Zossen (dpa/bb) — Der Kommandeurswagen von Generalfeldmarschall Erwin Rommel
wird in Zossen (Kreis Teltow-Fläming) restauriert. Bereits 1500
Arbeitsstunden sind in der Werkstatt im Ortsteil Glienick angefallen,
weitere 1000 sind nach Schätzungen des Inhabers Peter Spillner vom Mittwoch
noch erforderlich. Bei der Restaurierung des einem Briten gehörenden Horch
901 KSZ 21 habe der frühere Fahrer des legendären «Wüstenfuchses» wertvolle
Hinweise gegeben. Rommel war einer der bedeutendsten deutschen Militärs im
Zweiten Weltkrieg.
Potsdam wehrt sich
(Berliner Zeitung, Jürgen Schwenkenbecher) POTSDAM. An diesem Sonnabend soll Potsdam wieder Schauplatz eines Aufmarsches von Rechtsextremisten werden. Bis zu 200 Teilnehmer wollen ab 12 Uhr vom Hauptbahnhof in die Innenstadt ziehen. Angemeldet hat die Demonstration der Hamburger Neonazi Christian Worch bereits am 12. Mai. Wegen der erwarteten Proteste stellt sich die Polizei auf einen Großeinsatz ein. Verstärkung aus anderen Bundesländern sei angefordert worden, hieß es. Berichte, nach denen 4 000 Beamte bereit stehen werden, wollte das Polizeipräsidium Potsdam aber nicht bestätigen. “Wir sind auf alles vorbereitet”, sagte Sprecher Rudi Sonntag.
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) mahnte am Dienstag zur Besonnenheit. “Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist inakzeptabel”, erklärte er und warnte vor Szenen wie am vergangenen Wochenende in Hannover. Dort waren bei gewaltsamen Protesten gegen eine NPD-Veranstaltung vier Polizisten und zwei Demonstranten verletzt worden. Vorübergehend hielten die Beamten rund 100 Linke fest, die Steine aus einem Gleisbett holen wollten.
In Potsdam wird es mindestens drei Gegendemonstrationen geben, zu denen die Veranstalter einige tausend Teilnehmer erwarten. Einem Aufruf zum gewaltfreien Protest, den Potsdams Oberbürgermeister Jann Jacobs (SPD) initiierte, haben mehr als 20 Parteien, Organisationen, Vereine und Persönlichkeiten unterzeichnet. Der Protestmarsch (“Potsdam bekennt Farbe”) will zunächst dem Zug der Neonazis folgen, dann aber symbolkräftig einen anderen Weg einschlagen. Mit Unterstützung der Stadt bereitet eine Projektgruppe seit sechs Wochen “kreative Protestaktionen” für den Sonnabend vor.
Doch es sind nicht diese Aktionen, denen die Polizei mit Unbehagen entgegen sieht. Selten zuvor haben Antifa- und linke Gruppen so massiv zu Protesten gegen eine Neonazi-Demonstration aufgefordert. “Verhindern wir diesen Aufmarsch!”, heißt es auf unzähligen Plakaten überall in Brandenburg, auf Flyern und Internet-Seiten.
Zuletzt war Potsdam vor zwei Jahren Ziel rechtsextremistischer Aufmärsche. Im September 2002 versammelten sich 75 NPD-Anhänger in der Landeshauptstadt. Das Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hatte zuvor ein Verbot des Potsdamer Polizeipräsidenten aufgehoben. Die Kundgebung fand am Stadtrandbahnhof Pirschheide statt. Schon zwei Monate später versammelten sich Anhänger der NPD erneut in Potsdam und marschierten durch das Wohngebiet Am Stern. Und kurz vor Weihnachten des selben Jahres trafen sich Rechtsextreme erneut in Potsdam zu einer Demonstration — angemeldet von Christian Worch. Seinerzeit verlegte die Polizei den Aufmarsch kurzerhand an den Stadtrand. Diesmal gab die Polizei den Neonazis den Weg durch die Innenstadt vor.
Worch, der überall in Deutschland Aufmärsche anmeldet, ist seit 30 Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv. Allerdings hat er sich inzwischen mit der NPD zerstritten. “Der Brandenburger Landesverband ist kaum bereit, für Worch zu demonstrieren”, heißt es in Sicherheitskreisen.
Neben Worch, um den sich die aggressiven “Freien Kameradschaften” gruppieren, sind in Potsdam allerdings auch zwei weitere bekannte Neonazis als Redner angekündigt. Eckart Bräuninger war bei diversen rechtsextremen Organisationen wie Blood&Honour aktiv und soll als Söldner in Kroatien gekämpft haben. Und Gordon Reinholz aus Eberswalde gründete vor drei Jahren den so genannten Märkischen Heimatschutz (MHS), der eng mit der NPD zusammen arbeitet. Der MHS, der seit zwei Wochen auch eine Berliner Sektion hat, will durch Bürgernähe eine neue rechte Jugendkultur etablieren.
Die Erinnerung bewahren
(MAZ, Dirk Guderjahn) “Dialog führen — Europa gestalten” war das Motto des “Tages der Heimat”,
welcher vom Bund der Vertriebenen Rathenow am Samstag im Speisesaal des
Wohn ‑und Pflegeheimes in der Forststrasse veranstaltet wurde. Um 14 Uhr
eröffneten Mitglieder der Musikschule Rathenow mit kleinen
Instrumentalstücken diesen Nachmittag.
Herbert Kapahnke, Vorsitzender des BdV Rathenow, schloss sich mit einer
Begrüßungsrede vor den zahlreich erschienenen Heimatvertriebenen an. “Liebe
Heimatvertriebene, liebe Gäste”, begann er seine Ansprache, “im Namen
unseres Vorstandes darf ich sie alle zu unserem diesjährigen Tag der Heimat
recht herzlich begrüßen. Durch ihre Anwesenheit bekunden sie ihr Interesse
und haben Anteil an unserer erfolgreichen Verbandsarbeit”. Weiterhin
begrüßte er die anwesenden Ehrengäste, Sozialdezernentin Margarethe von
Fintel, den Vorsitzenden des BdV-Landesverbandes Manfred Walther und den
Kreistagsvorsitzenden Holger Schiebold. Herbert Kapahnke kritisierte in
seiner Rede die Pauschalisierung der Vertriebenen in der Öffentlichkeit als
“ewig Gestrige”, sowie die Verdrängung in die rechte Ecke. Der Vorsitzende
bedankte sich dann bei der Kreisverwaltung, Bereich Kultur, für die
teilweise Übernahme der Kosten des “Tages der Heimat”.
Frau Inge Jerichow übernahm im Anschluss die Totenehrung. “Alle Toten der
Vertreibung”, hieß es darin, “haben Anspruch darauf, dass wir Überlebenden
ihr Vermächtnis bewahren. Die Erinnerung an schreckliche Geschehnisse muss
Mahnmal für uns und alle Nachgeborenen bleiben”. Sie verwies auf den
sinnlosen Tod der Opfer als Folge einer verfemten Politik. Große Anteilnahme
herrschte im Saal als Christa Mangelsdorf ein Gedicht zur Erinnerung an
Ostpreußen rezitierte.
Auch Sozialdezernentin Margarethe von Fintel erinnerte in ihrer Festrede an
den Schmerz, den Menschen erleiden, die ihre Heimat verlieren. “Wie groß
dieser Schmerz ist”, führte sie an, “kann niemand ermessen der dieses
Schicksal nicht teilen musste”.
