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Proteste gegen “Sozialkahlschlag”

Gew­erkschaften und Sozialver­bände rufen am Sam­stag in Berlin zu ein­er Kundge­bung gegen Sozial­ab­bau auf

(RBB) Zu der Demon­stra­tion unter dem Mot­to “Es reicht! Alle gemein­sam gegen Sozialkahlschlag” wür­den min­destens 10 000 Teil­nehmer aus dem gesamten Bun­des­ge­bi­et erwartet, sagte Mitor­gan­isator Pedram Shah­yar vom Koor­dinierungskreis “Attac”.

Die Demon­stra­tion richte sich vor allem gegen die Gesund­heit­sre­form und die Arbeits­mark­tre­for­men der rot-grü­nen Bundesregierung. 

Die Gew­erkschaft Erziehung und Wis­senschaft (GEW) in Berlin rief ihre Mit­glieder auf, sich der Demon­stra­tion anzuschließen. “Diese Gesellschaft kann und muss sich Sol­i­dar­ität leis­ten”, betonte der GEW-Lan­desvor­sitzende Ulrich Thöne. 

In Bran­den­burg wollen ab Mon­tag mehrere Kom­munen gegen die Finanznot der Städte und Gemein­den protestieren. Sie beteili­gen sich damit an der bun­desweit­en Aktionswoche “Refor­men statt Kahlschlag” vom 3. bis 11. November. 

In Pots­dam wird am Mon­tag um 9.30 Uhr vor dem Stadthaus in der Friedrich-Ebert-Straße eine Protest­flagge mit “leerem Stadt­säck­el” hochge­zo­gen. Am Fre­itag ist ein “Tag der geschlosse­nen Tür” geplant, wo sym­bol­isch für eine Stunde die Dien­stleis­tun­gen der Kern­ver­wal­tung der Stadtver­wal­tung Pots­dam, der Stadt- und Lan­des­bib­lio­thek und der Volk­shochschule eingestellt werden. 

Der Ober­bürg­er­meis­ter von Frank­furt (Oder), Mar­tin Patzelt (CDU), hisst am Mon­tag um 11.00 Uhr vor dem Rathaus eine Protest­fahne und gibt damit den Auf­takt für eine Kundge­bung. Zum Abschluss um “fünf vor Zwölf” wird sym­bol­isch das “leere Frank­furter Stadt­säck­el” gehisst. 

In Treuen­bri­et­zen wird es am Mon­tag eine Demon­stra­tion mit Unter­schriften­samm­lung geben. Mehrere Stad­to­ber­häupter wer­den am Mittwoch zur Demon­stra­tion der Bürg­er­meis­ter vor dem Bun­desrat in Berlin reisen.

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Gedenkstein für Marinus Schöberl enthüllt / Tatbeteiligter frei

Pot­zlow: 18-Jähriger bleibt frei

(BM) Neu­rup­pin — Ein­er der drei verurteil­ten Peiniger des ermorde­ten Schülers
Mar­i­nus Schöberl bleibt auf freiem Fuß. Die Staat­san­waltschaft habe ihre
Beschw­erde gegen die Aufhe­bung des Haft­be­fehls zurückgenom­men, sagte gestern
ein Sprech­er des Landgerichts Neuruppin. 

18-Jähriger bleibt frei

Beschw­erde zurückgezogen

(Tagesspiegel) Die Staat­san­waltschaft hat ihre Beschw­erde gegen die Aufhe­bung des
Haft­be­fehls für den 18-jähri­gen Tat­beteiligten zurückgenom­men, sagte ein
Sprech­er des Landgerichts Neu­rup­pin am Don­ner­stag. Der wegen
Kör­per­ver­let­zung zu zwei Jahren Jugend­strafe verurteilte 18-Jährige durfte
direkt nach der Urteilsverkün­dung ver­gan­gene Woche nach Hause gehen. Von
sein­er Strafe hat­te er bere­its elf Monate in Unter­suchung­shaft abgegolten. 

Mit­ten im Dorf

Auf dem Mark­t­platz in Pot­zlow wird ein Gedenkstein für den ermorde­ten Mar­i­nus enthüllt

(Tagesspiegel, Claus-Dieter Stey­er) Pot­zlow. Er hat den besten Platz bekom­men. Der Gedenkstein für Marinus
Schöberl wird auf dem Mark­t­platz des Uck­er­mark­städtchens Pot­zlow ste­hen. Er
soll an den 16-jähri­gen Schüler erin­nern, der ver­gan­ge­nes Jahr von anderen
Jugendlichen bes­tialisch ermordet wurde. 

Am Mark­t­platz muss jed­er irgend­wann vor­bei. Heute Abend wird der Stein aus
hellem Gran­it enthüllt. Die Kirchenge­meinde hat den Mut zu diesem Mahnmal
aufge­bracht. “Man kann doch den armen Jun­gen nicht ein­fach vergessen”, sagt
ein älter­er Mann. “Vielle­icht hil­ft der Stein ja, die Jugend aufzurütteln.”
Das Dorf am Großen Pot­zlowsee wirkt wie aus­gestor­ben. Ab und zu scheint sich
hin­ter den Fen­stern eine Gar­dine zu bewe­gen, manch­mal bellt ein Hund. Das
Licht vom Fernse­her spiegelt sich in eini­gen Scheiben. 600 Men­schen leben
hier, ein Drit­tel ist offiziell arbeit­s­los gemeldet, tat­säch­lich sollen es
mehr als 50 Prozent sein. In einem Hof füt­tert eine ältere Frau ihre Hühner.
Mis­strauisch nähert sie sich dem Frem­den. “Irgend­wann muss doch Schluss
damit sein. Die drei Täter haben doch ihre Strafe bekom­men”, sagt die Frau
und wirft die Haustür zu. Da irrt sie. Nur die bei­den Brüder Mar­cel und
Mar­co aus Pot­zlow sind zu achtein­halb Jahren Jugend­haft beziehungsweise 15
Jahren Haft verurteilt wor­den. Der dritte Tat­beteiligte, ein 18-Jähriger aus
Tem­plin, wurde zu zwei Jahren Jugend­haft verurteilt. Da er bere­its neun
Monate in Unter­suchung­shaft saß, kam er frei. Die Staat­san­waltschaft hatte
zunächst gegen die milden Urteile Revi­sion ein­gelegt, ihre Beschw­erde aber
zurück­ge­zo­gen (siehe Kas­ten). Es scheint, als habe sich in dem Jahr seit
Bekan­ntwer­den der Tat nicht viel verän­dert im Dorf. Damals hat­te sog­ar der
Bürg­er­meis­ter von ein­er “Einzeltat” gesprochen. Die käme in Berlin jeden Tag
vor. Als die antifaschis­tis­che Bewe­gung einen Gedenkmarsch durch Potzlow
ankündigte, gab es einen Auf­schrei im Dorf. Der Prozess vor dem Neuruppiner
Landgericht zeigte, dass etliche Pot­zlow­er schon lange vor der Entdeckung
der Leiche von der Tat gewusst haben. 

Die Tor­tur des Schülers Mar­i­nus Schöberl hat­te in ein­er Woh­nung vor mehreren
Zeu­gen begonnen. Mar­cel S. prahlte später immer wieder mit der Tat. Niemand
unter­nahm etwas — vier lange Monate. Für den Gedenkstein sollen auch die
Eltern der bei­den Brüder Mar­cel und Mar­co S. Geld gegeben haben, erzählt man
im Dorf. Sie selb­st sind nicht zu sprechen. Aus ihrem Wohnzimmerfenster
schauen sie direkt auf den Tatort, wo ihre Kinder den 16-Jähri­gen mit einem
Sprung auf den Kopf töteten. Auch die Eltern von Mar­i­nus wer­den beim Blick
aus dem Fen­ster an den Mord erin­nert. Sie schauen im zehn Kilo­me­ter von
Pot­zlow ent­fer­n­ten Ger­swalde direkt auf den Fried­hof. Dort erin­nert an den
Jun­gen seit eini­gen Wochen endlich ein Grab­stein, für den die Eltern lange
Zeit kein Geld hat­ten. Berlin­er spende­ten schließlich das meiste Geld dafür.

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World Socialist Web Site (WSWS) jagt AntirassistInnen!

Oder: Was geht wirk­lich in den Köpfen des WSWS vor?

In der Nacht zum 16. Sep­tem­ber fand eine Aktion unbekan­nter Anti­ras­sistIn­nen gegen
die Aus­län­der­be­hörde in Frankfurt/Oder statt. U.a. wur­den Türen verklebt, Parolen
gesprüht und Fen­ster eingeschla­gen. Am Tatort fand die Polizei einen Artikel von der
WSWS, der sich kri­tisch mit der Flüchtlingspoli­tik der Bundesregierung
auseinan­der­set­zte. Der Bran­den­burg­er Ver­fas­sungschutz — der angesichts einer
ver­schwindet kleinen linken Szene froh ist über alles was er bericht­en kann und
jedes Umfall­en eines roten Damen­fahrrades zur Rev­o­lu­tion auf­bauscht — diese Behörde,
die haupt­säch­lich durch ihre Verquick­un­gen mit der Neon­aziszene Schlagzeilen machte,
warf der WSWS in der Folge die geistige Urhe­ber­schaft am mil­i­tan­ten Agieren gegen
den ras­sis­tis­chen Repres­sion­sap­pa­rat vor. 

Was nun linken Pub­lizistIn­nen nicht allzu
sel­ten passiert, dass sie und ihre the­o­retis­chen Werke für das prak­tis­che Handeln
ander­er ver­ant­wortlich gemacht wer­den, zeit­igte im Falle der WSWS unerwartete
Fol­gen. Anstatt stolz zu sein (oder sich kri­tisch mit den Machen­schaften des
Bran­den­burg­er VS auseinan­derzuset­zen) veröf­fentlichte die WSWS den Artikel
“Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutz ver­leumdet World Socialis Web Site”. In diesem
Artikel ver­sicherte die WSWS in erster Lin­ie ihre Treue zur bürgerlichen
Recht­sor­d­nung, dis­tanzierte sich umfassend von der Aktion in Frankfurt/Oder,
dif­famierte radikale und mil­i­tante Linke und raunte etwas von ein­er möglicherweise
durch den VS selb­st began­genen Tat. 

Dieses Ver­hal­ten wäre poli­tisch kritisierbar,
zeigt es doch wiedere­in­mal das Ver­sagen parteimäßiger Struk­turen bezüglich einer
radikalen Staats- und Recht­skri­tik — ein Pub­lik­machen dieses Agierens der WSWS wäre
nicht erforder­lich. Doch mit ihrem weit­eren Ver­hal­ten erzwang die WSWS, dass ihr
Ver­hal­ten wei­thin pub­likgemacht wer­den muss. In ihrem Artikel “Was geschah wirklich
in Frankfurt/Oder” beschreibt ein Ulrich Rip­pert für die WSWS was die WSWS weiterhin
unter­nahm. Als erstes führte sie Gespräche mit Polizei und Staat­san­waltschaft in
Frankfurt/Oder, kri­tisierte deren schlep­pende Ermit­tlungsar­beit und forderte sie
auf, den gefun­de­nen Text auf Fin­ger­ab­drücke und druck­tech­nis­che Merk­male zu
unter­suchen. Anschließend unter­nahm die WSWS vor Ort eigene Ermittlungen. 

Diese
wer­den in dem Artikel “Was geschah wirk­lich in Frankfurt/Oder” detailliert
beschrieben. Der Schilderung dieser Ermit­tlun­gen unver­mit­telt vor­angestellt sind
zwei Absätze über die soziale Sit­u­a­tion in Frankfurt/Oder, die geprägt ist durch
Arbeit­slosigkeit und Abwan­derung der Bevölkerung. Zur Rolle und Bedeu­tung von
Frankfurt/Oder und dort ansäs­siger Insti­tu­tio­nen für das deutsche Gren­zregime — kein
Wort. In Frankfurt/Oder befragten Leute der WSWS die Anwohn­er in Tatort­nähe über
ihre Beobach­tun­gen zur Tatzeit. Dabei ergab sich sog­ar eine — wenngleich
glück­licher­weise vage — Per­so­n­enbeschrei­bung möglich­er TäterIn­nen, die in dem
Artikel auch detail­liert wiedergegeben wird. Weil die Polizei nach ihrem Eintreffen
am Tatort rel­a­tiv lock­er agierte, zum Beispiel nicht sofort eine umfassende
Nah­bere­ichs­fah­n­dung unter­nahm, und weil die Alar­man­lage der Aus­län­der­be­hörde nicht
ansprang kommt Rip­pert zu dem Schluss, dass es sich um eine Aktion des Brandenburger
VS gehan­delt haben muss, um die WSWS zu diskreditieren. 

Wider­lich an Rip­perts Artikel ist diese Wichtigtuerei, die aus der Aktion eine Art
zweites Kennedy-Atten­tat zu machen ver­sucht. Als ob der Bran­den­burg­er VS es nötig
hätte, einen Anschlag auf die Aus­län­der­be­hörde in FFO zu insze­nieren, wenn er der
WSWS geistige Miturhe­ber­schaft an link­er Mil­i­tanz unter­schieben möchte. Wer weiss,
wie der Bran­den­burg­er VS arbeit­et, wer schon mal eine Pub­lika­tion des Brandenburger
VS über die eigene Gruppe in der Hand hat­te, ken­nt die Mis­chung aus Halbwahrheiten
und Lügen die in den VS-Pub­lika­tio­nen gemein­hin zu find­en ist. 

Nicht nur wider­lich son­dern ger­adezu gefährlich ist die von der WSWS unternommene
eigene Ermit­tlungstätigkeit, eine prak­tis­che Hil­feleis­tung für die Polizei.
Glück­licher­weise haben die von der WSWS befragten Nach­barn nichts Genaueres gesehen
und kon­nten keine detail­lierten Per­so­n­enbeschrei­bun­gen geben. Die WSWS hätte diese
ja der Polizei zugänglich gemacht und dadurch bei der Ergrei­fung der TäterInnen
geholfen. Man kann von der WSWS nicht ver­lan­gen, dass sie die Aktion, ihr Ziel und
ihre Mit­tel gutfind­et. Aber von ein­er sich als links ver­ste­hen­den Organ­i­sa­tion ist
ein Min­dest­maß an Sol­i­dar­ität zu fordern, das darin beste­ht, dass andere Linke (die
man nicht mögen muss) nicht der Polizei aus­geliefert werden. 

