In Rathenow steht am kommenden Dienstag die nächste Versammlung des rechtsoffenen „Bürgerbündnisses Havelland“ an. Es wird mittlerweile die sechste Großveranstaltung dieser Vereinigung in der havelländischen Kreiststadt sein. Um die 500 Personen werden dazu erwartet – für den größten kontinuierlich aktiven PEGIDA-ähnlichen Aufzug im Land Brandenburg. Das sich diese Versammlung von selber „totläuft“ scheint momentan noch Illusion, zumal aktuelle Ereignisse immer wieder rassistisch gefärbte Debatten befeuern. Das „Bürgerbündnis Havelland“ hat mittlerweile gelernt wie es seine Mitläufer_innen ansprechen muss. Nämlich durch tägliche Schauergeschichten über vermeintliche kriminelle Flüchtlinge und Täter_innen mit ausländischer Abstammung . Das dabei nur äußerst wenig zwischen der schutzsuchenden Mehrheit der in der Bundesrepublik ankommenden Menschen und einzelnen Ausnahmen differenziert wird, scheint beabsichtigt. Für viele Sympathisant_innen des „Bürgerbündnisses Havelland“ sind Asylsuchende ohnehin nur „faule Wirtschaftsflüchtlinge“ oder „Geld fressendes Pack“. Entsprechend argwöhnisch werden neu ankommende Menschen von einigen nicht sehr gastfreundllichen Havelländern beäugt.
Unterkunft in Semlin ausgespäht
Gestern machte beispielsweise eine „besorgte Bürgerin“ beim „Bürgerbündnis Havelland“ Meldung, dass in einer Ferienwohnlage im Rathenower Ortsteil Semlin Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Sofort war dieser Hinweis ein Topthema in einem sozialen Netzwerk. Das „Bürgerbündnis Havelland“ zeigte sich brüskiert. Der Landkreis Havelland hatte sich offenbar „erdreistet“ Menschen ohne Rücksprache mit dem „Volk“ unterzubringen. Ein „Hans S.“, der auf seinem Socialmedia-Profil mit NPD Slogans wirbt, fühlte sich dabei besonders „übergangen“. „Solch Frechheit darf man sich eigentlich nicht gefallen lassen und eine Eilversammlung, wie gerade in Einsiedel) anmelden. Diese Fachkräfte sollten von Anfang an merken, dass sie nicht willkommen sind“, so S. in einem Kommentar. Als „interessierter Mensch“, der weniger Tage zuvor bereits eine andere Flüchtlingsunterkunft in Rathenow fotografiert und davon ein Bild mit der Aufschrift: „Rathenow sagt: nein zum Heim“ auf der Seite des „Bürgerbündnis Havelland“ veröffentlicht hatte, fühlte er sich offenbar erneut berufen eine Unterkunft für Asylsuchende aus der „Nähe“ zu betrachten. Wenig später waren mehrere Fotos der Unterbringung inkl. dem Slogan „Nein zum Heim“ sowie einem kleinen Aufklärungsbericht auf der Seite des „Bürgerbündnisses Havelland“ zu finden. In dem Bericht heißt es u.a. „Auch wenn dort gerade noch nicht viel passiert, sollte man, meiner Meinung nach, trotzdem nicht untätig bleiben! Man darf diese geheimen Machenschaften der etablierten Politiker und Asylprofiteure nicht unbeantwortet lassen! Macht euch auf und leistet gegen jene Verbrechen auf jeder Ebene passenden & kreatives Widerstand! Nein zum Heim! – Weder in Rathenow, noch in Semlin oder anderswo!“. Eine unvervohlende Drohung, die durch entsprechende Kommentare unter weiteren Artikeln zum Thema noch verstärkt wird. „Direkt davor Versammlung es reicht echt“, war beispielsweise noch ein eher „harmloser“ Kommentar. Eine andere Person würde, laut eigenem bekunden, die Flüchtlinge lieber in einem Semliner Gewässer unterbringen, „der See“ sei „schließlich groß genug“. Das es sich bei den in Semlin untergebrachten Menschen um alleinreisende Jugendliche handelt scheint dabei niemanden zu störenden, auch nicht das viele Flüchtlingskinder bereits im Mittelmeer ertrunken sind.
Zunehmende Radikalisierung
Mit der immer wieder betonten „Friedfertigkeit“ und „Gewaltlosigkeit“ seitens des „Bürgerbündnisses Havelland“ hat dies nur noch wenig zu tun. Im Gegenteil eine schleichende Radikalisierung wird immer deutlicher erkennbar, vor allem in der verbalen Artikulation im Internet als auch auf den Veranstaltungen. Insbesondere letztere wirken durch die von der Versammlungsleitung sehr intensiv gepflegten Feindbilder von mal zu mal aggressiver. Eine Eskalation der Ereignisse in naher Zukunft scheint dabei bewusst beabsichtigt. Diesbezüglich ebenfalls bedenklich scheint auch das seit Dezember 2015 aktive „Bürgerbündnis Deutschland“ zu sein, ein Netzwerk das maßgeblich auf Initiative des „Bürgerbündnisses Havelland“ gebildet wurde und in dem auch Organisationen mit einbezogen sind, die mit dem militanten Neonazimilieu oder verbotenen Vereinigungen verwoben sind.
Monat: Januar 2016
Ticker für den 12.Januar: http://twitter.com/Ticker_rthnw
In verschiedenen Städten Brandenburgs treffen sich, mitunter wöchentlich, rassistische Bürger_innen und Neonazis um u.a. gegen Geflüchtete zu hetzen. Städte wie Nauen können getrost als “National befreite Zone” bezeichnet werden.