Nach ihr ergriffen die Ehrengäste Manfred Walther und Holger Schiebold das
Wort. Der Vorsitzende des Landesverbandes Manfred Walther setzte sich
kritisch mit der Beziehung zwischen der Politik und den Heimatvertriebenen
auseinander.
Dem schloss sich auch der Kreistagsvorsitzende Holger Schiebold an, der an
den Generationenvertrag erinnerte, und jene Kritisierte, die denen die
Renten kürzen die dieses Land wieder aufgebaut hätten.
Nach diesen eher ernsten Ausführungen ging es zum heiteren Teil der
Veranstaltung über. Der Heimatchor Ferchesar sang Heimatlieder und animierte
so manchen der Anwesenden zum Mitsingen.
Drei verdiente Mitglieder des BdV wurden von Herbert Kapahnke mit einer
Ehrenurkunde und der silbernen Ehrennadel des Präsidiums des BdV
ausgezeichnet.
Fritz Kunert aus Friesack sorgte zum Abschluss des offiziellen Teils mit
seinem Musikprogramm für Unterhaltung. Wieder bewegte es viele zum
Mitsingen, als Stücke wie das “Ostpreußenlied”, das “Pommernlied” oder auch
“Märkische Heide” erklangen. Danach gab es Kaffee und Kuchen, der Tag klang
harmonisch aus.
Volksverhetzer gesucht
Am Samstag gegen 5:16 Uhr teilte eine Anruferin der Polizei mit, dass eine
Gruppe von fünf bis sechs Jugendlichen durch die Straßen der Stadt ziehe und
ausländer- bzw. fremdenfeindliche Parolen brülle. Zum Zeitpunkt des Anrufes
befand sich die Gruppe in der Marktstraße. Sofort eingeleitete
Fahndungsmaßnahmen blieben ohne Erfolg.
Die Polizei bittet um Mithilfe: Wer hat zu diesem Ereignis Beobachtungen
gemacht? Wer kann zweckdienliche Hinweise geben? Zeugen werden gebeten, sich
in der Polizeiwache Pritzwalk (03395) 753–0 oder bei jeder anderen
Polizeidienststelle zu melden!
(BM) Schwedt — Ein Brand in einem linken Schwedter Jugendclub ist von vier
Männern aus der rechten Szene gelegt worden. Sie wurden laut Polizei
innerhalb weniger Stunden ermittelt. Die Täter hatten in der Nacht zu
Sonnabend Teile der Inneneinrichtung angesteckt. Gegen einen der
Tatverdächtigen wurde bereits Haftbefehl erlassen, für die anderen drei
wurde er beantragt.
Neonazis setzten linken Jugendclub in Brand
(Berliner Zeitung) FRANKFURT (ODER). Neonazis haben in der Nacht zu Sonnabend in Schwedt
(Uckermark) Teile eines Jugendclubs, der von Anhängern der linken Szene
besucht wird, in Brand gesetzt. Wie das Polizeipräsidium Frankfurt (Oder) am
Sonntag mitteilte, wurden die Tatverdächtigen innerhalb weniger Stunden
ermittelt. Die Heranwachsenden, die der örtlichen rechten Szene angehören,
seien vorläufig festgenommen worden. Gegen einen der Verdächtigen sei
Haftbefehl erlassen worden, für die drei anderen beantragt worden. Personen
kamen nicht zu Schaden.
Bernau (MOZ) Unter dem Motto “Antifa is not crime” sind am
Sonnabendnachmittag rund 85 Jugendliche durch die Bernauer Innenstadt
gezogen.
Die knapp einstündige Demonstration über die Breitscheid‑, Weißenseer‑,
Berliner und Hussitenstraße wurde von einem straken Polizeiaufgebot,
darunter einem Hubschrauber, begleitet. Zwischenfälle habe es nicht
gegeben, teile die Sprecherin der Polizei, Martina Schaub, am Sonntag
mit.
Mit Flugblättern und in Gesprächen hatte Eva Maria Rebs vom Netzwerk für
Toleranz und Weltoffenheit zuvor die Demonstranten zu Gewaltfreiheit
aufgerufen.
Bereits am Freitagabend trafen sich rund 100 rechtsgerichtete Jugendlich
vor dem Bernauer Bahnhof. Der anschließende Marsch durch die
Hussitenstadt verlief ebenfalls friedlich.
Von Zeesen bis Beirut
(Jungle World, Matthias Küntzel) »Höre!«, sagt der Rabbi zu einem jungen Juden. »Wir haben von oben einen
Auftrag erhalten. Wir brauchen für das ungesäuerte Brot am Passahfest das
Blut eines Christenkindes.« In der nächsten Szene wird ein verängstigter
Junge aus der Nachbarschaft herbeigezerrt. Dann fährt die Kamera auf das
Kind zu und in Großaufnahme sieht man, wie ihm die Kehle durchschnitten
wird. Das Blut spritzt aus der Wunde und strömt in ein Metallbecken.
Der Satellitenkanal Al-Manar, der dies ausstrahlte, wird von der
islamistischen Hizbollah (Partei Gottes) betrieben. Die blutrünstige Szene
ist Bestandteil einer 29teiligen Serie namens »Al-Shatat« (»Diaspora«), die
Al-Manar mit Unterstützung syrischer Regierungsstellen produziert und
während des Ramadan 2003 erstmals gesendet hat. Folge für Folge wird hier
das Phantasma der jüdischen Weltverschwörung kolportiert: Juden hätten Tod
und Verderben über die Menschheit gebracht, Juden hätten beide Weltkriege
ausgelöst, Juden hätten die Chemiewaffen erfunden und Hiroshima und Nagasaki
mit Atombomben zerstört.
Mit 300 Angestellten ist dieser Sender der nach Al-Jazeera wirkungsvollste
in der arabisch-islamischen Welt. Zehn Millionen Menschen empfangen täglich
das rund um die Uhr aus Beirut ausgestrahlte Programm. Al-Manar (»Das
Leuchtfeuer«) ist die erste und bisher einzige satellitengestützte
TV-Station, die Objektivität nicht einmal vortäuscht, sondern sich als
globale Plattform des Islamismus versteht. Ihre Beliebtheit verdankt sie
zahllosen Videoclips, die mit inspirierender Grafik und mitreißender Musik
für Selbstmordattentate werben. Al-Manar drängt nicht nur auf Terrorakte
gegen Israel, sondern inspiriert sie, rechtfertigt sie und feiert sie.
Und dennoch: Drei Monate nach Ausstrahlung der »Al-Shatat«-Serie
veranstalteten die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung und
das »Forschungsinstitut« der Hizbollah eine gemeinsame Tagung in Beirut.
Titel: »Die Islamische Welt und Europa: Vom Dialog zur Übereinkunft«. Ebenso
bemerkenswert wie das Bündnis zwischen den think tanks einer deutschen
Regierungspartei und einer islamistischen Terrororganisation war die
Tagesordnung dieser Konferenz: Der Topos »Besatzung und Widerstand« stand
auf dem Programm, nicht aber die antisemitische Agitation von Al-Manar.
Solch unbekümmerte Haltung gegenüber dem islamistischen Judenhass ist
kennzeichnend für den deutschen Diskurs: Während der Antisemitismus eines
MdB Martin Hohmann öffentliche Empörung provoziert, wird derselbe
Antisemitismus, sofern Muslime ihn artikulieren, als vermeintlicher Reflex
auf den Nahostkonflikt verharmlost oder ganz ignoriert. Bis heute schließt
dieses Schweigen über den islamischen Antisemitismus das Schweigen über
dessen Wurzeln im Nationalsozialismus mit ein. Oder haben Sie schon jemals
von dem Kurzwellensender Zeesen gehört?