Warum hat die WSWS ein Prob­lem damit, sich von ein­er Behörde, die dem Militaristen
Schön­bohm unter­ste­ht und in der sich Nazis ver­schieden­er Couleur tum­meln, als
link­sex­trem beze­ich­nen zu lassen? Ist dem WSWS nicht klar, mit wem es sich gemein
macht, wenn es die Ver­haf­tung der TäterIn­nen fordert? Bloß weil das WSWS in
Verbindung mit Leuten gebracht wurde, die es poli­tisch ver­achtet (undog­ma­tis­chen,
aktivis­tis­chen Linken)? 

Faz­it

Der VS ver­leumdet die WSWS nicht. Im Gegen­teil, er stellt ihr ein unwahres
Leu­mund­szeug­nis aus. Er rückt sie in die Nähe von mil­i­tan­ten Anti­ras­sistIn­nen, gar
Rev­o­lu­tionärIn­nen. Nichts davon ist wahr. Die WSWS — zumin­d­est die Leute die hier
unter diesem Namen agieren — ist ein Zusam­men­schluss para­noi­der, geltungssüchtiger
deutsch­er Spießer, die davon träu­men selb­st ein­mal Polizei spie­len zu dür­fen. Die
WSWS behauptet sozial­is­tisch zu sein. Zumin­d­est diese Leute, die sich hier in
Bran­den­burg für diese trotzk­istis­che Split­ter­gruppe betäti­gen, sind es nicht. Es ist
ein Haufen wider­lich­er Denun­ziantInnen. Die WSWS stellt eine rel­e­vante Gefahr für
die linke Szene da. Wer bere­it ist, nur um sich den >guten Ruf< beim VS nicht zu
ver­sauen der Polizei der­art (zum Beispiel durch das Anstellen eigen­er Ermittlungen
und das Veröf­fentlichen der Ermit­tlungsergeb­nisse) in die Hände zu arbeit­en, der
stellt auch ganz schnell ein­mal Wis­sen über poli­tis­che Zusam­men­hänge, das z.B. in
Bünd­nis­sen gewon­nen wurde, dem Repres­sion­sap­pa­rat zur Verfügung. 

Deshalb:

Anna und Arthur hal­tens Maul — kein Wort zu Bullen, VS und WSWS!

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Was geschah wirklich in Frankfurt/Oder?

(WSWS, Ulrich Rip­pert) Sechs Wochen nach­dem der Ver­fas­sungss­chutz des Lan­des Bran­den­burg einen Anschlag auf die Aus­län­der­be­hörde von Frankfurt/Oder zum Anlass nahm, der World Social­ist Web Site (WSWS) die Förderung von Gewalt­bere­itschaft vorzuw­er­fen und sie in das Umfeld des gewalt­täti­gen “link­sex­trem­istis­chen Spek­trums” zu rück­en, liegen die wirk­lichen Ereignisse jen­er Nacht noch immer weit­ge­hend im Dunkeln. 

Unbekan­nte Täter hat­ten in der Nacht zum 16. Sep­tem­ber die Fen­ster der Aus­län­der­be­hörde in Frankfurt/Oder eingeschla­gen, eine übel­riechende Flüs­sigkeit in die Räume gewor­fen, die Schlöss­er der Außen­türen mit Klebestoff gefüllt und Parolen auf den Giebel gesprüht. Ange­blich hat­ten der oder die Täter einen WSWS-Artikel hin­ter­lassen, der sich kri­tisch mit der Flüchtlingspoli­tik der Bun­desregierung auseinandersetzt. 

Kurz darauf erschien auf der Online-Seite des Ver­fas­sungss­chutzes Bran­den­burg ein Bericht, der diesen Artikel vom Feb­ru­ar 2001 als Beweis für “den link­sex­trem­istis­chen Hin­ter­grund der Tat” wertete. Der Ver­fas­sungss­chutz behauptet, der Artikel rei­he “sich ein in eine Serie ähn­lich­er Veröf­fentlichun­gen, die in ihrer Summe Gewalt­bere­itschaft fördern oder direkt her­vor­rufen”, und schließt mit den Worten: “Mit solchen Tex­ten ist die Straße zur Straftat gepflastert.” 

Die Redak­tion der WSWS hat diese ver­leumderische Unter­stel­lung in aller Schärfe zurück­gewiesen. (Siehe dazu: “Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutz ver­leumdet World Social­ist Web Site”) 

Seit­dem wurde deut­lich, dass die Ermit­tlun­gen von Polizei und Staat­san­waltschaft äußerst schlep­pend betrieben wer­den. Auf Anfrage der WSWS teilte die Staat­san­waltschaft in Frankfurt/Oder mit, der zuständi­ge Staat­san­walt Ulrich Scherd­ing befände sich im Urlaub und die Ermit­tlungsak­te sei noch immer bei der Polizei, die die Ermit­tlun­gen durch­führe. Der Press­esprech­er des Polizeiprä­sid­i­ums Peter Sal­en­der dage­gen erk­lärte, für Presseauskün­fte in einem schweben­den Ver­fahren sei die Staat­san­waltschaft zuständig. 

Als daraufhin die Redak­tion der WSWS schriftlich mehrere Fra­gen vor­legte, wurde sie zu einem Infor­ma­tion­s­ge­spräch ins Polizeiprä­sid­i­um nach Frankfurt/Oder ein­ge­laden. Doch die Infor­ma­tio­nen blieben äußerst spärlich. 

Frage: Von wem und wann wurde der Anschlag gemeldet? Welche Polizei­di­en­st­stelle hat die ersten Ermit­tlun­gen am Tatort begonnen? Gab es Zeu­gen aus der Nach­barschaft oder zufäl­lige Beobachter? Wur­den Zeu­gen ver­nom­men? — “Aus Ermit­tlungs­grün­den” keine Antwort. 

Frage: Welch­er gesicherte Tather­gang wurde bish­er ermit­telt? Waren mehrere Per­so­n­en an der Tat beteiligt? Gibt es Ermit­tlun­gen gegen Verdächtige? Wurde Strafanzeige gegen Verdächtige oder gegen unbekan­nt erstat­tet? — Keine Antwort. 

Frage: Wer hat den WSWS-Artikel gefun­den? Wann genau und wo genau wurde dieser Artikel gefun­den? Wurde das Schreiben auf Fin­ger­ab­drücke und druck­tech­nis­che Merk­male unter­sucht? Gab es hand­schriftliche oder andere Bemerkun­gen, oder eine Zuord­nung auf dem Schreiben? — Keine Antwort, lediglich der Hin­weis, dass die Ermit­tlun­gen pro­fes­sionell und mit Hil­fe aller zur Ver­fü­gung ste­hen­den krim­inal­tech­nis­chen Mit­tel durchge­führt würden. 

Allerd­ings beste­he für die Polizei kein Zweifel an der Zuord­nung des Artikels, erläuterte Peter Sal­en­der. Der oder die Täter hät­ten ihn am Tatort hin­ter­lassen, um die poli­tis­che Inten­tion ihres Han­delns zu verdeut­lichen, davon gehe die Polizei aus. Worauf sich diese Behaup­tung stütze und wer den Artikel wann und wo gefun­den habe — keine Antwort. 

Nach­barn nicht befragt

Eigene Recherchen der WSWS in Frankfurt/Oder ergaben ein genaueres Bild des Tather­gangs als die dürfti­gen Aus­sagen von Polizei und Staat­san­waltschaft und bestätigten gle­ichzeit­ig den Ein­druck, dass es von Seit­en der Behör­den wenig Inter­esse an der Aufk­lärung des Tather­gangs gibt. 

In der Gren­zs­tadt zu Polen, etwa hun­dert Kilo­me­ter östlich von Berlin, leben knapp 70.000 Ein­wohn­er — Ten­denz fal­l­end. Die wach­senden poli­tis­chen und sozialen Span­nun­gen sind in vie­len Bezirken der ehe­ma­li­gen Indus­tri­es­tadt an der Oder mit Hän­den zu greifen. Immer mehr Men­schen im arbeits­fähi­gen Alter wan­dern in andere Teile der Bun­desre­pub­lik ab. Die Arbeit­slosigkeit nimmt ständig zu. Ende 2001 wies die offizielle Sta­tis­tik 18,1 Prozent Arbeit­slose aus, Anfang dieses Jahres waren es bere­its 22 Prozent. 

Poli­tisch dominierte in der Stadt bish­er die SPD. Bei den Land­tagswahlen vor vier Jahren gaben 65 Prozent der Wäh­ler im Wahlkreis Frankfurt/Oder I der SPD oder der PDS ihre Stimme, während die CDU nur 25,3 Prozent und die recht­sradikalen Parteien Deutsche Volk­sunion und NPD zusam­men 5,3 Prozent erziel­ten. Doch seit­dem hat die Oppo­si­tion gegen die SPD-Poli­tik drama­tisch zugenom­men. Bei den Kom­mu­nal­wahlen am ver­gan­genen Son­ntag erlitt die SPD in Frankfurt/Oder eine ver­nich­t­ende Nieder­lage und sack­te auf 15 Prozent ab. Ver­glichen mit den Kom­mu­nal­wahlen vor fünf Jahren sank die Wahlbeteili­gung von 74,8 auf 38,3 Prozent. Statt über 39.000 Stim­men (1998) erhielt die SPD nur noch knapp 9.000. Auch die PDS, die zwar fast fünf Prozent­punkt hinzu gewann, ver­lor durch die geringe Wahlbeteili­gung 16.000 Wähler. 

Die Aus­län­der­be­hörde, die in den frühen Mor­gen­stun­den des 16. Sep­tem­ber über­fall­en wurde, liegt in einem ver­gle­ich­sweise ruhi­gen Innen­stadt­bezirk. Nur wenige Schritte gegenüber befind­en sich Mietswoh­nun­gen. Mehrere Anwohn­er waren durch das Ein­schla­gen von zwölf Fen­ster­scheiben im Gebäude der Behörde aufgeschreckt worden. 

Ein älter­er Bewohn­er der Bischoff­s­trasse, dessen Woh­nung einen guten Blick auf das Aus­län­der­amt ermöglicht, berichtete der WSWS, dass er zur Tatzeit wach gewe­sen sei und etwa um 3.50 Uhr lautes Krachen und Klir­ren gehört habe. Zwar habe er nie­man­den erken­nen kön­nen, aber er habe deut­lich gehört, wie mehrere Per­so­n­en — “min­destens zwei” — die Straße hin­unter ran­nten. Eine Nach­barin habe die Polizei informiert, die auch wenige Minuten später eingetrof­fen sei. 

Er habe das Gefühl, dass wed­er die Polizei noch die Poli­tik großes Inter­esse daran habe, den Angriff auf die Behörde ern­sthaft aufzuk­lären. Nach­dem in den ersten Tagen in allen Lokalzeitun­gen und sog­ar im Lokalfernse­hen über die Sache berichtet wor­den war, seien keine weit­eren Infor­ma­tio­nen erschienen, berichtete er. Er selb­st sei von der Polizei zu keinem Zeit­punkt in dieser Angele­gen­heit befragt worden. 

Ähn­lich äußerte sich eine andere Anwohner­in. Auch sie sei nicht von der Polizei oder anderen Ermit­tlungs­be­hör­den befragt oder ver­nom­men wor­den, obwohl sie einiges zu sagen hätte. In der Tat­nacht sei sie vom Krach der zer­schla­ge­nen Scheiben aufgewacht und habe von ihrem Balkon aus gese­hen, dass wenige Minuten später eine Polizeistreife vorge­fahren sei. Die Polizeibeamten macht­en auf sie einen weit­ge­hend desin­ter­essierten Ein­druck. Vor allem sei sie über­rascht gewe­sen, dass sie nicht die ger­ing­sten Anstal­ten gemacht hät­ten, nach Tätern Auss­chau zu hal­ten oder diese zu ver­fol­gen, obwohl der Anschlag erst wenige Minuten zurück lag. 

Stattdessen hät­ten sie nach einem kurzen Rundgang um das Gebäude “lau­thals und für jeden Anwohn­er hör­bar” über Funk einen Lage­bericht an die Ein­satzzen­trale gegeben. Darin seien die zwölf eingeschla­ge­nen Scheiben genan­nt und die an die Fas­sade gesprühte Parole ver­lesen wor­den: “Deutsch­land deportiert wieder! Wider­stand ist notwendig und mach­bar!” Außer­dem hät­ten die Beamten betont, dass sie ein drei­seit­iges Beken­ner­schreiben vorge­fun­den hät­ten. Wenig spä
ter sei diese Polizeistreife von ein­er zweit­en abgelöst wor­den, die den Tatort abges­per­rt habe. 

Etwa zeit­gle­ich mit diesem polizeilichen Lage­bericht beobachtete diese Anwohner­in, die namentlich nicht genan­nt wer­den will, dass sich im Ein­gang zu ein­er Turn­halle in etwa 100 oder 150 Metern Ent­fer­nung vom Tatort eine männliche Per­son aufhielt, die die Ereignisse zu ver­fol­gen schien. Aufge­fall­en seien ihr sowohl eine Tasche, die der Mann in der Hand hielt, als auch die hellen Hosen, die er trug. 

Wenig später sei eine ähn­liche Per­son, “auch in hellen Hosen”, am Tatort aufge­taucht, doch soweit sie es habe beobacht­en kön­nen, habe die Polizei kein Inter­esse gezeigt, diesen Mann zur Rede zu stellen oder zu vernehmen. “Ich war darüber höchst ver­wun­dert. Immer­hin war es sehr früh am Mor­gen und die Polizei hat­te ger­ade den Tatort abges­per­rt. Da wäre es doch nahe gele­gen den Mann zu befra­gen, zumin­d­est festzustellen, ob er etwas gese­hen hat.” 

Noch etwas sei ihr aufge­fall­en. Sie wohne nun seit fünf Jahren in dieser Strasse, und in dieser Zeit sei die Alar­man­lage der Aus­län­der­be­hörde min­destens drei oder vier Mal los­ge­gan­gen, soweit sie wisse immer Fehlalarm. Aus­gerech­net in dieser Nacht habe kein Alarm stattge­fun­den. “Ist das nicht selt­sam? Wenn Sie mich fra­gen”, erk­lärte die Anwohner­in, “war der Alarm abgeschal­tet, aus welchem Grund auch immer.” 

Auskün­fte des Amtsleiters

Bei dem Gebäude, in dem die Aus­län­der­be­hörde unterge­bracht ist, han­delt es sich um einen typ­is­chen Flach­bau aus DDR-Zeit­en. Im Erdgeschoss befind­et sich ein Ein­wohn­er­meldeamt der Stadt. Die weni­gen Räume der Aus­län­der­be­hörde liegen im ersten Stock. Für das Gebäude gäbe es keinen eige­nen Haus­meis­ter, erk­lärte der Amt­sleit­er, Herr Ter­lach, dem WSWS. Statt dessen kon­trol­liere der Wach­schutz der Stadtver­wal­tung die Behörde, und sie liege auf der Route der Polizeistreife. In welchen Abstän­den die Polizei das Gebäude nachts kon­trol­liere, könne er nicht sagen, erk­lärte Herr Terlach. 

