NEURUPPIN Seit sechs Wochen demonstrieren Kriegsgegner in Neuruppin gegen die Bombenangriffe der USA auf Afghanistan. Zu den bekannten Transparenten “Krieg beenden, Hilfe zulassen!” und “Krieg ist auch Terror” kam gestern ein neues hinzu: “Ein guter Gedanke ist mehr als 3900 Soldaten” stand darauf in Anspielung an den Beschluss der rot-grünen Bundesregierung, sich mit der Bundeswehr am Krieg zu beteiligen.
Seit auch die Grünen der deutschen Kriegsbeteiligung zugestimmt haben, macht sich unter den Demonstranten Resignation breit. Der grüne Kreistagsabgeordnete Wolfgang Freese zitierte den Sänger Rio Reiser: “Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird.” Jugendwart Eckhard Häßler verlas die Resolution der evangelischen Kirche gegen den Krieg. Dann machten sich knapp 100 Demonstranten mit Kerzen und Fackeln auf den Weg von der Pfarrkirche zum Neuruppiner Kreiswehrersatzamt, das Freese als “symbolischen Ort” bezeichnete. Um Provokation gehe es nicht. Die wäre auch gar nicht möglich gewesen. Als die Protestierer ihre Transparente an den Zaun des Bundeswehr-Gebäudes hängten, brannte in den Büros kein Licht mehr. Die Mitarbeiter der Behörde hatten längst Feierabend.
Nachdem die Demonstrantenschar zwei Friedenslieder gesungen hatte, ging die Spendenbüchse herum — für das Überleben der afghanischen Kinder in diesem Winter.
Monat: November 2001
NEURUPPIN Norbert Arndt hat Probleme damit, den Zettel festzuhalten, auf dem er sich Notizen gemacht hat. Seine Finger zittern ebenso wie seine Stimme. Der Verwalter des Neuruppiner evangelischen Friedhofes ringt mit den Tränen. Sein Blick trifft auf erstarrte Gesichter. Neuruppiner Einwohner lauschen seinen Worten. Sie sind ergriffen.
Eigentlich sollte dies ein Tag der Freude sein, denn das Mahnmal “Ausgeliefert” für die jüdischen Bürger Neuruppins konnte gestern auf dem Friedhof der Öffentlichkeit übergeben werden. Aber Arndt und den rund 100 Gästen war nicht nach Freude zu Mute. Schließlich verbinde sich mit dem Mahnmal eines der dunkelsten Kapitel Neuruppiner Geschichte.
Arndt erinnerte an die vielen Juden, die verfolgt und meist auch deportiert wurden, und warnte davor, den Blick abzuwenden, die Augen vor Hass und Rechtsradikalismus zu verschließen. Mit der von Wieland Schmiedel entworfenen Figurengruppe solle an die dunkle Vergangenheit erinnert werden. Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse in den USA und des Krieges in Afghanistan sei Rückbesinnung erforderlich. “Der tapfere deutsche Soldat wird wieder politikfähig”, so Arndt. Dies müsse kritisch reflektiert werden.
Dieser Ansicht ist auch Andreas Nachama. Der Vorsitzende der Berliner Ausstellung “Topographie des Terrors” betonte, dass Mord niemals die richtige Antwort auf Terror sein könne. Die demokratisch gesinnten Menschen müssten sich wehren, indem sie aufeinander zugehen.
Viele Neuruppiner zeigten sich glücklich, dass nun endlich der jüdische Friedhof eine “angemessene Umrahmung” gefunden habe. Heinz-Joachim Karau, der sich selbst viel mit der Geschichte jüdischer Bürger beschäftigt hat, hofft, dass Schmiedels Werk ein Stolperstein wird. Der frühere Neuruppiner Pfarrer sieht in den sieben Figuren ein Mahnmal und eine Aufforderung zum Nachdenken über jüdische Geschichte. Erinnern, verstehen, diskutieren: Was sich mit dem Denkmal verbinden soll, lebten gut 150 Gäste bereits gestern Abend in der Aula des Schinkelgymnasiums aus. Sie folgten Historiker-Vorträgen zur Geschichte der Neuruppiner Juden und zur Rolle von Denkmälern in Deutschland.
