch einen unbescholtenen Familienvater getroffen. Die Affäre um den V‑Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes, der kürzlich durch Indiskretionen nach einer Razzia in Berlin aufgeflogen ist, nimmt immer größere Ausmaße an. Wie erst jetzt bekannt wurde, durchsuchten die Berliner Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt (LKA) parallel zu der Razzia am 20. Juli in Marzahn auch das Haus eines unbeteiligten Mannes in Brandenburg.
Zu nächtlicher Stunde stürmten Beamte einer Spezialeinheit des Berliner LKA das Haus in einem Ort nahe Potsdam. Der Familienvater und seine Frau gingen dabei zu Boden. Obwohl der Mann immer wieder beteuerte, nicht der Gesuchte zu sein, kehrten die Beamten in der Wohnung das Unterste zuoberst. Ursache der peinlichen Panne: Die Berliner Fahnder glaubten in dem Mann den Personenführer des in Berlin festgesetzten V‑Mannes Tino S. vor sich zu haben, gegen den sie ebenfalls im Zusammenhang mit dem Vertrieb der rechtsextremen CD «Noten des Hasses» und mit der Neonazi-Musikszene in der Region ermitteln.
Bei der seit Monaten andauernden Observierung von Tino. S. hatten die Berliner Fahnder auch Gespräche des V‑Mannes mit seinem Personenführer beim Brandenburger Verfassungsschutz mitgeschnitten. Mit Hilfe der Handynummer des V‑Mann-Führers glaubten sie, dessen Adresse herausbekommen zu haben. Doch das Mobiltelefon war aus Sicherheitsgründen auf den Namen des unbeteiligten Familienvaters gemeldet, der freiberuflich für den Verfassungsschutz arbeitet. Er besetzt die Deckadresse und leitet eingehende Post an das Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz weiter.
«Die Panne ist nur passiert, weil die Berliner Behörden ihr Vorgehen nicht mit den zuständigen Potsdamer Stellen abgestimmt haben», hieß es gestern aus Brandenburger Sicherheitskreisen. Die Berliner seien «wie Raubritter ins Umland eingefallen», wetterte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Dierk Homeyer. Er warf den Ermittlungsbehörden in der Hauptstadt Dilettantismus und Unprofessionalität vor und forderte Aufklärung auf höchster Ebene.
Verwundert beobachtete man auch im Brandenburger LKA die Geschehnisse. Es gehöre zum guten Ton, dass sich die Staatsanwaltschaften bei solch länderübergreifenden Aktionen vorher absprechen, hieß es dort. Allerdings gibt es für solche Absprachen aber offenbar keine eindeutigen Regelungen. «Sie sind nicht zwingend vorgeschrieben», bestätigte Rolf Grünebaum, Sprecher der Brandenburger Generalstaatsanwaltschaft, gestern.
Berliner Justizkreise weisen die Vorwürfe empört von sich, wonach sie nachts das Haus eines unbescholtenen Bürgers gestürmt hätten. Vielmehr hätten sechs Berliner Kriminalbeamte — in Westen mit leuchtendem Polizeiaufdruck — an der Tür geklingelt. Als ihnen von einem Mann geöffnet wurde, hätten sie sich sofort als Beamte zu erkennen gegeben, wonach von innen versucht worden sei, die Tür zuzuschlagen. Deshalb sei der Mann, der sich hinter der Tür verborgen hatte, aus Gründen des Eigenschutzes zunächst zu Boden gebracht worden.
Auch sonst sehen sich die Berliner Ermittler im Recht. Da sie in dem Haus den als Straftäter eingestuften V‑Mann-Führer vermuteten, hätten sie einen Durchsuchungsbeschluss bei der Staatsanwaltschaft beantragt und erhalten. Dies entspreche der Strafprozessordnung und rechtfertige die Aktion.
Autor: redax
Zur Bundestagswahl sind in Brandenburg acht Parteien zugelassen. Der Landeswahlausschuss bestätigte die Zulassung von SPD, CDU, PDS, FDP, Bündnis 90/Grüne, NPD, der Schill-Partei (Partei Rechtsstaatlicher Offensive) sowie der Grauen Panther.
