Brandenburgs Landespräventionsrat will die Kriminalitätsbekämpfung in den Kommunen forcieren. Staatliche, gesellschaftliche und private Initiativen müssten verstärkt gebündelt werden, sagte Innenminister und Gremiumsvorsitzender Jörg Schönbohm (CDU) am Dienstag in Potsdam. Polizei, Justiz, Schulen und Sozialeinrichtungen, Eltern und Erzieher sollten ebenfalls vermehrt kooperieren, um die Kriminalität zu senken. Schönbohm reagierte damit auf Ergebnisse einer Studie der Universität Potsdam. Die Studie schlägt die Verbesserung von Infrastrukturen im Freizeitbereich sowie die Stärkung des Rechts- und Wertebewusstseins vor. Erfolg versprechend sei neben dem Einsatz von Streetworkern auch eine verstärkte Polizeipräsenz in städtischen Problemvierteln.
“Notfalls verklagen wir den Staat”
ALTLANDSBERG. “Wir haben nicht mehr viel Zeit”, sagt Ravindra Gujjula, der Bürgermeister von Altlandsberg (Märkisch-Oderland). “Am 4. April endet die Duldung für die Familie Nguyen, bis dahin muss der Fall geklärt sein.” Obwohl die vierköpfige vietnamesische Familie weiterhin offiziell keinen Asylanspruch hat und von der Abschiebung bedroht ist, fordern er und viele Altlandsberger ein dauerhaftes Bleiberecht für die Familie.
“Es ist unmenschlich, sie auszuweisen”, sagt Gujjula. Die Eltern hätten Arbeit und seien bestens integriert. Am Wochenende startete er eine Unterschriftenaktion, mit der er die Abschiebung der Nguyens verhindern will. 400 Einwohner unterschrieben bis Dienstag. Gujjula will sich auch beim Auswärtigen Amt und bei Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) für die Familie einsetzen. Sollte der Kampf erfolglos bleiben, kündigte die Kirchengemeinde bereits an, den Nguyens erneut Kirchenasyl zu gewähren. Einmal schon hatte ein solches Asyl die Familie vor der Abschiebung bewahrt. “Wir werden alle rechtliche Wege gehen, um den Nguyens zu helfen”, sagt Gujjula. “Notfalls verklagen wir den Staat.”
“Die Kinder sind Deutsche”
Familie Nguyen lebt seit mehr als zehn Jahren hier. Die Eltern zählen aber nicht zu den vietnamesischen Vertragsarbeitern in der DDR, die bleiben dürfen. Die kleine Tochter wurde vor fünfzehn Monaten in Altlandsberg geboren. Ihr elfjähriger Bruder Duc Toan ist nicht nur Klassenbester, sondern auch Klassensprecher. “Die Kinder sind für mich Deutsche”, sagt der gebürtige Inder Gujjula. Es sei absurd, dass die Familie ausreisen soll, weil der Vater am Stichtag für eine Duldung keine Arbeit hatte. “Beim Arbeitsamt hatte er sie beantragt und auch eine Antwort erhalten”, sagt Gujjula. Das soll jetzt aber nicht ausreichen.
Die zuständige Kreisverwaltung sieht keine Alternative zur Abschiebung. “Die Gesetzeslage ist eindeutig, da gibt es keinen Spielraum”, sagt Verwaltungssprecher Jürgen Krüger. Die Familie sei illegal und damit “gesetzesbrecherisch” aus Tschechien eingereist. Der Kreis könne dies nicht dulden, ohne selbst das Gesetz zu brechen. “Nicht wir als ausführende Ämter sind unmenschlich, bestenfalls sind es die Gesetze.”
Gujjula sieht das anders und verweist auf eine namensgleiche vietnamesische Familie in Guben. “Der Fall ist ähnlich und auch dort gelten dieselben Gesetze”, sagt Gujulla. “Aber der dortige Landrat hatte den Mut, die Gesetze so menschlich zu interpretieren, dass die Familie bleiben konnte.”
«Menschlich schlimm»
ddp Altlandsberg — Die vietnamesische Familie Nguyen aus dem brandenburgischen Altlandsberg ist von der Abschiebung bedroht. Ihr Widerspruch gegen die Befristung der Duldung bis zum 3. April wurde abgelehnt, sagte der indischstämmige Bürgermeister Ravindra Gujjula. Dagegen seien Rechtsmittel eingelegt worden. Die Altlandsberger Kirchengemeinde werde im Notfall Kirchenasyl gewähren. So lange es keine Zusicherung für einen dauerhaften Verbleib der Familie in Deutschland gibt, sei man darauf vorbereitet.
Der Fall der heute vierköpfigen Familie war im Jahr 2000 bekannt geworden, als Vater und Sohn schon einmal bei der Kirchengemeinde von Dolgelin im Oderbruch Asyl fanden. Es wäre menschlich schlimm, dies der Familie erneut zuzumuten, sagte Gujjula. Er habe eine Unterschriftenaktion gestartet, mit der die Altlandsberger zeigen wollten, dass sie hinter der seit elf Jahren in Deutschland lebenden Familie stehen.
Gujjula warf den zuständigen Stellen fehlenden politischen Willen vor. Die «Sturheit» von Innenministerium und Kreis-Ausländerbehörde verhindere, dass die Familie im Sinne der so genannten Altfallregelung ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhält. Vater und Mutter würden beide arbeiten, der elfjährige Sohn sei in der Schule als Klassensprecher voll integriert, die 15-monatige Tochter besucht eine Kita. Die Gesetze sollten doch zugunsten der Menschen ausgelegt werden, forderte der Bürgermeister.
Verfassungsschutz unterstützt eBay
Folgende Meldung findet sich auf den Seiten des Brandenburger Verfassungsschutzes bezüglich der jüngsten Kontroverse um eBay — das Internet-Auktionshaus mit Sitz in Brandenburg war in die Kritik geraten, da auf seinen Seiten pro-nazistische Artikel angebotenw werden konnten/können.
