(BM, 7.10.) Seelow — Asylbewerber und einige Deutsche haben gestern vor dem Landratsamt
in Seelow (Märkisch-Oderland) gegen die Chipkartenregelung für Asylbewerber
demonstriert. In Sprechchören riefen sie “Bargeld für alle” und “Chipkarten
sind illegal”. Der Landkreis Märkisch-Oderland stellt den Asylbewerbern kein
Bargeld, sondern eine Chipkarte zur Verfügung, mit der sie nur in bestimmten
Geschäften im Umfeld des Asylbewerberheimes einkaufen können. Pro Kopf
stehen etwa 120 Euro zur Verfügung. Von der Regelung sind rund 550
Asylbewerber betroffen. Im Land zahlen nur zwei Landkreise Bargeld an
Asylbewerber aus. Weil es bei ähnlichen Demonstrationen zu Zwischenfällen im
Landratsamt und im Asylbewerberheim Kunersdorf (Märkisch-Oderland) gekommen
war, hatte die Kreisverwaltung das Hausrecht für beide Einrichtungen an die
Polizei übergeben. Die Polizei habe deshalb nur Besucher in die Verwaltung
gelassen, deren Anliegen nicht im Zusammenhang mit der Asylproblematik
standen.
Verprügelter Asylbewerber will weg
(LR, 6.10.) Roger F. aus Kamerun (Name geändert) will nur noch weg aus dem
Asylbewerberheim in Sedlitz. Das liegt nicht an den dort herrschenden
Bedingungen. Es liegt an seinen schmerzlichen Erfahrungen, die er in
Senftenberg auf dem Bahnhof beziehungsweise am Busbahnhof machen musste.
In Potsdam, meint er, sei er sicherer.
Was ist passiert? Keine zwei Wochen ist es her, dass drei angetrunkene
Jugendliche den Asylbewerber Roger F. vor dem Busbahnhof angegriffen haben.
Erst sei er beschimpft, dann von einem der Jugendlichen niedergeschlagen und
mit Füßen getreten worden, sagt F. Zeugen, die helfen wollten, hielten zwei
der Jugendlichen zurück. F. kam leicht verletzt davon. Er erstattete
Anzeige.
Nicht zum ersten Mal. Vor ziemlich genau einem Jahr, Anfang September 2003,
war es der 37-jährige Thomas H., der Roger F. verprügelte, weil er ihm im
Senftenberger Bahnhof seine Fahrkarte nicht abkaufen wollte. 2,71 Promille
Alkohol hatte der obdachlose Schläger aus Roßlau im Blut.
Laut Staatsanwalt Hans-Josef Pfingsten ist Thomas H. im Juni zu sechs
Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Vor Gericht habe er sich an
nichts mehr erinnern können, sich aber bei F. entschuldigt.
Roger H. hat jetzt bei der Ausländerbehörde des zuständigen OSL-Kreises
einen so genannten “Umverteilungsantrag” gestellt. Das bestätigt auch
OSL-Sprecher Hans-Jörg Milinski. “Wir befürworten den Antrag. Schließlich
handelt es sich um eine Art Härtefall” , sagt Milinski. Die letzte
Entscheidung freilich treffen die Leiter des Asylbewerberheims in Potsdam.
Nur wenn dort ein Platz frei ist für Roger H., darf er wechseln.
Keine Wohnung für Ausländer?
(LR, 6.10.) Gegen einen Gubener Wohnungsverwalter erhebt in diesen Tagen Abdullah
Cetinkaja schlimme Vorwürfe. Er behauptet: “Weil ich Ausländer bin, bekam
ich eine Wohnung nicht, obwohl sie mir schon zugesagt worden war.” Das
Unternehmen wehrt sich gegen die Anschuldigungen: “Da ist absolut nichts
dran, der Mann hat etwas völlig falsch verstanden” , sagt der
Geschäftsführer.