In Zeesen, einem Ort mit 4 000 Einwohnern im Süden Berlins, stand einst der
leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt. Seit 1939 sendete er täglich
sein arabischsprachiges Programm. Von allen fremdsprachigen Redaktionen
hatte die Orient-Redaktion »absoluten Vorrang«, heißt es in einer
Dokumentation der Deutschen Welle. »Sie sendete für Araber, Türken, Perser
und Inder und brachte es auf rund 80 Mitarbeiter, freiberufliche Sprecher
und Übersetzer eingeschlossen.« Kein anderer Sender erfreute sich zwischen
1939 und 1945, als man in der arabischen Welt dem Radio vorzugsweise auf
öffentlichen Plätzen oder in Basaren und Kaffeehäusern lauschte, einer
größeren Beliebtheit als der Nazi-Sender aus Zeesen. Hier wurden
antisemitische Hetzbeiträge geschickt mit Zitaten aus dem Koran und
arabischen Musikbeiträgen vermischt.
Die Alliierten des Zweiten Weltkriegs wurden als von »Juden« abhängige
Mächte gezeichnet und den Zuhörern das Bild von den »Vereinten Jüdischen
Nationen« eingetrichtert. Gleichzeitig wurden Juden als die schlimmsten
Feinde des Islam attackiert: »Der Jude war seit Mohammeds Zeiten nie ein
Freund der Moslems. Der Jude ist der Feind, und ihn zu töten erfreut
ott.« Heute ist es der Hizbollah-Sender Al-Manar, der eben diese Botschaft
per Satellit verbreitet. Durch welche geschichtlichen Bezüge sind der
Kurzwellensender aus Zeesen und die Fernsehstation von Beirut verknüpft?
Hakenkreuze in Palästina
Programmhöhepunkte bei Radio Zeesen waren die Jihad-Aufrufe der damals
populärsten Figur in der arabisch-islamischen Welt, des Mufti von Jerusalem,
Amin el-Husseini (1895–1974). Seit 1941 lebte er in Berlin und
beaufsichtigte die arabischen Rundfunkausstrahlungen aus Zeesen, Athen und
Rom. Niemand beförderte den Judenhass unter Muslimen erfolgreicher als der
Mufti. Die €päische Verantwortung hierfür ist evident, war el-Husseini
doch eine von €päischen Mächten eingesetzte und geförderte Instanz: Es
waren die Briten, die ihn 1920 wegen Aufstachelung zum Judenhass erst zu
einer zehnjährigen Haft verurteilten, dann amnestierten und 1921 gegen den
Mehrheitswillen der Palästinenser in sein Amt als Mufti brachten. Es waren
die Deutschen, die ihn zwischen 1937 und 1945 für seine Dienste bezahlten.
Und es waren die Franzosen, die 1946 dem international als
Nazi-Kriegsverbrecher gesuchten Mufti die Flucht nach Ägypten und die
Fortsetzung seiner Politik ermöglichten.
Niemand prägte zugleich die Frühgeschichte des Nahostkonflikts maßgeblicher
als der Mufti, der als Präsident des Muslimischen Oberrats nicht nur die
höchste religiöse Autorität, sondern zugleich die Zentralfigur des
palästinensischen Nationalismus war.
Schon im Frühjahr 1933 versicherte er dem deutschen Konsul in Jerusalem,
dass »die Muslime innerhalb und außerhalb Palästinas das neue Regime in
Deutschland willkommen heißen und die Ausweitung einer faschistischen und
antidemokratischen Staatsführung auf andere Länder erhoffen«. Die
Jugendorganisation der vom Mufti gegründeten Partei firmierte zeitweilig als
Nazi scouts und richtete sich mit Einheitshemd und Koppel am Vorbild der
Hitlerjugend aus.
Diese Parteinahme war den Nazis bis zum Sommer 1937 noch unangenehm.
Höflich, aber bestimmt lehnte Berlin die arabischen Angebote zur
Zusammenarbeit ab. Erst im Juni 1937 revidierte Berlin diesen Kurs. Auslöser
war der Vorschlag der britischen Peel-Kommission, das Mandatsgebiet
Palästina in einen kleineren jüdischen und einen größeren
muslimisch-arabischen Staat aufzuteilen. Die »Bildung eines Judenstaates …
liegt nicht im deutschen Interesse«, konterte umgehend der Reichsminister
des Auswärtigen, Konstantin von Neurath. »Es besteht daher ein deutsches
Interesse an Stärkung des Arabertums als Gegengewicht gegen etwaigen solchen
Machtzuwachs des
entums.«
Stärkung der Araber gegen die Juden: Zwar verfolgte Berlin, um London nicht zu
verprellen, den neuen Kurs zunächst nur auf leisen Sohlen, doch das Ausmaß der jetzt
in Gang gesetzten Aktivitäten war imposant. Studenten aus arabischen Ländern
erhielten deutsche Stipendien, Firmen heuerten arabische Auszubildende an, arabische
Parteiführer wurden zu Nürnberger Parteitagen und Armeeführer zu Wehrmachtmanövern
eingeladen. In Berlin wurde ein »Arabischer Klub« als Zentrum der
Palästina-Agitation und des arabischsprachigen Rundfunkbetriebs etabliert.
Im September 1937 traten zwei Mitarbeiter des Judenr
eferats im Sicherheitsdienst
(SD) der SS, darunter Adolf Eichmann, eine mehrwöchige Erkundungsfahrt in den Nahen
und Mittleren Osten an. Es folgten ausgedehnte Reisen des Führers der Hitlerjugend,
Baldur von Schirach, sowie des Chefs der Abwehr, Wilhelm Canaris. Im April 1939
hielt sich schließlich auch der Leiter des Orient-Referats im Auswärtigen Amt, Otto
von Hentig, in Palästina und Ägypten auf. Dieser Aktivismus blieb nicht ohne
Resultat. Von Schirach stiftete das Geld für den Aufbau eines »Arabischen Klubs« in
Damaskus, in dem deutsche Nazis Rekruten für die Aufstandsbewegung des Mufti
trainierten, und Canaris überzog die Region mit einem Spionagenetz.
Die größte Wirksamkeit aber
entfaltete das arabische Programm aus Zeesen, »unser Fernkampfgeschütz im
Äther«, wie Goebbels es nannte. Es nahm seinen regulären Betrieb am 25.
April 1939 auf und sendete täglich ab 17.45 Uhr Berliner Zeit. Hier wurden
alle Araber verhöhnt, die mit Zionisten auch nur verhandeln wollten. »Der
Sprecher von Radio Berlin bezeichnete (den jordanischen König) Amir Abdallah
regelmäßig als ›Rabbi Abdallah‹«, berichtete der spätere BBC-Journalist
Nevill Barbour. »Es war nicht gerade leicht, die Nazipropaganda über die
jüdische Heimstätte in Palästina zu kontern.« Doch Radio Zeesen war auch
deshalb kaum zu schlagen, weil es hemmungslos antiwestliche Ressentiments
mobilisierte. Mit seiner Hinwendung zur arabischen Welt hatte Berlin das
antimodernistische Potenzial des Islam entdeckt.
