Im Asylbewerberheim in Hohenleipisch brannte am Montagmorgen ein unbewohnter Raum in einer Wohnbaracke vollständig aus. Etwa 30 Personen hielten sich zum Zeitpunkt des Brandes in der Unterkunft auf. Verletzt wurde niemand, alle Bewohner konnte das Gebäude rechtzeitig verlassen. Das Feuer war gegen sechs Uhr morgens von zwei Heimbewohnern entdeckt worden. Sie verständigten Feuerwehr und Polizei und begannen, den Brand selbstständig zu löschen. Die Feuerwehr Hohenleipisch, unterstützt von den Kameraden aus Elsterwerda, brachte den Brand unter Kontrolle. Spezialisten der Kriminalpolizei sicherten in dem völlig ausgebrannten Zimmer Spuren und ermitteln wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung. Eine fremdenfeindliche Tat wird nach ersten Erkenntnissen ausgeschlossen. Vielmehr besteht der Verdacht, dass ein Bewohner des Asylbewerberheims das Feuer gelegt hat. Derzeit werden die Heimbewohner mit Hilfe von Dolmetschern befragt. Seitens der Polizei rechnet man mit einer schnellen Aufklärung des Tathergangs.
Protestrolle für den Bürgermeister
Zwei Jugendliche übergaben Johannes Wohmann in der Stadtverordnetenversammlung eine Protestrolle. Darin wird kritisiert, dass der Bürgermeister den Organisatoren der LesBiSchwulen-Tour einen Stand auf dem Marktplatz verwehrte. Ihm wird auch sein Fernbleiben an der Veranstaltung, die dann am Sängerstadt-Gymnasium stattfand, als intolerantes Verhalten vorgeworfen.
finsterwalde.
Die Aktion sei auf dem Marktplatz nicht untersagt worden, entgegnete Wohmann, er habe den Organisatoren mitgeteilt, dass der Platz wegen des Wochenmarktes und der Baugerüste am Rathaus nicht zur Verfügung stehe, meinte Wohmann und weiter: “Es gehört nicht zu den Pflichtaufgaben eines Bürgermeisters, sich an Demos zu beteiligen. ” Der Bürgermeister entscheide selbst, inwiefern er sich mit dem Anliegen identifiziere. Wohmann habe “Verständnis für das Anliegen, bin damit aber nicht so verbunden, dass ich daran teilnehme. Bitte tolerieren Sie das auch ” , meinte er. Als eine “enttäuschende Reaktion ” bezeichnete Mike Prach, der Fraktionsvorsitzende der Unabhängigen Wählermeinschaft, die Äußerungen des Bürgermeisters. Für die Stadt hatte Stadtverordnetenvorsteher Andreas Holfeld die Regenbogenfahne vor der Schule gehisst und fand es normal, “dass man einen solchen Termin öffentlich wahrnehmen sollte ” . Die städtische Gleichstellungsbeauftragte nahm auch teil, lehnte allerdings jeden Kommentar dazu ab “ich habe mit dem Thema ja nichts zu tun ” , meinte sie gegenüber LR.
Deutsche gegen Deutsche
(Inforiot) In der aktuellen Ausgabe vom 1.7. des Nachrichtenmagazins Spiegel ist ein zweiseitiger Bericht über den Mord in Wittstock enthalten. Grundtenor: Die Gewalt von beiden Seiten (Nazis und auch Aussiedler) droht zu eskalieren. Die alten Klischees von rivalisierenden Jugendbanden werden also mal wieder bemüht, erfreulicherweise wird gleichzeitig aber das Verhalten der Stadt-Oberen kritisch hinterfragt.
Auch Spiegel-TV hat zum Thema Wittstock berichtet:
Jagdszenen aus Brandenburg
Beitrag bei Spiegel-TV vom 30.6.:
Der Bericht (für Real-Player)
Superlative des Grauens
Oranienburg — Birkenau, Ravensbrück, Sachsenhausen. Das Schicksal des Sinto Walter Stanowski Winter ist nun gemeinsam mit den Berichten weiterer 19 Häftlinge aus Sachsenhausen auf einer CD-ROM festgehalten. Die Scheibe hat den Titel programmatischen Titel «Gegen das Vergessen» und soll vor allem nachfolgenden Generationen zeigen, wie der Häftlingsalltag im Nazi-Konzentrationslager Sachsenhausen war. Die CD-ROM, herausgegeben von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und vom United Soft Media Verlag GmbH München, ist auch das Begleitmedium durch die gleichnamige Ausstellung in der Baracke 39 der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen.
Stiftungsdirektor Günter Morsch scheute sich bei der Vorstellung der CD-ROM nicht, Superlative zu verwenden: «Wer sich alles ansehen oder anhören möchte, was auf dieser Scheibe gespeichert ist, der braucht dafür sechs Tage und Nächte. Gedruckt würde das Material in Buchform ein 20-bändiges Lexikon ergeben. Es ist das größte Kompendium, das es bisher zur Geschichte von Nazi-Konzentrationslagern gibt.»
Nach vierjähriger Recherche und Interviews mit 100 ehemaligen Häftlingen konnte der Verlag mit der Produktion beginnen. Entstanden ist ein Medium in Deutsch und Englisch. Die Software dazu ist von Museen wie Yad Vashem in Israel und dem dänischen Freiheitsmuseum mit entwickelt worden.
Die CD-ROM ist erhältlich in der KZ-Gedenkstätte. Weitere Informationen unter www.systhema.de
Pressemitteilung Cottbus, den 27.6.2002
Am 26.06.02 forderte die Cottbuser Stadtverordnetenversammlung mit absoluter Mehrheit (zwei Gegenstimmen) die Aufhebung des diskriminierenden Sachleistungsprinzips für Asylbewerber/innen.
In dem durch die Aktion “Bargeld statt Gutscheine” und den Sozialausschuß der Stadt initiierten Antrag fordern die Stadtverordneten die Landesregierung auf, den landesweit “geltenden Runderlaß zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes dahin gehend zu ändern, dass die gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gewährung von Geldleistungen zu ermöglichen”.
Darüber hinaus wurde in diesem Beschluß “eine Initiative zur bundesweiten Abschaffung des Sachleistungsprinzips” von Seiten der Landesregierung eingefordert.
