Zur Einweihung der Überwachungskameras am Potsdamer Hauptbahnhof gab es fantasievolle Gegenaktionen. Die Volxini hat auf ihrer Homepage die Bilder und Pressestimmen dazu gesammelt. Unterhaltsam und informativ:
Sonderseite der Volxini
Anklage auf Mord
Vier Monate nach dem gewaltsamen Tod des Obdachlosen Dieter Manzke hat die Staatsanwaltschaft Potsdam fünf Männer im Alter zwischen 17 und 22 Jahren angeklagt. Sie werden beschuldigt, am 9. August in Dahlewitz den 61-Jährigen derart geprügelt zu haben, dass er kurz darauf starb. Entgegen früheren Andeutungen hat die Staatsanwaltschaft den Fall als Mord gewertet. Die Männer hätten Manzke attackiert, “weil sie seine Lebensweise verachten”, sagte Behördensprecherin Sigrid Komor. Nur der 17-Jährige muss sich lediglich wegen Totschlags verantworten. Er sei bei der Verabredung zum Angriff auf “Penner” nicht dabei gewesen, sagte Komor.
Am 13.12.2000 beschloss der Landtag Brandenburg u.a. die Einführung der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Plätze als neue Befugnis der Landespolizei. Inzwischen wurden in Erkner und Rathenow bereits die ersten Kameras geschaltet. Ab 21.Dezember 2001 soll auch der Potsdamer Hauptbahnhof videoüberwacht werden.
Begründet wird dies damit, dass der Potsdamer Hauptbahnhof ein Kriminalitätsschwerpunkt und die Videoüberwachung ein geeignetes Mittel zur präventiven Bekämpfung von Straftaten sei.
Nichts davon entspricht den Tatsachen:
Kriminalitätsschwerpunkt Potsdamer Hauptbahnhof?
Im polizeilichen Konzept zur Videoüberwachung führt die Polizei insgesamt 499 Straftaten an, die in den vergangenen zwei Jahren rund um den Bahnhof registriert wurden. Das entspricht einer Quote von 0,6835616 Straftaten pro Tag oder auf die täglich den Bahnhof nutzenden Personen berechnet von 0,0014 %.
Wenn der Potsdamer Hauptbahnhof mit dieser Quote zum Kriminalitätsschwerpunkt erklärt wird, müßte Potsdam praktisch flächendeckend videoüberwacht werden.
Der überwiegende Anteil der Straftaten am Hauptbahnhof sind keine schweren Straftaten sondern Beschädigungen und Diebstähle an Autos (213) und Fahrrädern (105). Auch die Sicherheit für Leib und Leben von Personen rechtfertigt also die Videoüberwachung nicht.
Weiterhin argumentiert die Polizei noch mit Aktionen der Kampagne gegen Wehrpflicht gegen die Einberufungen von Soldaten und der Anreise von Fußballfans zu den Spielen des SV Babelsberg 03 in der 2. Bundesliga. Allerdings gibt es seit Jahren keine Gruppenfahrten von Soldaten zu festen Einberufungsterminen mehr und also auch keine entsprechenden Protestaktionen. Fußballfans reisen meist über Berlin an und nutzen den S‑Bahnhof Babelsberg statt des Hauptbahnhofes.
Eigentlich sind diese Fakten bekannt. Trotzdem hat das Polizeipräsidium Potsdam den Hauptbahnhof ohne Rücksicht auf polizeiliche Erfahrungen und eigene Statistiken zum Kriminalitätsschwerpunkt erklärt. Nach Einführung der Videoüberwachung forderte der Innenminister die Polizeipräsidien auf, geeignete Standorte für die Videoüberwachung zu benennen. Offenbar hat der Potsdamer Polizeipräsident keinen geeigneten Ort für die Videoüberwachung gefunden und den Potsdamer Hauptbahnhof deshalb zum Kriminalitätsschwerpunkt deklariert, um den Auftrag des Innenministers erfüllen zu können.
Videoüberwachung: ein geeignetes Mittel?
Die Videoüberwachung ist als präventives Mittel zur Bekämpfung von Straftaten nicht geeignet. Möglicherweise werden einige Delikte in Randbezirke verdrängt.