Nationalsozialismus und Islam
Nicht nur Heinrich Himmler schwärmte von der »weltanschaulichen
Verbundenheit« zwischen Nationalsozialismus und Islam; er führte den Begriff
der »Muselgermanen« ein. Auch Amin el-Husseini wies auf
das »Parallel-Laufen« der Ideale der Muslime und Deutschen hin und
definierte die Berührungspunkte folgendermaßen: 1. Monotheismus – Einheit
der Führung. 2. Die ordnende Macht – Gehorsam und Disziplin. 3. Der Kampf
und die Ehre, im Kampf zu fallen. 4. Die Gemeinschaft. 5. Familie und
Nachwuchs. 6. Verherrlichung der Arbeit und des Schaffens. 7. Das Verhältnis
zu den Juden – »In der Bekämpfung des Judentums nähern sich der Islam und
der NS einander.«
Doch gerade der letztgenannte Punkt verstand sich nicht von selbst. Der rassistisch
motivierte Antisemitismus und das Phantasma von der jüdischen Weltverschwörung waren
€päischen Ursprungs und dem ursprünglichen Judenbild des Islam fremd. Nur in der
Christuslegende erscheinen Juden als eine tödliche und mächtige Instanz, die es
angeblich gar fertig brachten, Gottes einzigen Sohn zu töten. Ganz anders der Islam.
Ihm zufolge haben nicht die Juden den Propheten ermordet, sondern der Prophet die
Juden: Mohammed hatte alle jüdischen Stämme aus Medina in den Jahren 623 bis 627
versklavt, vertrieben oder getötet. Deshalb tauchten, wie der Islamwissenschaftler
Bernard Lewis betont, die charakteristischen Züge des christlichen Antisemitismus in
der muslimischen Welt nicht auf: »Es gab keine Ängste vor einer jüdischen
Verschwörung und Vorherrschaft, keine Anklagen wegen diabolischer Bösartigkeit,
Juden wurden nicht beschuldigt, Brunnen zu vergiften oder die Pest zu verbreiten.«
Stattdessen begegnete man den Juden mit Verachtung oder mit herablassender Duldung.
Diese kulturelle Prägung ließ die Vorstellung, ausgerechnet Juden könnten eine
permanente Gefahr für die Muslime und die Welt bedeuten, absurd erscheinen.
Umso kraftvoller musste diese Wahnidee der arabisch-islamischen Welt eingehämmert
werden. Für ihre Verbreitung war der Konflikt über Einwanderung und Landerwerb in
Palästina nicht die Ursache, sondern lediglich eine Gelegenheit. Von einer »uralten
Feindschaft« handelte beispielsweise die Broschüre über »Islam und Judentum«, die
die Nazis an die muslimischen Angehörigen der aus Bosniaken rekrutierten SS-Division
»Handschar« verteilten. Über Radio Zeesen wurde der Topos des »ewig feindseligen
Juden« in immer neuen Variationen beschworen. Typisch etwa die Rede, die der Mufti
im November 1943 hielt: »Dieses Volk ist der Feind der Araber und des Islam seit
dessen Bestehen. Der Heilige Koran hat diese alte Feindschaft in den folgenden
Worten ausgesprochen: ›Du wirst finden, dass die den Gläubigen am feindlichsten
Gesinnten die Juden sind.‹ Sie versuchten, den verehrungswürdigen Propheten zu
vergiften, leisteten ihm Widerstand, waren ihm feindlich gesonnen und intrigierten
gegen ihn. Dies war vor mehr als 1 300 Jahren der Fall. Seit jener Zeit haben sie
nicht aufgehört, gegen die Araber und Mohammedaner ihre Intrigen zu spinnen.« So
wurde aus den unterlegenen Zeitgenossen Mohammeds eine ewige Bedrohung für alle
Muslime konstruiert.
Dem Mufti war der Rekurs auf das 7. Jahrhundert auch aus einem zweiten Grund gerade
recht. Sein Judenhass war eine Kampfansage an de
n »Einbruch liberalistischer Ideen« in die Welt des Islam. Ägypten hatte
sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Moderne geöffnet, die Türkei
ersetzte in den zwanziger Jahren das Kalifat durch das Leitbild Kemal
Atatürks, und auch Reza Khan forcierte die Säkularisierung des Iran. Dieser
Reformströmung des Islam ließ der Mufti in seinem Machtbereich nicht den
geringsten Raum. Er sah in Jerusalem den Kristallisationskern
der »Wiedergeburt des Islam« und in Palästina das Zentrum, von dem aus der
Widerstand gegen Juden und die Moderne seinen Anfang nehmen sollte. »Das
Kino, das Theater und einige schamlose Zeitungen (…) kommen wie Nattern in
unsere Häuser und Höfe, wo sie die Moral töten und die Grundlagen der
Gemeinschaft zerstören«, rief er 1935 auf einer Konferenz islamischer
Religionsgelehrter aus und stellte die vermeintlichen Urheber dieser
Entwicklung bloß: »Die Juden haben hier ihre Sitten und Gebräuche
verbreitet, die im Gegensatz zu unserer Religion und unserer ganzen
Lebensweise stehen. (…) Die jüdischen Mädchen, die in kurzen Hosen
herumlaufen, demoralisieren unsere Jugend durch ihre bloße
esenheit.«
Unermüdlich nutzte el-Husseini sein Amt, um den Antizionismus zu islamisieren und
den Hass auf Juden religiös zu motivieren. Diese Ausrichtung vollzog der Mufti in
Verbindung mit seinem damals prominentesten Bundesgenossen, dem islamischen
Fundamentalisten Izz al-Din al-Qassam, der den Selbstmordbombereinheiten der Hamas
als Namensgeber dient. Als erster Scheich der Neuzeit hatte al-Qassam seit 1931 in
der Umgebung von Haifa eine Bewegung geformt, die die Ideologie der devoten Rückkehr
zum Ur-Islam des 7. Jahrhunderts mit der Praxis des Jihad-Aufstands gegen die
Ungläubigen verband.
Die 1936 beginnenden Unruhen, die als »Arabischer Aufstand« in die Geschichte
eingegangen sind, waren das erste Experimentierfeld der sich formierenden
islamistischen Ideologie. Hier kamen erstmals jene Terrorpraktiken zur Anwendung,
denen sich später auch Muslime in Algerien, Afghanistan oder dem Iran ausgesetzt
sahen.
Keimzelle des Islamismus
Der »Arabische Aufstand«, der sich etappenweise bis zum Beginn des Zweiten
Weltkriegs hinzog, begann im April 1936 als Streikbewegung gegen jüdische
Einwanderung und britische Herrschaft. Die zweite Phase nahm im Herbst 1937, nach
der Veröffentlichung des Peel-Plans zur Teilung Palästinas, ihren Lauf. In sie
schaltete sich die deutschen Außenpolitik maßgeblich ein: »Der Mufti selbst gab zu,
dass es seinerzeit nur durch die ihm von den Deutschen gewährten Geldmittel möglich
war, den Aufst
and in Palästina durchzuführen. Von Anfang an stellte er hohe
finanzielle Forderungen, denen die Nazis in sehr großem Maße nachkamen.«
Von nun an wurde der Charakter dieser Unruhen vom Mufti und den Anhängern von
Scheich al-Qassam bestimmt. Brachial führten sie in den von Juden und Briten
»befreiten« Zonen neue Kleiderordnungen und Sharia-Gerichte ein und liquidierten
»unislamische« Abweichler in großer Zahl. Bewundernd berichtete 1943 ein deutscher
Biograf des Mufti über die Erschießung palästinensischer Araber, die sich mit der
Weigerung, die heute als »Paletuch« bekannte Kaffiyah zu tragen, dem Zwang zur
Unterordnung widersetzten. Nicht minder drakonisch wurden arabische Christinnen und
alle anderen Frauen zur Verschleierung gezwungen.
