Mit einem Fest „für eine demokratische, freie und tolerante Stadt Nauen, für Fröhlichkeit und kulturelle Vielfalt“ hat die Stadt Nauen heute „gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ demonstriert. Die Veranstaltung, die vom Mikado e.V. und vom Humanistischen Freidenkerbund organisiert wurde, findet seit 2012 jährlich statt, um Neonazis am 20. April nicht die Innenstadt zu überlassen. Seit 2010 führt nämlich der NPD Stadtverband Nauen mit Unterstützung von „Freie Kräften“ an diesem Tag eine so genannte Mahnwache durch. Seit dem das Fest allerdings den Bereich Lindenplatz / Gartenstraße für sich beansprucht, mussten die Neonazis ihre Kundgebung außerhalb der historischen Altstadt verlegen. Seit dem findet deren Veranstaltung an einem Denkmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges statt.
Mahnwache von NPD und Freien Kräften
Auch in diesem Jahr formierte sich die Mahnwache, mit der vorgeblich an die Bombardierung der Stadt Nauen während des zweiten Weltkrieges gedacht werden soll, an der üblichen Stelle. 25 Personen aus den Landkreisen Havelland, Potsdam-Mittelmark und Ostprignitz-Ruppin nahmen daran teil, darunter auch zwei Abgeordnete der NPD aus Neuruppin und Brieselang. Der Großteil der Veranstaltungsteilnehmer_innen gilt allerdings als Sympathisant_innen der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“. Eine Tonbandaufnahme, die mehrfach während der Kundgebung abgespielt wurde, machte dies ebenso deutlich. Auf dieser waren Marvin und Beatrice Koch sowie Dave Trick aus Neuruppin zu hören, die Texte zum Bombenangriff auf „ihre“ Stadt Nauen vorlasen. Dass die Bombardierung aber nicht aus heiterem Himmel kam, wurde erwartungsgemäß nicht erwähnt. Auch sonst wurde während der Mahnwache nicht viel gesprochen. Lediglich Wagners Walkürenritt wurde noch über die Musikanlage abgespielt, passend zur Zurschaustellung von mitgebrachten schwarzen Bannern und Fahnen. Parteifahnen waren hingegen aber anscheinend nicht erwünscht, so dass die drei zugereisten Mitglieder und Sympathisanten der Partei des „dritten Weges“ aus Potsdam-Mittelmark ihre Standarten wieder einrollten bzw. durch Ortsfahnen ersetzten. Stattdessen erlaubt waren aber offenbar die Fahnen des Landes Brandenburg und der Bundesrepublik Deutschland. Letztere wurde von einer Gruppe junger Frauen und Männer beigesteuert, die erstmals an dieser Veranstaltung teilnahmen. Sie waren bereits in der vergangenen Woche beim „Nein zum Heim“ Aufmarsch mitgelaufen. Offenbar war die Gruppe aber noch nicht mit dem Reglement der Mahnwache vertraut, so dass rumgealbert, Bier getrunken, geraucht und mit dem Handy gespielt wurde. In den Gesichtern der erfahrenen Kader war deutlich Distanz zu diesen neuen Interessenten zu entdecken. „Wenn das der Führer wüsste“ mögen sie gedacht haben, noch dazu an seinem Geburtstag. Bleiben durften sie dennoch, schließlich geht es ja bei derartigen Versammlungen auch um vermeintliche Bürgernähe.
Toleranzfest und Proteste gegen Mahnwache
Gegen die Versammlung von NPD und „Freien Kräften“ hatte eine Einzelperson übrigens auch noch eine Gegenveranstaltung unter dem Motto „Gegen Neofaschistische Wahnmache, Rassismus und rechte Gewalt! Flüchtlinge schützen, Nazis ausbremsen! 20.04.2015 – Kein Grund zu feiern, kein Grund zu trauern!“ angemeldet. Sie fand direkt gegenüber der neonazistischen Kundgebung statt. Allerdings nahmen daran nur 15 Personen teil.
Zuvor sollen allerdings in der Zeit von 14.00 bis 18.30 Uhr, gemäß Angaben der Veranstalter_innen, bis zu 750 Menschen das Toleranzfest frequentiert haben – ein Erfolg für Gestalter_innen einer bunten Stadt.
Gegen 18.00 Uhr waren zumindest noch ungefähr 70 Personen dort, die das dortige Imbiss‑, Informations- und Spielangebot nutzten oder mit den dort präsenten zivilgesellschaftlichen Initiativen in Dialog treten wollten.
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Autor: Shaun
„Der dritte Weg“ hat offenbar heute einen ersten Stützpunkt im Land Brandenburg gegründet. Dies verkündete jedenfalls Sprecher Maik Eminger während einer Kundgebung der neonazistischen Partei am Vormittag in Werder (Havel) sowie noch einmal während einer ähnlichen Versammlung am frühen Nachmittag in Brandenburg an der Havel. Ziel sei es nun weitere Strukturen aufzubauen und einen Anlaufpunkt für Leute zu schaffen, welche die Hoffnung in „etablierte Parteien“ verloren hätten, so Eminger. Die eigentliche Gründungszeremonie fand jedoch offenbar außerhalb der Öffentlichkeit statt.
Kundgebungen in Werder (Havel) und Brandenburg an der Havel
Im Vorfeld öffentlich bekannt geworden war nur die Absicht des „Dritten Weges“ unter dem Motto „Ausländerstopp! Für die Zukunft deutscher Familien!“ in einem Einkaufspark in Werder (Havel) aufzumarschieren, um gegen vermeintlichen „Asylmissbrauch“ und angeblicher „Überfremdung“ zu protestieren. Als Versammlungsort wurde zunächst ein Parkplatz eines Einkaufszentrums beworben. Aufgrund der privaten Besitzverhältnisse musste die Veranstaltung aber in die Straße „Auf dem Strengfeld“ Ecke Aprikosenweg ausweichen. Hier begann die Versammlung mit 30 Teilnehmern aus Potsdam, Brandenburg an der Havel, Potsdam-Mittelmark und dem Havelland dann gegen 11.00 Uhr, streng abgeschirmt von der Bereitschaftspolizei. Der Ablauf der Veranstaltung folgte den üblichen Gewohnheiten des mittelmärkischen Neonazimilieus. Zunächst trug Manuel Schmidt als Introduktion ein Gedicht vor, dann folgte, nach einem musikalischen Intermezzo, der erste Redebeitrag von Maik Eminger. Dieser entsprach dem üblichen Ton des Milieus. Eminger malte, aus seiner Sicht, düstere Überfremdungsvisionen und drohte, dass in Zukunft jeder sein „erklärter Feind“ sei, der „sich nicht als Deutscher zum Deutschen Volke“ bekennte. Zudem sei „jeder unweigerlich verloren, der nicht weiß wo er hingehört“, so Eminger weiter. Anschließend folgte ein weiteres musikalisches Zwischenspiel, dass den geplanten „Tag der Deutschen Zukunft“ am 6. Juni 2015 in Neuruppin thematisierte und auf den Redebeitrag von Christoph Meinecke, einem Sympathisanten der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ einstimmte. Dessen Rede selber bot allerdings inhaltlich nicht viel Neues, sondern bediente sich milieuüblicher Versatzstücke, mit denen in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Stimmung gegen Flüchtlinge und Asylsuchende gemacht wurde. Dann folgte abermals Musik und der nächste Redner machte sich bereit. Diesmal war der ehemalige Bad Belziger NPD Stadtverordnete Pascal Stolle, der wie Eminger jetzt zum „Dritten Weg“ gehört, an der Reihe. Auch er hetzte in erster Linie gegen Flüchtlinge und Asylsuchende. Darüberhinaus gab er jedoch auch bekannt, dass es in den nächsten 14 Tagen weitere Kundgebungen des „dritten Weges“ geben wird. Diese sollen als Mobilisierungskundgebungen für einen Aufmarsch am 1. Mai 2015 in Saalfeld (Thüringen) dienen und bundesweit durchgeführt werden, so Stolle. Anschließend gab Maik Eminger die Gründung eines Stützpunktes des „dritten Weges“ in Brandenburg bekannt, bevor er nach einem weiteren Musiktitel die Kundgebung in Werder (Havel) auflöste.
