FINSTERWALDE «Der Mangel am gemeinschaftlichen Gesang und das Fehlen eines Identität
stiftenden Liedes» seien Schuld, dass Deutschland gegenwärtig nicht zurecht
komme. Natürlich wusste Professor Arnulf Baring am Freitagabend im
Warenspeicher von «Ad. Bauer‘s Wwe» , dass er in der Sängerstadt
Finsterwalde zu Gast war, als er mit diesem Bonmot die Besucher des 8.
Finsterwalder Stadtgesprächs begrüßte.
Eingeladen hatte den Historiker und Publizisten der
Sängerstadtmarketingverein zum Vortrag «Deutschland und der Westen» . Als
streitbaren und umstrittenen Zeitgeist charakterisierte der Berliner
Rechtsanwalt Dr. Frank Nagelschmidt in Vertretung des Hausherren und
Initiators der Stadtgespräche, Sebastian Schiller, den aus zahlreichen
Fernsehdiskussionen bekannten und von manchen wegen seiner Scharfzüngigkeit
gefürchteten Gast. Sebastian Schiller ließ aus dem fernen Japan grüßen, wo
er derzeit beruflich weilt.
«Der gute Ton» stand auf dem Notenordner von Anne Müller und Ines Köhler,
die mit zünftigem Kla rinettenspiel den Abend auf dem Dachboden des
Warenspeichers neben der drei Meter langen Ladentheke eröffnet hatten.
Vielleicht lag es daran oder am eher unverfänglichen Thema der Außenpolitik,
dass Baring seinen knapp einstündigen Vortrag moderat gestaltete. Rhetorisch
glänzend, ohne ein Manuskript zu benötigen und mit fundiertem Sachwissen
schlug der Professor an der FU Berlin den Bogen vom Anfang des 20.
Jahrhunderts bis in die außenpolitische Gegenwart Deutschlands. Schnell
machte der Publizist seine konservative Grundauffassung von deutscher
Außenpolitik deutlich, die Machtpolitik sein müsse. Seine These: Deutschland
ist im 20. Jahrhundert immer gescheitert, weil die politischen Eliten nicht
in der Lage waren, die richtigen und starken Partner an sich zu binden.
Burschikos in Form geredet
«Weil wir als Großmacht gescheitert sind» , sei für ihn heute der einzige
richtige Weg, sich an die USA «anzulehnen» . Sich «Frankreich an die Brust
geworfen» zu haben, hält der promovierte Jurist ebenso falsch wie das durch
den «Sponti» ‑Kanzler aufgebaute fast freundschaftliche Verhältnis zu einem
Russland mit für ihn wieder imperialen Gelüsten.
Burschikos in Form geredet, charakterisierte Baring, von 1952 bis 1983
selbst Mitglied der SPD, eloquent die gegenwärtige Außenpolitik Deutschlands
als distanziert bis feindselig gegenüber den USA und machte keinen Hehl aus
seiner Abneigung für die jetzige Regierungskoalition. Schröder sei «kein
Stratege» und habe vor allem mit seiner Ablehnung der amerikanischen
Irak-Politik und dass dies nach gewonnener Wahl 2002 nicht korrigiert worden
sei Deutschland außenpolitisch falsch positioniert. «Selbstbewusst an der
Seite der Weltmacht USA» den richtigen Weg suchen, erhofft Professor Baring
von einer neuen, konservativen Regierung.
Widerspruch von Zuhörern
Baring nutzte seinen Vortrag zu flott von der Zunge gehenden Äußerungen.
Auch wenn man sich «sechs Jahre lang gegen eine Welt von Feinden» behauptet
habe, sei Deutschland keine imperiale Macht. «Vor hundert Jahren haben wir
andere Länder mit militärischer Stärke bedroht, heute nur noch durch
Unfähigkeit» , hieß es da zum Beispiel.
In der folgenden Diskussion bekam Baring von Dr. Wolfgang Burkhardt und Jana
Müller Widerspruch zur Einschätzung der Irak-Politik. Bürgermeister Johannes
Wohmann erfuhr eine Einschätzung zur Europa-Politik, und Frank Bobkiewicz
wollte wissen, ob Baring in Deutschland einen zukünftigen politischen
Strategen(in) sieht. Dem von Baring formulierten Verdienst Reagans für die
Vereinigung hielt Dieter Thor die Rolle Gorbatschows entgegen.
Nach einem lebendigen Gesprächsabend dankte Wolfgang Becker vom
Stadtmarketingverein dem Gast, und Bürgermeister Wohmann lud Arnulf Baring
zum nächsten Sängerfest ein. Wenn schon nicht Deutschland, Finsterwalde hat
eine Identität stiftende Hymne, bekam der Gast auf Initiative von Hans
Richter mit dem Sängerlied vorgesungen. Am Freitagnachmittag hatte sich
Baring in der Finsterwalder Innenstadt und auch in Fürstlich Drehna
umgesehen.
Zitiert Baring: Sprüche-Zettelkasten
«Uns nur im Licht unserer nationalsozialistischen Verbrechen zu sehen ist
falsch.»
«Wenn wir es mit Putin zu tun gehabt hätten, wäre die Wiedervereinigung so
nicht gelungen.»
«Gorbatschow ist ein sympathisch Naiver.»
«Europa löst die Probleme nicht, so größer sie wird, um so schwächer wird
die EU.»
«An menschenrechtlichen Bekundungen sind wir in Deutschland sehr
freigiebig.»
«Wir sind eher ein ängstliches provinzielles Volk.»
«Der Vietnamkrieg war eine ziemlich verrückte Idee der Amerikaner.»
«Die Ära Schröder hat die Beziehungen zu den USA mutwillig reduziert.»
«Die Gehirne sind unsere einzigen Bodenschätze. Deshalb müssen wir viel mehr
für Investitionen in Bildung und Forschung tun.»