Die Republikaner haben ihre Landesliste kurzfristig zurückgezogen. Auch hat die Partei nur etwa die Hälfte der notwendigen 2000 Unterstützungsunterschriften vorgelegt. Nicht zugelassen wurde die Partei Bibeltreuer Christen wegen Mängeln in den eingereichten Unterlagen.
Bei der rechtsextremen NPD darf der auf den ersten Platz der Landesliste gesetzte Spitzenkandidat nicht antreten. Es fehlt die notwendige Bescheinigung des Einwohnermeldeamtes. Die rechtsextreme DVU, die im Landtag mit fünf Abgeordneten vertreten ist, hatte auf eine Teilnahme an der Bundestagswahl verzichtet. Die Schill-Partei verfügt in Brandenburg bisher nur über einen Kreisverband in Barnim-Oberhavel. Auf ihrer Landesliste bewerben sich 14 Kandidaten um ein Mandat.
Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren hatten sich in Brandenburg noch 13 Parteien beteiligt.
Kein Platz für Rassismus?
In diesem schönen Sommermonat gab es gleich 3 Vorfälle, die einem durchschnittlichen Eisenhüttenstädter das Gruseln lehren könnte. Wir hatten ja eigentlich gedacht, wir können uns in Sicherheit wiegen, der rechte Mob ist zurückgedrängt und alle Welt hat gelernt, tolerant mit seinen Mitmenschen umzugehen.
Aber Irren ist menschlich. So passierte es zum Beispiel, daß ein Jugendlicher aus der Punkszene am 03.07.02 zu einem von der Stadt und dem freien Träger PeWoBe organisierten Kulturevent namens Jugendspektakel ging um sich die Bravopunker von S‑PNX anzusehen. Aber irgendwie kam er nicht dazu. Grade als die Band so richtig am rocken war, kam irgendein kurzhaariger Unmensch und schlug ihm die Mütze vom Kopf. Als er sie wieder aufheben wollte, fing der Skinhead an, auf ihn einzuschlagen. Das ganze mit der allseits beliebten Begründung: „Ey, du Zecke, du hast meine Freundin angemacht…“
Aber zum Glück gibts ja Ordner auf solchen Veranstaltungen. Es ist allerdings bedauerlich, wenn solche Streitschlichter als NPD-Sympatisanten bekannt sind. Anstatt dem Opfer zu helfen, zog der Ordner ihn hinter eine Klobaracke und dort wurde er noch mal so richtig zusammengelegt, von dem Ordner, dem Täter, dessen Freundin, und wer weiß wer da noch alles mal zutreten durfte.
Das alles ist bis dahin eigentlich fast normaler, aus alten Zeiten bekannter Brandenburger Alltag, obwohl es schon fragwürdig ist, daß Stadtbekannte Rechte den Ordnerdienst übernehmen dürfen. Aber ist ja auch nichts Neues. In den Vorjahren hat noch die stadtbekannte Hooliganclique EH-Chaoten dort den Einlaß gemanagte. Auch die waren nicht fein. Der eigentliche Hohn dabei ist, dass einer der Organisatoren (der zu aller Ironie noch im Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus vertreten ist) den Faschos noch dabei hilft, in der Presse eine ganz andere Version davon zu veröffentlichen, die da lautete: der Punker hätte den Streit angefangen und wäre, mit einem Messer, das er aus dem Stiefelschaft zog, auf den Täter losgegangen (hat der zuviel Western gekuckt?). Der Ordner hatte dann angeblich Mühe, den linksradikalen Haudegen unter Kontrolle und letztendlich nach draußen zu bekommen.
So begann eine städtische Schlammschlacht um den Fall, die es den Organisatoren wieder einmal ermöglichte sagen zu können, sie würden ja mit den Rechten arbeiten um sie wieder in die Mitte der Gesellschaft zu integrieren. Außerdem ist es den Verantwortlichen auch ein leichtes sich mit Alibiveranstaltungen wie dem „Technotanz für Toleranz“ am 20.07.02 wieder aus der Affäre zu ziehen.