Aus der Antragsbegründung:
“Die Praxis der Ausgabe von Gutscheinen an die in der Gemeinschaftsunterkunft lebenden Flüchtlinge führt zu einer Stigmatisierung und Diskriminierung im alltäglichen Leben. Sie bedeutet eine Einschränkung der Selbstbestimmung, kompliziert den Einkauf und begünstigt dadurch ausländerfeindliche Ressentiments. Die Wertgutscheine werden nicht in allen Kaufhäusern und nur in bestimmten Stadtteilen angenommen, und die Bezahlung erfordert zusätzliche Prozeduren oder Extrakassen. Es darf maximal ein Rückgeld von 10% ausgezahlt werden, was aber in der Regel nicht erfolgt und zu einer Minderung der dem Flüchtling zustehenden Leistung führt. (…)
Um am öffentlichen Leben teilnehmen zu können, müssen die Asylbewerber in der Lage sein, Telefonrechnungen, Fahrtkosten, Eintrittsgelder, Briefmarken u.ä. zu bezahlen. Die Teilnahme am öffentlichen Leben oder an Veranstaltungen, die insbesondere für Kinder und Jugendliche wichtig ist, ist damit nur begrenzt oder gar nicht möglich. Auch für die im Rahmen des Asylverfahrens notwendige Beratung und Begleitung durch Anwälte reicht das bisher bar ausgezahlte Taschengeld von 40 Euro pro Monat nicht aus.
Zusätzlich zu diesen Nachteilen für die Flüchtlinge steht auf Seiten der Stadt ein im Vergleich zur Bargeldauszahlung erhöhter Verwaltungs- und Sachkostenaufwand durch die Gutscheine.(…) Die in Cottbus bereits bei allen dezentral untergebrachten Flüchtlingen (ca. 70% der Asylbewerber) angewandte Praxis der Auszahlung von Bargeld anstelle der Wertgutscheine hat sich problemlos bewährt.”
Mit diesem Antrag, der mit ähnlichem Wortlaut bereits von der Stadt Potsdam und den Landkreisen Potsdam-Mittelmark und Uckermark verabschiedet wurde, bekundet die Stadt, dass die Gutscheinregelung einer schnellstmöglichen Aufhebung bedarf.
Als Cottbuser Aktion “Bargeld statt Gutscheine” begrüßen wir den Beschluss, wollen aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass aus diesem noch keine konkrete Verbesserung für die hier lebenden Flüchtlinge resultiert. Wir haben es uns daher zur Aufgabe gemacht, diesem symbolischen Akt eine praktische Hilfe folgen zu lassen. So lange noch Gutscheine (pauschal) ausgegeben werden, versuchen wir, so viele wie möglich von diesen aufzukaufen und damit selbst einkaufen zu gehen. Wir bieten jedem Cottbuser Bürger die Möglichkeit, dies zu tun und damit praktisch gegen diese Diskriminierung von Flüchtlingen Stellung zu beziehen.
Unser Büro in der Parzellenstraße 79 ist jeden Dienstag von 17 — 20 Uhr geöffnet. Kontakt über Tel.: 0355/797587 (zur Bürozeit) oder per E‑Mail: gutschein@gmx.net
mehr zur Aktion “Bargeld statt Gutscheine” unter
www.asncottbus.org
Ältere pressemitteilungen: www.zelle79.info/meldungen/
“So kann s nicht weitergehen”
Vor drei Jahren, als in Bernau ein Gambier und ein Vietnamese am helllichten Tage überfallen wurden, haben Jugendliche die “Aktion Noteingang” gegründet. Diese Aktion war als Nothilfe gegen aktuelle Angriffe gedacht. Heute sind in Brandenburg und in Sachsen-Anhalt zahlreiche Jugendgruppen und Bürgerbündnisse in der “Aktion Noteingang” zusammengeschlossen. Es geht ihnen nicht nur um den Schutz von Fremden, es geht ihnen auch um Jugendliche, die zur unangepassten Minderheit gehören und ebenfalls Angriffen ausgesetzt sind. Sie beteiligen sich an Diskussionen und sie organisieren eigene Veranstaltungen, in denen sie zum Widerstand gegen das rassistische Klima ermutigen.
Also es gab damals keinen, der gesagt hat: Nazis sind Scheiße , oder: Das sind Nazis . Das gab s nicht. Es war auch nicht möglich, es war ein viel zu hohes Eskalationsniveau, das war lebensgefährlich. Also klar, ich hab es mir erlaubt, irgendwie einen kleinen Farbton in meine Haare zu tun. Aber das konnte ich mir auch nur erlauben, weil ich nur am Wochenende da war und weil ich wusste, zu welcher Uhrzeit ich wie lang gehen muss. Du musstest dir überlegen, welchen Zug du nimmst, wann du wo lang fahren kannst, welches Stadtgebiet du nicht betreten darfst, du musstest diese Standards schon einhalten.”
Suse ist 25 Jahre alt. 1991 ist sie aus Schwedt weggegangen. Schwedt, die Vorzeigestadt der DDR, das in den 60er Jahren explodierende Wirtschaftswunder Schwedt, das nach der Wende fast zusammen gebrochen wäre und der Stadt die Vorherrschaft rechter und rechtsradikaler Jugendkultur eingebracht hat. Schwedt an der Oder. Eine Reißbrettstadt nach preußischem und DDR-Muster zugleich. Mit dem Charme eines Schachbretts aus Beton. Der Stolz der realsozialistischen Petrochemie glänzte hier und zog die Menschen während der 60er Jahre in die neue Stadt. Arbeit und Wohnung wurden hier geboten und zwar sofort. Zehngeschossige Wohnhäuser säumen überbreite Straßen, schnurgerade am “Platz der Befreiung” vorbei, der noch heute so heißt.
Der fußballfeldgroße Platz an der heutigen Lindenallee wird begrenzt von zwei flachen, kantigen Kaufhaus-Quadern. Lange Zeit war das asphaltierte Rechteck in der Hand von Glatzen, von bekennenden Neonazis. Heute kurven auch jugendliche Skater dort umher. Doch die Zeiten direkt nach der Wende sind nicht vergessen und vorbei. Damals stürzte die deutsche Einheit die Stadt in heftige Turbulenzen. Zehntausenden Chemiearbeitern brachte sie das Aus, die Arbeitslosigkeit stieg auf über 20 Prozent und in dieser Höhe blieb sie auch stehen. Die Stadt verlor in den letzten Jahren 10.000 ihrer ehemals 50.000 Einwohner, ein ganzes Stadtviertel wurde deshalb abgerissen.
Tia ist 19 und hat gerade Abitur gemacht. Sie arbeitet bei Pukk mit, weil sie letztes Jahr mit ihrer englischen Freundin durch die Stadt spazierte, beide sprachen englisch miteinander, und sie wurde angepöbelt. Sie fasst sich an den Kopf: angepöbelt, bloß weil sie englisch sprach. Deshalb also Pukk. Pukk heißt in ganzer Länge: Politik und kritische Kultur, alternative Jugend Schwedt/Oder. Die Gruppe, die aus etwa 20 Jugendlichen besteht, gibt es seit 1998. Vier Jahre Friedhofsruhe lagen da hinter den Jugendlichen dieser Stadt, die sich nicht dem rechten Zeitgeist unterwerfen wollten. Denn 1994 hatte sich die letzte Jugendgruppe aufgelöst, die nicht zum rechten Lager gezählt werden konnte. Die meisten waren aus der Stadt regelrecht geflüchtet.