POTSDAM Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) befürchtet eine Belastung des brandenburgischen Regierungsbündnisses wegen des Streits um das neue Zuwanderungsgesetz des Bundes. Wie Schönbohm gestern in Potsdam sagte, könne er sich einen Ausstieg seiner Partei aus der Koalition mit der SPD vorstellen, falls Brandenburg dem Gesetz im Bundesrat zustimmt. “Die Beendigung der Koalition ist das Letzte, was ich will”, so der Minister, zumal die CDU auch angetreten sei, um eine PDS-Beteiligung an der Regierung zu verhindern. Allerdings hingen die Christdemokraten “nicht um jeden Preis” an der Großen Koalition. Beim Votum über die Zuwanderung gehe es um “Glaubwürdigkeit in einer Grundsatzfrage”.
Wie Schönbohm sagte, sei der gegenwärtige Entwurf des Zuwanderungsgesetzes für die märkische Union nicht zustimmungsfähig. Das Papier sei zu ungenau, wie die Zuwanderung begrenzt werden kann. Zudem müsse das Zuzugsalter für Kinder gesenkt werden. Für die Integration sei es dringend nötig, Kinder im frühen Alter nachzuholen. Als junge Erwachsene eingereist, stünden sie oft ohne Sprachkenntnisse und Ausbildung am Rand der Gesellschaft und seien auf Sozialleistungen angewiesen.
Schönbohm erwartet, dass mit dem Koalitionspartner SPD ein “Weg der Vernunft” beschritten werden kann. Sollte es keinen Kompromiss geben, müsse sich Brandenburg bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten. Der Koalitionsvertrag schreibe das bei strittigen Fragen vor. Brandenburg ist in der Länderkammer zum “Zünglein an der Waage” geworden. SPD- und CDU-geführte Länder haben jeweils 31 Stimmen. Für die Mehrheit sind die vier Stimmen Brandenburgs ausschlaggebend. Schönbohm hofft, dass die von der Union geforderten Nachbesserungen bereits bis zur ersten Lesung des Gesetzespakets im Bundesrat am 21. Dezember eingearbeitet sind. “Mal sehen, ob wir den Sprengsatz ent-zündern können.” Der “Lackmustest” erfolge dann Anfang nächsten Jahres bei der Länder-Abstimmung.
Schönbohm räumte ein, dass bei der Zuwanderung Druck von der Bundes-CDU ausgeübt werde. Es gebe einige Leute, die damit in den Bundestagswahlkampf 2002 ziehen wollten. Er plädiere aber dafür, das Thema aus dem Schlagabtausch der Parteien herauszuhalten. Allein mit der Arbeitslosigkeit und den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gebe es genug Stoff für Auseinandersetzungen.
SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness sieht keinen Bedarf, das Zuwanderungsgesetz nachzubessern. Für ihn sind Schönbohms Äußerungen “parteipolitisch motiviert”. Das Gesetz sei gerade auch von der Wirtschaft begrüßt worden. Natürlich solle man Veränderungen nicht von vornherein ausschließen. “Bis 21. Dezember haben wir noch eine Menge Zeit.” Ness zeigte sich zuversichtlich, dass die Potsdamer SPD/CDU-Regierung bis 2004 hält.
Ähnlich äußerte sich Gunter Fritsch, SPD-Fraktionschef im Landtag. Zu Bundesratsentscheidungen habe es immer Einigungen gegeben. Damit sei auch diesmal zu rechnen. Die Stimmenthaltung sei die Variante für den absoluten Notfall.
PDS schlägt Bürgerpolizei vor
POTSDAM Die brandenburgische PDS will sich mit einem eigenen Konzept in die aktuelle Debatte zur inneren Sicherheit einmischen. Tenor des 17-seitigen Papiers, das auf dem Landesparteitag am Sonnabend in Potsdam offiziell vorgestellt wird: Statt Repression mehr Prävention. “Wir wollen zeigen, dass wir die Ängste der Bürger ernst nehmen”, sagte gestern Vize-Landeschef Stefan Ludwig vor Journalisten.