Er wohne außer­halb und sei in der Tat­nacht um 4.30 Uhr von der Polizei informiert wor­den und eine Stunde später am Tatort gewe­sen. Bei sein­er Ankun­ft sei das Gelände bere­its abges­per­rt gewe­sen. Die Polizei habe die Ein­gangstüren nicht auf­brechen wollen und daher auf ihn gewartet. Allerd­ings sei dann fest­gestellt wor­den, dass die Türschlöss­er verklebt waren und erst durch einen Schlüs­sel­dienst geöffnet wer­den kon­nten. Nie­mand sei in die Büroräume einge­drun­gen. Akten und Com­put­er seien wed­er beschädigt noch ent­fer­nt wor­den. Aber durch die eingeschla­ge­nen Scheiben sei eine übel riechende Chemikalie gewor­fen wor­den, die in eini­gen Büros den Tep­pich­bo­den ruiniert habe. 

Auf die Frage nach einem Beken­ner­schreiben antwortete Herr Ter­lach mit dem Hin­weis, dass ihm zwar mit­geteilt wor­den sei, dass ein Text gefun­den wurde. Obwohl er als Amt­sleit­er für die Aus­län­der­poli­tik der Stadt mitver­ant­wortlich sei, habe er das Schreiben aber nie zu Gesicht bekom­men. Später habe er erfahren, dass es sich um einen eher all­ge­meinen und älteren Text han­dle, der sich nicht direkt gegen seine Behörde richte und offen­bar auch nicht von den Tätern ver­fasst war. Außer­dem gab er an, dass er kein­er­lei Infor­ma­tio­nen über den Stand der Ermit­tlun­gen habe. 

Neue Fra­gen

Sechs Wochen nach dem Anschlag stellen sich mehr Fra­gen als am Anfang: Warum ermit­telt die Polizei der­art schlep­pend und desin­ter­essiert? Warum wur­den poten­tielle Zeu­gen nicht befragt? Warum wer­den Ermit­tlungsergeb­nisse, die nicht sicher­heit­srel­e­vant sind, nicht bekan­nt gegeben? Nach sechs Wochen gibt es von den Ermit­tlungs­be­hör­den keine Infor­ma­tio­nen, die über das hin­aus gehen, was am ersten Tag in den Medi­en veröf­fentlicht wurde. 

In deut­lichem Gegen­satz zur Pas­siv­ität der Ermit­tlungs­be­hör­den ste­ht das Vorge­hen des Ver­fas­sungss­chutzes, der den Anschlag auf die Aus­län­der­be­hörde sofort nutzte, um eine sozial­is­tis­che Pub­lika­tion in einen link­sex­tremen und gewalt­täti­gen Zusam­men­hang zu stellen. Und dies obwohl die Ermit­tlungs­be­hör­den bis heute über Täter und Hin­ter­gründe des Anschlags nicht die ger­ing­sten Angaben machen kön­nen oder wollen. Der gegen die WSWS gerichtete Artikel des Ver­fas­sungss­chutzes trägt das Datum vom 16. Sep­tem­ber, dem Tag des Anschlags auf die Frank­furter Ausländerbehörde. 

Angesichts dieser Lage stellen sich die Fra­gen weit­er, die wir bere­its in der ersten Stel­lung­nahme aufwar­fen: Waren Agen­ten des Ver­fas­sungss­chutzes am Anschlag auf die Frank­furter Aus­län­der­be­hörde am 16. Sep­tem­ber beteiligt? Weiß der Ver­fas­sungss­chutz mehr, als er zugibt? Hat­te er bei der Hin­ter­legung des WSWS-Artikels selb­st die Hände im Spiel? 

Siehe auch:
Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutz ver­leumdet World Social­ist Web Site (18. Okto­ber 2003)

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«Als Rentner will ich wieder zurück nach Kamerun»

Afrikan­er standen Jugendlichen aus Cot­tbus und dem OSL-Kreis Rede und Antwort

Peters Vater ist Mosam­bikan­er. Gle­ich nach dem Studi­um in der DDR musste er
in seine Heimat zurück. Seit­dem hat Peter keinen Kon­takt mehr zu ihm. Jedoch
ist dem 19-jähri­gen Schüler aus Sen­ften­berg ein großes Inter­esse für Afrika
geblieben. Unbe­d­ingt wollte er deshalb an dem Pro­jekt «Afrikanis­ches Leben
in Bran­den­burg und Berlin» der Forster und Lübbe­nauer Regionalen
Arbeitsstellen für Aus­län­der­fra­gen, Jugen­dar­beit und Schule (RAA)
teilnehmen. 

Auch Peters Fre­undin Susi inter­essiert sich schon seit län­ger­er Zeit für
Afri­ka. An ihrem Hals und ihren Hän­den trägt sie afrikanis­chen Schmuck. Ihr
beson­deres Inter­esse gelte Ghana, erzählt die 17-jährige Schü­lerin aus
Hör­litz. Dort habe sie auch einen Brief­fre­und. Neben den bei­den waren am
ver­gan­genen Fre­itag noch sechs weit­ere Jugendliche aus Haidemühl und
Lübbe­nau nach Cot­tbus gekom­men, um im Soziokul­turellen Zen­trum ein
Pro­jek­t­woch­enende einzuläuten, das ganz im Zeichen Afrikas ste­ht und die
Teil­nehmer an den zwei fol­gen­den Tagen auf Exkur­sion nach Berlin-Kreuzberg
führen sollte. Ver­voll­ständigt wurde die gemütliche Runde von der
22-jähri­gen Ines Böh­nisch, die an der Bran­den­bur­gis­chen Technischen
Uni­ver­sität Cot­tbus (BTU) studiert und im Studieren­den­rat als
Sozial­ref­er­entin tätig ist und von Marlis Hesse, die als Sozialar­bei­t­erin im
Cot­tbuser Asyl­be­wer­ber­heim arbeit­et, selb­st mit einem Afrikan­er verheiratet
war und den Kon­ti­nent bere­its mehrmals bereist hat. 

Zu Dia­bildern aus Südafri­ka, Tune­sien und Ghana, afrikanis­chen Klän­gen und
typ­is­chen kuli­nar­ischen Spezial­itäten plaud­erten Peter, Susi und die anderen
mit dem 26-jähri­gen Cyrille, dem 28-jähri­gen Augustin, zwei Kameruner
Infor­matik­stu­den­ten der BTU, und mit Soumaila, einem Asyl­be­wer­ber aus dem
west­afrikanis­chen Burk­i­na Faso. 

Warum Soumaila nach Deutsch­land gekom­men ist, lautet eine Frage an den
17-Jähri­gen, der zurzeit in Cot­tbus die zehnte Klasse macht. Das habe
wirtschaftliche Gründe, so seine Antwort. Er müsse in Qua­gadougou, seiner
Heimat­stadt und gle­ichzeit­ig der Haupt­stadt Burk­i­na Fasos, zwar keinen
Hunger lei­den. Hier jedoch könne er sich ein besseres Leben einrichten.
Cyrille mis­cht sich ein: «Es stimmt, dass es in Afri­ka in eini­gen Ländern
echte Ernährung­sprob­leme gibt. Jedoch ist es nicht über­all so dramatisch,
was manch Europäer aber denkt, weil er es aus dem Fernse­hen so kennt.» 

Man dürfe aber nicht vergessen, dass es auch andere Gründe für Afrikaner
gibt, in Deutsch­land Asyl zu beantra­gen, meint Karl-Heinz Brax­ein, der
Forster RAA-Vor­sitzende, der das Pro­jekt gemein­sam mit sein­er Lübbenauer
Kol­le­gin Johan­na Funke leit­et. «Zum Beispiel zu Stu­dien­zweck­en wie Cyrille
und Augustin, aber auch, weil man in sein­er Heimat poli­tisch ver­fol­gt wird.»
Ob es so etwas auch in Kamerun oder Burk­i­na Faso gebe, wollen die
Jugendlichen wis­sen. Soumaila erk­lärt, dass es in sein­er Heimat zurzeit
keinen Krieg gibt. «Man kann sagen, dass es ruhig ist, dass Demokratie
herrscht. Aber unser Präsi­dent ist eine Art Oberchef, 16 Jahre ist er an
der Macht.» 

Cyrille und Augustin erzählen Ähn­lich­es von Kamerun. «Poli­tisch ist es
zurzeit ruhig» , begin­nt Cyrille. «Früher sind viele Kameruner wegen Unruhen
ins Aus­land gegan­gen, jet­zt sind wir ein demokratis­ches Land.» Augustin
ergänzt seinen Fre­und: «Im All­ge­meinen ist die Regierung demokratisiert, es
gibt mehr als 100 Parteien in der Oppo­si­tion. Jedoch ist die
Demokratisierung ein Prozess, der lange dauert.» 

Welche Sprache man in Kamerun und Burk­i­na Faso sprechen würde, woll­ten die
Pro­jek­t­teil­nehmer dann wis­sen. Franzö­sisch ist Amtssprache in Soumailas
Heimat Burk­i­na Faso, erzählt er. Daneben gebe es aber noch viele andere
Sprachen. Wie viele, kommt prompt die näch­ste Frage. «Zu viele» , scherzt
Soumaila zunächst. Etwa 100 ver­schiedene Sprachen wer­den in Burk­i­na Faso
gesprochen, erzählt er dann. «In Kamerun ist das genau­so» , erk­lärt Cyrille.
Mehr als 250 ver­schiedene Sprachen gebe es. «Ohne die Amtssprachen Englisch
und Franzö­sisch wür­den wir uns gar nicht ver­ste­hen.» Weil er sowohl
Franzö­sisch als auch Englisch spricht, wollte er zum Studieren nach
Deutsch­land, um noch eine dritte Sprache zu ler­nen. Er könne sich gut
vorstellen, auch nach dem Studi­um in Deutsch­land zu bleiben. «Aber egal, wo
ich lebe, als Rent­ner will ich wieder zurück nach Kamerun.»

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Revision gegen Potzlow-Urteile

(BM) Neu­rup­pin — Die Staat­san­waltschaft Neu­rup­pin will gegen alle drei Urteile im
Pot­zlow-Prozess Revi­sion ein­le­gen. Ihr Haup­tkri­tikpunkt ist, dass nur ein
Angeklagter wegen Mordes verurteilt wurde und dieses Urteil mit achteinhalb
Jahren Jugend­strafe unter ihrem Antrag blieb. Kor­rek­turbe­darf sehen die
Ankläger vor allem im Fall Sebas­t­ian F., der zwei Jahre Jugend­strafe wegen
Kör­per­ver­let­zung erhielt, zunächst aber in die Frei­heit ent­lassen wurde,
weil der Haft­be­fehl wegen Mordes aufge­hoben wor­den war. 

Ankläger: Strafen sind zu niedrig

Staat­san­waltschaft legt im Pot­zlow-Mord­prozess Revi­sion ein

(Tagesspiegel) Neu­rup­pin. Vier Tage nach dem Ende des Prozess­es um den Mord an Marinus
Schöberl hat die Staat­san­waltschaft Neu­rup­pin Revi­sion gegen alle drei
Urteile ein­gelegt. Die Strafen sind nach Auf­fas­sung der Ankläger zu niedrig,
sagte eine Sprecherin der Jus­tizbe­hörde am gestri­gen Dien­stag. Am Freitag
der ver­gan­genen Woche waren die drei angeklagten Recht­sex­trem­is­ten, die
Brüder Mar­co (24) und Mar­cel S. (18) sowie Sebas­t­ian F. (18) wegen besonders
grausamen Mordes an dem Schüler Mar­i­nus Schöberl in Pot­zlow in der Uckermark
zu Gefäng­nis­strafen zwis­chen zwei und 15 Jahren verurteilt wor­den. Die
Staat­san­waltschaft hat­te Strafen zwis­chen knapp zehn Jahren und lebenslang
beantragt. 

Sebas­t­ian F. durfte direkt aus dem Neu­rup­pin­er Landgericht nach Hause gehen.
Er bekam die ger­ing­ste Haft­strafe, weil sich im Ver­lauf des Prozesses
her­aus­gestellt hat­te, dass er an den Quälereien, aber nicht am Mord
teil­nahm. Von sein­er noch nicht recht­skräfti­gen Strafe — zwei Jahre
Jugendge­fäng­nis — hat er schon elf Monate in Unter­suchung­shaft abgesessen.
Die Staat­san­waltschaft wollte auch ihn zu neun Jahren und acht Monate Haft
verurteilt sehen und legte deshalb sofort nach der Gerichtsentscheidung
Beschw­erde gegen die Aufhe­bung des Haft­be­fehls gegen den 18-Jähri­gen ein.
Darüber wurde bis­lang noch nicht entschieden. 

Viele fürchteten sich immer noch vor diesem 18-Jähri­gen, sagte die Frau des
Pfar­rers in Pot­zlow, Mari­ta Reimer, am Dien­stag. Sie beze­ich­nete das Urteil
als skan­dalös. Am kom­menden Fre­itag wird in dem Ort, wo Mar­i­nus im Juli 2002
getötet wurde, ein Gedenkstein aufgestellt. “Es ist eine Ini­tia­tive der
Gemeinde, damit die Tat nicht vergessen wird”, sagte die Pfar­rers­frau. Die
Verurteil­ten hat­ten den 16-Jähri­gen in der Nacht zum 13. Juli 2002 in einem
Schweinestall des Dor­fes stun­den­lang mit Schlä­gen und Trit­ten gequält und
ihm schließlich tödliche Kopfver­let­zun­gen beigebracht. 

Revi­sion gegen Urteile um Potzlow-Mord

(LR) Vier Tage nach dem Ende des Prozess­es um den Mord an Mar­i­nus Schöberl hat
die Staat­san­waltschaft Neu­rup­pin Revi­sion gegen alle drei Urteile eingelegt.
Die Strafen sind nach Auf­fas­sung der Ankläger zu niedrig, wie eine
Sprecherin der Jus­tizbe­hörde gestern sagte. 

Am Fre­itag waren drei Bran­den­burg­er wegen beson­ders grausamen Mordes an dem
Schüler Mar­i­nus in Pot­zlow (Uck­er­mark) zu Gefäng­nis­strafen zwis­chen zwei und
15 Jahren verurteilt wor­den (die RUNDSCHAU berichtete). Die
Staat­san­waltschaft hat­te Strafen zwis­chen knapp zehn Jahren und lebenslang
beantragt. 