In Rathenow demonstrieren seit Monaten bis zu 800 deutsche Deutsche, Neonazis, rassistische Bürger_innen und “besorgte” Anwohner_innen gegen vermeintlichen Asylmissbrauch, “Multikulti”, Migrant_innen und für eine Rückbesinnung auf das “eigene Volk”. Längst ist Rathenow zum aktuellen Brennpunkt rassistischer Mobilisierungen in Brandenburg geworden. Grund genug zu intervenieren und lokale progressive Akteure zu unterstützen.
Das „Bürgerbündnis Havelland“ und seine Neonazis
Wie üblich versucht sich auch das Rathenower „Bürgerbündnis“ an einem seriösen Auftreten. Seit Beginn der Demonstrationen waren und sind jedoch immer wieder bekannte und zum Teil wegen mehrfacher schwerer Gewaltdelikte vorbestrafte Neonazis als Ordner_innen eingesetzt, was der Anmelder, Nico Tews, fleißig zu leugnen versucht. Neben den Neonazis und Rassist_innen, die diese Demonstration anmelden, finanzieren und organisieren, kommen auch bis zu 100 Teilnehmende aus diesem politischen Spektrum, ob nun Neonazi-Bands (Preußenstolzsänger Patrick Danz), NPD-Kader (Michel Müller) und diverse Gruppierungen wie die „Freien Kräfte Neuruppin /Osthavelland, „PEGIDA Havelland“, „Der III. Weg“ oder DIE RECHTE.
Wir wissen nicht genau, was schlimmer ist, die massive Beteiligung von Neonazis oder die Tatsache, dass der Großteil dieses offensichtlich rechten Aufmarsches aus “ganz normalen Bürger_innen” besteht.
Wachstumstendenzen
Schon jetzt handelt es sich hierbei um den größten regelmäßig stattfindenden rassistischen Aufmarsch in Berlin und Brandenburg — Tendenz steigend! Er strahlt weit über Rathenow hinaus und mobilisiert inzwischen auch über die Landesgrenzen hinaus regelmäßig Massen — vom Nazikader bis hin zum ganz “normalen Bürger”, während der Widerstand bisher von verhältnismäßig wenigen Schultern getragen wird. Aus dem Aufmarsch heraus kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Journalisten und Antifaschist_innen und es ist nur eine Frage der Zeit bis diese Gewaltbereitschaft sich noch andere Bahnen sucht.
Es droht eine hegemoniale Stellung des rechten Mobs in der Region. Denn Fakt ist, um so länger organisierte Neonazis und “besorgte Bürger_innen” eine gemeinsame Wohlfühlveranstaltung haben, um so mehr Raum bietet sich einer permanenten Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung.
Brandenburg ist schon jetzt hinter Sachsen und Meck-Pomm, das Bundesland mit den meisten rechten Gewaltdelikten.
Antirassistischer Widerstand
Wir möchten mit euch gemeinsam dieser unerträglichen Situation vor Ort Einhalt gebieten. Es gilt zu verhindern, dass sächsische Zustände um sich greifen. Am 12. Januar plant das „Bürgerbündnis“ wieder eine Demonstration durch Rathenow. Wir wollen die antifaschistischen und antirassistischen Strukturen vor Ort in ihrem Handeln bestärken. Unsere Solidarität soll eine praktische werden, um den Menschen, die seit Monaten regelmäßig eine Gegenkundgebung abhalten, Mut zu geben und sie zu unterstützen.
Es ist längst überfällig dem deutschen Mob entgegenzutreten — In Rathenow und anderswo!
Demonstration am 12. Januar 2016 um 17.45 Uhr vom Bahnhof Rathenow
Zugtreffpunkt Berlin: 15.50 Uhr HBF
Zugtreffpunkt Potsdam: 16.20 Uhr HBF
Zugtreffpunkt Brandenburg Havel: 16.50 Uhr HBF
Plakat: Hier herunterladen.
Flyer: Hier herunterladen.
Weitere Bilder: Presseservice Rathenow
Das Amtsgericht Neuruppin verurteilte heute zwei Funktionäre der NPD zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurden. Den Angeklagten Dave Trick und Pierre B. wurde vorgeworfen am 19. Mai 2014 einen Wahlhelfer der Linkspartei angriffen zu haben. Der Betroffene wurde damals zu Boden geworfen und mit Schlägen malträtiert. Wenige Tage später wurde Dave Trick als Kandidat der NPD in die Stadtverordnetenversammlung von Neuruppin gewählt. Dieses Mandat hat der 28 Jährige bis heute inne. Pierre B. trat in der Vergangenheit mehrfach als Anmelder von neonazistischen Versammlungen sowie als Redner auf derartigen Veranstaltungen in Erscheinung. Im Jahr 2010 war er zudem Ersatzdelegierter für den Landesparteitag der NPD.
Physischer Kommunalwahlkampf
Zur Tatzeit waren beide Angeklagte gerade damit beschäftigt abgehängte Wahlplakate der NPD in der Bechliner Chaussee wieder aufzuhängen, als der betroffene Zeuge zufällig mit dem Fahrrad vorbeifahren wollte. Der später Geschädigte war als Wahlhelfer der Partei DIE.LINKE unterwegs und verteilte deren Werbezeitungen. Als der Betroffene die beiden Neonazis passieren wollte, soll ihn der Angeklagte Dave Trick zunächst vom Fahrrad gestoßen haben. Anschließend soll sich der NPD Mann auf sein Opfer heraufgesetzt und es zusätzlich geschlagen haben. Der Mitangeklagte Pierre B. soll zudem auf den Kopf des Betroffenen eingetreten haben. Wenig glaubhaft war hingegen die bereits im Vorfeld des Prozesses von der NPD thematisierte Schutzbehauptung, dass beide Angeklagten zuvor von dem Linken bespuckt und beleidigt wurden.
