(MAZ) Ein Zeuge teilte am Montag gegen 01:00 Uhr mit, dass ein betrunkener Mann in
der Friedrich-Engels-Straße die Nachtruhe stört und aus dem Fenster
lautstark “Sieg Heil” brüllt. Die eingesetzten Polizeibeamten suchten den
28-jährigen Mann in seiner Wohnung auf und nahmen ihn in polizeiliches
Gewahrsam. Weiteres Propagandamaterial wurde in der Wohnung nicht
festgestellt.
Jahr: 2004
1300 Neonazis marschierten zum Soldatenfriedhof in Halbe. Antifaschistische Proteste unterbunden
Anläßlich des »Volkstrauertages« konnten am Sonnabend rund 1300 Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum nahezu ungestört vor dem Kriegsgräber-Friedhof im brandenburgischen Halbe aufmarschieren. Damit verdoppelte sich die Teilnehmerzahl im Vergleich zum Vorjahr nahezu. Das sogenannte Heldengedenken in Halbe, organisiert unter der Federführung des Hamburger Neonazis Christian Worch, hat sich nach dem Heß-Marsch in Wunsiedel als zweitgrößte jährliche Veranstaltung, auf der Nazi-Verbrechen geleugnet oder verherrlicht werden, durchgesetzt. Bei Halbe hatte das Hitlerregime noch Ende April 1945 Zehntausende Soldaten in eine sinnlose Schlacht geschickt.
Die 1600 Polizisten, die im nur 1300 Einwohner zählenden Halbe im Einsatz waren, beschränkten sich darauf, einen reibungslosen Ablauf der Naziveranstaltung zu gewährleisten. Die etwa 700 Gegendemonstranten wurden auf einer von der PDS angemeldeten Kundgebung am Halber Bahnhof abseits des Geschehens festgesetzt. Busse aus Berlin wurden stundenlang mit fadenscheinigen Begründungen von der Polizei aufgehalten und kamen so erst verspätet in Halbe an.
Das polizeiliche Verbot des Aufmarsches am Sonnabend war vor dem Verwaltungsgericht in Frankfurt/Oder gescheitert und auch die Nutzung des Friedhofsvorplatzes für eine Kundgebung war von den Rechten juristisch durchgesetzt worden. Dort sprach nach einer Kranzniederlegung der »freie Nationalist« Ralf Tegethoff. Die Soldaten der Roten Armee seien »Feinde mit menschlichem Antlitz« gewesen, hetzte der Neonazi. Sie seien in Deutschland eingefallen und hätten dabei »Kinder vergewaltigt, Frauen verbrannt, Priester an ihre Kirchen genagelt«. Die Deutschen hingegen hätten heldenhaft gekämpft und letztlich gesiegt – »ohne den Kampf von Halbe hätten die Bolschewisten ganz Europa unterjochen können«.
Die polizeiliche Bilanz des »Heldengedenkens«: Die Rechten haben sich auflagengetreu verhalten und alles blieb friedlich. Nur einer wurde wegen Mitführens »verbotener« Gegenstände kurzfristig festgesetzt, zwei Linke wurden mit gleichlautender Begründung bei der Anreise in Gewahrsam genommen.
Busse beschlagnahmt
Berlin: Antifaschisten an Abreise nach Halbe gehindert. Neofaschisten durften unbehelligt von der Polizei Naziverbrechen glorifizieren
Um den über 1300 angereisten Neofaschisten im brandenburgischen Halbe ihr »Ehrengedenken« zu ermöglichen, hatte die Polizei nicht nur vor Ort alle Hebel in Bewegung gesetzt. Bereits im Vorfeld hatten Beamte das Internet durchforstet, um den Medien ein Gespenst von bis zu 500 anreisenden gewaltbereiten Autonomen präsentieren zu können. »Verdächtige« Personen wurden von der Polizei im Vorfeld persönlich angeschrieben und dazu aufgefordert, sich nicht an den Protesten zu beteiligen. Solche Maßnahmen waren bisher fast ausschließlich bei Protesten der globalisierungskritischen Bewegung angewandt worden. Das Polizeipräsidium Frankfurt/Oder hatte Berlin sogar um »Rechtshilfe« ersucht mit dem Ziel, von dort anreisende »gewaltbereite Demonstranten« solange wie möglich festzusetzen.
Kein Wunder also, daß sich am Samstag morgen bereits auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz, dem Sammelpunkt für die Insassen von vier Bussen, chaotische Szene abspielten. Zehn Minuten vor der geplanten Abfahrtszeit nahm die Polizei die Busse über eine Stunde lang in Beschlag und zwang die Busfahrer, die Fahrzeuge zur Durchsuchung fernab vom Sammelpunkt zu parken. Vollstrecker dieser Aktion waren die für ihre Brutalität berüchtigten Berliner Beamten der 2. Polizeihundertschaft.
Am Rosa-Luxemburg-Platz postierte Beamte teilten den abreisewilligen Antifaschisten daraufhin mit, es bestünde inzwischen ein Verbot der Kundgebung in Halbe. Mit Sprüchen wie »die Busse kommen sowieso nicht wieder« wurden dann Platzverweise erteilt. Gegen 11 Uhr tauchten die Busse allerdings wieder auf. Nachdem sich die Fahrgäste einer polizeilichen Durchsuchung inklusive Personalienfeststellung und ‑speicherung unterzogen hatten, durfte es auch losgehen. Die Ankunft dieser etwa 150 Demonstranten wurde durch diese und weitere Polizeischikanen um über drei Stunden verzögert. So konnten die Berliner Teilnehmer der antifaschistischen Kundgebung in Halbe noch ganze zehn Minuten beiwohnen, bevor diese aufgelöst wurde. Ein Sprecher der Berliner Pressestelle der Polizei begründete den Einsatz gegenüber jW lapidar als »umfangreiche Durchsuchung zur Gefahrenabwehr«.
Die Neofaschisten hatten offenbar weniger Schwierigkeiten. Sie waren bundesweit, aber auch aus Österreich, den Niederlanden und Dänemark vorwiegend mit Bussen und Pkw angereist. Der Naziaufmarsch setzte sich am frühen Nachmittag, nach einer stundenlangen Auftaktkundgebung, angeführt von den Hamburger Neonazigrößen Lars Jacob und Christian Worch, Richtung Soldatenfriedhof in Bewegung. Nach jW vorliegenden Informationen sicherten Neonazikader aus Berlin und Brandenburg den Aufmarsch organisatorisch ab. So tauchten in der rechten Ordnertruppe Andreas Thürmann von der »Berliner Alternative Süd-Ost« ebenso auf wie der 24jährige Anführer des »Märkischen Heimatschutzes« Gordon Reinholz. Auch Oliver Schweigert, ehemaliges FAP-Mitglied und Berliner Neofaschist, zählte zu den Anwesenden.
Während des Aufmarsches waren Journalisten mehrfach von Ordnern der Neonazis an ihrer Arbeit gehindert worden. Auf dem Vorplatz des Friedhofes zitierten Neonazis in ihren Reden unter anderem den Nazipropagandaminister Joseph Goebbels. In einem Flugblatt wurde ein »Gedenkstein« für SS-Soldaten gefordert und auf Transparenten wurden in Runenschrift »die tapferen Frontsoldaten« glorifiziert. Die »wahren Verbrecher«, so ein Redner, seien die »Bestien« der Roten Armee gewesen. Die Polizei sah sich in Hinblick auf die Neonazis zu keinem Zeitpunkt zum Einschreiten veranlaßt.
