Hennigsdorf — Ein 34-jähriger Vietnamese ist in der Nacht zu gestern in
einem Asylbewerberheim in Hennigsdorf getötet worden. Der Mann erlag seinen
schweren Stichverletzungen gestern in einem Berliner Krankenhaus, teilte die
Staatsanwaltschaft Neuruppin. Der Vietnamese soll mit einem weiteren Ausländer in
Streit geraten sein. Wie es zu der verhängnisvollen Auseinandersetzung kam,
ist nicht geklärt. Auch zu Tathergang und möglichen Ursachen wollten die
Ermittler gestern noch keine Angaben machen. Der mutmaßliche Täter war gestern
flüchtig. In dem Gebäude leben 320 Asylbewerber aus 28 Nationen.
Monat: Mai 2003
Spektakuläre Flucht
Grenzübertritt erfolgte vermutlich im Bereich des Industriegebietes.
Am Montag eröffnete die Zweite Große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin die Hauptverhandlung im sogenannten Mordfall Potzlow.
Bereits beim ersten Verhandlungstermin wurde deutlich, welche Strategie die Verteidiger der drei Hauptverdächtigen fahren wollen, denen die Staatsanwaltschaft Mord, Körperverletzung, Nötigung und Erpressung vorwirft. Die Angeklagten Sebastian F (17), Marco F. (24) und Marcel S. (18) gestanden zwar zu Beginn der Verhandlung die Tat, ihre Verteidiger erklärten jedoch anschließend, daß sich ihre Mandanten von nun an zur Sache nicht weiter einlassen werden.
Die drei Männer sollen den zum Tatzeitpunkt 16jährigen Marinus Schöberl auf grausame Weise zu Tode gebracht haben (jW berichtete u.a. am 25.11.2002). Die schweren Mißhandlungen des Opfers begannen in einem Privathaus im brandenburgischen Strehlow. Anwesend waren zu diesem Zeitpunkt noch vier weitere Personen, die von der Staatsanwältin namentlich genannt wurden. Am frühen Morgen des 13. Juli 2002 brachten die drei Tatverdächtigen das Opfer ins nahegelegene Potzlow, wo sie es auf dem Gelände der ehemaligen LPG bestialisch ermordeten.
Der zum Tatzeitpunkt 17jährige Marcel S. hat am Montag faktisch die Hauptverantwortung für das Verbrechen übernommen. Er habe Marinus nach dem Vorbild einer Mordszene aus dem Film »American History X« mit einem Sprung ins Genick getötet, heißt es in einer Erklärung von Marcel S., die von seinem Anwalt verlesen wurde. Die Tat sei mit den beiden anderen nicht abgesprochen gewesen. Er habe einen »Blackout« gehabt und nicht gewußt, was er tat. Andererseits haben Bekannte der Brüder S. den Medien gegenüber mehrfach zu Protokoll gegeben, daß Marcel in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu dem sechs Jahre älteren Marco, dem wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraften Neonazi, stand.
Staatsanwältin Eva Hoffmeister betonte ausdrücklich, daß man die Beschuldigten zur rechten Szene rechne. Die Verteidiger der Angeklagten dagegen bestreiten den rechten Tathintergrund. Die Verhandlung wird am heutigen Mittwoch fortgesetzt.
TAGESSPIEGEL
Das Entsetzen in Saal 2
In Neuruppin stehen drei junge Männer vor Gericht: Sie töteten einen Jungen so, wie es in einem Film gezeigt wird
Es ist diese Stille im Saal 2, die jeden Satz der jungen Staatsanwältin umschließt und den Vortrag der Anklageschrift unerträglich macht. „Aus Angst vor weiteren Schlägen erklärte Marinus, er sei ein Jude, obwohl dies nicht zutraf“, sagt Eva Hoffmeister. Pause. Niemand regt sich im Publikum. „Spätestens in dem Moment, als Marinus gezwungen wurde, in die Kante des Schweinetroges zu beißen, kamen die Angeklagten stillschweigend überein, das Opfer umzubringen.“ Schweigen. Nichts raschelt in dem voll besetzten, lang gestreckten Raum. Hoffmeister starrt in die aufgeklappte Seite. Der Angeklagte Marcel S. sei dann mit seinen Springerstiefeln hochgesprungen „und mit beiden Beinen mit voller Wucht auf den fixierten Hinterkopf von Marinus“. Die Staatsanwältin blättert um. „Infolge des Sprungs kippte Marinus blutend und im Gesicht entstellt zur Seite und gab nur noch ein schwaches Röcheln von sich.“ Würde jetzt jemand weinen oder gar schreien, es wäre fast eine Erlösung. Doch bis auf die Staatsanwältin bleibt es still in Saal 2.
Kaum mehr als zehn Minuten braucht Hoffmeister, dann ist die Anklageschrift verlesen. Im Landgericht Neuruppin hat der Potzlow-Prozess begonnen. Drei junge Männer sind angeklagt. Die Brüder Marco und Marcel S. und ihr Kumpan Sebastian F. haben in der Nacht zum 13. Juli 2002 den 16-jährigen Marinus Schöberl über Stunden hinweg zu Tode gefoltert. Weil der schwächliche, zum Stottern neigende Junge, mit blond gefärbten Haaren und weiten Hiphopper-Hosen, im rechtsextremen Weltbild des Trios als Untermensch und leichtes Opfer galt. Jetzt sitzen die drei da und wirken selbst schwach.
Marco S., mit 24 Jahren der Älteste, hat ein Basecap tief ins Gesicht gezogen. Als Richterin Ria Becher seine persönlichen Daten abfragt, bestätigt Marco S. die Angaben mit „mmh“ und „richtig“. Sein Bruder Marcel, 18 Jahre alt, trägt auch ein Basecap, fast über den Augen. Sebastian F., ebenfalls 18, schaut mit großen Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln in den Saal. Als könne er selbst nicht fassen, was jetzt passiert und was er getan hat. Die Richterin liest seine Daten vor, F. nickt nur. Dann senkt sich der Kopf, so tief, dass er rechtwinklig vom Nacken absteht. In dieser Haltung, die gefalteten Händen auf dem Tisch, hört F. die Anklageschrift. Marco S., der einen Monat nach dem Mord auch noch einen Afrikaner verprügelt hat, senkt den Kopf nur halb. Sein Bruder Marcel sitzt gerade, das trotzige Gesicht beinahe aufrecht.
Keiner der drei sieht noch aus wie ein Skinhead. Ordentliche Kurzhaarfrisuren, Sportswear ohne Auffälligkeiten. Im Juli 2002 liefen sie in szenetypischem Outfit herum, kahl rasiert, Bomberjacke, Stahlkappenschuhe. Sie waren eine Macht im uckermärkischen Potzlow. Die Stärke hat Marinus Schöberl offenbar imponiert. Jedenfalls fühlte er sich zu den drei Glatzköpfen hingezogen, vor allem zu seinem Kumpel Marcel. Der ihn dann am schlimmsten traktierte und ihm in dem Schweinestall den tödlichen „Bordsteinkick“ ins Genick versetzte. So wie es ein Neonazi im Film „Amercian History X“ an einem Schwarzen demonstriert. Marcel war es auch, der zweimal einen schweren Stein auf den Kopf von Marinus warf, um sicherzugehen, dass er tot ist. Und Marcel führte im November prahlend einen Kumpel zur Jauchegrube, in der sie Marinus verscharrt hatten. Sonst wäre das Mordopfer wohl nie entdeckt worden.
Im Gerichtssaal geben die Angeklagten fast nichts von sich. Vielleicht sind sie auch nicht in der Lage, sich vor größerem Publikum zu äußern. Marco S. hat nach der 7. Klasse die Schule abgebrochen. Seine kriminelle Karriere ist beachtlich: Mehr als ein Dutzend Vorstrafen, drei Jahre Haft. Marco S. war erst neun Tage frei, als der Mord geschah.
Der sechs Jahre jüngere Marcel hat den großen Nazi-Bruder immer bewundert. So sehr, dass Marcel sich am Tag, bevor Marco aus dem Gefängnis kam, aus Verehrung eine Glatze scheren ließ. Vorher hatte Marcel zwischen den Jugendszenen gependelt: Mal Hiphopper, dann wieder Neonazi. Der dritte Angeklagte, Sebastian F., gab sich durchgängig „mega rechts“. Der ehemalige Sonderschüler nahm wie Marcel an einem Berufsförderlehrgang teil, mit großen Problemen. Als ihn der psychiatrische Sachverständige in der U‑Haft aufsuchte, lehnte sich F. an ihn wie ein Kind.
Richterin Becher möchte, dass die Angeklagten ihre persönlichen Verhältnisse und die Abhängigkeiten untereinander ohne Hemmungen darlegen können. So wird das Publikum ausgeschlossen, gegen Mittag aber wieder zugelassen. Die Angeklagten schweigen dann wieder, die Anwälte der Brüder S. verlesen Teilgeständnisse, kombiniert mit ein paar Sätzen Reue. Marco S. gibt zu, er habe Marinus geschlagen. Den US-Film mit der Genicktritt-Szene habe er nie gesehen, und ihm sei übel geworden, nach Marcels Sprung auf Marinus’ Kopf. Marcel lässt seinen Verteidiger sagen, „da kam es bei mir zum Blackout. Ich bin wie im Film auf ihn gesprungen.“ Wie sein Bruder würde er alles geben, „wenn ich die Tat ungeschehen machen könnte“.
Der Anwalt von Sebastian F. überlässt es der Richterin, die „Einlassung“ seines Mandanten vorzulesen. Mit mechanischer Stimme sagt sie in die Stille hinein, „ich weiß nicht, warum ich das machte, ich hab’ einfach mitgemacht“. Sebastian F. behauptet, er habe Angst vor den Brüdern S. gehabt: „zu keinem Zeitpunkt wollte ich Marinus verletzen“.
Nach viereinhalb Stunden ist der erste Prozesstag vorbei. Aus Potzlow ist kaum jemand gekommen, auch nicht die Eltern von Marinus. Bis Mitte Juni soll die Verhandlung dauern, die seelische Belastung ist selbst für einen Profi wie Staatsanwältin Hoffmeister nur schwer zu ertragen. „Das ist ein Fall, der sprengt in seiner Grausigkeit wirklich alles, was man kennt“, sagt sie. Irgendwann habe sie angefangen nachts zu träumen, „dass ich einen Bordsteinkick bekomme, wie im Film“.
BERLINER MORGENPOST
Geständnisse im Prozess um den Mord von Potzlow
Die Angeklagten leugnen nicht die Tat, aber die Absicht zu töten
Neuruppin — Er sagt einfach irgendwann: “Ja, ich bin ein Jude.” Zwei
Stunden
schon dauert sein Martyrium, dann ist der Widerstand von Marinus
Schöberl,
dem 16-jährigen, schmächtigen Sonderschüler aus Gerswalde in
Nordbrandenburg,
gebrochen; gezeichnet von zahlreichen Faustschlägen ins Gesicht,
getreten mit
Springerstiefeln, nass bis auf die Knochen, weil sie auf ihn uriniert
haben,
in der Wohnung in Potzlow in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli
vergangenen
Jahres, in deren Verlauf der Junge sterben wird.
Die Brüder Marco Sch. (24) und Marcel Sch. (17) sowie Sebastian F. (18)
sitzen seit gestern vor der Jugendstrafkammer des Neuruppiner
Landgerichts und
müssen sich wegen des Verbrechens verantworten.