Das ist abzulehnen. Die Präsenz von Straftaten in städtischen Ballungszentren erzeugt einen Druck zur Bekämpfung gesellschaftlicher Ursachen von Kriminalität. Die Möglichkeit der Verdrängung von Problemen in Randbereiche wird dazu führen, dass weniger auf langfristige Bekämpfung sozialer Ursachen von Kriminalität, als auf repressive Mittel zurückgegriffen wird.
Auch der Abschreckungseffekt der Videoüberwachung ist sehr fraglich. Selbst das Konzept der Polizei, das die Straftaten für verschiedene Zeiträume nach Innen- und Außenbereich aufschlüsselt, enthält nur einen einzigen Zeitraum, in dem im Bahnhof selbst weniger Straftaten als in den Außenbereichen festgestellt wurden. Insgesamt wurden ca. 2/3 der registrierten Straftaten in dem bereits jetzt videoüberwachten Innenbereich des Bahnhofs begangen. Dies lässt den praktischen Sinn der Videoüberwachung schon jetzt sehr fraglich erscheinen.
Selbst die Gewerkschaft der Polizei, die bislang jede Gesetzesverschärfung begrüßte, hält die Videoüberwachung für völlig ungeeignet, um Straftaten zu bekämpfen. Bereits nach wenigen Wochen Videoüberwachung in Erkner kritisierte der GdP-Landesvorsitzende Andreas Schuster, dass die Kriminalität in die Nebenstraßen verlagert wurde und die Polizisten in der Zentrale vor Monitoren sitzen und Straftaten beobachten, als sie durch Präsenz vor Ort zu verhindern.
Die Alternativen zur Videoüberwachung in Potsdam
Das polizeiliche Konzept zählt eine Reihe von Begleitmaßnahmen auf, die mit dem Start der Videoüberwachung umgesetzt werden sollen. Dazu zählen z.B. Umsetzung des Jugendschutzgesetzes, Sicherheitspartnerschaften, eine bessere Beleuchtung der Wege und Parkplätze und die Schaffung von Anschließmöglichkeiten für Fahrräder und Telefonstandorten.
Wenn die Polizei tatsächlich davon ausgeht, dass diese Maßnahmen zur Bekämpfung von Straftaten dienen können, ist es erstaunlich, dass sie erst mit der Videoüberwachung durchgeführt werden sollen. Offenbar will die Polizei erreichen, dass eventuelle Erfolge der Begleitmaßnahmen statistisch der Videoüberwachung zugerechnet werden. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit.
Die Volksinitiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei schlägt zur Bekämpfung der Straftaten am Potsdamer Hauptbahnhof vor:
· Einrichtung eines bewachten PkW-Parkplatzes
· Schaffung zusätzlicher Anschließmöglichkeiten für Fahrräder an allen Bahnhofszugängen
· Herstellung einer hinreichenden Beleuchtung
· Aufstellen von Telefonzellen an allen Bahnhofszugängen
Mit diesen Maßnahmen können die häufigsten Deliktgruppen effektiv bekämpft werden, ohne dass die Grund- und Bürgerrechte unnötig ausgehöhlt werden.
Die Volksinitiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei lehnt die Videoüberwachung generell ab. Sie ist ein tiefer Eingriff in die Individualgrundrechte, der durch keine sinnvolle Zielsetzung gedeckt ist. Insbesondere dreht sie das Rechtsstaatsprinzip der Unschuldsvermutung um und stellt die Bevölkerung unter einen Generalverdacht.
Mit der Videoüberwachung verfolgt Innenminister Schönbohm nicht das Ziel, Kriminalität zu bekämpfen. Videoüberwachung ist lediglich ein Akt symbolischer Politik, der der konservativen Wählerklientel der CDU signalisieren soll, dass diese Partei hinter der Polizei steht. Nebenbei dient die Videoüberwachung noch der Bespitzelung und Verdrängung unerwünschter Personengruppen aus bestimmten Stadtbereichen und bestimmter Formen der Kriminalität in andere Stadtteile.