Blöd ist dagegen dann doch wenn eine Woche später in der Zeitung steht, daß es am 19.07.02 ein Konzert mit drei Gymnasiastenpunkbands im Trockendock geben sollte, von denen aber nur die erste spielen konnte. Dann fingen die Lokalpatrioten-Nazis, die sonst immer in diesem Club ein und ausgehen, schon einen Schlägerei an. Die Bands packten daraufhin ihre Sachen und verschwanden. Carola Fechner (ABM-Kraft im Trockendock) erklärte gegenüber der MOZ, es hätte schon während des Aufbaus Spannungen zwischen den Bands gegeben. Siehe dazu auch den Artikel in der Lausitzer Rundschau.
Komisch, die verstehen sich alle ganz gut untereinander -
und sowieso seien ja nicht die Nazis das Problem gewesen, sondern der „extensive“ Tanzstil der Fans. Aber es gab ja eh keinen ernst zu nehmenden Konflikt.
Und sowieso soll das rechtsradikale Image des Trockendock durch solche Thesen nur gefördert werden. Bei ihren teilweise rechts orientierten Jugendlichen passen sie schließlich genau auf das diese nicht gewalttätig werden, sie arbeiten ja schließlich mit ihnen.
Wie sich das im Endeffekt äußert und wohin das führt, wenn Rechten die Möglichkeit gegeben wird, wieder in die Mitte der Gesellschaft einzutauchen, zeigt wahrscheinlich der nächste Fall vom 25.07.02.
An diesem Tag gab es einen Einbruch in die Imbißbude „Döneria“ am Busbahnhof, die danach abgefackelt wurde. Laut Polizeiaussagen wurde der Imbißwagen in Brand gesteckt um die Spuren des Einbruchs zu verwischen. Obwohl der Imbißbudenbesitzer A.K. Isik einen rechtsextremen Hintergrund vermutet, liegen dafür laut Aussagen von Dienstgruppenleiter R.I. Barzik keine Indizien vor. Die BORG (Beratung für Opfer rechter Gewalt) konnte noch keinen Kontakt zu Isik aufnehmen. Dieser sieht seine wirtschaftliche Existenzgrundlage vernichtet. „Ich kann es mir nicht leisten einen neuen Imbiß aufzubauen“, sagte er gegenüber der MOZ.
Es ist doch immer wieder schön von solchen Angriffen zu erfahren, was würde das für uns bedeuten wenn wir kein Feindbild mehr hätten? So hat das Leben doch wenigstens einen Sinn.
(Inforiot) “Kein Platz für Rassismus” lautet die Selbstverpflichtung und ‑Einschätzung der Stadt Eisenhüttenstadt. Angesichts der ständigen Übergriffe von Rechts sowie der Behandlung von Flüchtlingen in der ZAST kann das Motto nur als schlichtweg falsch bezeichnet werden. Hier eine (unvollständige) Chronologie der Ereignisse seit 1996.
Aus der Feder der AutorInnen dieses Beitrags stammt übrigens auch eine Broschüre, die ebenfalls den Titel “Kein Platz für Rassismus” trägt. Das 44-seitige Heft kann hier heruntergeladen werden. Für drei Euro kann die Broschüre auch über die Alternativen Gruppen (PF 07, 15890 Eisenhüttenstadt) bestellt werden.
Stay rebel tour 2002: Fahrt mit den Jungs und Mädchen vom Dosto zu den größten Festen der Linken in Europa.
Hier das vorläufige Programm:
3.Sept: Donostia (San Sebastian)
5.- 9. Sept.: Avante Festival bei Lissabon
10.–12. Sept.: Barcelona- Festa Catalun
13.- 16. Sept.: Paris- Fete de l‘humanite
Anmeldung und Infos übers DOSTO.
