Sachsenhausen (dpa/bb) — Zum 63. Jahrestag der Ermordung von 27 Häftlingen wird an diesem Sonntag (11.00 Uhr) im Konzentrationslager Sachsenhausen an die letzten Stunden der Opfer erinnert. Nach Angaben eines Sprechers der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten nehmen mehrere ehemalige deutsche und französische Häftlinge des Konzentrationslagers und Hinterbliebene an der Veranstaltung teil. Ein Kranz soll im Gedenkort «Station Z» niedergelegt werden. Am 11. Oktober 1944 hatten die Nationalsozialisten 24 deutsche und drei französische Häftlinge erschossen. Zuvor seien Anzeichnen einer geheimen kommunistischen Widerstandsorganisation gefunden worden.
“Das Leben geht weiter!”
Es waren etwa 45 BesucherInnen, die sich am Vormittag des 08.10.2007 in einem
kleinen Saal des “Schlosses” in Bad Freienwalde einfanden, gespannt auf die
Erzählungen eines fast hundertjährigen Mannes. Doch diese Erzählungen gestalteten
sich weitaus anders, als von den meisten erwartet. Dr. Hans Keilson stellte als
erstes fest, dass er nicht aus den Niederlanden angereist wäre um einen Vortrag zu
halten, sondern dass er da sei, um mit den BesucherInnen zu reden und durch
Gespräche und Diskussionen auch seine eigene Lebensgeschichte vermitteln würde.
Trotzdem bekamen die Gäste, größtenteils vom Bad Freienwalder Gymnasium aber (als
“Ehrengast”) auch der Bürgermeister Ralf Lehmann, einen kurzen Einblick über die
Person “Hans Keilson”. Dieser ist 1909 in Bad Freienwalde in einer jüdischen Familie
geboren. Mitte der zwanziger Jahre, kurz vor seinem Abitur, hatte er seine ersten
Begegnungen mit Antisemitismus. Doch versuchte er dies hinter sich zu lassen als er
1928 nach Berlin ging um Medizin zu studieren. Als er sein Studium 1934 beendete,
war es den Juden allerdings verboten jegliche medizinische Berufe auszuüben. Zwei
Jahre lebte Hans Keilson noch in Deutschland, bis er es nicht mehr aushielt. Er
durfte seine nicht-jüdische Lebensgefährtin nicht heiraten, aufgrund der “Nürnberger
Rassengesetze”, er hatte keinen Beruf und die Bücher die er schrieb wurden verboten.
1936 flohen seine Lebensgefährtin und er schließlich in die Niederlande. Hier
tauchte er unter und lebte als “Doktor vaan Derlinden”. Er bekam, während der
deutschen Besatzungszeit, das Angebot in einer illegalen Untergrundorganisation
mitzuarbeiten, die sich damit beschäftige traumatisierte, jüdische Waisenkinder, die
von niederländischen Familien aufgenommen worden waren, zu betreuen. Er willigte ein
und arbeitete so jahrelang. 1939 holte er kurzzeitig seine Eltern in die
Niederlande, doch da er der Meinung war, sie könnten mit ihrer Ausreiseerlaubnis
nach Palästina zu seiner Schwester auswandern, beschloss er sie nicht bei sich
aufzunehmen. Diese Entscheidung wurde ihm jedoch zum Verhängnis. Seine Eltern kamen
in einem Konzentrationslager ums Leben. Heute lebt er mit seiner zweiten Frau in der
Nähe von Amsterdamm und ist noch immer als der älteste Psychoanalytiker der Welt
aktiv.
Dies war nur ein kurzer Einblick in seine Biographie (komplett nachzulesen in dem
Buch “Das Leben geht weiter” von Hans Keilson), mensch konnte aber im laufe von
Gesprächen und Diskussionen noch viel mehr Einzelheiten erfahren. Hans Keilson war
aber selbst sehr interessiert an der persönlichen Sichtweise der BesucherInnen,
bezogen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. So wurde über Themen wie die
Entwicklung des Rechtsextremismus in Bad Freienwalde, die Zukunft Deutschlands, die
Taktiken und Mittel von Hitler und der Interaktion zwischen Deutschland und Polen
diskutiert. Keilson begründete sein Interesse mit der Aussage: “Sie alle sind
Zeugen, Zeugen der eigenen Zeit!” Und so wurde auch dem Bürgermeister einmal mehr
deutlich gemacht, dass Rechtsextremismus ein zunehmendes Problem in Bad Freienwalde
darstellt. Eine junge Frau berichtete, dass sie Angst hätte mit ihrer kleinen
Tochter durch die Straßen zu gehen, weil sie nie wisse wie die Nazis auf sie
reagieren würden. Eine Lehrerin des Gymnasiums äußerte sich insofern, dass es
erschreckend sei, dass dieses Thema so gleichgültig behandelt wird und auch mehrere
Jugendliche gaben an, dass das Problem immer schlimmer wird und dass die
Gleichgültigkeit der Gesellschaft traurig sei. Auch der Antisemitismus wurde
thematisiert und die verschiedenen Definitionen Hans Keilsons waren interessant. Er
sagte, er spreche bewusst nicht von Juden, sondern Antisemitismus besteht aus
Verfolgern und Verfolgten. Außerdem sei Antisemitismus nichts anderes als die
Projektion der eigenen, unbewältigten Probleme auf einen Sündenbock. In diesem Fall
auf den Juden. Auf die Frage hin, ob er durch seine Erlebnisse mit dem
Nazi-Deutschland nicht einen unglaublichen Hass auf die Deutschen habe, antwortete
er nicht direkt. Er sagte nur, er sei tieftraurig darüber, dass Menschen zu so etwas
fähig waren.
Nebenbei bekam mensch auch interessante geschichtliche Fakten dargelegt. So wurde
die die NSDAP durch einen Mann namens Joseph Schönfelder in Bad Freienwalde
manifestiert, vor dem Rathaus hatte einst Göbbels feurige Reden gehalten und Adolf
Hitler persönlich schritt im März 1945 noch durch das Bad Freienwalder “Schloss”.