Die Gemeinde stellt am Fre­itag an dem Ort, wo Mar­i­nus getötet wurde, einen
Gedenkstein auf.

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Potzlow-Prozess: Neuer Zeuge unglaubwürdig

(BM) Neu­rup­pin — Selb­st die anson­sten so geduldige Rich­terin Ria Bech­er winkte
nach ein­er hal­ben Stunde ab. Der als “let­zter Zeuge” im Mord­prozess von
Pot­zlow geladene Enri­co H. löste bei allen Prozess­beteiligten nur noch
Kopf­schüt­teln aus, nach­dem er auch auf wieder­holtes Nach­fra­gen nicht
plau­si­bel erk­lären kon­nte, woher er denn von ange­blichen Mord­plä­nen des
ältesten Angeklagten Mar­co Sch. gegenüber Mor­dopfer Mar­i­nus Schöberl schon
im Jahr 2000 gewusst haben wollte. “Das haben mir Fre­unde und Bekannte
erzählt, direkt kenne ich Mar­co gar nicht”, sagte der 26-Jährige. 

 

Dann gab er an, dass unter den jun­gen Leuten in Tem­plin, wo Mar­i­nus bis zu
seinem gewalt­samen Tod am 13. Juli 2002 die Schule besuchte, schon im Sommer
2000 die Nachricht die Runde gemacht habe, Mar­co Sch. wolle sich an Marinus
rächen. Das Motiv? “Mar­i­nus hat gegen Mar­co vor Gericht aus­ge­sagt, habe ich
gehört”, sagte H. Selb­st Staat­san­wältin Eva Hoffmeis­ter reagierte ungläubig:
“Wenn Mar­i­nus wusste, dass Mar­co sich rächen wollte, warum ist er dann mit
ihm los­ge­zo­gen?” Die Aus­sage von Enri­co H. habe für sie keine Beweiskraft.
Mar­cos Anwalt Matthias Schöneb­urg beze­ich­nete H. als “Wichtigtuer und
Trit­tbret­tfahrer, der die Unwahrheit sagt”. Getötet wurde Mar­i­nus Schöberl
im Juli 2002 von Mar­cos jün­gerem Brud­er Mar­cel Sch. 

 

Der Zeuge, der zurzeit in Tegel in Haft sitzt, hat­te sich erst in der
ver­gan­genen Woche über seinen Anwalt im Pot­zlow-Ver­fahren gemeldet. 

 

Seinetwe­gen hat die Rich­terin die für gestern vorge­se­hene Urteilsverkündung
um eine Woche ver­schoben. Neuer Ter­min ist der 24. Okto­ber. Die
Staat­san­waltschaft hat hohe Haft­strafen für die Angeklagten beantragt. 

 

Pot­zlow-Prozess: War der neue Zeuge ein Wichtigtuer?

 

(MOZ) Neu­rup­pin (dpa) Ein über­raschend aufge­tauchter Zeuge hat nach den Plädoyers
im Prozess um den bru­tal­en Mord an Mar­i­nus Schöberl vor Gericht für Wirbel
gesorgt. Der 26-Jährige sagte am Don­ner­stag am Landgericht Neu­rup­pin, er
habe gehört, wie der erwach­sene Angeklagte bere­its im Som­mer 2000
angekündigt habe, den Schüler Mar­i­nus zu töten. Allerd­ings wich der derzeit
im Gefäng­nis in Berlin-Tegel sitzende Zeuge im Laufe der Befra­gung immer
mehr von dieser Aus­sage ab. 

 

Nach dem Ein­wand der Vertei­di­ger, dass der von ihm Beschuldigte im Sommer
2000 im Gefäng­nis saß, sagte der aus Tem­plin (Uck­er­mark) stam­mende Zeuge, er
könne nicht mit Bes­timmtheit sagen, dass dieser Angeklagte den Mord
angekündigt habe. Es könne auch ein ander­er, eben­falls mit einem Hakenkreuz
tätowiert­er Mann gewe­sen sein. Wegen der deut­lichen Ungereimtheit­en wurde
der Mann, der sich vor eini­gen Tagen über­raschend beim Gericht gemeldet
hat­te, vereidigt. 

 

Staat­san­waltschaft, Neben­klagev­ertreter und Vertei­di­ger beze­ich­neten die
Aus­sage des 26-Jähri­gen übere­in­stim­mend als unglaub­würdig. “Der Zeuge war
ein Wichtigtuer und Trit­tbret­tfahrer, der offen­sichtlich die Unwahrheit
gesagt hat”, sagte Vertei­di­ger Matthias Schöneb­urg. Möglicher­weise leitet
die Staat­san­waltschaft ein Ver­fahren wegen Falschaus­sage ein. 

 

Die drei Angeklagten hat­ten ges­tanden, ihr 16-jähriges Opfer im Juli 2002 in
Pot­zlow (Uck­er­mark) stun­den­lang mis­shan­delt und dann getötet zu haben. Nach
Auf­fas­sung der Staat­san­waltschaft war die Schlüs­sel­szene des Filmes
“Amer­i­can His­to­ry X” Vor­bild für die beson­ders grausame Tötung des Schülers.
“Das wird mein “Amer­i­can His­to­ry X” sein”, soll nach Aus­sage des Zeu­gen zwei
Jahre vor der Tat an einem See in der Uck­er­mark gesagt wor­den sein. 

 

Die ursprünglich für Don­ner­stag geplante Verkün­dung des Urteils wurde auf
den 24. Okto­ber ver­schoben. Die Staat­san­waltschaft hat­te für den erwachsenen
Angeklagten, der unter anderem wegen des Über­falls auf einen Afrikan­er in
Pren­zlau vorbe­straft ist, lebenslange Haft wegen Verdeckungsmordes
gefordert. Für seinen 18- jähri­gen Brud­er beantragte sie zehn Jahre
Jugendge­fäng­nis — die Höch­st­strafe im Jugen­drecht -, für dessen
gle­ichal­tri­gen Fre­und neun Jahre und acht Monate. Die Vertei­di­ger forderten
für alle Angeklagten Strafen von deut­lich unter zehn Jahren. 

 

Der neue Zeuge wurde gle­ich ausgekontert

 

(Tagesspiegel) Nach sein­er Aus­sage im Pot­zlow-Prozess dro­ht Enri­co H. nun sog­ar ein
Ver­fahren wegen Meineids 

 

Neu­rup­pin. Der Zeuge wurde mit Span­nung erwartet, immer­hin hat­te Enri­co H.
die für gestern geplante Verkün­dung des Urteils im Potzlow-Prozess
ver­hin­dert. Doch dann gab der 26-Jährige nur dif­fuse Angaben und
Wider­sprüche von sich. Er habe im Som­mer 2000 am Lübbe­see bei Templin
ver­mut­lich vom Angeklagten Mar­co S. eine Mord­dro­hung gegen den im Juli 2003
in Pot­zlow getöteten Mar­i­nus Schöberl gehört, sagte H. dem Landgericht
Neu­rup­pin. Und: Er sei damals nur zehn Meter von dem Angeklagten entfernt
gewe­sen. Doch dessen Vertei­di­ger kon­terte den über­raschend aufgetauchten
Zeu­gen aus: Mar­co S. habe 1999 eine Haft­strafe ange­treten, die bis Juli 2003
dauerte, und es sei kein einziger Haf­turlaub bewil­ligt wor­den. Enri­co H.
ließ sich aber nicht beir­ren. So hat er nun wohl seinem Vorstrafenregister
ein weit­eres Delikt hinzuge­fügt. Denn der Anwalt von Mar­co S. bestand nach
der ein­stündi­gen Befra­gung darauf, Enri­co H. zu verei­di­gen. Dies geschah -
und die Staat­san­waltschaft wird nun ver­mut­lich ein Ver­fahren einleiten,
wegen des Ver­dachts auf Meineid. 

 

Enri­co H. hat­te sich, wie berichtet, erst vor ein­er Woche über seinen Anwalt
beim Landgericht Neu­rup­pin gemeldet. In dem seit fünf Monat­en andauernden
Prozess zum Mord an dem 16-jähri­gen Mar­i­nus Schöberl in der Nacht zum 13.
Juli 2002 in Pot­zlow waren bere­its alle Plä­doy­ers gehal­ten, gestern sollte
der Schlus­sakt stat­tfind­en. Doch nach dem Anruf des Anwalts von Enri­co H.
sah sich die Strafkam­mer gezwun­gen, zur Beweisauf­nahme zurück­zukehren. Das
Ergeb­nis ist jedoch nach Ansicht der Staat­san­waltschaft, des
Neben­klage-Anwalts und der Vertei­di­ger der drei Angeklagten gle­ich Null -
und damit eine ärg­er­liche Zeitver­schwen­dung. Der aus ein­er Berliner
Haf­tanstalt vorge­führte Enri­co H. — er ver­büßt eine Strafe wegen
Kör­per­ver­let­zung und Haus­friedens­bruchs — wich auf die bohren­den Fragen
immer mehr ins Unge­fähre aus. Er sagte schließlich, Bekan­nte hät­ten ihm
erzählt, dass die Per­son am Lübbe­see, von der er die Mord­dro­hung gegen
Mar­i­nus Schöberl gehört habe, Mar­co S. gewe­sen sein soll. Wenig glaubwürdig
klang auch die Behaup­tung von Enri­co H., er habe irgend­wann das spätere
Mor­dopfer Mar­i­nus Schöberl an einem “Frit­ten­stand” in Tem­plin kennen
gel­ernt. Dabei soll Schöberl erzählt haben, er werde wegen einer
Zeu­ge­naus­sage gegen Mar­co S. von diesem unter Druck geset­zt. Doch der Anwalt
von Mar­co S. kon­nte auch diese Angaben entkräften: Es gebe kein Verfahren
gegen seinen Man­dan­ten, in dem Mar­i­nus Schöberl als Zeuge aufge­treten ist. 

 

Nach der Aus­sage von Enri­co H. wieder­holten die Staat­san­wältin, der
Neben­klagean­walt und die Vertei­di­ger der drei Angeklagten Mar­co S., Marcel
S., und Sebas­t­ian F. nochmal in Kurz­form ihre Plä­doy­ers. Das Urteil soll nun
am kom­menden Fre­itag verkün­det werden.

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Urteil im Potzlow-Prozess

Heute wurde im Landgericht Neu­rup­pin das Urteil zum Mord an Mar­i­nus verkün­det. Die drei Angeklagten Mar­co Sch., sein Brud­er Mar­cel Sch. und Sebas­t­ian F., standen seit Mai gemein­sam vor Gericht. In 24 Prozessta­gen wurde ver­sucht, die Geschehnisse des Som­mer­abends vom 12. Juli zum 13.Juli 2002 zu rekon­stru­ieren und zu erfahren, was dort geschehen ist. 

 

Mar­cel und Sebas­t­ian haben sich in Bukow bei einem Berufsvor­bere­i­t­en­dem Jahr ken­nen gel­ernt. Mar­cel lud ihn zu sich ein, auch weil er meinte, Sebas­t­ian und sein Brud­er, der ger­ade aus eine Haft­strafe abge­sessen hat­te, kön­nten sich verstehen. 

 

Sie trafen sich und vertru­gen sich gut. Abends, gegen 19 Uhr fuhren sie mit Fahrrädern ins Nach­bar­dorf Strehlow zu einem Bekan­nten bei dem viel getrunk­en wurde, um zu feiern, oder ein­fach nur Alko­hol zu trinken. Dort traf auch Mar­i­nus später ein, zu der Zeit eben­falls nicht allein. Allerd­ings wollte dieser irgend­wann schlafen gehen und warf den Rest, der noch bei ihm geblieben war raus. 

 

Mar­co, Mar­cel, Sebas­t­ian und Mar­i­nus zogen zusam­men weit­er zu ein­er Fam­i­lie, bei denen sie keine Skru­pel hat­ten mit­ten in der Nacht Ein­lass zu fordern, um dort weit­er zu trinken.
Mit Gewalt schafften sie dies dann auch. Und die Feier ver­legte sich in die dor­tige Veranda. 

 

Hier began­nen sie nach einiger Zeit von Mar­i­nus zu ver­lan­gen, zu sagen er sei Jude. Anfangs weigerte er sich, aber nach dem er den Rat der Hausbewohnerin(er solle es doch ein­fach zugeben, dann hören sie schon auf) bekom­men hat­te. Und ihm gewalt­sam Alko­hol einge­flößt wurde, gab er nach. Aber das ret­tete ihn nicht. Sie began­nen ihn zu schla­gen und als er raus gezo­gen wor­den war, um sich zu übergeben, urinierte ein­er von ihnen auf seinen Oberköper. 

 

Mar­co, Mar­cel und Sebas­t­ian hat­ten sich schon auf den Rück­weg gemacht, als Mar­co meinte, sie kön­nten Mar­i­nus dort nicht liegen lassen, das kön­nte die Fam­i­lie stören. Sie fuhren also zurück und holte ihn. Und luden ihn auf eins ihrer Fahrräder. Als sie an dem alten LPG Gelände vor­bei kamen hat­te ein­er von ihnen die Idee Mar­i­nus noch etwas Angst einzu­ja­gen. Sie klet­terten mit ihm über das Tor und war­fen ihn zuerst ein­mal in die Jauchegrube, um zu sehen oder unterge­ht. Dann holten sie ihn immer wieder raus, schlu­gen ihn. 

 

Bis er dazu aufge­fordert wurde, in die Kante des Stein­tro­ges zu beißen und Mar­cel mit seinen Springer­stiefeln auf seinen Kopf sprang. Das Gesicht war zer­quetscht wor­den, aber er röchelte noch und man stellte fest „er könne keinem Arzt mehr vorgestellt wer­den“. Also sucht­en sie etwas, um ihm den Rest zu geben. Mar­cel fand einen Gas­be­ton­stein, den er Mar­i­nus zweimal auf den Kopf warf. Darauf hin ver­bud­del­ten sie ihn in der Jauchegrube und ließen ihn dort liegen, bis Mar­cel begann damit anzugeben und den Tatort seinen Fre­un­den zeigte. Auch Fre­unde von Mar­i­nus erfuhren davon und macht­en eine Anzeige nach­dem sie sich selb­st überzeugt hatten. 

 

Der Saal 2 im Neu­rup­pin­er Landgericht war heute über­füllt, viel Presse, einige ständi­ge Beobach­terIn­nen des Prozess­es, Antifas und drei Rechte waren anwesend.
Fast Punkt 12.00 Uhr wurde das Urteil verlesen. 