Schuld erwiesen
Nach einem äußerst langwierigen Prozess war das Gericht allerdings von der Täterschaft der beiden Angeklagten überzeugt. Es verurteilteDave Trick wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, ausgesetzt zu drei Jahren auf Bewährung sowie zur Zahlung einer Geldstrafe von 500,00 €. Der in Nauen (Landkreis Havelland) wohnhafte Pierre B. wurde wegen Körperverletzung zu acht Monaten auf Bewährung und ebenfalls zur Zahlung einer Geldstrafe von 500,00 € verurteilt. Bei B. kam strafverschärfend dazu, dass er bereits strafrechtlich in Erscheinung trat. Am 11. Dezember 2008 soll er Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet und 2011 eine Straftat vorgetäuscht haben. Beide Delikte zogen Geldstrafen nachsich.
Wir sind keine Gruppe von erfahrenen Antira- Aktivist*innen, sondern trafen uns vor Kurzem im Zuge der »Willkommenseuphorie« und merkten schnell, dass uns vor lauter »Helfen« die politischen Entwicklungen überrollten. Uns wurde klar, dass ohne eine politische Debatte mögliche Analysen und Perspektiven fehlten. Die brauch(t)en wir aber, da wir plötzlich Arbeiten und Aufgaben erledigten, die wir mit einem linksradikalen Selbstverständnis nicht vereinbaren konnten.
Deswegen luden wir zu einem Kongress ein. Wir wollten diskutieren. Und das vor allem mit den Migrant*innen selber. Wir wollten dieser überheblichen Perspektive des »Wir helfen euch Armen« entfliehen und die vergangenen wie die aktuellen Kämpfe von Migrant*innen, aber auch unsere eigenen, in den Mittelpunkt rücken und nach den Verbindungen dazwischen fragen.
Letztlich waren über den Tag verteilt 100 teils organisierte Leute aus Berlin und Brandenburg anwesend. Der Anteil von MigrantInnen war für unseren Erfahrungshorizont recht hoch. Inhaltlich bereiteten wir Thesen und Workshops vor, die in zwei Blöcken über den Tag hinweg parallel liefen.
Einstiegsthesen beim Kongress
1. Die Lagerverwaltung der „Refugees“ hat zwei Ziele: Selbstbestimmte Mobilität von Migrant*innen zu unterbinden, um sie effizient zu registrieren und zu kategorisieren. Gleichzeitig werden sie in einen Status gezwungen (Duldung), in dem sie selbst mobil und flexibel jede Arbeit annehmen müssen. Gelingt ihnen das nicht und es fallen staatliche Kosten an, droht Abschiebung.
2. Vor 25 Jahren gab es bereits eine Verschärfung der Asylgesetze in Deutschland. Die dort erprobten Maßnahmen wurden 10 Jahre später mit den Hartz-Gesetzen in der Breite umgesetzt. Was für die damaligen Asylbewerber*innen an Lebens – Arbeitsbedingungen galt, sollte später für weite Teile der »unteren Berufsgruppen« (auch viele radikale Linke) gelten.
3. Weder gegen die Asylrechtseinschränkungen noch gegen die Hartz-Gesetze gab es erfolgreichen Widerstand, denn soziale oder berufliche Gruppen kämpften politisch isoliert voneinander: Student*innen gegen die Bedingungen an der Uni, Hausbesetzer*innen in ihren Immobilien, die Erzieher*innen & Lehrer*innen in Schule und Kita, die Industriearbeiter*innen in den Fabriken, die von Hartz IV Drangsalierten montags auf der Straße, der Einzelhandel im Supermarkt, die Bahner*innen auf dem Bahnhof und die Migrant*innen gegen Residenzpflicht, Sachgutscheine, Lagerhaltung und Abschiebungen.
4. Die aktuelle Situation stellt uns vor eine ähnliche Entwicklung mit dem Unterschied, dass wir es nicht mit bundesdeutschen, sondern mit weltweiten Verschärfungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu tun haben.
5. Wir müssen aus den letzten 25 Jahren viel lernen. Zwei Dinge ganz besonders: Dieser Staat kennt nur die kapitalistische Logik. Diese zeigt sich überall: In Waffenexporten, Kriegen, unternehmerischer Lagerverwaltung von Migrant*innen, in den Reformen des Bildungswesens und des Arbeitsmarktes, … Wir müssen uns klar von dieser Logik der Verwaltung und Inwertsetzung distanzieren. Wir können nicht als Verwalter*innen für diesen Staat auftreten. Wir können uns nur auf Augenhöhe begegnen, die zunehmende Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt rücken und wieder gemeinsam kämpfen.
Workshops
1. »Experiences in self-organization in Syrian/Kurdistan«
Die »Refugees« sind keine Opfer. Sie sind Subjekte ihrer Geschichte. Die Anschläge in Paris zeigen die Ausweitung des »War on terror« vom Süden in den Norden. Lasst uns aus Syrien lernen, wie sich in solchen Zeiten politisch organisieren lässt.
2. »Experiences in breaking through the croatian border«
Die Erfahrungen in Potsdam zeigen, wie schnell wir in staatliche Strukturen gezogen werden. Eine antistaatliche Organisierung ist nötig. Die Unterstützung an der kroatischen Grenze setzte sich explizit über staatliche Politik hinweg. Aber hat diese Art von Politik ein Perspektive?