Nach zwei Stunden wurde das Gespräch schließlich beendet, obwohl noch längst nicht
alle Themen ausgeschöpft waren. Zum Abschluss gab Hans Keilson seinen BesucherInnen
noch folgende Worte, der Titel eines seiner Bücher, mit auf den Weg: “Das Leben geht
weiter!”
Fesselung war »rechtmäßig«
Frankfurt (Oder). Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat die Fesselung einer Kenianerin in der Abschiebehaftanstalt Eisenhüttenstadt für rechtmäßig erklärt. Die 5. Kammer wies am Freitag eine Klage der Afrikanerin, die 2003 nach Kenia abgeschoben wurde, gegen die Zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg ab. Nach Ansicht der Richter durften die Mitarbeiter der Haftanstalt die Frau am 1. und 2. Oktober 2003 über mehrere Stunden an Händen und Füßen auf einen Tisch binden. Es habe die Gefahr bestanden, daß sich die Kenianerin selbst verletzen oder »Mobiliar beschädigen könnte«, heißt es zur Begründung. Die Kenianerin hatte den Angaben zufolge einen Schaumstoffball in Brand gesetzt, eine Zelle mit Wasser aus der Toilettenspülungn überschwemmt und versucht, einen Spülkasten zu zerstören. Daraufhin sei sie gefesselt worden.
Streit um Abschiebehafteinrichtung
Frankfurt (Oder). Bedienstete der Abschiebehaftanstalt Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) durften einem Gerichtsurteil zufolge eine Kenianerin zweimal über Stunden an Händen und Füßen auf einem Tisch fesseln.
An den beiden Tagen im Oktober 2003 habe die Gefahr bestanden, dass sich die Frau selbst verletzen oder das Mobiliar der Anstalt beschädigen würde, urteilte gestern das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder). Es wies damit eine Klage der Frau gegen die Zentrale Ausländerbehörde Brandenburgs ab.
Alle, die im Rahmen der Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch vom 6.10.2007 in Königs Wusterhausen (z.B. bei den Sitzblockaden) Ziel polizeilicher Maßnahmen wurden, sollten sich bitte umgehend beim Ermittlungsausschuss (EA) Berlin melden, um die weiteren rechtlichen Schritte zu prüfen.
Kontakt zum EA-Berlin
Gneisenaustr. 2a, Mehringhof (U‑Bahnhof Mehringdamm)
10961 Berlin
Tel: 030 — 692 22 22
Sprechstunde: Dienstags von 20.00 bis 22:00 Uhr
Falls ihr in den nächsten Wochen bzgl. des 6.10. von einer Behörde (Ordnungsamt, Polizei…) Post (Vorladung, Bußgeldbescheid) bekommt, braucht ihr drauf vorerst nicht zu antworten, solltet euch aber spätestens jetzt mit dem EA-Berlin in Verbindung setzen, der euch AnwältInnen vermittelt und im weiteren Vorgehen berät. Um etwaige Widerspruchs-Fristen nicht zu versäumen und das Vorgehen aller Betroffener zu koordinieren, sollte dies möglichst bald geschehen.
Eingefahren sind einige — gemeint sind wir alle!
Mit Bier und Reichskriegsflagge
Auf dem diesjährigen Straßenfest am 3. Oktober in Mahlow trafen sich
Neonazi-Aktivisten der Kameradschaft „Freie Kräfte Teltow-Fläming“ und
versuchten politisch Andersdenkende zu vertreiben und einzuschüchtern.
An einem Stand auf dem Fest wurden Reichskriegsflaggen verkauft, und das
obwohl bereits letztes Jahr Jugendliche Neonazis mit solch einer Flagge
das Fest in ein negatives Licht gerückt hatten.
Bereits seit Beginn des Festes waren Personen, die der
Neonazigruppierung „Freie Kräfte Teltow-Fläming“ zugerechnet werden vor
Ort und zogen als Gruppe durch die Veranstaltung. Ihr Ziel war es
offenbar, durch personenstarkes Auftreten nicht-rechte und ausländische
Passanten einzuschüchtern. Um diese Drohgebärde zu unterstreichen wurde
alternative Jugendliche fotografiert und bedroht. Neben organisierten
Neonazis waren auch Personen aus deren Umfeld und unorganisierte Rechte
vor Ort. Dies wurde dadurch deutlich, dass viele Personen rechte bzw. in
rechten Kreisen beliebte Kleidung trugen. Die rechte Modemarke „Thor
Steinar“ war das dominierende Label an diesem Abend. (Beweisfotos hier
)
Direkt am Bahnhofsvorplatz (also der erste Stand für alle vom Bahnhof
kommenden Gäste) befand sich ein Verkaufstand auf dem mehrere
Reichskriegsflaggen vertrieben wurden. In anbetracht der Tatsache, das
bereits im Vorjahr rechte Jugendliche in einem Bierzelt um solch einer
Flagge ungestört Bier trinken konnten, wirkt das Verkaufen genau solcher
Fahnen wie eine Provokation. Das öffentliche Zurschaustellen der
Reichskriegsflagge ist in Brandenburg des Weiteren seit einigen Jahren
verboten. (Beweisfoto hier.
)
Tamara Levy, Pressesprecherin der Autonomen Antifa Teltow-Fläming [AATF]
erklärt hierzu: „Den Betreibern des Straßenfestes, der „Mahlower City
e.V.“ scheint es an der nötigen Sensibilität zu fehlen oder möchten sich
offenbar politisch deutlich positionieren. Anders ist es nicht zu
erklären, wie es möglich sein kann, das die Fahnen, die letztes Jahr für
ein Eklat gesorgt haben, diesmal auch noch verkauft werden.“ Ferner
betrachtet sie diesen Vorfall als Beweis dafür, dass Versatzstücke
rechtsextremistischen Gedankengutes tatsächlich in der Mitte der
Gesellschaft auf fruchtbaren Boden stoßen, da niemand der anderen Gäste
an einem der rechtsextremen Symbole zu stören schien.
