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Antifaschismus Law & Order

NSU: Schutz für V‑Mann “Piatto” von ganz oben

Der Zschäpe-Prozess in München wird in den kom­menden Wochen voraus­sichtlich tat­säch­lich zu Ende gehen — der Skan­dal namens “NSU” aber bleibt. Dazu zählt die tiefe Ver­strick­ung des Ver­fas­sungss­chutzes (VS) in die Mord­serie. Er hat­te in den recht­sex­tremen Szenen eine Rei­he von V‑Leuten im Ein­satz, lange bevor das Trio Böhn­hardt, Mund­los, Zschäpe vor der Polizei floh.
Die VS-Geschichte lief bere­its, als die NSU-Geschichte begann. Eine wichtige Fig­ur dabei ist Carsten Szczepan­s­ki aus Berlin, Neon­azi und Infor­mant des Geheim­di­en­stes namens “Piat­to”. Der Unter­suchungsauss­chuss von Bran­den­burg bemüht sich, seine Rolle zu rekon­stru­ieren — und stößt auf bemerkenswerte Funde. Auf einen Ver­fas­sungss­chutz, dem es offen­sichtlich gelingt, rechtsstaatliche Ver­fahren zu manip­ulieren. Auf einen V‑Mann, der allem Anschein nach auch aus dem Jus­tizmin­is­teri­um her­aus gedeckt wird. Ein Lehrstück.
“Piat­tos” Geschichte kurz von hin­ten her erzählt: Schon ab 1998 hat­te er in Chem­nitz Kon­takt zum Umfeld des unter­ge­taucht­en Trios. Spätestens im August 1998 wusste er, dass die drei sich bewaffnen und Raubüber­fälle pla­nen. Das meldete er auch dem Lan­desamt für Ver­fas­sungss­chutz (LfV) von Bran­den­burg. 1994 hat­te er sich im Knast zur Zusam­me­nar­beit mit dem Dienst bere­it­erk­lärt. Inhaftiert war er, weil er 1992 ver­sucht hat­te, einen nige­ri­an­is­chen Flüchtling zu ermor­den. Doch weil Carsten Szczepan­s­ki auch zu jen­em Zeit­punkt höchst wahrschein­lich bere­its mit ein­er Geheim­di­en­st­stelle in Verbindung stand, was offiziell aber mit Schweigen belegt wird, muss seine Geschichte an der Stelle auch von vorne erzählt werden.
Szczepan­s­ki, Jahrgang 1970, baute nach der Wende in der DDR im Umland von Berlin eine neon­azis­tis­che Ku-Klux-Klan-Grup­pierung auf. Bei einem Tre­f­fen im Herb­st 1991 war auch der KKK-Chef aus den USA, Den­nis Mahon, dabei. Im Dezem­ber 1991 durch­suchte die Polizei seine Woh­nung und fand Uten­silien zum Bomben­bau. Sz. tauchte unter, die Bun­de­san­waltschaft (BAW) leit­ete am 13. Feb­ru­ar 1992 ein Ver­fahren gegen ihn und den Ku-Klux-Klan Berlin-Bran­den­burg wegen Bil­dung ein­er ter­ror­is­tis­chen Vere­ini­gung ein. Am 22. Feb­ru­ar 1992 wurde Sz. in Bran­den­burg festgenom­men. Möglicher­weise gab den Tipp ein Spitzel. Nur: von welch­er Behörde? Der Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutz kann es nicht gewe­sen sein, denn er durfte erst ab 1993 men­schliche Quellen führen. Bemerkenswert dann: Sz. wurde am 23. Feb­ru­ar direkt wieder freige­lassen. Warum? Vom 24. bis 26. Feb­ru­ar stellte er sich ein­er dre­itägi­gen Vernehmung durch das Bun­deskrim­i­nalamt (BKA).
Recht­san­walt Christoph Kliesing, der das nige­ri­an­is­che Opfer von 1992 ver­tritt und im Jan­u­ar 2018 im Unter­suchungsauss­chuss (UA) gehört wurde, ist der Mei­n­ung, dass Sz. in jenen Feb­ru­arta­gen “überre­det” wurde zu reden. Sprich: Er nimmt an, dass Sz. am 23. Feb­ru­ar 1992 von ein­er Behörde als Infor­mant “ange­wor­ben” wurde. Möglicher­weise vom Bun­de­samt für Ver­fas­sungss­chutz (BfV). Ent­ge­gen anderen Fällen weigert sich das Amt bish­er gegenüber dem UA zu verneinen, dass Sz. seine Quelle war.
Der Ver­dacht, dass Sz. schon vor sein­er Koop­er­a­tion mit dem VS von Bran­den­burg mit einem anderen Amt zusam­mengear­beit­et hat, wird erhärtet durch zwei Briefe des früheren VS-Chefs von Bran­den­burg, Wolf­gang Pfaff, die im Auss­chuss zitiert wur­den. Im Okto­ber 1995 schrieb Pfaff im Plur­al ein­mal von “Kon­tak­ten Szczepan­skis zu Ver­fas­sungss­chutzbe­hör­den”, ein ander­mal “zu Sicher­heits­be­hör­den”. Pfaff war ein­mal Bun­de­san­walt und lange Jahre Verbindungs­beamter der Bun­de­san­waltschaft beim BfV. Ein Wes­t­im­port der Exeku­tive in den neuen Län­dern sozusagen. Nicht der einzige, wie sich zeigen wird.
Inter­es­san­ter­weise hat Carsten Szczepan­s­ki sel­ber als Zeuge im NSU-Prozess vor dem OLG in München erk­lärt, bere­it 1991 Infor­mant für eine Behörde gewe­sen zu sein. Der Feb­ru­ar 1992 läge da datumsmäßig nicht so weit ent­fer­nt. Von Bedeu­tung ist das auch, weil Sz. den Mord­ver­such an dem Nige­ri­an­er Steve E. dann als Mitar­beit­er ein­er Sicher­heits­be­hörde began­gen hätte. Am 9. Mai 1992 war der Asyl­suchende in Wendisch-Rietz von mehreren Neon­azis lebens­ge­fährlich attack­iert wor­den. Sz. soll dabei unter anderem “KKK!” gerufen haben. Das Gericht sah einen “direk­ten Tötungsvor­satz” als belegt an.
Nach sein­er aus­führlichen Aus­sage beim BKA im Feb­ru­ar 1992 liefen ver­schiedene Ver­fahren im Inter­esse Szczepan­skis. Sie wur­den liegen gelassen, bis sie ver­jährt waren, oder wur­den eingestellt. Das Ter­ror­is­musver­fahren der BAW wurde im Sep­tem­ber 1992 eingestellt.
Man ken­nt diesen Umgang bei anderen V‑Leuten wie etwa Tino Brandt. Für Recht­san­walt Kliesing muss jemand Szczepan­s­ki “geschützt” haben.
Als der Prozess Ende 1992 begann, war Sz. noch nicht ein­mal Beschuldigter in dem Ver­fahren. Das geschah erst im Dezem­ber 1992, der Vor­wurf lautete zunächst lediglich auf “gefährliche Kör­per­ver­let­zung”. Erst 1994 wurde die Anklage auf “ver­sucht­en Mord” umgeän­dert und Sz. daraufhin im Mai 1994 in Haft genom­men — zwei Jahre nach der Tat. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder im Feb­ru­ar 1995 lautete schließlich auf acht Jahre Haft wegen ver­sucht­en Mordes.
1994 kam es in der U‑Haft zur offiziell bestätigten Verpflich­tung Carsten Szczepan­skis als V‑Mann des Ver­fas­sungss­chutzes von Bran­den­burg mit dem Deck­na­men “Piat­to”. Wenn er schon 1992 ein V‑Mann war, dann war er nach Ein­schätzung von Recht­san­walt Kliesing durch den Mord­ver­such an seinem Man­dan­ten danach für den entsprechen­den Dienst eine “tick­ende Zeit­bombe” gewor­den. Deshalb sei er von einem Dienst bei einem anderen “entsorgt” worden.
Jeden­falls bes­timmte nun der Ver­fas­sungss­chutz von Bran­den­burg die Knas­tregeln für seinen Schüt­zling. Und zwar mit Wis­sen des Justizministeriums.