»Ein trauriger Tag für die Demokratie«
Aufmärsche wie in Halbe und Wunsiedel spielen für die rechte Szene eine wichtige Rolle. Ein Gespräch mit Ronny Ziller
Ronny Ziller ist stellvertretender Landesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Landesvereinigung Berlin e. V.
F: Am Samstag demonstrierten 1300 Alt- und Neonazis durch die brandenburgische Kleinstadt Halbe. Die Polizei spricht von einem Erfolg, da es ihr gelungen sei Rechte und Linke zu trennen.
1300 marschierende Nazis sind ein recht zweifelhafter Erfolg, besonders wenn man bedenkt, wie er zustande gekommen ist. Die Versammlungsbehörde hat versucht, jeglichen antifaschistischen Protest außer Ruf- und Sichtweite der Adressaten zu verbannen. Nicht nur die Veranstalter der Gegenkundgebungen, sondern auch die Öffentlichkeit wurden bewußt mit falschen Informationen getäuscht. Mit dem Herbeihalluzinieren Hunderter »linker Gewalttäter« sollten die Proteste diffamiert und völlig unverhältnismäßiges polizeistaatliches Vorgehen legitimiert werden. Erklärtes Ziel der Polizei war es, so wenig Protestierende wie möglich zu den angemeldeten und genehmigten Veranstaltungen nach Halbe zu lassen. Das war ein trauriger Tag für die Demokratie in Brandenburg.
F: Nach Aussagen von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) verhielten sich die Neonazis »auflagengetreu«.
Wenn sich die Auflagen darauf beschränke
n, der Öffentlichkeit ein weniger schlimmes Bild neofaschistischer Aufmärsche zu vermitteln, marschieren Worchs Kameraden auch zahm wie die Lämmer, nicht zuletzt in eigenem Interesse, um einem künftigen Verbot solcher Veranstaltungen zu begegnen. Allerdings würdigen die Gerichte die Demonstrationsinhalte nicht angemessen. Die Gefahr, die von solchen Aufmärschen ausgeht, wird unterschätzt. Gerade jüngeren Neonazis wird hier ein Opfermythos um die »tapfer kämpfenden deutschen Soldaten« vermittelt. Das sich an faschistischen Ritualen orientierende »Heldengedenken« in Halbe hat eine ähnlich idenditätsstiftende Wirkung für die rechte Szene wie das alljährliche »Heß-Gedenken« im bayerischen Wunsiedel im August.
F: Halbe – ein neues Wunsiedel?
Schlimmer. Mit dem zweiten Aufmarsch in Folge mit steigenden Teilnehmerzahlen hat sich Halbe nach verbotsbedingter Pause in den 90er Jahren wieder zu einem Wallfahrtsort für die extreme Rechte etabliert. Anders als in Wunsiedel fehlt es hier aber an einer breiten Gegenöffentlichkeit, die in Wunsiedel vom CSU-Bürgermeister bis hin zur autonomen Antifa reicht. Auch tut man sich bei den politisch Verantwortlichen im Amt Schenkenländchen sehr schwer mit einem würdigen Gedenken an die Opfer. Auf dem Waldfriedhof in Halbe sind neben Angehörigen von Wehrmacht, Waffen-SS und Volkssturm auch 57 Wehrmachtsdeserteure sowie sowjetische Zwangsarbeiter beigesetzt. Ein unterschiedsloses Gedenken an Opfer und Täter gleichermaßen relativiert die Nazi- und Kriegsverbrechen. In diesem Sinne ist sicher auch die Erklärung von Reinhard Führer, Präsident des »Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge« zu verstehen, der sich gegen »die Verherrlichung des sogenannten Heldentodes« aussprach. Er sagte weiter: »Wer dies beabsichtigt, fällt in die Terminologie und Denkweise derer zurück, die durch ihre verantwortungslose Politik Millionen Menschen in den Krieg und in den Tod getrieben haben«. Genau das haben wir jedoch am Samstag in Halbe erlebt.
F: Wie geht es in der brandenburgischen Stadt nun weiter?
Zunächst bedürfen die Vorkommnisse in Halbe 2004 einer juristischen und politischen Aufarbeitung. Das polizeiliche Vorgehen gegen Protestierende wird sicher Thema im Innenausschuß des Potsdamer Landtages werden. Gegen die Auflagen für die Protestveranstaltungen wird weiter juristisch vorgegangen werden. Daneben muß endlich eine gesellschaftliche Debatte über die weitere Gestaltung des Gedenkens auf dem Waldfriedhof in Halbe stattfinden. Da das Amt Schenkenländchen hier konsequent Verbände von Opfern des Naziregimes ausgrenzt, sind künftig weitergehende Initiativen, auch auf Landesebene, notwendig. Ein weiterer Punkt ist die Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen rechts, lokale Initiativen in Brandenburg haben derzeit noch zu wenig Ausstrahlung in die Gesellschaft.
Während schon die ersten Neonazis in Halbe eintrafen, wurden die Busse, welche die Gegendemonstranten aus Berlin nach Halbe bringen sollten, von der Polizei kurzerhand gekidnappt und den 200 Leuten, die sich am Abfahrtsort eingefunden hatten mitgeteilt, dass die Kundgebung in Halbe verboten sei, und die Abfahrt nun mit allen Mitteln verhindert wird. Diese dreiste Lüge und die damit begründeten Schikanen (Platzverweise/Aufenthaltsverbote für Halbe), konnten erst durch eine angestrengte Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in Frankfurt(Oder) wieder entkräftet und die Busse bestiegen werden.
Nach ca. fünf Stunden Fahrt, mit etlichen Kontrollen und nicht rechtmäßigen Festsetzungen und Gewaltandrohungen, kamen die Busse doch in Halbe an, und wurden gleich wieder weggeschickt. Da die Polizei plötzlich die PDS- und Antifa-Kundgebung, die auf dem Bahnhofsvorplatz zusammengelegt worden waren, auf maximal zwei Stunden begrenzt hatte, waren diese beim Eintreffen der meisten Demonstranten natürlich schon vorbei.
Die euphemistischen Verlautbarungen von etwa 1000 Gegendemonstranten entspricht nicht der Realität. Gerade mal 100 Leute fanden sich bei der PDS-Kundgebung zwischen 11 und 13 Uhr ein. Danach haben 150 Antifaschisten immer wieder neue Kundgebungen auf dem Bahhofsvorplatz in Halbe angemeldet, um den 200 Berlinern die in den blockierten Bussen steckten, noch die Möglichkeit zu geben überhaupt nach Halbe zu kommen.
Auf diese unerträgliche Situation reagierte das Antifa Bündnis zusammen mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) mit einer spontanen Demonstration in Königs Wusterhausen, welche ebenfalls erst rechtlich durchgefochten werden musste und die Polizei nur eine eingekesselte einstündige Kundgebung ohne Lautsprecher genehmigte.
Die staatliche Repression hat uns wirklich überrascht. Wenn sich herauskristallisiert, dass wir jetzt immer damit rechnen müssen, dass die Polizei gegen geltendes Recht so massiv verstößt wie in Halbe, müssen wohl alle, die sich den Neonazis öffentlich in den Weg stellen wollen, immer einen Tross Anwälte dabei haben.
