Mit großer Enttäuschung nimmt die Antidiskriminierungsberatung des Vereins Opferperspektive zur Kenntnis, dass die SPD-Fraktion des Landestages sich gegen die Einführung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes für Brandenburg stellt. „Damit vergibt die SPD die große Chance, wirksame Rechtsgrundlagen für den
Diskriminierungsschutz im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu schaffen. Die hier bestehende Schutzlücke, die nur auf Landesebene geschlossen werden kann, wird fortbestehen. Das Land stiehlt sich aus der Verantwortung, weil es sich weigert, Regelungen zum Diskriminierungsschutz einzuführen, die für Privatpersonen auf der
Grundlage des AGG seit über 10 Jahren verbindlich sind.“, so Cristina Martín von der ADB.
Der Antidiskriminierungsberatung begegnen in der Praxis immer wieder Fälle, bei denen Betroffene von Diskriminierungserfahrungen bei öffentlichen Stellen, z.B. bei Sozialämtern oder in Schulen berichten. Zwar sind diese Stellen aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu diskriminierungsfreien Handlungen
verpflichtet, jedoch lässt sich diese Verpflichtung in der Praxis weitaus schwieriger durchsetzen, als gegenüber Privatpersonen oder Unternehmen.
Durch die Ablehnung eines LADG wird es nun auch keine Verpflichtung zu sogenannten positiven Maßnahmen geben, mit denen Diversität und Chancengleichheit auf struktureller Ebene gefördert werden. Im Hinblick auf die 2013 in die Landesverfassung eingeführte Antirassismusklausel ist auch dies eine Enttäuschung. Vor diesem Hintergrund weiterhin von Willkommenskultur sprechen zu wollen, zeigt inwiefern die Brandenburger SPD-Fraktion die Lebensrealität von Bürger*innen, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, verkennt. Denn institutionelle Diskriminierung ist das größte Hindernis zur Verwirklichung einer solchen Willkommenskultur. Ab heute darf dank dieser Entscheidung der SPD-Fraktion des Landestages nur von einer im Wesentlichen abgeschwächten Willkommenskultur die Rede sein.
Monat: Juli 2017
Der bundesweit aktive, neonazistische „dritte Weg“ führte am Samstag mehrere Aktionen im nordbrandenburgischen Landkreis Uckermark durch. Schwerpunkt der Aktivitäten des dortigen Parteistützpunktes war ein Aufmarsch in der Kleinstadt Templin. Weitere Aktionen soll es, Polizeiangaben zu folge, auch in Prenzlau, Schwedt und Angermünde gegeben haben.
Aufmarsch in Templin
An der Demonstration des „dritten Weges“ in Templin beteiligten sich ungefähr 40 Personen, die größtenteils aus Bayern und Sachsen sowie vereinzelt aus Berlin und augenscheinlich auch aus Rheinland-Pfalz zugereist waren. Von den bekannten Brandenburger Funktionären der Partei war jedoch lediglich der so genannte „Gebietsleiter Mitte“, Matthias Fischer, vor Ort.
Der Aufzug des „III. Weges“ startete gegen 15.10 Uhr vor den Toren der mittelalterlichen Stadtbefestigung Templins, auf einem Parkplatz in der Oberen Mühlenstraße Ecke Heinestraße, und führte zum barocken Marktensemble in der Innenstadt. Dort hielt die Partei eine Zwischenkundgebung mit zwei Redebeiträgen vor dem historischen Rathaus der Stadt ab. Die Reden wurden von Matthias Fischer und dem „stellvertretenen Gebietsleiter Mitte“, Toni Gentsch aus Plauen, gehalten.
Bei der Gestaltung ihres Aufmarsches legte der „dritte Weg“ offenbar vor allem auf einen relativ straff organisierten, pathetisch inszenierten Auftritt wert. So zogen die Teilnehmenden der Versammlung in Zweierreihen sowie etlichen Fahnen und Plakaten durch die Stadt.
Entsprechend dem Veranstaltungsmotto: „Überfremdung stoppen – Heimat bewahren“ positionierte sich der „III. Weg“ hauptsächlich zum Thema: „Asyl“. Während der Zwischenkundgebung auf dem Marktplatz wurde aber auch wieder ein Plakat mit der Parole: „Arbeit adelt“ gezeigt. Diesen Slogan benutzte u.a. auch der seit 1945 verbotene, nationalsozialistische „Reichsarbeitsdienst (RAD)“ als Erkennungszeichen.