Regelmäßig besucht­en zwei VS-Beamte den Strafge­fan­genen. Der eine war Gor­dian Mey­er-Plath, heute VS-Präsi­dent in Sach­sen. Der andere hieß Her­mann-Dieter B. und wurde inner­halb des Gefäng­niss­es als “Sozialar­beit­er” “verkauft”. Das bestätigt der zuständi­ge Abteilungsleit­er, zeitweise auch kom­mis­sarisch­er JVA-Chef, Kurt E., gegenüber den Abge­ord­neten im Unter­suchungsauss­chuss. In der Sitzung im Jan­u­ar hat­ten E. sowie der langjährige JVA-Leit­er Wolf­gang H. noch abgestrit­ten, auch nur irgen­det­was von den VS-Aktiv­itäten im Haus mit­bekom­men zu haben. H. hat­te sich zur Feb­ru­ar­sitzung jet­zt krankgemeldet (Dauer­sumpf NSU, siehe Kapi­tel: Schau­platz Unter­suchungsauss­chuss Bran­den­burg: V‑Mann “Piat­to”).
Die Insassen sollen aber nichts von Szczepan­skis VS-Kon­tak­ten gewusst haben. Dass die Frage, ob ein Häftling als Infor­mant für einen Nachrich­t­en­di­enst arbeit­en soll, inten­siv erörtert wor­den sein musste, ergab sich aus den Aus­führun­gen eines anderen zeitweili­gen JVA-Leit­ers, Bernd R., der die let­zte UA-Sitzung geschwänzt hat­te. Die Anstalt­sleitung habe Bedenken geäußert auf­grund der Stasi-Überwachun­gen zu DDR-Zeit­en. Wenn Insassen, die in der DDR groß gewor­den waren, mit­bekä­men, dass es wieder Ausspähun­gen im Knast gebe, dass, so R. wörtlich, “wir im neuen Sys­tem ähn­lich arbeit­en”, sei das für die Ziele des Strafvol­lzuges “kli­matödlich”. Außer­dem hät­ten sie Sorge gehabt, dass die Sicher­heit des V‑Mannes Sz. gefährdet ist.
Let­ztlich trug die JVA-Leitung aber die Anwe­sen­heit der Ver­fas­sungss­chützer mit und half bei der Kon­spir­a­tion. Im Jahr 1995 war der LfV-Beamte Mey­er-Plath 24-mal da, haben die Abge­ord­neten gezählt, von März 1996 bis Jan­u­ar 1997 der “Sozialar­beit­er” B. in Dien­sten des VS 17-mal.
Doch auch aus der recht­sex­tremen Szene erhielt V‑Mann “Piat­to” immer wieder Besuch, unter anderem aus Chem­nitz von Michael und Antje Prob­st, in deren Szeneladen er später jobbte, sowie von Thomas Starke, der im Jan­u­ar 1998 der erste Anlauf­punkt des flüch­t­en­den Trios Böhn­hardt, Mund­los, Zschäpe aus Jena wurde. Prob­sts und Starke kön­nen zum unmit­tel­baren NSU-Umfeld gerech­net wer­den. Gegen Starke ist zur Zeit noch eines von neun Ermit­tlungsver­fahren der Bun­de­san­waltschaft gegen neun Beschuldigte anhängig.
Als nach dem Fund von recht­sex­trem­istis­chen Schriften bei Szczepan­s­ki vorüberge­hend dessen Post kon­trol­liert wurde, sorgte die Gefäng­nisleitung dafür, dass das nur durch einen Wacht­meis­ter geschah, der eingewei­ht war. Er wusste von dem Kon­takt zum Lan­desver­fas­sungss­chutzamt (LfV) und sorgte dafür, dass der Brief- und Päckchen-Verkehr mit dem Häftling ungestört weit­er­laufen kon­nte. Keine Postkon­trolle durchzuführen, wie es das Amt wollte, wäre auf­fäl­lig gewe­sen, deshalb, so der dama­lige JVA-Chef R., habe man es auf diese Weise geregelt. “Postkon­trolle fand also nicht statt”, kom­men­tiert ein Auss­chuss­mit­glied, “es war eine leg­endierte Postkontrolle.”
Bernd P., der die JVA Bran­den­burg von 1992 bis Juli 1995 leit­ete, war, wie der LfV-Chef Pfaff, eben­falls ein Wes­t­im­port. Er wech­selte 1995 ins Jus­tizmin­is­teri­um des Lan­des, wo er den Rang eines Min­is­te­ri­al­rates bek­lei­dete. Er hat­te in der Folge wieder­holt mit der JVA und dem V‑Mann-Häftling Sz. zu tun. Ein­mal nahm er per­sön­lich an einem Gespräch mit dem V‑Mann-Führer Mey­er-Plath teil, bei dem es um die Frage ein­er Haftverkürzung Szczepan­skis ging, die der Dienst begrüßte.
Das Jus­tizmin­is­teri­um war also in die Causa Szczepan­s­ki involviert und deck­te die Pläne des LfV mit sein­er Quelle “Piat­to” ab. Jus­tizmin­is­ter war in jenen Jahren der Wes­t­im­port Hans-Otto Bräutigam, bekan­nt als ehe­ma­liger Leit­er der Ständi­gen BRD-Vertre­tung in der DDR.
Aus den Akten, die die Abge­ord­neten vor­liegen haben, ergeben sich Hin­weise, dass in der JVA min­destens drei rechte Szeneblät­ter hergestellt und nach draußen geschmuggelt wur­den. Ein Häftling hat­te deshalb sog­ar Strafanzeige erstat­tet. Sz. sel­ber soll das Fanzine “Unit­ed Skins” pro­duziert haben. Offiziell wird das bestrit­ten. Min­is­te­ri­al­rat Bernd R. war im Jus­tizmin­is­teri­um mit der Sache befasst — und beschied dien­stlich, es sei auszuschließen, dass ganze Hefte in der JVA hergestellt wor­den seien. Möglich sei lediglich, dass einzelne Beiträge den Weg nach draußen gefun­den haben kön­nten. Aber auch dafür gebe es keine Hinweise.
Im NSU-Auss­chuss von Bran­den­burg bleibt R. bei sein­er Bew­er­tung und begrün­det sie mit keinem gerin­geren als dem Amt sel­ber: “Wenn etwas vorgele­gen hätte, hätte sich der Ver­fas­sungss­chutz gemeldet oder das Innen­min­is­teri­um.” Dann zitiert der Min­is­te­ri­al­rat a.D. noch einen EDV-Mann aus der JVA, der es “tech­nisch aus­geschlossen” habe, dass ganze Hefte in der Anstalts­druck­erei hät­ten hergestellt wer­den können.
Die Abge­ord­nete der Grü­nen und ihr Mitar­beit­er suchen daraufhin die Aus­sage jenes EDV-Mannes und find­en fol­gen­den Satz von ihm: “Das Absuchen der Fest­plat­ten würde Tage dauern”, um das festzustellen. Offen­sichtlich wurde der Vor­gang nicht über­prüft, er kann also nicht aus­geschlossen werden.
Ille­gales Han­deln eines Geheim­di­en­stes und sein­er Quelle, abgedeckt durch ein Min­is­teri­um? Offen­sichtlich musste die Quelle “Piat­to” von beson­derem “Wert” sein. Das hat­te schon vor fünf Jahren der ehe­ma­lige V‑Mann-Führer und heutige LfV-Chef in Sach­sen, Gor­dian Mey­er-Plath, vor dem NSU-Unter­suchungsauss­chuss­es im Bun­destag erk­lärt. Carsten Sz. alias “Piat­to” sei für den Infor­ma­tions­be­darf des LfV ein Meilen­stein gewe­sen. Selb­st durch die kri­tis­che Nach­frage, ob Sz. für das Amt “noch wertvoller” gewe­sen wäre, wenn er “den Mord im Mai 1992 vol­len­det” hätte, ließ sich der Kar­ri­ere­beamte nicht provozieren und antwortete kühl: “Das ist reine Speku­la­tion.” Her­auskam noch: Der V‑Mann und sein Führer — sie duzten sich.