Anschließend fuhren die Neonazis nach Brandenburg an der Havel und wiederholten dort die gesamte Kundgebung mit derselben Teilnehmeranzahl in der Zeit von 14.00 – 15.30 Uhr.
Proteste gegen Kundgebungen
Da im Vorfeld lediglich die Veranstaltung des „dritten Weges“ in Werder (Havel) öffentlich bekannt wurde, formierte sich auch nur dort ein recht breiter Protest, an dem sich ungefähr 90 Menschen beteiligten. Organisiert wurde die in Hör- und Sichtweite zur Neonaziversammlung stattfindende Gegenveranstaltung vom Werderaner Bündnis KURAGE, einer lokalen Initiative für Kulturaustausch, gegen Rassismus und Gewalt. Es wurden Plakate und Transparente gegen Neonazis gezeigt und die Redebeiträge der Versammlung des „dritten Weges“ durch Pfiffe und Buhrufe gestört. Diesem Protest schlossen sich spontan auch Autofahrer_innen an in dem sie beim passieren der Neonazikundgebung laut hupten.
Unter den Teilnehmer_innen des Gegenprotestes waren auch ungefähr 30 Antifaschist_innen, die ebenfalls Stimmung gegen die Neonazis machten und zugleich für die Teilnahme an den geplanten Protesten gegen den „Tag der deutschen Zukunft“ am 6. Juni 2015 in Neuruppin warben.
In Brandenburg an der Havel formierte sich hingegen, bis auf Unmutsbekundungen einzelner, kein Protest. Lediglich Sympathisanten der lokalen Linksjugend verteilten vereinzelt Flyer gegen Neonazis und für die Unterstützung von Flüchtlingen.
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Der Kleinbus des Nauener Mikado e.V. wurde in der Nacht zum 17. April möglicherweise gezielt von Rassist_innen angegriffen. Am Morgen fand ein Vereinsmitglied das Fahrzeug mit zerstochenen Reifen vor. Hinter dem Scheibenwischer war eine Art Bekennerbrief geklemmt. Er war offenbar in drohender Absicht an die Vereinsmitglieder gerichtet: “Liebe Asylantenfreunde, Tröglitz ist auch hier! Bis bald!”.
Der Hinweis auf Tröglitz (Sachsen-Anhalt) kann somit als unverhohlene Drohung interpretiert werden. In dem Ort hatten Unbekannte am ersten Aprilwochenende dieses Jahres eine geplante Asylbewerberunterkunft angezündet.
Am gestrigen Abend haben in Nauen ungefähr 120 Personen einen „Aufmarsch“ unter dem Motto „Nein zum Heim“ durchgeführt. Die Veranstaltung war zuvor vom ehemaligen NPD Abgeordneten Maik Schneider angemeldet worden und richtete sich gegen Planungen des Landkreises Havelland am Rande der Stadt eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge und Asylsuchende zu errichten. Der Rassismus der sich eigentlich dahinter verbirgt äußerte sich auf der Versammlung recht freimütig, durch Schilder mit Aufschriften wie „Nauen bleibt weiss“. Gegen den Aufzug protestierten ungefähr 130 Menschen, in Hör- und Sichtweite, am Rathausplatz.
Bunte Proteste
Eine Initiative hatte im Socialmedia kurz nach dem Bekanntwerden der „Nein zum Heim“ – Veranstaltung unter dem Motto: „Keine Stadt für Nazis! Rassistischen Aufmarsch in Nauen bei Berlin verhindern!“ zu Gegenprotesten aufgerufen. An der Kundgebung am Rathausplatz nahmen u.a. auch die stellvertretende Bürgermeisterin Marion Grigoleit und der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Hartmut Siegelberg teil. Weiterhin unterstützten verschiedene Initiativen aus dem gesamten Havelland und Brandenburg an der Havel die Proteste.
Im Gegensatz zur der Versammlung von „Nein zum Heim“ blieb die Gegenveranstaltung allerdings nur stationär. Zweimal zog allerdings der Aufzug der Heimgegner_innen in unmittelbarer Nähe an vorbei. Dabei wurden die Sympathisant_innen von „Nein zum Heim“ lautstark ausgepfiffen und ausgebuht.
Zu einer kurzen Spannungssituation kam es als der rassistische Aufmarsch zum zweiten mal an der Gegenkundgebung vorbeilief. Der vorangehende Block des Aufzuges der Heimgegner_innen machte plötzlich kehrt, bewegte sich auf die Protestierer zu und suchte mindestens die verbale Auseinandersetzung. Polizei und Versammlungsleitung brachte die Situation jedoch schnell unter Kontrolle.
NPD markiert Revier
Trotz des gestrigen Protestes sieht sich das neonazistische Milieu in Nauen jedoch durch die aktuelle Asyldebatte offenbar klar im Aufwind. Während einer Stadtverordnetenversammlung am 12. Februar 2015, bei der über den Verkauf des Grundstückes für die künftige Gemeinschaftsunterkunft abgestimmt werden sollte, gelang es einigen NPD Funktionären einen großen Teil des Publikums aufzuwiegeln und anschließend derart zu stören, dass Saal und Grundstück polizeilich geräumt werden mussten. Die Veräußerung des zukünftigen Heimgeländes konnte durch die Tumulte indes jedoch nicht verhindert werden.
Dennoch scheint sich „Nein zum Heim“ bzw. die dahinter steckenden Neonazis damit nicht abfinden zu wollen. Der gestrige Aufzug, der explizit sogar als „Aufmarsch“ beworben wurde, war absehbar, zumal die NPD und ihre Jugendorganisation JN in anderen Städten und Gemeinden bereits ähnliches versuchten.
Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass neben einigen „Bürger_innen“ aus Nauen, auch bekannte Gesichter des brandenburgischen Neonazimilieus aus dem Havelland, Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming sowie Einzelpersonen aus Berlin bei dem Aufzug mitmarschierten.
Bereits am 14. März 2015 hatten 80 Neonazis aus dem gesamten Land Brandenburg eine erste Kundgebung gegen die geplante Gemeinschaftsunterkunft durchgeführt. 30 Menschen, darunter auch einige Vertreter_innen der lokalen Linkspartei, protestierten damals dagegen. Die entsprechende Antwort erfolgte offenbar dann aber postwendend in der Nacht vom 24. zum 25. März 2015, als Unbekannte versuchten die Scheiben des Ortsbüros der Partei „DIE.LINKE“ einzuschlagen.
Ähnliches hatten die versammelten Neonazis möglicherweise bereits während der erwähnten Stadtverordnetenversammlung am 12. Februar im Sinn, als sie auf die Fensterfront des Tagungsortes eindroschen und so die dortigen Tumulte zusätzlich anstachelten.
Einer der damaligen Rädelsführer war übrigens der Anmelder der heutigen Versammlung, Maik Schneider. Gegen ihn soll diesbezüglich inzwischen auch die Polizei ermitteln.
Schneider war gestern übrigens auch nicht der einzige namhafte Parteifunktionär auf der Veranstaltung. Weiterhin nahm u.a. auch Frank Kittler, Abgeordneter der NPD in der Gemeindeversammlung Brieselang, teil. Dieser trug die einzige Parteifahne während des Aufzuges.
Weiterhin nahm auch der brandenburgische Landesvorsitzende der JN, Pierre Dornbrach aus Baruth/Mark, am Aufmarsch teil. Nach dem Abspielen eines Songs des linksradikalen Rappers Holger Burner hielt er auch die Hauptrede während einer Zwischenkundgebung in einem Plattenbauviertel von Nauen. Hierbei versuchte Dornbrach, 14 Tage vor dem 1. Mai, die Asyldebatte ideologisch mit völkischer Antikapitalismuskritik zu verknüpfen. Roter Faden seiner Rede blieb jedoch, die klare Ablehnung von „Asylantenheimen“.
Ein Bekenntnis, dass offenbar auch im Interesse der so genannte Bürgerinitiative „Zukunft Nauen“ lag, die sich zuvor eher von organisierten Neonazis fernhielt. Gestern liefen jedoch beide offiziellen Ansprechpartner der Initiative nicht nur beim Aufmarsch mit, sondern warben dort auch für ihre Unterschriftenaktion gegen die geplante Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge und Asylsuchende. Ein freundschaftliches Verhältnis von Mitgliedern der Bürgerinitiative „Zukunft Nauen“ zu den anwesenden Neonazifunktionären war erkennbar. Berührungsängste gab es offenbar nicht.