“Gib endlich zu, dass du ein Jude bist”, hatten Marco Sch. und
Sebastian F.
von dem Jungen mit den blond gefärbten Haaren und der weiten
Hip-Hop-Hose
immer wieder verlangt. Bis er es tat. “In ihren Augen war er nun ein
Untermensch, nicht mehr wert zu leben”, sagte Staatsanwältin Eva
Hoffmeister zum Auftakt
des Mor
dprozesses gegen die drei mutmaßlichen Neonazis.
Was sie vom Mord in dem Schweinestall der stillgelegten LPG in Potzlow
berichtete, der der Tortur in der Wohnung folgte, ließ den Zuschauern
im
überfüllten Gerichtssaal den Atem stocken. Das Opfer musste in die
Kante eines
steinernen Schweintrogs beißen. Dann sprang Marcel Sch. mit beiden
Füßen auf den
Hinterkopf von Marinus. Durch die Wucht des Stoßes wurde das Gesicht
des
Teenagers zerschmettert, möglicherweise starb er dabei.
Um “sicher” zu gehen, nahm Marcel Sch. eine 30 mal 30 Zentimeter große
Betonplatte und ließ sie auf den Kopf des Jungen krachen. Zweimal. Dann
verscharrten die Täter den entstellten Körper in der Jauchegrube vor
dem Schweinestall.
“Ein Blackout”, ließ der 17-jährige Marcel Sch. durch seinen Anwalt
Volkmar
Schöneburg gestern erklären. “Unbegreiflich”, sagte der Anwalt in einer
Pause, “zumal Marcel und Marinus sich gut gekannt und sie keine
Probleme
miteinander hatten.”
Die Brüder räumten die grausame Tat gestern in den Erklärungen ihrer
Anwälte
ohne Umschweife ein, betonten jedoch, nicht vorgehabt zu haben, den
Jungen
zu töten. “Wir wollten ihm im Stall noch ein bisschen Angst einjagen”,
sagten
sie.
Das sieht die Staatsanwältin anders. Sie geht davon aus, dass die drei
Männer irgendwann im Lauf des Abends, der mit dem Trinkgelage in der
Wohnung einer
Potzlower Familie begonnen hatte, übereingekommen waren, Marinus
umzubringen. Das Motiv ? Laut Staatsanwältin “Spaß an körperlichen
Misshandlungen.” Das
passt kaum zu dem Bild, das gestern Marcel Sch. im Gerichtssaal abgab:
Aschfahl und zitternd, den Tränen nah, saß er auf der Anklagebank. Sein
Bruder
machte ein gefassteren, aber sehr angespannten Eindruck.
Der dritte Angeklagte, Sebastian F., ein einschlägig vorbestrafter
Neonazi
aus Templin, will nur aus “Angst vor den beiden Brüdern” dabei
geblieben sein,
als Marinus umgebracht wurde. “Ich dachte, ich wäre der nächste, wenn
ich
nicht helfe, ihn in der Jauchegrube zu verscharren”, ließ er gestern in
einer
vorbreiteten Erklärung verlauten — eine Version, die sich nicht mit den
Geständnissen der beiden Brüder deckt. Sie bezichtigten den bulligen
Azubi
ihrerseits, Marinus ebenfalls mehrfach geschlagen und gequält zu haben,
ihn sogar vor
dem tödlichen “Bordsteinkick” am Schweinetrog auf die Knie gezwungen zu
haben. Doch Sebastian F. blieb gestern dabei: “Ich wollte Marinus nicht
ernsthaft
verletzen.” Alle drei Angeklagten bekannten in ihren Erklärungen, dass
sie
das Geschehen in jener Sommernacht bereuen.
BERLINER ZEITUNG
Die Beschuldigten lassen ihre Anwälte sprechen
Drei junge Männer stehen vor Gericht — sie sollen Marinus Schöberl
bestialisch getötet haben
NEURUPPIN. Drei schüchterne junge Männer sitzen auf der Anklagebank,
die
Rücken gebeugt blicken sie schweigend zu Boden. Ihre Gesichter
verstecken sie im
Schatten von Mützen und Kapuzen. Sie sehen nicht aus wie skrupellose
Mörder.
Dennoch: Zur Prozesseröffnung am Montag vor dem Landgericht Neuruppin
wirft
ihnen die Staatsanwaltschaft einen der schlimmsten Morde vor, die in
den
vergangenen Jahren in Brandenburg verübt wurden. Sie sollen in der
Nacht zum 13.
Juli 2002 im uckermärkischen Potzlow den 16-jährigen Marinus Schöberl
auf
bestialische Weise umgebracht haben. Weil ihnen sein Äußeres missfiel -
er war
wie ein Hiphopper gekleidet — sollen sie ihn als Juden beschimpft und
in einem
Stall stundenlang auf ihn eingeprügelt haben. Schließlich, so der
Vorwurf,
hätten sie den Schädel des Schülers an einem steinernen Futtertrog
zertreten
und anschließend seine Leiche verscharrt.
“Es war eine fürchterliche Tat”, sagt auch Volkmar Schöneburg, der den
zur
Tatzeit 17-jährigen Marcel Sch. verteidigt. Die Anklage sieht in Marcel
den
Haupttäter. Ebenfalls angeklagt ist dessen 23-jähriger Bruder Marco
Sch. Der
gilt als bekennender Neonazi und sitzt gerade im Gefängnis, weil er
einen
Afrikaner zusammengeschlagen hat. Auch der damals 17-jährige Sebastian
F. ist
angeklagt. “In diesem Prozess geht es nicht darum, wer die Täter waren,
das ist
klar”, sagt Matthias Schöneburg, der Verteidiger von Marco Sch. “Es
geht
darum, wie diese Tat rechtlich bewertet wird.”
Matthias Schöneburg geht davon aus, dass sein Mandant zur Tatzeit
vermindert
schuldfähig war und dass die rechtsextremistische Einstellung der
Angeklagten für die Tat nicht entscheidend war. Das aber sieht
Staatsanwältin Eva
Hofmeister anders: “Der älteste Angeklagte ist fest in der
rechtsextremen Szene
verwurzelt. Das Opfer sah er als Untermenschen an, den er misshandeln
kann.”
Auch die anderen beiden hätten sich der rechten Szene zugehörig gefühlt
und die
in diesen Kreisen üblichen kurzen Haare getragen, dazu Bomberjacken und
Springerstiefel. Die Anklage wirft ihnen vor, nicht nur gemordet,
sondern Marinus
zuvor stundenlang misshandelt zu haben. Gegen seinen Willen sollen sie
ihm
Schnaps eingeflößt haben, bis er sich übergeben musste. Sie hätten
geprügelt.
Sebastian F. habe gar auf den Kopf seines Opfers uriniert. Marinus sei
als
Opfer auserwählt worden, weil er stotterte, weil er blond gefärbte
Haare und
weite Hosen trug. Er sollte sagen, dass er ein Jude sei, obwohl er es
nicht
war. “Sie hatten Spaß an der Misshandlung des körperlich und
vermeintlich auch
geistig unterlegenen Opfers”, sagt die Staatsanwältin.
Die Angeklagten wollen sich vor Gericht nicht äußern, ihre Anwälte
verlesen
Erklärungen. Unisono wird darin behauptet, dass die jungen Männer in
der
Mordnacht betrunken gewesen seien, dass sie eigentlich nichts gegen
Marinus und
kein politisches Motiv für die Tat gehabt hätten. Sie könnten überhaupt
nicht
erklären, warum sie ihn umgebracht haben. Marcel wiederholt, dass er
den so
genannten Bordsteinkick allein ausgeführt habe. Es sei ein Black-out
gewesen.
Die beiden anderen seien von seinem Handeln überrascht gewesen. Das
Opfer
habe nach dem Sprung schrecklich ausgesehen. “Ich habe Marinus dann
zweimal
einen Stein auf den Kopf geworfen.” Warum, sagt er nicht. Marinus sei
ein guter
Kumpel gewesen, mit dem er an jenem Nachmittag noch einen Trabi stehlen
wollte. “Wir haben viele Dinger zusammen gedreht”, heißt es. Marcel
behauptet, er
habe sich anfangs nicht an den Misshandlungen und Beschimpfungen
beteiligt. Er
habe ja nicht einmal wirklich gewusst, was Juden sind. Betrunken wie er
war,
habe er sich mitreißen lassen. “Was mich an diesem Tag dazu angetrieben
hat,
weiß ich nicht.”
In der Erklärung von Sebastian F. heißt es: “Ich weiß nicht, warum ich
mitgemacht habe. Ich hatte nichts gegen Marinus. Ich kannte ihn nicht
mal.” Er
habe ihn an diesem Tag zum ersten Mal gesehen. Marco Sch. lässt
verlesen, dass
ihm im Gefängnis klar geworden sei, dass es eine “ganz schlimme
Straftat” war.
FRANKFURTER RUNDSCHAU
Drei mutmaßliche Rechtsextremisten gestehen Mord
Angeklagte bestreiten, aus politischen Motiven 16-Jährigen umgebracht zu haben / Leiche in Jauchegrube versenkt
Zu Beginn des Mordprozesses um den qualvollen Tod eines 16-jährigen
Schülers
in Brandenburg haben sich drei mutmaßliche Rechtsextremisten am Montag
zu
der Tat bekannt. Vor dem Landgericht Neuruppin bestritten sie jedoch
den
Vorwurf, aus politischen Motiven gehandelt zu haben.
NEU
RUPPIN, 26. Mai (ap/dpa). Die Staatsanwaltschaft wirft den
Angeklagten im
Alter zwischen 18 und 24 Jahren vor, den 16 Jahre alten Marinus S. im
Juli
vergangenen Jahres im Dorf Potzlow bei Prenzlau (Kreis Uckermark) nach
einem
gemeinsamen Trinkabend grausam gequält und anschließend erschlagen zu
haben,
um die Misshandlungen zu verschleiern. Die Angeklagten, zwei zur
Tatzeit 23
und 17 Jahre alte Brüder und ein damals 17 Jahre alter Bekannter der
beiden,
seien mit kahl rasierten Schädeln, Bomberjacken und Springerstiefeln
aufgetreten und in der rechten Szene verwurzelt gewesen. Ihr Opfer,
zunächst ein Kumpel
des jüngeren Bruders, hätten sie als “nicht lebenswert” angesehen und
den
16-Jährigen wegen seiner HipHop-Hosen und der blondierten Frisur
verachtet.
Im Lauf des Trinkabends hatten die Beschuldigten laut Anklagebehörde
Marinus
S. mehrmals aufgefordert, sich zum Judentum zu bekennen. Später hätten
sie
ihm mit Gewalt Schnaps eingeflößt, ihn auf das Gelände einer ehemaligen
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) verschleppt und
dort getötet.
Der Anwalt der Eltern von Marinus S. sagte, das Opfer sei weder Jude
noch
politisch aktiv gewesen. “Die Angeklagten wollten sich ein Feindbild
schaffen”,
sagte er.
Die drei mutmaßlichen Täter bestritten in getrennten Erklärungen ihrer
Verteidiger, aus rechtsextremistischen Motiven gehandelt zu haben. Sie
wüssten
nicht, warum sie Marinus S. umgebracht hätten. Sie bedauerten die Tat
und fänden
für ihr Verhalten keine Erklärung, sagten sie übereinstimmend. Ein
Verteidiger meinte: “Mich stört die einfache Rückführung auf die rechte
Gesinnung. Die
Ursachen liegen viel tiefer.”