Profilierung gegen die Konkurrenz im eigenen Milieu
Die Stadt Templin scheint für den III. Weg von besonderem Interesse zu sein. Möglicherweise nicht nur weil dessen „Gebietsleiter Mitte“ dort geboren wurde, sondern möglicherweise weil dort auch die Konkurrenz von der NPD um Anhängerschaft buhlt. Bereits im März des vergangenen Jahres sollen die neonazistischen „Nationaldemokraten“ beispielsweise eine Kundgebung mit 60 Sympathisierenden in der uckermärkischen Kleinstadt durchgeführt haben. Der „III. Weg“ kam eine Woche später „lediglich“ auf eine Personenstärke zwischen 40 und 50.
Anders nun die Situation in 2017. In diesem Jahr sagte die NPD eine zunächst für den 16. Juni 2017 geplante Kundgebung ersatzlos ab, so dass sich der „III. Weg“ im lokalen, milieuinternen Ranking nun scheinbar deutlicher profilieren konnte. Allerdings aber eben nur mit der massiven Unterstützung aus anderen Bundesländern.
Überregional spielte die 40 köpfige Demonstration des dritten Weges in Templin am Samstag jedoch innerhalb des neonazistischen Milieus so gut wie keine Rolle. Die Hauptattraktion für Neonazis war an diesem Tag vermutlich eher das NPD-nahe Rechtsrock-Event „Rock für Deutschland“ in Gera (Thüringen). An dieser Konzertveranstaltung sollen bis zu 800 Personen teilgenommen haben. Des weiteren führte das „Pro Deutschland“-nahe extrem rechte Aktionsbündnis „Wir für Deutschland“ in Berlin einen Aufzug mit ungefähr 500 Teilnehmenden durch.
Weitere Fotos aus Templin: hier
Mit einer Veranstaltungsserie erinnerte das Jugendwohnprojekt (JWP) Mittendrin in den vergangenen Wochen an den gewaltsamen Tod des ehemaligen Lehrers Emil Wendland vor 25 Jahren. Der zum Tatzeitpunkt Wohnungslose war in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1992 im Neuruppiner Rosengarten von Nazi-Skins zunächst überfallen und dann brutal zu Tode malträtiert worden. Obwohl die Tatbeteiligten später gefasst und verurteilt wurden, blieb ein Gedenken an Wendland lange aus. Die Tat selber wurde seitens der Bundesregierung sogar zeitweise nicht als extrem rechtes Tötungsdelikt eingestuft.
Erst die Erinnerungsarbeit des JWP Mittendrin führte auch zu einem offiziellen Gedenken an Emil Wendland. Seit 2012 erinnert beispielsweise eine Gedenktafel am Tatort an den Getöteten und seit 2015 taucht die Tat auch wieder in den staatlichen Statistiken extrem rechter Tötungsdelikte auf.
Im Jahr 2017 rief das JWP Mittendrin ebenfalls zum Gedenken an Emil Wendland auf und organisierte bereits im Mai und Juni mehrere Veranstaltungen die sich mit dem gesellschaftspolitischen Hintergrund der Tat auseinandersetzten und einen Einblick in die Gesellschaft der 1990er Jahre boten.
Den Abschluss dieser Kampagne bildete die Gedenkdemonstration am Samstagnachmittag in Neuruppin, zu der neben dem JWP Mittendrin auch die „Initiative Neuruppiner Antifaschist_innen“ aufrief. An diesem Demonstrationszug, der von einer Privatperson angemeldet wurde und von der Bahnhaltestelle „Westbahnhof“ bis zum Schulplatz führte, beteiligten sich ungefähr 30 Menschen. In der Nähe der Gedenktafel für Emil Wendland wurden zwei Redebeiträge, darunter ein Gastbeitrag des Vereins „Opferperspektive“ aus Potsdam, gehalten und eine Gedenkminute für den vor 25 Jahren Getöteten eingelegt.
Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und Gegenentwurf
Zusätzlich zur Erinnerung an Emil Wendland, dessen Tod offensichtlich die Folge grausamer Menschenverachtung war, übten die Veranstaltenden auch Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, die solche Taten mutmaßlich erst ermöglichen.