Nächstes Neonazievent in Planung
Bereits am 20. April beabsichtigen Neonazis erneut in Nauen aufzumarschieren. Vorgeblicher Grund könnte dann das 70 jährige Gedenken an einen Bombenangriff während des Zweiten Weltkrieges sein. Allerdings zelebrieren Neonazis an diesem Tag auch regelmäßig den Geburtstag Adolf Hitlers.
Die Nauener Zivilgesellschaft ruft deshalb in der Zeit von 14.00 bis 18.00 Uhr zur Teilnahme an einem bunten Familienfest im Bereich Lindenplatz / Marktecke / Gartenstraße auf. Ab 18.30 Uhr soll es zu dem eine Kundgebung am Lindenplatz /Gartenstraße geben.
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Getarnt als vermeintliche Bürger_innen gegen die derzeitige „Asylpolitik“ waren gestern 120 Neonazis durch die nordbrandenburgische Kleinstadt Wittstock/Dosse gezogen. Dabei glorifizierten sie den „Nationalen Sozialismus“ und riefen Parolen, die möglicherweise dem Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllten. Ungefähr 300 Beamt_innen schützten, laut Pressemitteilung der Polizei, unter Beachtung des „verfassungsrechtlichen Gebot(es) der Neutralität“ die „Demonstrationsfreiheit“ der Neonazis. „Stör- und Blockadeversuche des Aufzuges“ seien verhindert und in diesem Zusammenhang Anzeigen wegen „Beleidigung“ und „Widerstand“ aufgenommen worden. Ebenfalls werde gegen Teilnehmer_innen des Aufzuges „gegen Asylpolitik“ ermittelt, so die Polizei weiter. Diese sollen gegen das „Versammlungsrecht“ verstoßen und sich uniformiert haben.
Symbolischer Protest
Mit vielfältigen Aktionen haben dutzende Menschen heute gegen den Aufzug der Neonazis protestiert.
In einem umgangssprachlich als Papageiensiedlung bezeichneten Viertel im Norden der Stadt, veranstaltete das Bündnis „Wittstock bekennt Farbe“ ein gemeinsames Straßenfest mit dort untergebrachten syrischen Flüchtlingen. Dazu waren diverse Stände aufgebaut worden.
Des Weiteren stand der jährliche Jugendkreuzweg der evangelischen Kirche, der durch die Stadt bis zur Papageiensiedlung führte, unter dem Zeichen des Protestes gegen Rassismus.
Zudem waren entlang der Route des Aufzuges „gegen Asylpolitik“ durch die historische Altstadt zahlreiche Plakate des Freien Gymnasiums Wittstock angebracht, auf denen sich für eine bunte Stadt mit kultureller Vielfalt ausgesprochen wurde. Weiterhin waren Transparente der Initiativen „Wittstock bekennt Farbe“ sowie „Neuruppin bleibt bunt“ und „Oranienburg ist anders, weltoffen, Bunt“ angebracht worden.
Zu direkten Aktionen gegen den „Neonaziaufmarsch“ hatte hingegen lediglich das Bündnis „NoTDDZ 2015“ unter dem Motto „kein Fußbreit den Nazis!“ aufgerufen. Diesem Aufruf offenbar folgend hatten sich ab 13.00 Uhr ungefähr 60 Menschen ebenfalls in der Nähe der Bahnhaltestelle, in einer Parkanlage versammelt. Kurz vor Beginn des Aufzuges „gegen Asylpolitik“ versuchten sie die Weite des Geländes zu nutzen, um auf die Bahnhofsstraße zu gelangen, scheiterten allerdings an den Polizeiketten. Ein weiterer Versuch auf die Route des Aufzuges der Neonazis zu kommen, scheiterte in der Kyritzer Straße. In der Altstadt soll die Polizei zudem Pfefferspray eingesetzt haben, um etwaige Blockaden zu verhindern. So blieb den Gegner_innen des Aufzuges „gegen Asylpolitik“ nur der symbolische Protest am Rande. Dabei wurden u.a. Transparente, die sich solidarisch mit Flüchtlingen zeigten und zu Protesten gegen den „Tag der deutschen Zukunft (TDDZ)“ in Neuruppin aufriefen sowie eine Antifa-Fahne gezeigt. Die Abschlusskundgebung des Aufzuges „gegen Asylpolitik“ wurde lautstark ausgepfiffen.
Neonazis marschierten ansonsten störungsfrei
Der Aufzug „gegen Asylpolitik“ bewegte sich gestern ausschließlich im Süden der Stadt und im Zentrum. Es war die mittlerweile dritte derartige Versammlung in Wittstock/Dosse. Am 6. Dezember 2014 fand eine erste Demonstration mit 150 Teilnehmer_innen statt, eine zweite folgte mit ungefähr 20 teilnehmenden Personen am 31. Januar 2015.
Startpunkt der gestrigen Versammlung war wieder der Bereich vor der Bahnhaltestelle Wittstock/Dosse. Dort sammelten sich bis 14.30 Uhr ungefähr 120 Neonazis. Bürger_innen waren hingegen, anders als beim Aufmarsch am 6. Dezember 2014, kaum noch beteiligt. Der Aufzug gab sich in Stil und Ausdruck klar als neonazistischer Aufmarsch zu erkennen. Dazu waren etliche Neonazis aus Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen angereist. Diese wurden unter anderem durch Aufrufe in einschlägigen Socialmedia-Seiten zur Teilnahme aufgefordert. Unter anderem bewarben die „Aktionsgruppe Nord-Ost“, „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“, die „NPD Prignitz-Ruppin“, „NPD Potsdam-Mittelmark“ sowie eine Socialmedia-Gruppe, hinter der sich mutmaßlich die „Nationale Sozialisten Wittstock/Dosse“ verbergen, die Veranstaltung.
Nach der Verlesung der Auflagen durch den mutmaßlichen Versammlungsleiter startete der Aufzug dann Richtung Bahnhofstraße, überquerte den Bahnübergang in der Kyritzer Straße und zog dann unter dem skandieren von Parolen, wie „Frei, Sozial, National“ und „Nationaler Sozialismus jetzt“ bis in ein umgangssprachlich als Polthiersiedlung bezeichnetes Viertel im Süden der Stadt, in dem viele Neonazis wohnen. Hier gab es dann, in der Polthierstraße Ecke Steinstraße, die erste Zwischenkundgebung. Bei dieser forderte Pascal Stolle, ehemaliger Stadtverordnete für die NPD in Bad Belzig (Landkreis Potsdam-Mittelmark) und jetziger Aktivist der Partei des „dritten Weges“, als erster Redner einen „sofortigen Stopp, der Übersäung“ seiner „Heimat mit Asylantenheimen“ sowie „einen sofortigen Stopp von Asylanten in Deutschland“.
Auch Marvin Koch von den „Freien Kräften Neuruppin /Osthavelland“ knüpfte an die Flüchtlingsthematik an und versuchte Asylsuchende pauschal als kriminell darzustellen. Des Weiteren versuchte er Ängste zu schüren, demnach durch die Aufnahme von Flüchtlingen sein „Volk systematisch ausgerottet würde“. Koch könne es diesbezüglich „nicht mit seinem Gewissen“ vereinbaren, seine „Kinder in so eine marode Welt zu setzen, ohne probiert zu haben an diesen Zuständen etwas zu verändern“. In diesem Sinne warb er auch für die Teilnahme an der „Abschlussdemonstration“ zum „Tag der Deutschen Zukunft in Neuruppin“ und endete mit den Worten „Nationaler Sozialismus oder Untergang“.
Anschließend zog der Aufzug mit Parolen wie „Kriminelle Ausländer raus – und der Rest auch“ oder „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ weiter in Richtung Altstadt. Da letzt genannter Slogan möglicherweise den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt, kündigte die Pressesprecherin der Polizei eine strafrechtliche Prüfung des Sachverhaltes an. Vor Ort unterbunden wurden derartige Parolen jedoch nicht.