Suse berichtet von einem Beinahe-Totschlag 1992, der den Gipfel des rechtsradikalem Horrors gegen andere Jugendliche darstellte. Lange Monate lag ein Opfer von Nazi-Schlägern im Krankenhaus, lange Monate in der Reha, allmählich ging es besser. Aber damals war klar, sagt Suse:
Antifaschistische Arbeit unter Hochdruck
“So kann s nicht weitergehen. So kann s auf gar keinen Fall weitergehen. Wir können nicht so weitermachen. Geht nicht. Dann gab s eine große Kampagne, einen ARD-Bericht, einen Spiegel-Bericht — und dadurch ist der öffentliche Druck entstanden, ist ein neuer Richter eingesetzt worden, sind ein paar Verfahren anders gelaufen, sind ein paar Nazis verurteilt worden. Also da gab s einen Umschwenk in der Linie, durch den öffentlichen Druck. Und die Antifas wurden gebeten, die Stadt zu verlassen, weil ihr Schutz nicht mehr gewährleistet werden kann. Vom Bürgermeister. Wir hatten uns dann auch aufgelöst. Und der Bürgermeister war wahrscheinlich einfach nur froh, dass die Leute endlich weg sind.”
Diese Ereignisse sind in Schwedt nicht vergessen. Engagement gegen rechts, das wissen alle, ist gefährlich. Tias Eltern wollten deshalb nicht, dass sie mitmacht bei Pukk. Für sie war 1992, 1994 noch gestern. Tia ist trotzdem zu Pukk gegangen, hat die Gruppe mit aufgebaut, hat auch die “Aktion Noteingang” mit gemacht, organisiert Konzerte, politische Diskussionen. Pukk hilft Flüchtlingen, ein antifaschistisches Straßenfest haben sie letztes Jahr auf die Beine gestellt, sogar unter Schirmherrschaft des Bürgermeisters, desselben übrigens, der Jahre zuvor die Sicherheit von Suse und anderen nicht mehr garantieren mochte. Pukk wird unterstützt von den Uckermärkischen Bühnen in Schwedt, im Schauspielhaus fanden bereits Theateraufführungen und Diskussionsveranstaltungen statt. Trotzdem wurde im März 1999 der libanesische Asylbewerber Yasser auf offener Straße von einem 19-jährigen Rechtsextremen niedergestochen.
Die Pukk-Leute arbeiten nicht gerade unter anziehenden Umständen. Die Stadt hat den Jugendlichen einen kleinen Raum in einer ehemaligen Schule zugewiesen, dort treffen sie sich wöchentlich in einer schmalen, hohen Kammer, ziemlich unwirtlich, wenn auch immerhin beheizbar. Doch die Stimmung steckt an, die Zuneigung, die untereinander herrscht, die Gleichberechtigung, die fehlende Hierarchie, der Witz, die Spontaneität.
Pukk ist noch kein Jugendclub. Ganz anders das “Horte”: Ein ganzes Haus haben sich die Jugendlichen in Strausberg, einer Garnisonsstadt in der Nähe von Berlin, erstritten und erkämpft, selbstverwaltet natürlich, mit Kneipe bzw. Café, Büro, Veranstaltungs- und Gruppenräumen, eigenem Hof und in der ersten Etage Platz für mehr als ein Dutzend Leute, die hier wohnen.
Jeden Montag sitzen die Aktiven im “Horte” zusammen, planen nicht nur den Thekendienst, sondern auch die nächsten Veranstaltungen, reden und entscheiden über politische Aktionen und streiten sich darüber, ob das letzte Konzert gut organisiert war oder nicht.
Auch hier dieses Gefühl, gegen die Bedrohung der Nazis zusammenhalten zu müssen und nur als Gruppe dagegenhalten zu können. Genauso z.B. in Spremberg, im Süden von Brandenburg, Kombinat Schwarze Pumpe, ausgelaufen nach der Wende. Dort sind in den vergangenen Jahren mehrere Punker oder irgendwie “links” aussehende Jugendliche fast totgeschlagen worden. Dort gibt es den “Piraten e.V.”, antifaschistische, antirassistische Arbeit unter Hochdruckbedingungen. überall Hochdruck: Das “Horte” wurde noch vor zwei Jahren von 15 bewaffneten Nazis bedroht, die nur deshalb den Rückzug antraten, weil die Jugendlichen des “Horte” deutlich in der Mehrheit und entschlossen waren, sich zu wehren. ähnliches haben die im “Mittendrin” in Neuruppin erlebt. Neo-Nazi-Aufmarsch vor der Tür, 60–80 Glatzen, zwei Jahre ist das her. Das “Mittendrin” ist auch ein dicker Laden, der gerade ausgebaut wird, im oberen Geschoss ein eigenes Wohnprojekte für sechs bis zehn Jugendliche.
Antirassistische Jugendarbeit …
Das “Mittendrin”, das “Horte” und die “Piraten” sind selbstverwaltet und unterscheiden sich an einem wichtigen Punkt von den “offiziellen” Jugendprojekten. Diese alternativen Projekte lehnen jede Form so genannter akzeptierender Sozialarbeit ab. Nazis komme
n bei ihnen nicht rein, eine Diskussion mit bekennenden Rassisten und Faschisten findet nicht statt. Denn die Analyse der Gruppen, die über das Demokratische Jugendforum Brandenburg verbunden sind, zeigt, dass die Stärke der Rechtsradikalen auch aus Mangel an Alternativen herrührt. Den antifaschistisch orientierten Projekten geht es deshalb darum, eine antirassistische Jugendkultur aufzubauen, den Jugendlichen zu zeigen und vorzuleben, dass es zu den Rechtsradikalen eine Alternative gibt, dass man sich mit ihnen weder gemein machen noch die Trennlinien verwischen muss. Andere Musik, andere Kleidung, andere Umgangsformen werden gelebt.