Die PDS schlägt vor, das “Bild einer Bürgerpolizei zum Leitbild der brandenburgischen Polizei” zu erklären. Priorität müsse die Polizeiarbeit vor Ort haben, hieß es. Im Kern soll die Zahl der Revierpolizisten im Land weiter ausgebaut werden. Derzeit sei ein Revierpolizist für 5000 Einwohner zuständig.
Ludwig sprach von einem “Totalausfall der SPD” in der inneren Sicherheit. Deshalb gebe es in der öffentlichen Wahrnehmung bisher nur die konservativen Thesen von CDU-Innenminister Jörg Schönbohm. Die PDS sei gegen Lauschangriff, Videoüberwachung, den finalen Rettungsschuss sowie den Einsatz verdeckter Ermittler und V‑Leute. “Dieser Weg des Ausbaus staatlicher Gewalt und der Einschränkung von Grundrechten sei falsch”, so Ludwig.
Kritisch wird sich auch mit der Rolle des Verfassungsschutzes auseinander gesetzt. Die PDS lehnt mehr Personal entschieden ab. Die Auflösung der Einrichtung wird nur deshalb nicht gefordert, weil die Kompetenzen des Verfassungsschutzes nur dem polizeilichen Staatsschutz übertragen werden würde, was wiederum ein Verstoß des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdienst wäre. Allerdings heißt es: “Der beste Verfassungsschutz sind aktive, mündige Bürger. Die PDS setzt sich dafür ein, den materiellen Schutz der Verfassung zu stärken mit dem letztendlichen Ziel, den institutionalisierten Verfassungsschutz überflüssig zu machen.” Auf die Terroranschläge in den USA vom 11. September und die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus wird in dem Papier nicht gesondert eingegangen.
Aus Sicht von PDS-Landeschef Ralf Christoffers zeige das Konzept, dass die PDS einen “unverkrampften Umgang mit der Polizei” habe. Das Papier soll — wie auch jene zur Bildung und zur Haushaltspolitik — auf dem Parteitag nicht verabschiedet, sondern zunächst breit diskutiert werden, sagte Christoffers.
Naziparolen an Grundschulen
COTTBUS Rechtsradikale Parolen sind in Brandenburg auch aus Kindesmündern zu hören. “Schon in der Grundschule äußern Kinder solche Parolen”, sagte der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Karl-Ludwig Böttcher, an Samstag in Cottbus. Solange an deutschen Stammtischen rechtes Gedankengut geäußert werde, müsse sich niemand über das Verhalten des Nachwuchses wundern. In Cottbus haben sich rund 50 Koordinatoren gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt aus den südbrandenburgischen Kommunen zu einem Erfahrungsaustausch getroffen. Teilnehmer berichteten über einen Wandel der Erscheinungsformen des Rechtsradikalismus. Das betreffe sowohl die Themen als auch den Personenkreis. Laut Böttcher gibt es in der rechten Szene immer mehr intellektuelle Themen und Personen.
WITTSTOCK/NEURUPPIN Ein Aktionsbündnis gegen Gewalt bildete sich in Wittstock. Ins Leben gerufen wurde es vom in der Stadt lebenden neuen Superintendenten des Kirchenkreises Wittstock-Ruppin, Heinz-Joachim Lohmann, und dem Wittstocker Bürgermeister Lutz Scheidemann (FDP).
Die Synode des Kirchenkreises erklärte am Sonnabend in Neuruppin, das Gespräch mit rechtsradikal denkenden Jugendlichen suchen zu wollen. Lohmann: “Das Bündnis richtet sich gegen den organisierten Rechtsradikalismus, der in letzten Wochen mehrfach in Wittstock demonstrierte. Wir wollen den Rechten zeigen, dass sie hier nicht willkommen sind.”