3. »Migrant House occupations — a subversive answer or institutionalization?«
Hausbesetzungen eröffnen meist autonome Räume. Erfahrungen aus Italien zeigen jedoch, dass angesichts massiver Wohnungsnot diese Räume nicht per se unabhängig bleiben.
4. »‘Industry of welfare’ of DRK, Caritas, AWO and Co.«
Viele Leute versuchen politische Arbeit mit und für »Geflüchtete« zu leisten. Problematisch ist, dass sie meist gefangen sind zwischen dem Zwang Geld zu verdienen und der kommerziellen Verwaltung von »Geflüchteten«. Die politische Handlungsfähigkeit in solchen Strukturen ist stark begrenzt, nicht wenige verausgaben sich und vereinzeln.
5. »Administration of concurrence — ‘Life’ & Work between ‘Duldung’ & Deportation«
Lohnarbeit ist für »Geflüchtete« die einzige Chance dem Duldungsstatus zu entkommen. Andernfalls droht ihnen die Abschiebung. Zu welchen Arbeitsbedingungen lassen sich die Leute ausbeuten und was hat dies mit den Arbeitsverhältnissen allgemein zu tun?
6. Interregional Mobilization in the Lager
Abschließend stellt sich die folgende Frage: Wie lässt sich mit verstreuten, mehr oder minder organisierten Gruppen gemeinsam politisch handeln? Die Lagerverwaltung ist ein überregionaler Mechanismus, dem wir nur überregional begegnen können.
Zusammenfassung des Feedbacks zum Kongress
Der DIY Charakter des Kongresses sollte eine Ansage sein. Wir wollten ohne Anträge bei irgendwelchen Stiftungen auskommen und auch vermeiden, dass wir uns finanziell ein riesiges Gerüst aufbauen, was uns dann zu bestimmten Formen zwingen kann. Wir wollten sagen: »Hey jede*r kann so einen Kongress ins Leben rufen!«
DIY war aber auch eine Notlösung. Die Vorbereitungsgruppe blieb sehr klein und die Potsdamer Szene konnte trotz ihrer großen Aktivität innerhalb der »Willkommenseuphorie« weder in die Vorbereitung einbezogen noch zur Teilnahme bewegt werden. Dies hat zwei Gründe. Die aktiven Leute sind mit Arbeit und Verantwortung überschüttet und finden keine Zeit für eine politische Auseinandersetzung. Und unsere Idee die politischen Küchentische zu mobilisieren, war eine Illusion. Wir verzichteten bewusst auf Einladungsbündnisse, die in unseren Augen nur Marketing- oder Lippenbekenntnisse sind, sondern sprachen gezielt Wohngemeinschaften an. Wir erhoff(t)en uns eine Debatte unter kritischen Menschen und nicht unter Politiker*innen.
Die Übersetzung während des Kongresses war für uns die größte Herausforderung und hat nur teilweise geklappt. Wichtig war mehrsprachig einzuladen und Englisch als Hauptsprache zu nutzen. Da gerade die älteren Brandenburger*innen, zum Teil aber auch Migrant*innen (die die ganze Zeit drangsaliert werden Deutsch zu lernen) dies nicht gewohnt sind, mussten wir spontan auch andere Lösungen finden. Zwei Dinge haben wir dabei gelernt: 1. Eine gut vorbereitete Moderation ist wichtig, die nicht nur einen Blick für den Inhalt, sondern vor allem für die Leute in der Runde hat. 2. Alle Menschen sollten sich über ihre (nicht) vorhandenen Sprachkenntnisse bewusst sein und im Zweifelsfall Freund*innen mitbringen, die mittels »stiller« Übersetzungen in Diskussionen und Workshops aushelfen können.
Beim Kongress ist sehr deutlich geworden, dass es ein Bedürfnis zu diskutieren gibt. Wir waren überrascht, wie viele Leute bereits am Samstag Morgen teilnahmen. Die Inhalte der Workshops stießen auf positive Resonanz, wobei die eingangs gestellten Thesen nur teilweise inhaltlich bearbeitet wurden. Dies hat vorrangig mit dem »Kommen und Gehen« über den Tag hinweg zu tun und führte letztlich auch zu einer Überforderung im Abschlussplenum. Teilweise wurde beklagt, dass wir nicht zielorientiert auftraten, sondern das Treffen offen formulierten. Wir wollten keinen großen Kongress mit Perspektive anbieten, sondern einen »Stich ins Wespennest« wagen. Rückblickend hätten wir es inhaltlich nicht so breit fächern müssen. Deswegen spitzen wir nun die uns wichtigen Punkte zu. Denn es gibt Redebedarf, es gibt ähnliche Kongresse und es gibt politische Entwicklungen, die wir nicht hinnehmen werden!
Weiter im Stoff – die »eigene Rolle« hinterfragen
Lager abschaffen!
Ausgangspunkt unserer Zweifel und Fragen waren die spezifische Erfahrung und die Beobachtungen, welche wir an unterschiedlichen Stellen in Potsdam machen mussten. Hier zeigte sich zuerst innerhalb der hauptsächlich von der linken Szene in wenigen Tagen aufgebauten Außenstelle der Erstaufnahme, wie schnell wir in staatliche Strukturen gezogen werden und uns plötzlich in der Rolle der Knastaufseher wiederfinden. Kurz darauf bescherte uns die Diskussion um die Errichtung von Leichtbauhallen auf dem Gelände des alternativen Kulturzentrums freiLand die bittere Erkenntnis, dass die Stadtverwaltung bewusst dieses Gelände gewählt hat, in der nicht unbegründeten Hoffnung, dass sich die dortigen Aktiven als dankenswerte Steigbügelhalter_innen eines repressiven Asylsystems erweisen werden. Ähnliche Fälle der Unterbringung in unmittelbarer Nähe zu linken Zentren wurden auch aus anderen Städten berichtet.