Das “Mittendrin” hat sich deshalb auch schon heftig mit Jugendeinrichtungen gestritten, die das mit den Rechtsradikalen nicht so genau nehmen … René, Ende Zwanzig, seit Anfang an im “Mittendrin” dabei, mittlerweile sogar als bezahlte Kraft: “Wir hatten nämlich einen Fall, dass Jugendeinrichtungen teilweise Leute halt reingelassen haben, die wir definitiv zum rechten oder teilweise auch zum rechtsextremen Spektrum gezählt haben, die sich aber auch an der Aktion Noteingang beteiligen wollten, bzw. auch beteiligt haben. Da hing aber draußen z.B. der Aktion-Noteingang-Aufkleber, Du bist dann da halt irgendwann hingegangen und hast dann halt oben irgendwie den stellvertretenden Vorsitzenden der NPD vom Landkreis sitzen sehen mit einem white-power-T-Shirt. Das war dann für uns der Punkt, wo wir gesagt haben: Hey Leute, hallo, merkt ihr noch irgendwas? Irgendwie läuft hier was schief. Und das war dann schon irgendwie eine sehr, sehr spannende Diskussion, Sätze wie: Na ja, ihr habt halt eure Gegen-Nazis-Aufnäher und die haben halt ihrs, und solange keiner was macht und sich alle lieb haben, ist es ja okay. Und da haben wir an dem Punkt halt gesagt, nö, läuft nicht, geht nicht, könnt ihr die Aktion nicht mittragen, dann fliegt ihr halt da raus. Da müsst ihr euch ne Birne machen. Und ich denke schon, dass es mit ein Punkt war, warum sich verschiedene Jugendeinrichtungen halt wirklich ne Birne halt gemacht haben und sich seitdem entsprechend verhalten.”
In Neuruppin trug die Arbeit vom “Mittendrin” dazu bei, dass schließlich ein bekennender Nazi-Jugendtreff, der sogenannte “Bunker”, von der Stadtverwaltung geschlossen wurde. Daraufhin marschierten die Rechtsradikalen vor den anderen Jugendprojekten auf, blockierten sie, warfen Scheiben ein. René ist froh, dass die Stadt nicht eingeknickt ist. Es blieb bei der Schließung. Den Nazis wurde ein wichtiger Treffpunkt genommen, an seiner Stelle wurde eine neue, stadtteilbezogene Jugendeinrichtung für Jugendliche von 13 bis 17 Jahren geschaffen.
Dass die verschiedenen alternativen Jugendclubs voneinander wissen, mehr noch: miteinander zu tun haben, liegt am Demokratischen Jugendforum Brandenburg (DJB). Und an der “Aktion Analyse”, die unter dem Dach des DJB von ihnen allen ausgekocht wurde. Sinn und Zweck der Aktion, die hauptsächlich zwischen 1998 und 2000 lief, schildert Suse so:
“Der erste Anlauf von Aktion Noteingang hatte ja das Ziel, eine Hilfsinstanz zu schaffen. Wir haben dagegen gesagt: Nee, wir wollen keine Hilfsinstanz schaffen, weil klar ist, dass wir die so nicht schaffen können. Keiner, der verfolgt ist, rennt in irgend einen Laden, weil da ein Aufkleber dran ist, wird dahin rennen und sich eine Telefonnummer abschreiben und anrufen. Das funktioniert doch nicht, ist doch Mist, wissen wir doch selber, dass das nicht geht. Wir hatten einen anderen Schwerpunkt der Aktion Noteingang , es geht uns um die öffentliche Diskussion. Wir wollen in die Mitte der Gesellschaft, wir wollen die konfrontieren, wir wollen die ansprechen. Jetzt geht s nicht um Antifa, jetzt geht s nicht um Nazis, jetzt geht s um die öffentliche Diskussion. Wir hatten damals ein paar Ziele formuliert, und eins war gewesen: Wir wollen, dass nicht mehr über Jugendgewalt gesprochen wird, wir wollen, dass nicht mehr über irgendwelche lapidare Fremdenfeindlichkeit gesprochen wird, sondern wir wollen, dass über Rassismus geredet wird und über Rechtsextremismus. Oder Neofaschismus. Weil, das sind die Probleme. Und wenn wir das schaffen, die öffentliche Diskussion und Debatte darüber zu führen, dann haben wir was erreicht. Das war damals unser Ziel. Und das ließ sich ja auch erreichen. Wir haben offene Türen eingerannt.”
Im Sommer 1998 wurden in Bernau ein Gambier und ein Vietnamese in aller öffentlichkeit auf Straße überfallen und zusammengeschlagen. Die Taten waren, auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, rassistisch motiviert. Und es waren keine Einzeltaten. Das Demokratische Jugendforum Brandenburg, ein Netzwerk verschiedener Jugendgruppen in Brandenburger Städten und Gemeinden, schuf die “Aktion Noteingang” als Antwort. Man entwarf einen Aufkleber und einen Fragebogen. Damit gingen Jugendliche in Gaststätten, zu Ladenbesitzern, zu Kultur- und Sozialeinrichtungen, in die Rathäuser und fragten die Verantwortlichen: Wie stehen Sie zu rassistischer Gewalt? Gewähren Sie Betroffenen Schutz? Bringen Sie den Aufkleber “Aktion Noteingang” deutlich erkennbar in Ihrem Geschäft oder Ihrer Einrichtung an? Der Aufkleber, in schwarz und gelb gehalten, zeigt das Piktogramm eines flüchtenden Menschen, der in eine offene Tür läuft. “Wir bieten Schutz und Informationen bei rassistischen und faschistischen übergriffen” steht in der Tür.
An der “Aktion Noteingang” beteiligten sich bis ins Jahr 2000 hinein Jugendgruppen aus 13 brandenburgischen Gemeinden. Im Sommer 2000 legten sie eine Broschüre mit ihren Erfahrungen vor. Elf Jugendgruppen berichteten, auch ein landesweites Resümee wurde gezogen. Die Hälfte der fast 1.000 angesprochenen Ladenbesitzer, Bürgermeister, Schuldirektoren, Kneipenwirte hatten die Fragebögen zurückgegeben, 22 Prozent aller Angesprochenen hingen den Aufkleber aus. In manchen Städten, in Fürstenwalde z.B., brachte sogar über die Hälfte der Angesprochenen den Aufkleber an, in Potsdam aber waren es nur 8 Prozent. In Bernau verdonnerte der Bürgermeister die Stadtverwaltung, sich nicht an der Aktion zu beteiligen, in Schwedt klebte der Bürgermeister den Aufkleber quasi eigenhändig an die Rathaustür.
Die “Aktion Noteingang” wurde im Jahre 2000 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Die Brandenburger Landesregierung dagegen tat sich schon mit der bloßen Anerkennung schwer: Bereits bewilligte Gelder wurden nicht ausbezahlt, das Jugendbündnis wurde aus dem landesweiten, von der Regierung gestützten “Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt” herausgehalten. Dieses Aktionsbündnis war eins der Projekte, die die offizielle Politik auflegte, weil das Ausmaß rechtsradikaler Gewalt Investoren abschreckte und auf die Geschäfte mit dem Tourismus negativ durchschlug. Ein Aufnahmeantrag von “Aktion Noteingang” in das Bündnis wurde zwar verhandelt, aber vom Vorstand zurückgewiesen, weil die “Aktion Noteingang” nur ein Netzwerk sei und keine klaren Strukturen habe.