Im Vorfeld wurde von öffentlicher Seite massiv antifaschistischer Protest als gewalttätig diffamiert und auf die Ereignisse in Potsdam am 30.10.2004 verwiesen. Suggeriert wurde, dass der Protest gegen Neonazis das eigentliche gesellschaftliche Problem darstellt und nicht die Neonazis selber. Obgleich die Vorraussetzungen in dem 1000 Einwohner Dorf Halbe nicht im entferntesten an Potsdam erinnern, wurden die Verbote linker Gegenveranstaltungen immer damit begründet und Widerstand gegen die zur Schaustellung rechtsextremer Ideologien kriminalisiert und eingeschüchtert. Auch die juristisch völlig haltlosen „Gefährdenansprachen“ und Aufenthaltsverbote für Halbe, die linken Aktivisten aus Berlin/Brandenburg zugestellt wurden, passen in diese Strategie. Die Zahl von 2600 erwarteten Gegendemonstranten war ein Konstrukt der Brandenburger Polizei, um mit größtmöglichen Aufgebot vor ort zu sein.
Wir wurden an diesem so unerträglich schikaniert und eingeschüchtert, dass wir nicht mal den Hauch einer Chance hatten uns in Halbe Gehör zu verschaffen. Damit wurde das nationalsozialistische „Heldengedenken“ der Rechtsextremen natürlich begünstig und der Widerstand dagegen demoralisiert. Wir werden natürlich gegen sämtliche Rechtsverstöße der Polizei Klage erheben, um diese neue Variante der Ordnungskräfte gerichtlich genehmigte Antifa-Demonstrationen zu verhindern für die Zukunft einen Riegel vorzuschieben.
Weitere Infos unter www.redhalbe.de.vu.
Auf Indymedia
Fotos von der Nazi-Kundgebung in Halbe
Rechtsfreier Raum Berlin Brandenburg?!
Bilder
(INFORIOT) Erste Bilder von der Gegen-Kundgebung gibt es hier.
Rund 900 Rechtsexteme und 1000 Gegendemonstranten haben sich im brandenburgischen Halbe versammelt. Bis zum Nachmittag blieb die Lage friedlich.
(Netzeitung) Begleitet von einem starken Polizeiaufgebot haben sich rund 900 Rechtsextremisten in Halbe südlich von Berlin zu einer Kundgebung versammelt. Die Neonazis wollten in der Nähe des größten Soldatenfriedhofs Deutschlands ein so genanntes «Heldengedenken» abhalten.
Zugleich protestierten rund 1000 Menschen gegen die rechtsextreme Kundgebung. Sie wollten auch der bei Halbe gefallenen sowjetischen Soldaten, der NS-Opfer, Wehrmachtsdeserteure und Zwangsarbeiter gedenken. Insgesamt drei Gegenveranstaltungen waren mit Auflagen gestattet worden. Sie durften nur auf dem Bahnhofsvorplatz stattfinden. Autonome hatten im Internet massive Störungen des rechtsextremistischen Aufmarsches angekündigt.
Zwischenfälle gab es bis zum Nachmittag nicht. Mit einem Großaufgebot von 1600 Beamten habe die Polizei Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremen verhindern können, sagte ein Sprecher. Die Anhänger der rechten Szene hätten sich «auflagentreu» verhalten. Gegenüber der Polizei bekannten Personen war vorsorglich ein Aufenthaltsverbot für Halbe ausgesprochen worden.
Schönbohm beobachtet Einsatz
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm informierte sich in Halbe über die Polizeiaktion. Das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder hatte am Freitag in letzter Instanz das polizeiliche Verbot der Neonazi-Kundgebung aufgehoben. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei nicht gegeben. Nach Aufmärschen Anfang der 90er Jahre waren die rechten Kundgebungen mehrere Jahre lang unterbunden worden, 2003 hoben Gerichte die Verbote jedoch auf.
Angemeldet wurde der rechte Aufzug unter dem Motto «Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten» von dem Rechtsextremisten Lars Jacobs. Versammlungsleiter ist der Hamburger Neonazi Christian Worch. Auf dem Waldfriedhof in Halbe befinden sich rund 24.000 Soldatengräber, 37 Grabstätten von NS-Zwangsarbeitern und rund 4500 Gräber von Internierten aus dem sowjetischen NKWD-Lager Ketschendorf. (nz)
“Dummheit bleibt Dummheit!”
Nach Faustschlag bei Abifete verhängt Gericht Geldstrafe
RATHENOW Ende Juni fand eine Abiturfeier in der Sporthalle Premnitz statt. Ein
Anlass, der nur Freude verbreitet, wie man annehmen sollte. Nein, nicht
ganz: als der Abiturient M. die Feier verlassen wollte, kam er im
Ausgangsbereich an einem Tisch mit mehreren Security-Leuten vorbei. Hier
stand Kevin B. mit einigen anderen. M. ging an ihm vorbei und erhielt von B.
einen Faustschlag auf die linke Gesichtshälfte.
Er benachrichtigte dann die Polizei über Handy und ging in Begleitung des
Zeugen H. aus der Halle. Der Angeklagte folgte ihm über mehrere hundert
Meter und ließ erst ab, als die Polizei auftauchte.
Die Staatsanwaltschaft klagte Kevin B. wegen Körperverletzung an. Der
Angeklagte bestritt bei der Verhandlung vor dem Rathenower Amtsgericht,
einen Faustschlag geführt zu haben. Er habe M. lediglich “wie einen
Welpen(!) am Genick gepackt und ihn über mehrere Treppenstufen hinunter
geschoben”.
Er habe eigentlich abklären wollen, warum M. ihn früher mehrfach im
Vorbeifahren mit dem “Mittelfinger” begrüßt habe. Mehr sei nicht geschehen.
Der Geschädigte blieb jedoch bei seiner Darstellung und gab weiter an, der
Angeklagte habe ihn, als dieser ihm folge, immer wieder aufgefordert, er
solle sich “wie ein Mann” stellen, sie könnten doch die Angelegenheit durch
einen Faustkampf klären.
Die Darstellung von M. wurde vom Zeugen H. bestätigt; allerdings war ein
weiterer Zeuge der Security-Firma da, der keinen Faustschlag des Angeklagten
gesehen hatte und sich über Gesprächsinhalte nicht äußern konnte.
Wie sich in der Verhandlung herausstellte, ist der Angeklagte der
rechtsextremen Szene zuzuordnen (“Ja, ich trage auf der Kleidung eine Rune,
sie bedeutet, dass ich für Volk und Boden eintrete”). M. hingegen gehört zum
linken Lager.
Der Staatsanwalt beantragte für den Angeklagten eine Geldstrafe in Höhe von
1000 Euro (40 Tagessätzen zu je 25 Euro) wegen vorsätzlicher
Körperverletzung. Der Richter entsprach mit seinem Urteil dem Antrag. Er
hielt den Vorwurf für gerechtfertigt und stellte klar, dass der Angeklagte
selbst eingeräumt habe, den Geschädigten am Genick gepackt und geschubst zu
haben. Dies wäre eine vorsätzliche Körperverletzung gewesen. Nach seiner
Überzeugung habe B. einen Faustschlag gegen M. geführt. Im Übrigen sei es
ihm gleichgültig, wer so etwas mache und warum: “Eine Körperverletzung ist
eine Körperverletzung und Dummheit bleibt Dummheit”.