Seit fünf Jahren lebt Abdullah Cetinkaja schon in Guben. Vier Jahre lang war
der 27-jährige Türke in einem Dönergeschäft angestellt. Er fühlt sich wohl
an der Neiße: “Ich hatte bisher noch nie Probleme damit, als Ausländer hier
zu leben” , sagt er. Die Probleme, die er hatte, waren eher familiärer
Natur. “Ja” , gesteht Cetinkaja unumwunden, “ich habe deshalb fünf Monate im
Knast gesessen.”
Wieder auf freiem Fuß
Seit mehr als einem halben Jahr ist er wieder auf freiem Fuß, und seit dem
sucht Abdullah Cetinkaja eine Wohnung. Im September bahnte sich eine Lösung
an. Cetinkaja interessierte sich für eine Ein-Raum-Wohnung an der
Kaltenborner Straße, die von der Immobilien‑, Vermarktungs- und Bauträger
GmbH (Iveba) verwaltet wird. Die Chancen, die Wohnung zu bekommen, sahen aus
Sicht Cetinkajas gut aus. “Ich durfte mir die Wohnung schon ansehen, habe
die Unterlagen ausgefüllt, und es war mit einer Mitarbeiterin auch ein
Termin vereinbart, wann ich mir die Schlüssel abholen soll. Es war alles
klar.”
Doch die Hoffnungen von Abdullah Cetinkaja erfüllten sich nicht. Als er zwei
Wochen später wieder bei der Iveba vorbeischaute, wurde ihm mitgeteilt, dass
er die Wohnung doch nicht bekommt. Auf die mehrfache Frage “Warum”” erhielt
er letztlich die Antwort: “Da hat gestern ein deutscher Kunde angerufen.”
“So etwas ist mir noch nicht passiert. Warum wird betont, dass es ein
deutscher Kunde ist” Warum wird nicht einfach gesagt, dass ein anderer Kunde
die Wohnung erhält? Das hätte ich problemlos akzeptiert.”
Der Eigentümer entscheidet
Dieter Zachow, Geschäftsführer der Iveba, weist die Anschuldigungen weit von
sich. Ein solcher Satz sei unter keinen Umständen gefallen. “Der Mann hat
wahrscheinlich etwas nicht richtig verstanden.” Zudem entscheide nicht sein
Unternehmen, sondern der Eigentümer, ob ein Interessent die Wohnung erhält
oder nicht. “Wir sind lediglich der Verwalter.” Für die genannte Wohnung
habe es viele Interessenten gegeben.
Falsch sei auch die Aussage von Abdullah Cetinkaja, er habe den Schlüssel
abholen wollen. “Das wird bei uns generell nicht so praktiziert.”
Für den 27-Jährigen Cetinkaja hat die Absage Konsequenzen. “Eine Arbeit
bekomme ich nur, wenn ich eine Wohnung habe” , macht er den Zusammenhang
deutlich. Derzeit ist ein Hotelzimmer sein Domizil.
(LR, 6.10.) Es gibt viele Fragen, die die Deutschen aus Russland, die so genannten
Spätaussiedler, bewegen und die sich die Einheimischen stellen. Um sich
näher zu kommen und gedanklich auszutauschen fand im Rahmen der
Interkulturellen Woche eine Diskussionsrunde zur Situation eben dieser
Menschen statt.
“Integrieren statt ignorieren!” Mit diesen Worten schloss sich die
Ausländerbeauftrage Monika Wagschal der Begrüßung von Susanne Kschenka,
Mitarbeiterin der Regionalstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und
Schule (RAA), an. In die Runde der Spätaussiedler gefragt, in welchem Gebiet
der ehemaligen Sowjetunion sie geboren worden sind und welches Schicksal sie
und ihre Eltern erlebt hätten, davon erzählten unter anderem Jakob Kamke,
Julia Plotnikow und Valentina Naidenkow. In vielem glich sich ihr Lebensweg:
Weil sie Deutsche waren durften sie ihre Muttersprache nicht sprechen und
wurden immer wieder vertrieben.