Volksinitiative zur Stärkung der Grund- und Bürgerrechte gegenüber der Polizei
Lindenstraße 53
14467 Potsdam
Tel. (0331) 280 50 83
Fax: (0331) 270 87 28
www.polizeibrandenburg.de
Nur eine Gnadenfrist für die Vietnamesen
Im neuen Jahr will Jörg Schönbohm die Familie Nguyen abschieben und den Landrat Dieter Friese disziplinieren
(Potsdamer Neueste Nachrichten)
POTSDAM/SPREMBERG Die vietnamesische Familie Nguyen aus Spremberg wird in diesem Jahr “trotz eindeutiger Rechtslage” nicht mehr abgeschoben. Das versicherte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Freitag gegenüber dieser Zeitung. Stolpes Staatskanzlei gab unterdessen an, dass Schönbohms Rechtsposition, nach der die Familie abgeschoben werden muss, am Dienstag “im Kabinett nicht beanstandet” worden sei. Sie werde dem Petitionsausschuss des Landtages ohne Verzug zugeleitet. Demgegenüber hatte Staatskanzlei-Chef Rainer Speer (SPD) am Mittwoch auf der regulären Kabinetts-Pressekonferenz erklärt, dass es noch keine abschließende Entscheidung der Landesregierung gebe und diese sich im Januar erneut mit dem Fall befassen werde. Das war wiederum am Donnerstag von Schönbohm dementiert worden. Dass die Familie nicht sofort abgeschoben wird, begründete der Minister damit, dass noch Klärungsbedarf mit der vietnamesischen Botschaft über die Rückreise des Ehemannes bestehe. Diese werde bislang wegen unklarer Identitätsfragen abgelehnt. Nach Schönbohms Angaben wird die Klärung noch Zeit in Anspruch nehmen. Zur Abschiebung gebe es aber keine Alternative. Schönbohm sagte, er unterstelle dem Staatskanzlei-Chef “keine böse Absicht”. Dennoch schloss er nicht gänzlich aus, dass “Druck aus der SPD” dahinter stecken könnte und man wegen der Festtage in der umstrittenen Abschiebefrage “Ruhe haben wollte”. Gegen eine Abschiebung der Familie waren auf Initiative des SPD-Landtagsabgeordneten Ulrich Freese in Spremberg über 1000 Unterschriften gesammelt worden. Generalsuperintendent Rolf Wischnath hatte angekündigt, die Familie Nguyen notfalls in seinem Haus aufzunehmen. Spree-Neiße-Landrat Dieter Friese (SPD) hatte gegen den Willen des Innenministeriums und gegen diverse Gerichtsentscheidungen für die Familie eine “befristete Duldung” ausgesprochen. Daraufhin forderte der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Sven Petke, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen den Landrat. Schönbohm meinte hingegen, dass sich die Frage staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nicht stelle. Allerdings würden nach dem Beamtenrecht Schritte gegen Friese geprüft. Die Entscheidung, so der Innenminister, werde im Januar getroffen. Die PDS warf der Landesregierung gestern “doppelzüngiges Agieren” vor: Um das Gesicht in der Weihnachtszeit zu wahren, habe Speer den Eindruck vermitteln wollen, dass die Entscheidung in dem Fall vertagt worden sei. Tatsächlich halte Schönbohm an seinen Ausweisungsplänen fest. Die PDS forderte Regierungschef Stolpe auf, seine Richtlinienkompetenz wahrzunehmen und bis zur Neuregelung des Zuwanderungsrechtes eine Duldung für die Familie auszusprechen. Nach der im Kabinett abgesegneten Stellungnahme für den Petitionsausschuss ist “die Erteilung neuerlicher Duldungen für Frau Nguyen und ihre drei Kinder nach dem derzeitigen Sachverhalt aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen”. Zudem müsse davon ausgegangen werden, dass die Erklärung der Familie, gemeinsam nach Vietnam ausreisen zu wollen, “nur vorgeschoben wurde, um eine generelle Ausreise der Frau und ihrer drei Kinder zu verhindern”.
Stolpe: “Eine Frage die jedem durchs Herz geht”
Spremberger Vietnamesen können vorerst bleiben
(Märkische Allgemeine)
POTSDAM Die von Abschiebung bedrohte vietnamesische Familie Nguyen aus Spremberg (Spree-Neiße) wird laut Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) in nächster Zeit nicht ausreisen müssen. “Die Frage geht jedem mitten durchs Herz, auch dem Kollegen Schönbohm”, sagte der Regierungschef gestern der MAZ. Es gebe ein offenkundiges Dilemma zwischen Rechtslage und Schicksal.