Erstes großes Bekenntnis wird eine Demonstration “Für ein tolerantes Wittstock” am Nachmittag des 8. Dezember sein. Nach dem Friedensgebet will der Zug — leuchtende Kerzen tragend — schweigend durch die Altstadt ziehen. Alle Wittstocker und friedliebenden Menschen der Region sind zur Teilnahme aufgerufen. Dann sprechen Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Wolfgang Huber, Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Zum Bündnis gehören Vertreter von SPD, FDP, CDU und PDS, Wählergruppen und Religionsgemeinschaften, darunter Landrat Christian Gilde (SPD) und Standortkommandant Wolfgang Engel (CDU).
NEURUPPIN Seinen kleinen Fischereibetrieb hatte Klaus Daniels gestern im Stich gelassen. Stattdessen trieb es den Händler aus Kunsterspring am Mittag in die Kälte vor das Neuruppiner Rathaus — zur Demo gegen den geplanten Bombenabwurfplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide. Gut 50 Leute machten dort aus ihrer Meinung keinen Hehl, selbst die Bürgerinitiative gegen Fluglärm aus Fehrbellin war vertreten.
Zwar hatte die Bundeswehr diesmal auf ihr mit Musik untermaltes Werbevideo von Tieffliegern und Bombenabwürfen verzichtet und erklärt, das damit keinesfalls eine Provokation beabsichtigt gewesen sei. Zufrieden waren die Vertreter der Anliegergemeinden dennoch nicht. “Die von der Bundeswehr vorgelegten Unterlagen sind äußerst dürftig. Nicht einmal ein Lärmgutachten ist enthalten”, sagte Rheinsbergs Bürgermeister Manfred Richter. Nur eine Passage gibt es dazu in den Unterlagen — und diese stammt laut Landrat Christian Gilde vom Hersteller des Eurofighters.
Doch fehlen ebenso Aussagen zu den Emissionen, zu den Auswirkungen auf die Natur. Immerhin handelt es sich bei dem 144 Quadratkilometer großen Gebiet um ein Areal, dass zu großen Teilen vom Land unter Naturschutz gestellt und als Flora-Fauna-Habitat (FFH) an die Europäische Union gemeldet wurde.
Ungeklärt ist laut Richter zudem, auf welcher Rechtsgrundlage dieses Anhörungsverfahren eigentlich basiert. Eine Antwort darauf hat der Rheinsberger Bürgermeister nicht einmal von den Vertretern der gemeinsamen Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg, die das nichtöffentliche Verfahren leiten, erhalten. Die Gemeinden forderten gestern deshalb erneut die Einstellung des Verfahrens und zumindest einen Aufschub ihrer Stellungnahme bis Ende März 2002. Die Erklärung der Anliegergemeinden sollte bis 4. Januar vorliegen. Das ist aber schon aus formellen Gründen kaum zu schaffen, da nicht mehr alle Gemeindevertretungen rechtzeitig tagen. Zudem ist nicht sich, ob bis dahin die Bundeswehr die geforderten Unterlagen nachgereicht hat.
Doch auch ohne diese steht für Klaus Daniels schon jetzt eines fest: Er würde lieber 500 Touristen bewirten, als die vereinzelten Soldaten.
Anhörung blieb ohne Annäherung
Landrat Gilde sieht viele Fragen unbeantwortet
NEURUPPIN Die zweite Anhörung zum geplanten Schießplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide in Neuruppin hat gestern keine Annäherung der Standpunkte von Bundeswehr und Bombodrom-Gegnern gebracht.
Landrat Gilde (SPD) sagte, es sei völlig offen geblieben, welche Auswirkungen der Schießplatz auf die Bebauungspläne der Anrainergemeinden, auf die Belange des Naturschutzes und auf die Umwelt haben werde. Die betroffenen Gemeinden hätten deutlich gemacht, dass sie eine Verlängerung der Anhörung über den ursprünglich geplanten Termin des 4. Januar 2002 hinaus für notwendig halten. Dazu erklärte Standortkommandant Oberstleutnant Wolfgang Engel, die Bundeswehr werde dieses Anliegen prüfen.