Verfassungsschutz unterstützt eBay
Die Arbeitskontakte zwischen eBay und dem Verfassungsschutz Brandenburg tragen erste Früchte. Das Internet-Auktionshaus hat inzwischen eine Vielzahl rechtsextremistischer Artikel von seinen Angebotsseiten entfernt, vor allem verbotene oder indizierte Tonträger rechtsextremistischer Skinheadbands.
Die im brandenburgischen Europarc Dreilinden in Kleinmachnow ansässige eBay GmbH war Mitte Januar durch einen Bericht des ZDF-Magazins “Frontal 21” in die Kritik geraten. Das Magazin hatte berichtet, auf den Angebotsseiten von eBay werde massenweise rechtsextremistisches Propagandamaterial angeboten.
Auch dank den Hinweisen des Verfassungsschutzes ist das jetzt nicht mehr der Fall.
Das Online-Unternehmen hat ein Hilfsangebot des brandenburgischen Verfassungsschutzes prompt akzeptiert und zeigt sich sehr kooperativ. Anfang Februar kam es zu einem ersten Arbeitstreffen zwischen Vertretern der Behörde und eBay. Jetzt hat der Verfassungsschutz, wie vereinbart, dem Unternehmen umfangreiche Listen von einschlägigen Bands, Fanzines (zusammengesetzt aus “Fan” und “Magazin”) und Labels zur Verfügung gestellt. Eine weitere Liste mit Codewörtern, die das Herausfiltern der unerwünschten Produkte erleichtern soll, ist in Vorbereitung. Der Verfassungsschutz hat dem Unternehmen auch zugesagt, Mitarbeiter der “Community-Watch” zu schulen, damit die freiwillige Selbstkontrolle von eBay noch effektiver wird.
Denn immer wieder versuchen Rechtsextremisten, eBay als Internet-Plattform für ihre Propagandaangebote zu missbrauchen. Dabei geben sie sich nicht immer offen zu erkennen und verwenden häufig nur Eingeweihten geläufige Symbole und sprachliche Codes.
Weitere Arbeitstreffen mit eBay werden in regelmäßigen Abständen folgen.
Eine Jugend in Neuruppin
(TAZ/Henning Kober) Es ist ein kalter Tag und der Nebel, der vom Ruppiner See heraufzieht, hat sich noch nicht aufgelöst. In dem trüben Licht sehen die Häuser der Altstadt Neuruppins farblos aus, obwohl viele frisch saniert sind. In einer Seitenstraße befindet sich das selbst verwaltete alternative “Café Mittendrin”.
Drinnen ist es warm und die Strahler der Lampen werfen auf die orangefarbenen Wänden ein angenehmes Licht. An der Wand hängt ein überdimensionales Plakat, das an den Tod Carlo Giulianis erinnert, den die italienische Polizei im letzten Sommer beim G‑8-Gipfel in Genua erschoss. In den drei Räumen sitzen, lümmeln, liegen Schüler, meist Gymnasiasten, auf Stühlen und ausrangierten Sesseln, trinken, rauchen und unterhalten sich.
Unauffällig, harmlos steht neben einem der Fenster zur Straße ein Stück Pappe, in der ein großes Loch klafft. “Das war vor vier Wochen, da haben sie uns mal wieder die Scheiben entglast”, erklärt Miriam, als sei dies das Normalste der Welt. Miriam, die im vergangenen Jahr Abitur gemacht hat, erzählt feixend von dem typischen Besucher aus Berlin, der zu einem der Punkkonzerte ins “Mittendrin” kommt: “Die erste Frage ist, ob auch genug Leute da sind, um den Laden im Notfall gegen die Nazis zu verteidigen.” Dann lehnt sich Miriam in das rote Sofa zurück, zündet sich eine Zigarette an und dreht an einer braunen Haarsträhne. Zusammen mit Maik und Hannes, die neben ihr sitzen, gehört sie zu den Aktivsten der Jugendantifa.
Vor drei Jahren haben sie die Gruppe gegründet. “Nazistress an der Schule war für uns alltäglich geworden”, sagt Hannes und zieht die Ärmel seines Kapuzenpullovers über die Hände. Ins “Mittendrin” kommen Leute, die ähnlich denken und von denen etwa ein Dutzend im Alter zwischen 16 und 22 zur Jugendantifa gehören. Wenn es ums Plakatekleben oder ‑sprühen geht, sind es auch mehr, und wenn es bei Demos gegen die Rechten geht, machen fast alle “Mittendrin”-Besucher mit. Nicht mehr allein zu sein mit der täglichen Angst in der Schule oder auf dem Nachhauseweg, ist das Motiv, das die Gruppe zusammenhält. Auch viele unpolitische Skater, Kiffer, Normalos fühlen sich in dem Jugendclub zu Hause und beteiligen sich dann an den Demos. Skater, Kiffer, Normales, Rechte, Linke — die Jugendlichen in Neuruppin benutzen diese Begriffe häufig und kategorisieren sich damit selbst, vielleicht, weil es etwas Sicherheit gibt.
Inzwischen sei es ein bisschen besser geworden mit den Rechten, seit der Schließung des “Bunkers”, sagt Miriam und korrigiert sich gleich wieder, weil ihr Fossi einfällt, den erst vor einer Woche sechs Rechtsradikale bedroht und angespuckt haben. Rechtsradikalismus gehört zur Realität der 32.000-Einwohner-Stadt.