Rechte Kult-Marke verboten
(BM, M. Lukaschewitsch) Neuruppin — Die Brandenburger Justiz hat die Beschlagnahme von Kleidung mit
dem Runen-Logo “Thor Steinar” verfügt. Jedem, der öffentlich ein
Kleidungsstück dieser Marke trägt, droht nun ein Strafverfahren wegen des
Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die
Staatsanwaltschaft Neuruppin hält die Schriftzüge und das Markenlogo der
Firma Mediatex, die das Label von Zeesen (Dahme-Spreewald) aus vertreibt,
für strafbar und hat das sofortige Aus für Kleidungsstücke mit diesem
Zeichen verfügt.
Die Macher des Labels um Geschäftsführer Uwe Meusel vertreiben auf den
ersten Blick funktionelle Freizeitkleidung, die sich in Schnitt und
Farbgebung nicht sonderlich von anderen Marken unterscheidet. In der rechten
Szene hat sich die Marke “Thor Steinar” jedoch fast unbemerkt zum Kult
entwickelt. Jacken und Pullover des Labels sind mit runenartigen Emblemen
verziert, die Verwandtschaft zu verbotener nationalsozialistischer Symbolik
wird kaum verschleiert.
Allein schon der Name, so die Polizei in einem internen Bericht, sei eine
unverhohlene Anspielung auf den ehemaligen SS-General Steiner. Anstoß nehmen
die Ermittler aber vor allem am Firmenlogo mit einer sogenannten
“waagerechten Wolfsangel” und einer “Tyar-Rune”. Beides seien Symbole, so
Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper, die von SS-Divisionsverbänden während
der Nazi-Zeit als Abzeichen auf Uniformen getragen wurden. Die Tyar-Rune
trugen überdies die Absolventen der SA-Reichsführerschulen an den Ärmeln
ihrer Uniformen. “Beides sind strafrechtlich relevante Zeichen”, so die
Staatsanwältin. Neben Hakenkreuz und Sig-Rune — ebenfalls verboten — sei die
in der Thor-Steinar-Marke verwendete Wolfsangel das bekannteste Symbol des
Nationalsozialismus.
Der Anwalt der Textilfirma kündigte gegen den Gerichtsbeschluß Rechtsmittel
an. Der Firma entstehe “ein existenzgefährdender Schaden”. Ein neues Logo
werde entwickelt.
Wie streng gegen Verstöße vorgegangen wird, zeigt ein Fall vom September:
Ein 23jähriger Prenzlauer wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er eine
Jacke der Marke getragen hatte und angezeigt wurde.
Rechte dürfen marschieren
Rechtsextreme dürfen in Halbe aufmarschieren
Gericht hebt Verbot auf / Genehmigung unter Auflagen / PDS will demonstrieren
(MAZ) POTSDAM In Halbe dürfen am Samstag erneut Rechtsextremisten aufmarschieren. Das
Verwaltungsgericht Cottbus hat am Mittwoch ein Verbot der Polizei aufgehoben. Die
unter dem Motto “Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten” angemeldete Versammlung
dürfe unter Auflagen veranstaltet werden, teilte ein Gerichtssprecher mit.
Die rechtlichen Voraussetzungen für ein vollständiges Verbot der Versammlung lägen
nicht vor, sagte der Sprecher. Ein vollständiges Verbot komme als letztes Mittel nur
in Betracht, wenn es kein milderes Mittel zum Schutz der öffentlichen Ordnung gebe.
Der Schutz könne jedoch durch Auflagen gewährleistet werden. Die Besorgnis des
Polizeipräsidiums Frankfurt (Oder), die Demonstration könne an
nationalsozialistische Aufmärsche erinnern, reiche für ein Versammlungsverbot nicht
aus. Es sei nicht ersichtlich, dass aus der Kundgebung heraus Straftaten begangen
würden. Die Frankfurter Polizei hatte zuvor ein Aufmarschverbot erlassen. Dagegen
hatte der Anmelder, ein Hamburger Neonazi, Klage beim Verwaltungsgericht Cottbus
eingereicht.
In Halbe befindet sich ein Soldatenfriedhof. Dort sind rund 22 000 Menschen
begraben. Die meisten waren in den letzten Kriegstagen ums Leben gekommen, als
eingekesselte SS-Divisionen, Wehrmachtsverbände und Angehörige des so genannten
Volkssturms gegen die Rote Armee kämpften.
Der Auflage der Polizei zur Verlegung der Auftakt- und Abschlusskundgebung vom
Bahnhof Halbe in die Kirchstraße stimmte das Gericht zu. Andernfalls sei eine
Kollision mit Gegendemonstrationen unausweichlich.
Innenstaatssekretär Eike Lancelle hatte noch am Mittwoch gehofft, dass der rechte
Aufmarsch verboten bleibt. Auch die PDS forderte ein Verbot des Aufmarsches. Der
PDS-Innenpolitiker Hans-Jürgen Scharfenberg kündigte eine friedliche
Gegendemonstration in Halbe an. ddp/MAZ
Polizei schickt 1 600 Beamte nach Halbe
Rund 900 Neonazis erwartet
(Berliner Zeitung, Katrin Bischoff) FRANKFURT (ODER). 1 600 Polizisten aus Brandenburg, Berlin, Hessen sowie BGS-Beamte
werden am Sonnabend in Halbe im Einsatz sein. So viel wie nie zuvor bei Aufmärschen
rechtsgerichteter Gruppierungen sowie ihrer Gegner in dem kleinen Ort im Landkreis
Dahme-Spreewald. “Wir sind vorbereitet, werden die Lager konsequent voneinander
trennen”, sagte am Donnerstag Klaus Kandt, Vize-Präsident des Polizeipräsidiums
Frankfurt (Oder). Auch Schaulustige dürften sich nicht in dem Raum zwischen den
beiden Lagern aufhalten.
Erst am Vortag hatte das Verwaltungsgericht Cottbus das polizeiliche Verbot der von
einem Hamburger Neonazi angemeldeten Demonstration zum “Heldengedenken” an dem
größten deutschen Soldatenfriedhof aufgehoben. “Wir haben dagegen bereits beim
Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) Beschwerde eingelegt, wollen noch immer ein
Verbot des rechten Aufmarsches durchsetzen”, sagte Kandt. Vermutlich erst am
Sonnabendmorgen werde die endgültige Entscheidung fallen.
Rund 900 Rechtsextremisten erwartet die Polizei in Halbe. “Bei den drei angemeldeten
Gegendemonstrationen gehen wir von insgesamt 2 600 Teilnehmern aus”, sagte Kandt.
Davon seien etwa 400 so genannte Autonome, die vermutlich mit allen Mitteln
versuchen würden, den rechten Aufmarsch zu stören. “Uns bekannten Ruhestörern haben
wir schon Aufenthaltsverbote für Halbe ausgesprochen oder so genannte
Gefährderansprachen zugesandt”, sagte der Polizeidirektor. Darin sei den Adressaten
mitgeteilt worden, dass man sie am Sonnabend im Blick haben werde. Zudem sei
nochmals auf Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes hingewiesen worden. “Darin steht,
dass Leute, die mit Gewalt nicht verbotene Versammlungen stören, mit Haftstrafen von
bis zu drei Jahren oder Geldstrafen rechnen müssen.”
Bleibt das Verwaltungsgerichtsurteil auch in der nächsten Instanz bestehen, dürfen
die Neonazis ihre Kundgebung auch auf dem ehemaligen Parkplatz vor dem Waldfriedhof
abhalten. Die Polizei hatte dies zuvor untersagt, da der Parkplatz vor kurzem von
der Gemeinde zu einem Teil des Friedhofes umgewidmet worden war — das Betreten des
Friedhofes ist den Demonstranten verboten. “Aber diese Umwidmung steht erst heute im
Amtsblatt und ist somit erst in 14 Tagen rechtskräftig”, sagte Kandt.