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat der jüngere der Brüder und
ehemalige Kumpel von Marinus S. das Opfer auf dem LPG-Gelände mit einem
Stein
erschlagen. Danach wurde die Leiche in einer Jauchegrube versenkt.
Zuvor hatte der
zur Tatzeit 17-Jährige laut Anklage Marinus S. nach dem Vorbild des
Hollywood-Spielfilms “American History X” gezwungen, in die Steinkante
eines
Schweinetrogs zu beißen. Danach sei er mit seinen Springerstiefeln auf
den Kopf des
Opfers gesprungen. In dem extrem realistisch gehaltenen Film aus dem
Jahr 1998
spielt Edward Norton einen weißen Rassisten mit tätowiertem Hakenkreuz,
der
kaltblütig Schwarze ermordet.
Die Anklage in Neuruppin beruht im Wesentlichen auf der Aussage des
jüngeren
Bruders. Der zur Tatzeit 17-jährige hatte Monate nach dem Verschwinden
von
S. mit der Tat geprahlt und Mitschüler zum Tatort geführt. Die
skelettierte
Leiche von S. war im November 2002 in der Jauchegrube gefunden worden.
Die Brüder und der dritte Beschuldigte verfolgten die Anklage mit
gesenkten
Köpfen und ohne äußerliche Regung. Während der Aussagen zur Person war
die
Öffentlichkeit ausgeschlossen. Der Verteidiger des 24-Jährigen sagte,
sein
Mandant habe einen Intelligenzquotienten von unter 60. Vermutlich seien
beide
Brüder vermindert schuldfähig, unter anderem auf Grund des
Alkoholeinflusses.
Da zwei der Angeklagten zur Tatzeit erst 17 Jahre alt waren, fallen sie
unter das Jugendstrafrecht. Sie können wegen Mordes zu höchstens zehn
Jahren
Gefängnis verurteilt werden. Dem 24-Jährigen, der wegen eines Überfalls
auf einen
Afrikaner bereits eine dreijährige Freiheitsstrafe verbüßt, droht
lebenslange Haft.
Der Prozess wird am morgigen Mittwoch fortgesetzt.
MAZ
Einfach ein “Blackout”
Potzlow-Prozess: Marcel Sch. bedauert, dass er Marinus Schöberl
umbrachte
NEURUPPIN Die Tat von Potzlow ist am ersten Prozesstag
selbstverständlich so
unerklärlich geblieben wie in den zehn Monaten zuvor. Wie seit dem 13.
Juli
2002, als Marinus Schöberl, aus welchen Gründen auch immer,
hingerichtet
wurde in einem Schweinestall.
Auch im Hinterzimmer der Gaststätte “Zum Alten Fritz” gegenüber dem
Neuruppiner Landgericht kommt gewiss nicht die ganze Wahrheit zur
Sprache — falls es
sie gibt in dem Fall. Die wenigen Sätze, die Jugendklubleiterin Petra
Freiberg, oft stockend, über die Lippen kommen, deuten jedoch an, dass
es noch eine
weitere Wahrheit geben könnte.
Dass sie mit dem Opfer und dem Täter, der dem 16-Jährigen das Genick
zertrat, besonders vertraut war, wird man nicht behaupten können. Aber
Petra
Freiberg kannte Marinus Schöberl und Marcel S., der 17 Jahre alt war,
als er Marinus
umbrachte. Die Pädagogin weiß auch, was man sich im Dorf über das
schwierige
Verhältnis von Marcel zu seinem älteren Bruder Marco erzählt — und was
im
Gerichtssaal so nicht gesagt wird.
“Die Jugendlichen berichten, Marcel habe Angst vor Marco gehabt”, sagt
Petra
Freiberg . “Dass Marcel kurz vor Marcos Haftentlassung sogar überlegt
hatte,
von zu Hause auszureißen”. Möglicherweise — doch das ist Spekulation -
weil
sich der Jüngere dem Einfluss des Älteren entziehen wollte, der fest in
der
rechtsextremen Szene verankert war und es nicht duldete, dass Marcel
sich die
Haare blau färbte, weit geschnittene Hosen trug und Drogen nahm.
Dass die Eltern der beiden Brüder fähig gewesen wären, den 23-jährigen
Marco
in einem Zornesausbruch zu stoppen, ist bei den Familienverhältnissen
kaum
wahrscheinlich. “Was man sät, das erntet man”, meint Petra Freiberg.
Niemand
am Tisch im “Alten Fritz” widerspricht, auch nicht Bürgermeister Peter
Feike.
Sonst hatte sich niemand aus Potzlow auf den Weg nach Neuruppin
gemacht.
Marcel sei “kein Rechter” gewesen, sagt Petra Freiberg, vielmehr ein
Hiphopper, ein Mitglied derselben Jugendszene wie Marinus. Und Marco,
der Neonazi?
Der habe ihr früher einmal gesagt, er wolle fort aus Potzlow “und sein
Leben
neu ordnen”.
Die Ereignisse nahmen einen anderen Lauf: Marco ordnete nichts neu. Und
Marcel floh nicht, sondern blieb daheim und rasierte sich am 2. Juli
2002, dem
Tag vor der Haftentlassung des Bruders, den Schädel. Wohl um dem
Älteren zu
gefallen.
Verschämt, sollte man sagen: schuldbewusst betraten gestern um 9.32 Uhr
die
beiden wegen Mordes angeklagten Brüder Marcel und Marco S. den
Sitzungssaal
im Neuruppiner Landgericht. Hände in Ketten, den Kopf bedeckt, Mütze
ins
Gesicht gezogen. Nur der dritte wegen Mordes Angeklagte, der 18-jährige
Sebastian
F. aus Templin, kam ungeschützt daher, ohne Kappe, ohne Kapuze. Wollte
wohl
demonstrieren, dass er nichts verbergen wollte.
Starr blickten sie, den Kopf geneigt, meist regungslos, vor sich auf
die
Anklagebank. Keine Mimik. Manchmal linst einer kurz hervor. Nie sucht
Marcel,
der Jüngere, mit Blicken Halt beim Bruder Marco, der ihm, heißt es, ein
Vorbild
war. Als das Amtsgericht Prenzlau 1999 eine 32-monatige Freiheitsstrafe
wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Marco verhängte, war Marcel
13 Jahre
alt. In vier Jahren kann sich viel ändern. Kurz vor der Tat von Potzlow
wurde
Marco auf einem Dorffest verprügelt, und der Ältere wagte sich erst
wieder auf
die Straße, nachdem der Jüngere ihm Schutz durch Freunde zugesichert
hatte.
Über die Tat wollten die Angeklagten gestern nicht reden. Marco sei zu
aufgeregt, erklärte Anwalt Matthias Schöneburg, der die Aufgabe für
seinen
Mandanten übernahm. Der Bruder des Potsdamer Verteidigers, Volkmar
Schöneburg, trug
anschließend vor, was Marcel, Marcos Bruder, zu sagen gehabt hätte:
Marcel
nimmt die Hauptschuld auf
sich. “Umbringen wollte ich Marinus nicht.”
Er habe
einen “Blackout” gehabt, als er Marinus mit beiden Beinen ins Genick
sprang
wie ein Neonazi im Film “American History X”. “Ich wusste nicht, was
ich tat.
Abgesprochen mit den anderen war das nicht. Die waren über mein Handeln
ziemlich überrascht.”
Dann lässt Marcel ausrichten, dass die Tat ihn “sehr belastet” habe und
er
“oft nicht schlafen” konnte. Vier Monate später habe er deshalb zwei
Bekannte
zu der Jauchegrube geführt, in der Marinus verscharrt lag. Marcel: “Ich
kann
nur sagen, dass ich alles bedauere, auch wenn das für die Eltern kein
Trost
ist. Mehr habe ich nicht zu sagen.”
Experte: Gewalt ist Hass gegen Gesellschaft
Jugendliche Gewalt ist nach Ansicht des Wissenschaftlers Rudolf Egg von
der
Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden Ausdruck von “extremem Hass
gegen
die Gesellschaft und sich selbst”. “Gerade wenn junge Männer ihren
Platz in der
Gesellschaft nicht finden, ist die Gefahr groß, dass sie in Gewalt
abgleiten
— als Ersatz für verpasste Chancen, aber auch als Protest.”
Hohe Brutalisierung einer Tat sei ein klares Indiz auf starke innere
Affekte, so der Wiesbadener Experte. “Wer selbst am Rande steht, kann
Befriedigung
darin sehen, einem noch Schwächeren, noch hilfloseren, ärmeren Menschen
Gewalt
anzutun.” In dem Fall des ermordeten Potzlower Schülers ging es nach
Einschätzung des Psychologen auch um Demütigung. “Um sich selbst zu
erheben und den
anderen in den Schmutz zu ziehen”, sei das Opfer in die Jauchegrube
geworfen
worden.
Arbeitslosigkeit erklärt nach Ansicht von Egg Gewalt nicht, setze aber
den
Rahmen. “Je leichter junge Menschen Ziele wie Beruf und Partnerschaft
realisieren können, um so eher sind sie zufrieden mit der Welt und sich
selbst.” Die
Möglichkeiten seien aber gerade im Osten eingeschränkt. Doch es gehe
nicht um
Rechtfertigung für Täter. “Wer sich schwer vergeht an anderen, muss
hinter
Gitter”, so Egg. Nach seiner Erfahrung sei solche Gewalt auch an einen
bestimmten Lebensabschnitt gebunden und trete nach dem 25. Lebensjahr
meist nicht
mehr auf.
Nach Ansicht des Psychologen tut die Gesellschaft zu wenig für
Prävention.
“Das ist eine Frage der Priorität, Deutschland ist kein armes Land”,
sagt Egg
zu dem Argument knapper Kassen.
MAZ
Geständnis im Potzlow-Prozess
Motiv der mutmaßlichen Mörder von Marinus Schöberl bleibt rätselhaft
NEURUPPIN — Zehn Monate nach der Hinrichtung des 16-jährigen Marinus
Schöberl in Potzlow (Uckermark) haben die drei Angeklagten gestern die
Tat in
wesentlichen Teilen gestanden.
Zum Auftakt des Mordprozesses vor dem Landgericht Neuruppin übernahm
der
18-jährige Marcel S. die Hauptverantwortung für das Verbrechen. Er habe
Marinus
am 13. Juli 2002 nach dem Vorbild einer Mordszene aus dem Film
“American
History X” mit einem Sprung ins Genick getötet, ließ Marcel S.
verlesen.
“Abgesprochen mit den anderen war das nicht. Umbringen wollte ich den
Marinus nicht.”
Die beiden anderen Angeklagten — Marcels 24-jähriger Bruder Marco sowie
der
18-jährige Sebastian F. — beteuerten, den Film nicht zu kennen.
Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hat die drei jungen Männer wegen
gemeinschaftlichen Mordes aus niederen Beweggründen angeklagt.
Staatsanwältin Eva
Hoffmeister betonte den vermuteten rechtsextremen Hintergrund. Marinus
habe
sterben müssen, weil seine weitgeschnittenen Hosen und die blond
gefärbten Haare
nicht in das Weltbild der Angeklagten passten. Wegen seiner
Sprachstörung und
der Kleidung hätten sie Marinus als Untermenschen angesehen, den man
beliebig
beleidigen und misshandeln könne. Zudem sei Marinus gezwungen worden,
sich
als Jude zu bezeichnen. In der Vorstellung der Täter habe das Opfer
damit
zugegeben, ein “Verräter” und “unwertes Leben” zu sein. Für die
rechtsextremen
Täter sei dies die entscheidende Rechtfertigung für die weitere
Peinigung
gewesen, so die Staatsanwältin.