Auf dem ganzen Fest waren zu keinem Zeitpunkt ein ausreichend
Polizeikräfte vor Ort um eventuelle Übergriffe oder andere Straftaten zu
verhindern. Für 20 Min. war lediglich eine Streifenwagenbesatzung am
späten Nachmittag über das Fest gegangen.
Einen Erlebnisbericht über die rechten Aktivitäten am 3. Oktober 2007 in
Mahlow (mit Fotos von den Nazis und dem Verkaufsstand) gibt es
hier.
Pressemitteilung aus dem letzten Jahr zu rechten Aktivitäten auf dem
Straßenfest gibt es
hier.
Spurensuche in Jamlitz
»Das hats bei uns nicht gegeben!? Antisemitismus in der DDR«: Hintergründe einer Verleumdungskampagne über einen der »größten Skandale der DDR«
Ende September wurde die federführend von der Amadeu-Antonio-Stiftung betreute und vorwiegend von der »Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« gesponserte Wanderausstellung »Das hat’s bei uns nicht gegeben! ? Antisemitismus in der DDR« nach ihrer Premiere im April erneut in Berlin präsentiert. Weitere Stationen werden in den nächsten Wochen Fürstenwalde, die Berliner Bezirke Pankow und Neukölln, Pirna und Bernau sein. Die hier (meist auf der Grundlage von Akten der staatlichen Ermittlungsbehörden) zusammengetragenen Einzelbeispiele antisemitischer Vorfälle in der über 40jährigen Geschichte der DDR sollen das generelle Verdammungsurteil rechtfertigen: »Der Bodensatz blieb unangetastet«.
Man wird lange in den Archiven der im Springer-Verlag erscheinenden Tageszeitung Die Welt suchen müssen, um eine Übereinstimmung des Blattes mit dem ostdeutschen Faschismusforscher Prof. Dr. Kurt Pätzold zu finden. In einer umfangreichen Würdigung der Antisemitismus-Ausstellung gibt es aber eine solche. »Sachlich durchaus richtig«, resümiert Die Welt einen ND-Beitrag des Historikers vom 7. April dieses Jahres, »faßt Pätzold die Kernaussagen der Ausstellung zusammen: ?Der untergegangene deutsche Staat soll seines Charakters als antifaschistisches Staatswesen entkleidet werden. Daß er sich so darstellte, wird als bloße Lüge zum Zwecke seiner Legitimation dargestellt. In Wahrheit habe er die Hinterlassenschaften des Naziregimes, hier Bodensatz genannt, unangetastet belassen?.« (Die Welt, 27. Juli 2007, S. 30: »Die Opfer weisen viel Zahngold auf«)
Am 30. Juli wird dieser Artikel noch einmal bei WeltOnline nachgereicht ? mit einer verschärften Schlagzeile: »Stasi schändete die Leichen von KZ-Opfern«. Die Ausstellung zeige, daß Antisemitismus in der DDR »alltäglich war«, heißt es in der Einleitung und: »Die schockierendste Erkenntnis der Aufarbeitung: Stasi-Mitarbeiter raubten die Zahnfüllungen jüdischer KZ-Opfer«. Bezug genommen wird auf eine der 36 Ausstellungstafeln. Was hier zu sehen ist, wird ? drei Wochen nach dem Pätzold-Beitrag ?im Neuen Deutschland vom 27. April wie folgt resümiert: »Eine Tafel beschreibt, wie 1971 im brandenburgischen Jamlitz ein Massengrab ehemaliger jüdischer KZ-Häftlinge entdeckt wurde und wie MfS-Mitarbeiter, bevor die menschlichen Überreste entgegen jüdischem Brauchtum feuerbestattet wurden, ihnen insgesamt ?1080 g Zähne und Zahnprothesen? entnahmen.« (Die Welt: »Irritierend ist, daß ausgerechnet das PDS-Blatt Medienpartner der Ausstellung ist.«)
Folgt man dieser Darstellung, so bietet Jamlitz in der Tat den Stoff, mit dem ? über das einstige Ministerium der Staatssicherheit der DDR als immer willkommenem Vehikel ? im Geiste der Totalitarismusdoktrin eine der übelsten Aktionen zur Delegitimierung des Antifaschismus der DDR inszeniert werden kann. Willkommene Gelegenheit auch, jenen Mitarbeitern des MfS am Zeug zu flicken, die zu DDR-Zeiten dazu beigetragen haben, die tiefbraunen Westen und so manche blutbefleckte Hand bundesdeutscher Prominenz ans Licht zu holen.
Rückblende Jamlitz 1945
Ende 1942/Anfang 1943 beschloß die Reichsführung der SS, vier neue Truppenübungsplätze zu errichten. Einer davon, »der größte Truppenübungsplatz der deutschen Waffen-SS in Europa«, so entschied der oberste SS-Führer Heinrich Himmler, sollte in der »Kurmark, Kernland der Mark Brandenburg« entstehen. Dazu brauchte man billige Arbeitskräfte. Deshalb wurde im Herbst 1943 in dem Dorf Jamlitz, etwa vier Kilometer von der brandenburgischen Ortschaft Lieberose entfernt, im Umfeld des dortigen Bahnhofs das Konzentrationslager Lieberose (SS-intern »Liro«) als Nebenlager des KZ Sachsenhausen gebaut. Tausende Häftlinge aus fast allen Ländern Europas, vor allem polnische und ungarische Juden, kamen bei den dort herrschenden mörderischen Arbeitsbedingungen ums Leben. Das KZ wurde von der SS als »Straflager« geführt.