Die Landesregierung hatte zuvor die Rechtslage, die die Abschiebung vorsieht, zur Kenntnis genommen. “Daran gab es für das Kabinett nichts zu beanstanden”, so Stolpe. Laut Innenministerium sei damit ein Beschluss gefasst worden. Demgegenüber hatte Staatskanzleichef Rainer Speer (SPD) erklärt, die Regierung habe die Entscheidung vertagt. Nach den Worten von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ist derzeit keine Abschiebung der Familie vorgesehen. Sein Ministerium bemühe sich, noch offene Fragen mit der vietnamesischen Botschaft zu klären, um eine gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen. Nach Angaben Schönbohms sind die Frau und die drei Kinder zwingend ausreisepflichtig. Sie hatten drei Wochen in einem Kirchenasyl verbracht, weil sie ohne den Familienvater in ihr Heimatland abgeschoben werden sollten. Nach einer Entscheidung des Spree-Neiße-Landrats Dieter Friese (SPD) wird die Familie vorübergehend geduldet.
“Die SPD hat in der Vorweihnachtszeit versucht, ihr Gesicht zu wahren”, kritisierte der Parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Fraktion, Heinz Vietze. “Durch doppelzüngiges Agieren wurde der Eindruck vermittelt, die Entscheidung sei vertagt worden.” Stolpe wies das zurück. In der dichten Abfolge einer sehr umfangreichen Tagesordnung habe es auf der Kabinettssitzung am Dienstag Probleme bei der Protokollführung gegeben. Der Petitionsausschuss des Landtags hatte sich für eine befristete Duldung eingesetzt und die Regierung um eine Stellungnahme ersucht. Diese gehe nun dem Ausschuss zu, so Vize-Regierungssprecher Manfred Füger.
Landtagspräsident Herbert Knoblich (SPD) erklärte, es müsse auf jeden Fall eine menschliche Lösung gefunden werden. Auf keinem Fall dürfe die Familie Nguyen auseinander gerissen werden. Die Kinder seien schließlich hier geboren und aufgewachsen.
Journalisten gegen Rassismus
POTSDAM Mit einer Aktion gegen das Vergessen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Brandenburg wenden sich namhafte Journalisten an die öffentlichkeit. Für den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar bereiten sie im Potsdamer Nikolaisaal eine Lesung aus dem Oratorium von Peter Weiss “Die Ermittlung” mit Journalisten, Künstlern und Politikern vor. Der Erlös komme dem Aufbau einer Jugendbegegnungsstätte im früheren Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin zugute, sagte die ORB-Journalistin Carla Kniestedt am Freitag in Potsdam. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jan Vesper ist sie Initiatorin der Aktion. “Journalisten sollten über das Thema Gewalt und Fremdenfeindlichkeit nicht nur berichten, sondern selbst etwas dagegen unternehmen”, betonte Kniestedt. Bei der Lesung handelt es sich um die zentrale Veranstaltung von Landtag und der Stadt Potsdam anlässlich des Gedenktages, sagte Parlamentspräsident Herbert Knoblich (SPD). An der Lesung beteiligen sich 36 Prominente. Die Regie führt Christoph Schroth, der engagierte Intendant des Staatstheaters Cottbus. Dieses hatte das Stück von Weiss im Januar vergangenen Jahres in der Cottbuser Oberkirche aufgeführt. “Die Ermittlung” ist ein Dokumentarstück über das Vernichtungslager Auschwitz und den von 1963 bis 1965 in Frankfurt (Main) geführten Prozess gegen die Täter. Aus den Protokollen des Auschwitz-Prozesses lesen unter anderem Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), Herbert Knoblich, der Fernseh-Moderator Günther Jauch, die Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring und Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck.
Recherchebroschüre erschienen
Die zweite Recherchebroschüre zum Thema Rechtsextremismus in der Uckermark ist jetzt erschienen.