Frei Heide-Sprecher Benedikt Schirge kündigte an, die Bürgerinitiative werde ihre politischen Aktionen auf künftig in der bisherigen Weise fortsetzen.
Anhörung mit sich selber
Scharfe Kritik von Freie Heide-Sprecher Benedikt Schirge an Bundeswehr
NEURUPPIN Die Bürgerinitiative Freie Heide blieb gestern vor dem Neuruppiner Rathaus unter sich. Anders als am Mittwoch in Wittstock, gab es keine Befürworter des Schießplatzes, die ihren Standpunkt öffentlich demonstriert hätten.
Während vor dem Neuen Rathaus in der Neuruppiner Karl-Liebknecht-Straße die Bombodrom-Gegner ihre Transparente und Plakate in die Höhe hielten, rüsteten sich im Rathaussaal die Kontrahenten für das Anhörungsverfahren. Die Tischplatte vor Oberstleutnant Wolfgang Engel, Kommandant des Truppenübungsplatzes Kyritz-Ruppiner Heide, war mit Broschüren und Papieren bedeckt. Die Frage, ob die Bundeswehr auch das Video wieder zeigen wird, das in Wittstock einen Eklat hervorgerufen hatte, beantwortete Engel so: “Nur, wenn der Wunsch danach besteht”.
Frei Heide-Sprecher Benedikt Schirge wertete das Video als “eine Frechheit”. Der Vorgang beweise, dass die Bundeswehr die Anhörung nicht ernst nehme. Es sei ohnehin der Mangel des Verfahrens, dass die Bundeswehr die Anhörung mit sich selber durchführe. Alle Einwände — gehört werden die Anrainergemeinden des Schießplatzes, der Landkreis und die Planungsgruppe Prignitz/Oberhavel — würden an die Bundeswehr gehen, einen neutralen Bewerter gebe es nicht, beschwerte sich Schirge.
Ohnehin hatte in Wittstock der Anwalt der Freien Heide Dr. Reiner Geulen, bereits die Rechtmäßigkeit des Verfahrens angezweifelt. In diesem Sinne äußerte sich gestern auch Landrat Christian Gilde (SPD). Das Verfahren müsse wegen schwerer rechtlicher Mängel eingestellt werden, meinte Gilde. Der Landrat kritisierte zudem, dass die Nachbarkreise im Norden, Müritz und Mecklenburg-Strelitz nicht in das Anhörungsverfahren einbezogen wurden. Er habe deren Landräte für die kommende Woche zu einem Gespräch eingeladen, um sie auf die neuesten Informationsstand zu bringen. Zu der gestrigen Anhörung meinte Gilde, die Bundeswehr habe viele Fragen offen gelassen. So sei weiter völlig unklar, wie sich der Bombenabwurf-Platz auf die Flächennutzungs- und Bebauungspläne der Gemeinden, auf den Naturschutz und die Umwelt auswirken werde. Auch zur Lärmbelästigung habe es nur sehr vage Angaben gegeben. Die Bürgermeister der Gemeinden und namentlich das Neuruppiner Stadtoberhaupt Otto Theel (PDS) hätten kritisiert, dass die Unterlagen, die die Bundeswehr zur Verfügung stellte, völlig unzureichend sind.
Der Zempower Bürgermeister Wolfgang Bauer habe darauf hingewiesen, das Grundstücksbesitzer mit drastisch sinkenden Bodenpreisen rechnen müssten, wenn der Schießplatz kommt.
Oberstleutnant Wolfgang Engel betonte gestern, dass Bundesministerium der Verteidigung strebe eine rasche Nutzung des Schießplatzes unter Einbeziehung des Anhörungsverfahrens an. Zu diesem Anhörungsverfahren wurde die Bundeswehr vom Bundesverwaltungsgericht verpflichtet. Sie hat dafür den Zeitraum vom 2. Oktober diesen Jahres bis 4. Januar 2002 vorgesehen. Die Gemeinden können sich während dieser Zeit schriftlich oder mündlich äußern. Letzterem dienten die so genannten Erörterungstermine am Mittwoch in Wittstock und gestern in Neuruppin. In der Terminfrage deutete Engel gestern ein mögliches Einlenken der Streitkräfte an. Da viele Gemeinden auf eine Verlängerung drängten, werde die Bundeswehr prüfen, ob sie dem entgegenkommen könne.