Von Lagern außerhalb Deutschlands vermittelte der Workshop zu Erfahrungen an der kroatischen Grenze einen Eindruck. Was als antistaatliche, grenzüberwindende Aktion begann, wurde schnell von sogenannten Sachzwängen bestimmt. Statt politisch frei agieren zu können, wurde man immer wieder auf eine rein versorgende Unterstützung zurückgeworfen. Zudem ließ sich in den drei vor Ort besuchten Lagern folgendes Dilemma formulieren: Während es auf der einen Seite Lager gibt (bspw. Presova/Slowakei), in dem eine chaotische Lage und schlechte hygienische Situation herrscht, aber die Migrant*innen eine mehr oder weniger uneingeschränkte Bewegungsfreiheit haben, existieren auf der anderen Seite Lager (bspw. Dobova/Slowenien), in denen eine erstklassige (auch humanitäre) Infrastruktur und grundlegende Versorgung sicher gestellt ist. Allerdings ist dieses Lager komplett militarisiert und abgeriegelt. Es gibt keine selbstbestimmte Bewegungs- und Handlungsfreiheit.
Unabhängig von den jeweiligen Bedingungen in Lagern und Heimen erweist sich eine politische Mobilisierung in diesen Strukturen als kaum durchführbar. Im Workshop zur interregionalen Lagermobilisierung wurden diesbezüglich kontinuierliche Anstrengungen und Misserfolge der letzten Jahre geschildert. Als besondere Hindernisse wurden die oft schwer erreichbare geografische Lage, die Zugangsverweigerung durch die jeweiligen Betreiber, die starke Fluktuation der Bewohner*innen sowie deren prekäre Lebensumstände benannt.
Als naheliegende Alternative zur Schaffung von freiem, kollektivem Wohnraum gab/gibt es in Potsdam die Idee leer stehende Objekte einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Dafür wollen wir an bereits gemachte Erfahrungen anknüpfen.
Häuser besetzen!
Nicht nur in Italien und Frankreich werden seit Jahren wieder Häuser besetzt, auch in der BRD gibt es wieder Besetzungen. Die Motivation hierfür ist jedoch sehr unterschiedlich. Der Nenner scheint die Migration zu sein. Uns war es wichtig, aus der jüngeren Vergangenheit zu lernen, das »Rad nicht neu zu erfinden« und vor allem nicht bereits begangene Fehler zu kopieren. Hierfür haben wir Erfahrungen von italienischen Hausbesetzungen gesammelt und Leute von der Besetzung in der Ohlauer Straße (Berlin) eingeladen.
Die italienischen Erfahrungen lassen sich in drei Strängen fassen. 1. Die alten besetzten Strukturen sind überfordert oder existieren nicht mehr. Migrant*innen nutzen seit Jahren die Räumlichkeiten, privatisieren diese aber gleichzeitig. 2. Neue Besetzungen werden meist von Linken initiiert und dann für die Migrant*innen geöffnet. Meist geht es hier um die Legalen, die in Italien den kleineren Anteil unter den Migrant*innen ausmachen. Die Häuser sind offiziell besetzt, werden geduldet und italienische Vereine übernehmen dann im Einklang mit dem Staat/der Stadt die »Verwaltung« der Leute. Das heißt, es gibt Geld vom Staat für die Integration der Asylsuchenden. Dies aber nur über den Umweg italienischer Träger. Diesen Job übernehmen meist die Besetzer*innen, also Sprachkurse, Rechtshilfe, Beratung, etc. Hierbei kommt es auch zu Überschneidungen mit der Mafia, die ebenfalls daran verdient. 3. Es gibt Armutsbesetzungen, die oft mit erst kürzlich verarmten Italiener*innen, denen nichts anders übrig bleibt, gemeinsam stattfinden, wobei es weder eine kollektive noch eine wirkliche politische Perspektive gibt. Die Häuser sind oft gut verwaltet und werden von staatlicher/städtischer Seite geduldet.
Die Schulbesetzung in der Ohlauer Straße in Berlin ist drei Jahr her. Im Zuge des Protestcamps auf dem Oranienplatz wurde aufgrund der Wetterlage eine leerstehende Schule besetzt. Es wurde ein festes Gebäude zum Schlafen gebraucht. Die Schule wurde besetzt, der Bürgermeister wurde angerufen und mit dem Kälteschutz-Argument konfrontiert. Das hat funktioniert. Es war eine Doppelbesetzung. Der Hauptteil der Schule war als Unterkunft gedacht, ein kleinerer Teil, ein Pavillon als politischer Aktionsraum. Die Idee ist jedoch nicht aufgegangen, da plötzlich über 300 wohnungslose Menschen meist in Familienzusammenschlüssen kamen, die keinen Beitrag zum vorherigen (oder nachfolgenden) politischen Kampf leisteten. Das hat alle komplett überfordert.
Die Besetzung war keine rechtliche, sondern eine politische Frage. Ein Jahr lang wollte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Regeln bestimmen und einführen. Gleichzeitig hat der Bezirk auf Zuspitzung und Eskalation gesetzt. Das hat funktioniert, es kam zwangsläufig zu Streit und einem Toten. Im Zuge dessen gab es mehr Security auf dem Gelände, die die Leute voneinander isolierten, vor allem die Aktivist*innen mit deutschem Pass von denen ohne.
