»Wir haben immer nur Uhren instand setzen müssen, Millionen Uhren. Wir haben sie gesäubert, von Blut gereinigt, Ersatzteile eingebaut«, berichtet der ehemalige KZ-Häftling Samuel Antmann, der in Sachsenhausen in der Uhrwerkstatt arbeitete.
Die Uhren stammten von den in Auschwitz und Majdanek ermordeten Menschen. Die oft wertvollen Stücke wurden repariert, um sie anschließend an SS-Leute zu verschenken. Die ersten Sendungen in versiegelten Kisten trafen Ende 1942 in Sachsenhausen ein. Allein 1943 kamen etwa 50 000 Uhren«, schreibt Hermann Kaienburg in seinem Buch »Der Militär- und Wirtschaftskomplex der SS im KZ-Standort Sachsenhausen-Oranienburg«. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten gab die wissenschaftliche Abhandlung soeben als Band 16 ihrer Schriftenreihe heraus. Im Mittelpunkt von Kaienburgs Betrachtung steht nicht das KZ, sondern das Umfeld, also das Truppenlager, die Wirtschaftsbetriebe, die SS-Wohnsiedlungen und verschiedene Dienststellen. So beschreibt der Historiker, wie Heinrich Himmler die Konzentrationslager in den 1930er Jahren als Tarnung nutzte, um gegen den Wunsch der Wehrmacht bewaffnete SS-Einheiten aufzustellen. Die Totenkopfverbände waren demnach viel stärker als für die Bewachung des Lagers erforderlich.
Das brutale Vorgehen gegen die Häftlinge diente auch dazu, jene seelenlose Härte zu trainieren, mit der die SS später in den besetzten Gebieten vorging. Wer die geringsten Skrupel zeigte, den ließ KZ-Inspekteur Theodor Eicke aussortieren. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs bildeten die jungen Angehörigen der Totenkopfverbände planmäßig den Keim der Waffen-SS. Die Kontrolle der Häftlingslager übernahmen ältere SS-Angehörige. Indem Kaienburg die Entstehung der Waffen-SS und die Versetzungen dorthin beschreibt, widerlegt er auch die unselige Legende, bei den Divisionen der Waffen-SS habe es sich um normale Armeeeinheiten gehandelt, die mit der übrigen SS nichts zu tun hatten.
Die Abhandlung ist voller aufschlussreicher Details, informiert zum Beispiel, wie die Kraftfahrtechnische Versuchsabteilung am Standort ein Kettenfahrzeug für die Front entwickelte, das durch den Umbau eines Opel-Lastwagens entstand. Erwähnt ist auch, dass Oskar Dirlewanger hier im Sommer 1940 ein SS-Sonderkommando aus zirka 300 Männern aufstellte, die wegen Wilderei und anderer Delikte verurteilt waren. Das Kommando Dirlewanger kämpfte in der Sowjetunion gegen Partisanen und beteiligte sich an der Niederschlagung des Warschauer und des slowakischen Aufstands.
Das gigantische SS-Klinkerwerk, das Material für die monumentalen Baupläne Albert Speers liefern sollte, erwies sich trotz enormer Ausbeutung der Häftlinge als Desaster. Nachdem schon Unsummen in der Errichtung des Werks steckten, erwies sich bei Probeläufen, dass sich im gewählten Trockenpressverfahren gar keine brauchbaren Ziegel herstellen ließen – die Steine zerfielen. Die eigentlich unabdingbaren praktischen Versuche hatte man vor dem Baubeginn fahrlässig vernachlässigt.
Die Abschnitte zu den SS-Betrieben enthalten Passagen über den bestialischen Umgang mit den Häftlingen, die besonders in den Baukommandos gequält worden sind. Kaienburg berichtet auch über die Schuhprüfstrecke des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau. Die etwa 700 Meter lange Bahn verlief rings um den Appellplatz. Der Historiker schreibt: »Zum Schuhläuferkommando gehörten bis 1943 zirka 80 bis 120 Häftlinge, … die täglich morgens bis abends in straffem Tempo, beladen mit einem schweren, mit Sand gefüllten Rucksack, etwa 50 Runden, also 30 bis 40 Kilometer, zurücklegen mussten, und zwar bei jedem Wetter – für die unterernährten KZ-Insassen eine unglaubliche Tortur. Fast täglich brachen mehrere von ihnen zusammen. Als besondere Qual verteilten SS-Aufseher bisweilen Schuhe, die zu klein waren.«
Hermann Kaienburg: »Der Militär- und Wirtschaftskomplex der SS im KZ-Standort Sachsenhausen-Oranienburg. Schnittpunkt von KZ-System, Waffen-SS und Judenmord«, Metropol Verlag, 428 Seiten (brosch.), 24 Euro