In der Altstadt, genauer gesagt hinter dem Rathaus, fand dann die Abschlusskundgebung des Aufzuges „gegen Asylpolitik“ statt.
Hier ergriff dann Maik Eminger, mutmaßlicher Kopf der „freien Kräfte“ in Potsdam-Mittelmark das Wort und knüpfte an die Reden seiner Vorredner während der Zwischenkundgebung an. „Ein friedliches Zusammenleben verschiedenartiger Rassen und Völker“ könne er sich nicht vorstellen und forderte deshalb „das Ende dieser Überfremdung“ sowie „das Ende der herrschenden Asylpolitik“. Seinen Redebeitrag beendete Eminger in Interaktion mit den anderen Teilnehmer_innen des Aufzuges. Er skandierte „Nationaler Sozialismus“ und die anderen Versammlungsteilnehmer_innen ergänzten mit „jetzt“.
Anschließend übernahm Matthias Fischer, bis zu dessen Verbot langjähriger Aktivist des „Freien Netzes Süd“ in Bayern und heutiger Parteigänger des „dritten Weg“ im Land Brandenburg das Mikrofon. Auch er schürte, anknüpfend an seine Vorredner, „Überfremdungsängste“ und forderte das noch „viel mehr“ dagegen auf die „Straße“ gehen müssten. „Noch“ könnte „die „Heimat“ gerettet werden, so Fischer.
Danach wurde der Aufzug durch die Kettenstraße zur Bahnhaltestelle zurückgeführt und nach dem Abspielen der deutschen Nationalhymne, in allen drei Strophen, für beendet erklärt.
Flüchtlinge in Wittstock
In der Stadt Wittstock/Dosse wurden im letzten Jahr mehrere geflüchtete Familien aus Syrien aufgenommen. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem temporär als Gemeinschaftsunterkunft genutztem Gebäude, wurden diese in Wohnungen in der so genannten Papageiensiedlung untergebracht.
Die Unterbringung in der Stadt wurde von einem Großteil der Bürger_innen während einer Versammlung der Stadt begrüßt. Lediglich das im Ort äußerst aktive neonazistische Milieu sprach sich, offensichtlich aus rassistischer Motivation, dagegen aus und führte diesbezüglich mehrere Veranstaltungen durch. Derlei Aktivitäten setzen sich anscheinend nun auch 2015 fort, nach dem die Stadt, ebenfalls nach Zuspruch durch die Bevölkerung, weitere Flüchtlinge aufnahm.
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Am gestrigen Abend lud das Amt Brück (Landkreis Potsdam-Mittelmark) zu einer Einwohner_innenversammlung in die St. Lambertus Kirche ein. Thema des Abends war die Informierung aller interessierten Menschen über die Aufnahme von 27 Asylsuchenden in der Stadt Brück. Um alle Fragen bestmöglich zu beantworten waren sachkundige Vertreter_innen des Landkreises und des Trägervereines der Unterkunft anwesend. Vorab bekannten sich das Amt und die Stadt Brück in einer Pressemitteilung zur Aufnahme der Asylsuchenden. „Brück versteht sich als Ort der Vielfalt und der Toleranz“, so Amtsdirektor Christian Großmann (SPD). Entsprechend werde sich „um die ankommenden Familien und Kinder“ gekümmert, so Bürgermeister Karl-Heinz Borgmann ergänzend. „Familienfreundlichkeit“werde „in Brück“ schließlich „groß geschrieben“.
Einleitung in die Informationsveranstaltung
Gegen 19.00 Uhr eröffnete dann Amtsdirektor Christian Großmann die Einwohner_innenversammlung, zu der 150 Menschen erschienen waren. Er teilte mit, dass 27 Flüchtlinge, darunter fünf Familien mit insgesamt zehn Kindern in der Stadt erwartet werden. Dies sei zwar für Brück, so Großmann, eine vollkommen neue Situation, jedoch sei er zuversichtlich, dass bestehende Vorurteile zumeist auf Unwissenheit beruhen und im Rahmen der Informationsveranstaltung entkräftet werden können.
Pfarrer Helmut Kautz gab sich in seinen einleitenden Worten ebenso zuversichtlich, wie hilfsbereit. Ihm sei schließlich bei seiner Ankunft in Brück auftragen worden: „Seien sie Pfarrer nicht nur für die Christen, sondern für alle Brücker!“ Dementsprechend wolle er sich nun auch um die ankommenden Flüchtlinge kümmern.
In diesem Sinne sprach auch Ottheiner Kleinerüschkamp (CDU), Bürgermeister der Nachbargemeinde Linthe. Er bot an, die mit der Unterbringung entstehenden Aufgaben gemeinsam zu bewältigen. „Den Leuten“ solle ein „würdiger Ersatz für ihr zu Hause“ geboten und es ihnen, so Kleinerüschkamp weiter, leicht gemacht werden, „sich hier einzuleben“.
Informationen des Landkreises
Nach der Einleitung in die Veranstaltung, informierte nun die Sozialdezernentin des Landkreises Potsdam-Mittelmark, Gertrude Meißner, detailliert über die Aufnahme und die Versorgung der Asylsuchenden im Kreis sowie die Wahl des Standortes Brück.
Gemäß ihren Angaben hat der Landkreis Potsdam-Mittelmark die Aufgabe bis Jahresende 659 Asylsuchende und 85 syrische Kontingentflüchtlinge aufzunehmen. Diese Zahlen seien allerdings variabel, da die Möglichkeit besteht, dass weitere Menschen ankommen werden. Insofern ist der Landkreis auch bestrebt, weitere Unterkünfte zu akquirieren. Zurzeit gibt es in Teltow und Stahnsdorf zwei bestehende Heime, die mit jeweils 200 Personen pro Unterkunft, am Ende ihrer Kapazitäten sind. Auch die kleineren Gemeinschaftsunterkünfte in Bad Belzig und Beelitz sind ebenfalls ausgelastet. Deshalb werde nun auch auf Objekte zurückgegriffen, die in kleineren Orten liegen und wegen der nicht optimalen Standortfaktoren bisher als ungeeignet galten.
Die künftige Gemeinschaftsunterkunft in Brück befindet sich beispielsweise in einem zwar industriell genutzten, aber unbewohnten Gewerbegebiet. Hier werden die 27 Asylsuchenden ab heute untergebracht sein. Nach Ostern kommen dann noch einmal 45 Menschen dazu, so dass insgesamt 72 Personen untergebracht werden.
Als Herkunftsländer der Asylsuchenden wurden Tschad, Syrien, Iran, Albanien und auch die Russische Föderation genannt. Für ihre Betreuung wird eine Sozialarbeiterin zuständig sein.
Des Weiteren sieht sich der Landkreis Potsdam-Mittelmark für die Gewährleistung der Sicherheit, dem Angebot von gemeinnütziger Arbeit, der Vermittlung von Deutschkenntnissen in Kooperation mit der Volkshochschule, die Finanzierung der Grundsicherung sowie die gesundheitliche Versorgung der Asylsuchenden einschließlich der Vervollständigung des Impfstandes zuständig.
Darüber hinaus würde sich der Landkreis über eine Unterstützung der Einwohner_innen von Brück freuen.
Einwohner_innenfragen
Nach dieser informativen Einführung waren nun die Brücker am Zuge, durch ihre Fragen bestehende Unklarheiten aufzuhellen, Ängste auszuräumen und Vorurteile zu überwinden.
Eine Bürgerin, die beispielsweise vor drei Jahren aus Berlin wegen den hohen Mieten weggezogen ist, befürchtete durch den Zuzug von Asylsuchenden und der möglicherweise damit verbundenen Verknappung des Wohnraumes, eine erneute Verdrängung.
Dem widersprach allerdings der Landkreis. Asylsuchende würden in Potsdam-Mittelmark ausschließlich in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Zwar war vor drei Jahren schon einmal eine menschenwürdigere Unterbringung angedacht, jedoch aufgrund mangelnden Wohnraums und steigender Flüchtlingszahlen wieder verworfen worden.
Lediglich bei syrischen Kontingentflüchtlingen sei die Unterbringung in Wohnungen geplant. Dies träfe jedoch auf Brück nicht zu.