DJB: Netzwerk von unten
Die Landesregierung, so vermuten Suse und die anderen, hatte Sorge, dass mit Hilfe des Fragebogens die rassistische Stimmung im Lande aktenkundig werden könnte. Und die Tatsache, dass “Aktion Noteingang” gerade auch und immer wieder die politisch Verantwortlichen kritisiert, sei besonders dem christdemokratischen Innenminister Jörg Schönbohm ein Dorn im Auge gewesen.
Jetzt sind das DJB und die verschiedenen alternativen Jugendprojekte dabei, die Fortsetzung der “Aktion Noteingang” zu starten, die “Aktion Analyse”. Da soll der Frage nachgegangen werden, was in ihrer Stadt rassistisch ist. Z.B. die Anlage einer Flüchtlingsunterkunft; das soll dokumentiert werden, Aktionen sollen — durch diese Recherche vorbereitet — folgen.
An Aktionen sind die
Gruppen ohnehin nicht arm. Eine wird den “Piraten” in Spremberg wohl immer in Erinnerung bleiben, eine Aktion gegen die bekennenden Nazis der Stadt und gegen diejenigen, die die Fremdenfeindlichkeit in den Institutionen verkörpern. Gegen Bürgermeister Egon Wochartz zum Beispiel. Sachse erzählt:
“Geplant war, in der Fascho-Kneipe, im Tümmels, ne fette Beach-Party zu feiern, also da wirklich kiloweise Sand auszuschütten; Wirt, um 17 Uhr macht der auf, also den total zu überrumpeln, wenn noch keine Gäste drin sind, dem klar machen: Wenn du ruhig bleibst, passiert nichts, wir wollen alle was trinken, du kannst das Geschäft deines Lebens machen. Und da richtig mit Reagge-Mucke ne geile Party feiern. Und die Idee war gewesen, Faschoräume wieder in öffentliche Räume zu verwandeln. Weil der Wirt immer sagt: Er mag sie auch nicht, er kann aber nichts machen, sie sind seine einzigen Kunden. Ja, und deswegen ihm sagen: Ey, du kannst auch andere Kunden haben!
Parallel dazu sollte ein Sondertrupp beim Bürgermeister das Haus in Angriff nehmen, da sollten dann Sprühaktionen, Flyeraktionen, mit Transpis und so ablaufen. Und als Drittes den Bauwagen in Wetzkow draußen, wo die Kiddi-Nazis sich treffen, den irgendwo in stabile Seitenlage zu bringen, oder warmer Abriss oder irgend so was. Das Ding einfach zu beseitigen, unbrauchbar zu machen. Das ganze ist daran gescheitert, dass die Leute den Weg nicht gefunden haben. Da waren 20 Autos auf dem Weg nach Spremberg, die Hälfte ist vorbei gefahren, hat dann genau auf dem Polizei-Vorhof gewendet. Die haben die Bullen mit gehört, da war so ein Funkruf: Was soll das, hier wenden 20 Autos, genau vor der Polizeiwache, wo wollen die hin!? Helft uns! Die Leute vom Bürgermeister waren aber schon zu zeitig da und haben schon das ganze Haus irgendwie besprüht: ‚Ausgangssperre für den Rassisten Egon Wochartz und solche Sachen. Da war natürlich dort die ganze Polizei, hat dann versucht, auch wirklich böse ED-Behandlung durchzuziehen. Haben sie dann aber nicht geschafft.
Gegen Nazis und den Rassismus in den Institutionen
Die Bullen haben dann irgendwann gerafft, es geht ums Tümmels, eigentlich, haben dann davor Spalier gestanden und du kamst nicht mehr rein. Da standen dann 300 Leute vor dem Tümmels auf dem Platz, bei Mukke und haben dann gesagt, na gut, wir machen kurzfristig eine Demo durch Spremberg. Und auf dieser Demo gab es dann Beiträge, wo der Bauwagen thematisiert wurde. Aber als die Leute am Bauwagen waren, fuhr schon das erste Zivilbullenauto vorbei — und dann haben sie es dann sein gelassen, es wurde zu gefährlich. So lief das Ding eigentlich schief.”
Trotzdem war es für die Beteiligten großartig, mal nicht allein oder zu zwei Dutzend Leuten in der öffentlichkeit aufzutreten, sondern unterstützt zu werden von den Teilnehmern eines antifaschistischen Camps an der polnischen Grenze. Das hätte durchaus Eindruck in der Stadt gemacht, am meisten bei denen, die schon lange gehofft hatten, irgendwann müssten doch bestimmte Leute endlich mal einen Denkzettel kriegen …
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Spätestens seit Mitte der 90er- Jahre gilt Wittstock an der Dosse als eines der übelsten Zentren braunen Terrors und Organisierung in Brandenburg. Die Liste der rechten Übergriffe, Demos, Propagandadelikte, der verharmlosenden Statements und der halbherzigen Beteuerungen seitens der Stadt ist lang. Seit dem Mord an dem 24-jährigen Kajrat B. macht Wittstock erneut Schlagzeilen. Wir sprachen über die Situation in Wittstock und den Mord an dem Russlanddeutschen mit Dominique John von der Opferperspektive Brandenburg.
ak: Am 4. Mai wurde Kajrat B. und sein Freund Max Opfer eines rassistischen Angriffs. Beide sind russlanddeutsche Aussiedler. Wie ist die Situation der Russlanddeutschen in Wittstock und Umgebung?
Dominique John: Die russlanddeutsche Community steht in Wittstock massiv unter Druck. Viele wollen weg. Es gibt keinen einzigen öffentlichen Ort, an dem sich Aussiedler angstfrei treffen können. Der einzige Ort, wo Russlanddeutsche zusammentreffen, ist der obligatorische Sprachkurs. Jede Familie, zu der wir bisher Kontakt aufgenommen haben, berichtete über rassistische Beschimpfungen oder gar Angriffe auf der Straße, in den Wohnblocks und auch in den Schulen. Aus Angst weigern sich Kinder zum Teil in die Schule zu gehen. Ein ganz großes Problem ist auch die Situation im Öffentlichen Nahverkehr, wo immer wieder Russlanddeutsche angemacht werden. Die Lage ist so zugespitzt, dass es sogar Überlegungen bei der Polizei gibt, die Busse zu begleiten.