Es sollte ein Haus geöffnet und politische Gruppen eingeladen werden. Das hat nicht funktioniert. Denn schnell war der Großteil des Hauses eine Notunterkunft, in der die individuellen Probleme der Leute wichtiger waren als die politische Dimension, in der sie entstehen. Letztlich haben die Aktivist*innen mit und ohne Migrationserfahrung sehr darunter gelitten, weil sie in eine Situation rutschten, die sie nicht mehr unter Kontrolle hatten, aber auch nicht einfach aufgeben konnten. Ein ähnliches Beispiel des Ausgeliefertseins an scheinbare Sachzwänge wurde aus Frankreich berichtet, wo die Besetzer*innen eines Hauses, das als Frauenschutzraum gedacht war, sich letztlich unfreiwillig als 24/7‑Einlasskontrolleur*innen wiederfanden. Fazit: Es muss sofort von Anfang an um politische Standards gehen. Ein ausschließlich humanitärer Anspruch reicht nicht aus! Denn wohin augenscheinlich »humanitäre« Arbeit ohne politischen Anspruch führt, zeigt uns in makabrer Art und Weise die »Wohlfahrtsindustrie«, die sich derzeit ganz besonders an der Verwaltung von Migrant*innen labt.
»Wohlfahrtsindustrie«? Ohne uns!
»Refugees« sind momentan ein großes Geschäft: Milliarden Euro fließen in Unterbringung, Versorgung, Gebäudereinigung, Sicherheitsdienste, Baugewerbe, Verwaltung, Bullen, Aufrüstung, Sprachkurse, “Staats-Antifa”, Lehrer*innen, Erzieher*innen, etc.
Viele profitieren massiv von der sogenannten »Flüchtlingskrise«. Viele, nur nicht die Betroffenen selbst. Zu den Profiteuren gehören als gemeinnützig eingestufte und private Träger von »Flüchtlings«unterkünften, z.B. das Diakonische Werk, die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und andere. Es ist wichtig zu erkennen, dass es sich hierbei um Unternehmen handelt, deren Umsätze in Millionen gerechnet werden. Jedes einzelne funktioniert mit Hunderttausenden Hauptamtlichen sowie der Unterstützung von mindestens ebenso vielen (meistens jedoch mehr) Ehrenamtlichen. Insgesamt arbeiten für Caritas und Diakonie zusammen, circa 1 Million Menschen. Damit sind sie, nach dem Staat, der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Dabei schlagen diese Unternehmen nicht nur aus Freiwilligen und Angestellten Profit, sondern auch aus den Menschen, die sie »betreuen«. Solche Verbände stellen sich gern als »Wohltäter_innen« dar. Besonders aktuell versuchen sie als »soziale Versorger_innen« von Migrant_innen zu punkten.
In Bund und Ländern werden derzeit Haushalte überarbeitet, um Geld für die »Bewältigung« der sogenannten »Krise« bereitzustellen. Das Geld wandert dann – zumeist über Pauschalen – vom Bund über die Länder und Kreise zu den Kommunen. Verantwortlichkeiten und Gelder werden hin- und hergeschoben bis zur absoluten und scheinbar forcierten Undurchsichtigkeit. Auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen wird mittlerweile auf Ausschreibungsstandards verzichtet. Ein Schelm, wer Vetternwirtschaft unterstellt.
Abgesehen von den nur schwer nachvollziehbaren Geldströmen fungieren Träger von »Flüchtlings«unterkünften schlicht als verlängerter Arm des Staates. Sie erfüllen einen staatlichen Auftrag, d.h. Lagerhaltung, Kontrolle, Repression und Ermöglichung von Abschiebung. Es ist eine Irrtum zu glauben, ein menschlicherer Umgang mit den »Geflüchteten« würde daran etwas ändern. Kein*e noch so nette*r Sozialarbeiter*in kann die fehlende Bewegungsfreiheit wett machen oder die Tatsache kompensieren, dass Menschen, die in Deutschland als »Geflüchtete« gelabelt werden, kaum Rechte haben. Selbst wenn Menschen hier im Heim ein paar angenehme Monate haben sollten, in Zeiten von Massenabschiebungen ist das nicht von Bedeutung.
Polemisch gesprochen spielen komfortable Gemeinschaftsunterkünfte mit engagiertem Personal eine noch perfidere Rolle, denn sie verhindern im Zweifelsfall, dass sich die Betroffenen ihrer Entmachtung und Inhaftierung gewahr werden und die Kurve kratzen.
Nun stehen wir vor einer Situation, in der viele Menschen, die sich eigentlich linken und linksradikalen Positionen verpflichtet fühlen, beginnen für solche Träger der Wohlfahrtsindustrie zu arbeiten, in dem Irrglauben, sie täten etwas Gutes.
In diesen Strukturen ökonomisch abhängig zu arbeiten, führt zu einer krassen Reduktion individueller und kollektiver Handlungsfähigkeit.Ein gleichberechtigtes solidarisches Verhältnisses der »Betreuungsperson« zu den »zu betreuenden« Menschen, in diesem Fall Migrant*innen, ist, strukturell bedingt, nicht möglich.
Neben den ökonomischen Vorteilen, welche die staatliche Struktur aus den Netzwerken von Ehrenamtlichen oder schlecht bezahlten, aber engagierten Angestellten zieht, gibt es auch ein großes Interesse an dem Wissen, das in linken Netzwerken und Supportgruppen vorhanden ist.