Den größten Anteil stellten Jugendliche und Männer, die bei den Selektionen im KZ Auschwitz für arbeitsfähig erklärt und auf Transport nach Liebrose geschickt worden waren. Für sie galt die Losung des Lagerkommandanten Wilhelm Kersten: »Die Juden müssen zittern!« Anfang Februar 1945 begann angesichts der näherrückenden Roten Armee die »Evakuierung« der Häftlinge, von denen viele in Sachsenhausen in der »Station Z« umgebracht wurden. Am 2. Februar wurden die im Lager verbliebenen kranken, marschunfähigen Häftlinge auf Lastwagen zu einer Kiesgrube gefahren und dort von SS-Einheiten abgeladen, erschossen und verscharrt.
Nach 1945 wurde das Lager Jamlitz von der sowjetischen Besatzungsmacht übernommen; es diente von September 1945 bis April 1947 als Internierungslager für Naziaktivisten und dem NKWD als »Speziallager Nr. 6«, in dem auch zu Unrecht festgenommene Menschen inhaftiert waren.
Rückblende Jamlitz 1971
Im Mai 1971 stoßen Bauarbeiter in der Nähe des Dorfes Staakow in einer nicht mehr ausgebeuteten Kiesgrube auf die Gebeine der dort von der SS verscharrten Menschen. Daraufhin übernehmen Angehörige der Volkspolizei die Grabungen. Sie fördern weitere Skeletteile und Schädel mit Einschußlöchern am Hinterkopf zutage. Federführend für die ersten Ermittlungen wird die Bezirksstaatsanwaltschaft in Cottbus. Schnell steht fest, daß es sich hier um die Skelette der ermordeten Häftlinge aus den Februartagen des Jahres 1945 handelt ? das größte Massengrab aus der Zeit des Faschismus, das auf DDR-Boden gefunden wurde.
Darum wird die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verständigt, die ein Ermittlungsverfahren einleitet zur Aufklärung des Verdachts eines NS-Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Dafür gibt es im Ministerium die Hauptabteilung IX/10, eine Spezialabteilung zur Untersuchung von Nazi- und Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin zieht das Ermittlungsverfahren an sich. Gerichtsmediziner aus Dresden beginnen mit der Exhumierung und den Ermittlungen zu Todesursachen, Geschlecht, Alter, Herkunft der Opfer.
Eine Gedenkstätte für die Opfer
Parallel zu den Ermittlungen nach noch lebenden Tätern fahren MfS-Mitarbeiter nach Budapest, um hier Aufklärung über die Opfer zu erhalten, da die Hinterlassenschaften der SS keine personenbezogenen Daten der Ermordeten enthielten. So konnten auch keine Verwandten ermittelt und befragt werden. Ein Umstand, der mit dazu beigetragen hat, die ursprüngliche Absicht aufzugeben, die Skelette der Exhumierten nach Abschluß der gerichtsmedizinischen Untersuchungen und ihrer folgenden Freigabe in 30 Särgen in der Gedenkstätte Sachsenhausen beizusetzen. Die sterblichen Überreste wurden am 24. Mai 1971 in das Krematorium Forst zur Feuerbestattung überführt. Das entsprach der damaligen Bestattungsordnung. Das Kulturministerium entschied, in Lieberose/Jamlitz eine Gedenkstätte einzurichten.
So geschah es. Auf einem Hügel neben dem Friedhof von Lieberose wurde ein Ringgrab angelegt, in dessen Mitte bei einer feierlichen Zeremonie am 12. September 1971 eine Urne mit der Asche der Toten beigesetzt wurde. Am 6. Mai 1973 erfolgte die Einweihung des Mahnmals, einer weithin sichtbaren Mauer, auf der neben einem roten Wi
nkel die unmißverständliche, und nicht ? wie heute immer noch behauptet ? auf kommunistische Widerstandskämpfer einengende Inschrift zu lesen ist: »Ehrendes Gedenken den Opfern des Faschismus, die im Nebenlager Lieberose/Jamlitz des KZ Sachsenhausen von der SS ermordet wurden. 1943?1945«. Am 12. September 1983 schließlich konnte ein Museum am Fuße des Mahnmals eröffnet werden.
Penible Protokollführung
Dr. Karli Coburger war zur damaligen Zeit Oberst und stellvertretender Leiter der Hauptabteilung IX/10 im MfS. Im jW-Gespräch schildert er Mitte September 2007 die komplizierten Bergungsarbeiten durch die Gerichtsmediziner. Diese stellten bei den Grabungen fest, daß »sich Goldzähne und andere Zahnkonstruktionen von den Körpern gelöst hatten bzw. bei der Exhumierung durch Austrocknung herausfielen. Eine Zuordnung der gefundenen Gegenstände zu den einzelnen Toten war nicht mehr möglich. Da es sich aber um mögliche Beweise handelte, die eventuell Auskunft über die Herkunft der Toten geben konnten, und auch, um illegale Zugriffe von Dritten auszuschließen, wurden diese Gegenstände gesammelt. Noch mit den skelettierten Körpern fest verbundene Goldzähne und Konstruktionen verblieben selbstverständlich in dem aufgefundenen Zustand.«
In einem »Sachstandsbericht zum Untersuchungsvorgang gegen ?Unbekannt?« der Cottbuser Bezirksverwaltung des MfS vom 27. Mai 1971 wird festgestellt, daß aufgrund des Zahnstatus und anderer Kriterien, die eine Altersbestimmung möglich machten, ein Durchschnittsalter zwischen 25 und 35 Jahren, aber auch von Personen unter 18 und bis zu 60 Jahren ermittelt wurde. »Durch das Gerichtsmedizinische Institut Dresden wird versucht, die Nationalität auf der Grundlage der Bestimmungen der Blutgruppen festzustellen. Außerdem werden in Verbindung mit einem Stomatologen Untersuchungen des Zahnstatus vorgenommen, um insgesamt aussagekräftige Hinweise zur Nationalität geben zu können.«