 

Mar­cel Sch.: 8 Jahre und 6 Monate

Mar­co Sch.: 15 Jahre

Sebas­t­ian F.: 2 Jahre 

 

Die Rich­terin hat zwar deut­lich gemacht, dass Mar­co und Sebas­t­ian sich in der recht­en Szene aufhal­ten. Aber lei­der machte sie nicht deut­lich, dass dies ein alltäglich­es Prob­lem in Bran­den­burg ist.

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Urteil im Potzlow-Prozess

Pot­zlow-Prozess: Mord ohne Grund

Der Pot­zlow-Prozess gibt noch immer Rät­sel auf / Das Urteil wird morgen
verkündet

 

(MAZ, Frank Schau­ka) NEURUPPIN/POTZLOW


In den Urteilen zum Pot­zlow-Prozess ste­ht die große
Jugend­kam­mer des Landgerichts Neu­rup­pin mor­gen vor der Auf­gabe, die Tötung
von Mar­i­nus Schöberl durch drei Neon­azis erk­lären zu müssen, obwohl sie
möglicher­weise keinen Grund hat­ten, den Jun­gen mit den blondierten Haaren
umzubrin­gen. Zumin­d­est keinen zwin­gen­den, ein­leuch­t­en­den Grund. 

 

Es habe für den Mord “keinen Grund” gegeben, betonte Staat­san­wältin Eva
Hoffmeis­ter in ihrem Plä­doy­er. Ähn­lich ver­ständ­nis­los äußerte sich der
Vertei­di­ger des 18-jähri­gen Haup­tangeklagten Mar­cel Sch. “Eigentlich gab es
keinen Grund dafür, dass mein Man­dant Mar­i­nus tötete. Er begreift diese
Hand­lung selb­st nicht”, sagte Anwalt Volk­mar Schöneb­urg. Mehr als 20
Ver­hand­lungstage und die Befra­gung Dutzen­der Zeu­gen haben kein eindeutiges
Mord­mo­tiv erkennbar wer­den lassen. Ein grund­los­er Mord also? 

 

Vor seinem Tode zit­terte Mar­i­nus vor Angst

 

Vielle­icht starb der 16-jährige Schüler am frühen Mor­gen des 13. Juli 2002
nur deshalb, weil Mar­cel, Mar­i­nus langjähriger Bekan­nter aus Pot­zlow, einen
“black­out” hat­te, wie der Angeklagte vor Gericht behauptete. Jedenfalls
sprang der damals 17-Jährige dem am Boden liegen­den, in eine Steinkante
beißen­den, vor Angst zit­tern­den Mar­i­nus mit Springer­stiefeln ins Genick -
genau so wie in dem Film “Amer­i­can His­to­ry X” ein Neon­azi einen Schwarzen
ermordet. 

 

Mar­i­nus, der den Spielfilm kan­nte und zweimal, weil er sich sträubte, in
diese “wehrlos­es­te Posi­tion, die man sich vorstellen kann”, gezwun­gen wurde,
muss Tode­sangst durch­lit­ten haben, ver­mutete Staat­san­wältin Hoffmeister. 

 

Nach dem “Bor­d­stein-Kick” erschien den Tätern Mar­i­nus Gesicht so
fürchter­lich zugerichtet, dass Marcels 23-jähriger Brud­er Mar­co emp­fahl, den
Ster­ben­den, der seinen let­zten Atem schwach röchel­nd aushauchte, zu
erschla­gen. Ver­mut­lich war Mar­i­nus schon tot, als wenig später Mar­cel mit
einem Stein den Kopf des 16-Jähri­gen zertrümmerte. 

 

Es habe sich um eine “typ­is­che Gewal­teskala­tion” gehan­delt, so Anwalt
Volk­mar Schöneb­urg. Es sei keine geplante Aktion, auf keinen Fall ein
poli­tisch motiviert­er Mord gewe­sen. Die Staat­san­waltschaft Neu­rup­pin habe
sich viel zu früh auf eine recht­sex­trem­istisch motivierte Tat fest­gelegt und
abwe­ichende Erk­lärungsan­sätze nicht vorurteils­frei geprüft, kri­tisierte auch
Volk­mar Schöneb­urgs Brud­er Matthias, der Marcels älteren Brud­er Marco
verteidigt. 

 

Vielle­icht ist die Deu­tung der Tat durch die Staat­san­waltschaft lediglich
der Ver­such, ein Ver­brechen zu erk­lären, das in Wahrheit grund­los war.
Vielle­icht jedoch dringt die Staat­san­waltschaft mit ihrer Inter­pre­ta­tion zu
dem eigentlichen Wesen der Tat vor. 

 

Danach erschiene die Tat logisch und fol­gerichtig, Brüche im Tat­ablauf gäbe
es nicht: Die Täter wären nicht nur überzeugte Neon­azis, auch ihre Tat wäre
nichts anderes als ein Aus­druck ihrer men­schen­ver­ach­t­en­den Gesin­nung. Sie
hät­ten ihr Opfer mit dem Wort “Jude” ent­men­schlicht und auf diese Weise
kon­se­quent vor­bere­it­et für die “viehis­che Tat”, wie Neu­rup­pins Leitender
Ober­staat­san­walt Gerd Schnittch­er das Ver­brechen beze­ich­net hat. 

 

Unter diesem Blick­winkel würde sich das Geschehen etwa so zusammenfügen:
Anfang Juli 2002 wird der Neon­azi Mar­co Sch. nach mehrjähriger Haft
ent­lassen. Am Fre­itag, dem 12. Juli, kommt der rechtsextremistische
Sebas­t­ian F. aus Tem­plin zu Besuch nach Pot­zlow. Der 17-Jährige ist ein
Schul­fre­und von Mar­cos jün­gerem Brud­er Mar­cel. Dieser wiederum führt sich
gele­gentlich als Neon­azi auf, manch­mal jedoch gibt er sich auch als Linker -
meis­tens dann, wenn Mar­co im Gefäng­nis sitzt und der Ein­fluss auf den
jün­geren Brud­er geringer ist. 

 

Täter mit äußerst geringer Intelligenz

 

Am Nach­mit­tag des 12. Juli berauschen sich die drei zunächst an
recht­sex­tremer Musik, später, typ­isch für die Szene, an Alko­hol, schließlich
daran, dass sie Mar­i­nus, der zufäl­lig zu der Gruppe stößt, zu einem Opfer
stil­isieren, auf das sie ihre nazis­tis­che Vorstel­lung des Untermenschen
pro­jizieren kön­nen. Mar­i­nus stot­tert, trägt blondierte Haare, weite Hosen
und muss sich bei zu großem Alko­holkon­sum übergeben. In ihrem
Vorstel­lung­shor­i­zont — beschränkt durch einen Intel­li­gen­zquo­tien­ten von 55,
70 und 75 — erscheinen diese Äußer­lichkeit­en den Tätern offen­bar alles
andere als deutsch. Sie entwer­fen ein Gegen­bild, schimpfen Mar­i­nus “Jude”,
prügeln ihn zu Boden, urinieren auf den Hil­flosen. Das Mar­tyri­um dauert mit
Unter­brechun­gen mehrere Stun­den und steigert sich. Schließlich drängt die
Gruppe Mar­i­nus unter erneuten Schlä­gen zu einem entle­ge­nen Schweinestall, um
ihn nach dem Vor­bild des Filmes hinzuricht­en. So etwa sieht es die
Staatsanwaltschaft. 

 

Manche Einzel­heit­en fügen sich jedoch nur schw­er in dieses Bild: Warum,
ließe sich fra­gen, ver­ließen die drei jun­gen Recht­sex­tremen die Woh­nung, in
der sie Mar­i­nus mis­shan­delt hat­ten, ursprünglich ohne den 16-Jährigen?
Woll­ten sie Mar­i­nus zunächst nicht weit­erquälen? Welch­er Zusammenhang
existiert aber dann zwis­chen der behaupteten Ent­men­schlichung des Opfers mit
Hil­fe des Wortes “Jude” und der Hin­rich­tung Stun­den später? Und war es schon
der gemein­schaftliche Entschluss zum Mord, als auf dem ger­ade begonnenen
Heimweg Mar­cel und Sebas­t­ian Mar­cos Idee auf­grif­f­en, Mar­i­nus noch ein wenig
Angst einzu­ja­gen — woraufhin die drei in die Woh­nung zurück­kehrten, um den
auf dem Sofa Schlafend­en hin­auszuzer­ren und zu dem entle­ge­nen Schweinestall
zu drängen. 

 

Noch kom­pliziert­er ist ver­mut­lich die Gewalt im Schweinestall zu bewerten.
Die bei­den, die Mar­i­nus auf­forderten, in die Steinkante zu beißen, hatten
möglicher­weise den Film nie gese­hen, dem die bru­tale Szene entlehnt war. Ob
ihre Auf­forderung einen Mord vor­bere­it­en sollte, ist zumin­d­est zweifelhaft.
Und Mar­cel? Er war der einzige, der den Film mit Sicher­heit gese­hen hatte
und der den vor Angst zit­tern­den Mar­i­nus nach dem Vor­bild der Filmszene
umbrachte. Die Idee, Mar­i­nus in die Steinkante beißen zu lassen, hatte
jedoch nicht Mar­cel als erster geäußert. 

 

Möglicher­weise diente weniger der Film als Drehbuch für die Wirklichkeit.
Vielle­icht agierte umgekehrt Mar­cel unver­mit­telt als Haupt­darsteller in
ein­er Mord­szene, die vor seinen Augen plöt­zlich Gestalt angenom­men hatte.
“Ich bin wie im Film auf ihn gesprun­gen”, äußerte sich Mar­cel im Prozess.
“Ich wusste nicht, was ich da tat. Abge­sprochen mit den anderen war das
nicht. Die waren über mein Han­deln ziem­lich über­rascht.” — Welche Wahrheit
auch immer sich hin­ter diesem “ziem­lich” verbirgt. 

 

Hohe Haft­strafen im Potzlow-Prozess

Richter sprachen Strafen zwis­chen 2 und 15 Jahren aus

 

(LR, 23.10.) Wegen des beson­ders grausamen Mordes an dem Schüler Mar­i­nus Schöberl sind
drei Bran­den­burg­er zu teil­weise hohen Haft­strafen verurteilt wor­den. Sie
hat­ten den 16-Jähri­gen 2002 im uck­er­märkischen Pot­zlow stundenlang
gefoltert, mit einem Fußtritt getötet und seine Leiche in ein­er Jauchegrube
ver­schar­rt. Die Richter am Landgericht Neu­rup­pin sprachen am Fre­itag Strafen
zwis­chen 2 und 15 Jahren aus. Mar­i­nus Peiniger nah­men das Urteil so auf,
wie sie den gesamten Prozess ver­fol­gt hat­ten — gleichg&uum
l;ltig.

 

Der für den tödlichen Tritt ver­ant­wortliche 18-Jährige wurde wegen Mordes
und gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung zu ein­er Jugend­strafe von achteinhalb
Jahren verurteilt. Sein sechs Jahre älter­er Brud­er muss wegen versuchten
Mordes und gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung für 15 Jahre ins Gefäng­nis. Ein
weit­er­er 18 Jahre alter Tat­beteiligter erhielt wegen gefährlicher
Kör­per­ver­let­zung eine Jugend­strafe von zwei Jahren. 

 

Die Staat­san­waltschaft hat­te für die 18 und 24 Jahre alten Brüder die
Höch­st­strafe gefordert wegen Verdeck­ungsmordes. Für den 18-Jährigen
beantragten die Ankläger 9 Jahre und 8 Monate Jugendge­fäng­nis wegen
ver­sucht­en Mordes. Die Vertei­di­ger hiel­ten nur den jün­geren Brud­er des
Mordes und ihre bei­den anderen Man­dan­ten der Kör­per­ver­let­zung für schuldig.
Sie forderten wesentlich niedrigere Strafen. Die jun­gen Män­ner hat­ten zu
Prozess­be­ginn schriftliche Geständ­nisse abgelegt. 

 

Monate­lang fehlte von Mar­i­nus Schöberl jede Spur. Nach einem Tipp fanden
Ermit­tler die Leiche des Schülers und nah­men wenig später die drei
mut­maßlichen Täter fest. 

 

Chronolo­gie

 

(LR) Aufk­lärung des Mordes und Prozessverlauf 

 

. 16. Novem­ber 2002: Im Stall­gelände in Pot­zlow find­en Ermit­tler die
skelet­tierte Leiche des monate­lang ver­mis­sten Schülers. 

 

. 19. Novem­ber 2002: Gegen drei Jugendliche aus der Uck­er­mark wird
Haft­be­fehl wegen gemein­schaftlichen Mordes erlassen. 

 

. 19. Feb­ru­ar 2003: Gegen die drei mut­maßlichen Mörder wird Anklage erhoben. 

 

. 26. Mai 2003: In Neu­rup­pin begin­nt der Mord­prozess. Unter Auss­chluss der
Öffentlichkeit leg­en die son­st schweigen­den Angeklagten schriftliche
Geständ­nisse ab. 

 

. 30. Mai 2003: Zeu­gen bericht­en, dass der jün­gere der angeklagten Brüder
mit der Tat angegeben und mehrfach Bekan­nte zum Ver­steck der Leiche geführt
hat. Kein­er der Zeu­gen war aber zur Polizei gegangen. 

 

. 24. Juni 2003: Kurz vor dem geplanten Ende des Prozess­es wirft die
Vertei­di­gung mehreren Ermit­tlern Rechts­bruch vor. Die Polizis­ten hät­ten die
Eltern der bei­den jugendlichen Angeklagten von den Vernehmungen ihrer Söhne
ausgeschlossen. 

 

. 18. Juli 2003: Die Aus­sagen der mut­maßlichen Mörder bei Polizeiverhören
dür­fen vor Gericht als Beweise genutzt wer­den. Die Richter schenken den
Aus­sagen der Polizis­ten mehr Glauben als denen der Eltern. Sie weisen das
Beweisver­w­er­tungsver­bot der Vertei­di­gung zurück. 

 

. 11. August 2003: Die Vertei­di­gung erlei­det eine weit­ere Nieder­lage: Ihre
Befan­gen­heit­santräge gegen die Jugend­kam­mer wer­den abgelehnt. 

 

. 4. Sep­tem­ber 2003: Die psy­chi­a­trischen Gutacht­en bescheini­gen allen drei
Angeklagten Anhalt­spunk­te für eine ver­min­derte Schuldfähigkeit. 

 

. 10. Sep­tem­ber 2003: Wegen Verdeck­ungsmordes an dem Schüler Marinus
Schöberl fordert die Staat­san­waltschaft hohe Haft­strafen für alle drei
Angeklagten; für zwei der Män­ner die Höchststrafe. 