In der JVA Bran­den­burg an der Hav­el ging die Son­der­be­hand­lung des Gefan­genen Szczepan­s­ki weit­er. 1998 kam er in den offe­nen Vol­lzug. Er kon­nte ein soge­nan­ntes Prak­tikum machen — und zwar im über 200 Kilo­me­ter ent­fer­n­ten Chem­nitz in dem recht­en Szeneladen “Son­nen­tanz” der Prob­sts. Hin- und zurück­ge­bracht wurde er von seinen Beamten des LfV Bran­den­burg. V‑Mann-Führer als V‑Mann-Fahrer sozusagen.
Die für die Organ­sierung von Prak­ti­ka zuständi­ge Sozialar­bei­t­erin gibt sich im Auss­chuss von Pots­dam über­rascht. Eine Prak­tikumsstelle, die der­art weit weg ist, könne sie sich nicht vorstellen. Dem hätte sie nie zuges­timmt. Wenn, dann wäre der Häftling in die nahe gele­gen­ste Haf­tanstalt ver­legt worden.
Auch die konkrete Prak­tikumsstelle, jen­er Neon­aziladen in Lim­bach-Ober­frohna bei Chem­nitz, war der JVA-Angestell­ten nicht bekan­nt. Sie sei die Per­son gewe­sen, die die Prak­tikaplätze vor­bere­it­ete und auch im Vor­feld angeschaut habe, aber: “Ich bin nicht nach Lim­bach gefahren, 100-prozentig.”
Wur­den Prak­tikumsstelle plus Arbeitsver­trag also an der dafür Ver­ant­wortlichen vor­bei organ­isiert, hin­ter ihrem Rück­en? Die Beteiligten jeden­falls müssen gewe­sen sein: der Gefan­gene Szczepan­s­ki und seine VS-Män­ner, die Prak­tikums­ge­ber Prob­st sowie der JVA-Abteilungsleit­er für den offe­nen Vol­lzug, Ger­hard K. Er hat­te bei der let­zten UA-Sitzung im Jan­u­ar 2018 bestrit­ten, gewusst zu haben, dass Sz. regelmäßig Besuch vom Ver­fas­sungss­chutz bekam. K. wurde nach sein­er Aus­sage vereidigt.
K. war dann auch beim näch­sten Schritt der “Befreiung” von Carsten Szczepan­s­ki beteiligt: Der Anhörung vor der Strafvoll­streck­ungskam­mer des Landgericht­es Pots­dam im Novem­ber 1999. Sz. hat­te beantragt, nach Ver­büßung von zwei Drit­teln der Strafe vorzeit­ig ent­lassen zu wer­den. Im Dezem­ber 1999 erg­ing tat­säch­lich das entsprechende Urteil. Dafür spielte eine wesentliche Rolle, dass Sz. den Prak­tikum­splatz hat­te sowie die große Ent­fer­nung dahin. Zusät­zlich lag ein knappes psy­chol­o­gis­ches Gutacht­en vor, das aber für die Sozial­prog­nose des Straftäters Sz. ziem­lich wert­los war.
Die Rich­terin, die damals das Urteil fällte, reagiert verun­sichert, als ihr die Abge­ord­neten nach und nach die heute bekan­nten Wider­sprüch­lichkeit­en im Falle Szczepan­s­ki präsen­tieren. Um was für eine Prak­tikumsstelle es sich konkret gehan­delt hat, wusste sie nicht. Erst Recht nicht, dass das nicht ein­mal die zuständi­ge Sozialar­bei­t­erin in der JVA wusste. Sie habe sich auf die Stel­lung­nah­men der JVA ver­lassen, habe keinen Grund gehabt, das zu hin­ter­fra­gen, so die Juristin, die heute beim Bun­desver­fas­sungs­gericht tätig ist. Dass jemand ver­sucht habe, sie zu bee­in­flussen oder unter Druck zu set­zen, verneint sie entschieden.
Ein Abge­ord­neter der Linken hakt nach: “Um Sie zu bee­in­flussen, hätte man also den Weg über die zwei wesentlichen Quellen nehmen müssen: a) die Stel­lung­nahme der JVA und b) das psy­chol­o­gis­che Gutacht­en?” Antwort: “Ja, richtig.” Der Anwalt von Steve E., dem Opfer eines mut­maßlichen V‑Mannes, sagt, Teile der Biografie von Carsten Szczepan­s­ki liegen nach wie vor im Dunkeln. Mit­tler­weile weiß man, dass es staatliche Stellen gibt, die sie kennen.