Die Verteidiger der drei Angeklagten bestreiten den rechtsextremen
Hintergrund der Tat. Fest steht jedoch, dass zumindest Marco S. sowie
Sebastian F. der
Neonazi-Szene eng verbunden sind. Auch Marcel S. wurde nach der Tat als
Teilnehmer einer NPD-Demonstration gesehen.
Der Tod von Marinus Schöberl hatte im vergangenen Jahr bundesweit
Entsetzen
ausgelöst. Die Leiche wurde erst vier Monate nach der Tat in einer
Jauchegrube freigelegt. Marcel S. selbst hatte zwei Bekannte zum Tatort
geführt.
Ansonsten wäre das Skelett vermutlich nie gefunden worden.
MOZ
Geständnisse im Prozess um Potzlow-Mord
Neuruppin (dpa)- Zehn Monate nach dem brutalen Mord an dem 16-jährigen
Marinus Schöberl aus Potzlow in Brandenburg haben die mutmaßlichen
Täter vor
Gericht Geständnisse abgelegt. Zwei 18 und 24 Jahre alte Brüder aus dem
uckermärkischen Potzlow gestanden, den Schüler stundenlang gequält und
dann in einem
ehemaligen Stall getötet zu haben. “Ich weiß, dass dies eine ganz
schlimme
Straftat ist”, schrieb der 24-Jährige Marco Sch. in einer Erklärung,
die sein
Anwalt vorlas. Wenn er könne, würde er die ganze Sache ungeschehen
machen. Auch
sein ebenfalls angeklagter 18-jähriger Bruder Marcel Sch. ließ sein
Geständnis verlesen.
Der jüngere Bruder räumte ein, dass er seinen Kumpel Marinus – ähnlich
wie
in einer Mord-Szene aus dem Film “American History X” – in einen
Steintrog
beißen ließ und ihn quälte. Danach habe er einen Betonstein auf Marinus
geworfen. Die Leiche versteckten die Angeklagten in einer Jauchegrube.
Die Leiche
wurde erst vier Monate später gefunden.
Laut Anklage betrachteten die Angeklagten – der rechtsextremen Szene
zugerechnet – Marinus wegen seiner Sprachstörung, seinen HipHop-Hosen
und der blond
gefärbten Haare als “Untermenschen”.
Der Prozess wird morgen fortgesetzt. Das Urteil soll frühestens am 18.
Juni
gesprochen werden. Bei Mord drohen dem 24-Jährigen lebenslange Haft und
den
beiden zur Tatzeit Jugendlichen jeweils zehn Jahre Gefängnis.
MOZ
16-Jähriger in Potzlow brutal umgebracht
Prozess eröffnet ‑Angeklagte räumen Tat ein — 30 Zeugen erwartet
Neuruppin (ddp-lbg). Unter großem öffentlichen Interesse hat am Montag
vor
dem Landgericht in Neuruppin der Prozess um die Ermordung eines 16
Jahre alten
Jugendlichen in Potzlow im Norden Brandenburgs begonnen. Angeklagt sind
drei
junge Männer aus Potzlow und Templin im Alter von 18 und 24 Jahren. Die
Staatsanwaltschaft geht von einem rechtsextremistischen Motiv für die
brutale Tat
aus. In Handschellen wurden der 24-jährige Marco Sch., sein 18-jähriger
Bruder Marcel sowie der gleichaltrige Sebastian F. in den
Verhandlungssaal
geführt. Ohne eine Miene zu verziehen, hörten sie dem Verlesen der
Anklageschrift
durch Staatsanwältin Eva Hoffmeister zu.
Mit einem Alkoholgelage in Strehlow bei Potzlow hatte das Martyrium für
Marinus Schöberl am Abend des 12. Juli 2002 begonnen. Der
Staatsanwaltschaft
zufolge wurde er zunächst geschlagen und als Jude beschimpft, auf
seinen Körper
wurde uriniert. Kurz nach vier Uhr nachts brachten ihn die drei
Angeklagten in
einen alten Stall am Dorfrand. Marinus wurde gezwungen, in einen
steinernen
Schweinetrog zu beißen.
Während sich Marcel und Sebastian nach
der Anklage der rechten Szene
«angehörig» fühlen, ist Marco Sch. in dieser «verwurzelt». Seine
Gewaltbereitschaft
sei auch deshalb so groß gewesen, weil Marinus weite Hiphopper-Hosen
trug und
sich die Haare gefärbt hatte, betonte Hoffmeister. Gegenüber den
Ermittlern
behauptete Marcel, der Kinofilm «American History X» habe ihm das
Vorbild für
seine Taten geliefert.
Marcels Sch. Anwalt Volkmar Schöneburg warnte davor, die Tat alleine
auf die
rechtsradikale Gesinnung der jungen Männer zurückzuführen. Die Ursachen
dafür lägen tiefer. Sowohl er als auch der Anwalt von Marco Sch.,
Matthias
Schöneburg, deuteten an, dass sie auf «verminderte Schuldfähigkeit»
ihrer Mandaten
plädieren würden. Alkohol spiele «mit Sicherheit» noch eine Rolle.
Laut seiner Stellungnahme blieb Marcel an den ersten Übergriffen gegen
Marinus in Strehlow zwar unbeteiligt, ließ sich später jedoch immer
stärker
mitreißen. Den Tritt mit den Springerstiefeln auf den Schädel des
Opfers beschrieb
Marcel als «Black-Out», das «nicht abgesprochen» gewesen sei. Ebenfalls
gab
er zu, den Stein auf den Kopf von Marinus geworfen zu haben. Im
Nachhinein
verstehe er die Beweggründe für seine Tat nicht mehr, ließ Marcel über
seinen
Anwalt verlauten. Er bedauerte die Tat, die er gerne ungeschehen machen
würde.
Marco Sch. gab über seinen Rechtsvertreter zu, beim Zechen gegenüber
Marinus
gewalttätig geworden zu sein. Später im Stall habe Marcel «plötzlich»
auf
den Kopf von Marinus getreten. Dass sein Bruder anschließend den Stein
geworfen
habe, habe er selbst nicht mitbekommen. Das habe ihm Sebastian F.
berichtet.
Dieser gab den Brüdern die Hauptschuld am Gewaltausbruch. Er habe aber
mitgemacht, ohne zu wissen, warum. Er versicherte: «Zu keinem Zeitpunkt
wollte ich
Marinus verletzen». «Marcel drehte einfach durch», sagte Sebastian F.
weiter.
Dem 24-jährigen Marco Sch. droht eine lebenslange Haft. Die beiden
anderen
fallen unter das Jugendstrafrecht. Sie kann eine Höchststrafe von zehn
Jahren
treffen. Der Prozess geht am Mittwoch weiter. Er ist auf zehn
Verhandlungstage anberaumt. Insgesamt sollen über 30 Zeugen gehört
werden. Am 18. Juni wird
das Urteil erwartet.
TAZ
“Sag, dass du ein Jude bist!”
In Neuruppin begann gestern der Prozess gegen drei junge Männer, die im
Juli
2001 einen Bekannten grausam umbrachten. Die Polizei wurde erst nach
Monaten
geholt
NEURUPPIN taz Die Brüder haben ihre Baseballmützen tief in die Stirn
gezogen, als die Beamten sie in den Gerichtssaal führen. Ein Mord wird
den drei
jungen Männern vorgeworfen, den beiden Brüdern und ihrem Freund. Seit
gestern
sitzen sie im Landgericht Neuruppin auf der Anklagebank. Eine
schweigende Wand.
Man kann nicht sehen, was hinter den Gesichtern vorgeht. Auch als die
Brüder
ihre Mützen abnehmen, man kann nicht sagen, ob sie das Grausame, was
sie
getan haben, bereuen. Den Mord am 16-jährigen Marinus Sch. Wegen einer
falschen
Hose und einer falschen Frisur.
Man weiß nur, dass der jüngere Bruder, der heute 18-jährige Marcel
Sch., im
November vergangenen Jahres noch geprahlt hat mit seiner Tat. Er war
betrunken, und er hat ein paar Kumpels hingeführt auf das Gelände der
stillgelegten
LPG am Dorfrand von Potzlow, dem kleinen Ort in der Uckermark, wo sie
alle
herkommen. Marcel hat in der Jauchegrube gestochert und hat den anderen
sein
totes Opfer gezeigt. Den Leichnam von Marinus Sch.
Es war in der Nacht zum 13. Juli 2001 passiert. Marinus war 16 Jahre
alt
damals. Ein Junge, der Anschluss suchte bei den Starken im Dorf, weil
er selbst
ein Schwacher war. Am Tag vorher hatte es ein Dorffest gegeben. Jetzt
saßen
sie alle zusammen und tranken. Die Starken waren Marcel Sch., sein
Bruder
Marco Sch., 23 Jahre alt, und Sebastian F., 17 Jahre alt. Sie saßen
zusammen wie
Freunde. Plötzlich störten sich die anderen an der weiten Hose, die
Marinus
trug, an den blond gefärbten Haaren, seinem Sprachfehler. Sie selbst
hatten
Bomberjacken und Springerstiefel, die Haare waren kurz geschoren. Sie
riefen:
“Ein anständiger Deutscher trägt so was nicht. Sag, dass du ein Jude
bist.”
Sie schlugen Marinus ins Gesicht, flößten ihm Bier und Schnaps ein.
Erst spät
ließen sie von ihm ab und schleppten ihn auf das Gelände der alten LPG.
Dort
traten sie weiter zu. Es kam zu einer stillschweigenden Übereinkunft,
Marinus
zu töten, sagt die Staatsanwaltschaft jetzt. Als der Puls nicht mehr
schlug,
versenkten sie den leblosen Körper des Opfers in der Jauchegrube.
Es hat vier Stunden gedauert, bis Marinus tot war an jenem Abend.
Danach
passiert vier Monate lang nichts in Potzlow. Keiner der drei hat etwas
erzählt.
Einige Wochen später schlug der ältere Bruder, Marco Sch., in Prenzlau
einen
Asylbewerber aus Sierra Leone zusammen. Er wurde zu drei Jahren Haft
verurteilt. Über den toten Marinus in der Jauchegrube kein Ton.
Erst viel später, im November, verriet sein jüngerer Bruder den anderen
Freunden das Geheimnis der alten LPG. Er war betrunken an dem Tag.
Keiner hat die
Polizei gerufen danach. Aber es hat sich rumgesprochen. Und weil es
herumging unter den Jungen im Ort, haben Kinder auf dem Gelände
angefangen, selbst zu
graben. Als sie auf die Leiche stießen, hat einer doch die Polizei
angerufen, anonym.
Gestern hat nun also der Prozess gegen die beiden Brüder Marco und
Marcel
Sch. sowie ihren Freund Sebastian F. begonnen. Laut Staatsanwaltschaft
ist die
Zugehörigkeit aller drei zur rechten Szene “sehr deutlich” zu erkennen.