Im Aufruf zur Gedenkdemonstration, der auch auf der Internetseite des JWP Mittendrin nachzulesen ist, wird dabei vor allem ein „zutiefst verinnerlichtes, kapitalistisches Konkurrenzdenken“ oder „eine generelle Verachtung, die Menschen erfahren, die nicht zur ´Mehrheitsgesellschaft´ gehören“ kritisiert. „Menschen, welche diesem täglichen Wahnsinn nicht standhalten oder deren Leben durch private Erlebnisse aus den Fugen gerät, laufen Gefahr, bis ans Ende der ´sozialen Leiter´ durchgereicht zu werden“, wo es nahezu unmöglich sei „aus eigener Kraft wieder ´auf die Beine´ zu kommen“, so die Aufrufenden weiter.
Als Antwort darauf bietet das JWP Mittendrin den Versuch eines soziokulturellen Gegenentwurfs, dessen Schwerpunkt in einem sozialen Miteinander, beispielsweise im gemeinsamen Wohnen, liegt. Als Jugendwohnprojekt wendet sich das Mittendrin, gemäß eigener Konzeption, aber auch an Jugendliche aus Neuruppin und Umgebung, die in ihrer Entwicklung insbesondere hinsichtlich der Diskussions‑, Kritik- und Entscheidungsfähigkeit gefördert sowie in Kompromissbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit geschult werden sollen, um letztendlich ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Eine Möglichkeit dafür bietet Projektarbeit, die sich unter anderem in der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Neuruppins, beispielsweise in der Erinnerung an die Tötung Emil Wendlands unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontextes, ausdrückt und somit sowohl Selbstfindung als auch gesellschaftspolitische Meinungskundgabe in Einem bietet.
Neonazis versuchten Gedenken für sich zu reklamieren
Neben dem jährlichen Gedenken an Emil Wendland durch das JWP Mittendrin, hat sich seit 2014 durch das lokale neonazistische Milieu bzw. dessen derzeitigen medialen Sprachrohr, den eng mit der NPD verwobenen „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“, auch ein recht eigenwilliges Erinnern an den brutal Getöteten etabliert. Dabei wird immer wieder behauptet (zuletzt 2016), dass der Tod des Wohnungslosen lediglich in „subkultureller Perspektivlosigkeit“ begründet liege. Gleichzeitig wird der von Nazi-Skins grausam zu Tode gebrachte im typischen NS-Jargon selbst zum „deutschen Volksgenossen“ erhoben und somit das Andenken an den Verstorbenen möglicherweise verunglimpft. Anlass zu Ermittlungen seitens der Strafverfolgungsbehörden hatte dieses bizarre „Gedenken“ jedoch bisher nicht gegeben. Auch die Versammlungsbehörden sahen in den diesbezüglich 2014 bis 2016 durchgeführten Kundgebungen der „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ offenbar nur eine Meinungskundgabe und sprachen bisher keine Versammlungsverbote aus.
Geschützt vom Versammlungsrecht und unlängst durch eine Flugblattaktion unterstellten die Neonazis ihrerseits der „antideutschen Seite“, also in verächtlicher Form indirekt dem JWP Mittendrin als Ideengebenden und bisherigen Haupttragenden des Erinnerns an Emil Wendland , den angeblichen Missbrauch des Getöteten für den „Kampf gegen Rechts“ und Heuchelei. Dem entgegengesetzt präsentieren sich die „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ im Internet durch eine medial aufbereitete, vermeintliche Spendensammlung im Rahmen der „Obdachlosenhilfe“ als eigentliche Wohltuende. Allerdings blieben die Neonazis dabei, soweit bekannt, weitgehend unter sich.
Auf einer Versammlung in der Nähe der Gedenktafel wurde im Jahr 2017, nach bisherigen Erkenntnissen, aber verzichtet.
Stattdessen störten zwei betrunkene, bisher nicht in Erscheinung getretene, aber offensichtlich extrem rechts gesinnte Jugendliche die antifaschistisch orientierte Gedenkdemonstration des JWP Mittendrin mit Neonaziparolen.
Update 02.07.2017, 11:27 Uhr:
In einem Statement bekannten sich die „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ jetzt zu einer Aktion an der Gedenktafel von Emil Wendland. Dem Socialmediabeitrag zu Folge sollen sich die Neonazis bereits am Freitagabend versammelt und mindestens ein Banner mit Themenbezug ausgebreitet haben. Eine Anmeldung dieser Versammlung lag, so weit bekannt, nicht vor. Gemäß der von den „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ in dem Socialmediabeitrag veröffentlichten Bekennerfotos waren mindestens drei Person an der Aktion beteiligt.