Indem der Staat ehemals außerstaatliche oder gar antistaatliche Strukturen bezuschusst, zum Beispiel durch Projektfonds, und in die regionalen Verwaltungs- oder Bildungsprogramme einbindet, erhält er aus erster Hand Einblicke in bestimmte Zusammenhänge, die ihm sonst verwehrt bleiben würden. Mit der »Staats-Antifa« Initiative um das Jahr 2000 wurden autonome Antifa-Strukturen angegriffen und nachhaltig geschwächt. 15 Jahre später haben wir es mit der Neuauflage dieses Prinzips, sprich mit einer »Staats-Antira«-Offensive zu tun.
Die Bild-Zeitung titelt »Refugees Welcome«, während über Nacht sämtliche Errungenschaften der selbstorganisierten Kämpfe von Migrant*innen zunichte gemacht werden und das repressivste Asylgesetz in der Geschichte der BRD verabschiedet wird. Hunderttausende Freiwillige übernehmen die Erstversorgung der Neuankommenden und ersparen den lokalen Behörden jede Menge Kosten, während die Menschen von nun an nur entsprechend wirtschaftlicher Verwertbarkeit sortiert werden sollen. Die Rolle der Sozialarbeiter*innen in diesem Kontext ist wieder einmal Befrieden und Verwertbarmachen.
In der Konsequenz kann die Zielvorstellung nur lauten: Heime und Lager abschaffen, Grenzen öffnen, Bewegungsfreiheit für alle.
Genau das sind die Forderungen, die seit Jahrzehnten von selbstorganisierten Migrant*innengruppen formuliert werden und im gesellschaftlichen Diskurs allgemein, aber auch in innerlinken Debatten ungehört untergehen. Viele von uns haben weder Kenntnisse über die Selbstorganisationsstrukturen noch Kontakte zu Migrant*innen(-gruppen). Demzufolge muss der erste Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen, solidarischen Agieren jetzt erst einmal die Auseinandersetzung mit den bisherigen migrantischen Kämpfen sowie den existierenden Gruppen sein.
Wenn sich linke Menschen trotzdem entscheiden, in die geschilderte Verwaltungsindustrie einzusteigen, müssen sie sich sowohl der Verwertung ihrer Arbeitskraft und ihres Wissens, als auch der möglichen Konsequenzen für ihre politischen Aktivitäten bewusst sein. Sozialarbeit ist meistens Lohnarbeit zu extrem schlechten Bedingungen, die wiederum zu miserablen Konditionen in der jeweiligen Einrichtung führen. Aus diesem Teufelskreis können wir nur ausbrechen, indem die gesamte Logik der staatlichen Flüchtlingsverwaltung – und dazu gehört auch die entsprechende Lohnarbeit/Verwertbarmachung des Menschen – in Frage gestellt wird.
Arbeit verweigern!
Hierbei kommen wir nicht an der Frage vorbei: Wie verdiene ich meine Brötchen?
In Vorbereitung zu einem Workshop haben wir Menschen mit und ohne deutschen Pass zu ihren Möglichkeiten Geld zu verdienen interviewt. Für uns war die These zentral: Die Lagerverwaltung der »Refugees« hat zwei Ziele: Selbstbestimmte Mobilität zu unterbinden, um sie effizient zu registrieren und zu kategorisieren. Gleichzeitig werden sie in einen Status gezwungen (Duldung), in dem sie selbst mobil und flexibel jede Arbeit annehmen müssen. Gelingt ihnen das nicht und es fallen staatliche Kosten an, droht ihnen die Abschiebung.
Wir sprachen länger über das Wechselspiel mit Arbeitsamt und Ausländerbehörde, welche Arbeitsvertragszeiten und Duldungszeiten koppeln. Teilweise führt die Bürokratie zu zirkulären Widersprüchen, da die Leute ohne Arbeit keine Duldung und ohne Duldung keine Arbeit bekommen. Das sind aber nur Randerscheinungen, konkret geht es darum, dass die Leute alle Jobs annehmen müssen, und die Unternehmen sie jederzeit wieder loswerden können. Anders als bei Deutschen, die dann einfach wieder zum Amt gehen (oft weil sie das System auch besser kennen) sind die Migrant*innen durch ihren Duldungsstatus zur Arbeit gezwungen. Erscheinst du nicht auf Arbeit, wird die Duldung nicht verlängert.
Das ist aber nur die eine Seite. Überraschend und neu waren für uns die Dimensionen der Illegalität. Sowohl bei der Registrierung als auch bei der Jobsuche. Das ist sicherlich kein neues Phänomen, aber es drängt sich die Frage auf, die wir auch an uns selber stellen können. In die Illegalität zu gehen bedeutet in die völlige Vereinzelung unterzutauchen. Eine Tatsache, die auch Linke, wenn auch auf einer anderen Ebene, kennen. Wie sollen vereinzelte Leute kämpfen?
Die Antwort müsste lauten: Indem sie über ihren Alltag überhaupt mal reden!
Allgemein glauben die betroffenen Menschen, dass sie durchhalten müssen, wenn nötig auch über Jahre, irgendwann wird es besser. Die Deutschen denken dabei oft an Karriereleitern, Migrant*innen ans schlichte Überleben und das bedeutet Geld zu verdienen.
Doch dieser Durchhaltewille ist eine Selbsttäuschung. Die derzeitige Politik von EU und BRD verfolgt keinen vorgefertigten Plan und ist zugleich auch kein Versagen gegenüber Krisenerscheinungen. Vielmehr zeigt sich eine Transformation des politisch-ökonomischen Systems, zu der man sich nicht nicht verhalten kann. Die stattfindenden Veränderungen drängen jede*n von uns zu einer klaren Positionierung – »Neutralität« ausgeschlossen.