Dies hing insbesondere mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die
Sowjetunion zusammen. Auch nach dem Sieg der Roten Armee hatten sie unter
Stalin zu leiden. Leichte Verbesserungen traten ein, nachdem Adenauer 1955
in Moskau bei Chruschtschow weilte und neben den Kriegsgefangenenproblem
auch das der Russland-Deutschen angesprochen hatte. Dennoch konnten sie in
ihre alte Heimat nicht zurück und blieben Feinde im eigenen Land. 500 000
Russland-Deutsche haben Verschleppung und die Trud-Armee (Arbeitsarmee in
der unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsabeit geleistet werden musste)
nicht überlebt. Matthias Frahnow, Evangelischer Flüchtlingsseelsorger der
Landesaufnahme Peitz, kannte viele Beispiele.
So kämen die älteren Menschen heute noch nicht mit dem Erlebten zurecht. Von
vielen Beispielen konnte er berichten. Und wer von diesen Schicksalen weiß,
stellt nicht mehr die Frage: “Warum kommt Ihr nach Deutschland?” Die
Russland-Deutschen fühlen sich als Deutsche und wollen auch so behandelt
werden. Zweifellos ist es für die jungen Leute schwierig sich zurecht zu
finden, für die älteren Leute ist es aber noch viel schwieriger. An erster
Stelle stehen die Sprachbarrieren, an zweiter die nicht anerkannte
Ausbildung. Letztendlich bemühten sich alle Teilnehmer der Gesprächsrunde
darum, heraus zu finden, was sie sich voneinander wünschen. Und die Wünsche
lauteten: Gegenseitiger Respekt, Toleranz, annehmen wie man ist, arbeiten
und studieren können wie “deutsche Leute”, und die Jugendlichen sollten
gemeinsam etwas tun und Freundschaften pflegen.
Bernd Höer mahnte das Selbstbewusstsein der Jugendlichen an, sie sollten die
Angebote der Freizeiteinrichtungen der Stadt mehr annehmen als bisher. Doris
Dreßler forderte, die Aussiedler sollten die Angebote in den Vereinen besser
nutzen und Susanne Kschenkas Vorschlag lautete, die offenen und versteckten
Diskriminierungen müssten weniger werden.
Achtung: “Spielender Kinder”
(MAZ, 6.10., Simone Duve) WIEPERSDORF Freitag und Sonnabend ist für die Jugendlichen im Großraum Wiepersdorf klar:
Ab 19 Uhr ist Treff im Jugendklub. Dann braucht ein Ortsfremder nur einem
Auto mit der Aufschrift “Böhse Onkelz” hinterher zu fahren und kommt ohne
Suchen an den Ort des Geschehens.
“Wir sind ein selbstverwalteter Klub ohne ständigen Betreuer.
Jugendkoordinator Manfred Thier braucht nur ein- bis zweimal im Monat
vorbeikommen”, sagt Sebastian Dietrich. “1997 haben wir den Klub wieder
eröffnet. Vorher war er wegen rechtsradikaler Schmierereien und Randale
geschlossen worden”, erzählt Matthias Schulze. “Die Gemeinde hat uns den
Klub zur Verfügung gestellt. Früher waren hier ein Kindergarten und ein
Frisör drin”, ergänzt Adrian Lehmann. Und Sebastian Dietrich berichtet:
“Manchmal machen wir Themenabende mit Musik oder Videoabende.” Martin
Schallhammer erzählt, vom Lachen der anderen begleitet, auch von
Spieleabenden: “Ohne Scheiß jetzt: Wir machen auch mal Brett- und andere
Gesellschaftspiele” — vielleicht klingt das den anderen nur nicht cool
genug.
Doch auch sonst ist eine Menge los. “Hier wird ziemlich viel unternommen.
Einige gehen regelmäßig zu Konzerten. Einmal im Jahr zelten wir am Kossiner
See. Und es gibt viele Interessengruppen, zum Beispiel einen Skaterklub und
natürlich einen Fanklub der Böhsen Onkelz”, erzählt Martin Schallhammer.