 

. 2. Okto­ber 2003: Die Vertei­di­ger wollen deut­lich mildere Strafen als die
Staat­san­waltschaft. Sie plädieren nur für einen der Angeklagten auf Mord.
Die bei­den anderen seien der Kör­per­ver­let­zung schuldig. 

 

. 16. Okto­ber 2003: Am Tag der geplanten Urteilsverkün­dung sorgt ein
über­raschend aufge­tauchter Zeuge für Wirbel. Er sagt, er habe gehört, wie
der erwach­sene Angeklagte bere­its im Som­mer 2000 angekündigt habe, den
Schüler Mar­i­nus zu töten. Allerd­ings weicht er im Laufe der Befra­gung immer
mehr von dieser Aus­sage ab. 

 

Gedenkstein erin­nert an ermorde­ten Marinus

 

(Berlin­er Zeitung, Susanne Rost) POTZLOW. In Pot­zlow wird am 31. Okto­ber ein Gedenkstein für den ermordeten
Mar­i­nus Schöberl eingewei­ht. Der 16-Jährige war im Juli 2002 spurlos
ver­schwun­den. Vier Monate später ent­deck­te die Polizei seine Leiche in einer
Jauchegrube unweit des Dor­fes. Drei junge Män­ner sollen den aus Potzlow
stam­menden Schüler auf grausame Art umge­bracht haben. Die Ini­tia­tive für den
Gedenkstein ging vom Pot­zlow­er Pfar­rer aus, der den Stein spon­serte. Die
übri­gen Kosten über­nahm laut Bürg­er­meis­ter Peter Feike die Gemeinde. 

 

Staunen über ein Urteil

Der let­zte Tag im Prozess um den Mord von Potzlow

 

(Tagesspiegel, Frank Jansen) Der Mann ist frei. Kaum hat Rich­terin Ria Bech­er das Urteil verkün­det, steht
Sebas­t­ian F. auf und holt aus ein­er Plas­tik­tüte eine große, blaue Dose
Tabak. Dann begin­nt der 18-Jährige, eine Zigarette zu drehen. Ruhig, die
Hände zit­tern nicht, kein Krümel fällt zu Boden. Das ungläu­bige Staunen um
ihn herum, die hek­tis­chen Fra­gen der vie­len Jour­nal­is­ten — der große
Kurzhaar­mann wirkt unbeein­druckt und schweigt. Dabei hat ihn die
Jugend­kam­mer des Landgerichts Neu­rup­pin an diesem Fre­itag­mit­tag ger­ade mit
ein­er sen­sa­tionell kleinen Strafe bedacht und dann noch den Haftbefehl
aufge­hoben. In einem Prozess, der wie kaum ein ander­er in der Geschichte des
Bun­des­lan­des Bran­den­burg Beach­tung gefun­den hat. Weil die Folter und
Ermor­dung des 16-jähri­gen Mar­i­nus Schöberl im Juli 2002 im uckermärkischen
Dorf Pot­zlow unfass­bar bru­tal, ja sadis­tisch wirkt. 

 

Doch Sebas­t­ian F. war nach Ansicht der Strafkam­mer “nur” in begren­ztem Maße
ein Mit­täter. Ein­er, der Schöberl geschla­gen hat und der auf ihn urinierte.
Aber für den Mord sei Sebas­t­ian F. nicht ver­ant­wortlich. Das Haupt­maß der
Schuld hät­ten die Brüder Mar­co und Mar­cel S. auf sich geladen. 

 

Mar­cel S., auch 18 Jahre alt und in dem fünf­monati­gen Prozess immer bleich
wie ein Schw­erkranker, hat am frühen Mor­gen des 13. Juli 2002 den schon seit
Stun­den mal­trätierten Mar­i­nus Schöberl mit einem “Bor­d­stein­kick” getötet.
Stock­end trägt Rich­terin Bech­er vor, Mar­cel S. oder Sebas­t­ian F. hätten
Mar­i­nus gezwun­gen, in einem ehe­ma­li­gen Schweinestall in die Kante eines
Trogs zu beißen. Dann sei ihm Mar­cel mit seinen Stahlkap­pen­stiefeln auf den
Kopf gesprun­gen. “Der Kopf­bere­ich wurde zer­quetscht, Mar­i­nus kippte nach
links weg”, sagt Bech­er. Die Richter, die Schöf­fen, die Vertei­di­ger, das
Pub­likum erstar­ren, zwei, drei Sekun­den lang. “Mar­cel wollte nachempfinden,
wie es sich anfühlt, wenn ein Men­sch stirbt”, sagt Bech­er ton­los, “und er
wollte seinem Brud­er imponieren.” Mar­co S., 24, vorbe­strafter Neon­azi, nimmt
die rechte Hand an den Mund. Auf dem kahlen Schädel ist über dem linken Ohr
das Wort “Skin­head” tätowiert. 

 

Das “kom­plexe Ver­hält­nis” der bei­den Brüder sieht die Strafkam­mer als eines
der wesentlichen Motive für den Gewal­texzess. Mar­cel habe Angst vor seinem
Brud­er gehabt, aber er habe auch dessen Anerken­nung gesucht, sagt Becher.
Und als dann Mar­co an jen­em Abend “aus ein­er Laune her­aus” anf­ing, den
harm­losen Hiphop­per Mar­i­nus Schöberl zu quälen, habe Mar­cel sich die
“Ein­stel­lung” des großen Brud­ers zu Eigen gemacht “und sich dem Opfer
gegenüber als höher­w­er­tig ange­se­hen”. Und dann mit­geprügelt, den
verängstigten Schöberl mit in den Schweinestall gebracht — und alleine, ohne
den Brud­er und Sebas­t­ian F., “plöt­zlich den Entschluss gefasst, den
Bor­d­stein­kick voll­ständig in die Real­ität umzuset­zen”. Bech­ers Stimme ist
wieder leise geworden. 

 

Die Kam­mer verurteilt Mar­cel S. zu achtein­halb Jahren Jugend­strafe. Wegen
Mordes, gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung und Nöti­gung. Dass es nicht, wie von
der Staat­san­waltschaft gefordert, zehn Jahre si
nd, begrün­det Bech­er mit
seinem Geständ­nis kurz nach der Fes­t­nahme, Alko­hol und “ein­er Intel­li­genz am
unteren Rand der Norm”. Die Kam­mer hält auch Mar­co S. den Suff und “einen IQ
von 55″ zugute. Und eine “Per­sön­lichkeitsstörung”. Den­noch bekommt er
15Jahre, wegen ver­sucht­en Mordes und unter “Ein­beziehung” ein­er früheren
Strafe, nach einem Über­fall auf einen Afrikan­er. Das hohe Straf­maß erklärt
die Kam­mer so: Für Mar­co S. gilt Erwach­se­nen­strafrecht, außer­dem habe er
mit­gewirkt, als Mar­cel noch einen Gas­be­ton­stein auf Mar­i­nus Schöberl warf.
Um sich­er zu sein, dass der Junge tot ist. Anschließend wurde er von den
Angeklagten in ein­er Jauchegrube verscharrt. 

 

Als Bech­er nach einein­halb Stun­den Urteil und Begrün­dung ver­lesen hat, sind
die bei­den Staat­san­wältin­nen und das Pub­likum ver­wirrt, auch empört. “Wir
wer­den auf jeden Fall Beschw­erde gegen die Freilas­sung von Sebas­t­ian und
Revi­sion gegen das milde Urteil ein­le­gen”, sagt Ober­staat­san­wältin Lolita
Lodenkäm­per. Über­raschend kündigt auch der Anwalt von Sebas­t­ian F. eine
“vor­sor­gliche Revi­sion” an. Der hält der­weil seine fer­tig gedrehte Zigarette
in der Hand. Er wird gefragt, ob er sich freut. Sebas­t­ian F. grinst. Dann
fol­gt ein kräftiges “Jau”.

 

Pot­zlow: Zwei Mordurteile

 

Weil er eine Hip-Hop-Hose trug und sich die Haare färbte, musste Marinus
Sch. ster­ben. Gestern wur­den die bei­den Brüder Mar­co und Mar­cel S. zu acht
und fün­fzehn Jahren Haft verurteilt. Ihr Fre­und Sebas­t­ian F. bekam zwei
Jahre wegen Nötigung

 

(TAZ, Kirsten Küp­pers) Die Brüder bekom­men hohe Haft­strafen. Der kleine Brud­er acht Jahre und sechs
Monate wegen Mordes und gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung, der ältere 15 Jahre
wegen ver­sucht­en Mordes. Ihr Fre­und wird zu zwei Jahren wegen Nötigung
verurteilt. 

 

Die Richter vom Landgericht Neu­rup­pin haben den Mord, der in der Nacht zum
13. Juli 2002 in dem kleinen Ort Pot­zlow in der Uck­er­mark geschah, nicht als
verir­rte Tat von drei betrunk­e­nen Jungs gew­ertet. Sie haben mehr als 40
Zeu­gen befragt, sie haben fast das ganze Dorf Pot­zlow ins Gericht geladen:
die Polizis­ten, den Getränke­händler, die Lehrer, die Schul­fre­unde, die
Alko­ho­lik­er. 25 Tage hat der Prozess jet­zt gedauert. 

 

Die Richter haben sich Mühe gegeben. Sie haben ver­sucht her­auszufind­en, was
passiert ist in jen­er Nacht, als die drei Angeklagten, die Geschwis­ter Marco
und Mar­cel S., 23 und 17 Jahre alt, sowie ihr Fre­und, der 17-jährige
Sebas­t­ian F. nach einem Abend voller Bier- und Schnap­sh­er­rlichkeit den
16-jähri­gen Mar­i­nus Sch. erst stun­den­lang gequält und geschla­gen haben.
“Sag, dass du ein Jude bist”, ver­langten sie. Auf das Gelände einer
still­gelegten LPG am Dor­frand haben sie ihn geschleppt. Dort erwartete ihn
ein so genan­nter “Bor­d­stein-Kick”, wie er auch in dem Spielfilm “Amer­i­can
His­to­ry X” gezeigt wird: Mar­i­nus Sch. musste in die Kante eines
Schweinet­rogs beißen, Mar­cel S. sprang ihm mit seinen Springer­stiefeln auf
den Kopf. Erst Monate später wurde die Leiche von Kindern in der Jauchegrube
gefunden. 

 

Das Ver­brechen flog auch deswe­gen auf, weil Mar­cel S. immer wieder mit der
Tat angegeben hat­te. “Ich hab einen Pen­ner umge­bracht”, hat er gerufen,
“musste auch mal machen, is geil.” Die Angeklagten haben bei der Polizei
zugegeben, dass es so war. Den Rest haben Zeu­ge­naus­sagen bestätigt. Am Ende
sahen es die Richter als erwiesen an, dass die Angeklagten Mar­i­nus Sch. als
Opfer aus­sucht­en, weil er eine weite Hip-Hop-Hose getra­gen hat­te und sich
die Haare blond färbte. Ihre rechte Ein­stel­lung führte zur Moti­va­tion, “ihn
zu demüti­gen, um eigene Über­legen­heit zu demon­stri­eren”, sagte die
Vor­sitzende Rich­terin gestern. Mar­cel S. habe vorsät­zlich und aus niederen
Beweg­grün­den gehan­delt. “Er wollte erleben, wie es ist, einen Men­schen zu
töten.” 

 

Die Vertei­di­ger der Angeklagten hat­ten dage­gen kein recht­sex­tremes Motiv für
den Mord aus­machen kön­nen, vielmehr han­dele es sich um eine Tat im
Alko­ho­laf­fekt. Der Anwalt von Sebas­t­ian F. hat­te sog­ar eine Jugend­strafe im
Gefäng­nis abgelehnt. Bei den Auseinan­der­set­zun­gen habe es sich um “nicht
wesentlich mehr als eine Kabbelei” gehan­delt. “Ein so genannter
Bor­d­stein-Kick ist sich­er bru­tal, aber nicht grausam. Er ist effizient, um
jeman­den zu töten.” 

 

Die bei­den Brüder ver­nah­men mit gesenk­ten Köpfen ihr Urteil. Beim älteren
Brud­er Mar­co S. floss auch dessen langes Vorstrafen­reg­is­ter in das Strafmaß
mit ein. Derzeit sitzt Mar­co. S. bere­its im Gefäng­nis, wegen eines Überfalls
auf einen Asyl­be­wer­ber aus Sier­ra Leone. 

 

Sein klein­er Brud­er wollte ihm mit dem Mord an Mar­i­nus S. imponieren,
erk­lärte die Rich­terin gestern. In der Unter­suchung­shaft hat Mar­cel S. sich
ein Hak­enkreuz auf sein Knie tätowieren lassen. Auch im Gerichtssaal bemühte
er sich um ein aus­druck­slos­es Gesicht. Sein Fre­und Sebas­t­ian F. durfte
gestern nach Hause gehen. Bis zur Voll­streck­ung der Strafe ist er frei. Mit
einem bre­it­en Grin­sen im Gesicht, ein­er Plas­tik­tüte in der einen und einer
Zigarette in der anderen Hand, ver­ließ er gestern den Saal. Die
Staat­san­waltschaft hat indes angekündigt, gegen das Urteil in seinem Falle
Revi­sion einzule­gen. Auch der Anwalt der Neben­klage find­et die Entscheidung
“viel zu milde”. 

 

Hass, Wahn, Suff — Mord

 

Landgericht Neu­rup­pin ver­hängt langjährige Haft­strafen für Mord an
16-jähri­gen Schüler. Jugendliche Täter stam­men aus der recht­sex­tremen Szene.
Opfer als Jude gedemütigt

 

(TAZ) NEURUPPIN afp Wegen des bru­tal­en Mordes an dem 16-jähri­gen Schüler Marinus
S. im bran­den­bur­gis­chen Pot­zlow hat das Landgericht Neu­rup­pin am Freitag
gegen drei junge Män­ner aus der recht­sex­tremen Szene langjährige Haftstrafen
ver­hängt. Der 18-jährige Haup­tangeklagte Mar­cel S. erhielt wegen Mordes und
gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung eine Jugend­strafe von achtein­halb Jahren. Sein
mehrfach vorbe­strafter 24-jähriger Brud­er Mar­co muss wegen ver­sucht­en Mordes
für 15 Jahre ins Gefäng­nis. Der 18-jährige Mit­täter Sebas­t­ian F. wurde wegen
gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung zu zwei Jahren Haft verurteilt. 