Die
Angeklagten schweigen, die Anwälte verlesen ihre Erklärungen. Demnach
wollte
keiner der drei Marinus Sch. umbringen. Marcel Sch. sagt, er hätte
einen
Blackout gehabt. Sein Freund Sebastian F. meint, die Brüder seien die
treibende
Kraft gewesen. Er hätte aus Angst vor ihnen nur mitgemacht. Die Anwälte
werden
auf verminderte Schuldfähigkeit plädieren. Wegen des Alkohols, der im
Spiel
war. Eine Frau hinten im Gerichtssaal weint. Morgen wird der Prozess
fortgesetzt.
LAUSITZER RUNDSCHAU
Mord nach Drehbuch: Geständnisse im Potzlow-Prozess
Anklage sieht rechtsextremistisches Motiv für grausame Tat
Die Angeklagten sagten kein Wort und dennoch scheint der Prozess zu dem
brutalen Tod an dem 16-jährigen Marinus aus Potzlow (Uckermark) schon
so gut wie
gelaufen zu sein. Zehn Monate nach der Tat legten die drei mutmaßlichen
Täter, die laut Anklage zur rechten Szene gehören, gestern vor dem
Landgericht
Neuruppin schriftliche Geständnisse ab. Zwei 18 und 24 Jahre alte
Brüder räumten
ein, den Schüler am Morgen des 13. Juli 2002 stundenlang gequält und
dann in
einem Stall getötet zu haben.
Die entscheidende, grausame Szene habe sich der 18-Jährige in einem
Film –
“American History X” – abgeguckt, las sein Verteidiger vor. Der dritte,
ebenfalls 18 Jahre alte Angeklagte gab nur zu, geschlagen zu haben.
Alle drei
zeigten zumindest äußerlich Reue.
Seinerzeit trank das Trio zunächst bei Bekannten, wie aus den
Erklärungen
hervorgeht. Dann sei Marinus, der früher in Potzlow wohnte und es
einmal wieder
besuchte, beschimpft worden. “Sag, dass Du ein Jude bist”, forderten
die
Angeklagten ihn auf. Irgendwann bejahte der 16-Jährige das, woraufhin
alle
drei
auf ihn einschlugen. In der Morgendämmerung fuhren die Angreifer nach
Hause,
kehrten jedoch zurück, um Marinus abzuholen.
Auf der Rückfahrt kamen sie an einem leer stehenden Stall vorbei, wo
die
Auseinandersetzung schließlich eskalierte. Der jüngere der Brüder
räumte ein,
dass er seinen Kumpel Marinus wie im Film “American History X” in einen
Stein
beißen ließ und “im Blackout” auf seinen Kopf sprang. Danach habe er
zwei Mal
einen Betonstein auf Marinus geworfen. Die Leiche versteckten die
Angeklagten
in einer Jauchegrube. Der Vorfall wurde vier Monate später bekannt.
“Die Tat hat mich sehr belastet, ich konnte nachts nicht schlafen”,
heißt es
in der Erklärung des jüngeren der Brüder. Deshalb habe er schließlich
einige
Mitschüler zu der Grube geführt.
Laut Anklage betrachteten Marinus Peiniger ihn wegen einer
Sprachstörung,
seinen Hip-Hop-Hosen und der blond gefärbten Haare als “Untermenschen”.
“Ich
war selbst mal wie ein Hip-Hopper gekleidet. Was sich an dem Abend
ereignet
hat, verstehe ich selbst nicht”, sagt der jüngere der Brüder heute.
Laut
Anklage, die den Beschuldigten ein rechtsextremistisches Motiv
unterstellt, hatten
alle drei Angeklagten damals kahl rasierte Köpfe, trugen
Springerstiefel und
Bomberjacken. Vor Gericht erschienen die jungen Männer jetzt ohne
dieses
Outfit.
Für die Verteidiger der angeklagten Brüder ist das Verbrechen nicht
eindeutig rechtsradikal motiviert. “Das ist ein kompliziertes
Beziehungsgemenge”,
meint Anwalt Matthias Schöneburg. Sein 24-jähriger Mandant hat den
Abschluss der
siebten Klasse, der 18-jährige Bruder die achte Klasse geschafft. “Der
Jüngere und der Marinus waren oft zusammen, bastelten an Mopeds und
haben noch am
Abend zuvor gemeinsam versucht, ein Auto zu stehlen”, verdeutlicht
Anwalt
Volkmar Schöneburg, die Verteidiger sind Brüder.
Beide halten die Anklage für “sehr oberflächlich”. Den Alkohol, das
schwierige Verhältnis der Brüder und das Hinzukommen des anderen
18-Jährigen – der
die Gruppendynamik störte – halten sie bei der Motivlage für
entscheidender.
“Gerade das ambivalente Verhältnis der Brüder bedarf umfassender
Aufklärung”,
merkt auch Richterin Ria Becher an.
Der Prozess wird morgen fortgesetzt. Bei Mord drohen dem 24-Jährigen
lebenslange Haft und den beiden zur Tatzeit Jugendlichen jeweils zehn
Jahre
Gefängnis.
Hintergrund Der Film “American History X”
Der Film “American History X” des britischen Filmregisseurs Tony Kaye
diente
den wegen Mordes angeklagten Brüdern im Potzlow-Prozess laut
Staatsanwaltschaft als Vorbild. Er kam 1999 in die deutschen Kinos. Der
Streifen beschreibt
Rassenhass, Gewalt und Antisemitismus in den USA. Edward Norton spielt
den
weißen Rassisten Derek Vinyard, der seine Einstellung offen auf die
Brust
tätowiert hat: ein schwarzes, großes Hakenkreuz. Derek lebt mit seiner
Familie in
ärmlichen Verhältnissen. Als drei Schwarze sein Auto stehlen wollen,
mordet
er kaltblütig vor den Augen seines jüngeren Bruders. Die Bluttat bringt
dem
hasserfüllten Kahlrasierten nicht nur Ehre unter seinen
Skinhead-Freunden ein,
sondern auch drei Jahre Gefängnis. Dort muss er lernen, dass sich die
Rollen
vertauschen. “Hier drin bist du der Nigger, nicht ich”, belehrt ihn
sein
schwarzer Mitinsasse Lamont (Guy Torry). Nach der Entlassung hat
Vinyard nur noch
ein Ziel: seinen kleinen Bruder, der sich ebenfalls den Skinheads
angeschlossen hat, von diesem Weg abzubringen.
Ruppiner Anzeiger
„Potzlow“: Angeklagte gestehen
Staatsanwalt: Täter aus rechter Szene
NEURUPPIN Im gestern vor dem Neuruppiner Landgericht eröffneten Prozess um den bestialischen Mord an dem 16-jährigen Marinus Sch., der im Juli 2002 in Potzlow geschah, haben die drei Angeklagten weit reichende Geständnisse abgelegt.
Nach ihren Einlassungen hat der damals 17-jährige Marcel Sch. Mit seinen Springerstiefeln und einem Gasbetonstein auf seinen einstigen Freund eingetreten und eingeschlagen. Anschließend wurde der tote Junge in einer Jauchegrube versenkt.
Über die vorausgegangenen Stunden der Folter, die für Marinus mit dem Tod endeten, wollten die Brüder Marco und Marcel Sch. aus Potzlow (Uckermark) und Sebastian F. aus Templin nicht sprechen. Ihre Anwälte und das Gericht verlasen die Geständnisse.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich das Trio gemeinschaftlich der Nötigung, der gefährlichen Körperverletzung, des versuchten Mordes und des Mordes schuldig gemacht hat. Die Anklage ist überzeugt: Die drei Männer haben aus Stiller Übereinkunft heraus „grausam und aus niedrigen Beweggründen“ Marinus Sch. getötet und dabei Spaß empfunden. Das zur rechten Szene zählende Trio habe sein Opfer als minderwertig angesehen.
„Weiß gar nicht, was Juden sind“
Weil drei Männer in Marinus Sch. einen Unmenschen sahen, musste der 16-jährige bestialisch sterben
NEURUPPIN Die Vorsitzende Richterin Ria Becher schaute zu den Angeklagten. Für mehrere Sekunden scheint sie keine Worte zu finden. Als denke auch sie: Was gerade im Saal zwei des Neuruppiner Landgerichts zu hören war, darf nicht passiert sein. So pervers kann kein Mensch handeln.
Doch die drei angeklagten Marco Sch.(24), Marcel Sch.(17) und Sebastian F. (17), werden einige Stunden später in groben Zügen bestätigen, was ihnen die Anklage vorwirft. Und was keinem Zuhörer in den Kopf gehen will.
Ein ganz normales Dorf in der Uckermark. Ein Nachmittag, an dem bereits gesoffen wird. Zur Unterhaltung dienen Musikkassetten „mit DVU-Zeug und Frank Rennecke“, so Marcel Sch. Rennecke, einer der Größen im rechtsextremen Liedermacher-Spektrum. Es folgt ein Abend, an dem die Männer weiter saufen. An dem einer, der eher zufällig in die Runde geraten scheint, zum Außenseiter stilisiert wird. Marinus Sch.: der mit den weiten Hosen und blond gefärbten Haaren, der Stotterer. Das passt nicht ins Bild jenes Trios, das sich einig ist, wie ein deutscher Mann aufzutreten hat. „Kahl rasierter Schädel, Stahlkappenschuhe, Springerstiefel, Bomberjacke“, so beschreit Staatsanwältin Eva Hoffmeister das Äußere der drei Männer. Vor Gericht bemühen sie sich um zivilisiertes Aussehen. Auf den Köpfen wachsen wieder Haare, die Kleidung verrät nichts von rechtsextremer Gesinnung.
Was sie von ihrem Opfer Marinus in jener Nacht halten beschreibt die Anklägerin: „Den haben sie als Untermenschen angesehen.“ Für die Brüder Marco und Marcel sowie Marcels Freund Sebastian ist Untermensch gleich zu setzen mit Jude. „Sag, dass du ein Jude bist!“, soll Marinus wiederholt gefordert worden sein. In der Sprache von Marco Sch. heißt das: „Wir haben ihn alle gehänselt.“ Und sein Bruder Marcel erklärt: „ich weiß gar nicht richtig was Juden sind.“ Ein Detail dieser Horrornacht vom 12 auf den 13. Juli 2002 bestand darin, dass auf den am Boden liegenden Marinus gepinkelt wurde. Laut Marcel Sch. soll der Geschundene gebeten haben, damit aufzuhören. Sebastian F. soll daraufhin, so erinnert sich Marcel Sch. gesagt haben: „Juden saufen doch gern Pisse!“
Bei den ersten Schlägen, die Marinus auf der Veranda verpasst werden, sind noch Zeugen zugegen. Die raten dem Opfer lediglich zusagen, dass er Jude sei. Dann habe er vielleicht Ruhe. Die Polizei alarmieren sie nicht. Den letzten Schlag auf der Veranda verabreicht Sebastian F. der Fausthieb ist so heftig, dass Marinus mit dem Stuhl umkippt. In der Einlassung des 17-jährigen hei&szl
ig;t es: „Irgendwann machte ich mit. Ich weiß nicht warum, ich hatte nichts gegen ihn.“
Nach diese bereits endlos erscheinenden Mixtur perverser Quälereien aus Zwangssaufen, Urinieren, Beleidigungen und Faustschlägen verschwinden die Täter. Doch auf dem Weg ins Nachbardorf Potzlow überlegen sie es sich anders. „In der Nähe der Schweineställe hatten wir die Idee, ihm weiter Angst einzujagen“, lässt Marco Sch. seinen Anwalt verlesen. Sie radelten zurück, holen Marinus und lassen die Gewalt voll eskalieren.