“Alle Onkelzfans fahren natürlich im nächsten Jahr zum Abschiedskonzert der
Band auf dem Lausitzring. Die Karten sind schon ausverkauft”, weiß Roman
Zapf.
“Musik ist für uns überwichtig. Ohne sie wäre es langweilig”, meint
Sebastian Dietrich. “Himmelfahrt machen wir Dorfbeschallung und viele kommen
her”, sagt Matthias Schulze und fügt hinzu: “Und nach jeder Fete wird hier
gewischt, gefegt und geputzt.”
Alle sind sich einig: “Wir kommen prima mit unserem Ortsbürgermeister
Gerhard Kastner aus. Er setzt sich super für unseren Klub ein und bezieht
uns auch beim Dorffest ein. Dort haben wir Musik gemacht und die
Kegelstation betreut. Herr Kastner hat uns sogar einen Teil der Musikanlage
zur Verfügung gestellt.”
Wie zum Beweis schaut in diesem Moment der Ortsbürgermeister auf ein
Bierchen vorbei: “Ich bin zufrieden. Wenn sie keinen Blödsinn machen, kann
es so weitergehen.” Die Jugendlichen sind der Gemeinde für die Unterstützung
dankbar: “Wir sind selbst in der Lage Streitigkeiten zu schlichten und
aufzupassen, dass nichts passiert.” “Ich kann bestätigen, dass sie alles im
Griff haben”, sagt Gerhard Kastner.
Neben einem Privatkonzert ihrer Lieblingsband wünschen sich die vorrangig
männlichen Besucher auch mehr Weiblichkeit im Klub. “Vielleicht sind die
Mädchen ja falsch informiert und denken, dass wir hier nur saufen”, sagen
sie. “Dabei sind wir nur die ganz normale Dorfjugend. Jeder Einzelne hat
etwas drauf und bringt ein Stück Leben in den Klub.”
Hein nicht mehr BdV-Vorsitzender
(MAZ, 6.10.) KYRITZ Helmut Hein ist nicht mehr Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen,
Kreisverband Kyritz. Er trat aus persönlichen Gründen mit Wirkung vom 1.
September von diesem Posten zurück und kündigte gleichzeitig seine
Mitgliedschaft im BdV auf. Der erweiterte Vorstand nahm die Entscheidung bei
seiner Sitzung am 28. September “mit Bedauern zur Kenntnis”, heißt es in
einer Pressemitteilung. Man habe Helmut Hein für sein langjähriges Wirken
mit einem Präsent gedankt, wenngleich die Gründe als “unsererseits schwer zu
akzeptieren” bezeichnet werden. Auf gleicher Sitzung erhielten die
Vorstandsmitglieder Alfons Zeh und Horst Schnick den Auftrag, den Verband
kommissarisch zu leiten bis zur lt. Satzung anstehenden Neuwahl. Sie findet
voraussichtlich am 22. Februar 2005 in Kyritz statt.
“Durch die Organisation einer Reihe interessanter Veranstaltungen für die
etwa 300 Mitglieder im Altkreis Kyritz und deren Partner sowie andere
Interessenten wollen wir zur weiteren Festigung des Vereinslebens beitragen.
Dabei soll die Pflege unseres Kulturerbes gemeinsam mit Freunden aus unserer
ehemaligen Heimat im Vordergrund stehen. Von den gewählten Politikern wollen
wir Stellungnahmen über uns gemeinsam interessierende Fragen abverlangen”,
heißt es in dem von Alfons Zeh und Horst Schnick unterzeichneten Text
weiter. Eine diesbezüglich erste große Zusammenkunft ist für den 1. Dezember
um 14 Uhr im Seniorenclub in Wusterhausen als Vorweihnachtsfeier geplant.