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In Brandenburg sind Flüchtlinge immer wieder von willkürlichen Leistungskürzungen betroffen.
Die Initiative „Willkommenskreis Neuhardenberg“ und betroffene Flüchtlinge protestieren in dieser Woche gegen die rechtswidrigen Kürzungen in ihrem Landkreis. Der Flüchtlingsrat fordert sofortige Einstellung migrationspolitisch motivierter Leistungskürzungen.
Sozialämter in Brandenburg schikanieren Geflüchtete immer wieder mit Kürzungen der Sozialleistungen bis weit unter das menschenwürdige Existenzminimum. Im Landkreis Märkisch-Oderland etwa wurden Flüchtlinge über Monate mit willkürlichen Leistungskürzungen durch das Sozialamt konfrontiert. Hier wiegen die Schikanen besonders schwer: Das Sozialamt verweigerte die Zahlung auch nach Aufforderung durch das Sozialgericht zur entsprechenden Leistungserbringung. Die Initiative „Willkommenskreis
Neuhardenberg“ und betroffene Flüchtlinge veranstalten diese Woche Aktionstage vor dem Sozialamt, um sich gegen die verschiedenen willkürlichen Maßnahmen der Behörde zu wehren.
Auch in anderen Landkreisen erhalten Geflüchtete massiv gekürzte Leistungen oder sogar nur Warengutscheine, weil ihnen zum Beispiel bereits von einem anderen EU-Mitgliedsstaat ein Aufenthaltsrecht gewährt wurde. Sie sollen in Länder wie Bulgarien oder Italien zurückkehren, in denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohen. Immer wieder stoppen Gerichte deswegen Abschiebungen in diese Länder. Die Leistungen werden dennoch verfassungswidrig gekürzt, obwohl noch nicht klar ist, ob die Betroffenen Deutschland überhaupt wieder verlassen müssen.
Dem Gedanken, es gäbe ein Existenzminimum unterhalb des Existenzminimums, hat das Bundesverfassungsgericht im Juli 2012 eine gründliche Absage erteilt. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. Dennoch kürzen Sozialämter die Leistungen, etwa wenn es um die Mitwirkung an der eigenen Abschiebung geht, immer wieder pauschal. Dabei wird häufig der Einzelfall außer Acht gelassen und zuweilen überschreiten die Ämter, wie in Märkisch-Oderland geschehen, ihre Kompetenzen. Die Praxis, Leistungen bei so genannter Nicht-Mitwirkung zu kürzen, die häufig nicht selbst sondern durch Botschaften und Behörden verschuldet ist, kann auch Flüchtlinge aus Afghanistan treffen, denen eine Abschiebung ins Kriegsgebiet droht. Die Leistungseinschränkung führt häufig dazu, dass die Betroffenen ihre AnwältInnen nicht mehr bezahlen können und damit ihren Rechtsbeistand verlieren.
Nur eine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und eine Eingliederung der Flüchtlinge in das System der Sozialhilfe bzw. des Arbeitslosengeldes II können die jahrelange Diskriminierung von Flüchtlingen beenden und deren gesellschaftliche Teilhabe von Anfang an ermöglichen. Diese Forderung stellt nicht nur der Flüchtlingsrat, sondern in Richtung Bund auch das Land Brandenburg. Dennoch toleriert die Landesregierung, wie bereits im letzten Jahr in Ostprignitz-Ruppin
geschehen (Link),
rechtswidrige und migrationspolitisch motivierte Leistungskürzungen im eigenen Bundesland, die in die Grundrechte der betroffenen Menschen eingreifen. Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert die Landesregierung daher auf, das verfassungsrechtliche Urteil zur Bestimmung des Existenzminimums ernst zu nehmen, die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes vehement einzufordern sowie im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die schikanöse Praxis der
betreffenden Sozialämter im Land ein Ende hat.
Die Aktionstage am 3., 4. und 6. Juli 2017 finden jeweils von 08:00 bis 15:00 Uhr vor dem Sozialamt Seelow in 15306 Vierlinden, OT Diedersdorf/
Waldsiedlung statt,
siehe: Link
Übersicht über die Gesetzesgrundlage: Hier