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(Anti-)Rassismus Gender & Sexualität

Frauen* gemeinsam gegen Rassismus und Ungerechtigkeit”

 
Anlässlich des 08. März, dem inter­na­tionalen Frauen*kampf-Tag, ver­anstal­ten wir, Women in Exile, zusam­men mit weit­eren Bündnispartner*innen eine Demon­stra­tion im süd­bran­den­bur­gis­chen Cot­tbus. Wir wen­den uns strikt gegen die recht­spop­ulis­tisch ent­fachte, medi­al aufge­grif­f­ene und ver­wal­tungspoli­tisch getra­gene Het­ze gegen Geflüchtete. Diese Het­ze fol­gt einem kon­ser­v­a­tiv­en und recht­en Frauen­bild, treibt einen Keil durch die Einwohner*innenschaft der Stadt Cot­tbus und provoziert somit eine gezielte Spaltung.
Warum Cot­tbus?
Süd­bran­den­burg im All­ge­meinen und Cot­tbus im Speziellen sind seit langer Zeit als ras­sis­tis­che Hochbur­gen bekan­nt. Der Vere­in Opfer­per­spek­tive meldet seit Jahren zunehmende Gewalt­tat­en in dieser Region. Der neurechte Vere­in “Zukun­ft Heimat” marschiert seit über einem Jahr regelmäßig durch die Cot­tbuser Innen­stadt. Die offizielle Bekan­nt­gabe des Auf­nahmestopps für Geflüchtete aus der Erstauf­nahme-Ein­rich­tung in Eisen­hüt­ten­stadt ist ein falsches und auch gefährlich­es Sig­nal und spielt den Rassist*innen in die Hände. Daher ist es wichtig, jet­zt in Cot­tbus auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass es reicht. Denn, es geht nicht um Geflüchtete, es geht um offene ras­sis­tis­che Het­ze und Gewalt.
Eine Stadt im Griff der Angst 
Seit Monat­en, wenn nicht gar seit Jahren, haben beson­ders geflüchtete Frauen* und Kinder auf­grund ver­baler und physis­ch­er Angriffe Angst, ihre Woh­nun­gen zu ver­lassen. Klin­gelschilder von Geflüchteten und Migrant*innen wer­den beschädigt, so dass Briefe nicht ankom­men. Kinder wer­den in Schulen diskri­m­iniert. Dies führt zu steigen­der Iso­la­tion. Inte­gra­tion scheit­ert auf allen Ebe­nen, da das Prob­lem verkan­nt wird. Ras­sis­mus wohin das Auge reicht! In der Stadt herrscht ein Kli­ma der Angst. Der Druck auf Flüchtlinge und ins­beson­dere auf Flüchtlings­frauen* ist mas­siv. Die Angst ihre Stimme zu erheben ist all­ge­gen­wär­tig. Wir sagen Schluss damit!
Ihr Ras­sis­mus nicht im Namen des Feminismus! 
Eben­falls am 10.03 wollen wieder ras­sis­tis­che Grup­pen durch Cot­tbus marschieren. Unter dem Mot­to “Die Frei­heit der Frau ist nicht ver­han­del­bar” sug­gerieren sie fem­i­nis­tis­che Ansprüche. Fem­i­nis­mus fordert die Abschaf­fung von Ungle­ich­heit und somit gle­iche Rechte und Frei­heit­en für alle Men­schen, egal welch­er Herkunft.Dass dies mit rechtem und ras­sis­tis­chem Denken unvere­in­bar ist, ver­ste­ht sich von selb­st. Darum lasst uns gemein­sam am 10.03. deut­lich machen: Fem­i­nis­mus geht nur ohne Rassismus!
WERDET LAUT gegen Ras­sis­mus, Unter­drück­ung, rechte und ras­sis­tis­che Gewalt! Lasst uns Druck auf die lokalen Behör­den auf­bauen! Lasst uns gemein­sam für den Fem­i­nis­mus kämpfen! Wir rufen alle Grup­pen und Men­schen, die für Fem­i­nis­mus und gegen Ras­sis­mus kämpfen auf, es klar und deut­lich zu sagen: Für das Recht, zu Kom­men! Für das Recht, zu Gehen! Für das Recht, zu Bleiben! Für das Recht auf Selbstbestimmung!
Cot­tbus 10.03.2018, 11:30 Uhr, Muskauer Platz (Cot­tbus Sandow)
 
 

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Flucht & Migration Law & Order

Innenminister Schröter verleugnet einzig wirksames Mittel gegen Gewalt: Abschiebelager abschaffen!

Am ver­gan­genen Mittwoch besuchte Innen­min­is­ter Schröter die Erstauf­nah­meein­rich­tung für Flüchtlinge in Dober­lug-Kirch­hain. Der Fokus lag dabei auf Auseinan­der­set­zun­gen zwis­chen Bewohner_innen, denen nun mit erhöhter Präsenz von Polizei und Sicher­heitsper­son­al begeg­net wer­den soll. Der Flüchtlingsrat Bran­den­burg ist empört über die Igno­ranz von Lan­desregierung, Innen­min­is­teri­um und Polizei gegenüber den struk­turellen Ursachen für diese Vor­fälle, die in der prob­lema­tis­chen Lagerun­ter­bringung begrün­det sind. Die Fol­gen, die Unter­ver­sorgung, Iso­la­tion und Per­spek­tivlosigkeit haben kön­nen, sind haus­gemacht, verur­sacht von ein­er men­sche­nun­würdi­gen Unter­bringungspoli­tik der Landesregierung.
In Gemein­schaft­sun­terkün­ften wie der Erstauf­nahme haben Men­schen kaum Rück­zugsmöglichkeit­en, sie sind häu­fig extremen All­t­agssi­t­u­a­tio­nen, Enge und Stress aus­ge­set­zt. Erstauf­nah­me­lager fungieren zunehmend als Abschieber­am­p­en und schließen Men­schen aus dem gesellschaftlichen Zusam­men­leben gezielt aus. Konkret bedeuten sie die Ver­wehrung von reg­ulär­er Beschu­lung, eingeschränk­te Bewe­gungs­frei­heit, Arbeitsver­bote, min­i­male Gesund­heitsver­sorgung und stark eingeschränk­ten Zugang zu Beratungs- und Hil­festruk­turen. Polizei und Sicher­heits­di­enst bedeuten für die Bewohner_innen nicht Schutz, son­dern Kon­trolle und Abschiebung. Insofern ist eine Ver­stärkung dieser Kon­trol­linstanzen mehr als frag­würdig, da sie zu weit­erem Stress und Angst führen wird.
„Es ist zynisch und unmen­schlich, Men­schen monate- und jahre­lang auf eng­stem Raum zen­tral in abgele­ge­nen Kaser­nen unterzubrin­gen und dann die Auswirkun­gen dieser Zwang­sun­ter­bringung als Anlass zu nehmen, die Frei­heit­en und Hand­lungsmöglichkeit­en der Betrof­fe­nen noch weit­er einzuschränken“, kom­men­tiert Lot­ta Schwedler vom Flüchtlingsrat Bran­den­burg. Stu­di­en zu den Effek­ten zen­traler, fremdbes­timmter Unter­bringungs­for­men haben gezeigt, dass sich diese Lebens­be­din­gun­gen gesund­heitss­chädi­gend auswirken können.
Anstatt eine sachgerechte Analyse der Aus­gangslage vorzunehmen, disku­tiert Schröter lieber einen Verbleib von Flüchtlin­gen bis zu 24 Monat­en in Erstauf­nah­meein­rich­tun­gen wie Dober­lug-Kirch­hain. Ein wirk­samer Gewaltschutz kann aber nur erfol­gen, wenn Lager wie dieses abgeschafft wer­den. Men­schen müssen unab­hängig von Herkun­ft und Bleibeper­spek­tive dezen­tral unterge­bracht und aufgenom­men, statt aus­ge­gren­zt und kaserniert werden.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Zurück auf den Boden des Grundgesetzes! Familiennachzug ist Menschenrecht!