Alle Vorgänge der Exhumierung sind penibel protokolliert. »Wir hatten nichts zu verbergen und waren uns in Erinnerung an die faschistischen Verbrechen der hochsensiblen Problematik voll bewußt«, sagt Coburger. Vor der Feuerbestattung sind, laut einem Protokoll der MfS-Bezirksverwaltung vom 17. Mai 1971, die aufgefundenen Goldprothesen »durch die Gerichtsmedizin Dresden an das Untersuchungsorgan übergeben« worden. Die am Tatort gefundenen persönlichen Gegenstände der Toten (Medaillons, Schnitzfiguren u.a.) wurden, da das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, einschließlich des geborgenen Zahngoldes als Beweismaterial in den Asservatendepots des MfS aufbewahrt. Ein Aktenvermerk der zuständigen Hauptabteilung IX/10 des MfS vom 27. Juli 1972 hält dazu fest: »Die zusammen mit dem Gutachten der Gerichtsmedizin übergebenen Gegenstände, einschließlich der Edelmetalle, sind als Beweismaterial zu betrachten und dementsprechend zu sichern.« Dazu Karli Coburger: »Es konnte nicht ausgeschlossen werden, daß aus dem In- und Ausland doch noch neue Erkenntnisse eingehen, die zur Identifizierung einzelner Opfer oder zur Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens hätten führen können.«
Laut einer »Verfügung« vom 3. März 1975 »in der Strafsache gegen Unbekannt wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit im ehemaligen KZ Sachsenhausen, Außenlager Lieberose, wird das Verfahren gemäß § 150 (1) StPO vorläufig eingestellt.« Für die Durchführung des Verbrechens seien nach den bisherigen Feststellungen »mindestens 18 ehemalige SS-Angehörige verantwortlich. Zwei der Täter sind nachweislich gestorben. Zur Auffindung der übrigen 16 Täter wurden umfangreiche Maßnahmen eingeleitet, die bisher ergebnislos verlaufen sind. Daher wird das Verfahren vorläufig eingestellt.«
»Vorläufig eingestellt«, das heißt eindeutig, der »Vorgang« ist nicht abgeschlossen und kann jederzeit wieder aufgenommen werden. Entsprechend war also auch mit dem Beweismaterial umzugehen.
»Verwahrung« statt »Abverfügung«
In einem Vermerk eines Hauptmanns der Cottbuser Bezirksverwaltung des MfS vom 26. März 1975 heißt es: »Nach Rücksprache mit Gen. Oberst Coburger, stellv. Leiter der HA IX, ist das Gold aus dem Vorgang gegen Unbekannt im derzeitigen Zustand, eingeschweißt, an die HA IX/10 zu übersenden. Es verfolgt Verwahrung bei der Kasse des MfS…« Dazu gibt es ein »Übergabeprotokoll« vom 30. Mai 1975: »Am heutigen Tage, 30.5.75, werden der Hauptabteilung IX/10 aus dem Untersuchungsvorgang gegen ?Unbekannt? wegen Kriegs- und Naziverbrechen insgesamt 1080 g (eintausendachtzig) Zahngold mit Zähnen (verpackt in einem Plastikbeutel) zur weiteren Verwendung übergeben.« »Verwendung«, das heißt, wie ein weiteres Übergabeprotokoll mit Datum vom 16. Juli 1975 präzisiert, daß laut Weisung von Coburger diese 1080 Gramm »Zahngold und Zahnprothesen mit Gold« dem Leiter der Abteilung Finanzen »zur Verwahrung übergeben« wurden. »Die Verwahrung soll sich vom Datum der Übergabe an auf fünf Jahre erstrecken. Nach Ablauf dieser Frist erfolgt die Entscheidung über den weiteren Verlauf. Die Herausgabe kann nur mit Genehmigung des Leiters der HA IX oder seines Stellvertreters erfolgen. Das Gold wird in einem mit der Petschaft Nr. 8011 versiegelten Päckchen übergeben.«
Dann gerät der Vorgang als abgeschlossen in Vergessenheit. Das Päckchen liegt irgendwo in den Panzerschränken des Ministeriums. Ein Protokoll über eine »Abverfügung« oder eine Verarbeitung existiert nicht. Coburger, der im übrigen weder von einem der so eifrigen Enthüllungsjournalisten noch von den Ausstellungsmachern befragt worden ist, schließt die Möglichkeit nicht aus, daß sich womöglich auch jemand in den »wirren Tagen nach der »Wende« unkorrekt verhalten hat. Der Abteilung Finanzen sei bei der Auflösung des MfS von der Staatsbank jedenfalls die völlige Korrektheit ihrer Bestände und Unterlagen bestätigt worden. Darüber gebe es auch ein Protokoll.
Rückblende Jamlitz 2001
Nicht das Päckchen mit der Petschaft Nr. 8011, aber die Geschichte mit der Sicherung des Goldes bei der Exhumierung der Opfer des Faschismus aus dem Maitagen des Jahres 1971 taucht drei Jahrzehnte später wieder auf. Allerdings nicht als Erinnerung an das SS-Massaker in Jamlitz oder die Bemühungen der Gerichtsmediziner, der Justiz und des MfS bei der Bergung der Opfer. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg gibt am 2. Oktober 2001, als Beitrag zum »Tag der deutschen Einheit«, in der Sendung »Klartext« über die »geschändeten KZ-Opfer von Jamlitz« den Auftakt zur Verleumdungsaktion. Zwei Tage später mutiert das Geschehene in der Bild-Zeitung zu einem »der größten Skandale der DDR«. Überschrift: »Leichen von KZ-Häftlingen gefleddert«. Natürlich durch die »Stasi«. »Sie hatte es auf das Gold der KZ-Opfer abgesehen.« Sie hat »nach ihrem elenden Tod die Nazi-Opfer nochmals mißbraucht. Ausgerechnet in Erich Honeckers ?antifaschistischer? DDR.« Bild spricht von einem »unglaublichen Skandal«. Antenne Brandenburg vermeldet die »Plünderung eines Massengrabs«
.