Bei Halbe fand im April 1945 eine Kesselschlacht statt, bei der mehr als 40 000
sowjetische und deutsche Soldaten fielen. Auf dem Soldatenfriedhof sind rund 22 000
Gefallene beigesetzt. Auch einige tausend gestorbene Zwangsarbeiter sowie 57 als
Deserteure hingerichtete Soldaten liegen in Halbe begraben.
Polizei legt Beschwerde gegen geplanten
Neonazi-Aufmarsch in Halbe ein
(RBB Online) Der geplante Neonazi-Aufmarsch zum Soldatenfriedhof in Halbe (Dahme-Spreewald) am
Samstag beschäftigt jetzt das Oberverwaltungsgericht in Frankfurt (Oder).
Das Frankfurter Polizeipräsidium legte am Donnerstag Beschwerde gegen die Aufhebung des
Demonstrationsverbots durch das Verwaltungsgericht Cottbus ein.
Die Polizei kündigte an, mit 1600 Beamten präsent zu sein. Zur Unterstützung kämen
Kräfte
aus Hessen und Berlin. Auch Wasserwerfer und Räumgerät ständen bei Bedarf bereit. Es
würden rund 1000 Neonazis sowie zu drei Gegenveranstaltungen bis zu 2600 linke
Demonstranten erwartet.
Unterdessen haben märkische Politiker dazu aufgerufen, sich friedlich den
Rechtsextremisten
entgegenzustellen. SPD-Fraktionschef Günter Baaske sagte, Brandenburg dürfe kein
Aufmarschgebiet der Rechten sein — weder auf der Straße, noch in den Parlamenten. “Wir
wollen dem bundesweiten Aufmarsch der Neonazis den friedlichen Protest entgegensetzen”,
betonte PDS-Landeschef Ralf Christoffers. Grünen-Landeschef Joachim Gessinger erklärte,
nach dem Einzug der Rechtsextremen in die Landesparlamente von Brandenburg und Sachsen
sei “ziviles Engagement gegen braune Propaganda wichtiger denn je”. Für Neonazis und
Rechtsextreme sei in Brandenburg kein Platz.
In Halbe sind rund 22.000 Menschen begraben. Die meisten waren in den letzten
Kriegstagen
ums Leben gekommen, als eingekesselte SS-Divisionen, Wehrmachtsverbände und
Volkssturm-Angehörige gegen die Rote Armee kämpften.
Was vom Soldaten übrig blieb
(TAZ, Thomas Gerlach) Nein, sie habe derzeit keine Knochen in der Waschküche liegen, wiegelt Erdmute Labes
am Telefon ab. Die Pastorin lebt im Pfarrhaus von Märkisch Buchholz, 50 Kilometer
südlich von Berlin, und bekommt von fremden Leuten gelegentlich Knochen hingelegt.
Menschenknochen. “Das ist eben noch nicht vergangen”, sagt sie etwas später in ihrem
Amtszimmer mit Blick auf Kirche und Marktplatz. Auf dem Tisch liegen ein
Umbettungsprotokoll und eine Erkennungsmarke mit Durchschuss. “Res. Flakbatterie”
ist eingeprägt.
Nein, da ist noch nichts vergangen, solange Erdmute Labes von Militariasammlern, die
durch die Wälder streifen, immer wieder unauffällig Knochen in die Waschküche gelegt
werden, die sie dann auf dem “Waldfriedhof”, dem größten deutschen Soldatenfriedhof,
im Nachbardorf Halbe bestattet.
Der Krieg ist noch nicht vorbei. Es müsste noch aufgeräumt werden ringsum. Waffen
und Munition müssten eingesammelt und vernichtet werden. “Die Waldbrände im Sommer,
das kommt alles von der Munition”, sagt Erdmute Labes. Die Feuerwehr fährt da nicht
rein. Selbst die Bäume sind kaum zu gebrauchen, die nimmt kein Sägewerk ohne Prüfung
durch Detektoren. Eine Kugel im Holz kann das ganze Sägegatter zerfetzen.
Woanders, in den ostdeutschen Städten, werden die letzten Lücken geschlossen, die
die Bomben gerissen haben, im Berliner Reichstag sind die In
schriften der russischen
Soldaten freigelegt und im Kino läuft der “Untergang”. In Märkisch Buchholz genügt
ein Blick aus dem Pfarrhausfenster.
Das war mal eine Stadt, eine kleine zwar, aber eine mit Kirche und artig angelegtem
Marktplatz, Rathaus, kleinen Läden. Bis zum 26. April 1945. Seitdem ist die Stadt
ein zerrissener Leib, notdürftig geflickt mit Pflastersteinen, Blumenrabatten und
Gras. Häuser stehen da, aber wie? Selbst der Gasthof “Goldener Hirsch” wirkt wie ein
Fremdling bei so viel Leere. Wer heute bauen will, muss zuerst den
Munitionsbergedienst rufen.
Als wolle sich die Hausherrin behaglichere Gedanken machen, ist das Amtszimmer fast
zu gut geheizt, wird das Teeservice hinter Glas präsentiert und eine weiße Tafel mit
allerlei Glückwünschen erinnert an den 60. Geburtstag. Aber wie soll etwas vergehen,
wenn in den Wäldern ringsum zehntausende Menschen seit fast 60 Jahren unter dem Moos
liegen wie abgeknalltes, verendetes Wild? Noch mindestens 40.000 Tote, heißt es,
müssten noch geborgen werden.
Mehr Tote als Lebende
Man kann nicht sagen, dass die Bergung der Toten ein drängendes politisches Ziel
wäre. Auch nicht nach dem Besuch Gerhard Schröders am Grab seines Vaters im
rumänischen Ceanu Mare im August. Für Kriegsgräber ist seit 1919 der Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge zuständig, deren Brandenburger Vizechefin Erdmute
Labes nahezu zwangsläufig geworden ist.
Dafür interessiert sich die “Nationale Opposition” um so mehr. Auch in diesem Jahr
soll es wieder zum “Ehrenaufmarsch für den deutschen Frontsoldaten” kommen. Und
damit sich alle langfristig darauf einstellen können, hat Neonazi Christian Worch
aus Hamburg schon Heldengedenkfeiern bis 2020 angemeldet — und an diesem Sonnabend
exakt 60 Kränze.
In den Wäldern verrotten weit mehr Tote, als Lebende in den Städten und Dörfern
ringsum wohnen — weggeworfenes Menschenmaterial der letzten Kesselschlacht des
Zweiten Weltkrieges. Der Wehrmachtsbericht log am 27. April 1945: “Im Raum südlich
Fürstenwalde stießen unsere Verbände im Angriff nach Westen in die tiefe Flanke der
im Süden von Berlin operierenden Bolschewisten.” Der sowjetische Befehlshaber,
Marschall Shukow, formulierte das in seinen Erinnerungen so: “Der Ring um die
feindlichen Truppen südöstlich von Berlin … schloss sich fest.”
Das kam der Wahrheit schon weit näher. Die Reste der 9. Armee, die zu den
Amerikanern nach Westen durchbrechen wollten, wurden hier im April 1945 von der 1.
Ukrainischen und der 1. Belorussischen Front in die Zange genommen — und
“aufgerieben”. General Theodor Busse, der eine Kapitulation abgelehnt hatte, konnte
sich absetzen, der Rest liegt seitdem im Wald.