Zeh und Schnick hoffen, “dass recht viele Mitglieder durch ihr Mitwirken im
Vereinsleben, durch ihre Teilnahme an Veranstaltungen und Fahrten ihren
Willen bekunden, im großen Vaterland Europa gemeinsam mit den Nachbarvölkern
in Frieden zu leben und gemeinsam die Zukunft zu gestalten”. Sie bitten
hierfür um aktive Mitarbeit.
Nach wie vor ist das BdV-Büro jeden Dienstag von 9 bis 16 Uhr besetzt. An
jedem 1. Dienstag im Monat um 16 Uhr gibt es eine kurze öffentliche
Vorstandssitzung.
Für individuelle Fragen stehen zur Verfügung: Alfons Zeh, 16866 Kyritz,
Straße der Jugend 2c, 033971/7 32 38, sowie Horst Schnick, 16868
Wusterhausen, Kommandantenstr. 8, 033979/1 50 71.
Polizei sucht Zeugen nach versuchter Körperverletzung
Wittstock (Ostprignitz-Ruppin)
(MAZ, 5.10.) Am Dienstag wurde gegen 21.00 Uhr auf dem Marktplatz eine Person von bisher
drei unbekannten, vermutlich jugendlichen Tätern angegriffen. Danach
pöbelten diese Täter vier ausländische Geschäftsleute an, rempelten einen
von diesen an und warfen mit dem Plastikeinsatz eines Papierkorbes nach der
Gruppe.
Die Polizei bittet um Mithilfe und fragt: Wer kann Hinweise zu dem
Sachverhalt geben?
Sachdienliches bitte an die Polizei in Wittstock unter Telefon 03394–4230,
an die Internetwache: internetwache.de oder an jede andere
Polizeidienststelle.
Entscheidung über Familie Nguyen: Landkreis hofft auf neue
Härtefallkommission
(Tagesspiegel, 5.10.) Seelow — Die Ende Oktober auslaufende Duldung der vietnamesischen Familie
Nguyen aus Altlandsberg (Märkisch- Oderland) wird vorerst nicht verlängert.
Der Landkreis wolle die Entscheidung darüber einer Härtefallkommission
überlassen, sagte der Sprecher der Kreisverwaltung, Jürgen Krüger, am
Montag. Die Familie Nguyen sei ein typischer Fall für eine solche
Kommission, über deren Bildung derzeit bei den Koalitionsverhandlungen
zwischen SPD und CDU gesprochen werde.
Sollte die Härtefallkommission bis Ende Oktober jedoch nicht gebildet
werden, müsse erneut der Landkreis entscheiden. Der Kreis stehe dabei vor
einer schwierigen Entscheidung.
Menschlich spreche alles für ein Bleiberecht der Familie, formal juristisch
sei jedoch eine Abschiebung nötig, sagte Krüger. Bei einer Aufhebung der
Abschiebung könnte außerdem ein Präzedenzfall mit großen Folgekosten für den
Landkreis entstehen. Wenn abgelehnte Asylantragsteller nicht innerhalb von
vier Jahren abgeschoben werden, müsse der Landkreis alle Kosten übernehmen.
Die vierköpfige Familie Nguyen lebt seit 1990 in Ostbrandenburg. Ihre
Asylanträge waren 1995 endgültig abgelehnt worden. Dagegen hat die Familie
immer wieder Einspruch eingelegt. Das Verfahren ist noch vor Gericht
anhängig.
Der heute 37 Jahre alte Vater und der zwölfjährige Sohn waren im Jahr 2000
wegen drohender Abschiebung für mehrere Monate ins Kirchenasyl gegangen, um
einer Trennung der Familie zu entgehen. Die Ehefrau (35) war damals
schwanger. Seither wird die in Altlandsberg voll integrierte Familie in
Deutschland nur geduldet. Die Duldung der Familie war immer wieder
verlängert worden.