2016 hat­te die Bun­desregierung den Fam­i­li­en­nachzug für sub­sidiär geschützte Kriegs­flüchtlinge bis März 2018 aus­ge­set­zt. Die Hoff­nung der Geflüchteten, nun endlich auch ihre Fam­i­lien in Sicher­heit brin­gen zu kön­nen, wurde durch einen Beschluss des Bun­destags Anfang Feb­ru­ar erneut zunichte gemacht. „Das ist ein human­itär­er Offen­barung­seid, eine tiefe Ver­beu­gung vor dem Recht­spop­ulis­mus. Und es ist ein krass­er Ver­stoß gegen die Grun­dord­nung unseres Staates“ schätzt der Sprech­er des Aktions­bünd­niss­es Mar­tin Osin­s­ki ein. „Ehe und Fam­i­lie ste­hen unter dem beson­deren Schutz des Staates.“ heißt es in Artikel 6 des Grundgesetzes.
Gegen die weit­ere Tren­nung der Fam­i­lien waren im Jan­u­ar zahlre­iche Organ­i­sa­tio­nen Sturm gelaufen, darunter auch das Deutsche Kinder­hil­f­swerk. Die Exper­tIn­nen für den Schutz von Kindern hat­ten ein­dringlich vor den Fol­gen gewarnt, wenn Kinder jahre­lang von ihren Eltern getren­nt aufwach­sen müssen.Sie hat­ten erfol­g­los an die Bun­destagsab­ge­ord­neten appel­liert, „das inter­na­tion­al und grundge­set­zlich geschützte Recht auf famil­iäres Zusam­men­leben auch für diese Flüchtlingskinder zu respektieren“.
Die etwa ein­stündi­ge Ver­samm­lung auf dem Neu­rup­pin­er Schulplatz begin­nt am Mon­tag, 12.03.2018 um 17 Uhr.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Gender & Sexualität

Geflüchtete Frauen schützen – auch vor struktureller Gewalt!

Frauen erleben Gewalt in den Unterkün­ften durch andere Geflüchtete, das Per­son­al und in der Gesellschaft. Sie erfahren auch struk­turelle Gewalt durch das Lager­sys­tem, die Asylge­set­zge­bun­gen und die diskri­m­inierende Prax­is der Behörden.
Aktuelle bun­desrechtliche Geset­zesver­schär­fun­gen ermöglichen es, Men­schen sechs Monate lang und diejeni­gen mit so genan­nter schlechter Bleibeper­spek­tive auch länger in der Erstauf­nahme festzuhal­ten und so bei ein­er Ablehnung ihres Asylge­such­es direkt abschieben zu kön­nen. Die prekären Bedin­gun­gen in der Erstauf­nahme – fehlende Pri­vat­sphäre, eingeschränk­ter Zugang zu erforder­lichen Gesund­heit­sleis­tun­gen und die Unmöglichkeit, das eigene Fam­i­lien­leben zu gestal­ten – gefährden in beson­derem Maße Schutzbedürftige wie Frauen und Kinder. Ein­er asyl­suchen­den Fam­i­lie mit einem herzkranken Neuge­bore­nen, das regelmäßige Behand­lun­gen in der Berlin­er Char­ité benötigte, wurde etwa der Umzug aus der Erstauf­nahme in Dober­lug-Kirch­hain in eine Woh­nung in Berlin­nähe ver­weigert. Dies, obwohl die lan­gen Fahrtwege eine große Belas­tung für das Kind und seine Eltern darstell­ten. Ähn­lich erg­ing es ein­er Trans­frau, deren Auszug trotz Empfehlun­gen und Gutacht­en von Psycholog_innen durch die Zen­trale Aus­län­der­be­hörde ver­hin­dert wurde. Die Ver­weigerung des Auszuges aus der Erstauf­nahme von Men­schen mit beson­derem Schutzbe­darf, um sie vor Angrif­f­en zu schützen, oder die notwendi­ge Ver­sorgung sicherzustellen, find­et derzeit immer wieder statt. Dies legt die Ver­mu­tung nahe, dass das Ziel, Men­schen rei­bungs­los abschieben zu kön­nen, schw­er­er wiegt als ihre Gesundheit.
Die Notver­sorgung in der Erstauf­nahme lastet in beson­der­er Weise auf den Schul­tern von Frauen, die häu­fig die struk­turelle Lücke in der Ver­sorgung durch eigene Sorgear­beit für kranke Geflüchtete und Kinder ander­er Fam­i­lien füllen müssen. Durch unfaire Asylver­fahren und das Fehlen eines Ver­fahrens für die Erken­nung beson­der­er Schutzbedürftigkeit in der Erstauf­nah­meein­rich­tung kön­nen Frauen häu­fig human­itäre Gründe, die sie vor der Abschiebung schützen kön­nten, nicht gel­tend machen. Trotz Diskus­sio­nen um Gewaltschutzkonzepte bleiben vor allem Frauen, Kinder oder LGBTI-Per­so­n­en den Kon­flik­ten in den Unterkün­ften aus­ge­set­zt. Die Wohn­verpflich­tung in der Erstauf­nahme wird oft vor der Schutzbedürftigkeit und der Notwendigkeit eines Auszuges pri­or­isiert. Ein Umzug in Frauen­häuser scheit­ert nicht sel­ten an fehlen­den Plätzen für Frauen mit mehr als einem Kind.
Auch nach der Verteilung in die Land­kreise bleibt die gesund­heitliche Schlechter­stel­lung beste­hen. Die Ein­führung der Gesund­heit­skarte in mit­tler­weile fast allen Land­kreisen hat häu­fig nicht zur gewün­scht­en Gle­ich­stel­lung und zu ein­er Beendi­gung der Stig­ma­tisierung von Geflüchteten geführt. Noch immer kommt es regelmäßig zu Behand­lungsver­weigerun­gen. So wurde ein­er geflüchteten Frau aus Frankfurt/Oder trotz Krankenkassenkarte dreima­lig die Behand­lung bei Ärzten ver­wehrt, weil diese befürchteten, ihre Leis­tun­gen nicht erstat­tet zu bekom­men. Ein Umstand der laut Geset­zge­ber eigentlich durch die Karte behoben wer­den sollte. Ähn­lich erg­ing es ein­er Frau aus Eritrea: Ihr wurde die notwendi­ge Ent­fer­nung eines Implan­tats zur Empfäng­nisver­hü­tung durch einen Arzt/eine Ärztin ver­weigert. Sie hat­te es sich als Schutz einge­set­zt, da sie auf der Flucht mit Verge­wal­ti­gung rech­nen musste. Das Nich­t­ent­fer­nen des Implan­tats stellt nun ein weit­eres Gesund­heit­srisiko dar. Dabei fordert europäis­ches Recht eine vol­lum­fängliche Ver­sorgung von beson­ders schutzbedürfti­gen Flüchtlin­gen wir Kindern, Kranken oder von Gewalt bedro­ht­en oder betrof­fe­nen Frauen und LGBTI-Personen.
For­men struk­tureller Gewalt gegenüber Frauen zeigen sich immer wieder auch bei gewaltvollen Abschiebev­er­suchen in Bran­den­burg. Im Som­mer diesen Jahres ver­suchte die Polizei ohne Ankündi­gung und unter Anwen­dung von Gewalt eine Mut­ter aus Ober­hav­el abzuschieben. Sie war aktenkundig in ein­er psy­chisch labilen Sit­u­a­tion. Man legte ihr den­noch Hand­schellen an. Ihr vier­jähriger Sohn, selb­st psy­chisch behand­lungs­bedürftig, wurde Zeuge dieser Gewal­tan­wen­dung. Die Folge des Abschiebev­er­such­es war ein fast vier­monatiger Aufen­thalt der Mut­ter im Kranken­haus und eine Unter­bringung des Kindes in ein­er Kinder­sta­tion. Struk­turell gewaltvoll ist hier nicht nur das Ver­hal­ten der Aus­län­der­be­hörde, die die Erkrankung der Mut­ter als Abschiebe­hin­der­nis ignori­erte. Auch die Bedin­gun­gen der Unterkun­ft, wo sich beson­ders Schutzbedürftige immer wieder unangemelde­ten und gewaltvollen Abschiebun­gen aus­geliefert sehen, befördern diese Umstände.
Women in Exile und der Flüchtlingsrat fordern:
*Schutzbe­fohlen­heit und die Gesund­heit von Frauen und Kindern müssen schw­er­er wiegen als die rück­sicht­slose Umset­zung restrik­tiv­er Geset­ze! Schutz für alle geflüchteten Frauen und Kinder – ohne Aus­nahme und unab­hängig von der ver­meintlichen Bleibeperspektive!
*Wir fordern: Eigen­er Wohn­raum für Frauen und Kinder! Verteilung aus der Erstauf­nahme inner­halb eines Monats! Uneingeschränk­ter Zugang zu Gesund­heit­sleis­tun­gen ab dem ersten Tag! Wir fordern eine nach­haltige Bleibeper­spek­tive für alle Flüchtlinge!