“So verscharrt man noch nicht mal einen Hund!”, ereifert sich Pastorin Labes ein
wenig. Das Frühjahr 1945 war warm, wochenlang habe es nach Verwesung gerochen. Da,
wo die Toten gerade lagen, wurden sie von den Einheimischen, meist Frauen, unter
Aufsicht der Roten Armee vergraben. So waren die Soldaten aus den Augen. Nicht
unpraktisch für die neuen Herren, die bald mit der “antifaschistisch-demokratischen
Umwälzung” begannen und für die deutsche Soldaten oft nur eines waren: faschistische
Handlanger.
Die meisten russischen Soldaten wurden auf den Soldatenfriedhof Seelow im Oderbruch
gebracht, die deutschen landeten im Wald — bis auf die über 20.000 deutschen
Soldaten, die die DDR dann in Halbe hat bestatten lassen. “Das ist ein
Alibi-Friedhof”, sagt Erdmute Labes. Warum? “Die DDR hatte bei ihrer Gründung die
Genfer Konvention anerkannt.” Die Konvention sah auch Mindeststandards für die
Bestattung gegnerischer Gefallener vor. Was waren die deutschen Soldaten? Gegner?
Das wohl nicht. Freunde? Erst recht nicht. Und das Wort Altlasten gab es noch nicht.
Mehr Wald als Friedhof
Der damalige Ortspfarrer Ernst Teichmann hatte jahrelang Druck gemacht, so dass man
ab 1951 ein paar Hektar kommunalen Wald zum Friedhof umwidmete, um wenigstens einen
Teil der Toten aus den Wäldern zu holen: Wehrmachtssoldaten, auch SS-Angehörige,
einige Zivilisten und Zwangsarbeiter. Und da man gerade beim Umschaufeln war, fuhr
man 1952 auch die 4.500 Toten aus dem ehemaligen sowjetischen Internierungslagers
Ketschendorf bei Fürstenwalde nach Halbe und setzte sie anonym bei. “April 1945” log
man als Todeszeitpunkt auf den Steinen. Ein Schädlingsbekämpfer hat die Umbettung
vorgenommen, sagt Erdmute Labes.
Dass sie zu dieser Aufgabe gekommen ist, war eigentlich Zufall. Als sie 1982 eine
neue Stelle suchte, um ihrer Heimatstadt Berlin wieder näher zu sein, bot sich
Märkisch Buchholz an, und zu deren Gemeinden gehörte das Nachbardorf Halbe samt
Waldfriedhof. Zur DDR-Zeit war die Betreuung der Pastorin eher eine ideelle:
Beerdigen durfte sie auf dem kommunalen Friedhof nicht. Wenn Knochen gefunden
wurden, etwa bei Schachtarbeiten, wurden die Gebeine ohne Zeremonie verscharrt.
“Bis zur Wende dachten alle, das wird weniger”, erinnert sie sich. Wurde es auch.
Bis nach dem Mauerfall die ersten Westautos im Wald auftauchten. “Am Anfang war das
ja alles ein rechtsfreier Raum”, sagt sie. Für Militariasammler muss es ein Paradies
gewesen sein. Im Westen war das meiste schon abgegrast und umgegraben. Hier im Osten
liefen sie durch den Wald mit Sonden und wühlten wie Trüffelschweine im Boden. Und
1992 lagen dann die ersten Knochen in der Waschküche.
“Militariasammler, das ist son Spektrum.” Erdmute Labes öffnet die Arme: Die einen
suchen nach Goldringen und Zähnen, die anderen nach Munition, wieder welche nach
Koppelschlössern und Orden, und wieder andere suchen Tagebücher und Briefe. “Der
Tote ist da nur eine unangenehme Beigabe.” Seit 1994 ist es nach dem
Brandenburgischen Kriegsstättengesetz zwar verboten, nach Kriegsgräbern zu graben,
aber es gibt genügend Sammler, die sich nicht drum scheren, und es gibt zu wenig
Polizei.
Und wenn die Sammler fündig geworden sind und ihre Trophäen eingesackt haben,
sammeln sie die Knochen in eine Tüte und bringen sie Erdmute Labes in die
Waschküche, der Schlüssel hängt rechts neben der Tür. Jedenfalls die “besseren”
unter den Sammlern. Es gibt auch andere. Ein Sammler habe ihr am Telefon drei
Fundstellen genannt, doch bevor der Umbetter eintraf, waren bei zweien die
Stahlhelme geklaut — inklusive Schädel. Das bringt Geld auf dem Schwarzmarkt.
Wie ein Volk, das keine Heimat mehr hat, lagern die Toten im Wald. Die DDR wollte
sie aus ideologischen Gründen nicht haben, und das vereinte Deutschland redet lieber
über den Mauerfall. Kriegsgräber stehen da nicht auf dem Plan. “Brandenburg hat kein
Geld”, sagt Erdmute Labes. Die Wälder müssten vorher von Munitionsresten gesäubert
werden. Als der Volksbund vor zehn Jahren ein 300 mal 200 Meter großes Waldstück vom
Munitionsbergedienst räumen ließ, hat das fünf Tage gedauert, und allein die
Sachkosten beliefen sich auf 36.000 Mark. Sechs Hektar, von tausenden. Doch ohne
Munitionsbergedienst geht kein Umbetter da rein. Nur die Militariasammler.
Mehr Sammler als Nazis
“Mir ist es wichtig, dass die was bringen, um möglichst viele Schicksale zu klären”,
sagt die Pastorin. Deswegen deckt sie die Sammler und begründet das mit ihrem
Schweigerecht, als hätte sie denen die Beichte abgenommen. Was sind das für
Menschen? Erdmute Labes redet summarisch von Leuten, die jung sind, die ein
persönliches Interesse haben, die Vater oder Großvater im Krieg verloren haben, die
teilweise aus der Bundeswehr kommen. Mehr nicht.
Woher wisse sie denn, dass die Gebeine auch tatsächlich alle von gefallenen Soldaten
stammen? Erdmute Labes fängt an: In der Art wie feine Wurzeln um die Knochen
gewachsen sind, sieht man, dass die das entsprechende A
lter haben. Bei so viel
Anschauungsmaterial ist eine gewisse Routine nicht abzustreiten. Erdmute Labes wird
wohl bis zur Rente weiter so praktizieren, sollte sich die Aufmerksamkeit für
Kriegstote nicht grundlegend erhöhen. Hinten in der Waschküche werden immer wieder
Knochen auftauchen, als ob sich die Toten selbst auf den Weg machten, um ordentlich
beerdigt zu werden. “Einer muss es ja machen”, sagt sie. Leidenschaft ist das nicht.
Die Helden liegen anderswo
In Halbe sieht man dem Aufmarsch der Neonazis mit Unbehagen entgegen
(MAZ, Frank Schauka) HALBE Der Landser kehrt einfach zurück, nachts, in den Albträumen. (Aber das
ahnen die 1000 Neonazis nicht, die morgen durch Halbe ziehen wollen.) Liegt
am Boden, wie vor 59 Jahren, von einer Panzerkette überrollt. “Wissen Sie,
wie das aussieht? Das ist noch harmlos.” Am Bahnübergang, überall im Dorf
schreien im Traum die Verletzten, denen niemand hilft, weil niemand mehr da
ist, der helfen könnte. “Es ging doch nicht”, sagt Siegfried Richter. Die
Leichen der Soldaten lagen schon meterhoch, “dass man sich dahinter
verstecken konnte”. Das ist sein Halbe — der Teil, über den er sprechen
kann. “Was wirklich passiert ist, habe ich noch keinem erzählt und werde es
nie erzählen: meiner Frau nicht, meinem Enkel nicht, meinem Sohn nicht.