Die Familie von Kajrat ist in einem Dorf bei Wittstock untergebracht, in dem bereits im letzten Jahr eine russlanddeutsche Aussiedlerfamilie angegriffen wurde. Jugendliche hatten damals die fünf Brüder der Familie auf dem Marktplatz des Dorfes schwer zusammengeschlagen. Als wir Anfang des Jahres erfahren haben, dass in dem Dorf erneut zwei Aussiedlerfamilien untergebracht wurden, haben wir den Kontakt zu diesen Familien gesucht. Einige Wochen später hat sich dann der Bruder von Kajrat bei uns gemeldet. Er war von Nazis angepöbelt worden. Die per Mobiltelefon hinzugerufene Polizei hat sich anschließend geweigert eine Anzeige aufzunehmen. Erst mit unserer Unterstützung hat die Polizei am 3. Mai dann doch eine Anzeige wegen Nötigung und Beleidigung angenommen. Am nächsten Abend passierte dann der Angriff auf Kajrat und seinen Freund in einem Club in Wittstock.
Was ist dort passiert?
Es handelt sich um einen Veranstaltungsort, wo privat Feten veranstaltet werden können. Als die beiden dort auftauchten, haben sie relativ schnell gemerkt, dass sie am “falschen Ort” waren. Sie überlegten, wie sie aus der Situation am besten herauskommen, und entschieden sich dafür im Hintergrund zu bleiben und abzuwarten, bis das Gros der Leute gegangen ist. Als die Fete am abklingen war, sahen sie den rechten Zeitpunkt gekommen. Auf dem Weg nach draußen wurden sie jedoch plötzlich von hinten angegriffen. Es ist bekannt, dass mindestens drei Leuten auf sie eingetreten haben. Einer der Angreifer hat dann einen 25 Kilogramm schweren Feldstein genommen, ihn hochgestemmt und Kajrat auf die Brust geworfen. Nach fast dreiwöchigem Aufenthalt auf der Intensivstation ist Kajrat an seinen inneren Verletzungen gestorben.
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft drei Personen festgenommen. Wer sind die Täter?
Die Staatsanwaltschaft hat drei Haftbefehle wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Totschlags erlassen. Sie richten sich, wie wir aus Pressemitteilungen wissen, gegen einen Bundeswehrsoldaten (20), einen Arbeitslosen (21) und einen Maurer-Lehrling (20). Der Soldat war bereits kurz nach dem Angriff festgenommen worden. Die beiden anderen wurden nach Zeugenaussagen gefasst. Die Staatsanwaltschaft spricht davon, dass die drei bislang nicht bei Aufmärschen der Nazis oder ähnlichem aufgefallen seien, auch gebe es keine Hinweise, dass sie der organisierten Nazi-Szene angehören. Allerdings scheint auch die Staatsanwaltschaft Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund der Tat zu haben, zumindest ermittelt sie auch in Richtung einer “fremdenfeindlichen Motivation” der Täter. Davon müssen auch wir im Moment ausgehen und übrigens ist dies auch die Überzeugung der Russlanddeutschen in Wittstock.
Es gibt hier nicht nur eine straff organisierte Naziszene, der dreißig bis vierzig Leute zugeordnet werden und die in den letzten Jahren zahlreiche Demonstrationen organisiert hat. Für das, was man als rechte kulturelle Hegemonie bezeichnet, ist Wittstock ein anschauliches und extremes Beispiel. Eine linke, alternative oder wenigstens ausdrücklich nicht-rechte Jugendkultur gibt es in der Stadt nicht. Die Rechten beherrschen — selbst für Brandenburger Verhältnisse — in einem erschreckenden Ausmaß das Stadtbild.
Gab es irgendwelche Reaktionen in Wittstock auf den Mord?
Es gab am Anfang eine große Betroffenheit. Dies gilt vor allem für die Personen, die sich in einem Bündnis engagieren, das sich “Bündnis für ein Wittstock ohne Gewalt” nennt. Dieser Zusammenhang existiert seit November letzten Jahres und es haben sich hier Leute zusammen gefunden, die sich mit der Problematik von Rechtsextremismus und der rechten kulturellen Hegemonie in Wittstock auseinander setzen wollen. Nach dem Mord an Kajrat beginnt nun langsam auch das “Bündnis”, in dem Vertreter der Stadt, der Kirchen und Einzelpersonen zusammenarbeiten, über die Situation der Russlanddeutschen nachzudenken. Zuvor hatte man hier die Russlanddeutschen nicht als von rassistischen Angriffen Betroffene wahrgenommen. Dass hängt wohl auch damit zusammen, dass Russlanddeutsche als eine gesellschaftliche Gruppe angesehen werden, um die sich — nach unserem Dafürhalten — fast so etwas wie ein Mythos rankt: Es scheint allgemein angenommen zu werden, dass Russlanddeutsche gut organisiert, schlagfertig und vor allem in der Lage sind zurückzuschlagen. Es sei mal dahingestellt, wie diese Zuschreibungen zu Stande kommen. Klar ist nur, dass die Handlungen der Akteure in der Stadt durch diese Bilder stark beeinflusst sind. Das gilt übrigens auch für die Presse, in der immer wieder von Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Jugendgruppen gesprochen wird. Unsere Erfahrungen mit den Opfern dieser Verhältnisse zeigen jedoch, dass eine solche Vorstellung die Realität vollkommen verkennt. Die Gewalt geht eindeutig von Rechts aus. Und dies versuchen wir jetzt den Akteuren in der Stadt zu vermitteln.
Was kann die Opferperspektive gegen diese falsche Zuschreibung tun?
Unser Ansatz ist ein politischer Ansatz. Die Opferperspektive betreut Menschen, die Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt wurden. Dabei ist unser Name Programm: Wir wollen in der öffentlichen Diskussion die Perspektive der Opfer stärker in den Vordergrund rücken. Wir machen den Betroffenen praktische Angebote, die von Hilfe in rechtlichen Fragestellungen und der Unterstützung bei Behördengängen über die Vermittlung von psychotherapeutischer Hilfe bis hin zur Begleitung bei Gerichtsverfahren reicht. Gleichzeitig bemühen wir uns aber auch, lokale Initiativen gegen Rechts zu unterstützen und zu vernetzen.
In Wittstock haben wir versucht, diesen Ansatz präventiv umzusetzen, denn es war absehbar, dass es zu erneuten Angriffen kommen würde. Wir wollten nicht erst aktiv werden, wenn etwas passiert ist, sondern schon vorher Kontakt zu den Menschen aufzubauen. Deshalb haben wir schon im Vorfeld Vertretern der Stadt und von gesellschaftlichen Gruppen auf die Situation der Russlanddeutschen aufmerksam gemacht. Das Konzept ist leider nur ein Stück weit aufgegangen.
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Bei den Wahlen zum Potsdamer Studierendenparlament hat die offene
linke liste [oll] einen beeindruckenden Wahlsieg errungen. Der alte AStA
aus Gruen-Alternativer Liste (GAL), Juso Hochschulgruppe, Liberaler
Campus (LiCa) und Linker Campus (LinX) hat nach zwei Semestern der
Untaetigkeit die Quittung bekommen.