Gleichzeitig nahm man neben Juden und Briten besonders die Palästinenser ins Visier,
die den Ausgleich mit dem Zionismus und der Mandatsmacht suchten und den Peel-Plan
unterstützten. »Menschen, die Land an Juden verkauften (…) oder moderate politische
Ansichten hegten und deren Nationalismus man als unterentwickelt verdächtigte, (…)
wurden nicht immer sofort getötet; manchmal wurden sie gekidnappt und in den
Gebirgsabschnitten unter die Kontrolle der Rebellen gestellt«, berichtet Yehuda
Porath. »Dort warf man sie in Gruben, die mit Schlangen und Skorpionen versetzt
waren. Falls die Opfer nach mehreren Tagen in dieser Grube noch lebten, wurden sie
vor eines der Rebellengerichte gebracht … und normalerweise zum Tod oder, als
spezielle Form der Rechtspre
chung, zu massiver Auspeitschung verurteilt. Der Terror war so massiv, dass
niemand, einschließlich der Religionsgelehrten und Priester, es wagte,
ordentliche Bestattungen
chzuführen.«
Im Herbst 1938 erreichten diese Unruhen ihren Höhepunkt. Etwa 10 000 Kämpfer
(darunter 3 000 Berufssöldner) standen nunmehr im Solde el-Husseinis. Die
wichtigsten Kommandeure gehörten zum Kreis der »Qassamiten«, während der Mufti den
»Aufstand« von Beirut aus leitete. Dr. Fritz Reichert vom Deutschen Nachrichtenbüro
traf mehrfach mit Repräsentanten der Aufstandsbewegung zusammen und stellte
wiederholt heraus, »dass aufgrund von Zusagen des Dritten Reiches an Hadj Amin
El-Husseini die arabischen Nationalisten bald über genügend finanzielle Mittel zur
Fortsetzung ihrer Rebellion verfügen.«
Warum wollten die Nazis die Unruhen in die Länge ziehen? Den wichtigsten Grund
formulierte Alfred Rosenberg, der Leiter des Außenpolitischen Amts der NSDAP. »Je
länger der Brand in Palästina anhält«, prophezeite er im Dezember 1938, »umso mehr
festigen sich die Widerstände gegen das jüdische Gewaltregime in allen arabischen
Staaten und darüber hinaus auch in den anderen moslemischen Ländern.« In der Tat.
Erst die Kämpfe in Palästina machten beispielsweise die 1928 gegründete Keimzelle
des Islamismus, die ägyptische Moslembruderschaft, zu jener einflussreichen
Organisation, aus deren Reihen später nicht nur die Hamas, sondern auch Usama bin
Ladens »Islamische Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzfahrer«
hervorgegangen ist. Während die ägyptische Muslimbruderschaft 1936 noch 800
Mitglieder zählte, waren es 1938 bereits 200 000. In der Zwischenzeit fand nur eine
einzige Kampagne statt: die Mobilisierung für den vom Mufti geführten Aufstand in
Palästina.
Islamismus und NS
Im Mai 1936 rief die Moslembruderschaft, unmittelbar nach Beginn der
palästinensischen Revolte, zum Boykott aller jüdischen Geschäfte in Ägypten auf.
Nach der Veröffentlichung des Peel-Plans verschärfte sich die antijüdische
Agitation. Auf gewalttätigen Studentendemonstrationen in Kairo, Alexandria und Tanta
wurden Rufe laut wie »Nieder mit den Juden«, »Juden raus aus Ägypten und Palästina«.
Begeistert berichtete Giselher Wirsing, ein führender Journalist des Dritten
Reiches, von den Stoßwellen, die das »politische Erdbebenzentrum« Palästina in
Ägypten hinterließ. Zufrieden konstatierte der Nazi-Journalist »eine ausgesprochene
Rückwendung zu den religiösen Überlieferungen des Islams« und »eine scharfe
Gegnerschaft gegen den westlerischen Liberalismus. (…) Die neue Entwicklung in
Ägypten (…) zeigt, wie stark diese Theokratie sich nach der Überwindung des ersten
liberalistischen Ansturms wieder zu beleben vermag.«
Bevorzugt wurde nun auch in Ägypten der aufkeimende Islamismus mit Nazi-Geld
unterstützt. Aus Dokumenten, die man in der Wohnung des Direktors des Deutschen
Nachrichtenbüros in Kairo, Wilhelm Stellbogen, sicherstellte, geht hervor, »dass die
Muslimbruderschaft vor Oktober 1939 Subventionen vom DNB erhielt. Stellbogen war am
Transfer dieser Gelder an die Bruderschaft beteiligt, deren Summe beträchtlich höher
lag als die Beträge, die anderen antibritischen Aktivisten angeboten wurden. Diese
Geldtransfers scheinen von Hadj Amin el-Husseini und einigen seiner
palästinensischen Kontaktpersonen in Kairo … koordiniert worden zu sein.« Diese
Zuwendungen gestatteten es der Muslimbruderschaft, eine Druckwerkstatt mit 24
Beschäftigten zu etablieren und modernste Propagandamittel einzusetzen. Unter dem
Titel »Feuer und Zerstörung in Palästina« wurde beispielsweise eine 80seitige
Broschüre mit 50 Fotos über angebliche Gewalt- und Folterakte in mehreren
zehntausend Exemplaren unter die Leute gebracht.
So brachten die Jahre 1936 bis 1939 den Islamismus als antisemitische und
antimodernistische Massenbewegung hervor. Bis 1936 waren die moderaten arabischen
Kräfte, die den Zionismus begrüßten oder doch zumindest tolerierten, noch in keiner
Weise marginalisiert. Dies änderte sich, nachdem die Nazis ihr Gewicht in die
Waagschale der Islamisten geworfen hatten. Sie st
achelten die Unruhen in Palästina erfolgreich an und trugen somit dazu bei,
das antijüdische Feindbild nach Ägypten zu verpflanzen. Die islamistische
Massenmobilisierung wurde finanziell und ideologisch von Radio Zeesen und
anderen Propagandaträgern unterstützt. Auch deshalb setzte sich im
arabischen Teil der islamischen Welt nicht der aufgeklärte Modernismus eines
Kemal Atatürk, sondern der Islamismus und Antisemitismus eines Hassan
al-Banna durch. Der Kurzwellensender von Zeesen erweist sich im Rückblick
als die Schnittstelle, die die antisemitische Weltanschauung in die
arabische Welt transferierte und den frühen arabischen Islamismus mit dem
späten Nationalsozialismus verband. Radio Zeesen stellte seinen Betrieb im
April 1945 ein. Seine Frequenzen des Hasses breiteten sich aber erst von nun
an in der arabischen Welt wirklich aus.