V‑Mann-Affäre weitet sich aus
POTSDAM/BERLIN — Die V‑Mann-Affäre weitet sich erheblich aus. Die Berliner Polizei hatte in der Nacht zum 21. Juli nicht nur einen Spitzel des märkischen Verfassungsschutzes festgenommen und zu dessen Enttarnung beigetragen, nach MAZ-Informationen hatte ein zehnköpfiges Spezialkommando des Berliner Landeskriminalamts (LKA) zudem die Wohnung eines unbescholtenen Familienvaters in einer Gemeinde bei Potsdam gestürmt. Der Mann ist als freier Mitarbeiter für den brandenburgischen Verfassungsschutz tätig. “Das bestätigt, wie dilettantisch und unprofessionell die Berliner Behörden gearbeitet haben”, erklärte Dierk Homeyer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, gestern auf MAZ-Anfrage. Die Beamten seien “wie die Raubritter ins Berliner Umland eingefallen und haben sich mit ihrer Beute dann wieder zurückgezogen”, grollte Homeyer. Beschlagnahmt wurde dem Vernehmen nach allerdings nur ein offenbar belangloser Brief.
Homeyer fordert nach dieser “für Berlin hochblamablen Angelegenheit” bedingungslose Aufklärung. “Die Justizsenatorin und der Innensenator müssen zu dieser Angelegenheit Stellung beziehen”, sagte Homeyer, der auch stellvertretender Vorsitzender der Parlamentarischen Kontrollkommision (PKK) im Potsdamer Landtag ist. Die PKK, die den Verfassungsschutz beaufsichtigt, wird sich in Kürze mit der Affäre beschäftigen.
Dass das Berliner LKA die Wohnung eines unbescholtenen Bürgers stürmte, beruhte offenkundig auf einer Verwechslung. Die Innenpolitiker der Brandenburger Koalitionsfraktionen sind sich einig, dass die schlagzeilenträchtige Fehlaktion nur möglich war, weil die Berliner Behörden ihr Vorgehen, das gegen die neonazistische Musikvertriebsszene gerichtet war, nicht mit den zuständigen Stellen in Potsdam abgestimmt hatten.
Die Hausdurchsuchung durch das Berliner LKA hat den unschuldig Betroffenen nach Expertenmeinung in Gefahr gebracht. Sein Name ist nun aktenkundig und auch den Anwälten der rechtsextremen Szene zugänglich. Zur Sicherheit des Mannes sowie seiner Familie hat die brandenburgische Polizei Schutzmaßnahmen eingeleitet.
Wie das Berliner LKA die Wohnung eines Brandenburger stürmte
KÖNIGS WUSTERHAUSEN Stadt und Polizei wollen sich vor größeren Veranstaltungen künftig besser abstimmen. Das haben Polizei-Chef Hans-Joachim Zimmerling und Bürgermeister Stefan Ludwig (PDS) vereinbart.Anlass ist der Vorfall beim Schleusenfest im Juni. Rund 60 Personen der rechten Szene tauchten auf, Ludwig alarmierte aus Sorge um die anderen Besucher die Polizei, bekam selbst Begleitschutz (MAZ berichtete). Die Kritik an einer zu späten Reaktion auf den Hilferuf ist offenbar ausgeräumt. Die Polizei habe die Lage nicht falsch eingeschätzt, sagte Sprecher Lothar Walter: “Wir waren mit ausreichenden Kräften vor Ort, auch in Zivil.” Laut Ludwig war die Polizei erst eine Stunde nach dem Anruf mit genügend Leuten da. Der Polizeisprecher sagte gestern, das lasse sich nicht mehr feststellen. Bürgermeister und Polizei-Chef erklärten: “Beide Seiten stellen mit Nachdruck fest, dass gemeinsames Interesse besteht, rechtsextremistische Aktivitäten möglichst im Ansatz zu verhindern.”
V‑Mann-Affäre geht immer weiter
POTSDAM/BERLIN In dem kleinen Dorf nicht fern von Potsdam ist auch am Wochenende nie viel los. Das Licht vor dem Reihenhaus in der Neubausiedlung war an jenem Samstag, dem 20. Juli, schon erloschen. Im Schutz der Dunkelheit näherten sich eine Staatsanwältin und zehn Polizisten eines Spezialkommandos des Berliner Landeskriminalamts “dem Zielobjekt”. Als ein Beamter klingelte, war es etwa 23.15 Uhr.