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(Anti-)Rassismus Law & Order

Urteilsverkündung im Jüterboger Brandanschlagsprozess

Chris P. gab an, die Tat gemein­sam mit seinem Fre­und Felix G. began­gen zu haben. Die bei­den Män­ner seien durch den Vater des Angeklagten, der auch die Brand­sätze gebaut habe, zu der Tat anges­tiftet wor­den. Ein Zeuge berichtete im Ver­fahren, dass im Laufe des Tatabends gemein­sam neon­azis­tis­che Lieder am Lager­feuer gesun­gen wur­den. Der ras­sis­tisch motivierte Bran­dan­schlag vom 01. Okto­ber 2016 war eine der schw­er­sten recht­en Gewalt­tat­en im Land Bran­den­burg, die vom Vere­in Opfer­per­spek­tive im ver­gan­genen Jahr erfasst wurde. Einige der Bewohn­er der Unterkun­ft lit­ten noch Monate nach der Tat unter den psy­chis­chen Fol­gen des Anschlags. Nur auf­grund glück­lich­er Umstände ist in der Tat­nacht kein­er der Bewohn­er und Betreuer*innen kör­per­lich schw­er ver­let­zt wor­den oder zu Tode gekommen.
„Die öffentliche Wahrnehmung des Ver­fahrens beschränkt sich lei­der auf die Beschrei­bung des Tather­gangs und die Äußerun­gen der Täter. Es ist zu wün­schen, dass sowohl die Tat­fol­gen für die Betrof­fe­nen jugendlichen Geflüchteten, als auch der ras­sis­tis­che Nor­malzu­s­tand in Jüter­bog und Umge­bung stärk­er in den Fokus der Öffentlichkeit gelan­gen“, so Mar­tin Vese­ly vom Vere­in Opfer­per­spek­tive. So war der Bran­dan­schlag im ver­gan­genen Jahr ein­er von ins­ge­samt neun ras­sis­tisch motivierten Angrif­f­en im Land­kreis Tel­tow-Fläming. Auch in diesem Jahr erfasste der Vere­in bere­its sechs ras­sis­tisch motivierte Angriffe in Jüter­bog und benach­barten Gemein­den. Darunter am 07. Feb­ru­ar ein mas­siv­er Angriff von Recht­en auf einen Jugend­club in Jüter­bog, der auch von Geflüchteten fre­quen­tiert wird.
Geflüchtete und deren Unterstützer_innen bericht­en der Opfer­per­spek­tive immer wieder von einem feindlichen Kli­ma in der Region. Dies äußert sich, neben direk­ten kör­per­lichen Angrif­f­en auf Geflüchtete, auch in Bedro­hun­gen und Belei­di­gun­gen in All­t­agssi­t­u­a­tio­nen, beispiel­sweise beim Einkaufen im Super­markt. „Men­schen, die sich sol­i­darisch auf der Seite von Geflüchteten posi­tion­ieren, haben Angst dies in der Öffentlichkeit zu zeigen, weil sie Anfein­dun­gen von Recht­en befürcht­en oder bere­its real bedro­ht wer­den. Dieser Zus­tand ist für die Betrof­fe­nen unerträglich. Wenn dann auch noch der örtliche Bürg­er­meis­ter bewusst Äng­ste vor Geflüchteten schürt, ver­schärft dies die Sit­u­a­tion zusät­zlich. Es müssen – auch über Jüter­bog und Umge­bung hin­aus – drin­gend Anstren­gun­gen unter­nom­men wer­den, rechte Ein­stel­lun­gen in der Region zurück­zu­drän­gen“, so Mar­tin Vese­ly weiter.
Die morgige Urteilsverkün­dung fällt zufäl­lig mit dem 25. Jahrestag des ras­sis­tis­chen Bran­dan­schlags in Mölln vom 23. Novem­ber 1992 zusam­men, und ver­weist somit auf eine bedrück­ende Kon­ti­nu­ität ras­sis­tis­ch­er Gewalt in der Bun­desre­pub­lik. In der Kle­in­stadt in Schleswig-Hol­stein ermorde­ten damals Neon­azis die zehn- und vierzehn­jähri­gen Mäd­chen Yeliz Arslan und Ay?e Y?lmaz, sowie ihre 51-jährige Groß­mut­ter Bahide Arslan.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Rechtswidrige Verwaltungspraxis des Sozialamtes Märkisch-Oderland gegenüber Geflüchteten