Bruder Hitler
Dem 8. Mai 1945 folgte eine zweifache Teilung der Welt. Die Spaltung in
politökonomische Systeme ist als Kalter Krieg bekannt. Die zweite Kluft, die
der Kalte Krieg nur überdeckte, hat mit dem Fortleben
nationalsozialistischen Gedankenguts zu tun. In ihrem Bericht über den 1961
geführten Prozess gegen Adolf Eichmann gab Hannah Arendt den Blick auf
diesen Abgrund frei: »Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und
Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern,
dass er ›sein Geschäft nicht zu Ende geführt‹ habe; eine Rundfunksendung aus
Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf
die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass ›im letzten Krieg
nicht ein deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und
bombardiert‹ hätte.« Dasselbe Bedauern u
nd den Herzenswunsch, endlich alle
Juden vernichtet zu sehen, formulierte der Kolumnist der zweitgrößten,
staatlich kontrollierten ägyptischen Tageszeitung, Al Akhbar, im April
2002: »Hinsichtlich des Schwindels mit dem Holocaust haben viele
französische Studien bewiesen, dass dies nichts als Fabrikation, Lüge und
Betrug ist. Ich aber beschwere mich bei Hitler und erkläre ihm vom tiefsten
Grund meines Herzens: ›Wenn du es nur getan hättest, mein Bruder‹, wenn es
doch nur wirklich geschehen wäre, sodass die Welt ohne ihr (der Juden) Übel
und ihre Sünde erleichtert aufseufzen
nte.«
Die Logik ist klar: Der Jude ist das Übel der Welt, das vernichtet werden muss.
Deshalb gehört Israel von der Landkarte radiert. Und deshalb ist die Shoah kein
Vergehen, sondern ein fehlgeschlagener Versuch, dem man eine erfolgreichere
Wiederholung wünscht. Dämonisierung der Juden, Legitimierung des Holocaust und
Liquidierung Israels: drei Seiten eines ideologische Dreiecks, das sich nicht hält,
wenn auch nur eine der drei Seiten fehlt. Warum fand nach 1945 dieser Wahnsinn in
der arabischen Welt sein seither wirkungsmächtigstes Exil?
Hier kommt erneut der Mufti ins Spiel. Zwar war er für die Gräuel der muslimischen
SS-Division in Bosnien ebenso persönlich verantwortlich wie für die Tötung von
Tausenden jüdischen Kindern im Holocaust. Dennoch verzichteten die USA und
Großbritannien, um es sich mit der arabischen Welt nicht zu verderben, auf seine
Strafverfolgung, während Frankreich, in dessen Gewahrsam sich el-Husseini seit 1945
befand, ihn laufen ließ. Als die Schlagzeilen der Weltpresse am 10. Juni 1946 die
»Flucht« des Mufti aus Frankreich verkündeten, »wurden die arabischen Viertel von
Jerusalem und die arabischen Städte und Dörfer in Palästina mit Girlanden und
Flaggen geschmückt und überall das Porträt des großen Mannes gezeigt«. Indem die
Alliierten den Mufti amnestierten, wurde sein Antisemitismus rehabilitiert. Mehr
noch: Die Araber sahen in der Straflosigkeit des Mufti »nicht nur eine Schwäche der
Europäer, sondern auch Absolution für geschehene und kommende Ereignisse«, bemerkte
1947 Simon Wiesenthal. Nun begann die pro-nationalsozialistische Vergangenheit »eine
Quelle des Stolzes, nicht der Scham« zu werden.
Die entgegengesetzten Sichtweisen auf den Holocaust prallten erstmals im November
1947 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen aufeinander
. Auf der einen Seite diejenigen, für die die Shoah eine Tatsache und
Katastrophe war, weswegen sie sich für die Teilung Palästinas und die
Gründung Israels einsetzten. Auf der anderen Seite diejenigen, für die der
UN-Beschluss ein weiterer Beweis »jüdischer Weltverschwörung« war. Zu ihnen
gehörte der Führer der Muslimbrüder, Hassan al-Banna, der den UN-Plan als
ein »internationales Komplott« attackierte, »ausgeführt von den Amerikanern,
den Russen und den Briten unter dem Einfluss des Zionismus«, sowie der
erneut zum palästinensischen Wortführer avancierte Amin el-Husseini. Statt
Palästina in zwei Staaten zu teilen, sollten »die Araber … gemeinsam über
die Juden herfallen und sie vernichten, sobald sich die britischen
Streitkräfte (aus Palästina) zurückgezogen« hätten.
Kein arabischer Staatschef fand den Mut, dem populären Führer der
Palästinenser zu widersprechen. So bereiteten der Zynismus des Westens, der
den Mufti 1946 unbehelligt ließ, und der Opportunismus der Araber einer der
fatalsten Weichenstellungen des 20. Jahrhunderts den Weg. Als Israel am 14.
Mai 1948 gegründet wurde, überschritten die Armeen Ägyptens,
Transjordaniens, des Irak, Syriens und des Libanon die Grenzen Palästinas.
Zwar ging der neue Staat aus diesem Krieg, der 6 000 Israelis das Leben
kostete, als Sieger hervor. Der Antisemitismus erreichte jedoch eine neue
Dimension. Gamal Abdel Nasser, dessen Putsch von 1952 eine Folge der
arabischen Niederlage war, verbreitete die Zentralschrift des €päischen
Antisemitismus, »Die Protokolle der Weisen von Zion«, in der arabischen
Welt. Darüber hinaus setzte Nasser viele der zahllosen Naziverbrecher, die
sich ihrer Bestrafung durch Flucht nach Ägypten entzogen hatten, da ein, wo
sie Profis waren – in der antijüdischen Propaganda.
Erst als auch Nassers Feldzug gegen Israel im Sechs-Tage-Krieg von 1967
kläglich gescheitert war, wurde der zuvor geschürte Hass auf Juden
islamistisch radikalisiert. Nassers antijüdische Propaganda war mit einer
Neigung für die angenehmen Seiten des Lebens noch einhergegangen. Jetzt aber
wurde der Antisemitismus mit dem Hass der Islamisten auf Sinnlichkeit und
Lebensfreude vermischt und – in Anknüpfung an den 30 Jahre zuvor in
Palästina initiierten Jihad – als religiöser Widerstand gegen
alle »Verderber der Welt« popularisiert. Jetzt »entdeckte« man, dass nicht
nur alles Jüdische böse, sondern alles »Böse« jüdisch sei. Jetzt erklärte
man Palästina zum heiligen islamische Gebiet (Dar al-Islam), in welchem
Juden nicht einmal ein Dorf regieren dürften, und Israels Vernichtung zu
einer religiösen Pflicht. Jetzt breitete sich ungehindert intellektuelle
Verwüstung aus: Man begann, Juden in Anlehnung an Koranverse
ls »Schweine« und »Affen« verächtlich zu machen und bot als
wissenschaftliche Erkenntnis die Behauptung feil, dass das Verzehren von
nicht-jüdischem Blut ein religiöser Ritus der Juden sei. Eine weitere
Steigerung wurde 1982 erreicht, als die Hizbollah damit begann, Menschen
systematisch als Bomben einzusetzen. Der Hass auf Juden war nun größer als
die Furcht vor dem Tod; die Ideologie der Vernichtung schlug in die Praxis
der Zerfetzung beliebiger Juden um. Wann immer die Möglichkeit einer
friedlichen Lösung am Horizont erschien, wurde sie im Blut suizidaler
Massenmorde ertränkt.