Das sieht auch Bürgermeister Otto Theel von der PDS so, den Maik “unseren Otto” nennt. “Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Problem”, sagt er. Theels Stimme klingt nachdenklich. “Das ist eine Arbeit, die viel Zeit kostet.” Und Nerven. Theel ist 61 und wurde im November wiedergewählt. Vor der Wende war er SED-Kreisleiter für Wirtschaft. Bei einer Kundgebung hat er Rechtsradikalen schon mal eine rote Karte entgegenstreckt. Aber er würde sich mit Journalisten aus Berlin wohl lieber über das frisch renovierte Rathaus unterhalten oder darüber, dass dringend ein Hotel benötigt wird. Lieber jedenfalls als über Wilhelm Lange.
“Das ist der Nazi-Opa, der hier irgendwann aus dem Westen aufgetaucht ist und seine unsäglichen Jugendstunden abhält.” Das “aus dem Westen” betont Otto Theel. Und ja, gibt der Bürgermeister zu, er soll immer noch Anlaufstelle für junge Rechte sein.
“Der Herr Lange wohnt im Hinterhaus, klingeln Sie nur”, sagt die Nachbarin lächelnd. Nach dem Klingeln zerreißt lautes Hundegebell die Ruhe der schmalen Altstadtstraße. Wilhelm Lange wartet im Hof hinter einem Maschendrahtzaun und sperrt erst mal den Schäferhund in den Zwinger. Der 86-jährige Greis trägt eine grüne Flecktarnhose mit Seitentaschen und einen braunen Pullover. Seine Mundwinkel hängen tief. Weil das Hundegebell so laut ist, bittet er in die Wohnstube. “Sie müssen laut reden, ich höre schlecht. Kriegsverletzung, Kopfschuss”, schreit er. So weit es die räumlichen Verhältnisse zuließen, sagt Lange, betreue er hier Jugendliche. Lange nennt sie“seine Jugendlichen”. 20 seien das ungefähr, die regelmäßig, meist täglich, zu ihm kommen. “Ich hab da einen Jungen, Markus (Name geändert), der hat mich vor vier Jahren als Zwölfjähriger auf der Straße angesprochen. Der ist heute so fit, dass sich die Lehrer gar nicht mehr trauen, ihn anzusprechen. Jedes Wort von mir ist bei ihm da drin” — er drückt seine Daumen gegen die Schläfen und lächelt schief. Aus dem Bücherregal zieht er ein Blatt mit Dogmen für seine Jugendgruppe. Unter dem Titel “10 Gebote” ist dort zum Beispiel zu lesen: “Wir verkörpern eine neue, unserem Volke verbundene Jugendbewegung” oder: “Politisch sind wir nicht rechts oder links, sondern einfach deutsch.”
Kurz nach der Wende kam Lange aus der Nähe von Wuppertal in die Stadt. Zunächst arbeitete er als Angestellter der Initiative Jugendarbeitslosigkeit Neuruppin (IJN), die sich 1990 als gemeinnütziger Verein gründete und heute mit Arbeitsamt und Landesjugendamt zusammenarbeitet. Dort konnte er, zunächst unbemerkt, Jugendlichen sein rechtes Gedankengut nahe bringen. Nachdem bekannt wurde, dass er in der Vergangenheit mit DVU und NPD zu tun hatte, musste er den IJN-Verein verlassen und zog sich scheinbar ins Private zurück. Heute fällt er öffentlich vor allem dadurch auf, dass er Flugblätter verteilt.
Mit nach vorne gebeugtem Kopf und leiserer, Vertraulichkeit suggerierender Stimme erzählt Lange von seinem Leben im Dienste der “nationalen Sache” und spannt den Bogen von seiner Zeit als HJ-Führer in Rom bis zu den DVU-Abgeordneten aus Potsdam, die regelmäßig zu Besuch kommen und Langes Jugendliche gern als zukünftige Parteimitglieder sehen möchten. 400 bis 500 Jugendliche seien in Neuruppin auf jeden Fall rechts, erklärt Lange, und der Tag, an dem die deutsche Jugend aufstehe, komme bestimmt.
Dann klingelt es. In die Wohnung kommen Markus, ein kleiner, kräftiger Typ in Bomberjacke, und kurz darauf vier weitere Jugendliche, der Jüngste vielleicht zehn oder elf Jahre alt. Sein Lonsdale-Pullover mit den wichtigen Buchstaben “NSDA” in Größe S ist an den Ärmeln noch zu lang. Artig geben alle ihrem Gastgeber die Hand. Sie nennen ihn Opa Lange. Still und aufmerksam lauschen sie, wenn der Mann ihnen erklärt, dass Demokraten die größten Verbrecher seien und Ostdeutschland der völlig falsche Begriff für das, was eigentlich Mitteldeutschland heißen müsste.
Warum hören sich die Jungen das freiwillig an? Warum gehen sie, wie Markus erzählt, Lange sogar bei der Hausarbeit zu Hand, putzen seine Wohnung, gehen einkaufen? Hannes wird das später im “Mittendrin” so erklären: “Mutti, Vati arbeitslos, Klippschule und dann ist da einer, der sich um dich kümmert und dir das Gefühl gibt, du bist wer.”
Dabei gibt es in Neuruppin durchaus Angebote für Jugendliche. Das Jugendfreizeitzentrum, das “Café Fantasy” im Neubaugebiet und natürlich die Sportvereine. Und doch sagt Markus: “Die Freizeitmöglichkeiten sind sehr begrenzt, wenn wir irgendwo unser Bier trinken und ein bisschen rumfeiern, dann kommen gleich die Linken und machen Stunk.” Geschickt schürt Lange bei den Jugendlichen das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Ihnen habe Bürgermeister Theel den “Bunker” weggenommen, klagen sie, und den
Linken gleich ein ganzes Haus gegeben. Lange liefert den passenden Sound dazu. Er referiert: “Theel und die “Mittendrin”-Leute, das sind unsere Todfeinde.” Dabei ist er für die Zukunft nicht pessimistisch, “die Neuruppiner Polizei steht praktisch auf unserer Seite”, behauptet er, und Pläne, wie man bald wieder an neue Räume kommen kann, gibt es auch. “Wir sind gerade in der Organisationsphase”, sagt einer der Jugendlichen.