Wenn es jedoch private Wohnungsangebote hier gäbe, so die Antwort auf eine Frage einer anderen Bürgerin, würde der Landkreis auch nicht nein sagen. Schließlich müssten in diesem Jahr noch mindestens 63 syrische Flüchtlinge aufgenommen werden. Die Miete würde, bei entsprechender Eignung der Wohnung, dann das Jobcenter zahlen.
Anschließend kamen die Themen Sicherheit und Integration auf die Agenda. Ein Bürger äußerte Bedenken vor einer angeblichen Gewaltbereitschaft der traumatisierten Menschen, ein anderer sei selber schon in einem Krisengebiet gewesen und habe die dort Lebenden als „unzivilisiert“ empfunden. Diesem Szenario wiedersprach Rose Dittfurth vom Arbeits- und Ausbildungsförderverein Potsdam-Mittelmark e.V. im Hinblick auf die hier ankommenden Menschen energisch. In ihrer langen Laufbahn als Sozialarbeiterin in der Bad Belziger Asylunterkunft habe sie kein unzivilisiertes Verhalten erlebt. Im Gegenteil, die meisten hierher kommenden Menschen seien eher glücklich, dass sie in geordneten Strukturen aufgenommen werden und sich diesen anpassen.
Andererseits können in Heimen natürlich auch Spannungen nicht ausgeschlossen werden. Den dort lebenden Menschen steht laut Asylgesetz schließlich nur ein Raum von 6,00m² zu. Privatsphäre gebe es dort eher nicht. Im Ernstfall soll jedoch ein 24-Stunden-Wachschutz Streit schlichten.
Traumatisierten Menschen, insbesondere Folteropfern, würde zudem psychologische Betreuung angeboten, damit sie die Chance erhalten die erlittenen Qualen seelisch zu verarbeiten.
Aber wie soll mit Asylsuchenden, die ein schweres Trauma durchleben, im Alltag umgegangen werden, schloss die nächste Frage an. Tatsächlich gäbe es für hierfür kein Patentrezept, so Frau Meißner vom Landkreis. Hier sei die Menschlichkeit jedes Einzelnen gefragt. Nur wenn offen und ohne Vorurteile auf die Menschen zugegangen wird, könne auch eine gute Integration gelingen.
Selbstverständlich sei natürlich auch die Sprache ein entscheidender Schlüssel. Hier machte die Mitarbeiterin des Landkreises ebenfalls Mut. Kinder von Asylsuchenden würden durch den Schulbesuch recht schnell, teilweise innerhalb eines halben Jahres, die deutsche Sprache beherrschen. Erwachsene bräuchten zwar in der Regel länger, würden aber laut Landkreis, wenn sie einmal einen Deutschkurs begonnen hätten, diesen auch mit großer Motivation weiter führen.
Eine kritische Stimme erkundigte sich daraufhin nach dem Mehraufwand für Lehrkräfte und ob dadurch nicht das Bildungsniveau der anderen Schüler leide. Doch auch hier widersprach die Vertreterin des Landkreises. Für die Nachhilfe im Deutschunterricht seien gesonderte Unterrichtsstunden vorgesehen, die von zusätzlichen Lehrkräften betreut werden.
Trotz der fundierten Argumente, versuchten Einzelpersonen jedoch weiterhin gezielt Ängste durch Vorurteile zu schüren. Demnach zeige sich allgemein, dass Orte mit vielen Migranten soziale Brennpunkte seien. Zudem sei eine albanische Familie, im Hinblick auf die Ankündigung von Asylsuchenden aus Albanien, ohnehin nicht integrationsfähig. Doch auch diesen Behauptungen wurde energisch widersprochen, in diesem Fall so gar aus dem Publikum.
Eine junge Frau, die aus Köln stammt und jetzt in Brück lebt, erzählte, dass sie in der Grundschule viele Ausländer in der Klasse und damit überhaupt kein Problem hatte.
Eine andere junge Brückerin kam ursprünglich aus Berlin-Wedding und hätte dort auch keine schlechten Erfahrungen mit Asylsuchenden gemacht. Sie fragte sogar wie konkret geholfen werden kann. Sind Spenden erwünscht und wenn ja wohin? Dies hörte Sozialarbeiterin Rose Dittfurth natürlich gerne. Spenden wären selbstverständlich erwünscht. Insbesondere Fahrräder und Spielzeug wären wohl die sinnvollsten Dinge. Jedoch bat Dittfurth zunächst einmal um Geduld, die Asylsuchenden müssen schließlich erstmal in ihrem neuen zu Hause ankommen. Erst danach sei eine Bedarfsanalyse sinnvoll.
Möglicherweise können diese Fragen dann während eines ersten „runden Tisches“ am 25. April 2015 geklärt werden.
Abschließend äußerte sich dann noch einmal Amtsdirektor Christian Großmann zu dem überwiegend positiv verlaufenden Abend: „Es gab vielen Fragen und wir haben sie gut beantwortet. Wir haben keine Angst vor dem Heim.“
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Am gestrigen Abend führten Vertreter_innen der Stadtverwaltung von Brandenburg an der Havel eine Informationsveranstaltung zum geplanten Neubau einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende am Neuendorfer Sand durch. Ungefähr 50 Menschen nahmen diesen Termin wahr. Sowohl Asylgegner_innen als auch Befürworter kamen dabei zu Wort.
Allgemeine Informationen
Zunächst vermittelte ein Vertreter der Stadt erst einmal allgemeinen Überblick, über die Menschen, die kommen werden, ihren rechtlichen Status und welche Art der Unterbringung für sie angestrebt wird. Im Übrigen wurde auch in dieser Veranstaltung noch einmal dargestellt, dass die Aufnahme von Asylsuchenden geordnet und nach einem bestimmten Reglement abläuft.
Erster Anlaufpunkt für Menschen, die im Land Brandenburg Asyl suchen, ist so zunächst die Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt (Landkreis Oder-Spree). Dort findet dann u.a. eine Erfassung ihrer Daten sowie eine gesundheitliche Untersuchung statt. Anschließend werden die Asylsuchenden über einen Verteilungsschlüssel auf die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte verteilt.
Die Stadt Brandenburg an der Havel hat diesbezüglich beispielsweise die Pflicht 2,7 % der im Land aufzunehmenden Menschen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
Momentan leben 258 Asylsuchende in der Havelstadt, davon 179 in der Gemeinschaftsunterkunft in der Flämingstraße und insgesamt 79 in Wohnungen.
Um bis Ende 2015 weitere Menschen aufnehmen zu können, ist nun geplant die Flämingstraße um 50 neue Plätze zu erweitern und neue Unterkünfte in der Fohrder Landstraße, mit 105 Plätzen, sowie eben am Neuendorfer Sand, mit 100 Plätzen, zu schaffen. Des Weiterensollen 160 Wohnungen angemietet werden.
Fragen, Antworten und Willkommenskultur
In der anschließenden Fragestunde brachten dann zunächst die Asylgegner_innenihre Vorurteile gegenüber Asylsuchenden durch entsprechende Anfragen an die Moderation zum Ausdruck. Warum der Standort Neuendorfer Sand? Warum soviel Geld für Asylsuchende ausgeben? Kommen eigentlich nur Männer und wäre es nicht besser, wenn sie ihre Heimat aufbauen würden? Wie sieht der Gesundheitsschutz aus? Woher haben die das Geld für teure Fitnessstudios?
Die Stadtverwaltung ihrerseits hatte sich aber anscheinend gut auf die Veranstaltung vorbereitet und entsprechende Sachbearbeiter gleich mit eingeladen, die auch auf die abstrusesten Fragen kompetent antworten und so die bestehenden Vorurteile – zumindest für die Mehrheitder Anwesenden – sachlich entkräften konnten.
Hinsichtlich der Standortwahl wurde noch einmal betont, dass die Siedlung am Neuendorfer Sand nicht der einzige Ort in Brandenburg an der Havel ist, in dem Asylsuchende untergebracht werden sollen. Allerdings gäbe es für die hier geplante Neueinrichtung an anderen Punkten in der Stadt kaum vergleichbar gute Standortbedingungen. Diesbezüglich wurden alle möglichen alternativen Standorte, so der Sachbearbeiter der Stadt, genau geprüft und sorgfältig gegeneinander abgewogen, auch im Hinblick auf die Kosten. Dazu bemerkte übrigens ein Bürger, dass die Kostenfrage irrelevant sei. Schließlich werden, seiner Meinung nach, jährlich Milliardenwerte an Waffentechnik in die Krisenländer geliefert, so dass sich jetzt nicht gewundert muss, wenn die Menschen von dort aus Furcht vor Krieg, Folter und Vertreibung nun hierher kommen.