Seit vie­len Monat­en ver­weigert das Sozialamt Märkisch-Oder­land zahlre­ichen Geflüchteten die ihnen geset­zlich zuste­hen­den Leis­tun­gen. Schriftliche Leis­tungs­beschei­de, gegen die sich die Betrof­fe­nen rechtlich wehren kön­nten, erteilt das Sozialamt seit langem über­haupt nicht mehr. In vie­len Fällen wur­den die Leis­tun­gen über Monate rechtswidrig auf ein Min­i­mum gekürzt und statt Bargeld nur noch Gutscheine aus­gegeben. Dies betraf auch Fam­i­lien mit kleinen Kindern.
Um die gerin­gen Leis­tun­gen über­haupt zu erhal­ten, müssen die Betrof­fe­nen jeden Monat­san­fang meist stun­den­lange Fahrten mit sämtlichen Fam­i­lien­ange­höri­gen aus den entle­ge­nen Unterkün­ften im Land­kreis zum Sozialamt Seelow bzw. Dieder­s­dorf auf sich nehmen und dafür erhe­bliche Fahrtkosten aufwen­den. An diesen Tagen ist den Geflüchteten fol­glich auch die Teil­nahme an Deutschkursen und anderen inte­gra­tiv­en Maß­nah­men nicht möglich. Die Sozialver­wal­tung beste­ht auf min­destens ein­mal monatlich­er Vor­sprache zur Scheck- oder Gutschein­aus­gabe, obwohl fast alle Betrof­fe­nen Kon­ten haben. Diese Prax­is ste­ht im Wider­spruch zu der der meis­ten Sozial­be­hör­den bun­desweit, die die deut­lich ver­wal­tungskostens­paren­deren Über­weisun­gen der Leis­tun­gen längst einge­führt haben.
Wegen rechtswidriger Leis­tungskürzun­gen kam es gegen das Sozialamt Märkisch-Oder­land zu mehreren Ver­fahren vor dem Sozial­gericht Frank­furt (Oder). Beschlüsse des Gerichts set­zte die Sozial­be­hörde Seelow mehrfach nur nach Andro­hung von Voll­streck­ungs­maß­nah­men um – ein für die an Recht und Gesetz gebun­dene Ver­wal­tung eben­falls uner­hörtes Vorge­hen. Das Sozialamt argu­men­tiert vor Gericht, schriftliche Beschei­de kön­nten „aus per­son­ellen und organ­isatorischen Grün­den nicht erge­hen“. Dabei wäre es ein Leicht­es, den Betrof­fe­nen men­schen­würdi­ge und rechtsstaatliche Ver­wal­tungsver­fahren zu gewährleis­ten und zugle­ich per­son­elle und finanzielle Ressourcen zu sparen. Nahezu alle anderen Land­kreise in Bran­den­burg agieren in dieser Weise, etwa durch Kon­tenüber­weisun­gen und elek­tro­n­is­che Gesund­heit­skarten. Das Sozialamt Märkisch-Oder­land schikaniert bewusst Geflüchtete und agiert völ­lig willkür­lich und ein­deutig rechtsstaatswidrig.
Gegen diese Prax­is des Sozialamtes wird am 3.,4. und 6. Juli 2017 jew­eils von 08:00 bis 15:00 Uhr vor dem Sozialamt Seelow in 15306 Vier­lin­den, OT Diedersdorf/ Wald­sied­lung protestiert. Auf den Aktion­sta­gen wer­den Mit­glieder des Willkom­men­skreis Neuhard­en­berg e.V. und Unter­stützerIn­nen den Geflüchteten eine Stimme geben. Die Betrof­fe­nen kön­nen ihre Sit­u­a­tion in Märkisch-Oder­land in einem Frage­bo­gen bew­erten, Anträge auf Kon­toüber­weisung aus­füllen und weit­ere Infor­ma­tio­nen über ihre Rechte gegenüber dem Lan­drat­samt erhalten.

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Flucht & Migration

Zukunft in der Migrationsgesellschaft

Der Utopia e.V. wird von Früh­jahr bis Ende des Jahres das Pro­jekt „Begeg­nung – Empow­er­ment – Zukun­ft“ umset­zen. Im Rah­men des Pro­jek­tes wer­den Jugendliche und junge Erwach­sene mit und ohne Fluchthin­ter­grund gemein­sam ihre Vorstel­lung ein­er gerecht­en und sol­i­darischen Gesellschaft disku­tieren. Nach ein­er gemein­samen „Zukun­ftswerk­statt“ (10.–11. Juni 2017, Anmel­dung unter www.utopia-ffo.org/future unter dem Mot­to: “The Future ist still unwrit­ten! Junge Ideen für Frank­furt (Oder)” wer­den sich die Teil­nehmenden in Sem­i­naren und Work­shops, auf Aus­flü­gen und in Diskus­sio­nen Fähigkeit­en und Wis­sen aneignen, die sie in die Lage ver­set­zen ein gemein­sames Pro­jekt zu real­isieren, das sie dann der Öffentlichkeit vorstellen.
„Diese Gesellschaft verän­dert sich. Die Men­schen, die aus anderen Län­dern geflo­hen sind, um in Deutsch­land bzw. in Frank­furt (Oder) eine weit­ere Heimat zu find­en, wer­den ihre Spuren hin­ter­lassen. Wir sind voller Vor­freude auf die Her­aus­forderung und Möglichkeit­en, die eine Migra­tions­ge­sellschaft bietet. Es ist an der Zeit Migra­tion in erster Lin­ie als Chance nicht als Belas­tung für eine Gesellschaft zu sehen.“, so Janek Las­sau, Koor­di­na­tor des Projekts.
Das Pro­jekt wird unter anderem mit Geldern der „Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung“ und im Rah­men des Bun­de­spro­gramms „Demokratie leben!“, durch das Bun­desmin­is­teri­um für Fam­i­lie, Senioren, Frauen und Jugend sowie aus Mit­teln des Lan­desmin­is­teri­um für Infra­struk­tur und Lan­des­pla­nung, des Städte­bauförder­pro­gramms „Soziale Stadt“ und Mit­teln der Stadt Frank­furt (Oder) realisiert.
 