Es sind die Älteren, die sprechen. “Wenn du immer provoziert wirst, dann hast du irgendwann die Fresse voll. Dann schlägst du halt zu.” Je stärker sie zum Beispiel bei Arbeitgebern wegen ihres Auftretens auf Ablehnung stoßen, umso enger schließen sie sich zusammen. “Das Problem ist hier einfach, dass man wegen einem bestimmten Pullover keine Lehrstelle bekommt”, sagt Markus und macht eine Handbewegung zu seiner Brust, wo das Lonsdale-Logo prangt. Auch die Jüngeren werden das bald erfahren. Ein Teufelskreis.
Im “Café Mittendrin” ist es ruhig geworden. Jemand hat die Musik ausgemacht, weil Fossi gerade erzählt, wie er und vier Freunde nach der Schule von Jungs und Mädchen in Springerstiefeln und Bomberjacken bedroht und bespuckt wurden.
Ohne Grund oder konkreten Anlass. “Die wollten einfach ihre Macht ausüben”, sagt der Neuntklässler in den breiten Hosen. Eigentlich interessiere er sich gar nicht besonders für Politik. “Angst hab ich trotzdem nicht”, sagt Fossi entschlossen. Angst will er nicht haben. “Wir reden dann untereinander und beruhigen uns. Freunde sind das Wichtigste”, sagt Fossi. Er möchte trotz allem in keiner anderen Stadt leben. “Neuruppin ist schon ganz in Ordnung.” Kommt eben nur darauf an, was für ein Tag heute ist.
taz Nr. 6674 vom 12.2.2002, Seite 5, 259 Zeilen (TAZ-Bericht), HENNING KOBER
Rathenower Polizistenprozess am Amtsgericht Potsdam
Verfahren wegen “übler Nachrede” gegen Mitarbeiter der Opferperspektive Vor dem Amtsgericht Potsdam, Hegelallee 8, findet am Dienstag, den 19. Februar 2002, um 9 Uhr im Saal 304.1 und am Donnerstag, den 21. Februar 2002 um 9 Uhr im Saal 201 ein Verfahren gegen einen Mitarbeiter des Vereins Opferperspektive statt.
Vorgeworfen wird dem Verein eine Pressemitteilung vom August 2000. Darin war von einem Angriff auf den britisch-chinesischen Fotojournalisten Justin Jin in Rathenow berichtet worden — und von einem Fehlverhalten der Polizei. Die Polizistinnen hatten nämlich, anstatt den Angreifer festzunehmen, das Opfer, Justin Jin, gegen seinen Willen mitgenommen und seine drei afrikanischen Begleiter mit einer Ansammlung pöbelnder Rassisten zurückgelassen.
Doch anstatt aufzuklären, wie es zu dieser Situation kommen konnte, reagierte das Polizeipräsidium und das Innenministerium mit einem Gegenangriff. Sie stellten sich vor die beiden Polizistinnen, die entgegen der Darstellung der Opfer behaupteten, keine Gewalt angewandt zu haben, und bezichtigten einen der afrikanischen Augenzeugen der Verleumdung und den Verein Opferperspektive der üblen Nachrede. Damit sollte offenbar ein Signal gesetzt werden, zukünftig jede Kritik an polizeilichem Fehlverhalten zu unterlassen. Offensichtlich soll sich hier der Justiz bedient werden, um die Seriosität des Vereins Opferperspektive in Frage zu stellen.
Obwohl alle Opferzeugen den Wahrheitsgehalt der Pressemitteilung bestätigen, wurde über anderthalb Jahre ein gewaltiger Ermittlungsaufwand getrieben. Für zwei Verhandlungstage sind elf Zeugen geladen. Es ist zu hoffen, dass sich dieser Prozess in eine Gelegenheit wendet, das polizeiliche Fehlverhalten aufzuklären.
Hintergrundinformationen zum Prozess:
Andreas Sch., Mitglied der rechtsextremen Gruppe “Havelländer Jungs”, in action
Die umstrittene Pressemitteilung:
Britischer Journalist in Rathenow von Skinhead angegriffen und von Polizei misshandelt
Die zweite Pressemitteilung:
“Opferperspektive” weist den Vorwurf der Verleumdung zurück
Anzeige gegen Augenzeugen des polizeilichen Fehlverhaltens verheerend für Anzeigenverhalten von Opfern
“Wie verhält sich die Polizei nach Übergriffen in Rathenow?”
Justin Jins Brandenburg-Tagebuch auf deutsch:
Aufruf für eine Unterschriftensammlung gegen das neue
Zuwanderungsgesetz
Gegen das geplante neue Zuwanderungsgesetz plant der Flüchtlingsrat Brandenburg, einen offenen Brief — u.a. an die Landtagsabgeordneten zu verfassen. Hier der Aufruf an Euch, Euch zu beteiligen (gebt dem Flüchtlingsrat Bescheid, dass Ihr mitunterzeichenen wollt!) und der Entwurf des Briefes.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des Flüchtlingsrats Brandenburg,
Der Zuwanderungsgesetzentwurf ist nun seit Monaten in aller Munde. Am Wochenende fand sich ein Interview mit Ministerpräsident Stolpe zu dem Thema in der Märkischen Allgemeinen Zeitung, in dem er noch einmal Brandenburgs Haltung zu dem Entwurf arlegte: der Tenor, so muss man es leider sagen, lautete u.a. “mehr Fremde verursachen auch mehr Fremdenfeindlichkeit”.