Das jedoch vor allem Männer aus diesen Ländern kommen, lässt sich hingegen nicht bestreiten. Hier wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Strapazen einer Flucht, zum Teil über mehrere tausend Kilometer, durch Krisengebiete, übers Mittelmeer, für viele Frauen und Kinder einfach nicht tragbar sind und häufig den sicheren Tod bedeuten. Das heiße allerdings nicht, dass diese in ihren Heimatländern keine Gefahr ausgesetzt sind. Hinter jedem Akt der Flucht steckt eben meist noch ein viel größeres Drama. Zudem wurde auch noch einmal darauf hingewiesen, dass keines der Krisenländer dieser Welt mit europäischen Staaten vergleichbar ist und ein geforderter „Aufbau der Heimat“ aufgrund der Gegebenheiten vor Ort wohl eher eine romantische Illusion sei.
Hinsichtlich des Gesundheitsschutzes müsse sich hingegen keine Sorgen gemacht werden, da alle Asylsuchenden bereits in Eisenhüttenstadt untersucht würden. Sollte es trotzdem zu Krankheitsausbrüchen kommen, würde zunächst die gesamte Erstaufnahmeeinrichtung so lange in den Quarantänezustand versetzt, bis kein Risiko mehr für die Bevölkerung besteht. Zudem wurde im Hinblick auf die zuvor konkret thematisierten Masern hingewiesen, dass der Tod eines kleinenJungen in Berlin vor allem auf die Impfverweigerung seiner deutschen Eltern zurückzuführen ist.
Klar widersprochen wurde auch den immer wieder aufkommenden Fragen, ob Asylsuchende besonders und insbesondere finanziell bevorteilt würden. Laut den Angaben der Sozialdezernentin erhalten Menschen, die in Brandenburg an der Havel Asyl gefunden haben und in Wohnungen untergebracht sind, jedoch lediglich 359,00 € im Monat, das sind 40,00 € weniger als deutschen Staatsbürgern gemäß gesetzlicher Grundsicherung nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (Hartz IV) zu steht. Asylsuchende die in einem Heim untergebracht sind, erhalten sogar noch weniger, nämlich ungefähr 328,00 € im Monat. Was sie mit Ihrem Geld allerdings machen, ob sie sich damit Essen und Kleidung kaufen oder Sport treiben, bleibt ihnen allein überlassen.
Darüber hinaus wird natürlich angestrebt, dass die Asylsuchenden möglichst schnell in ein Beschäftigungsverhältnis kommen, so dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren können. Dies ist jedoch erst frühestens nach drei Monaten nach der Ankunft möglich und auch nur dann, wenn dadurch keine deutschen Staatsbürger_innen oder EU-Bürger_innen benachteiligt werden.
Damit waren dann auch die wesentlichsten Fragen beantwortet. Sicherlich blieben einige der Anwesenden, u.a. eine kleinere Gruppe älterer Herrschaften, die versuchten ausländerfeindliche Ressentiments zu schüren, oder Einzelpersonen, die unlängst bei den BraMM-Demos mitliefen, weiterhin skeptisch, dafür meldeten sich im Laufe des Abends immer mehr Menschen, die sich erkundigten, wie genau geholfen werden kann.
Dies griff die Stadt natürlich gerne auf und betonte, dass ehrenamtliche Hilfe sehr willkommen ist. Insbesondere Menschen die Deutschkenntnisse vermitteln könnten würden dringend gebraucht werden. Überhaupt sei die Sprache eines der besten Mittel um sich einander kennenzulernen,so Vorurteile abzubauen und Integration dadurch zu fördern.
Auch der Leiter der bestehenden Asylunterkunft in der Flämingstraße meldete sich zu Wort und bestätigte, dass er bisher keine schlechten Erfahrungen in seine Heim gemacht habe. Viele der dort untergebrachten Menschen seien von der Situation in ihrem Heimatland und der langen Flucht gezeichnet und sehnten sich eher nach Ruhe. Vielen muss auch in der Bewältigung ihres Alltags geholfen werden, da manche Dinge, die hier selbstverständlich sind, in ihren Heimatländern gar nicht existierten.
Des Weiteren wurden Begegnungsmöglichkeiten und Willkommensfeste angeregt um sich besser kennenzulernen. Diesbezüglich verwies die Stadt aber auch auf schon bestehende Angebote, wie die „Interkulturelle Woche“ und ähnliche Veranstaltungsreihen, die gern häufiger frequentiert werden können.
Die neue Asylunterkunft am Neuendorfer Sand soll ab Herbst 2015 bezugsbereit sein.
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Aufgrund der nach wie vor steigenden Zahlen von in der Bundesrepublik ankommenden Flüchtlingen und Asylsuchenden, hat sich Wittstock/Dosse auf Bitten des Landkreises Ostprignitz-Ruppin entschlossen noch einmal 50 Menschen aufzunehmen und in der Stadt unterzubringen. Um dieses Vorgehen transparent für alle zu gestalten, hatte das Wittstocker Bürgerbündnis heute ab 19.00 Uhr zu einer Informationsveranstaltung in die Heilig-Geist-Kirche in der nördlichen Altstadt geladen. Ungefähr 50 Bürger_innen nahmen dieses Angebot an.
Bewährte Unterbringung
Eine Mitarbeiterin des Landkreises Ostprignitz-Ruppin führte zunächst mit einem allgemeinen Überblick in die anschließende Fragerunde ein. Gemäß ihren Ausführungen wird der Kreisverwaltung mehrmals im Jahr die Zahl der aufzunehmenden Asylsuchenden mitgeteilt. Dies geschieht nach einem Quotensystem, demnach 4,6 % aller im Land Brandenburg ankommenden Flüchtlinge vom Landkreis Ostprignitz-Ruppin aufgenommen werden müssen. In diesem Jahr rechnet die Kreisverwaltung ungefähr mit 400 aufzunehmenden Asylsuchenden. Dies sind etwas mehr als 2014, da in großen Teilen der Welt nach wie vor Krieg und Vertreibung herrscht, so die Mitarbeiterin des Kreises. Bestrebt sei sie bzw. der Landkreis ansich, diese Menschen in erster Linie in Wohnungen unterzubringen, weil dies die geeignetste Art und Weise für eine erfolgreiche Integration ist. Allerdings klappt die Anmietung von Wohnraum nicht immer, da manchmal mehr Asylsuchende kommen als Wohnunterkünfte zur Verfügung stehen. Zurzeit sind jedenfalls immerhin 166 Menschen in Wohnungen im gesamten Landkreis untergebracht. Des Weiteren sind im Neuruppiner Heim für Asylsuchende 208 Personen untergebracht und in der seit Januar 2015 zur Verfügung stehenden Heimunterkunft in Wusterhausen/Dosse ungefähr 50. Dennoch wird dringend weiterer Wohnraum gesucht. Diesbezüglich hat sich wiederum Wittstock/Dosse angeboten, da der Kreis bereits bei der ersten Unterbringung von Flüchtlingen im Herbst vergangenen Jahres gute Erfahrungen gemacht hat. Damals wurden die Asylsuchenden übergangsweise zunächst im „B3-Center“ untergebracht, dort auf das Leben in der Stadt eingewöhnt und dann schließlich auf Wohnungen verteilt. Auf diese Erfahrungen soll jetzt aufgebaut werden und zum 1. April 50 weitere Flüchtlinge in ähnlicher Weise aufgenommen werden. Diesbezüglich bittet auch der Landkreis Ostprignitz-Ruppin die Bürger_innen den ankommenden Menschen zu helfen und sie aufzufangen.