Darüber kann man nur mit Leuten reden, die dabei waren. Andere würden
denken, der Alte spinnt.” Wenn er reden würde, wenn er reden könnte, sagt
Richter, “fange ich an zu heulen”.
Ein Held? “Ich habe mich nie als Held gefühlt. Wir waren 16, 17 Jahre alt,
und wir hatten mehr Angst als alle anderen.” Flacksoldat Richter und seine
Kameraden kamen von Osten, von der Oderfront nach Halbe. Ihre
Erkennungsmarken, mit denen die Toten identifizierbar gewesen wären, hatten
sie schon vorher in einem Laufgraben zwischen Bunker und Stellung vergraben
müssen. Befehl. Die Rote Armee war turmhoch überlegen. “An Waffen 20 zu
eins”, sagt Richter. “Wir haben noch anderthalb Tage geschossen, bis wir
keine Patronen mehr hatten, dann war Ruhe.” Das war Samstag, der 28. April
1945, zehn Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
“Wir wurden systematisch verheizt”, sagt Richter: der Unteroffizier
Oberländer, der von Beruf Förster war, der “Uffz” Sieg, der Obergefreite
Schnabel, der Kanonier Heinz Müller. Wie die übrigen 22 000 — Soldaten,
Deutsche, Russen, Mütter, Kinder, Einheimische, Flüchtlinge. Bei Halbe hatte
Siegfried Richter seine Kameraden aus den Augen verloren. “Ein Waldbeschuss
ist nicht so lustig.” Jeder will sich verstecken. Und dann die Dunkelheit.
“Keine Ahnung, wo sie geblieben sind, ob sie kaputtgeschossen wurden oder in
Gefangenschaft kamen.”
Vielleicht ruhen, liegen sie in der Erde bei Halbe. Als namenlose Opfer.
“Held” würde Siegfried Richter nicht sagen. Er fährt “turnusmäßig” nach
Halbe, seine Kameraden zu suchen — und fand doch niemals einen. “Leben Sie
mal in so einer Situation zusammen, jeder hat dieselbe Angst, jeder hat dem
anderen geholfen.” Und deshalb hat er zwar “die Hoffnung aufgegeben, noch
einen zu finden”, dennoch er wird weitersuchen, in Halbe ebenso wie auf
Soldatenfriedhöfen in der Umgebung. (Aber das wissen die jungen Neonazis
nicht, die meinen, unter dem Motto “Ruhm und Ehre dem deutschen
Frontsoldaten” für Männer wie Siegfried Richter die Stimme erheben zu
dürfen.)
“Die Rechten”, sagt ein junger Mann aus Halbe, der seinen Namen nicht nennt,
hätten “ihre eigene Ordnung”, die seien “ganz human”. “Die sind gut
angezogen, richtig festlich. Das muss man sich ankieken, das ist richtig
gut”, sagt der Mann im Arbeitsdrillich. Auch wenn er selbst kein Neonazi
sei, die zur Schau gestellte Ordnung der Rechtsextremen beeindruckt ihn. Die
linken Protestler, die im vergangenen Jahr mit Lautsprechern und
Trillerpfeifen durch Halbe zogen, würden hingegen bei der Bevölkerung nicht
gut ankommen.
Dass sich Halbe ab Mitternacht bis Samstagabend im Ausnahmezustand befindet,
missfällt den Dorfbewohnern ebenfalls. Etliche Geschäfte werden geschlossen
bleiben. Die Bundesstraße 179, die den Ort passiert, wird zudem von der
Polizei abgeriegelt. “Wie soll man dann da einkaufen?” empört sich ein
Händler, “das ist geschäftsschädigend.” Alle 100 Meter kontrolliert zu
werden sei “nicht angenehm”. Am Bahnübergang würden möglicherweise die
Schranken geschlossen.
Herr D. aus Halbe war neun Jahre alt, als er die Kesselschlacht miterlebte.
“Nennen Sie mich Zeitzeuge”, sagt der 68-Jährige. Er und Siegfried Richter
kennen und verstehen sich gut. Die Neonazis, die jetzt demonstrieren, “wären
damals weggerannt”, sobald sie bemerkt hätten, dass nicht mit Zuckerwatte
geworfen wurde, sagt Herr D. Das Gedenken dieser Toten “können nur die
nachfühlen, die dem Tod von der Schippe gesprungen sind”. Scheibenschießen
sei “eine wunderbare Sache”, sagt Richter. Die jungen Neonazis, die jetzt
von Kriegsheldentum “faseln”, hätten jedoch “keine Ahnung vom Krieg”. Sie
sollten “mal in den Irak” — oder schweigen.
In der Nähe des Bahnhofs, wo die Neonazis morgen aufbrechen wollen, um ihre
Botschaft zu verbreiten, erscheinen Siegfried Richter oftmals die Bilder von
einst. Dort, wo die Flakbatterie stand, lagen die Leichen meterhoch. “Die
Helden”, sagt Herr D., “liegen anderswo.”
Friedlich entgegenstellen
Aufruf Baaskes zum Neonazi-Aufmarsch / Kreistagserklärung “eindeutig”
(MAZ) Die Erklärung des Kreistages gegen den Neonazi-Aufmarsch morgen in Halbe ist
landesweit beachtet worden. Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion dankte
dem Kreistag für den “eindeutigen” Text, der auch Hintergründe erkläre und
damit helfen könne, “den Wahnsinn des Nationalsozialismus und das Morden von
Halbe im April 1945 der jüngeren Generation zu vermitteln.”
Baaske rief gestern dazu auf, sich den Rechtsextremisten in Halbe friedlich
entgegenzustellen: “Dieser braune Aufmarsch ist obszön. Der Volkstrauertag
wird auf widerwärtige Weise missbraucht.” Es sei bedauerlich, dass es nicht
möglich war, “diese dumpfe Veranstaltung gerichtlich zu stoppen”, sagte
Baaske.
Der Kreistag hatte diese Woche den Aufmarsch verurteilt und an die
Kriegsopfer sowie an die Opfer des sowjetischen Internierungslagers
Ketschendorf erinnert (MAZ berichtete). “Für uns ist Halbe ein Ort der
Trauer und des Respekts”, heißt es in der Erklärung. “Wir lehnen
Kriegsverherrlichung ab. Wir wollen Eure dumpfen Parolen nicht. Die Menschen
im Landkreis Dahme-Spreewald wollen Völkerverständigung, gleiche
Menschenrechte für alle, Demokratie und Frieden.”
Die FDP hat auf einer Kreismitgliederversammlung am Dienstag eine eigene
Erklärung beschlossen. Darin heißt es, der “Missbrauch des Waldfriedhofs”
Halbe als Ort des “Heldengedenkens” verfälsche die historische Wahrheit der
Ereignisse: “Unser Protest richtet sich gegen jeden Versuch, politisches
Kapital aus dem Schicksal der in Halbe bestatteten Opfer von Krieg und
Gewalt zu ziehen.” Die FDP will am Totensonntag auf dem Waldfriedhof der
Opfer gedenken. Kreisvorsitzender Raimund Tomczak sagte, die FDP trage die
Kreistagserklärung nicht mit. Dass sie als Mitunterzeichner genannt wurde,
sei ein “Missverständnis” gewesen, sagte SPD-Fraktionschef Udo Effert.