Der Flüchtlingsrat verurteilt dieses “Vorpreschen” eines SPD-Politikers auf das Schärfste. Aus diesem Grunde hat der FR einen Aufruf an die Abgeordneten des Landtags und die Mitglieder des Kabinetts verfasst, in dem wir
darlegen, was unter anderem an diesem Gesetz menschrechtsfeindlich ist und in dem wir
darum bitten, sich noch einmal genau klarzumachen, was die Erfüllung der Forderungen für die Menschen bedeuten würde, die hier Schutz suchen.
Wir möchten Sie / Euch bitten, den anhängenden Brief an die
Abgeordneten und das Kabinett mit zu unterzeichnen. Das können Sie/könnt Ihr als Einzelperson oder aber auch als Verband, Organisation etc. tun.
Brandenburg wird aufgrund der Grossen Koalition “das Zünglein an der Waage” bei der Abstimmung im März im Bundesrat sein — das Gesetz in dieser verschärften Form darf den Bundesrat nicht passieren!
Alle weiteren Informationen, warum wir diese Forderungen so
verurteilen, finden Sie ausführlich in dem Schreiben erklärt.
Helfen Sie mit, diese unmenschlichen Forderungen und Auslegungen nicht Wirklichkeit werden zu lassen!
Wir danken Ihnen!
Judith Gleitze
für den FR Brandenburg
Bitte mailen oder faxen Sie uns Ihren Namen, evtl. Organisation und
Adresse wenn Sie sich mit unter das Schreiben setzen möchten.
Stellen Sie sich eine Familie vor, die hier lebt, aber ihr 14-jähriges Kind musste allein im Bürgerkriegsland Sierra Leone zurückbleiben, Einreise nach Deutschland nicht gestattet — das Nachzugsalter soll auf 12 Jahre
gesenkt werden! Das z.B. wäre eine Folge der Verschärfungen!
Wir möchten Sie/Euch einladen zu einer kleinen Veranstaltung am 22.2.02 in Potsdam, wo wir mit ein paar kleinen szenischen Darbietung darstellen werden,
was dieses neue Zuwanderungsgesetz bedeuten wird — und was es in der von Herrn Stolpe geforderten Verschärfung bedeutet.
Wir bitten Sie alle, zu dieser Veranstaltung zu kommen und das Anliegen der Flüchtlinge zu unterstützen! Bitte opfern Sie ein paar Stunden Ihrer Zeit, denn wenn dieser Entwurf mit all seinen Verschärfungen durch den Bundesrat
geht, dann werden die Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, unmessbar viel mehr Zeit benötinge, um ein Menschenrecht — das recht auf Schutz — noch
durchsetzten zu können!
Offener Brief:
An die Abgeordneten des Brandenburger Landtages
An die Mitglieder des Kabinetts
An Herrn Matthias Platzeck, Vorsitzender der SPD
Zur Kenntnisnahme:
An die Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
Das Land Brandenburg spielt bekanntlich eine äußerst wichtige Rolle bei der notwendigen Entscheidung im Bundesrat zum geplanten Zuwanderungsgesetz. Wir
haben mit Erschütterung die Position des Ministerpräsidenten Stolpe zum geplanten Gesetz aufgenommen. Die von ihm geforderten Änderungen am Gesetzentwurf würden zu noch massiveren Verletzungen von Grund- und Menschenrechten bei Flüchtlingen führen und dürften unseres Erachtens keinesfalls eine Forderung
Brandenburgs sein, einem Land, das sich selbst als “tolerant” bezeichnet.
Nun wenden wir uns an Sie mit der Bitte, die Position Brandenburgs positiv zu beeinflussen. Die Stimme Brandenburgs entscheidet über das Leben von Tausenden von Menschen! Der zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf wurde bei der Expertenanhörung am 16.1.02 einmütig von allen namhaften Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen kritisiert! Vor allem — so die einhellige Meinung — in den Bereichen Flüchtlingsschutz, Integration, Integrationsmassnahmen, Ausweisungsschutz, soziale Absicherung und für sog. Härtefälle wurden
unverzichtbare Nachbesserungen eingefordert (siehe Stellungnahmen von Pro Asyl, ai, UNHCR, dt. Anwaltsverein, dt. Juristinnenbund, DGB u.a., über FR Brandenburg zu
beziehen).
In aller Kürze wollen wir hier einige wesentliche Verschlechterungen benennen:
Für die grosse Zahl der geduldeten Flüchtlinge soll es eine neue Regelung geben. Dabei ist aber zu befürchten, dass nur ein geringe Anteil der Betroffenen ihren Aufenthalt legalisieren kann. Der viel grössere Teil des Personenkreises wird durch den Entzug der Duldung und dem Ausstellen einer “Bescheinigung” in Ausreiselager eingewiesen oder teilweise in die Illegalität gedrängt.
Für diesen Personenkreis wird es ein Arbeitsverbot geben.
Das Leben unter dem physischen und sozialen Existenzminimum wird weiter die Realität für Flüchtlinge bleiben. Nach dem jetzigen Gesetzentwurf wird der Personenkreis, der abgesenkte Leistungen (70–80 % eines deutschen
Sozialhilfeempfängers) in Form von Sachleistungen erhält, noch massiv ausgeweitet.
Subjektive Nachfluchtgründe sollen bei der Prüfung der
Flüchtlingseigenschaft im Folgeverfahren nicht berücksichtigt werden. Der GKF unterscheidet
dagegen nicht zwischen Vor- und Nachfluchtgründen.
Das Verbot des Verlassens des zugewiesenen Aufenthaltsortes
(Residenzpflicht) gilt nicht nur für Flüchtlinge im Asylverfahren und Flüchtlinge mit
Bescheinigung, sondern wird noch auf Flüchtlinge mit anderen Aufenthaltstiteln
ausgeweitet.
