Keine Naziaufmarsch in Halbe: Strammstehen heisst untergehen
Am Sonntag, den 17. November 2002 wollen Alt- und Neonazis in Halbe (ca.45km südöstlich von Berlin) ein “Heldengedenken” abhalten. Der “Trauermarsch” ist von dem Hamburger Neonazi Christian Worch, unter dem Motto “Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten!” für 10 Uhr angemeldet worden.
Für den Aufmarsch auf dem Soldatenfriedhof in Halbe werden neben Freien Kameradschaften auch Mitglieder und Anhänger von verschiedenen rechtsextremen Parteien erwartet. Christian Worch mobilisiert bundesweit für die “Heldenehrung” und will damit an Erfolge Anfang der 90er Jahre anknüpfen.
Zum ersten öffentlichen Gedenken dieser Art kamen 1990 verschiedene rechtsextreme Gruppierungen ( NPD, JN, Wiking-Jugend, Nationalistsiche Front) aus Berlin und Brandenburg Halbe zusammen. Im Folgejahr erfuhr die Veranstaltung innerhalb der Naziszene mehr Aufmerksamkeit, und die Teilnehmerzahl stieg auf über 600 an. Halbe drohte ähnlich dem “Rudolf Heß Gedenken”, welches 1992 in Wunsiedel stattfand, zu einem Wallfahrtsort der Faschisten zu werden. Doch eine antifaschistische Gegenmobilisierung nach Halbe sowie entschlossene Widerstandsaktionen gegen Nazitreffpunkte veranlassten die Polizei dazu, sowohl die Antifa-Demo, als auch den Naziaufmarsch zu verbieten. Infolgedessen mussten die Nazis auf kleine Ersatzkundgebungen in der Umgebung ausweichen. In den Folgejahren verschwand der Aufmarsch jedoch aufgrund von gerichtlichen Verboten von der Bildfläche. Nun möchte Christian Worch in Halbe ein großes Comeback feiern, und die derzeitige breite Mobilisierung in der Naziszene lässt erwarten, dass wohl nicht gerade wenige Nazis anreisen werden, um den “Helden” von Wehrmacht, SS und Volkssturm zu gedenken.
Stramm stehen heißt untergehen — Kesselschlacht in Halbe
In Halbe fand gegen Ende des 2. Weltkrieges vom 24. April bis zum 1. Mai 1945 die letzte große Kesselschlacht statt, bei der sowjetische Rotarmisten die Reste der deutschen 9.Armee einschlossen. Nachdem der befehlende General der Wehrmacht Busse das Kapitulationsangebot der roten Armee ablehnte, kam es zu einer erbitterten Schlacht , die viele Tote auf beiden Seiten forderte. In dem Kessel kamen von 200.000 deutschen Wehrmachts‑, Volkssturm- und SS-Soldaten, 40.000 um.
Seitdem befindet in Halbe, mit ca. 22.000 begrabenen deutschen Soldaten, sowjetischen Rotarmisten und Deserteuren der größte Soldatenfriedhof Deutschlands.
Die Kesselschlacht in Halbe steht exemplarisch für die militärischen Doktrin der Nazis, jeden Millimeter Boden um jeden Preis zu halten, was aufgrund des entschlossenen antifaschistischen Kampfes der roten Armee und der West-Alliierten zum Scheitern verurteilt und unmöglich war. Dennoch ließ die Opferbereitschaft und die bedingungslose Anerkennung des Führerprinzips, also die freiwillige Unterordnung unter die Autorität, sowie der feste Glaube an den Nationalsozialismus und den Endsieg die deutsche Volksgemeinschaft noch stramm stehen als sie schon so gut wie untergegangen war. Dadurch kostete sie noch im letzten Kriegsjahr unzähligen Menschen das Leben. Immer wieder schwor sich die Volksgemeinschaft auf den Endsieg ein, für den Opfer in Kauf genommen werden mussten, denn schließlich sah sie sich selbst als Opfer einer “jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung”.
Die Selbstaufgabe des eigenen Individuums und das Aufgehen in der Masse, das Anerkennen der Volksgemeinschaft als den absoluten sinnstiftenden Wert, bahnte den Weg für den eigenen Opferwahn. Unzählige Male verweigerten deutsche Generäle und Soldaten Kapitulationsangebote, und bekamen dafür in der Heimat Orden und Anerkennung. Was eigentlich jeder Vernunft widersprechen sollte, zweifelten NS-Soldaten weder an noch stellten sie die Autorität in Frage. Die selbstgewählte Unmündigkeit ging in blindem Gehorsam, Denunziation sowie Mit- und Bessermachen auf und erkannte Autorität als ein natürliches Prinzip an.
Deutsche Täter sind keine Opfer.