Vor einigen Jahren entsetzte ein amerikanischer Kinofilm die Zuschauer. Darin lässt ein Neonazi einen schwarzen in den Bordstein beißen, fordert ihn auf: „Jetzt sag gute Nacht!“ und versetzt ihm tödliche Tritte auf den Schädel. Marco und Sebastian behaupten, diesen Film nie gesehen zu haben. Allein Marcel äußert sich nicht dazu.
Die Aussagen von Marco Sch. und Sebastian F. widersprechen sich, wer es schließlich war, der das Opfer aufforderte, in den Beton des Schweinetrogs zubeißen. Klar ist nur, dass es ab diesem Moment Marcel Sch. ist, der sich als brutalster beweisen will. Zwar ist sein Kumpel Sebastian, der Marinus auf die Knie zwingt und in die Betonkante beißen lässt. Doch dann kommt das, was Marcel Sch. als „mein Blackout“ bezeichnet. Auch die schriftlichen Einlassungen können nicht vermitteln, was in solch einem Gehirn vorgeht, wenn dieser 17-jährige laut Staatsanwaltschaft „Mit seinen schwarzen Springerstiefeln hochspringt und mit voller Wucht auf den fixierten Hinterkopf des Opfers trifft“. Aus Ohren, Nase und Mund fließt das Blut, das Gesicht ist entstellt. „Er sah furchtbar aus“, so Marco Sch. Das Opfer soll noch geröchelt haben. Da gibt Marcel Sch. seinem einstigen Freund, mit dem er zusammen Mopeds gebastelt hat, den Todesstoß. Er holt einen weißen Gasbetonstein und schmettert ihn mehrfach auf den wehrlosen, vielleicht gar schon toten Jungen. Anschließend schmeißen die drei Täter ihr Opfer in eine Jauchegrube, die sie mit Erde zu schütten.
Es dauert vier Monate, ehe die Ermittlungsbehörden den grausamen Fund machen. Im Mai 2003 will Marcel nichts mehr davon wissen, dass er sich angeblich im Suff verquatscht hat und schließlich darauf wettete, den Beweis dafür liefern zu können, einen Menschen auf dem Gewissen zu haben. Jetzt ließt sich das so: „Die Tat hat mich sehr belastet. Ich konnte oft nicht schlafen.“ Auf Papier drückt er – wie auch sein Bruder – Bedauern aus. „Ich würde alles auf der Welt tun, die Tat ungeschehen zu machen. Aber davon wird Marinus nicht lebendig. Ich bedauere alles, auch wenn das für die Eltern kein Trost ist. Mehr habe ich nicht zu sagen.“
Gestern hatte er erst gar nichts zu sagen. Alle drei Angeklagten wollen nach ihrer derzeitigen Bekunden den Prozess schweigend verfolgen. Sebastian F. weigert sich sogar, Angaben zur eigenen Person zu machen – obwohl die Richterin für diese Zeit verfügt, die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen. So wird hinter verschlossener Tür darüber verhandelt, in welcher Beziehung die Brüder zueinander verhandeln.
In den vergangenen Monaten war immer wieder die Rede davon, dass Marcel eine zwiegespaltene Persönlichkeit sei. Ist er mit seinem Bruder zusammen, gebe er den Rechtsradikalen. Ist dieser im Knast, sei Marcel wie ausgewechselt und gebe rein äußerlich ein Bild ab, dass eher auf einen Anhänger der linksalternativen Szene schließen lasse.
Der auf zehn Verhandlungstage angesetzte Prozess wird morgen mit der Vernehmung mehrerer Zeugen fortgesetzt.
NEURUPPIN Der Gerichtssaal des Neuruppiner Landgerichts war bis auf den letzten Platz gefüllt. Es waren auch einige Menschen die zumindest zeitweise in Potzlow leben anwesend .
Auffällig, dass kaum VertreterInnen der rechten Szene im Publikum befanden.Ebenso erwähnenswert ist es, dass die Eltern von Marinus Schöberl den Prozessauftakt nicht verfolgten, wie der Tagesspiegel berichtete.
Hauptteil des ersten, von zehn angesetzten Prozesstagen, in denen ca. 30 ZeugInnen gehört werden sollen, war die Verlesung der Anklageschrift.
Inhalt dieser Anklageschrift, der Ausschluß der Öffentlichkeit während der Verlesung der persönlichen Daten der Angeklagten, sind umfassend in der Presse beschrieben.
Ebenso die Erklärungen bzw. Geständnisse der drei Angeklagten.
Darauf gehen wir hier nicht weiter ein.
Festzuhalten ist, ein eindeutig rechtsextremer Hintergrund der Tat. Als Beispiel, die Forderung der Täter, dass Marinus sich als Jude bekennen sollte, was nicht den Tatsachen entspricht. Staatsanwältin Eva Hoffmeister: „Aus Angst vor weiteren Schlägen erklärte Marinus, er sei ein Jude, obwohl dies nicht zutraf“.
Nach dem ersten Prozesstag stellen sich für uns, als ProzessbeobachterInnen, mehrere Fragen.
Was ist dran, an dem, was Petra Freiberg, die Leiterin des Potzlower Jugendclubs, der MAZ im Interview erzählte?
Zitat MAZ 27.05.03:
Die Pädagogin weiß auch, was man sich im Dorf über das
schwierige Verhältnis von Marcel zu seinem älteren Bruder Marco erzählt — und was im Gerichtssaal so nicht gesagt wird.
“Die Jugendlichen berichten, Marcel habe Angst vor Marco gehabt”, sagt Petra Freiberg . “Dass Marcel kurz vor Marcos Haftentlassung sogar überlegt hatte, von zu Hause auszureißen”. Möglicherweise — doch das ist Spekulation[…]
Hatte Marcel Sch. einen Beweisdrang vor dem „bekennenden Neonazi“ (Berliner Zeitung) Sebastian F. und dem „vorbestraften Neonazi“ (Berliner Morgenpost), womit sein Bruder Marco Sch. gemeint ist?
Hätten die AugenzeugInnen der Tat den Mord an Marinus verhindern können?
Die Zeugenaussagen werden diesbezüglich sehr interessant sein.
Wie war es überhaupt möglich diesen Mord in einem Ort wie Potzlow, „wo Jeder Jeden kennt“, über Monate geheim zu halten? Es lag anscheinend nicht nur daran, dass die drei Täter den Mord verschwiegen.
Warum fand die Polizei nicht die Schuhe von Marinus, welche die Täter einfach ins Gebüsch warfen? Warum ergaben die Befragungen der Polizei bei Potzlower BürgerInnen nichts?
Wir sind auf die Strategie der Verteidigung sehr gespannt. In Fernsehinterviews war bereits rauszuhören, dass die Tat entpolitisiert werden könnte, was leider kein unbekanntes Vorgehen ist.
Wir werden den Prozess weiter verfolgen und, wenn es uns notwendig erscheint, mit eigenen Berichten die Presseartikel ergänzen.
Kein Vergeben – Kein Vergessen!
Potsdam — Die V‑Mann-Affäre, die laut Parlamentarischer
Kontrollkommission
(PKK) keine ist und von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) seit voriger
Woche
als “vollständig aufgeklärt” eingestuft wird, sorgt in Potsdamer
Regierungskreisen weiter für Unruhe. In der Staatskanzlei wird
gemutmaßt, dass die in der
Kommission vertretenen Parlamentarier von SPD, CDU und PDS den Fall des
V‑Mannes, der einen Neonazi in einem abgehörten Telefonat vor einer
anstehenden
Razzia warnte, allzu vorschnell für weitgehend beendet erklärt haben.
Der Kommissions-Vorsitzende Christoph Schulze (SPD) hatte nach der mehr
als
vierstündigen Sitzung erklärt, es gebe keine V‑Mann-Affäre, was auch in
der
eigenen Fraktion für Verwunderung sorgte. Denn nach Bekanntwerden des
Falls
hatte Schulze sogar damit gedroht, seinen Vorsitz niederzulegen, sollte
Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin die Kommission nicht über den
brisanten Verrat
informiert haben. Anschließend gab er sich mit der Entschuldigung von
Wegesin
zufrieden, der diese Panne einräumte.
Seit vergangener Woche schieben sich die Behörden nun gegenseitig den
schwarzen Peter zu. Der Generalbundesstaatsanwalt dementiert die
Potsdamer Version,
über den Verrat der Razzia rechtzeitig informiert gewesen zu sein. Und
das
Verfassungsschutzamt und das Landeskriminalamt müssen sich fragen
lassen,
weshalb der V‑Mann erst 18 Monate nach dem Verrat abgeschaltet wurde
und die
Staatsanwaltschaft nicht sofort wegen Geheimnisverrats ermittelte.
Laut Nachrichtenmagazin Focus soll sich Wegesin nachdrücklich für den
Schutz
des Spitzels eingesetzt haben. Deshalb will die Staatsanwaltschaft
Potsdam
dem Vorwurf der Vertuschung durch Polizei oder Verfassungsschutz
nachgehen,
falls das Innenministerium die Ermittlung genehmigt. Da zu der
Vorgehensweise
der Sicherheitsbehörden unterschiedliche Varianten vorliegen, sei es
zum
gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht, “irgendwelche Schlussfolgerungen” zu
ziehen,
schränkte ihr Sprecher Ralf Roggenbuck gestern ein.
Gedenkkreuz auf den Seelower Höhen
Seelow (ddp-lbg). Auf den Seelower Höhen wird ein Gedenkkreuz für die
im
Krieg gefallenen christlichen russischen Soldaten aufgestellt. Der
russisch-orthodoxe Metropolit German von Wolgograd und Kamyschin segnet
das Kreuz am
Mittwoch (10.00 Uhr) unweit des sowjetischen Soldatenfriedhofs,
kündigten das
Museum und der CDU-Bundestagsabgeordnete Rainer Eppelmann an. Es handle
sich um
eine Geste der Versöhnung über den Gräbern der ehemaligen Kriegsgegner.
Seit 1945 erinnern ein sowjetisches Soldatendenkmal und ab 1972 eine
nach
der Wende völlig umgestaltete Gedenkstätte an die letzte große
Feldschlacht des
Zweiten Weltkriegs. Im April 1945 waren vor den Seelower Höhen mehr als
100
000 Soldaten und Zivilisten ums Leben gekommen.
Die Aufstellung des Kreuzes sei eingebettet in den heutigen Auftrag des
Museums, den Toten aller Nationen zu gedenken und das Geschehen
objektiv
darzustellen, sagte Gedenkstellen-Leiter Gerd-Ulrich Herrmann. Seit
1972 kamen 1,7
Millionen Menschen in die Gedenkstätte, 2002 waren es 26 500 Besucher.
Zwei Übergriffe in Lauchhammer
Eine Gruppe von acht bis zehn unbekannten Personen fiel in der Nacht zu Sonntag in der Lauchhammeraner Grundhofstraße über einen 20-jährigen Mann her. Die Rowdies schlugen mit Fäusten und einer Bierflasche auf den Geschädigten ein. Er musste sich anschließend in ärztliche Behandlung begeben.
Geschubst. Unbekannte stießen ebenfalls in der Nacht von Samstag zu Sonntag in der Ruhlander Straße in Schwarzheide einen 19-Jährigen vom Fahrrad. Er zog sich dabei Schürfwunden zu.