Die [oll] hat nun (vorlaeufiges amtliches Endergebnis) 10 der 27 Sitze des
Studierendenparlaments inne. Darauf folgen die Jusos mit 8. Den dritten
Platz (3 Sitze) belegt die neue Gruen-Ueberparteiliche Liste (GUeL; der
PDS-Naehe nachgesagt wird). Von den liberal und rechtskonservativen
Listen erreichte der RCDS zwei Sitze, LiCa und Buendnis fuer Potsdam
jeweils einen. Spektrum — Esoterik Leben! und Die Neue Liste erhielten
ebenfalls je einen Sitz.
Die offene linke liste hat waehrend der letzten Semester die Untaetigkeit
des AStAs in Bezug auf hochschulpolitische Entwicklung heftig kritisiert.
Neben der Tatsache, dass ab naechstem Jahr die Uni-Bibliothek mit nur
noch 1/3 der Gelder auskommen muss, steht auch noch eine
Haushaltssperre an. Im Wahlkampf hat die [oll] sich bemueht, auch auf
die zunehmende Privatisierung der Hochschulen einzugehen.
Waehrend einer Aktion wurde der Zugang zur Mensa mit Seilen und
Ketten erheblich verengt. An den Seilen hingen Schilder mit der Aufschrift
“GATS”, “Numerus Clausus”, “Studiengebuehren”, “Privatisierung”,
“Zulassungstests”, “Credit Point System”. Damit sollte symbolisiert
werden, dass der Zugang zu Hochschulen immer staerker begrenzt wird.
Die dazu verteilten Flyer sind auf der Homepage: www.offenelinkeliste.de
zu finden.
Es bleibt zu hoffen, dass der asta den neuen Schwung nutzen kann, damit
auch aus Potsdam bald wieder Protest- und Erfolgsmeldungen kommen.
Schill-Partei gründet Ortsverband
Potsdam — Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (Schill-Partei) hat in Bernau (Barnim) ihren ersten Ortsverband in Brandenburg gegründet. Wie der Landeskoordinator der Partei mitteilte, gehören dem Ortsverband 33 Mitglieder aus den Kreisen Barnim und Oberhavel an. Mit der Gründung hat die Schill-Partei den Grundstein für ihre erste Landesmitgliederversammlung am 13. Juli gelegt.
Kein bisschen zu Hause
Wenige Spätaussiedler halten es im Land Brandenburg
länger als drei Jahre aus. Kontakte zu Einheimischen
aufzubauen ist schwierig, und Arbeit gibt es kaum. Ein
Besuch in Neuruppin
(Christoph Schulze) Es ist Nachmittag und die Sonne scheint durch
die Gardinen in den zweiten Stock im
Familienzentrum im nordbrandenburgischen
Neuruppin. Die Einrichtung des Zimmers ist so
typisch deutsch, dass es sich fremd anfühlt. Es
ist das erste Mal, dass hier ein Nachmittag für
die Aussiedler Neuruppins stattfinden soll, und
Organisatorin Galina Güthenke, 33, hat sich alle
Mühe gegeben: Spielsachen für die Kinder
liegen auf dem dicken Teppich bereit, ein
Video in russischer Sprache läuft im Fernsehen,
um die Kaffee-und-Kuchen-Tafel stehen
biedere Sofas.
Nur: Die Russlanddeutschen fehlen. Lediglich
drei oder vier sind gekommen.
Schätzungsweise leben 900 im Landkreis
Ostprignitz-Ruppin, genaue Zahlen kennt
niemand, da Aussiedler in den Statistiken nicht
gesondert aufgeführt sind. “So ein Treff muss
sich erst herumsprechen”, sagt Güthenke
optimistisch, während sie Kaffee eingießt und
russische Süßigkeiten anbietet. Sie selbst ist
Ukrainerin, seit neun Jahren in Deutschland und
als SAM-Kraft im Familienzentrum angestellt.
Aus eigener Erfahrung kennt sie die
Schwierigkeiten ihrer Klientel, sich in einem
Deutschland zurechtzufinden, das wenig mit
ihrem urspünglichen Deutschlandbild zu tun
hat. Da gab es diesen jungen Kerl, der ankam
und stolz alle möglichen Volkslieder rauf und
runter singen konnte, und Goethe konnte er
auch zitieren. Trotzdem gelingt es ihm bislang
nicht, Fuß zu fassen: kein ausreichendes
Deutsch für einen Job, Sozialhilfe, zu Hause
sitzen, misstrauische Blicke von den Leuten in
der Nachbarschaft.
Plötzlich kommt ein Mann in das
Familienzentrum geschneit, und augenblicklich
wird Galina Güthenke zur Kaffee-Eingießerin
degradiert. Michael Möbius ist — auch auf
SAM-Basis angestellt — als Netzwerkmanager im
Kreissozialamt für Aussiedlerfragen zuständig.
Den Termin wollte er nicht verpassen und freut
sich sichtlich über die Pressepräsenz. “Viele
Spätaussiedler gehen ganz schnell nach ihrer
Ankunft hier weg in die westlichen
Bundesländer, wo sie Verwandte haben und
wo es Arbeitsplätze gibt”, referiert er aus dem
Stand. “Nur 30 Prozent der uns zugewiesenen
sind nach drei Jahren noch hier.” Wirkliche
Integration sei so schwer machbar. Auch werde
seine Arbeit von manchen Behörden torpediert,
sagt Möbius. Doch es gebe durchaus auch
positive Beispiele: “Ein Russlanddeutscher,
studierter Biologielehrer, hat sich
gewissermaßen hochgearbeitet. Der ist jetzt
Chauffeur vom Landrat.”
In der Zeit, in der Netzwerkmanager Möbius
geredet hat, ist ein junges Paar in das Zimmer
gekommen und schaut sich ein
englischsprachiges Fotobuch über die
Schönheiten Kiews an. Seit knapp einem
halben Jahr wohnen Dimitrij und Viktoria Gert in
Neuruppin, vor einem Jahr kamen sie in die
Bundesrepublik. Den 900-stündigen
Sprachkurs haben sie absolviert, trotzdem ist
die Hilfe von Galina Güthenko nötig, um sich
mit den beiden zu unterhalten. Erstes Thema:
die Fußball-WM. “Als Russland spielte, war ich
für Russland, wenn Deutschland spielt, bin ich
für Deutschland”, sagt Dimitrij, Jahrgang 1976,
und fügt hinzu: “In meiner Brust schlägt ein
Doppelherz.” Er wirkt schüchtern, erzählt wenig
und leise, schaut lieber auf den Teller vor sich
als seinen Gesprächspartnern ins Gesicht.
Seine Frau Viktoria redet, so gut es geht,
deutsch. Aus Simferopol in der Krim stammen
beide, er hat deutsche Wurzeln, sie nicht. “1993
haben wir uns kennen gelernt, eine Freundin hat
uns verkuppelt”, lacht die 23-Jährige. 1995
folgte die Heirat, vor drei Jahren kam Sohn
Daniel zur Welt.