Titel: “Auf der Suche nach der Zivilgesellschaft”. Es geht schwerpunktmäßig um Ursachen und Gegenstrategien zu Neonazismus.
Aus dem Inhalt:
* Was ist Zivilgesellschaft?
* Chronik rechtsextremer Aktivitäten in der Uckermark seit August 2000
* Wie rassistisch ist der Alltag von Flüchtlingen in der Uckermark?
* Wer über Rechtsextremismus reden will, darf zum Kapitalismus nicht schweigen — Über die Begrenztheit von antirassistischen Strategien im Kapitalismus
* Im Osten nichts Neues – Zum Zusammenhang zwischen der DDR-Sozialisation und Rechtsextremismus heute
* Die Instrumentalisierung des Gewaltbegriffs
* Zur Rolle der Medien bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus in der Uckermark
Akzeptanz von Intoleranz? –
* Chancen und Grenzen der akzeptierenden Jugendarbeit am Beispiel des Jugendclubs “Bruchbude” im uckermärkischen Milmersdorf
* Emanzipatorische Jugendarbeit — Möglichkeiten und Grenzen
Das Prinzip Opferperspektive
* Aktivitäten der „Flüchtlingsinitiative Prenzlau“
Per Postversand kostet ein Exemplar 5 Mark bzw. 3 Euro, für Antifacafés, Infoläden etc. 4 Mark.
Bestelladresse:
Pfeffer & SalZ e.V.
PF 1119
16272 Angermünde
Tel. (0173) 215 18 51
pfefferundsalzev@gmx.net
Herausgeber ist die Initiative Pfeffer und Salz.
Noteingang-Umfrage in Rheinsberg
Erst Meinungsbild, dann Noteingänge
Rheinsberger Jugendliche verteilen Bögen zur Schutz bietenden Aktion
RHEINSBERG Jugendliche verteilen in den kommenden Wochen Fragebögen der „Aktion Noteingang“ an Rheinsberger Geschäftsleute. Darin wollen sie wissen, welchen Menschen die Gewerbetreibenden Hilfe anböten, falls diese vorm Laden gepeinigt würden. Hinter jeder möglichen Religionszugehörigkeit, politischen oder sexuellen Ausrichtung können die Befragten ein Kreuz machen. Eine weitere Frage will wissen, weshalb manchen Menschen nicht geholfen würde. Die Bögen werden anonym ausgewertet und ebenso an Stadtjugendpflegerin Alexandra Willers geschickt. Die Initiatoren hoffen, ein möglichst objektives Stimmungsbild zu erhalten, um in Veranstaltungen gegen Klischees arbeiten zu können. Erst dann lohne es sich, Schilder „Aktion Noteingang“ anzubringen.
Braucht Rheinsberg Noteingänge?
Anonyme Antworten von Geschäftsleuten und Verwaltung sollen Stimmungsbild zeichnen
RHEINSBERG Würden sie einem Menschen helfen, der Hilfe sucht und vor ihrer Einrichtung steht, wenn sie wissen, dass er ein sogenannter Linker, ein Jude, ein Obdachloser oder ein Homosexueller ist? Rheinsberger Jugendliche verteilen dieser Tage Fragebögen zur Aktion Noteingang. Deren Ziel ist es, Hilfe suchenden Menschen die Möglichkeit zu geben, in Geschäften oder Verwaltungsbüros vor Peinigern geschützt zu sein.
Der Rheinsberger Koordinator gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, Hermann Nehls, und die Stadt-Jugendpflegerin Alexandra Willers unterstützen die Aktion. Wie Willers berichtete, sei in Rheinsberg oft das Argument zu hören, dass es in der Stadt weder Ausländerfeindlichkeit, noch Hass auf Randgruppen gebe. Doch dies stimme so nicht. Auf den Fragebögen werden die Geschäftsinhaber, aber auch die Ämter der Stadtverwaltung befragt, welchen Menschen sie Hilfe anbieten würden. Hinter jeder Gruppe kann ein Kreuz gemacht werden. Doch die Befragten brauchen dies nicht: Die Anonymität sichert ihnen zu, dass niemand erfährt, welchen Menschen sie nicht helfen würden. So könne vielleicht ein objektives Stimmungsbild gezeichnet werden, hoffen die Rheinsberger Mädchen und Jungen.