Dass die Heldengedenken in Deutschland, die jedes Jahr überall in der Bundesrepublik stattfinden, sich größter Beliebtheit bei den Kameraden erfreuen liegt auf der Hand. Immer wieder halten Nazis solche Andachten im trauten Kameradenkreis ab. Die Glorifizierung und Ehrung der “unbesiegbaren” Wehrmacht und Waffen-SS ist elementar für Alt- wie Neonazis und Ausdruck ihrer verbrecherischen Ideologie. Deutsche Täter die einen Angriffs- und Vernichtungskrieg führten, nichts als verbrannte Erde und Leichen hinterließen und schließlich Auschwitz umsetzten und möglich machten werden zu Helden und die Volksgemeinschaft zum Opfer der Alliiertenbombardements stilisiert. Die NS-Ideologie hat die Volksgemeinschaft, die biologisch (Volkskörper) und sozialdarwinistisch (Recht des Stärkeren) konstruiert wird, zur Grundlage. Sie sei die natürliche Erscheinungsform des selbstbestimmten Volkes. Der NS “denunzierte” die Juden, für alles Schlechte verantwortlich zu sein. Bolschewismus und Kapitalismus wurden zum Bestandteil einer “jüdischen Weltverschwörung”, und die Juden zu dem Gegenpart der Arier, zur “Gegenrasse” . Die Unterscheidung in raffendes und schaffendes Kapital, die ehrliche, körperliche und schaffende Arbeit den raffenden Zins- und Spekulationsgeschäften entgegensetzte, die der “aufrechten Plackerei” das mühelose Einkommen entgegenhielt, war nicht darauf ausgerichtet die kapitalistischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zu überwinden. Vielmehr war sie Ausdruck einer fetischisierten Kapitalismuskritik, die die notwendig zusammengehörenden Dimensionen konkret und abstrakt dergestalt auseinandertreten ließ, dass sie eine Identifikation der Juden mit der abstrakten Dimension des Kapitalismus zuließ und die Volksgemeinschaft als organisches Gegenmodell fungieren konnte.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse wurden verschärft, Staat und Gesellschaft gleichgeschaltet, und die Produktionsprozesse nach kapitalistischen Gesichtspunkten verbessert. Die Ausbeutung der Ware Arbeitkraft verlief dank des repressiven Charakters und der Ideologie des NS, reibungslos. Während “Arbeit” die Volksgemeinschaft “frei machte”, wurde Kapitalismus nur mit Zins‑, Börsen- und Spekulationsgeschäften gleichgesetzt und diese wiederum mit den Juden.
Die NS-Ideologie und der Antisemitismus waren die Antwort auf alle Fragen. Auschwitz wurde “zum befreienden Moment” der Volksgemeinschaft.
Die NS-Ideologie gab und gibt ihren Anhängern, einen mehr als zweifelhaften Sinn ihrer Existenz und den Glauben, auf der guten Seite zu kämpfen. Das Heldengedenken ist sowohl eine Selbstbestätigung der Naziszene, als auch Ausdruck des Wunsches, fortzusetzen was Vater und Opa nicht beenden konnten.
Antifa-Sommer 2000?
Die staatliche “Antifa-Offensive” wurde eröffnet als die Republik wochenlang nicht mehr aus den Sommerloch-Schlagzeilen kam. Meldungen von Hetzjagden und Übergriffen durch Neonazis füllten täglich die Medien. Als dann vermutlich Nazis einen Sprengstoffanschlag auf jüdische Einwanderer in Düsseldorf verübten, erwachte die Zivilgesellschaft.
Tausende von Menschen folgten dem Aufruf zum “Aufstand der Anständigen”, gingen auf die Straße und demonstrierten gegen Rechts. Die Themen Faschismus und Rassismus gewannen plötzlich gesellschaftliche Relevanz. Dadurch verbesserten sich auch die institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen für antirassistische und antifaschistisc
he Arbeit. Schließlich mündete der kurze “Aufstand der Anständigen” in Initiativen, Geldern für antifaschistische Projekte und dem NPD-Verbotsverfahren. Das Interesse der rot-grünen Regierung, gegen Nazis vorzugehen, war einerseits ökonomisch geprägt, andererseits moralisch. Das Ansehen der BRD in der Welt war überschattet von dem Fremdenhaß der Deutschen und gefährdete benötigte ausländische Investitionen und Arbeitskräfte. Das konträre Verhalten der Nazis zur Regierungspolitik und die mediale Aufmerksamkeit ließen in den Alt-68ern auch ihre Antinazi-Moral wieder aufflammen und hieß sie, zur Intervention schreiten. Die kurze staatliche Offensive, und ihre z.T. moralische Intention, rückte auch antifaschistische Positionen in die Nähe des bürgerlich-demokratischen Spektrums und löste bei vielen linksradikalen Antifagruppen eine Sinnkrise aus.