Mit etwas Abstand und weniger Krawall brachte die Süddeutsche Zeitung einen ganzseitigen Beitrag. In dem finden sich einige aufschlußreiche Details aus der Erinnerung von Dr. Karl-Heinz Frank, der damal
s an den gerichtsmedizinischen Untersuchungen beteiligt war. Sie fanden weder bei Bild noch Welt Erwähnung. Denn: Frank bestätigte weitgehend die Darstellungen von Karli Coburger: »An der Böschung liegen schräg an der Hangebene in einem 24 Meter langen und zwei bis vier Meter breiten Streifen die Skelette in mehreren Schichten, meist quer zum Hang oder mit Kopf und Brust oberflächlich, Becken und Beine von anderen Schichten bedeckt bzw. mit dem Kopf in der Tiefe und die Beine anderen Skeletten aufliegend. (…) Die Toten mußten einfach abgekippt worden sein, ihre Knochen lagen unter- und übereinander, die Bergung war schwierig. Auf einer planierten Fläche wurden die Skelette in Reihen aufgebahrt und begutachtet.« Dr. Frank weiter: »Ein Teil des Zahngolds war lose.« Die Kiefer seien durch Schüsse zertrümmert, Schädel von Baumwurzeln durchwachsen gewesen, Brücken und Prothesen hätten im Sand gelegen oder sich beim Umbetten gelöst. Es gab Bedenken, daß etwas verlorengeht oder gestohlen wird. Also hätten die Ärzte alles, was lose war, auch »das Zahngold in Beuteln gesammelt. Für jedes Skelett einen Beutel.« Das alles, so Frank, sei 30 Jahre her, an viele Details erinnere er sich nicht mehr. »Er wisse nur, daß es keine Anordnung gab, Zahngold herauszubrechen«, notierte die Süddeutsche Zeitung (8. November 2001, S. 3: »Das Erbe einer doppelten Vergangenheit«)
Infamie mit Totschlagkeule
Als Kronzeuge dieses exemplarischen Beitrags zur staatlich verordneten »Delegitimierung der DDR« (Klaus Kinkel im Jahr 1991 als Bundesjustizminister), die nun 2007 in der Wanderausstellung zu einem Kernbeweis für den »Bodensatz« Antisemitismus in der DDR neu aufgelegt wird, dient der als »Historiker« bezeichnete Andreas Weigelt. In der kleinen KZ-Gedenkstätte Lieberose hatte er eine ABM-Stelle zur Erforschung der beiden Lagergeschichten von Jamlitz erhalten. Die Süddeutsche weiß: »Inzwischen bezahlt eine Stiftung seine Stelle und die Fahrten in die Archive nach Berlin, Potsdam, Moskau. In Cottbus fand er die Ermittlungsakte Nr. 73 der Stasi.«
Das ist die Akte mit dem gesamten Vorgang Jamlitz und allen hier aufgeführten MfS-Dokumenten, die auch dem Autor (mit dem bei der Birthler-Behörde gebräuchlichen Stempel »Kopie BStU«) vorliegen. Sie werden nun von Weigelt auseinandergenommen, in Frage gestellt, nach Gutdünken interpretiert und ausgedeutet. Der ob der Brisanz der Angelegenheit nachvollziehbare vorsorgliche Vermerk eines Mitarbeiters der DDR-Generalstaatsanwaltschaft ? »Die Opfer weisen zum Teil viel Zahngold auf. Dieser Faktor darf bei der Umbettung nicht ganz unberücksichtig bleiben« ? wird als Aufforderung zum Raub interpretiert. »Er bleibt nicht unberücksichtigt«, kommentiert denn auch Die Welt am 27. Juli 2007. »Den weitgehend verwesten Leichen entnehmen (!) Männer der Staatssicherheit insgesamt 1080 Gramm Zahngold, bevor die Leichen entgegen dem jüdischen religiösen Recht eingeäschert werden.« Und dann die Stasi-Totschlagkeule: »Erschütternd daran: Nicht wesentlich anders haben es auch die Nazis gehalten ? der SS-Hauptsturmführer Bruno Melmer lieferte ab 1942 insgesamt 76mal Zahngold bei der damaligen Reichsbank ab. Es war in den Vernichtungslagern aus den Kiefern ermordeter Juden herausgebrochen worden.«
Es gehört schon eine ganze Portion Infamie dazu, die Bergung der Opfer eines faschistischen Massenmordes mit der industriemäßigen Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern und der Verwertung des dabei geraubten Goldes für die Kriegsführung des Regimes durch die Firma Degussa auf eine Stufe zu stellen. Und was die Gleichsetzung des MfS mit den für die Judenverfolgung und ‑ermordung Verantwortlichen angeht: Erst dieser Tage ist auf einer Veranstaltung in Frankfurt/Main neuerlich belegt geworden, in welchem Ausmaße in der Alt-BRD die Gründerväter des Bundeskriminalamtes von »Judenverfolgern zu Kommunistenjäger« werden konnten.
Die angeprangerte Einäscherung der Exhumierten und die damit verbundene Verletzung jüdischen Brauchtums ist sicher aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar und nur aus der Zeit erklärbar. Sie und die Ereignisse in Jamlitz insgesamt jedoch als »nur ein wenig bekanntes Beispiel für den Antisemitismus in der vermeintlich antifaschistischen DDR« und eines von vielen »Beispielen für die Judenfeindschaft unter dem SED-Regime« (Die Welt) darzustellen, bestätigt die eingangs zitierte Feststellung des Springerblattes, nach der die Bewertung dieser Wanderausstellung durch Kurt Pätzold »sachlich durchaus richtig« ist: Die DDR soll ihres Charakters als antifaschistischer Staat entkleidet werden …
KW hat »keine Lust« auf die NPD
Im Wohngebiet am Fontaneplatz von Königs Wusterhausen leben 9100 Menschen. Es handele sich um die am dichtesten besiedelte Gegend im Landkreis Dahme-Spreewald, berichtet Bürgermeister Stefan Ludwig (LINKE). Am Sonnabend will hier die neofaschistische NPD mit 200 Leuten aufmarschieren und ein »nationales Jugendzentrum« verlangen.