Ziel der Aktion, der sich im Land bisher die Städte Bad Freienwalde, Bernau, Cottbus, Eberswalde, Frankfurt/Oder, Fürstenwalde, Neuruppin, Strausberg, Wriezen und Rheinsberg angeschlossen haben, ist es, schließlich möglichst viele Geschäfte und Büros mit dem Aufkleber der Aktion auszustatten, um gepeinigten Menschen zu helfen. Auf dem Weg dorthin ist es jedoch wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten. Daher wird auch nach den Gründen gefragt, aus denen heraus die Angesprochenen bestimmten Gruppen zugehörigen Menschen nicht helfen würden.
Wer sich an der Aktion beteiligen möchte, kann seinen Bogen im Büro der Stadtjugendpflegerin über den Räumen der Stadtbibliothek, Schlossstraße 17, abgeben. Alexandra Willers ist dazu verpflichtet, geheim zu halten, von wem welcher Fragebogen stammt. Wer seine Anonymität auf diesem Wege nicht gewahrt sieht, kann den Fragebogen auch – ohne Angabe der eigenen Anschrift – an das Büro senden. Bis Ende Januar sollen die Antworten ausgewertet sein. Nur die Aufkleber anzubringen, wie von einigen Geschäftsleuten angeregt, bringe wenig, finden die Initiatoren. Denn es gehe darum, dass hinterm Schild auch die entsprechende Meinung steht.
HAVELLAND Rechtsextremistische Tendenzen sind nach Ansicht der Kreisausländerbeauftragten Gabriele Steidl “die größte politische Gefahr im Havelland”. Das macht sie in ihrem Bericht zur Lage der Ausländer im Landkreis deutlich. In der Region Rathenow/Premnitz gebe es Gruppen, “die eindeutig rechtes Gedankengut pflegen”. Aus diesen Gruppen heraus werden Gewaltstraftaten gegen Ausländer verübt.
Inzwischen gebe es zahlreiche Initiativen, so Gabriele Steidl, die sich Rechtsextremismus und Gewalt entgegen stellen. Dazu gehören der “Runde Tisch” mit Asylbewerbern, der Stadtverordnetenausschuss “Tolerante Stadt Rathenow”, verschiedene Malwettbewerbe zum Thema “Toleranz” mit hervorragenden Ergebnissen und konkreten Verbesserungen für das Leben der Asylbewerber.
Diese dürfen unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten. Der Einkauf wird ihnen jetzt mit einer Chipkarte erleichtert, welche den Berechtigungsschein ersetzt. Der Einkauf mit Berechtigungsschein sei eine “erniedrigende Prozedur”, schreibt Gabriele Steidl in ihrem Bericht. Die Kreisausländerbeauftragte erinnert in ihrem Bericht außerdem an den Umzug der Asylbewerber aus dem Heim Heidefeld in andere Gemeinschafts‑, aber auch in Familienunterkünfte.
Im Landkreis Havelland lebten im Berichtszeitraum rund 400 Asylsuchende. Sie kommen aus 29 Ländern. Seitdem im Landkreis Havelland Asylbewerber aufgenommen werden, wurden 26 Anträge auf Asyl anerkannt. Elf Personen erhielten ein Bleiberecht. 44 Personen wurden abgeschoben, weil ihre Anträge abgelehnt worden waren. 35 weitere Personen mussten abgeschoben werden, weil sie sich illegal im Landkreis aufhielten.
Neben den Asylsuchenden erfasst der Bericht auch die übrigen Ausländer, die im Havelland leben. Es sind 2668 Personen. Ihr Anteil an der Kreisbevölkerung entspricht etwa 1,8 Prozent.
Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz habe auch im Landkreis Havelland Spuren hinterlassen, so Gabriele Steidl. 43 Anträge auf Einbürgerung waren zu behandeln. Dazu kamen 47 Anträge auf Einbürgerung für jugendliche Ausländerinnen und Ausländer, für die inzwischen ebenfalls ein vereinfachtes Verfahren angewendet wird.
Der Bericht von Gabriele Steidl soll im Januar in den Kreistagsgremien zur Diskussion gestellt werden.