Islamischer Antisemitismus und EU
Von Zeesen bis Beirut: Die internationale Medienkampagne gegen die Juden,
die vor 60 Jahren mit einem »Fernkampfgeschütz im Äther« (Goebbels) begann,
wird heute als Nahkampfanleitung per Satellit fortgesetzt. Je blutiger die
Massaker in Israel und Palästina, desto höher die Einschaltquote für
Al-Manar und desto erfolgreicher die antisemitische Mobilisierung in der
arabisch-islamischen Welt, die wiederum den Blutzoll im Nahostkonflikt
weiter zu erhöhen verspricht. Diese Eskalationsstrategie ist keine Reaktion
auf eine bestimmte israelische Politik. Was immer die israelische Regierung
unternimmt, wird einer Sichtweise untergeordnet, die den jüdischen Staat als
Repräsentanz des Bösen auszulöschen sucht.
Das Böse aber ist »der Jude« selbst: In Windeseile ging beispielsweise im
September 2001 die von der Hizbollah ausgedachte und von Al-Manar gesendete
Legende um die Welt, der zufolge 4 000 Juden am 11. September nach einer
Warnung des Mossad nicht an ihren Arbeitsplätzen im World Trade Center
erschienen seien. Schon ihre globale Verbreitung und Akzeptanz markiert eine
Zäsur: Über Nacht wurde das Konstrukt der jüdischen Weltverschwörung als
zentrales Deutungsmuster eines weltweit beachteten Ereignisses
popularisiert. Wenn es »heute mehr Antisemiten und mehr Antisemitismus als
je auf der Welt« gibt, wie Alain Finkielkraut konstatiert, dann auch wegen
Al Manar.
In Europa wird dieser Sender, der seine Unkosten unter anderem mit
Werbeeinlagen von Maggi, Henkel und Milka deckt, über den
Satellitenbetreiber Eutelsat und dessen Satellit Hotbird 4 ausgestrahlt.
Nach Schätzungen der Tages
zeitung Liberation können allein in Frankreich 2,6
Millionen Haushalte den Kanal empfangen, der sich seit dem 11. September
auch in arabischen Vierteln in Deutschland wachsender Beliebtheit erfreut.
In Frankreich löste die Ausstrahlung der 29teiligen
erie »Al-Shatat« immerhin Proteste aus. Dort drängt Premierminister
Raffarin, der sich Auszüge dieser Serie vorspielen ließ, auf eine Änderung
der Mediengesetze, um die Ausstrahlung des Senders künftig zu verhindern.
In Deutschland ist von solchen Schritten nichts bekannt. Als im Februar 2004
der Präsident von Eutelsat mit Vertretern der französischen
Aufsichtsbehörden zusammentraf, um über Maßnahmen der Abgrenzung von
Al-Manar zu beraten, hockte in Beirut die Friedrich-Ebert-Stiftung mit den
Al Manar- Betreibern zusammen; nicht jedoch um sich abzugrenzen, sondern um
einen »Wandel durch Annäherung zu ermöglichen«, wie die FES in einer
Pressemitteilung schrieb.
Von Zeesen bis Beirut: Warum hatten sich im Jahr 2002 die antisemitischen
Gotteskrieger mit ihrer Konferenzidee ausgerechnet an Berlin gewandt? Die
Antwort ist kein Geheimnis. Deutlich genug schwärmte Udo Steinbach, der
Leiter des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg, von der »Nachwirkung jener
Sympathie, die Deutschland traditionell in der gesamten Region
entgegengebracht wird«. Das ideologische Fundament dieser Sympathie wurde
maßgeblich von Radio Zeesen und der prodeutschen Orientierung des Mufti
gestärkt. Knüpft deutsche Außenpolitik an diese »Sympathie« heute an?
In der westlichen Welt pflegt zwar jeder Berliner Diplomat Zweifel an der
Aufrichtigkeit der bundesdeutschen NS-»Aufarbeitung« eilfertig
zurückzuweisen. In der arabischen Welt aber hat noch kein Berliner
Außenpolitiker die dort virulenten Nazi-Sympathien auch nur kritisiert.
Stattdessen werden diese beflissen hofiert und das Fortleben eines
nationalsozialistisch inspirierten Antisemitismus verständnisvoll
akzeptiert. Auf dieser Janusköpfigkeit beruht die deutsche Außenpolitik im
Nahen und Mittleren Osten, und sie fährt damit nicht schlecht. Udo
Steinbach: »Die Bundesrepublik wird im Nahen Osten weithin als künftige
Großmacht« und »als ein Akteur gesehen, der ein Gegengewicht gegen eine
allzu dominante amerikanische Machtausübung bilden kann«. Für diesen Status
nimmt man den Beifall für Bruder Hitler offenkundig in Kauf.
Der Jude sei das Übel der Welt, erklärt heute das islamistische Progamm im
Einklang mit jenem früheren aus Zeesen. Die Frage, ob deutsche Außenpolitik
das Fortleben dieser Tradition hofieren oder ob sie damit brechen will,
lässt verschwommene Antworten nicht zu. Schon der Verzicht auf Klarheit ist
gleichbedeutend mit Komplizenschaft. Oder in den Worten Leon Poliakovs: »Wer
den Antisemitismus in seiner primitiven und elementaren Form nicht
anprangert, und zwar gerade deshalb nicht, weil er primitiv und elementar
ist, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht dadurch den
Antisemiten in aller Welt ein Zeichen heimlichen Einverständnisses.«
Gekürzter Vorabdruck aus Doron Rabinovici, Ulrich Speck und Natan Sznaider (Hg.):
»Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte«. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
2004, 350 S., 12,50 Euro. Das Buch erscheint dieser Tage. Die v
ollständige Fassung des abgedruckten Textes einschließlich der
Quellennachweise findet sich unter: www.matthiaskuentzel.de
Drehort Mahlow
“Hut ab vor soviel Courage”, setzt Rudi Cerne gerade zum Sprechen an, im
Hintergrund malerisch der Mahlower Bahnhof, und alles ringsum, vom
Kameramann bis zum Regisseur, versinkt in andächtiges Schweigen: Achtung,
Kamera läuft. Doch der Verkehr in der Bahnhofstraße, wo das zehnköpfige
Fernsehteam gestern Vormittag Aufstellung zum Dreh genommen hatte, lief
leider auch weiter. Deshalb: “Aus, Rudi, der Lärm ist zu groß”, wird Cerne
mitten im Satz abgeschnitten. Fernsehen, so lernt man als Zaungast bei
diesem Dreh zu “XY-Sicherheitscheck”, ist zwar lustig zum Ansehen auf der
Mattscheibe, aber ziemlich anstrengend, wenn es ans Machen geht. Ein paar
Versuche später, als der Verkehr auch kurz angehalten worden ist, ist alles
im Kasten. Also auf zum nächsten der 16 Mahlower Drehorte für die
Präventionssendung, die das ZDF immer samstags ab 15.45 Uhr ausstrahlt.
Der Grund für den gestrigen, eintägigen Besuch der Münchner
Produktionsgesellschaft Securitel in Mahlow mag erstaunen, ist doch die
Stadt nicht gerade hippstes TV-Pflaster. Doch den Fernsehleuten ging es
nicht um äußere, sondern um innere Werte — um das Thema Zivilcourage: “Hier
hat man sich mit Aktionen gegen Ausschreitungen, etwa den Fall Noel Martin,
zur Wehr gesetzt”, erläutert Securitel-Geschäftsführer Martin Groß den roten
Faden für die Sendung, in der viel von Sicherheit und deren Gewährleistung
die Rede sein wird.