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Antifaschismus Law & Order

Potsdam: Prozess gegen Antifaschisten

Viele Men­schen, die sich den Pogi­da-Nazis in den Weg stell­ten, müssen sich nun mit Ermit­tlungsver­fahren und Prozessen auseinan­der­set­zen. Oft wer­den sie wegen ange­blichen Wider­stands gegen Voll­streck­ungs­beamte kriminalisiert.
Wegen dieses Vor­wurfs ste­ht am Mon­tag, den 15. Mai 2017, ein Antifaschist vor dem Amts­gericht Pots­dam. Er soll am 24.02.2016 in Born­st­edt eine Polizeikette durch­laufen haben. Wir erin­nern uns: Damals zog eine große anti­ras­sis­tis­che Demo mit rund 1.000 Teilnehmer*innen Rich­tung Born­st­edt. Die Polizei störte diese Demon­stra­tion immer wieder. Es sollte offen­sichtlich ver­hin­dert wer­den, dass zu viele Leute nach Born­st­edt strömten, um die Nazis aufzuhal­ten. Die Polizei errichtete immer wieder Polizeis­per­ren, um die Nazigeg­n­er aufzuhal­ten. Durch so eine Sperre soll nun der von Repres­sion betrof­fene Antifaschist durchge­laufen sein. Mit Sitzblock­aden und vielfälti­gen Aktio­nen wurde dafür gesorgt, dass Pots­dam heute kein Auf­marschort für Pogi­da mehr ist. Die Polizei hinge­gen ver­suchte oft Proteste in Hör- und Sichtweite der Nazis zu unterbinden. Auch mit Knüp­pel- und Pfef­fer­sprayein­sätzen, oder wie in Born­st­edt, mit Het­z­jag­den und Polizeis­per­ren gegen Demonstrant*innen. In Babels­berg wurde nach ein­er Demo die Kneipe Nowawes durch eine Hun­dertschaft mit Knüp­peln gestürmt. Bei Kleinigkeit­en wur­den Demonstrant*innen in Gewahrsam genom­men und „erken­nungs­di­en­stlich“ behan­delt. Dabei hielt sich die Polizei selb­st nicht an die Geset­ze: im Falle des angeklagten Antifaschis­ten musste im Nach­hinein die Anord­nung zur erken­nungs­di­en­stlichen Behand­lung zurück­ge­zo­gen wer­den, es keine rechtliche Grund­lage dafür gab.
Proteste gegen Aufmärsche wie die von Pogi­da sind nötig: Politiker_innen aller Parteien nah­men im let­zten Jahr die recht­en Aufmärsche zum Anlass, Forderun­gen nach Asyl­rechtsver­schär­fun­gen nachzukom­men statt die Ide­olo­gien der Abschot­tung und des Ras­sis­mus zu bekämpfen. Der Ras­sis­mus der Wut­bürg­er wie auch seine Umset­zung in Poli­tik und Geset­ze hat tödliche Kon­se­quen­zen, an den Gren­zen Europas oder hier in Deutsch­land auf der Straße (allein 3.500 Angriffe auf Geflüchtete im Jahr 2016!). Vor diesem Hin­ter­grund ist es für alle, die nach wie vor an dem Prinzip der uni­ver­salen Men­schen­rechte fes­thal­ten, legit­im, den Weg des Wider­stands gegen die men­schen­feindliche Mei­n­ungs­bil­dung zu gehen. In Pots­dam scheit­erte Pogi­da an den vie­len Hun­derten Men­schen, die die Auf­marschrouten der Nazis block­ierten. In gesellschaftlichen Auseinan­der­set­zung um fun­da­men­tale Prinzip­i­en waren und sind Sitzblock­aden effek­tive Mit­tel, gesellschaftlichen Protest gegen demokratie- und men­schen­feindliche Entwick­lun­gen zu äußern.
So wurde Anfang der 80er in der BRD massen­haft gegen die Sta­tion­ierung von atom­waf­fen­fähi­gen Mit­tel­streck­en­raketen im Sitzstreik inter­ve­niert. Die Sitzblock­aden im Wend­land gegen die Cas­tor­trans­porte erzwan­gen ein Über­denken ein­er Energiepoli­tik, die mit ihrem radioak­tivem Risiko und Müll die Men­schheit bedro­ht. Wider­stand, der den Nazis buch­stäblich die Straße nimmt tritt direkt ihrem Anspruch auf Hege­monie über den öffentlichen Raum ent­ge­gen und set­zt ein wahrnehm­bares Zeichen gegen die gesellschaftliche Akzep­tanz des Ras­sis­mus. Wir sind froh, dass Pogi­da von der Straße ver­drängt wurde. Viele Leute haben monate­lang gegen die Nazis auf der Straße protestiert und block­iert. Nun sollen einige die Zeche dafür zahlen und unsin­nige Ermit­tlun­gen gegen sich aushalten.
Wir lassen sie dabei nicht allein und rufen auf, alle Men­schen, die wegen ihres Wider­standes gegen Pogi­da vor Gericht ste­hen zu unterstützen.
Mon­tag, 15. Mai 2017, 11 Uhr Saal 22 im Amts­gericht Pots­dam (Jäger­allee 10–12)

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Flucht & Migration

Erfolgreiche Klage gegen negativen Asylbescheid

Am 27. April fand am Ver­wal­tungs­gericht in Pots­dam die Ver­hand­lung von Erichs Klage gegen den ablehnen­den Bescheid des BAMF zu seinem Asy­lantrag statt. Neben dem Vor­sitzen­den Richter Kirkes leit­eten die Rich­terin Weiß und der Richter Pfen­nig diese Ver­hand­lung. Erich, der im ver­gan­genen Jahr aus Rus­s­land nach Deutsch­land geflüchtet war, war gemein­sam mit sein­er Berlin­er Antwältin Anna Gils­bach und einem Unter­stützer aus unser­er Gruppe zu diesem wichti­gen Ter­min in Pots­dam erschienen. Ein Jour­nal­ist und ein Vertreter von Queer­amnesty fol­gten unserem Aufruf zur Prozess­beobach­tung, herzichen Dank dafür.
Die Richter*innen bezo­gen sich bei ihrer Ein­schätzug der Sit­u­a­tion für Men­schen mit LGBTIQ*-Hintergrund in der Rus­sis­chen Förder­a­tion auf den im März diesen Jahres veröf­fentlicht­en Bericht des EU-Unter­stützungs­büros für Asyl­fra­gen (EASO) und hiel­ten diesen auch für erschöpfend. Sie stell­ten vor allem Fra­gen zu Erichs Aktiv­itäten für die rus­sis­che Social Media Plat­tform “Rain­bow love wins”, zu den Bedro­hun­gen und Anfein­dun­gen, denen Erich in Rus­s­land aus­ge­set­zt war, und zu seinem Mul­ti-Visum, mit dem er nach Deutsch­land ein­gereist war. Auch dass Hor­mon­ther­a­pi­en in Rus­s­land nur ille­gal und somit extrem risikobe­haftet möglich sind war Gegen­stand der rund zweiein­halb­stündi­gen Verhandlung.
Am Tag nach der Ver­hand­lung beka­men Erich und wir die Nachricht, dass Erich als Geflüchteter anerkan­nt wird. Für die schriftliche Urteils­be­grün­dung hat das Gericht bis zu fünf Monate Zeit. Wenn diese vor­liegt wer­den wir an dieser Stelle auch eine Ein­schätzung von Erichs Anwältin Anna Gils­bach, der wir im Namen von Erich für ihr Engage­ment ganz her­zlich danken, zu diesem Urteil veröf­fentlichen. Der Kampf für ein Bleiberecht für Erich war erfol­gre­ich und beweist ein­mal mehr, dass Entschei­dun­gen des BAMF nicht ein­fach hin­genom­men wer­den soll­ten. Sol­i­dar­ität, Öffentlichkeit­sar­beit und Ver­net­zung sind wichtige Instru­mente, um gemein­sam mit Men­schen wie Erich ihre Rechte einzu­fordern. Weit­ere Kämpfe wer­den fol­gen (müssen).

Inforiot