POTSDAM/FORST Die Mitglieder der Familie Nguyen aus Spremberg (Spree-Neiße) sollen offenbar nun doch nicht getrennt nach Vietnam abgeschoben werden. Nach einer Intervention des Petitionsausschusses des Landtags und einer Sitzung des Kabinetts am Dienstagabend bemüht sich das Potsdamer Innenministerium statt dessen bei der vietnamesischen Botschaft um die Beschaffung der fehlenden Reisedokumente für den 39-jährigen Familienvater, so Sprecherin Bettina Cain. “Wir vermuten, dass er zu seiner Person keine richtigen Angaben gemacht hat, das ist unsere Erfahrung aus anderen Fällen.” Bisher hatte die Behörde — gestützt auf einen Gerichtsbeschluss — darauf beharrt, zunächst die 38-jährige Nguyen Thi Hang mit den drei in Deutschland geborenen Söhnen im Alter von zwei bis neun Jahren auszuweisen.
Hoang Van Thuy sollte nach dem Plan des Innenministeriums später abgeschoben werden. Das könne geschehen, sobald die vietnamesische Botschaft die Rückübernahmeerklärung für den Familienvater ausgestellt habe. Ohne diese Erklärung ist nach dem Rückübernahmeabkommen mit Vietnam keine Einreise möglich. Für die Mutter und die drei Söhne der Familie liegt die Erklärung seit kurzem vor.
SPD-Fraktionschef Gunter Fritsch sieht eine humanitäre Lösung für die Familie in greifbare Nähe gerückt. “Ich habe das Gefühl, dass eine gemeinsame Ausreise für die Familie möglich ist”, sagte er gestern der MAZ. Indem das Kabinett eine Entscheidung über den Antrag des Petitionsausschusses auf Januar vertagt habe, sei Zeit für eine Lösung gewonnen worden. Der Petitionsausschuss unter seiner Vorsitzenden Marina Marquardt (CDU) hatte dafür plädiert, Mutter Nguyen sowie den drei Söhnen eine befristete Duldung solange zu erteilen, bis eine gemeinsame Ausreise der Familie möglich sei.
Dass die Familie ausreisepflichtig ist, gilt als unstrittig. “Die Rechtslage ist eindeutig”, betonte Staatskanzleichef Rainer Speer (SPD) gestern. “Die Familie hat keinen Anspruch auf Asyl”, erklärte SPD-Fraktionssprecher Ingo Decker. “Formal richtig”, aber “lebenspraktisch eine Ungerechtigkeit”, nannte auch SPD-Parteisprecher Klaus Ness den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom September 2001.
Die Gerichtskammer hatte entschieden, dass “eine vorübergehende Trennung der Familie einer Ausweisung nicht entgegenstehe”, so Sprecher Matthias Vogt gestern. Was “vorübergehende Trennung” bedeute, habe das Gericht nicht präzisiert. Theoretisch könnten das Tage, aber auch Jahre sein. Dass es sich um einen langen Zeitraum handeln kann, zeigt die Geschichte des Asylverfahrens der Nguyens. Obwohl ihr Antrag 1996 abgelehnt wurde und sie seither ausreisepflichtig sind, scheiterte die Ausweisung an fehlenden Dokumenten — auch dem Dokument, das für Hoang Van Thuy bis heute nicht vorliegt.
Neben einer rechtlichen Seite habe der Fall Nguyen auch eine “tragische” Komponente, so der Landrat von Spree-Neiße, Dieter Friese (SPD). Besonders deutlich wird dies mit Blick auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus.
Es hatte — formal korrekt — beschlossen, dass die Altfallregelung nicht auf die Familie Nguyen anwendbar sei. Als Altfälle im Ausländerrecht gelten Personen, die keinen Asylanspruch haben, aber vor dem 1. Juli 1993 in Deutschland lebten und bestimmte Kriterien erfüllen: Sie dürfen nicht als vorbestraft gelten, müssen über eigenen Wohnraum verfügen und nachweisen, dass sie entweder Arbeit haben oder sich nachweislich darum bemüht haben. Der Stichtag für diesen Nachweis ist der 19. November 1999.