Hilfsbereite Bürger_innen
Interessanter Weise stellte dies für den Großteil der auf der Bürgerversammlung anwesenden Menschen auch überhaupt kein Problem da. Die Fragen der meisten interessierten Bürger_innen zielten somit auch eher darauf ab, wie und wo konkret geholfen werden kann. Gibt es beispielsweise die Möglichkeit die Flüchtlingskinder sofort in die Kitas zu integrieren? Wie läuft die Integration in der Schule? Gibt es ausreichend Angebote für Deutschkurse? Wie sieht es mit Beschäftigungsmöglichkeiten aus? Können Patenschaften übernommen werden?
All diese Fragen wurden ruhig, sachlich und kompetent durch die im Podium sitzenden Experten beantwortet. Schließlich sollten alle Zweifel ausgeräumt werden, so dass aus etwaigen Missverständnissen keine Vorurteile entstehen. Auf die konkreten Fragen gab es dann auch genaue Antworten. Beispielsweise wird die Unterbringung von Flüchtlingskindern in Kita unbedingt angestrebt, obwohl hierfür kein Rechtsanspruch besteht. Anders verhält es sich hingegen mit der schulischen Ausbildung, hier gilt auch für Kinder von Asylsuchenden Schulpflicht, so dass auch hier eine bessere Integration ermöglicht werden kann. Zwar gibt es keine so genannten „Willkommensklassen“, wie beispielsweise in Großstädten, jedoch wird hierfür bereits nach einer entsprechenden Ersatzlösung gesucht. Gefunden wurden inzwischen schon Lösungen für das Angebot zusätzlicher Deutschkurse, die zurzeit beispielsweise von Lehrer_innen im Ruhestand betreut werden. Unterrichtsfall durch etwaige Mehrbelastung von in Dienst befindlichen, lehrenden Menschen wird so vermieden. Deutschkurse sind übrigens nicht nur Grundlage für eine gute Integration, sondern auch für die Aufnahme einer Tätigkeit. Diesbezüglich wurden ja die über Jahre geltenden, erschwerten Bedingungen erheblich gelockert. Asylsuchende dürfen demnach jetzt schon nach drei Monaten einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, wenn die Stelle nicht mit einem deutschen Staatsbürger oder einem Bürger aus der EU besetzt werden kann. Kontingentflüchtlinge dürfen zudem sogar sofort arbeiten.
Die beste Art der Integration ist aber immer noch der persönliche Kontakt zwischen den Menschen. Gelobt wurde deshalb der Vorschlag einer Bürgerin, Patentschaften für Asylsuchende zu übernehmen.
Asylgegner_innen bleiben wortlos, aber ablehnend
Selbstverständlich waren natürlich auch Asylgegner_innen im Saal anwesend. Allerdings blieben die sieben Sympathisanten von „Wittstock sagt nein zur Asylpolitik“, darunter auch mehrere bekannte Neonazis, heute erstaunlich ruhig. Desinteressiert spielte sie mit ihren Handys oder schliefen ab und zu ein. Dennoch ist die Ruhe möglicherweise trügerisch. Denn für den 28. März 2015 ruft „Wittstock sagt nein zur Asylpolitik“ unter dem Motto „Nein zu dieser Asylpolitik“ zu einem erneuten Aufmarsch in der Stadt auf.
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NPD und „Freie Kräfte“ haben am heutigen Vormittag in der havelländischen Kleinstadt Nauen erneut gegen eine geplante Unterkunft für Asylsuchende Stimmung gemacht. Ungefähr 80 Neonazis hatten sich dazu in der Bredower Straße Ecke Straße des Friedens getroffen und eine Kundgebung durchgeführt. Die Versammlung soll einige Tage zuvor von Pierre Boddin, einem Sympathisanten der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“, angemeldet worden sein. Gegen die Veranstaltung protestieren ungefähr 30 Menschen. Allerdings, aufgrund der polizeilichen Auflagen, erst in einer Entfernung von 100m zur Neonazikundgebung.
Stille Proteste
Schirmherr der Proteste war die Bürgerinitiative „Nauen für Menschlichkeit“. Diese hatte ebenfalls eine Kundgebung bei der Polizei angemeldet und sich am Bredower Weg Ecke Feldstraße versammelt. Die Proteste verliefen allerdings relativ still. Es wurden keine Slogans gerufen und keine Rede gehalten. Stattdessen wurde in kleiner Runde diskutiert sowie Plakate und Transparente gegen Rassismus und für die Aufnahme von Asylsuchenden gezeigt. An den Protesten beteiligten sich auch Nauens Bürgermeister Detlef Fleischmann (SPD), der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Hartmut Siegelberg (SPD), der Bundestagsabgeordnete Harald Petzold (DIE.LINKE), Mitglieder des Jugendclubs MIKADO e.V. sowie das Bündnis gegen Rechts Falkensee.
Organisierte Hetze
Die Veranstaltung der Neonazis wurde hingegen von der Initiative „Nein zum Heim in Nauen“ , hinter der sich mutmaßlich der lokale Ortsverband der NPD verbirgt, im Socialmedia beworben. Ebenfalls wurde in den Internetauftritten der „NPD Havel-Nuthe“, der „NPD Neuruppin“, der „NPD Oberhavel“ und der „NPD Potsdam-Mittelmark“ explizit auf die Kundgebung hingewiesen. Die einzelne Parteiverbände setzen damit das um, was unlängst auf dem Landesparteitag der NPD unter dem Motto „Protest muss Partei ergreifen“ beschlossen wurde, nämlich sich „ mit allen Initiativen, die friedlich gegen die Folgen der Masseneinwanderung protestieren“ zu solidarisieren. Allerdings geht es anscheinend nicht nur darum „Solidarität“ zu zeigen, sondern offenbar auch selbst in der Debatte aktiv mitzumischen.
Als einer der Drahtzieher der heutigen Veranstaltung gilt nämlich der Neuruppiner NPD Abgeordnete Dave Trick. Sein Name wird zumindest Impressum des virtuellen Flyers für die heutige Veranstaltung genannt. Eine Verbindung seinerseits nach Nauen wurde in der Vergangenheit durch offene Sympathien zu den „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“deutlich, an deren Veranstaltungen in der Stadt er schon mehrfach teilnahm. Zudem war Trick unlängst an den Tumulten bei einer Sitzung der Nauener Stadtverordnetenversammlung am 12. Februar 2015 beteiligt, bei der u.a. über den Verkauf eines Grundstückes für die Errichtung der Asylunterkunft abgestimmt wurde. Dabei kam es auch zu einem Polizeieinsatz. Trick, weitere NPD Funktionäre, Sympathisant_innen der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ und andere Heimgegner_innen, hatten zunächst Parolen skandiert und anschließend gegen die Fensterscheiben des improvisierten Sitzungsgebäudes geschlagen. Daraufhin wurden sie durch angeforderte Bereitschaftspolizei des Geländes verwiesen.
Eine der damals skandierten Parolen war übrigens: „Wir sagen nein, zum Asylantenheim!“, also genau der Slogan mit dem im Socialmedia für die heutigen Veranstaltung gegen die Unterkunft für Asylsuchende mobilisiert wurde. Der Wiedererkennungswert der Parole hielt sich jedoch in Grenzen.
Nur wenige Nauener Heimgegner_innen, welche die Stadtversammlung am 12. Februar massiv störten, waren gekommen. Stattdessen reisten dutzende Neonazis aus den Landkreisen Prignitz, Ostprignitz-Ruppin, Havelland, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming, Dahme-Spreewald, Oder-Spree und Spree-Neiße an.
Auch der erste Redner, der Kreistagsabgeordnete Michel Müller (NPD), war extra aus der 45km entfernten Stadt Rathenow angereist, um in einer kleinen Nebenstraße in Nauen die „sofortige Abschiebung aller Ausländer“, welche in der Bundesrepublik kein Anrecht auf Asyl haben, einzufordern sowie „das weltweit einzigartig einklagbare Recht auf Asyl sofort zu streichen“. Des Weiteren schürte er Überfremdungsängste und warnte vor kriminellen Asylsuchenden. Seine eigene kriminelle Karriere, die ihn u.a. für mehrere Jahre ins Gefängnis brachte verschwieg Müller hingegen.