Denn diese hatten sich Anfang der 90er Jahre aus Teilen der autonomen Bewegung und vielen Neupolitisierten jenseits staatlichen Einflusses zu einer neuen sozialen Bewegung geformt. Sie entstanden in deutlicher Abgrenzung zum Staat, der nicht gewillt war, gegen Nazistrukturen vorzugehen, dessen Polizisten die Nazis schützten und dessen Repräsentanten faschistische Mörder als fehlgeleitete Jugendliche bezeichneten. Die Aktivitäten dieser jungen Bewegung bestanden aus antifaschistischem Selbstschutz, dem Aufdecken von Nazistrukturen direkten Konfrontation und eigen Organisierungsformen.
Als mit der Regierungsübernahme der rot-grünen Regierung die ehemaligen 68er selbst in den Sesseln der Macht angekommen waren, wirkte sich auch deren “linke Kinderstube” auf die Regierungspolitik aus. Der Überfall auf Jugoslawien im Frühjahr 99 wurde zum antifaschistischen Menschenrechtskrieg deklariert; die Neonazis im eigenen Land wurden zum Abgrenzungsobjekt schlechthin erklärt.
Der Staat “vereinnahmte” Positionen die vorher jahrelang nur Antifagruppen vorbehalten waren. Kein Wunder, dass sich nur noch die Antifagruppen fest im Sattel halten konnten, deren Politik sich ohnehin nicht nur auf die Nazis konzentrierte, sondern ebenso auf die kapitalistischen Verhältnisse, die diese hervorbringen. Heute ist wenig übrig vom dem Aufstand der Anständigen. Getreu dem Motto “aus den Augen aus dem Sinn”, ist das Thema Rassismus und Faschismus aus dem
Blickfeld gekommen. Die Unmöglichkeit eines Regierungsantifaschismus zeigt exemplarisch das NPD-Verbotsverfahren. Durch die Verstrickungen staatlicher Organisationen bis hin zu vereinzelter Unterstützung wird klar, dass das Verhältnis des Staates zu den Faschisten als seine autoritärsten Vertreter immer je nach Sachlage ein taktisches bleibt. Abgesehen davon kann ein NPD-Verbot ohnehin nichts daran ändern, dass es weiterhin Nazis gibt und geben wird. Die gesellschaftlichen Verhältnisse die auf Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung basieren, werden diese immer wieder hervorbringen.
Wer vom Kapitalismus nicht reden will…
Der Anti-Nazi Sommer der Regierung veranschaulichte also noch einmal, was von der radikalen Linken schon lange analysiert wurde: Verfangen in der Standortlogik kapitalistischer Sachzwänge, hassten auch manche Regierungsmitglieder aufrichtig die Nazis. Nicht jedoch ohne gleichzeitig ein neues rassistischen Zuwanderungsgesetz zu verabschieden, Flüchtlinge weiterhin in den Tod abzuschieben und im Zuge der Terrorismusbekämpfung rassistische Vorurteile zu schüren. Kapitalismus führt das Gesetz des sozialen Dschungels, den Sozialdarwinismus der Konkurrenz, das höhere Recht des Stärkeren und das Regime der Fabrik und Konzerne als ökonomische Funktionen mit sich. Das bedeutet nicht, dass der Kapitalismus automatisch zum Faschismus führt, wohl jedoch, dass die Gefahr einer derartigen Entwicklung ihm permanent innewohnt. Die Gesetze des Kapitalismus sind schon heute zu bekämpfen, und das spiegelt sich vor wie nach dem staatlichen “Anti-Nazi-Sommer” im Ansatz des revolutionären Antifaschismus wieder.
…soll vom Faschismus schweigen
Wenig überraschend hat sich auch auf der Erscheinungsebene marodierender Nazis in Deutschland wenig geändert. Die Anzahl von Naziaufmärschen ist seit dem “Anti-Nazi-Sommer” nicht weniger geworden, Übergriffe gegen MigrantInnen sind wieder an der Tagesordnung. Die rechtsextreme Szene ist wieder gestärkt, und hat dies in Wunsiedel mit einer Beteiligung von über 2000 Nazis am Rudolf-Heß-Gedenkmarsch unter Beweis gestellt. Grund genug für die radikale Linke, das Thema “Antinazi” weiter auf der Tagesordnung zu belassen.
Die unmittelbare Bedrohung durch Faschisten fordert das direkte Eingreifen, die extreme Verkörperung herrschender Bedingungen fordert die grundlegende Umwälzung der Verhältnisse. Konkret heisst das fernab jeder Revolution: Naziaufmärsche wo möglich verhindern!
Diese Aufgabe kann nur im Bündnis mit möglichst vielen linken Kräften gelingen. Weitergehende Analysen, Diskussionen und die Organisierung von Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse gehören natürlich davor und danach zum Alltagsgeschäft.
In diesem Sinne: Kommt zum Wochenende nach Berlin!
Stramm stehen heißt untergehen — kein Naziaufmarsch in Halbe. Deutsche Täter sind keine Opfer!
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