 

Die drei geständi­gen Täter hat­ten ihr Opfer im Juli 2002 nach starkem
Alko­holko­sum in einen ehe­ma­li­gen Schweinestall gelockt. Den Skin­heads galt
der 16-Jährige als links ori­en­tiert, weil er sich die Haare blond färbte und
eine in der HipHop-Szene ver­bre­it­ete weite Hose trug. In dem Stall
ver­höh­n­ten und mis­shan­del­ten sie ihr Opfer. Der Schüler sollte das falsche
Beken­nt­nis able­gen, ein Jude zu sein. Als er schließlich gezwun­gen wurde, in
die Kante eines Schweinet­rogs zu beißen, sprang der Haup­tangeklagte Marcel
S. ihm mit Springer­stiefeln ins Genick. Zudem wur­den zwei Steine auf den
Kopf des Jun­gen gewor­fen. Die Täter sollen sich dies in einem US-Film
abgeschaut haben, in dem ein Schwarz­er auf diese Weise von einem Neonazi
getötet wird. Die Leiche des Schülers war­fen die jun­gen Män­ner in eine
Jauchegrube, wo sie nach vier Monat­en von Kindern ent­deckt wurde. Richterin
Ria Bech­er sprach in der Urteils­be­grün­dung von einem beson­ders brutalen
Mord. Die recht­sex­treme Ein­stel­lung der Jugendlichen sei ein Tatmotiv
gewe­sen. Die Urteile blieben unter den Strafanträ­gen des Staat­san­walts, der
gegen die Brüder Höch­st­strafen von 10 Jahren Jugend­haft bzw. lebenslänglich
beantragt hatte. 

 

Urteilsverkün­dung im Potzlow-Prozess

Achtein­halb Jahre Haft für Haupttäter

 

(MAZ) NEURUPPIN/POTZLOW — Im Landgericht Neu­rup­pin sind gestern die Urteile im
Potzlow-Proz
ess verkün­det wor­den. Der bei der Tat 17-jährige Hauptangeklagte
Mar­cel Sch. wurde wegen Mordes an dem 16-jähri­gen Schüler Mar­i­nus Schöberl
zu ein­er Jugend­strafe von achtein­halb Jahren verurteilt. Marcels 24 Jahre
alter Brud­er Mar­co muss wegen ver­sucht­en Mordes 15 Jahre in Haft. Der damals
17-jährige Sebas­t­ian F. erhielt ein­er Jugend­strafe von zwei Jahren, durfte
jedoch gestern nach Hause. 

 

Ent­ge­gen der Anklage der Staat­san­waltschaft wertete die Jugend­kam­mer des
Landgerichts das Ver­brechen nicht als recht­sex­treme Tat, obwohl die Täter
der Neon­azi-Szene zuzurech­nen sind. 

 

Die Staat­san­waltschaft Neu­rup­pin sowie zwei Vertei­di­ger kündigten an, gegen
das Urteil in Revi­sion zu gehen. 

 

Neugi­er als Mordmotiv

Mar­i­nus Schöberls Tod war laut Gericht kein poli­tis­ches Verbrechen

 

(MAZ, Frank Schau­ka) NEURUPPIN/POTZLOW — Mar­i­nus Schöberl musste im Alter von 16 Jahren sterben,
weil Mar­cel Sch. “erleben wollte, wie es sich anfühlt, einen Men­schen zu
töten”. Nicht, dass der 17-Jährige per­sön­lich etwas gegen Mar­i­nus gehabt
hätte. Sie waren zwar keine engen Fre­unde, kan­nten sich aber seit Jahren.
Die bei­den hat­ten wohl auch manch­es krumme Ding gedreht. Doch am frühen
Mor­gen des 13. Juli 2002 wollte Mar­cel plöt­zlich dieses mörderische Gefühl
ausleben, wie Ria Bech­er, die Vor­sitzende der großen Jugend­kam­mer des
Landgerichts Neu­rup­pin, in ihrer Urteilsverkün­dung zum Potzlow-Prozess
gestern ausführte. 

 

200 Meter abseits des Dor­fes, am Ende eines 75 Meter lan­gen Schweinestalls
auf dem Gelände ein­er ver­lasse­nen LPG, lag Mar­i­nus am Boden und biss in eine
Steinkante, weil Mar­cel es ihm befohlen hat­te. Mar­i­nus hat­te nicht mehr die
Kraft, sich zu wehren. Stun­den­lang hat­ten sie ihn geprügelt und gedemütigt.
Mar­co, Marcels älter­er Brud­er, und Sebas­t­ian, ein Schul­fre­und von Marcel,
hat­ten mit der Mis­shand­lung begonnen. Schließlich schlug auch Marcel
mehrfach zu. 

 

Mar­i­nus zit­terte vor Angst, seine Hose war feucht und stank. Der Junge lag
in der hil­flos­es­ten Posi­tion, die man sich vorstellen kann, wie
Staat­san­wältin Eva Hoffmeis­ter es genan­nt hat­te. Jed­er in Pot­zlow kan­nte die
Szene aus dem Film “Amer­i­can His­to­ry X”, in dem ein Neon­azi einen Schwarzen
mit einem Sprung ins Genick ermordet. Mar­i­nus lag da wie dieser Schwarze. 

 

Es sei nicht so gewe­sen, erk­lärte Rich­terin Bech­er, dass Mar­cel Marinus
“per­sön­lich umbrin­gen wollte”. Mar­cel — selb­st oft geschla­gen und nun in
ein­er Posi­tion des Starken — habe jäh den Entschluss gefasst, die ihm
ver­traute Film­szene “bis zum bit­teren Ende durchzus­pie­len”. Mar­i­nus sei
nicht mehr als das “zufäl­lige, aber jet­zt zur Ver­fü­gung ste­hende Opfer”
gewe­sen. Auf der Suche nach etwas Gefühl und dem Wun­sch, von seinem
krim­inellen Brud­er Mar­co endlich anerkan­nt zu wer­den, brachte Mar­cel Marinus
um. Das tödliche Ende des Sprungs “war ihm klar”, sagte Bech­er. Wegen dieses
Mordes, ange­siedelt “auf der unter­sten moralis­chen Stufe”, ist der heute
18-Jährige gestern zu ein­er Jugend­haft­strafe von achtein­halb Jahren
verurteilt wor­den. Bei guter Führung kann Mar­cel als 23-Jähriger dennoch
wieder frei sein. 

 

Der Mord an Mar­i­nus, befand das Gericht, sei ein Mit­täterexzess gewe­sen und
nicht das geplante poli­tis­che Ver­brechen, das die Neuruppiner
Staat­san­waltschaft zum Auf­takt des Prozess im Mai angeklagt hat­te. Die
höch­sten Haft­strafen für alle drei Täter hat­te sie deshalb gefordert: 15
Jahre Haft für den damals 23-jähri­gen Neon­azi Mar­co, die Max­i­mal­strafe von
zehn Jahren Jugend­haft für den zum Tatzeit­punkt 17-jähri­gen Mar­cel sowie
eine Jugend­strafe von neun Jahren und acht Monat­en für den damals 17 Jahre
alten recht­sex­tremen Sebastian. 

 

Gestern hinge­gen kon­nte Sebas­t­ian F. den Gerichtssaal zunächst als freier
Mann ver­lassen. Er wird dem­nächst wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung eine
Jugend­strafe von zwei Jahren antreten müssen, auf die seine elfmonatige
Unter­suchung­shaft allerd­ings angerech­net wird. Mar­co Sch. wurde wegen
ver­sucht­en Mordes und Kör­per­ver­let­zung sowie unter Berück­sich­tung diverser
Vorstrafen zu ein­er Gesamt­strafe von 15 Jahren verurteilt. Ein
recht­sex­tremes Motiv für den Mord­ver­such kon­nte dem überzeugten Neon­azi für
diese Tat jedoch nicht nachgewiesen wer­den. Strafmildernd wirk­ten sich zudem
der äußerst geringe Intel­li­gen­zquo­tient von 55 sowie die Alkoholabhängigkeit
des Angeklagten aus. 

 

Die Jugend­kam­mer des Landgerichts — die sich weit­ge­hend den Beweisket­ten der
Pots­damer Vertei­di­ger Matthias und Volk­mar Schöneb­urg anschloss -
dif­feren­zierte in der Urteils­be­grün­dung stark zwis­chen der
recht­sex­trem­istis­chen und men­schen­ver­ach­t­en­den Geis­te­shal­tung der drei Täter
und dem Verbrechen. 

 

Die Staat­san­waltschaft werde teil­weise in Revi­sion gegen das Urteil gehen,
kündigte die Lei­t­erin der poli­tis­chen Abteilung, Loli­ta Lodenkäm­per, an.
Ins­beson­dere das Urteil gegen Sebas­t­ian F. sei zu ger­ing ausgefallen. 

 

Rechtsmit­tel will wegen des Urteils gegen Mar­co Sch. auch Anwalt Matthias
Schöneb­urg einlegen. 

 

Reak­tion der Eltern

 

“Es ist immer noch unvorstell­bar für uns, dass wir unsere Kinder achteinhalb
und 15 Jahre nicht mehr zu Hause sehen kön­nen”, weint Jut­ta Sch. Mit ihrem
Mann hat sie zu Hause auf das Urteil gewartet. “Wir haben nach all den
schlim­men Wochen nicht mehr die Kraft gehabt, um an diesem Tag den
Presserum­mel im Gerichtssaal ertra­gen zu kön­nen.” “Ohne Frage gehört diese
schlimme Tat gesüh­nt,” ergänzt Jür­gen Sch. “Was ich aber nicht ver­ste­he ist,
warum der dritte Beteiligte an der Tat, der die Lei­den von Mar­i­nus Schöberl
miter­lebt und nichts für ihn getan hat, nur zu zwei Jahren Jugendstrafe
verurteilt wurde und sofort nach der Urteilsverkün­dung vor­läu­fig nach Hause
kon­nte. Den­noch sind wir dem Gericht dankbar, dass unserem Sohn Mar­co die
Sicher­heitsver­wahrung nach 15 Jahren Gefäng­nis erspart bleibt, die der
Staat­san­walt gefordert hat. Somit wer­den wir Mar­co irgend­wann wieder in die
Arme schließen können.” 

 

Ein Ander­er in Potzlow

Bis zum Ende des Prozess­es gegen Skin­heads, die einen Jun­gen bru­tal ermordet
haben, find­et das Opfer in seinem Dorf kein Mitgefühl

 

(FR, Pitt von Beben­burg) Es ist ein unheim­lich­er Prozess gewe­sen wegen ein­er grauen­vollen Tat. In
Pot­zlow, einem Dorf von 576 Ein­wohn­ern in der Uck­er­mark, haben die beiden
Brüder Mar­co und Mar­cel S., 24 und 18 Jahre alt, und Marcels Schulkamerad
Sebas­t­ian F. im Som­mer ver­gan­genen Jahres einen sprach­be­hin­derten Jungen
stun­den­lang gequält und ermordet. Auf eine Weise, die die Staatsanwaltschaft
vor der Zweit­en Großen Strafkam­mer des Neu­rup­pin­er Landgerichts “viehisch”
nan­nte. Das Opfer, der 16 Jahre alte Mar­i­nus Schöberl, hat­te blond gefärbte
Haare und trug eine weite Hose, wie sie die eher links-alternativ
ori­en­tierten Hiphop­per mögen. Das passte den Tätern nicht. Sie zwan­gen ihn
zu sagen, dass er “Jude” sei, um ihn dann als einen Men­schen zu behandeln,
der für sie kein Recht auf Leben hat. 

 

Kaum ein­er aus Pot­zlow hat sich auf den Weg nach Neu­rup­pin gemacht, um den
Prozess zu ver­fol­gen. Drei Zeu­gen mussten von der Polizei geholt werden,
weil sie nicht von sich aus gekom­men waren. Es waren jene bei­den Män­ner und
eine Frau, in deren Haus die Tor­tur von Mar­i­nus begonnen hat­te. Gegen die
drei erg­ing Straf­be­fehl wegen unter­lassen­er Hil­feleis­tung. “Ich habe mir
nichts vorzuw­er­fen”, sagte die Frau vor Gericht. 

 

In ihrem Haus, auf ihrer Veran­da, schlu­gen die Täter den Jun­gen. Sie soffen
selb­st und flößten ihm Schnaps und Bier e
in, bis er erbrechen musste. Der
Junge lag vor dem Haus, Sebas­t­ian F. pinkelte auf den Wehrlosen. Im
Mor­gen­grauen des 13. Juli 2002 bracht­en sie ihn zu ver­fal­l­enen Ställen am
Rande des Dor­fes. Dort zwan­gen sie ihn, in den Beton­rand eines Schweinetrogs
zu beißen. Dann sprang Mar­cel mit seinen schwarzen Springer­stiefeln auf den
Kopf, wie er es in dem Gewalt­film “Amer­i­can His­to­ry X” gese­hen hatte.
Mar­i­nus war halb tot und so entstellt, dass der Ältere, Mar­co, zu dem
Schluss kam: “Der wird nicht mehr. Den kön­nen wir keinem Arzt mehr
vorstellen.” Die bei­den Brüder woll­ten ihn endgültig töten, Mar­cel fand
einen Stein und warf ihn zweimal auf den bere­its zertrüm­merten Kopf des
Jun­gen. Sebas­t­ian F. war nach Marcels bru­talem Sprung mit den Worten: “Damit
will ich nichts zu tun haben”, kurz wegge­gan­gen. Er kam zurück und half mit,
den Jun­gen zu ver­schar­ren. Das Landgericht sah keine Beteili­gung von F. an
dem Mord. 

 

Strafen für Mar­cel und Mar­co S.

 

Sebas­t­ian F. darf am Ende der Urteilsverkün­dung seine Plas­tik­tüte pack­en und
nach Hause gehen. Er muss zwar später wieder ins Gefäng­nis, um seine
zwei­jährige Jugend­strafe abzusitzen. Doch zunächst hebt das Gericht den
Haft­be­fehl auf — sehr zum Unwillen der Staat­san­waltschaft. Denn die
Vor­sitzende Rich­terin Ria Bech­er hat­te selb­st darauf aufmerk­sam gemacht,
dass F. in elf Monat­en Unter­suchung­shaft “nicht von sein­er inneren Haltung
gegenüber anderen Men­schen Abstand genom­men” hat. Mar­cel und Mar­co gehen
dage­gen vom Gerichtssaal zurück ins Gefäng­nis: Mar­cel wird zu achteinhalb
Jahren, Mar­co S. zu 15 Jahren Haft verurteilt. Dabei bezieht das Gericht
frühere Strafen mit ein. 