Oranienburg — Ein 44-jähriger Ukrainer und seine beiden 20 und 14 Jahre alten Söhne sind in der Nacht zu Montag in Oranienburg (Oberhavel)
Opfer eines
ausländerfeindlichen Überfalls geworden. Nach Polizeiangaben wurde dem
Vater
aus einer Gruppe von fünf Jugendlichen heraus zunächst ins Gesicht
geschlagen.
Außerdem skandierten die Angreifer ausländerfeindliche Beleidigungen.
Die
Ukrainer flüchteten und informierten die Polizei. Eine sofortige
Fahndung nach
den Tätern blieb erfolglos.
Prozessauftakt wegen Potzlow-Mord
Beschimpft, gefoltert, totgetreten und verscharrt
Heute beginnt der Prozess um den grausamen Tod von Marinus Schöberl aus Potzlow
(BM) Vier junge Männer in einem Gemenge aus rechtsradikalen Phrasen und
literweise Alkohol: Im Neuruppiner Mordprozess müssen die Richter herausfinden, wie
genau und warum der 17-jährige Schüler sterben musste und warum die drei
anderen zu Mördern wurden.
Neuruppin — Die Erklärung scheint schlüssig: Natürlich war es dieser Film;
ausgestrahlt im Fernsehen, auszuleihen in jeder gut sortierten Videothek.
Diese Szene aus “American History X”, in der ein Skinhead namens Derek einen
farbigen Autodieb zwingt, in die Kante eines Bürgersteigs zu beißen und ihm einen
tödlichen Tritt in den Nacken gibt. Bei einer Vernehmung hatte der
17-jährige Marcel S. — der sich ab heute mit zwei Kumpanen wegen gemeinschaftlichen
Mordes vor dem Landgericht Neuruppin verantworten muss — plötzlich von dieser
Szene erzählt. Und dass er sie am 12. Juli 2002 im uckermärkischen Dorf
Potzlow mit aller Konsequenz nachgespielt habe.
Das Opfer war sein Freund Marinus Schöberl. Der 16-Jährige musste, nachdem
er stundenlang gemartert worden war, in einen Futtertrog beißen. Ob er am
Tritt gegen seinen Hinterkopf starb oder nachdem ihn seine Peiniger in der
ausgetrockneten Jauchegrube eines verlassenen Schweinestalls verscharrten, ist
nicht bekannt.
Wie die drei zu Mördern werden konnten, weiß niemand zu sagen. Das
560-Seelen-Dorf Potzlow ist aber nicht die rechtsextreme Hochburg, zu der es von
vielen stilisiert wurde. Einer der drei Täter, der 23-jährige Marco, war wenige
Tage vor dem Mord im Dorf wegen seiner rechtsradikalen Sprüche verprügelt
worden. Es gibt im Nachbarort ein Jugendzentrum, das für die umliegenden Dörfer
zuständig ist. Marcos jüngerer Brüder Marcel sei “oft gekommen”, so Ina
Schubert, Vorsitzende der Kindervereinigung Strehlow e.V. Man habe sich “vernünftig
mit ihm unterhalten” können. Die Familie der Brüder schien intakt. “Die
Kinder waren immer sauber und ordentlich gekleidet, die Eltern haben sich
gekümmert”, sagt der damalige Bürgermeister Peter Feike. Aber mit Marco waren sie
wohl überfordert.
In “American History X”, trägt Derek ein tätowiertes Hakenkreuz auf der
Brust. Der mit 23 Jahren etwa gleichaltrige Marco S. aus Potzlow hat sich im
Gefängnis auf die Wade den Spruch “Rotfront verrecke” tätowieren lassen. Marco
hat einen Sprachfehler, besitzt nur den Abschluss der siebten Klasse, ist mit
dem IQ 56 debil. Es heißt, er sei schon im Kindergarten gehänselt worden. Und
das zieht sich dann durch sein ganzes Leben. Immer war er der Schwächere, der
Verspottete. Dieses Gefühl hatten auch Bier und Schnaps, die er schon seit
dem zwölften Lebensjahr trank, nicht ersticken können.
Bei einem seiner Prozesse, erzählt Verteidiger Matthias Schöneburg, habe
Marco vom Hass auf Scheinasylanten gesprochen. Was Scheinasylanten seien, fragte
der Richter. Marco zuckte mit den Schultern. Erfolg hatte er zumindest bei
seinem 17-jährigen Bruder Marcel. Der kleidete sich erst als Hip-Hopper und
färbte sich das Haar. Als Marco im Juli 2002 nach drei Jahren aus dem Gefängnis
kam, ließ sich Marcel den Schädel rasieren.
Auch hier gibt es Parallelen zu “American History X”, wo der ebenfalls kahl
geschorene 16-jährige Danny seinen Bruder Derek nach einem
Gefängnisaufenthalt empfängt. Doch hier driften dann Fiktion und Realität
auseinander. Der
Film-Derek hat sich im Knast von der rechten Szene abgewandt. Er ist intelligent,
war bewusst Skinhead und ist es dann ganz bewusst nicht mehr. Aber Marco aus
Potzlow will nicht raus aus dieser tätowierten Haut, die den Blick der
anderen auf ihn lenkt und einen anderen Kerl aus ihm zu machen scheint, als diesen
stotternden, schwerfälligen, belächelten.
Er wird darin an jenem 12. Juli bestärkt durch den 17-jährigen Sebastian,
den Marcel bei einem berufsfördernden Lehrgang kennen lernte. Auch er kahl
geschoren. Auch er Sonderschüler. Zu dritt ziehen sie durchs Dorf, trinken
Unmengen Bier, fühlen sich stark und treffen schließlich auf Marinus. Der kleidet
sich immer noch als Hip-Hopper. Das hatte bisher weder Marcel noch Marco
gestört. Und das missfällt ihnen anfangs auch an diesem Tage nicht. Marinus läuft
mit, trinkt mit, fühlt sich ebenfalls stark.
Doch die Stimmung schlägt unvermittelt um, als Sebastian sagt, Marinus sehe
in seinen Schlabberhosen und mit seinem blond gefärbten Haar “wie ein Jude”
aus. Es lässt sich viel hinein deuten in diesen Beginn eines entsetzlichen
Szenarios, das der Neuruppiner Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher als “so
grausam, dass man die Einzelheiten auch nicht ansatzweise schildern kann”
umschreibt. Vielleicht war Marinus im Dunst des Alkohols ja tatsächlich ganz plötzlich
der verhasste Hip-Hopper. Vielleicht war der lernbehinderte Junge, der wie
Marco einen Sprachfehler hat, einfach nur der Schwächste in dieser Runde. In
“American History X” gibt es am Ende einen Monolog des 16-jährigen Danny: “Hass
ist Ballast. Das Leben ist einfach zu kurz dafür, dass man immer wütend
ist.” Der 17-jährige Marcel zeigte Dorfbewohnern vier Monate nach dem Mord, wo er
und seine Kumpane die Leiche verbargen. Er soll das getan haben, um eine
Handvoll Euro zu bekommen. Das passt trefflich zu dem Bild vom skrupellosen und
dumpfen Neonazi. Vielleicht konnte er mit diesem Schweigen aber auch einfach
nicht mehr leben.
Prozessauftakt um brutalen Mord an Schüler in Potzlow
(MAZ) Neuruppin — Vor dem Landgericht Neuruppin hat der Prozess um den brutalen
Mord an dem 16-jährigen Marinus Schöberl aus Potzlow (Kreis Uckermark)
begonnen. Vor der Jugendkammer des Gerichts müssen sich zwei 17 und 23 Jahre alte
Brüder aus Potzlow und ein weiterer 17-Jähriger wegen gemeinschaftlichen Mordes
verantworten. Sie sollen laut Staatsanwaltschaft das Opfer im Juli 2002
bestialisch gequält, getötet und in einem stillgelegten Stallgebäude in Potzlow in
einer Jauchegrube vergraben haben.
Der Vorfall war vier Monate später durch Zufall bekannt geworden und hat
wegen seiner Grausamkeit weit über die Grenzen Brandenburgs hinaus für Entsetzen
gesorgt. Die Ermittlungen haben laut Staatsanwaltschaft ergeben, dass die
Täter das spätere Opfer wegen Kleidung, Frisur und gewisser Sprachstörungen als
minderwertig ansahen. Nach dem Fund der Leiche im November vergangenen
Jahres war mit Trauergottesdiensten und Schweigemärschen des Opfers gedacht
worden.
«Fall Potzlow» vor Gericht — 16-Jähriger grausam ermordet
(MOZ) Neuruppin (ddp-lbg). Vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Neuruppin
hat am Montag der Prozess um die Ermordung eines 16 Jahre alten Jungen im
nordbrandenburgischen Potzlow begonnen. Angeklagt sind drei junge Männer aus
Potzlow und Templin im Alter von 18 und 24 Jahren. Die Staatsanwaltschaft wirft
ihnen vor, im Juli 2002 den Schüler Marinus Schöberl aus niederen Beweggründen
und zur Verdeckung einer vorangegangenen Körperverletzung ermordet und die
Leiche in einem Stall in Potzlow in einer Jauchegrube vergraben zu haben. Zwei
der Täter sind Brüder. Dem älteren von ihnen droht eine lebenslange Haft. Der
Jüngere und der zur Tatzeit ebenfalls minderjährige dritte Angeklagte fallen
unter das Jugendstrafrecht. Ihnen droht eine Höchststrafe von zehn Jahren.
Der
«Fall Potzlow» hatte wegen seiner Grausamkeit bundesweit für Entsetzen
gesorgt. Die Ermittlungen haben laut Staatsanwaltschaft ergeben, dass die
Täter ihr Opfer wegen Kleidung, Frisur und gewisser Sprachstörungen als
minderwertig ansahen. Die Anklage geht von einem rechtsextremistischen Motiv für die
bestialische Tat aus. Nach dem Fund der Leiche im November 2002 war mit
Trauergottesdiensten und Schweigemärschen des Opfers gedacht worden.
Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. Insgesamt sind zehn
Verhandlungstage anberaumt. Für den 18. Juni wird das Urteil erwartet.
Erinnern tut weh
Vor einem Jahr wurde in Potzlow ein 16-Jähriger brutal von Rechten ermordet.
Heute beginnt in Neuruppin der Prozess gegen die drei Täter.
(Tagesspiegel) Neuruppin. Das Kreuz vor dem Eingang zum ehemaligen Schweinestall von
Potzlow in der Uckermark ist mit Unkraut überwuchert. Brennnessel wächst, wilde
Blumen, etwas Löwenzahn und dazwischen liegen Kranzschleifen, die vor ein paar
Monaten noch bunt glänzten. Die Kuscheltiere sind vom vielen Regen
aufgeweicht. Die Menschen in Potzlow machen offenbar einen großen Bogen um dieses
Kreuz,
das an eines der brutalsten Verbrechen der jüngeren Vergangenheit in
Brandenburg erinnern soll. Der 16-jährige Schüler Marinus Schöberl kam hier auf
“viehische Art” ums Leben, wie es der Leitende Oberstaatsanwalt Gert Schnittcher
formulierte.