Auch der aus Neuruppin zugereiste zweite Redner, Dave Trick, bediente zunächst die üblichen Klischees zum Thema Asyl, einschließlich der angeblich höheren Geburtenrate von Ausländern, um dann vor einem „Deutschland ohne Deutsche“, also dem drohenden „Volkstod“, zu warnen. Enden ließ er seine Rede schließlich mit einer Aufforderung zur Teilnahme am so genannten „Tag der Deutschen Zukunft“ (TDDZ). Diese jährlich an wechselnden Orten ausgetragene Großveranstaltung wird 2015 von den „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ in Neuruppin ausgerichtet.
Bereits seit Wochen läuft hierfür eine umfangreiche Mobilisierung im gesamten Bundesgebiet. Nauen liegt jedoch in besonderem Interesse der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“, da diese Gruppierung hier ihr zweites Standbein und sogar ein eigenes Postfach unterhält. Insofern wurde bereits im Aufruf zu der heutigen Veranstaltung explizit auf die Internetseite zum „TDDZ“ hingewiesen.
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Wie erst jetzt bekannt wurde, hat der Bad Belziger Neonazi Pascal Stolle seinen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung seiner mittelmärkischen Heimatstadt aufgegeben und war bereits im Januar 2015 zur neonazistischen Kleinpartei „Der dritte Weg“ gewechselt. Dies hatte er zumindest in einem öffentlichen Statement am 24. Februar 2015 im Socialmedia angekündigt. Seinen Platz im Stadtparlament von Bad Belzig solle demnach künftig der Kreistagsabgeordnete André Schär (NPD) inne haben.
Von den „freien Kräften“, über die NPD zum „Dritten Weg“
Der 1977 geborene Stolle war erst im Zuge der Brandenburger Kommunalwahlen im vergangenen Jahr mit 385 Stimmen (2,7 %) in die Bad Belziger Stadtverordnetenversammlung gewählt worden. Er trat damals auf der Liste der NPD an, bekräftigte in seinem Socialmedia-Statement vom 24. Februar 2015 aber niemals Mitglied dieser Partei gewesen zu sein.
Eine Aussage die durchaus plausibel erscheint, da er seit Mitte der 2000er als Kopf der „freien Kräfte“ in Bad Belzig gilt, die wiederum über Jahre ein gutes Verhältnis zu parteifernen bzw. von der NPD enttäuschten Neonazis aus dem Nordwesten Brandenburgs pflegten.
Vor seiner politischen Karriere im vergangenen Jahrzehnt war Stolle übrigens für mehrere Jahre in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert, weil er 1997 mit weiteren Gesinnungsgenossen Mitglieder einer Punk Band in Pritzwalk (Landkreis Prignitz) überfallen und brutal misshandelt hatte.
Aus der Haft kam er allerdings ungeläutert zurück und setzte seinen „Kampf“, wie bereits im Jahr 2000 in einem Interview mit einem Szenemagazin angekündigt, seit spätestens 2003 im lokalen Belziger Kameradschaftsmilieu weiter fort.
Nach einer kurzen politischen „Ruhephase“, die Stolle zwischenzeitlich u.a. für die Gründung einer Familie nutzte, fiel er erst seit zwei Jahren wieder als aktiver Neonazi auf. Seit September 2013 nahm er regelmäßig an NPD Kundgebungen in Bad Belzig teil und trat bei einer auch als Redner auf. Später ließ sich Stolle über eine Liste der Partei als Kandidat für die Bad Belziger Stadtverordnetenversammlung aufstellen und wurde während der Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 auch zum Abgeordneten gewählt.
Doch bereits am Wahltag soll er gezeigt haben, dass er nicht wirklich reif für die parlamentarische Arbeit ist, indem er während einer „Wahlparty“ in Bad Belzig einen Fotografen attackiert haben soll.
Auch sonst nahm Stolle seine Funktion als Abgeordneter zwar war, entfernte sich seit dem aber anscheinend ideologisch wieder von der NPD. Stattdessen trat er öffentlich immer mehr im Gefolge von Maik Eminger, dem mutmaßlich führenden Kopf der radikaleren „freien Kräfte“ im Landkreis Potsdam-Mittelmark, auf. Insbesondere bei Aktivitäten der neonazistischen Bewegung „Ein Licht für Deutschland“, deren Initiierung Eminger zugeschrieben wird, war Stolle immer wieder zugegen.
Am 21. Februar 2015 hielt er während einer neonazistischen Kundgebung in Eisenhüttenstadt (Landkreis Oder-Spree), die hauptsächlich vom „dritten Weg“ beworben und von Maik Eminger angemeldet wurde, einen ersten Redebeitrag für die neonazistische Kleinpartei. Zumindest vermeldete dies der „dritte Weg“ in einer Pressemittelung. Letzte Woche bestätigte nun Pascal Stolle den Wechsel zu dieser neonazistischen Kleinpartei öffentlich. Damit ist der „dritte Weg“ jetzt auch real in Brandenburg präsent.
„Dritter Weg“ in Brandenburg?
Bisher fiel die vor allem in Süddeutschland präsente und dort gegründete Neonazikleinpartei „Der dritte Weg“ im Land Brandenburg lediglich durch Flugblattaktionen gegen die Unterbringung von Asylsuchenden auf. Am 25. Oktober 2015 beteiligte sich dann eine kleine Delegation dieser Partei an einer von der NPD angemeldeten Kundgebung für die neonazistische „Gefangenenhilfe“ in Brandenburg an der Havel. Ein sächsischer Funktionär des „dritten Weges“ hielt zudem einen Redebeitrag.
Am 21. Februar 2015 folgte dann die bereits erwähnte Kundgebung in Eisenhüttenstadt, die de facto, aufgrund des dominanten Auftretens des „Dritten Weges“, als erste eigene Veranstaltung der Partei im Land Brandenburg gewertet werden kann.
Der „Dritte Weg“ wurde übrigens bereits im September 2013 als Partei gegründet und ist seit dem um bundesweite Ausbreitung bemüht. Seine Programmatik ist betont „nationalrevolutionär“ und lehnt sich somit an den „antikapitalistischen“ und „sozialrevolutionären“ Flügel der NSDAP an. In einem „Zehn-Punkte-Programm“ fordert der „Dritte Weg“ u.a. die „Schaffung eines Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus“ und „gleichmacherischem Kommunismus“.
Das sich dahinter aber auch nichts anderes als völkisch geprägter Nationalismus unter anderem Anstrich verbirgt, wird im Parteiprogrammpunkt „Umweltschutz ist Heimatschutz“ offensichtlich. Demnach geht es dem Dritten Weg vor allem um die „Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes und die Förderung der Gesundheit“ oder im historischen Kontext gedeutet: um Volksgemeinschaft und Rassenhygiene.
Des Weiteren werden im Parteiprogramm die Einführung der Todesstrafe und die „Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen“ gefordert.
Die Gründungserwägung des „Dritten Weges“ als Partei muss deshalb als taktisch interpretiert werden, um gegen staatliche Interventionen im Sinne eines Vereinsverbotes gewappnet zu sein. Auf letzt genannter Basis wurde nämlich erst im Juli 2014 das so genannte „Freie Netz Süd“, ein neonazistisches Netzwerk dem viele Funktionäre des „Dritten Weges“ zuvor angehörten, verboten.
Fazit
Wie erfolgversprechend das Wirken des „Dritten Weges“ indes in Brandenburg sein wird, bleib abzuwarten. In großen Teilen des Landes ist die NPD Platzhirsch der extremen Rechten. Lediglich im Nordosten Brandenburgs konnte sich die Partei „Die.Rechte“ bisher als ernsthafte Konkurrenz etablieren. Der „Dritte Weg“ will diesem Beispiel offenbar nun mindestens im Südwesten folgen. Und mit dem Pascal Stolle hat diese Partei auch einen lokalen Szenenkopf gewonnen.
In einem Brandenburger Parlament wird der „Dritte Weg“ jedoch damit nicht vertreten sein. Stolle will sein Stadtverordnetenmandat nämlich an einen anderen NPD Funktionär aus Bad Belzig abtreten.
Fraglich ist damit allerdings aber auch, ob dem „Dritten Weg“ überhaupt an parlamentarischer Arbeit gelegen ist, oder ob diese Organisation den Parteienstatus nur benötigt, um militanten Neonazis eine Organisationsstruktur zu bieten.