Bis zu diesem Stichtag, so Gerichtssprecher Vogt, hätten die Nguyens die beiden letzten Voraussetzungen nicht erfüllt. Das Gericht berücksichtige nicht, wenn sich nach dem Stichtag die wirtschaftliche Situation einer Familie verbessere — wie bei den Nguyens.
Seit Januar 2000, also kurz nach dem Stichtag, arbeitet der 39-jährige Hoang Van Thuy als Kellner in einem Asia-Restaurant, so Landrat Friese. “Seit Oktober 2001 liegt zudem ein schriftlicher Verzicht der Familie auf Sozialhilfe vor. Sie sind also Selbstversorger.”
Dass zum Stichtag weder Hoang Van Thuy noch seiner Frau gearbeitet hatten, begründet Friese so: “Die Frau hatte eine Risikoschwangerschaft und lag darnieder, und ihr Mann kümmerte sich um sie.”
Notwendige Neuerung
Kommentar von MAZ-Redakteur Frank Schauka
Das Schicksal der vietnamesischen Familie Nguyen aus Spremberg beweist deutlich: Brandenburg braucht eine Härtefallkommission, die sich außerhalb des Behördenalltags auf Problemfälle des Ausländerrechts konzentrieren kann. Dabei sollte sie von den Ausländerbehörden in kritischen Abschiebefällen zu Rate gezogen werden, bevor sich ein Gericht mit einer Angelegenheit befasst und möglicherweise einen Beschluss fällt, der schließlich bindend ist und gegebenenfalls eine kaum zu ertragende Härte darstellt. Im Fall der Familie Nguyen hätte auf diese Weise verhindert werden können, dass das Gericht die “vorübergehende Trennung” legitimiert. Denn in der Praxis kann der Beschluss unzumutbare Folgen haben, weil niemand überblicken kann, ob die Trennung der Familienmitglieder Tage oder Jahre währen wird. Auch bei unvorhergesehenen Härten im Zusammenhang der Altfallregelung für abgelehnte Asylbewerber könnte die Kommission bei rechtzeitiger Anrufung sinnvolle Arbeit leisten. Es ist zumindest nachdenkenswert, ob die Nguyens ausreisen müssen, weil die Eltern vor zwei Jahren — zum Stichtag der Altfallregelung — arbeitslos waren, obwohl der Familienvater heute einer geregelten, legalen Arbeit nachgeht.
MAHLOW Die Arbeitsgemeinschaft Tolerantes Mahlow ist für ihr Wirken um Integration von Minderheiten und gegen Rechtsextremismus geehrt worden. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz in Berlin zeichnete kürzlich 40 Gruppen mit Geldpreisen zwischen 1000 und 10 000 Mark aus, die sich in Projekten darum verdient gemacht haben, den Respekt gegenüber dem Anderen zu stärken sowie rechtsextremes Denken und Gewalttaten zurückzudrängen. “Es ging vor allem darum, Konzepte in ihrer Vielfalt und Breite aufzuzeigen, die anderen Vorbild sein können”, erklärte gestern Reiner Schiller-Dickhut vom Bündnis für Demokratie und Toleranz.
Unter dem Motto “Aktiv für Demokratie und Toleranz” hatte das Bündnis im September zur Aktions- und Ideenbörse aufgerufen. Es verzeichnete November eine “überraschende Resonanz”. Nach Schiller-Dickhut hatten 270 Gruppen “ihre“Aktion eingesandt, davon wurden 109 als nachahmenswert beurteilt. Die eingereichten Projekte stammten vorwiegend von kleinen, ehrenamtlich tätigen Gruppen und wurden zum Teil erst in den letzten zwei Jahren begonnen — für das Bündnis ein Zeichen, “dass das lokale Engagement gewachsen ist.” Die Projekte werden im Internet und in einer Broschüre erscheinen.
Die AG Tolerantes Mahlow erhielt 5000 Mark zugesprochen. Sie hatte sich sehr engagiert um einen würdigen Empfang von Noel Martin in Mahlow gekümmert.Während die meisten ihre Projekte selbst in Berlin eingereicht hatten, kamen auch einige Hinweise von Journalisten. Die Arbeitsgruppe Tolerantes Mahlow war von der MAZ-Lokalredaktion Zossen vorgeschlagen worden.