Benedikt Schirge meinte gestern, auch in Neuruppin sei deutlich geworden, dass die Bundeswehr-Vertreter das Anhörungsverfahren nicht ernst nähmen. “Wenn die Bundeswehrvertreter uns beispielsweise lapidar erklären, dass sich Truppenübungsplatz und Tourismus miteinander vertragen werden, haben sie nicht begriffen, dass wir das Bombodrom hier absolut nicht wollen”.
WITTSTOCK Das erste Anhörungsverfahren zum Schießplatz Kyritz-Ruppiner Heide endete gestern im Wittstocker Rathaus mit einem Eklat. Als Bundewehroffiziere einen Werbefilm der Streitkräfte vorf¨¹hrten, verließen die Vertreter der Gemeinden nahezu geschlossen die Anhörung. Das teilte Landrat Christian Gilde (SPD) dem RA mit. Zuvor hatte bereits der Anwalt der B¨¹rgerinitiative Freie Heide, der Berliner Rechtsanwalt Dr. Reiner Geulen, gefordert, das Anhörungsverfahren einzustellen. Geulen begr¨¹ndete seinen Antrag damit, dass die Bundeswehr bisher nicht nachgewiesen hat, welche Flächen in der Heide ihr tatsächlich gehören. Zudem kritisierte er, das die Bundeswehr den Anrainergemeinden des Schießplatzes f¨¹r das Anhörungsverfahren nur unzureichende Unterlagen zur Verf¨¹gung gestellt hat.
Eine weitere Anhörung soll heute in Neuruppin stattfinden.
Politplakat und Bibelvision
Anhörung: Pro Bundeswehr und Freie Heide waren auf Wittstocker Markt präsent
WITTSTOCK “Scharping, schick?Soldaten her, Wittstock braucht die Bundeswehr”, forderte ein Plakat. Daneben flatterte ein Transparent mit der biblischen Vision, “Schwerter zu Pflugscharen.”
Vertreter der Initiative Pro Bundeswehr und der B¨¹rgerinitiative (BI) Freie Heide standen sich gestern auf dem Marktplatz Auge in Auge gegen¨¹ber. Die erste Anhörung zum Truppen¨¹bungsplatz nutzten beide Seiten, um ihren Standpunkt öffentlich darzustellen.
Rein zahlenmäßig besaß die Freie Heide eindeutig das Übergewicht. Die Anhänger von Pro Bundeswehr hatten allerdings zwei Gestelle mit Losungen optisch wirksam vor dem Rathaus postiert. Bundeswehr und Tourismus — kein Problem, versicherte eines ihrer Plakate. Inge und Wilhelm Hoffmann aus Preußisch Oldendorf in Westfalen sahen das anders. Wenn hier ein Bombenabwurfplatz eingerichtet werde, w¨¹rden sie Wittstock nicht mehr besuchen, so das Rentnerehepaar. Auch Reiner Kruse aus Ganz bei Herzsprung glaubt nicht daran, dass sich Tourismus und Bundeswehr miteinander vertragen w¨¹rden. Er habe in Ganz ein größeres Anwesen gekauft, das er später touristisch nutzen wolle. “Aber wenn die Berliner mitbekommen, das sie mit Fluglärm konfrontriert sind, rechne ich mir keine Perspektive aus”, sagte Kruse.