Es wäre ein guter Zeitpunkt mal wieder gemeinsam nach dem »Oben« und »Unten« zu fragen und (gerade als Linke) unser Verhältnis zum Staat zu hinterfragen.
Eure Vorbereitungsgruppe »M. Pitsow« — Januar 2016
„Wir werten den heutigen Tag als großen Erfolg. Die Neonazis konnten ihren Hass und ihre rechte Propaganda nicht wie geplant auf die Straße tragen“, so Christopher Voß, Sprecher der Initiative „Beeskow gegen Rassismus“. Insgesamt haben sich über 200 Personen an den Protesten gegen die rassistische Hetze beteiligt. Die Teilnehmenden bildeten ein Querschnitt der demokratischen Zivilgesellschaft: Geflüchtete, Vertreter_innen von Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, Vereinen und auch Einzelpersonen aus der Stadtverwaltung, wie der Bürgermeister Beeskows Frank Steffen, waren anwesend. Zahlreiche Redner_innen machten in ihren Beiträgen klar, dass Beeskow sich der Willkommenskultur für Geflüchtete verpflichtet fühlt. Die Nachricht, dass die Naziroute blockiert sei, wurde auf der Kundgebung der Initiative mit Jubel quittiert.
Die rund 50 Teilnehmenden der extrem rechten Versammlung, unter ihnen maßgeblich Anhänger_innen der Parteien „Der III. Weg“, „Die Rechte“, der „NPD“ und freien Kameradschaften, reagierten aggressiv auf die Blockade ihrer angemeldeten Route. So versuchten die teilweise vermummten Rechten, gewaltsam zu den Gegendemonstrant_innen durchzudringen. Dies wurde von der Polizei vereitelt. Aufgrund der antifaschistischen Blockade wurde die Versammlung der Neonazis beendet.
Die Polizei löste die antifaschistische Blockade anschließend auf und stellte die Personalien aller Beteiligten fest. „Wir halten die Feststellung der Personalien für überzogen. Ziviler Ungehorsam ist ein legitimes Mittel zur Verteidigung einer demokratischen Gesellschaft“ so Christopher Voß.
Obwohl die Teilnehmer_innen der neonazistischen Versammlung gewalttätig waren, wurde etwa 30 Personen eine spontane Kundgebung auf dem Marktplatz gewährt. „Ein Aufmarsch der Neonazis fand heute nicht statt. Das ist der Verdienst von engagierten Antifaschist_innen. Wir werden auch in Zukunft Rassismus und Neonazismus die Stirn bieten. Wir stehen für ein offenes und vielfältiges Beeskow“, so weiter Christopher Voß.
INFORIOT Der erste Aufmarsch im Jahr begann für die Neonazis in Beeskow mit einer großen Pleite. Am letzten Sonntag blockierten Antifaschist_innen die Neonazidemonstration. Später hielten sie eine kleinere Kundgebung am Beeskower Marktplatz ab. Dabei kam es zu einem Übergriff auf einen Gegendemonstranten.
Brauner Schulterschluss kommt nicht gegen Blockade an
Unter dem Motto “Stopp den Asylwahn” hatte die rassistische Facebook-Initiative “Beeskow wehrt sich” für den 3. Januar eine Demonstration durch die Kreisstadt Beeskow (Oder-Spree) angekündigt. Dem Aufruf folgten Neonazis der Kleinstpartei “Der Dritte Weg”, aber auch Vertreter_innen der NPD und der Partei “Die Rechte”. Kurz nach 15 Uhr sollte der Aufmarsch nach einer kleinen Ansprache des Anmelders und “Dritte Weg”-Kaders Michael Fischer vom Bahnhof Beeskow starten. Dazu kam es jedoch nicht, denn knapp 50 Antifaschist_innen blockierten in der Bahnhofsstraße die Route, die in die Innenstadt führen sollte. Einige Meter weiter hielten außerdem 30 Aktivist_innen vom Bündnis “Beeskow gegen Rassismus” eine Kundgebung ab.
Auf Grund der Blockade lösten die Neonazis ihre Versammlung nach etwa einer halben Stunde am Beeskower Bahnhof auf. Ein Großteil der Demonstration lief unkontrolliert und grölend zur antifaschistischen Blockade in der Bahnhofsstraße. Es kam zu Pöbeleien. Die Polizei griff jedoch nicht ein. Die Neonazis versuchten anschließend auf verschiedenen Wegen in Richtung Markplatz zu gelangen.
Aggressive Kundgebung auf dem Marktplatz
Gegen 16.30 Uhr hatten sich inzwischen etwa 30 der zuvor 50 Neonazis zu einer spontanen Kundgebung auf den Beeskower Marktplatz versammelt. Dort sprach die NPDlerin Manuela Kokott. Kokott nahm kein Blatt vor den Mund und hetzte nicht nur gegen Asylsuchende, sondern auch direkt gegen einige Gegendemonstrant_innen, die den Weg zum Marktplatz gefunden hatten und ihren Unmut über die rassistischen Ausfälle der Rednerin Kund taten. Über das Mikrofon beschimpfte Kokott einen Gegendemonstranten und forderte ihn auf, doch “her zu kommen”. Als sich dieser der Neonazikundgebung näherte, wurde er von Kokotts Lebensgefährten Frank Odoy, ebenfalls bei der NPD, erst geschubbst und dann geschlagen. Weitere Naziordner strömten in schnelleren Schritt auf den Gegendemonstranten zu. Die Polizei, die in Beeskow mit einer Hundertschaft im Einsatz war, griff nur zögerlich ein. Der Gegendemonstrant wurde vom Platz geschickt.
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