Hans G.* öffnete, obwohl es schon reichlich spät war, die Haustür. Begrüßen konnte er die Überraschungsgäste nicht mehr. Sofort stürmten Berliner Spezialpolizisten die Wohnung und rissen den Mittvierziger zu Boden. Als dessen Frau aus dem Wohnzimmer herbeistürzte und auf den Boden fiel, herrschte man sie an, sie solle sitzen bleiben.
Allmählich beruhigte sich die Lage, und G. samt seiner Frau wurden aufgefordert, am Wohnzimmertisch Platz zu nehmen. Da erfuhr der freie Mitarbeiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes den Grund des nächtlichen Stelldicheins: “Wir beschuldigen Sie der Volksverhetzung”, hielt man ihm vor. G. stutzte.
Die Berliner zückten einen Durchsuchungsbeschluss, erlassen vom Amtsgericht Tiergarten. G. deutete an, er sei, nach allem, was er wisse, nicht der, dessen Wohnung durchsucht werden dürfe. Auf dem Beschluss stehe Ludwig A.** — und er sei Hans G.
Es wurde wieder hektisch. Ein Beamter zog sich zum Telefonieren zurück. Als er zurückkehrte, wurde Hans G.s Wohnung, wie geplant, durchsucht. Schränke wurden geöffnet, Schubladen herausgezogen — obwohl der Inhalt doch nicht kontrolliert wurde. Mit Blitzlicht fotografierte ein Fahnder G.s Haus von außen und innen. Wofür sich die LKA-Männer nicht interessierten, waren die CDs der Familie. Merkwürdig: Immerhin hatten sich die Berliner ins Umland aufgemacht, um mehrere hundert verbotener Neonazi-CDs zu beschlagnahmen, die sie bei G. vermuteten.
Für Brandenburger Regierungskreise ist die Aktion der hauptstädtischen LKA-Beamten der reinste Dilettantismus. Die Berliner, heißt es, hätten sofort erkennen müssen, dass sie die Wohnung des falschen stürmten. Schließlich sei Familienvater Hans G. etwa 15 Jahre älter als der eigentlich gesuchte Ludwig A. Die Berliner hätten A. monatelang so intensiv observiert, dass ihnen der Irrtum sogleich hätte auffallen müssen.
Dass die Ermittler aus Berlin in Brandenburg “wie die Raubritter” einfielen, wie der Potsdamer CDU-Spitzenpolitiker Dierk Homeyer sich ausdrückt, hängt offenbar mit ihren geheim geführten Untersuchungen gegen die neonazistische Musikszene in Berlin und Brandenburg zusammen.
Die plausibelste Erklärung für die Panne lautet so: Das Berliner LKA ermittelt — wie parallel der brandenburgische Verfassungsschutz — gegen Hintermänner des international CD-Vertriebs der Neonazis. Schließlich glauben die Berliner, der 27-jährige Toni S. aus Guben sei die Schlüsselfigur der Szene. Dies gelte besonders für die Produktion der verbotenen CD “Noten des Hasses” der Gruppe “White Aryan Rebels”, die sich “W.A.R.” abkürzt, also Krieg bedeutet. Für die Berliner steht nach ihrer Auffassung fest: S. macht sich strafbar und müsste deshalb sofort als V‑Mann vom brandenburgischen Verfassungsschutz abgeschaltet werden.
Dass S. als V‑Mann arbeitete, war den Berliner Behörden nach Informationen der MAZ auf mehreren Ebenen bekannt. Die Staatsanwaltschaft war seit Ende 2001 informiert, auch dem Berliner LKA war der Sachverhalt durch monatelange Observationen vertraut. Dabei wurden Gespräche zwischen Toni S. und Ludwig A. mitgehört. Als Mitarbeiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes war A. der für den jungen Neonazis aus Guben zuständige Personenführer.