Von den Mahlowern erläuterte unter anderem Heinz Jürgen Ostermann von der AG
Tolerantes Mahlow sein Anliegen. Auch im Reisebüro von Petra Hübner machte
das TV-Team eine Stippvisite. Die Geschäftsfrau hat — so wie etliche andere
couragierte Mahlower — auf einem Schaufensterschild allen Menschen, die von
Gewalt bedrängt sind, Hilfe angeboten. “Interessant, aufregend”, war nach
dem Interview Hübners Fazit, mit dem nüchternen Nachsatz: “Man wird sehen.”
Wann genau, steht allerdings noch nicht fest, denn der Ausstrahlungstermin
für die Sendung aus Mahlow ist noch offen.
Hoffnung für Härtefälle
PDS legt dem Landtag Antrag für Kommission vor / CDU und SPD dagegen
(MAZ, Stephan Breiding) POTSDAM Noch Mitte des Monats Juli — nach Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im
Bundesrat — war CDU-Innenminister Jörg Schönbohm ablehnend gewesen. Eine
Härtefallkommission sei unnötig, hatte er erklärt. Ein solches
Misstrauensvotum hätten die Richter nicht verdient, die bislang
verantwortungsvoll über Einzelfälle entschieden hätten. Das war vor dem 19.
September. Nach der Landtagswahl zerbröselte der jahrelange Widerstand der
Union binnen weniger Tage. Bereits Anfang Oktober einigten sich die
rot-schwarzen Partner in ihrer Koalitionsvereinbarung unter Punkt 4.5.2 auf
die Einrichtung einer Härtefallkommission.
Mehr ist seitdem nicht geschehen. Im federführenden Innenressort sieht man
sich nicht unter Zeitdruck. Die Einrichtung einer Härtefallkommission sei
laut Zuwanderungsgesetz “eine Kann‑, keine Muss-Bestimmung”, so
Ministeriumssprecher Wolfgang Brandt. Deswegen müsse die dafür notwendige
Rechtsverordnung auch nicht zwangsläufig parallel zum Gesetz am 1. Januar
2005 in Kraft treten. Man müsse jetzt erst mal klären, wie groß etwa die
Kommission sein soll oder welche Fälle sie bearbeiten soll.
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion ist da schon weiter.
Wichtig sei, dass auf jeden Fall kommunale Vertreter in der künftigen
Härtefallkommission sitzen, fordert Sven Petke. “Die Kommunen müssen nämlich
die finanzielle Last tragen, wenn ein Asylbewerber doch bleiben darf und
dann vor Ort Sozialhilfe beantragt.”
Noch weiter ist die oppositionelle PDS. Die hat bereits einen Entwurf für
die Einrichtung einer Härtefallkommission erarbeitet, der nächste Woche im
Landtag beraten werden soll und der MAZ vorliegt. Inhalt: Das achtköpfige
Gremium soll mit je einem Mitglied der beiden Kirchen, der
Wohlfahrtsverbände, des Flüchtlingsrates, des Innen- und des
Sozialministeriums sowie mit einem Arzt und einem Juristen besetzt werden.
Plausible Härtefallgründe für abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber
könnten “ein langjähriger Aufenthalt, hier aufgewachsene Kinder oder ein
festes Arbeitsverhältnis sein”. Kommt die Runde zu der Entscheidung, dass es
sich um einen Härtefall handelt, geht eine Empfehlung an das
Innenministerium. Akzeptiert dies das Votum, wird die Ausländerbehörde vor
Ort angewiesen, dem stattzugeben. “Wichtig ist, dass das Gremium kein
Anhängsel des Innenministeriums ist”, so PDS-Rechtspolitiker Stefan Sarrach.
Bei der SPD stößt der Vorstoß der Linkssozialisten auf Ablehnung. “Der
Antrag der PDS ist ein Schnellschuss aus der Oppositions-Hüfte”, kritisiert
SPD-Fraktionschef Günter Baaske. Die von der SPD lange geforderte
Härtefallkommission werde gegründet, “aber nicht im Hau-Ruck-Verfahren”.
Die Ausländerbeauftragte des Landes, Almuth Berger, hofft, dass die
Kommission ab 1. Januar tagen kann. Sie rechnet damit, dass mehrere 100 der
landesweit rund 7000 Asylbewerber oder Flüchtlinge mit einer Duldung eine
Härtefallregelung beantragen werden. Bereits seit März tagt regelmäßig der
von Kirchen und Verbänden sowie von SPD‑, PDS- und Grünen-Politikern
gegründete und von der CDU scharf kritisierte Härtefallbeirat. Obwohl man
nur rein beratende Hinweise an die Ausländerbehörden geben könne, habe man
in mehreren Fällen bereits positive Ergebnisse erzielt, freut sich Berger.
Adolf Hitler und kein Ende. 3 412 001 Zuschauer pilgerten in den vergangenen
fünf Wochen ins Kino, um zu sehen, wie Bruno Ganz als tattriger Führer
untergeht. Guido Knopp macht aus fast jedem Statisten des Naziregimes einen
Moralhappen fürs Fernsehen. Und Hella von Sinnen blödelt sich als Adolf mit
Dirk Bach als Eva Braun durch ihre TV-Comedy.
Dass nun Neuruppin mit dem unliebsamen Namen in Verbindung gebracht wird,
liegt — ungewollt — an Lisa Riedel. Die langjährige Chefin des örtlichen
Museums hat so viel für die Stadt in Nordbrandenburg geleistet, dass nun
erstmals seit 1990 wieder eine Ehrenbürgerwürde verliehen wurde. Da gleich
auch die Ehrenverordnung der Stadt erneuert werden sollte, erkundigte sich
der grüne Stadtverordnete Gerald Brose bei einem Heimatforscher, wem denn
die höchste Ehre der Stadt bereits angetragen worden war.
“Offenbar gehörte Hitler dazu”, sagt Brose. Eine offizielle Urkunde
existiert aber offenbar nicht, im Stadtarchiv enden die Unterlagen mit dem
Jahr 1924, und zu DDR-Zeiten wurde der Titel nur einmal in den 60er-Jahren
verliehen, an einen Antifaschisten. “Wir nehmen die Sache sehr ernst”, sagt
der amtierende Bürgermeister Thomas Fengler. Es werde geprüfen, ob Hitler
wirklich Ehrenbürger war, und wenn ja, ob ihm der Titel bereits zu
DDR-Zeiten aberkannt wurde.
In der Nazizeit erklärten die meisten größeren deutschen Städte den Diktator
zum Ehrenbürger — meist schon 1933. In Mainz wurde noch 2002 gestritten, ob
die Würde, die nur auf Lebzeit verliehen war, dem Toten aberkannt werden
muss. Sie wurde. In Berlin, wo Hitler gemeinsam mit Hindenburg 1933 ernannt
wurde, erfolgte die Streichung gleich nach dem Krieg.
Neuruppin verlieh den Titel wie viele andere Städte gleich an Hitlers erstem
Geburtstag nach der Machtübergabe an ihn. Die Märkische Zeitung von damals
berichtet, wie die Neuruppiner ihn in einem pompösen Festakt mit
Gottesdienst am Kriegerdenkmal huldigten.
“Wenn das stimmt, müssen wir ihn schleunigst von der Liste streichen”, sagt
der Grünen-Politiker Brose. Dass die gerüchtweise bekannte Ehrenbürgerschaft
Hitlers nie geprüft wurde, liege wohl daran, dass der Titel in der Stadt
keine wirkliche Tradition hat und einfach in Vergessenheit geriet.
Hitlers Schatten ist lang und es gibt noch viel Arbeit, nicht nur für
Heimatforscher.