Und vor einem Jahr fällten die beiden die
Entscheidung, nach Deutschland zu gehen.
“Viele Verwandte waren schon hier, das Leben
ist wirtschaftlich gesehen viel leichter als in der
Ukraine”: Wie die meisten Spätaussiedler der
letzten Jahre kamen Dimitrij und Viktoria Gert
weniger auf der Suche nach einer
ursprünglichen Heimat, sondern aus
ökonomischen Gründen nach Deutschland. Es
fiel nicht leicht, alles aufzugeben. Doch in den
Briefen der Verwandten stand vieles Gute über
die Bundesrepublik. Die Probleme wurden nicht
erwähnt. “Wir hätten nie gedacht, dass es so
schwer ist mit der Sprache”, sagt Viktoria, “und
wir würden gerne arbeiten und nicht immer nur
zu Hause sitzen.” Sie hat in der Ukraine eine
EDV-Ausbildung gemacht, er verkaufte
Heizungen. Jetzt lebt das Ehepaar von
Sozialhilfe, Viktoria möchte sich zur
Kosmetikerin umschulen lassen, Dimitrij
versucht, für ein paar Jahre bei der
Bundeswehr unterzukommen. Freunde haben
sie noch keine gefunden, seit sie in Neuruppin
sind. Und dann sind da diese Blicke manchmal,
auf der Straße, wenn russisch geredet wird:
“Beim Einkaufen unterhalten wir uns nicht
miteinander. Damit wir nicht zu sehr auffallen.”
Doch nicht auffallen, Ärger vermeiden, das ist
schwierig. Als die nur 30 Kilometer entfernt von
Neuruppin liegende Stadt Wittstock zur
Sprache kommt, wird die Stimmung
bedrückend. Dort wurde Kajrat B., ein aus
Kasachstan stammender Russlanddeutscher,
vor ein paar Wochen von deutschen Rassisten
ermordet. Viktoria und Dimitrij kannten ihn gut.
“Als wir in Freyenstein bei Wittstock wohnten,
da haben wir oft mit Kajrats Familie gefeiert. Es
ist unbegreiflich.” Das Ehepaar hat sich bisher
noch nicht getraut, bei der Mutter von Kajrat
anzurufen. Es bleibt der schwache Trost in
Neuruppin zu wohnen und nicht auch nach
Wittstock gekommen zu sein, wo es schlimmer
mit den Nazis ist. Rechte Deutsche terrorisieren
Deutschstämmige aus der ehema
ligen UdSSR.
Dabei ist es für manchen Aussiedler eine
Beleidung, als Russe und nicht als Deutscher
bezeichnet zu werden.
Zukunft? Viktoria ist optimistisch: “In fünf
Jahren, da möchte ich gut Deutsch sprechen
können, eine schöne Arbeit haben, in einer
größeren Stadt wohnen. Noch ein Kind wäre
auch sehr schön.” Dimitrij nickt.
Sprachkurse reduziert
Das neue Zuwanderungsgesetz erschwert die Integration von Russlanddeutschen
“Die Sprache, dass ist das offensichtliche
Problem bei der Arbeit mit Aussiedlern”, sagt
Wolfgang Bautz. Der Chef der Brandenburger
Initiative Ekis (“Entwicklung kommunaler
Integrationsstrukturen”) hat beobachtet, dass
“bei den Ankömmlingen der letzten Jahre die
Bindung zur deutschen Kultur und damit auch
der Sprache immer loser geworden ist”.
Mit Deutschkursen wird versucht, den
zusehends versiegenden Strom von
Spätaussiedlern eine Grundlage für das Leben
in der Bundesrepublik anzubieten. 900
Unterrichtsstunden umfasste das Programm
bisher — zu wenig, um sich solide
Deutschkenntnisse anzueignen, fanden viele
Kritiker. Doch durch das neue
Zuwanderungsgesetz wird der Umfang der
Kurse noch weiter verringert, auf gerade mal
600 Stunden. Ekis, eine Initiative der
Arbeiterwohlfahrt, berät Kommunen in
integrationspolitischen Fragen. Die Kürzung der
Sprachkurse schätzt Bautz als “sicherlich nicht
erleichternd für die Eingliederung in die
deutsche Gesellschaft” ein. Ohnehin stehe es
schlecht um die Integration von Aussiedlern,
die Brandenburg zugeteilt werden: Kaum einer
lässt sich nieder, die meisten ziehen wegen der
besseren Lage auf dem Arbeitsmarkt so bald
wie möglich in die alten Bundesländer.
Rassistisch motivierte Übergriffe auf Aussiedler
tun ihr Übriges, um Russlanddeutsche aus
Brandenburg fernzuhalten. Seit 1991 wurden
rund 46.000 Deutschstämmige in Brandenburg
aufgenommen, im Schnitt bleibt nur ein Drittel.
“Es gibt zwar eine Vielzahl integrativer
Projekte”, berichtet Wolfgang Bautz, “doch die
Qualität lässt oft zu wünschen übrig.
Integration braucht Zeit, doch die einzelnen
Maßnahmen sind fast immer nur für ein oder
zwei Jahre finanziert.” Meist würde zudem
versucht, etwas für Aussiedler zu machen statt
mit Aussiedlern. Ein Beispiel für
russlanddeutsches Leben in Brandenburg ist
Flugplatz. 600 Menschen leben dort, die
meisten in “sozial schwachen Verhältnissen”,
die Hälfte sind Aussiedler. Der eigentümliche
Name des Örtchens bei Jüterbog geht auf
seine Geschichte als NS-Flugschule und
Luftstützpunkt der Roten Armee in der DDR
zurück. Ein Gemeinschaftswerk, bestehend aus
Vertretern von Kirchen und Kommune, ist
Träger der Sozialarbeit. “Es sieht trostlos hier
aus”, meint James Schellenberg, der
kanadische Pfarrer. Die ehrgeizig angefangene
Konversion der Militärgebäude droht zu
scheitern. Der Großinvestor aus Hannover hat
vor drei Jahren Insolvenz angemeldet, und
seitdem bewegt sich nichts mehr.
Pfarrer Schellenberg ist Mitglied der
pazifistischen Freikirche der Mennoniten, wie
etwa 5 bis 10 Prozent der Aussiedler auch. Er
findet, es sei in Deutschland schwieriger,
Einwanderer zu sein, als in seiner kanadischen
Heimat. “Es ist, besonders natürlich in unserem
abgelegenen Dorf, verlockend, sich an die
Landsleute zu halten. Aber so lernt man
natürlich nicht Deutsch. Da braucht es
Eigeninitiative.”