In Halbe werden morgen bis zu 800 Rechtsextreme erwartet. Die PDS
Dahme-Spreewald und weitere Anmelder veranstalten eine Gegendemonstration
mit 2600 erwarteten Teilnehmern. Sie versammeln sich um 11 Uhr am
Bahnhofsvorplatz, die Kundgebung der Rechten in der Lindenstraße beginnt um
12 Uhr. 1600 Polizisten und Bundesgrenzschützer begleiten die
Veranstaltungen.
Leben in der Warteschleife
“Invisible — illegal in Europa” / Filmgespräch mit Andras Voigt und Annette
Flade
(MAZ, Ulrich Crüwell) Andreas Voigt kommt zur Filmpremiere geradewegs aus dem Gefängnis in
Leipzig, wo er Zakari besucht hat. Zakari ist einer der Helden im neuen Film
des preisgekrönten Dokumentaristen. “Invisible — illegal in Europa”, der am
Mittwochabend zur 25. Ökumenischen Friedensdekade im Filmmuseum gezeigt
wurde, erzählt aus €päischer Perspektive die Geschichten von fünf
illegalen Flüchtlingen, die mitten unter uns leben — ohne Papiere und ohne
jegliche Absicherung. Etwa eine Million Menschen leben illegal in
Deutschland — 100 000 alleine in Berlin, weiß die Potsdamer
Ausländerseelsorgerin Annette Flade zu berichten.
Einer von ihnen ist der mittlerweile inhaftierte Zakari, der vor zehn Jahren
aus Algerien flüchtete. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt. “Das Urteil ist
unanfechtbar, liest Zakari dem Zuschauer in gebrochenem Deutsch vor. Ganze
neun Jahre lebte Zakari illegal in Deutschland, bis eine Polizeikontrolle in
Leipzig dem existentiellen Versteckspiel ein Ende machte. Nun drohe die
Abschiebung, erzählt Voigt beim Filmgespräch und kündigt an, für Zakari
kämpfen zu wollen — notfalls mit einer Petition beim sächsischen Landtag.
Voigt näherte sich der Problematik aus einer €päischen Perspektive und
zeigt bedrückende Innenaufnahmen von Gefängnissen in Holland und im
spanischen Ceuta. Mit Geldern der €päischen Union wurde in Ceuta, einer
spanischen Exlave an der marokkanischen Küste, ein Festungswall aus
meterhohem Stacheldrahtzaun gebaut. Oumar aus Guinea Bissau versucht diesen
Zaun zu überwinden, um nach Europa zu gelangen. “Ich habe nur ein Ziel und
das ist Europa”, sagt er. Die Flucht nach Europa gelingt. Oumar wartet in
einem €päischen Gefängnis in Afrika auf seine Abschiebung. Beim Leipziger
Dokumentarfilmfest hat der Film den European DocuZone Award gewonnen, was
einen Kinostart im nächsten Frühjahr ermöglicht. Im September 2005 wird der
Streifen dann auf Arte zu sehen sein.
Zeugin bestätigt Aussage
Prozess um Brandanschlag in Brück zieht sich vermutlich bis Januar hin
(MAZ, Rose Black) BRÜCK Noch bis Januar könne der Prozess vor dem Potsdamer Landgericht andauern.
Das sagte der Vorsitzende Richter der Jugendstrafkammer bei der jüngsten
Verhandlung am Mittwoch. Am nunmehr zwölften Verhandlungstag im Prozess um
den Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss in Brück wurde erneut die
Hauptbelastungszeugin Theresa A. gehört. Ihre Aussage war es, die die
Polizei auf die Spur von drei jungen Männern geführt hatte. Fabian Th. (19),
Mario H. (20) und Gregor Ludwig H. (21) sollen in der Nacht zum 6. Februar
dieses Jahres mittels einer Art Molotow-Cocktail die Imbisshalle in der
Ernst-Thälmann-Straße in Brand gesteckt haben. Da in jener Nacht — wie
meistens — im Büro einer der Mitarbeiter schlief, lautet die Anklage auf
versuchten Mord.
Theresa A. war zur Tatzeit die Freundin von Gregor H., einem der
Angeklagten. Bei einer Autofahrt am Morgen des Tattages habe sie gehört,
dass die drei einen Überfall auf den Imbiss planten. Allerdings fanden sich
weder an der Kleidung noch an den Schuhen der Angeklagten Spuren des
Anschlags. Und auch die Untersuchung der Flasche, die den Brand auslöste,
endete ohne Ergebnis. Nur ein Abdruck eines besonders großen Schuhs stimmte
mit dem Profil eines der Angeklagten überein. Und auch eine Postbeamtin
sagte als Zeugin aus, dass sie in jener Nacht gegen drei Uhr drei
Jugendliche mit Glatze gesehen habe. In Größe und Körperbau könnten es die
Angeklagten gewesen sein.
Einen Riss bekam das Indizienpuzzle durch die Aussage einer Mitschülerin von
Theresa A. Zu ihr habe sie gesagt, dass es im Auto viel zu laut gewesen sei,
um das Gespräch zu verstehen. Am Mittwoch aber bestätigte die inzwischen
14-Jährige ihre frühere Aussage: Sie habe alles Wichtige gut verstanden, die
Behauptung der Mitschülerin sei falsch.
Nun sollen weitere Indizien nochmals geprüft werden. Beispielsweise die
Reste des Brandsatzes und die Kleidung, die die Angeklagten in der Tatnacht
trugen. Alle drei sind bereits einschlägig vorbestraft. Einer sogar wegen
eines früheren Anschlages auf den gleichen Imbiss: Gregor H. — und nicht,
wie zuletzt berichtet, Mario H. — hatte bereits am 21. Oktober 2000 mit
einem schweren Stein das Schaufenster des Imbissrestaurants zertrümmert und
war dafür zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Der nächste
Verhandlungstag ist der 24. November.
(MOZ) Die Gedenkveranstaltung für die Opfer der Pogromnacht vom 9. November
1938, die gemeinsam von der Stadt, dem Ökumenischen Rat und der Jüdischen
Gemeinde organisiert worden war, wird ein Nachspiel haben. “Wir müssen als
Organisatoren zusammenkommen und über die künftige Form des Gedenkens
beraten”, sagte am Donnerstag Pfarrer Hans-Michael Hanert.
Hintergrund ist, dass neben den angekündigten Rednern auch zwei junge Leute
gesprochen hatten, die sich, so Hanert, erst unmittelbar vor der
Veranstaltung gemeldet und als Mitglieder der Frankfurter Antifa ausgegeben
hätten. In Abstimmung mit Stadtverordnetenvorsteher Volker Starke und
Amtsleiter Karola Kargert habe man sie in den Ablauf integriert. Mehrere
Teilnehmer hatten sich über die Ausführungen der jungen Leute entrüstet.
Hanert stimmt dem zu: “Die Rede war für den Anlass völlig unangemessen”. Die
jungen Leute hätten die Veranstaltung missbraucht, um eine politische
Erklärung abzugeben.
Klar distanziert hat sich auch das Friedrichsgymnasium. Einige Schüler
hatten ebenfalls auf der Gedenkveranstaltung gesprochen. Mit der Sichtweise
der anderen Jugendlichen habe man am Friedrichsgymnasium nichts zu tun,
heißt es in einer Erklärung der Schule. Diese seien auch nicht Schüler des
Gymnasiums oder jemals gewesen.