Das Arbeitserlaubnisrecht wird für Flüchtlinge noch mehr eingeschränkt, die Lebensabsicherung durch eigene Arbeit fast unmöglich gemacht.
Diesen Mängeln steht als einziger wirklicher Fortschritt die geplante Berücksichtigung nicht-staatlicher und geschlechtsspezifische Verfolgung gegenüber,
die der Flüchtlingsrat Brandenburg sehr begrüsst.
1. Nun aber will Ministerpräsident Manfred Stolpe gerade diesen einzigen
unbezweifelbaren Fortschritt verhindern. Nicht-staatliche Verfolgung dürfe, so
Herr Stolpe, nicht als Asylgrund anerkannt werden. Sonst würde Brandenburg die
Zustimmung zum Zuwanderungsgesetz verweigern. (siehe u.a. MAZ vom 01.02.02)
Worum geht es ?
Seit Jahren fordern Pro Asyl, amnesty international und der UNHCR die
korrekte Anwendung/Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Anstelle der
Praxis der Bundesrepublick Deutschland, bei der der Schutz der GFK abhängig
gemacht wurde vom Charakter des Täters (Staat), solle endlich der in der GFK
festgeschriebene vorbehaltlose Schutz gelten. Das bedeutet, dass die
Schutzgewährung nach der Genfer Flüchtlingskonvention eben nicht vom Täter, sondern
ausschließlich vom Tatbestand der Verfolgung abhängig gemacht werden darf. Viele
Menschen werden durch Bürgerkriegsparteien oder lokale Kriegsherren in die
Flucht getrieben — aus diesem Grunde bedarf es eines Schutzes, der auch
nicht-staatliche Verfolgung mit einbezieht.
Mit der jetzt geplanten Berücksichtigung der nicht-staatlichen Verf
olgung
sollte nun endlich diese von Flüchtlingsschutzorganisationen jahrelang
geforderte Anpassung der deutschen Praxis an den €päischen und internationalen
Standart erfolgen. Es handelt sich dabei also keineswegs um eine Ausweitung des
Asylrechts, sondern endlich um die korrekte Anwendung der Genfer
Flüchtlingskonvention. Gleichzeitig wird hiermit ein positiver Beitrag zur
Asylrechtsharmonisierung in Europa geleistet (zu empfehlen hierzu: Stellungnahmen von
amnesty international und vom UNHCR zur Expertenanhörung, über FR Brandenburg zu
beziehen)
Was heißt das ?
Herr Stolpe will diese Verbesserung radikal streichen und ist der Meinung,
man könnte für solche “Fälle” auch “weiterhin humanitäre Lösungen” (MAZ,
1.2.02) finden. Wir, die wir täglich mit Flüchtlingen arbeiten, wissen, dass es
diese humanitären Lösungen schon jetzt nicht gibt, und dass sie nur in den
wenigsten, medienwirksamen Fällen erreicht werden können. Die Forderung,
nichtstaatliche Verfolgung nicht anzuerkennen bedeutet, Flüchtlinge aus
Bürgerkriegsgebieten einen legalen Status in unserem Land zu verwehren und sie mit
“Bescheinigungen” in einem Ausreiselager zur baldmöglichsten Ausreise zu drängen. So
galten Flüchtlinge aus Afghanistan jahrelang nicht als vom Staat verfolgt
und hätten nach Herrn Stolpes Forderung auch keine Chance auf ein
menschenwürdiges Leben in Deutschland. Ebenso verhält es sich z.B. mit den auch in
Brandenburg lebenden Flüchtlingen aus Kolumbien, deren Verfolgung durch die
Paramilitärs nicht als staatliche Verfolgung angesehen wird und denen somit ein
wirksamer Schutz verwehrt wird.
Sollen diese hier Schutz suchenden Menschen, die um Leib und Leben fürchten
müssen, wirklich ins Ausreiselager kommen und abgeschoben werden, nur weil
die Bundesrepublik Deutschland den von der GFK garantierten Schutz unter den
Vorbehalt stellt, daß der Verfolger ein Staat sein muß ?
Wenn Ministerpräsident Stolpe behauptet, die Anerkennung der
nicht-staatlichen Verfolgung als Asylgrund würde einen Anreiz zur Flucht nach Deutschland
darstellen, so scheint er die Tatsachen zu verkennen: “UNHCR hat auch keine
Anhaltspunkte dafür, daß die Flüchtlingsanerkennung auf Grund von
nichtstaatlicher Verfolgung eine unerwünschte Sog-Wirkung auslösen könnte. Die Auswahl des
Aufenthaltsstaates wird weniger durch die jeweilige Interpretation des
Flüchtlingsbegriffs als von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten (beispielsweise die
Erreichbarkeit des Territoriums, die Anwesenheit von Familienangehörigen)
bestimmt.” (UNHCR Stellungnahme vom 14.1.02, S.3 zur Expertenanhörung). Ebenso
formuliert amnesty international: “Der Einwand, die Neuregelung weite den Zuzug
von Ausländern in die Bundesrepublik stark aus, geht aber fehlt. Es geht darum,
dass die Personen, die schon bisher nach Deutschland gekommen sind, aber
überwiegend nicht abgeschoben werden konnten, einen sicheren Aufenthaltsstatus
erhalten.”
2. Eine weitere Forderung von Herrn Stolpe ist die Herabsetzung des
Mindestalters für den Familiennachzug: statt dem geplanten Nachzugsalter von Kindern
bis 14 Jahre verlangt er eine Festsetzung der Altersgrenze bei 12 Jahren.
Worum geht es ?