Horst Bredlow aus Basdorf ist strikt gegen die Bundewehrpläne. “Die wollen uns zur¨¹ckbomben in die Russenzeit”, glaubt er. Damals seien die Jagdbomber Tag und Nacht ¨¹ber die Dächer des Dorfes gedröhnt. Nicht mal zu Weihnachten hätten die Snowjets den Flugbetrieb eingestellt. “Als meine Kinder noch klein waren, kamen sie manchmal weinend angelaufen, wenn die Bomben oder Granaten zu nahe an unserem Dorf explodierten. Sie hatten solche Angst” erinnert sich Bredlow. Er sei trotz Stasi¨¹berwachung am 9. November 1989 mit anderen Basdorfern zur großen Demonstration nach Berlin gefahren, “weil wir das in unserem Dorf nicht mehr aushalten konnten”.
Politische Unterst¨¹tzung darf der Basdorfer von Monika Böhme und Johannes Oblaski erwarten, die als Vertreter der Großgemeinde Temnitzquell zur Anhörung nach Wittstock gekommen waren. Temnitzquell wende sich geschlossen gegen jegliche Schießplatz-Pläne, versicherten die Gemeinderäte.
Während sich die Anhänger der Freien Heide auf dem Platz vor dem Rathaus zu einem Kreis formierten, flatterten vom Balkon bunte Flugblätter. Auf einem stand zu lesen: “Das sagt mal später Euren Kindern, die Freie Heide wollt´s verhindern: Die riesige Investition im Umfang hunderter Millionen”. “Euch gehts nur ums Geld” ruft eine Anhängerin der Freien Heide empört zum Balkon hinauf.
Politischen R¨¹ckhalt findet Pro Bundeswehr beim Wittstocker B¨¹rgermeister Lutz Scheidemann (FDP). Der zählt auf, was er sich von der Armee erhofft: Eine Garnison mit etwa 800 Soldaten, dazu etwa 150 Zivilbeschäftigte, Investitionen im Umfang von rund 120 Millionen Mark sowie 400 bis 600 Arbeitsplätze f¨¹r zehn bis zwölf Jahre f¨¹r die von der Bundeswehr angek¨¹ndigte Beräumung des Schießplatzes von Blindgängern. Scheidemann f¨¹hlt sich durch den Ausgang der B¨¹rgermeisterwahl in der Dossestadt am 11.November bestätigt. Mit 53,16 Prozent der Wählerstimmen hatte sich der Amtsinhaber, der sich im Wahlkampf f¨¹r den Truppen¨¹bungsplatz aussprach, klar gegen die Konkurrenten durchgesetzt. Mitbewerber Pierre Schwering, der sich ebenso eindeutig gegen den Schießplatz ausgesprochen hatte, blieb mit 26,93 Prozent Stimmenanteil hinter Scheidemann zur¨¹ck. “Wittstock hat gewählt: Bundeswehr”, verk¨¹ndete denn auch ein Transparent, das Anwohner an einem Balkon gegen¨¹ber dem Rathaus befestigt hatten. Während der Neuruppiner Heide-Aktivist Wolfgang Freese ¨¹ber seine Verstärkeranlage den Marktplatz mit ohrenbetäubendem Fluglärm erf¨¹llte, begaben sich um 14 Uhr die Vertreter der Gemeinden und der Bundeswehr zur Anhörung ins Rathaus. Die Dienste der Polizei, die vorsorglich mit einigen Uniformierten vor Ort war, wurden nicht gebraucht.
Heute wird es in Neuruppin eine weitere nichtöffentliche Anhörung geben. Sie beginnt um 13 Uhr im Neuen Rathaus.
“Sieg Heil”-Rufe in Perleberg
PERLEBERG Wegen “Sieg Heil”- Rufen sowie einem Überfall auf einen 17-Jährigen sind zwei Jugendliche in Perleberg festgenommen worden. Die alkoholisierten 16- und 18-Jährigen und ein dritter junger Mann sollen am Dienstagabend den Jugendlichen angegriffen haben, so die Polizei in Oranienburg. Einer habe das Opfer mit Fäusten und Tritten traktiert. Das leicht verletzte Opfer wurde bis zur Wohnung verfolgt. Als eine Nachbarin mit der Polizei drohte, hätten die Täer rechte Parolen skandiert.