Die »allermeisten Bürger« der Stadt seien deswegen entsetzt, versichert Ludwig. Die NPD habe es seit fünf Jahren amtlich, dass sie keine Räume von der Stadt bekommen werde, und man würde gegebenenfalls auch alles tun, damit die Partei nicht von anderer Seite ein Domizil für eine »Kaderschmiede« erhält. Ein Problem mit der NPD habe nicht speziell die Stadt Königs Wusterhausen, sondern die gesamte Bundesrepublik, machte Ludwig deutlich.
Ein Bündnis, das von der Autonomen Antifa bis zur SPD reicht, möchte am Sonnabend »Mit Kunst und Kultur, mit Geist und Sensibilität« Flagge zeigen, wie Michael Reimann, der Kreisvorsitzende der Linkspartei, formuliert. Man lädt für die Zeit von 10 bis 20 Uhr zu einer Gegenkundgebung und zu einem »bunten Treiben« auf den Fontaneplatz. Kommen werden laut Bürgermeister auch ehemalige Verfolgte des Nazi-Regimes. Gegen 14 Uhr soll die Liedermacherin Barbara Thalheim singen. Die Autonomen Antifas wollen sich an dem Bürgerfest auf dem Fontaneplatz beteiligen. Sie kündigen den Auftritt einer Berliner Hiphop-Band an, die schon oft gezeigt habe, dass sie »auch keine Lust auf Nazis hat«.
Die Autonomen Antifas veranstalten allerdings zusätzlich noch eine eigene Demonstration unter dem Motto »Nazi-Aufmarsch sabotieren!«. Diese Demonstration soll bereits am heutigen Freitag um 18 Uhr am Bahnhof starten. »Am Sonnabend verhindern wir gemeinsam den Nazi-Aufmarsch und nächstes Jahr den Einzug der NPD in die Stadtverordnetenversammlung«, sagte Herrmann Mannherr von der Autonomen Antifa gestern. Er sprach in diesem Zusammenhang von »Sitzblockaden« und forderte ein selbstverwaltetes antifaschistisches Jugendzentrum.
Haftstrafen für Schläger
Am 20.09.2007 und dem 27.09.2007 mussten sich die drei Neonazis Hannes Burmeister, Ricardo Cossmann und Robert Gebhardt wegen einem Übergriff auf zwei Punks im Januar diesen Jahres vor dem Amtsgericht Bad Freienwalde verantworten. Es wurde ihnen gemeinschaftliche Misshandlung und schwere Körperverletzung vorgeworfen. In der Nacht vom 26.01.2007 zum 27.01.2007 sollen sie die beiden Opfer, Patrick K. und Xaver N., erst als Zecken beschimpft haben und sie dann zu Boden geworfen und mit Springerstiefeln ins Gesicht, in die Rippen, in den Rücken und auf die Beine getreten haben.
Der erste Prozesstag — 20.09.2007
Am 20.09.2007 fanden sich im Amtsgericht Bad Freienwalde zahlreiche BesucherInnen ein. Unter ihnen auch stadtbekannte Neonazis wie Sebastian Schulz und Martina Schönrock.
Die Verhandlung begann mit der Vernehmung der Angeklagten. Als erster schilderte Hannes Burmeister den Tathergang. Er sagte aus, er hätte aus einem Haus der Wriezener Straße, wo er zu einer Geburtstagsfeier eingeladen war, drei Personen mit Robert Gebhardt gesehen. Was genau zwischen diesen Personen geschah, konnte er allerdings nicht mehr beschreiben. Er gab zu, zwei der Personen als Punks erkannt zu haben, teilte dies Ricardo Cossmann mit und rannte daraufhin aus dem Haus, sprang mit Anlauf gegen Patrick K. und brachte ihn so zu Fall. Er beschimpfte sein Opfer als “Zecke” und trat auf ihn ein. Währenddessen hatte sich auch Ricardo Cossmann in das Geschehen eingemischt und drangsalierte das zweite Opfer, Xaver N., mit Tritten. Was Robert Gebhardt in dieser Zeit tat konnte Hannes Burmeister nicht sagen, was vielleicht auch auf seinen erhöhten Alkoholkonsum zurückzuführen sein könnte. Denn nach seinen eigenen Aussagen war er an diesem Abend ziemlich betrunken. Daher käme auch seine Aggressivität. Auf die Frage des Staatsanwalts, ob er sich entschuldigt hätte, beziehungsweise dies in Erwägung ziehen würde, verneinte Hannes Burmeister. Er sei sich keiner Schuld bewusst und fühle sich im Recht. Daraufhin wurde er von der Anwältin des Nebenklägers, Patrick K., gefragt, warum er der Meinung sei sich im Recht zu befinden und wies ihn dabei auf eine Aussage von ihm hin, die er in einem anderen Verfahren gegen ihn (ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung) getätigt hatte. Nämlich, dass er aus Hass auf die “scheiß Zecken” gehandelt habe und sie fragte, ob dieser Beweggrund auch in diesem Fall zutreffend wäre. Dies bejahte der Angeklagte mit der Begründung, Zecken wären dreckig und würden stinken und er fühle sich im Recht weil die Zecken daraus lernen sollten. Nach einem Hinweis von seinem Rechtsanwalt antwortete er auf die nächste Frage: “Ich sage dazu nichts mehr.”
Anders als Burmeister verhielt sich Ricardo Cossmann. Auch er gab die Tat zu, widersprach sich bei der Schilderung des Handlungsablaufs aber mit der Aussage Burmeisters und mit sich selbst. Des weiteren wies er erhebliche Gedächtnislücken auf, so dass der Tathergang immer noch nicht vollständig rekonstruiert werden konnte. Im Gegensatz zu Hannes Burmeister war er aber so schlau zu behaupten, das ihm die Tat leid täte. Sehr überzeugend wirkte diese Reue dennoch nicht, aufgrund seines dreckigen Grinsens und einem sarkastischen Unterton in seiner Stimme. Robert Gebhardt — er war in Thor-Steinar-Klamotten gekleidet — wollte mit der Tat nichts zu tun gehabt haben. Im Gegenteil — Er spielte sich als Held auf, der versucht habe, den Konflikt zu schlichten. Außerdem behauptete er, seit diesem Vorfall nichts mehr mit der rechtsextremen Szene zu tun zu haben. Doch das Gegenteil konnte bewiesen werden.