Die Regelungen zum Familiennachzug im Gesetzentwurf sehen ein abgestuftes
(Un)Recht vor: Nur Hochqualifizierte, Asylberechtigte und
Konventionsflüchtlinge dürfen ihre minderjährigen Kinder bis zum Alter von 18 Jahren nachkommen
lassen . Für andere Fälle war die Nachzugsaltersgrenze von 16 auf 14 Jahre
abgesenkt worden. Diese geplante Regelung war bereits ein Rückschritt gegenüber
dem Status Quo, der bislang bei 16 Jahren liegt. Und nun will Stolpe noch
weiter gehen: statt der Altersgrenze bei 14 Jahren soll sie auf Brandenburgs
Wirken hin auf 12 Jahre gesenkt werden. Menschen, die hier aus humanitären
Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, soll hier der Familiennachzug
verweigert werden. Das ist schlicht grundgesetzwidrig und mit der Vorgabe in
Art.5 Ziff. 3 EURiliE nicht vereinbar (zu empfehlen hierzu: Stellungnahmen des
DGB, des deutschen Juristinnenbund, des deutschen Anwaltvereins und von Pro
Asyl zur Expertenanhörung, über FR Brandenburg zu beziehen)
Was heißt das ?
Es dauert oft viele Jahre, ehe Flüchtlinge ihre Anerkennung bekommen und
damit den Status erlangen, der es ihnen ermöglicht, ihre Kinder offiziell zu
sich zu holen. Sollten die Kinder in dieser Verfahrenszeit älter als 12 Jahre
geworden sein, fordert Herr Stolpe die lebenslange Trennung der Familie — denn
die Kinder dürfen nicht nach Deutschland und den Eltern ist die Rückkehr in
ihre Heimat verwehrt. Richtig stellt Herr Stolpe fest: “gerade im Alter
zwischen 12 und 18 Jahren finden wichtige Entwicklungen statt” — will aber den
Eltern verwehren, mit ihren Kindern zusammen zu leben und an diesen Entwicklungen
teil zu haben.
3. Stolpe macht sich mit seinen Äußerungen zum Thema Zuwanderung zum
geistigen Brandstifter !
Wenn Herr Stolpe, wie in der MAZ am 01.02.02 geschehen, einen Zusammenhang
zwischen Anerkennung nicht-staatlicher Verfolgung und erhöhter
Fremdenfeindlichkeit konstruiert, so ist dies im höchsten Maße gefährlich. Es ist doch
allgemein bekannt, wie wichtig politische Entscheidungen für das Meinungsbild in
der Bevölkerung sind! Unterstützt die Landesregierung diese
Abschottungspolitik, so werden sich diese Tendenzen auch in der Bevölkerung widerspiegeln. Eine
Gleichsetzung ‘weniger AusländerInnen bedeutet weniger Fremdenhass’ ist Öl
auf das Feuer des Fremdenhasses.
Ein ebensolch gefährliches Konstrukt ist der im selben Interview von Herrn
Stolpe vertretene Zusammenhang zwischen Massenarbeitslosigkeit und
Zuwanderung. Wir geben Herrn Stolpe recht, daß es sich hier um ein psychologischen
Phänomen handelt: So wird verbreitet, daß Flüchtlinge Deutschen die Arbeitsplätze
wegnehmen, denn die Bevölkerung unterscheidet im Allgemeinen nicht zwischen
ArbeitsmigrantInnen und Flüchtlingen — alle sind AusländerInnen. Doch wie
sieht das in Brandenburg aus? Bei einem AusländerInnenanteil von etwas mehr als 2
% und einer Arbeitslosigkeit bis zu teilweise 20% in den Kommunen kann der
Mangel an Arbeitsplätzen rein rechnerisch unmöglich an den hier lebenden
AusländerInnen liegen — das sind Tatsachen, die öffentlich von PolitikerInnen
vertreten werden müssen, um Angst und Hass in der deutschen Bevölkerung
abzubauen!
Wir möchten hier noch einmal deutlich anmerken, dass auch wir für die
Schaffung eines Zuwanderungsgesetzes sind. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf
beinhaltet aber eine nicht überschaubare Fülle von Änderungen, die in der
Gesamtheit kaum jemand erfassen kann und die nicht ausreichend diskutiert wurde. Er
ist deutlich von wirtschaftlichen Interessen geprägt, verbessert die Stellung
von hochqualifizierten Arbeitskräften, verschlechtert aber massiv die
Situation der Menschen, die in unserem Land Schutz suchen.
Zudem halten wir es nicht für sinnvoll, eine Gesetzgebung zur
Arbeitsmigration, zur Terror-Bekämpfung und zum Schutz für Flüchtlinge auf einen
gemeinsamen Weg zu bringen. Der vorliegende Entwurf stellt einen ‘Kuhhandel’ dar:
kontrollierte Zuwanderung von Arbeitskräften auf Kosten des Flüchtlingsschutzes.
Wir möchten Sie bitten, diese unmenschliche Politik im Land Brandenburg
nicht zuzulassen. Das Land Brandenburg sollte wegen der oben genannten
Gesetzesinhalte dem Zuwanderungsgesetz in der jetzigen Form nicht zustimmen. Eine
darüber hinaus gehende Verschärfung, wie Sie von Herrn Stolpe und Herrn Schönbohm
gefordert wird, darf durch das Land Brandenburg nicht in das
Gesetzgeb
ungsverfahren eingebracht werden — auch nicht um den Koalitionsfrieden zu retten !
Unsere dringende Bitte an Sie:
Werden Sie Ihrer Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen und
MigrantInnen einerseits, und Ihrer Verantwortung für ein friedliches und respektvolles
Miteinander in unserer Gesellschaft andererseits gerecht!
Es bedarf einer klaren, sachgerecht fundierten Entscheidung für ein neues
Flüchtlingsrecht, dieses darf nicht hinter dem jetzt geltenden Recht
zurückbleiben!
Die Koalitionseinigkeit darf nicht über den Menschenrechten stehen!