Die Berliner hingegen erkannten den Personenführer nicht als Mitarbeiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes, sondern hielten ihn für einen Komplizen von Toni S. — ein Ergebnis unzureichender Recherche, ist man in Potsdamer Koalitionskreisen überzeugt. Tatsächlich habe es etliche Indizien gegeben, die die Berliner Ermittler hätten stutzig machen müssen. Eine Nachfrage beim brandenburgischen Verfassungsschutz hätte alles aufklären können — doch die gab es nicht.
Statt dessen ermittelten die Berliner auf eigene Faust über Ludwig A.s Handy jene Adresse, auf die das Handy beim Telefonanbieter zugelassen war. Dies war jedoch nicht A.s eigene Adresse. Vielmehr hatte der brandenburgische Verfassungsschutz — um Personenführer A. zu tarnen — dessen Handy die Adresse des freien Verfassungsschutz-Mitarbeiters Hans G. in jenem Dorf bei Potsdam zugeordnet. Mit G.s Zustimmung. Also stürmten die Berliner — weil sie Toni S. fälschlich für den Kopf der verbotenen CD-Produktion und Personenführer Ludwig A. für dessen Komplizen hielten — in einer Nacht- und Nebel-Aktion Hans G.s Wohnung.
*/ ** Hans G. und Ludwig A. sind fiktive Namen.
Ermittlung gegen Toni S. beendet
Die Brandenburger Ermittlungen gegen den V‑Mann des Verfassungsschutzes Toni S. sind abgeschlossen. Das sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus, Günter Oehme. Was aus dem Verfahren werde, werde in den nächsten Tagen entschieden. Möglich seien die Abgabe des Brandenburger Verfahrens an die Berliner Staatsanwaltschaft, die umgekehrte Lösung oder eine Einstellung des Verfahrens. Ermittelt wurde gegen Toni S. unter anderem wegen Volksverhetzung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten. Der 27-Jährige war am 20. Juli von Beamten des Berliner LKA bei einer Razzia in einem Clubhaus der Neonaziszene verhaftet und als Informant enttarnt worden. Mit der Aktion, die mit den brandenburgischen Behörden nicht abgestimmt war, sollte die Übergabe von 3.000 Kopien der “White Aryan Rebels”-CD “Noten des Hasses” vereitelt werden. Das Ministerium sprach darauf von “schwerwiegender Indiskretion” in Berlin. Auf der CD wird unter anderem zur Ermordung Michel Friedmans und anderer Prominenter aufgerufen.
Seit in Berlin ein Brandenburger V‑Mann in der Neonazi-Szene enttarnt wurde, entzweit ein Streit die beiden Länder: War es Absicht, mangelnde Absprache — oder musste der Spitzel abgeschaltet werden, weil er Straftaten begangen hatte?
Berlin/Potsdam (Der Tagesspiegel, 31.07.2002) — Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Vorwürfe zurückgewiesen, sich im Rahmen der „V‑Mann-Affäre“ fehlerhaft verhalten zu haben. Die Ermittlungen seien korrekt geführt worden und „müssten in einem vergleichbaren Fall wieder so geführt werden“, heißt es in einer Mitteilung der Justizverwaltung. Diese will jedoch die Berliner und Brandenburger Ermittlungsbehörden zu Gesprächen über die zukünftige Kooperation einladen. Wie berichtet, hatte der Staatsschutz am vorvergangenen Wochenende bei einer Razzia zwei Neo-Nazis verhaften lassen, von denen einer als V‑Mann für den Brandenburger Verfassungsschutz arbeitete – dies war durch eine Indiskretion Berliner Stellen an die Öffentlichkeit gelangt.
Auch der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Klaus-Uwe Benneter kann keine Fehler der Berliner Sicherheitsbehörden erkennen: Der V‑Mann sei offensichtlich an Straftaten beteiligt gewesen. Das dürften V‑Leute aber nicht, folglich hätten die Berliner Behörden nicht davon ausgehen können, dass es sich bei dem Mann möglicherweise um eine Quelle der Brandenburger handele. Vielmehr hätte der dortige Verfassungsschutz „den Mann abschalten müssen“, der augenscheinlich aus dem Ruder gelaufen sei, sagte Benneter.
Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem 27-jährigen Cottbuser S. – dem mutmaßlichen V‑Mann – Volksverhetzung, Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und das Verwenden von Kennzeichen solcher Organisationen vor. Das Strafmaß dafür reicht bis zu drei Jahren Haft – es sei denn, die Tat gilt „der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen“. S. befindet sich noch in U‑Haft, ebenso wie der Berliner Lars B. Weitere Beschuldigte befinden sich auf freiem Fuß. S. soll in Guben einen Plattenladen betreiben, unter desssen Ladentisch auch verbotene CD’s rechtsextremer Bands verkauft worden sein sollen. Ziel der Fahnder war eine zweite Auflage der CD „Noten des Hasses“ der Nazi-Band „White Aryan Rebels“. Bei der Razzia in einem Marzahner Vereinsheim und an 17 weiteren Orten in Deutschland sollte auch die Beschlagnahmung mehrer tausend Exemplare dieser CD sein, die im Ausland gebrannt worden sind. Dies schlug jedoch fehl.
Justizsprecherin Ariane Faust sagte, die beiden U‑Häftlinge seien verdächtig, in die Neuauflage der CD verwickelt zu sein. In den Texten wird unter anderem zum Mord an Prominenten aufgerufen. Es bestehe dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr. Auslöser der Durchsuchungsaktionen seien Hinweise eines Zeugen gewesen. Auch die Durchsuchungen in Brandenburg seien von den Berliner Staatsanwälten durchgeführt worden. Allerdings hätten sie, „wie üblich aus Kollegialitätsgründen“, die Cottbuser Staatsanwaltschaft kurz zuvor darauf hingewiesen.
Schönbohm: Von den Straftaten des V‑Manns nichts gewusst
Innenminister Jörg Schönbohm wies Vorwürfe aus Berliner Sicherheits- und Justizkreisen zurück, dass der von der Berliner Polizei verhaftete 27-jährige V‑Mann S. aus Cottbus dem Brandenburger Verfassungsschutz „aus dem Ruder gelaufen“ sein könnte. Gegen den V‑Mann habe das Brandenburger Landeskriminalamt selbst Ermittlungen geführt, sagte Schönbohm. Auch sei gegen S. seit März letzten Jahres ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren Verfahren in Cottbus wegen Propaganda-Straftaten anhängig.
Schönbohm stellte klar, dass er von der von den begangenen Straftaten und der Rolle des V‑Mannes in der rechtsextremistischen Musik-Szene und den Ermittlungen des Brandenburger LKA und der Cottbuser Staatsanwaltschaft nichts gewusst habe. Die Ermittlungen sind nach seinen Angaben so geführt worden, dass der Erfolg der geplanten Aktion gegen einen international operierenden Ring neonazistischer CD-Musikhändler nicht gefährdet werden konnte. Die Hinweise an das LKA sind offenbar vom Verfassungsschutz gekommen. Man habe sich deshalb nichts vorzuwerfen, verlautete aus Brandenburgs Verfassungsschutz: Das Strafgesetzbuch sehe bei der Verfolgung von Propaganda-Straftaten Ausnahmeregelungen vor, wenn die Handlungen der staatsbürgerlichen Aufklärung und der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen dienten.
Der Potsdamer Innen-Staatssekretär Eike Lancelle erklärte, nicht Schönbohm, sondern Berliner Behörden müssten sich Fragen gefallen lassen: Zum Beispiel, warum in Berlin ein Strafverfahren gegen S. eingeleitet worden sei, obwohl in Cottbus ein Verfahren seit März 2001 laufe. Dies sei den Berliner Ermittlungsbehörden bekannt gewesen, sagte Lancelle. Fragen müsse man auch zu den Indiskretionen aus Berliner Sicherheitsbehörden stellen. „Solche Lecks bei Themen dieser Sensibilität müssen die Berliner Führung alarmieren“, sagte Lancelle. Auch Innenminister Schönbohm blieb bei seiner Kritik am Verhalten der Berliner Behörden, die durch die Enttarnung des V‑Mannes die angelaufene Fahndung nach Hintermännern des neonazistischen CD-Handels massiv gefährdet hätten. Was Berlin gemacht habe, sei „unsäglich“ und werde weitreichende Konsequenzen für die künftige Zusammenarbeit haben.