Nach der Vernehmung der Angeklagten wurden noch drei weitere Zeugen befragt. Die Fortsetzung der Verhandlung wurde dann aber um eine Woche verschoben, da sich zahlreiche Zeugen entschuldigt hatten aber dringend noch vernommen werden mussten.
Der zweite Prozesstag — 27.09.2007
Am 27.09.2007 wurden acht weitere Zeugen zu diesem Vorfall befragt. Das zweite Opfer, Xaver N., die Begleiterin der zwei Punks und ein weiterer Freund schilderten noch einmal den Verlauf der Tat. Die Aussagen der anderen Zeugen waren sich ziemlich ähnlich. Entweder hatte mensch nichts gesehen oder konnte sich an nichts mehr erinnern, da es schon so lange her sei. Zwei Zeugen gaben allerdings zu, dass sie zu Falschaussagen angestiftet wurden. Eine junge, schwangere Frau wurde vor der Gerichtsverhandlung bedroht, dass wenn sie nicht für Robert Gebhardt aussagen würde, man ihr das Baby aus dem Bauch prügeln wird. Trotzdem packte sie aus und erzählte die Wahrheit über Robert Gebhardts Verhalten bei dem Übergriff. Daraufhin gestand dieser. Auf die Frage der Richterin, ob er gesteht weil seine Drohungen nicht mehr wirken, antwortete er mit “Ja”.
Nach der Zeugenbefragung folgte die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe. Bei Hannes Burmeister und Ricardo Cossmann wurde eine starke Reifeverzögerung festgestellt. Zu Robert Gebhardt wurde gesagt, dass er bei seinen Großeltern, mit Tante und Onkel, lebt da seine Eltern geschieden sind und das er momentan eine Ausbildung in Schiffmühle (BBV) bis vorraussichtlich 2009 absolviert.
Beim Verlesen der Vorstrafenregister konnten alle drei eine beachtliche Liste vorweisen. Hannes Burmeister hat drei Vorstrafen aus dem Jahr 2006. Einmal wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung und Widerstand gegen Vollzugsbeamte und zwei weitere wegen gefährlicher Körperverletzung. Ricardo Cossmann hingegen hat seit dem Jahr 2002 schon fünf Vorstrafen wegen mehrfachen Diebstahls, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung gesammelt. Auch Robert Gebhardt hat aus den Jahren von 2002 bis 2005 fünf Vorstrafen wegen Diebstahl, Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung.
Gegen 16.00 Uhr wurden schließlich die Urteile verkündet. Hannes Burmeister erhielt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten, Ricardo Cossmann eine von einem Jahr und acht Monaten. Diese beiden können also gleich in der JVA Wriezen bleiben, wo sie derzeit schon wegen anderen Vergehen einsitzen. Robert Gebhardt erhielt eine Freiheitstrafe von acht Monaten. Er hat allerdings Berufung eingelegt. Also ist es möglich, dass er bei “gutem Benehmen” nur eine Bewährungsstrafe bekommt. Ob dies dann eine gerechte Strafe wäre ist, unserer Meinung nach, äußerst fraglich!
Schon am 13. April dieses Jahres trafen sich bekannte rechtsradikale Größen in der
Gemeinde Schönefeld/OT Waltersdorf um die Gründung eines neuen NPD-Ortsverbandes
Königs Wusterhausen zu besiegeln. Diesem Höhepunkt der rechten Tendenzen im Südosten
von Berlin wohnte unter anderem Jörg Hähnel, der als Mitglied der BVV- Lichtenberg
agiert, bei. Der langjährig in der lokalen Neonaziszene aktive Michael Thalheim
wurde zum Vorsitzenden des Kreisverbandes gewählt. Dies ist ein bedeutender Schritt
für die Handlungsfähigkeit der lokalen Neonaziszene, da diese nun den rechtlichen
Schutz der gesetzlich anerkannten NPD genießen und deren finanziellen Mittel nutzen
kann.
Seit der Gründung des Partei-„Ortsbereiches“ Königs Wusterhausen tritt die NPD
massiver in der Region auf. Neben dem regelmäßig stattfindenden „ nationalen
Stammtisch“, Kundgebungen für mehr „Sicherheit, Recht und Ordnung“ am Bahnhof Königs
Wusterhausen, Infotischen, fand eine Mahnwache in den letzen Monaten statt. Die
verstärkte Präsenz der rechten Kräfte gipfelt nun in einer für den 6. Oktober
angemeldeten Demonstration durch Königs Wusterhausen. Die Neonazis marschieren am
Mittag diesen Tages unter anderem für ein nationales Jugendzentrum durch die Stadt.
Dies ist ein eindeutiges Zeichen, dass rechte Tendenzen in der Stadt Königs
Wusterhausen nicht weiter zu bestreiten sind und darauf aufmerksam gemacht werden
muss, um das Problem effektiv zu bekämpfen.
Es hat sich ein breites Bürgerbündnis gegen den Aufmarsch gebildet. Des Weiteren
sind für den Tag der Neonazi-Demonstration bürgerliche Kundgebungen, eine
Antifa-Kundgebung mit Konzert und dezentrale, sowie kreative Gegenaktivitäten.
Bereits am Vortag, der 5. Oktober, findet eine antifaschistische Demonstration durch
Königs Wusterhausen statt. Neonazis sind in der Region und überall unerwünscht. So
hoffen wir an dem Tag der Demonstration mit breiten, bunten und wirksamen
Widerstand!