Treten Sie der Mißachtung der Genfer Flüchtlingskonvention entgegen —
Sie sollten diesen vom Ministerpräsidenten und Innenminister Brandenburgs
geforderten Veränderungen nicht zustimmen!
Wir hoffen auf Sie !
Für Nachfragen oder Gespräche stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur
Verfügung. Wir können Ihnen ausserdem die ausführlichen Stellungnahmen der
Wohlfahrtsverbände, des UNHCR, diverser Menschenrechtsorganisationen, des DGB etc. zur
Verfügung stellen oder Ihnen Internetseiten nennen, auf denen Sie das entsprechende Material finden.
Mit freundlichen Grüßen
für den Flüchtlingsrat Brandenburg
Judith Gleitze, Marion Wettach
Jugendherberge auf KZ-Gelände
hajo Fürstenberg — Auf dem Gelände des früheren Frauen-KZ Ravensbrück bei Fürstenberg (Kreis Oberhavel) entsteht derzeit eine Jugendherberge. Sie soll in den ehemaligen SS-Aufseherunterkünften untergebracht werden. Die drei Wohnhäuser verfügen über 88 Betten. Die Herberge soll ab April als Jugendbegegnungsstätte dienen.
dpa Prenzlau — Die Polizei hat in der Nacht zum Montag in Prenzlau (Kreis Uckermark) 114 rechtsgerichtete Plakate beschlagnahmt. Sie befanden sich im Besitz von vier Männern im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, teilte die Polizei mit. Die Plakate richteten sich gegen die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung.
Solchen Andrang gabs im Glad-House schon lange nicht mehr: 750 Besucher rockten am Freitagabend Laut gegen rechte Gewalt. Acht Bands spielten fünf Stunden lang, unter ihnen die Gruppen Sportfreunde Stiller und Such a Surge.
Die Bands erhalten keine Gage, alle Eintrittsgelder werden für Anti-Rechts-Initiativen gespendet.
Vor dem Eingang herrscht ab 19 Uhr dichtes Gedränge; Fans versuchen, noch eine Karte für den Abend zu ergattern. Doch Fehlanzeige: Alles war bereits im Vorverkauf weggegangen. Drinnen füllt sich der Konzertsaal, als die Gitarren erklingen: 4Lyn, Emil Bulls, NTS, FreiTag und Herzer spielten jeweils eine Viertelstunde laut gegen Rechts, ebenso wie die Bremer Band Kungfu mit ihrem melancholischen Hardrock.
Kallas, Spitzname des Kungfu-Sängers, versucht nach dem Auftritt das Tour-Engagement der Band zu erklären. Einfach zeigen, dass wir dagegen sind. Gegen Rechts. Die Leute sollen nicht wegschauen, sondern dummen Sprüchen sofort was entgegensetzen, sagt der 26-Jährige. Nicht ohne hinzuzufügen, dass die wenigsten Bands politische Lieder schreiben. Wir auch nicht. Aber Musik strahle positive Energie aus. Und so, gestikuliert der rothaarige Bandleader, wolle man zeigen, dass Aggressionen nicht nur durch Zuschlagen abgebaut werden könnten, sondern einfach durchs Tanzen.
Dies beherzigt das Publikum. Spätestens kurz nach 22 Uhr, als die Hitze im Konzertsaal auf tropische Werte steigt und Sportfreunde Stiller in die Gitarrenseiten greifen. Am Mikrofon singt Peter Brugger vom Wellenreiten, und einige Besucher nehmen ihn beim Wort.
Sie schwimmen über der Menschenmasse, lassen sich von Armen in der Höhe halten. Zum gefälligen Gitarren-Pop der Sportfreunde, die bereits nach 30 Minuten die Bühne verlassen. Umbaupause. Zeit für die Vereine und Initiativen, die gegen Rechts kämpfen, sich näher vorzustellen. Zeit für die Fans, sich bei kühlem Getränk zu erfrischen. Super Abend, strahlt Charlotte Wagner (17), die gerade vom Tanzen kommt. Das Motto find ich gut, und das Staraufgebot ist klasse. Außer Atem kommt ihre Freundin Sabine Gereke (18) hinzu. Ihr sei das Thema egal, schließlich verändere sich ja doch nichts. Aber Hauptsache, die Party stimmt, resümiert sie.
Dann ist es halb zwölf, der Bühnennebel wird dicker, die Anspannung steigt. In gleißendem Scheinwerferlicht erklingen die ersten Takte von Such a Surge und ihrem HipHop-Rock-Stilmix. Der halbe Saal beginnt, im Takt mitzuspringen, der Boden des Glad-Houses bebt. Bei den ruhigeren Titeln Tropfen und Jetzt ist gut ragt ein Meer von Armen empor, silhouettenhaft im lilafarbenen Gegenlicht. Eine Stunde lang präsentierte die Band einen emotionalen Mix aus schweißtreibender Energie und wilder Aggressivität.
Die Hamburger Agentur Büro-Lärm veranstaltet die Benefiz-Tournee, die neben Cottbus auch in Hamburg, Berlin, Halle und Jena gastiert. Wir haben Städte für die Auftritte gewählt, in denen es Probleme mit Rechten, aber auch Gegeninitiativen gibt, sagt Veranstalterin Sarah Strohbein. Ein deutliches Zeichen solle mit der Tour gesetzt werden, dass nämlich rechte Gewalt in diesem Land keinen Platz hat.
Such a Surge haben mittlerweile ihre Zugabe gespielt, zum Abschluss versammeln sich Bands und Anti-Rechts-Initiatoren auf der Bühne. Packt euch in Gruppen zusammen, denn da draußen gibts immer noch genug Nazis, wird skandiert.
Fazit des Abends: Der Rockpop-Himmel strahlte unverdrossen gute Laune aus, der Stern der Zivilcourage schien schwach dazu.