Lancelle kündigte an, dass er die Parlamentarische Kontrollkommission kurzfristig über die Vorgänge informieren werde. Deren Vize-Vorsitzender Dierk Homeyer (CDU) warf den Berliner Sicherheitsbehörden vor, „sich wie Raubritter zu benehmen”. Er spielte damit auf die Durchsuchung der Wohnung des S. in Cottbus durch Berliner Sicherheitskräfte an, ohne dass Brandenburger Beamte anwesend waren. Bis heute lägen Brandenburgs Behörden nicht einmal die Vernehmungsprotokolle des S. vor.
(Von Holger Wild und Michael Mara)
POTSDAM. Innenminister Jörg Schönbohm hat Vorwürfe aus Berliner Sicherheits- und Justizkreisen zurückgewiesen, dass der von der Berliner Polizei verhaftete 27-jährige V‑Mann S. aus Cottbus dem Brandenburger Verfassungsschutz „aus dem Ruder gelaufen” sein könnte. Gegen den V‑Mann habe das Brandenburger Landeskriminalamt selbst Ermittlungen geführt, sagte Schönbohm. Auch sei gegen S. seit März letzten Jahres ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren Verfahren in Cottbus wegen Propaganda-Straftaten anhängig. Schönbohm stellte klar, dass er von den begangenen Straftaten und der Rolle des V‑Mannes in der rechtsextremistischen Musik-Szene und den Ermittlungen des Brandenburger LKA und der Cottbuser Staatsanwaltschaft nichts gewusst habe. Die Ermittlungen sind nach seinen Angaben so geführt worden, dass der Erfolg der geplanten Aktion gegen einen international operierenden Ring neonazistischer CD-Musikhändler nicht gefährdet werden konnte. Die Hinweise an das LKA sind offenbar vom Verfassungsschutz gekommen. Man habe sich deshalb nichts vorzuwerfen, verlautete aus Brandenburgs Verfassungsschutz: Das Strafgesetzbuch sehe bei der Verfolgung von Propaganda-Straftaten Ausnahmeregelungen vor, wenn die Handlungen der staatsbürgerlichen Aufklärung und der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen dienten. Der Potsdamer Innen-Staatssekretär Eike Lancelle erklärte, nicht Schönbohm, sondern Berliner Behörden müssten sich Fragen gefallen lassen: Zum Beispiel, warum in Berlin ein Strafverfahren gegen S. eingeleitet worden sei, obwohl in Cottbus ein Verfahren seit März 2001 laufe. Dies sei den Berliner Ermittlungsbehörden bekannt gewesen, sagte Lancelle. Fragen müsse man auch zu den Indiskretionen aus Berliner Sicherheitsbehörden stellen. „Solche Lecks bei Themen dieser Sensibilität müssen die Berliner Führung alarmieren”, sagte Lancelle. Auch Innenminister Schönbohm blieb bei seiner Kritik am Verhalten der Berliner Behörden, die durch die Enttarnung des V‑Mannes die angelaufene Fahndung nach Hintermännern des neonazistischen CD-Handels massiv gefährdet hätten. Was Berlin gemacht habe, sei „unsäglich” und werde weitreichende Konsequenzen für die künftige Zusammenarbeit haben. Lancelle kündigte an, dass er die Parlamentarische Kontrollkommission kurzfristig über die Vorgänge informieren werde. Deren Vize-Vorsitzender Dierk Homeyer (CDU) warf den Berliner Sicherheitsbehörden vor, „sich wie Raubritter zu benehmen”. Er spielte damit auf die Durchsuchung der Wohnung des S. in Cottbus durch Berliner Sicherheitskräfte an, ohne dass Brandenburger Beamte anwesend waren. Bis heute lägen Brandenburgs Behörden nicht einmal die Vernehmungsprotokolle des S. vor.
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