Seine mutmaßlichen Mörder müssen sich ab dem heutigen Montag vor dem
Landgericht in Neuruppin verantworten. Angeklagt sind drei Männer im Alter von 17,
18 und 23 Jahren aus Potzlow und Templin. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen
Nötigung, gefährliche Körperverletzung, versuchten Mord und Mord vor. Sie
sollen am 12. Juli vergangenen Jahres den 16-Jährigen in einem stillgelegten
Stallgebäude “zur Verdeckung einer vorangegangenen Körperverletzung und aus
niedrigen Beweggründen getötet haben”, heißt es in der Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft.
Marinus Schöberl war ein ruhiger, schüchterner Junge, einer, der die
Sonderschule besuchte und eine Sprachstörung hatte. Eines von sieben Kindern.
Am jenem 12. Juli machte er sich wie so oft von seinem Heimatdorf Gerswalde
auf den Weg zum nicht weit entfernten Potzlow. Der 16-jährige Marinus
Schöberl blieb oft über Nacht in dem Dorf und schlief dann meistens in dem leeren
Schweinestall. Die verhängnisvollen Geschehnisse begannen an einem Sommerabend
in einer Potzlower Wohnung. Zwei Brüder, 23 und 17 Jahre alt, und ein
18-Jähriger tranken zusammen mit drei Erwachsenen sehr viel Alkohol. Marinus war
dabei. Aber dann begannen die Jüngeren ihn zu ärgern und betrachteten ihn
plötzlich als einen Feind. Seine blond gefärbten Haare und die weiten
Hipp-Hopp-Hosen dienten dem laut der Staatsanwaltschaft rechtsextremistisch
eingestellten
Täter-Trio als Vorwand für eine ganze Kette von Provokationen.
In deren Mittelpunkt stand die Aufforderung an den körperlich unterlegenen
Jungen, sich als “Jude” zu bekennen. Nach Schlägen und Tritten gab Marinus
dann das verlangte “Bekenntnis” ab. In einer weiteren Wohnung in Potzlow wurden
die Torturen gegen Marinus Schöberl noch mal verschärft.
Vorbild für die Tat soll der Hollywood-Streifen “American History X” gewesen
sein, in dem ein Neonazi zwei Schwarze brutal ermordet. Die Tötungsart weist
jedenfalls Parallelen auf. Einer der angeklagten Jugendlichen gab an, diesen
Film vorher gesehen zu haben. Im Film zwang der Skinhead sein Opfer, in den
Bordstein zu beißen, um dann gegen den Kopf zu treten.
Im Potzlower Schweinestall, in den die drei Angeklagten Marinus verschleppt
hatten, muss es ähnlich abgelaufen sein. Am Boden liegend, musste der
17-Jährige mehrere Tritte gegen den Kopf ertragen. Sie waren tödlich. Das Opfer
wurde in einer Jauchegrube vergraben und erst im November gefunden, nachdem einer
der Angeklagten mit der Tat geprahlt hatte.
Am Landgericht in Neuruppin sind zehn Verhandlungstage vorgesehen. Das
Urteil soll am 18. Juni gesprochen werden. Möglicherweise wird die Öffentlichkeit
ausgeschlossen, weil einer der Angeklagten zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre
alt war.
Rechtsradikale Mörder aus Potzlow stehen vor Gericht
Landgericht Neuruppin verhandelt Mord an Marinus Schöberl
(MAZ, 25.5.) NEURUPPIN/POTZLOW Es gibt wohl kein Wort, das den Tod von Marinus Schöberl angemessen beschreibt. Neuruppins Leitender Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher hat es versucht, nachdem das Skelett des 16-Jährigen am 15. November vergangenen Jahres aus einer Jauchegrube in dem uckermärkischen Dorf Potzlow geborgen worden war. Das Verbrechen sei “viehisch” gewesen, sagte Schnittcher mit abwesendem Blick. Wer die Einzelheiten des Todes kennt, weiß, dass hier jedes Wort versagt. Tiere sterben nicht so.
Und eine Erklärung für die Tat? Ausschlaggebend war vielleicht die rechtsextreme Gesinnung der drei jungen Angeklagten, wie der Staatsanwalt annimmt und in der Anklage zu dem Mordprozess betont, der am Montag im Neuruppiner Landgericht beginnt.
Vielleicht musste Marinus wirklich wegen seiner blond gefärbten Haare und seiner weitgeschnittenen Hose sterben, die den Schlägern als undeutsch galt, als weibisch. Zumindest zwei Angeklagte, der 17-jährige Sebastian F. und der 23 Jahre alte Marco S., waren überzeugte Rechtsextreme — was man Überzeugung nennen möchte bei einem IQ von weit unter 60 wie bei Marco.
“Diese monokausale Erklärung reicht nicht aus, die eigentlichen Abgründe liegen viel tiefer”, entgegnet Anwalt Volkmar Schöneburg, der Marcos 17-jährigen Bruder Marcel S. verteidigt. Das Wesen des späteren Haupttäters ist kaum fassbar. Mal stolzierte Marcel in Springerstiefeln und mit Glatze durchs Dorf und demonstrierte für die NPD. Mal konsumierte er Haschisch, bis Marco ihm Prügel androhte, weil ein Neonazi keine Drogen nehme, sondern Bier.
Es kam vor, dass auch Marcel in weiten Hosen umherlief und sich die Haare blau färbte. Marcel nannte sich “Raver”, berichten Bekannte. In dieser Zeit stand Marcel, der spätere Täter, seinem Kumpel Marinus, mit dem er gemeinsam oft an Mopeds bastelte, näher als seinem Bruder, dem rechtsextremen Schläger.
In der Morgendämmerung des 13. Juli war es dennoch Marcel, der Marinus tötete. Während dieser in die Steinkante eines Schweinetrogs beißen musste, sprang Marcel ihm mit beiden Beinen ins Genick. Marinus kippte zur Seite und röchelte noch schwach.
“Der wird nicht mehr, den können wir keinem Arzt mehr vorstellen, den müssen wir jetzt umbringen”, soll Marco gesagt haben. Marcel schmettert danach zweimal einen Gasbetonstein auf Marinus Schädel. Die Täter zerrten den Leichnam zu einer Jauchegrube auf dem Gelände der verlassenen LPG, wühlten ein Loch und bedeckten Marinus mit Schlamm.
Tage später narrte Marcel die Polizei. Marinus habe ein Auto gestohlen und sei wohl geflüchtet. Die Fahnder glaubten die Lüge. Vermutlich wäre Marinus Leiche jahrelang unentdeckt geblieben, hätte nicht vier Monate später Marcel selbst alles verraten.
Wenige Wochen vor dem Verbrechen am 12./13. Juli hatte sich die Stimmung bei den Jugendlichen in Potzlow geändert. Zunächst schien der Wandel unbedeutend. Marcel betonte, er sei nun rechts. Marco werde bald aus der Haft entlassen, und der sei rechts. Marcel hetzte gegen Ausländer.
Marco wurde immer meh
r zum Vorbild. “Ich möchte so werden wie mein Bruder. Der hat bewiesen, dass er super cool ist, der hat einen Neger verprügelt”, soll Marcel gesagt haben. “Marco hatte sicherlich eine wichtige Rolle für den Bruder gespielt, aber er hat das nicht verlangt”, verteidigt Rechtsanwalt Matthias Schöneburg seinen Mandanten, der bis heute schweigt.
Am Tag vor Marcos Rückkehr aus dem Gefängnis rasierte Marcel sich eine Glatze. Am Mittwoch, dem 3. Juli, zehn Tage vor der Tat, traf Marco in Potzlow ein. Sofort trank er wieder unmäßig viel Alkohol, obwohl er wusste, wie aggressiv ihn das machte.
Kurz darauf feierte das Dorf ein Fest, bei dem Marco von anderen Jugendlichen verprügelt wurde. Er wagte sich erst wieder aus dem Haus, als Marcel ihm durch Freunde Schutz versprach. Marcos Bild vom starken Mann war zerstört. Er empfand nur noch Hass — wie acht Jahre zuvor.
Die Eltern waren 1994 soeben nach Potzlow gezogen, als Jugendliche Marco zusammenschlugen und ihm einen toten Aal um den Hals banden. Es geschah noch mehr. Es muss ein tiefer Einschnitt in Marcos Leben gewesen sein. Rache trieb ihn, er trank noch mehr als die tägliche Flasche Schnaps. Gelegentlich dreht er Katzen den Hals um.
Am Nachmittag des 12. Juli 2002 traf Marcels Freund, der 17-jährige Sebastian F. aus Templin, in Potzlow ein, um Marcos Haftentlassung zu feiern. Sebastian F. war gewalttätig, bekannt dafür, sinnlos zu prügeln. Er galt als “mega rechts”. Es heißt, er wolle “unbedingt mal zur Wehrmacht und an der Front kämpfen”. Diese Erfahrung sei wichtig. Ausländer in Deutschland sollten seiner Ansicht nach im Steinbruch arbeiten, weil Konzentrationslager nicht mehr zeitgemäß seien.
Gegen 19 Uhr an jenem Freitag besuchten Marco, Marcel und Sebastian einen Bekannten. Später kam Marinus hinzu. Die Stimmung blieb trotz großer Mengen Alkohol friedlich. Kurz nach Mitternacht zogen die vier jungen Männer weiter und setzten das Trinkgelage in der Wohnung einer Bekannten fort. Dort begann Marinus Martyrium. Im Beisein mehrerer Erwachsener wurde der 16-Jährige drei Stunden lang gedemütigt und geschlagen. Sebastian F. urinierte auf den am Boden Liegenden und sagte: “Juden trinken das doch gern.” Aus Furcht vor weiteren Schlägen stammelte Marinus, wie befohlen, er sei Jude. Doch statt der erhofften Erlösung wurden die Schläge noch heftiger. Bei dem letzten Faustschlag ins Gesicht kippte Marinus rücklings vom Stuhl.
Für die Staatsanwaltschaft ist Marinus systematisch entmenschlicht worden. Als er sagte, er sei Jude, habe er nach dem Verständnis der rechtsextremen Täter jedes Recht verwirkt, als Mensch behandelt zu werden.
Dennoch eskalierte die Gewalt nicht sofort. Zunächst radelten die drei Täter davon und ließen den Verletzten in der Wohnung zurück. Kurz darauf machten sie kehrt, um Marinus noch etwas mehr Angst einzujagen. Auf der Fahrt zum Schweinestall der LPG soll Marinus gewimmert haben. Der Staatsanwalt denkt nicht, dass die Täter den Tod schon auf dem Weg besiegelt hätten. Erst als Marinus in die Knie gezwungen wurde und in die Steinkante beißen musste, sei er zum Tode verurteilt gewesen. Diese Situation war einer Szene aus dem Spielfilm “American History X” nachgestellt, in der ein Neonazi einem Schwarzen das Genick zertritt. Marcel S. hatte den Film kurz zuvor zweimal gesehen.
Drei Monate später, Mitte Oktober, begann Marcel immer wieder zu erzählen, er und sein Bruder Marco hätten einen Penner erschlagen und in eine Jauchegrube geworfen, weil ihnen das Gesicht des Mannes nicht gefallen habe. Das sei “ein richtig guter Kick” gewesen.
Niemand glaubte Marcel. Schließlich wettete er mit zwei Bekannten um 25 Euro, er könne eine Leiche zeigen. 18 Wochen nach der Tat, es war wieder Freitag, führte Marcel sie zur der Jauchegrube. Er legte Teile der Leiche zunächst vorsichtig frei. Dann zertrümmerte Marcel mit einem mitgebrachten Beil den Schädel seines toten Kumpels.