Polizisten lernen Verständnis
(MOZ, 5.10.) Basdorf. Der Fall sorgte für Aufsehen in Basdorf. Ein Polizeibeamter
war an rechtsextremen Straftaten beteiligt. Als dies aufflog, machte
Polizei-Fachhochschulchef Rainer Grieger kurzen Prozess. Der Mann wurde
entlassen. Dass es zu solchen Vorkommnissen gar nicht erst kommt, dafür
sollen spezielle Seminare bei angehenden Polizisten sorgen.
Verständnis für andere wecken. Vorurteile abbauen. Aus Schubladendenken
ausbrechen. Dies sind Ziele des Seminars Verhaltenstraining und
Kommunikation, das die Polizeihauptkommissare Bernd Kruse und Herbert Lüpke
demnächst erstmalig vor angehenden Polizisten abhalten werden.
“Die Polizei soll in Zukunft auch länderübergreifend in Europa tätig sein.
Da gibt es viele kulturelle Unterschiede zwischen den Menschen. Wir wollen
auf die Randgruppen aufmerksam machen. Auf behinderte Menschen, auf
Menschen, die eine besondere sexuelle Ausrichtung haben, auf Menschen mit
Sprachfehlern und auf Ausländer”, fasst Lüpke zusammen.
“Oft ist nicht bekannt, unter welchen Bedingungen diese Menschen leiden,
unter welchen Belastungen sie stehen. Die Polizisten sollen dafür
sensibilisiert werden”, ergänzt Bernd Kruse.
Die beiden Polizeihauptkommissare haben festgestellt, dass die Polizisten,
die an der Fachhochschule der Polizei in Basdorf für den mittleren und
gehobenen Dienst ausgebildet werden, zwar teilweise auch in solchen Dingen
geschult wurden. “Aber meistens wurde das in verschiedenen Fächern immer nur
gestreift.”
Noch ein Thor
(MAZ, 5.10., Jan Sternberg) Billig sind die Sachen nicht. Von 60 Euro aufwärts müssen Kunden für ein
Sweatshirt der Marke “Thor Steinar” auf den Tisch legen. Auch die
Bestellseite im Internet ist edel aufgemacht: Hier verkauft man Qualität.
“Thor Steinar” ist eine Erfolgsgeschichte.
Seit eineinhalb Jahren vertreibt die Firma Mediatex aus Zeesen bei Königs
Wusterhausen (Dahme-Spreewald) die Klamotten besonders unter Jugendlichen -
zu einem großen Teil solchen, die nicht nur für den discotauglichen Schick,
sondern auch für die Gesinnung bezahlen. Denn die auf dem globalisierten
Weltmarkt zusammengenähten Sachen sind zur “nationalen” Haute Couture
geworden. Runen-Symbolik und “nordische” Mythologie passen zur schleichenden
Eroberung der ostdeutschen Jugendkultur durch die Kader der rechten
Parteien.
Wer nicht auf Springerstiefel und Lonsdale-Shirts abfuhr, hatte bisher keine
Möglichkeit zu erkennbarem Auftreten. “Thor Steinar macht die Szene um eine
Facette reicher”, sagt Matthias Adrian vom Zentrum demokratische Kultur in B
erlin. “Die Rechten, die sich immer dagegen wehrten, Skins zu sein, können
so ihre Gesinnung zeigen.” Aber auch in “normalen” Boutiquen sind
Steinar-Sachen immer öfter zu haben. Der dezente Runen-Schick verfängt auch
bei eigentlich unpolitischen Jugendlichen auf der Suche nach
technotauglichen Markenklamotten. Die rechten Kader freut der Trend: Man
komme an die Kids jetzt viel besser heran, frohlockte ein Funktionär des
“Märkischen Heimatschutzes” kürzlich im Fernsehen.
Neue Marke ist bei der Polizei kaum bekannt
Weiterer Vorteil für die Szene: Die Marke mit dem Runenschrift-Logo ist bei
der Polizei bisher kaum bekannt. Im “Thor Steinar”-Signet sind die
altgermanische Tyr-Rune und die Gibor-Rune oder “Wolfsangel” miteinander
verschlungen. Erstere war in der NS-Zeit Abzeichen der
SA-Reichsführerschulen, letztere das Symbol für die SS-Division “Das Reich”.
Die Justiz zeigte sich bislang ziemlich machtlos: Noch nie wurde bisher ein
verbundenes Symbol als Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen
verboten, bemängelt Klaus Parker, Jurist und Rechtsextremismusexperte, der
für das Internet-Forum “hagalil-online” arbeitet.
“Doch nach dem Zweck des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers fallen
derartige Verbindungen ganz klar unter das Verbot”, meint Parker. “Die Marke
Thor Steinar nutzt Gesetzeslücken aus, um dicke Geschäfte zu machen.” Anruf
beim Mediatex-Geschäftsführer Uwe Meusel. Der eloquente 29-Jährige ist auf
die Presse nicht allzu gut zu sprechen. “Unser Logo? Das ist ein T und ein
S, in Runenschrift. Unsere Kollektion basiert auf dem nordischen Mythos.”
Mehr sei da nicht. Und überhaupt: “Warum fragen Sie uns nicht mal, wie viele
Arbeitsplätze wir hier geschaffen haben?” Gerne doch. Wie viele Angestellte
haben Sie denn? Meusel: “Das werde ich Ihnen jetzt nicht sagen.”
Darüber, dass “Thor Steinar” auch Sweatshirts mit Maschinengewehr-Aufdruck
und Drohsprüchen wie “Weidmanns Heil” und “Hausbesuche” anbietet, will er
schon gar nicht reden. Nur soviel: “Wir haben mit keiner Organisation auch
nur ansatzweise etwas zu tun.” Der Brandenburger Verfassungsschutz hat
andere Erkenntnisse: “Es gibt Rechtsextremisten, die der Firma angehören”,
sagt Jonas Grutzpalk von der Behörde.
Mediatex-Anwalt Michael Roscher, im vergangenen Jahr mit einer Kampagne
gegen Dieter Bohlen aufgefallen, vertritt die Firma im Rechtsstreit gegen
Berliner Antifa-Gruppen: “Thor Steinar verwendet keine
verfassungsfeindlichen Symbole”, sagt er knapp, “und wenn Leute, die mit der
Verfassung Probleme haben, die Sachen tragen, ist das nicht das Problem der
Firma.”
Roschers Juristenkollege Klaus Parker sieht das anders: “Im Gegensatz zu
Firmen wie Lonsdale, die wirklich nichts dafür können, gehört Thor Steinar
zu den Marken, die eindeutig für die rechtsextreme Szene produziert werden.”
Staatsanwälte noch uneins
Die Staatsanwaltschaften streiten sich indesssen darum, ob das Runen-Logo
nicht doch rechtswidrig sein könnte. Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht
keine Möglichkeit, Anklage zu erheben. “Wir halten das eher nicht für
strafbar”, sagt ihr Sprecher Michael Grunwald. Seine Kollegen in Neuruppin
wollen sich damit nicht abfinden. In zwei Fällen wurde Anklage gegen Träger
von “Thor Steinar”-Kleidung erhoben. Eine davon richtet sich gegen eine
Heranwachsende aus Prenzlau (Uckermark). “Wir haben sie angeklagt, da wir
meinen, dass das Firmenlogo verfassungsfeindlichen Symbolen zum Verwechseln
ähnlich sieht”, sagt Neuruppins Leitender Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher.
Er gibt sich kämpferisch: Sollte das Amtsgericht Prenzlau die Anklage nicht
zur Hauptverhandlung zulassen, werde man sich um eine obergerichtliche
Entscheidung bemühen.
Für den Erfolg von “Thor Steinar” könnte das unangenehm werden, für die
rechte Szene wäre es höchstens ein Scharmützel. Das weiß auch Gerd
Schnittcher: “Diese Leute versuchen dauernd, Ersatzsymbole für verbotene
NS-Symbole zu finden.” Runen gibt es ja genug.