 

Im Neu­rup­pin­er Gerichtssaal hat sich seit dem Prozes­sauf­takt im Mai das
Panora­ma ein­er völ­lig ver­wahrlosten Szene aufge­blät­tert, der in Potzlow
keineswegs nur Jugendliche ange­hören. Gesof­fen wurde dort, Bier und Schnaps
vor allem. Mit einem Trinkge­lage hat­te auch der Sam­stagabend im Juli vor
einem Jahr begonnen, der Son­ntag früh mit der Ermor­dung von Mar­i­nus endete.
Unge­fähr zwei Promille soll jed­er der Täter gehabt haben. Den drei jungen
Män­nern attestierte das Gericht stark ver­min­derte Intel­li­genz. Bei Marcel
lag der Intel­li­gen­zquo­tient mit 55 so niedrig, dass es für ihn strafmildernd
aus­fiel, weil das Gericht nicht auss­chließen kon­nte, dass dieser Man­gel im
Zusam­men­spiel mit dem Alko­hol dazu geführt hat­te, dass er nicht mehr Herr
sein­er Hand­lun­gen war. 

 

Es war keineswegs ein Zufall, dass die Täter auf Nazi-Jar­gon zurückgriffen.
Auch vor Gericht trat­en sie im recht­sex­tremen Out­fit auf. Mar­co hat
“Skin­head” in den kahlen Schädel tätowiert. Zum Zeit­punkt der Ermor­dung von
Mar­i­nus war er erst seit ein­er Woche frei — nach­dem er Vorstrafen wegen
Kör­per­ver­let­zung hat­te absitzen müssen. Und da der Mord von Pot­zlow zunächst
nicht aufgek­lärt wurde, kon­nte Mar­co weit­er sein Unwe­sen treiben. Vier
Wochen danach fiel er zusam­men mit sein­er Fre­undin und einem anderen
Skin­head in Pren­zlau über einen Schwarzen aus Sier­ra Leone her. Dafür kam er
ins Gefäng­nis, noch ehe die Ermit­tler Mar­i­nus gefun­den hatten. 

 

Ein Grab­stein für Marinus

 

Nur wenige in Pot­zlow schien es zu stören, dass Mar­i­nus ver­schwun­den war,
und als seine Mut­ter herum­fragte, ern­tete sie häu­fig nicht mehr als ein
Schul­terzuck­en. Es hörte auch nie­mand hin, als Mar­cel anf­ing, mit dem Mord
zu prahlen. “Das war ein geiles Gefühl, das müsst ihr auch mal machen”, soll
der 18 Jahre alte Mann gesagt haben. Erst als Mar­cel um 25 Euro wettete,
dass er die Leiche auch zeigen könne, und andere Jugendliche zu den Ställen
führte, wo sie Mar­i­nus an jen­em Son­ntag­mor­gen ver­schar­rt hat­ten, wendete
sich schließlich jemand an die Polizei. 

 

Für den Grab­stein von Mar­i­nus, dessen kinder­re­iche Fam­i­lie in armen
Ver­hält­nis­sen lebt, haben nicht die Pot­zlow­er gesam­melt. Eine Journalistin
von außer­halb brachte das Geld auf. 

 

In Pot­zlow stre­it­et man sich der­weil darüber, ob der Alko­holkon­sum der
Jugendlichen öffentlich debat­tiert wer­den darf. Und darüber, ob das
Jugend­haus — und nicht etwa die Eltern — die Ver­ro­hung der Jugendlichen
hätte ver­hin­dern müssen. 

 

“Ich ver­liere nicht die Hoff­nung”, sagt Pfar­rer Johannes Reimer, “aber es
ist sehr schwierig.” 

 

Pot­zlow-Prozess endet mit hohen Haftstrafen

Gericht wertet Mord an Mar­i­nus Schöberl nicht als Gemein­schaft­stat der drei
angeklagten Neonazis

 

(Berlin­er Zeitung, Jens Blanken­nagel) NEURUPPIN. Keine dreißig Minuten nach Verkün­dung des Urteils im Prozess um
die Ermor­dung des 16-jähri­gen Schülers Mar­i­nus Schöberl ste­ht ein­er der drei
Angeklagten am Fre­ita­gnach­mit­tag rauchend vor dem Landgericht Neuruppin.
Nicht nur viele Prozess­beobachter sind über­rascht, dass er vor­läu­fig frei
ist. Auch er selb­st. “Damit habe ich nicht gerech­net”, sagt der 18-jährige
Sebas­t­ian F. sichtlich erfreut. Ein glatzköp­figer Kumpel sagt zu ihm: “Jet­zt
kannst du ja ein Bier schlür­fen gehen.” 

 

In dem fünf Monate währen­den Mord­prozess war dem jun­gen Mann vorgeworfen
wor­den, Mar­i­nus am 12. Juli 2002 mit zwei anderen Neon­azis in Potzlow
stun­den­lang geschla­gen, belei­digt, als Juden beschimpft und auf ihn uriniert
zu haben. Die Anklage sah es als erwiesen an, dass er mit den anderen später
geplant hat, Mar­i­nus in einem Stall nach dem Vor­bild des Films “Amer­i­can
His­to­ry X” zu ermor­den. Klar ist: Die drei Täter hat­ten Mar­i­nus gezwungen,
in die Kante eines stein­er­nen Fut­tertrogs zu beißen, dann war ihm der
Haup­tangeklagte Mar­cel Sch. mit seinen schwarzen Springer­stiefeln auf den
Kopf gesprun­gen. Um sich­er zu gehen, dass er stirbt, warf er ihm dann noch
zweimal einen Stein auf den Kopf. 

 

Nach dem Jugend­strafrecht dro­hte Sebas­t­ian F., der zur Tatzeit wie der
Haupt­täter min­der­jährig war, eine Höch­st­strafe von zehn Jahren. Die
Staat­san­waltschaft forderte neun Jahre und acht Monate, der Vertei­di­ger war
gegen eine Haft­strafe, wollte nur erzieherische Maß­nah­men. Rich­terin Ria
Bech­er ver­hängte eine Strafe von zwei Jahren. Die muss Sebas­t­ian F. erst
antreten, wenn das Urteil recht­skräftig ist. Die unterschiedlichen
Vorstel­lun­gen vom Straf­maß drück­en die Schwierigkeit des gesamten Prozesses
aus. Wie soll ein Mord ohne wirk­lich­es Motiv geah­n­det wer­den, began­gen von
betrunk­e­nen Jugendlichen mit besten­falls unterdurchschnittlicher
Intel­li­genz? Wie lässt sich erk­lären, dass sie Mar­i­nus, den sie seit Jahren
kan­nten, “ohne Grund und Anlass” ermorde­ten? Die Staat­san­waltschaft sah
darin eine bes­tialis­che Tat, die ihren Ursprung im rechtsextremistischen
Gedankengut der Angeklagten hat­te. Mar­i­nus hat­te mit seinen weit­en Hosen und
den gefärbten Haaren dem Feind­bild der recht­sradikal eingestellten
Angeklagten entsprochen, deshalb haben sie ihn mis­shan­delt. “Sie woll­ten ihn
demüti­gen und ihre Über­legen­heit demon­stri­eren”, sagte auch die Richterin. 

 

Doch der eigentliche Mord ist laut Gericht keine gemeinsame
recht­sex­trem­istisch motivierte Tat, denn die soll Mar­cel Sch. allein
began­gen haben. Obwohl die anderen daneben standen, Mar­i­nus gar gezwungen
hat­ten, vor dem tödlichen Sprung in den Trog zu beißen. “Sie hat­ten den
Sprung nicht für möglich gehal­ten”, sagte die Rich­terin. Daher wurde nur der
Haupt­täter wegen Mordes verurteilt — zu acht Jahren und sechs Monat­en Haft.
“Er wollte das Gefühl erleben, wie es ist, zu töten. Und er wollte seinem
Brud­er und Sebas­t­ian imponieren”, sagte Bech­er. “Er spielte sich auf als
Herr über Leben und Tod.” 

 

Marcels großer Brud­er, Mar­co Sch. — ein vielfach vorbestrafter
rechtsextre
mer Schläger, der ger­ade ein Strafe wegen Mis­shand­lung eines
Afrikan­ers absitzt — bekam nicht die geforderte lebenslange Haft wegen
gemein­schaftlich began­genem Mordes. Er soll 15 Jahre wegen ver­sucht­en Mordes
ins Gefäng­nis. Denn er hat­te nach dem so genan­nten Bor­d­stein­kick dafür
gesorgt, dass sein Brud­er dem Opfer einen Stein auf den Kopf wirft, um
Mar­i­nus zu töten. Außer­dem hat­te er mit den Mis­shand­lun­gen begonnen. “Er hat
die Spi­rale der Gewalt erst in Gang geset­zt”, sagte die Richterin. 

 

Sowohl Anklage als auch Vertei­di­gung sind mit den Urteilen unzufrieden und
prüfen eine mögliche Revi­sion. Im Fall von Sebas­t­ian F. allerd­ings haben
sich bei­de Seit­en sofort entschlossen, Wider­spruch einzule­gen. “Ich sehe
keine schädlichen Nei­gun­gen bei ihm”, sagte sein Anwalt Ulrich Drews, der
auch die zwei­jährige Haft­strafe vom Tisch haben will. Die Staatsanwaltschaft
hinge­gen will eine weitaus härtere Strafe. “Wir haben auch Beschw­erde gegen
die Freilas­sung des Mannes ein­gelegt”, sagte Staat­san­wältin Lolita
Lodenkämper. 

 

Mord nach Drehbuch — Hohe Strafen im Potzlow-Prozess

Mit Haft­strafen von 15 und achtein­halb Jahren für die Brüder Mar­co und
Mar­cel Sch. endete gestern der Prozess um den Mord an Mar­i­nus Schöberl aus
Pot­zlow. Der dritte Angeklagte ist vor­erst wieder frei.

 

(BM, M. Lukasche­witsch) Neu­rup­pin — Im Prozess um den bes­tialis­chen Mord an dem 16-jähri­gen Schüler
Mar­i­nus Schöberl in Pot­zlow sind gestern zwei der drei Angeklagten zu hohen
Haft­strafen verurteilt wor­den. Das Landgericht Neu­rup­pin ver­hängte gegen die
Brüder Mar­co Sch. (24) und Mar­cel Sch. (18) wegen ver­sucht­en Mordes und
Mordes 15 Jahre Haft beziehungsweise acht Jahre und sechs Monate
Jugendstrafe. 

 

Der dritte Mitangeklagte Sebas­t­ian F. (18) kam dage­gen vor­erst wieder auf
freien Fuß. Er erhielt zwar zwei Jahre Jugend­strafe wegen Nöti­gung und
Kör­per­ver­let­zung, die er aber nicht gle­ich antreten muss. Die Vorsitzende
Rich­terin Ria Bech­er hat­te dem schlak­si­gen, unge­lenken jun­gen Mann
schädliche Nei­gun­gen und eine ungün­stige Sozial­prog­nose bescheinigt,
trotz­dem kon­nte er nach dem Urteil zunächst Hause gehen. Denn der Haftbefehl
lautete auf Mord. Dieser Vor­wurf bestätigte sich nach Auf­fas­sung des
Gerichts nicht. 

 

Recht­san­walt Thomas Weichelt, der die Eltern des ermorde­ten Mar­i­nus Schöberl
als Neben­kläger ver­trat und für alle Angeklagten eine Verurteilung wegen
gemein­schaftlich began­genen Mordes gefordert hat­te, war fas­sungs­los: “Das
ist nicht zu begreifen.” Auch die Staat­san­waltschaft will gegen das aus
ihrer Sicht “viel zu milde” Urteil gegen Sebas­t­ian F. Revi­sion ein­le­gen. F.
hat­te Mar­i­nus einige Stun­den vor seinem Tod in einem Schweinestall
geschla­gen und auf ihn uriniert. 

 

Doch an dem Mord selb­st, began­gen durch Mar­cel Sch., war F. nach Auffassung
der Richter nicht beteiligt: “Die Kam­mer kon­nte nicht klären, ob es unter
den Angeklagten eine Verabre­dung gab, Mar­i­nus zu töten”, sagte Richterin
Bech­er. Stets hat­te Mar­cel Sch. die alleinige Ver­ant­wor­tung für den Sprung
auf den Kopf des am Boden kauern­den Jun­gen über­nom­men. Das kon­nte auch die
Staat­san­waltschaft nicht überzeu­gend widerlegen. 

 

Mar­cel habe die Mord-Szene aus dem Film Amer­i­can His­to­ry X “bis zum bitteren
Ende durch­spie­len” wollen (s. Kas­ten), sagte die Rich­terin zum Motiv für die
Tat. Mar­i­nus musste in die Steinkante eines Schweinet­rogs beißen. “Zunächst
nur, um ihm Angst einzu­ja­gen”, wie die Rich­terin sagte. Dann aber sprang
Mar­cel Sch. mit bei­den Füßen — er trug stahlkap­pen­be­wehrte Springerstiefel -
auf den Kopf des Jun­gen. Sein Kopf wurde dabei regel­recht “auseinan­der
gesprengt”. 

 

Anschließend sucht­en die bei­den Brüder einen Stein, um Mar­i­nus den Rest zu
geben. Mar­cel fand einen Gas­be­ton­stein und ließ ihn zweimal auf den Kopf des
Opfers krachen. Anschließend versenk­ten die Täter den Toten in einer
Jauchegrube. “Mar­cel wollte fühlen, wie es ist, wenn man einen Menschen
tötet”, sagte die Rich­terin. Mar­i­nus sei das “zufäl­lige, aber ger­ade zur
Ver­fü­gung ste­hende Opfer gewesen”.

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Potzlow-Prozess: Nur ein »Mittäterexzeß«?


Der Richter­spruch im Neu­rup­pin­er Landgericht überzeugte wed­er Staat­san­waltschaft noch Vertei­di­gung. Am 24. Okto­ber wur­den nach ein­er weit­eren Woche Verzögerung die Urteile im Mord­fall von Pot­zlow bekan­nt­gegeben (siehe jW vom 25./26.10.). Der 18jährige Haupt­täter Mar­cel Sch. wurde wegen Nöti­gung in Tatein­heit mit mehrfach­er schw­er­er Kör­per­ver­let­zung sowie Mordes an dem 16jährigen Mar­i­nus Schöberl nach dem Jugend­strafrecht zu acht Jahren und sechs Monat­en Haft verurteilt, sein 24jähriger Brud­er Marko wegen Nöti­gung in Tatein­heit mit mehrfach­er schw­er­er Kör­per­ver­let­zung und ver­sucht­en Mordes zu 15 Jahren. Der 18jährige Sebas­t­ian F. erhielt lediglich eine Jugend­strafe von zwei Jahren wegen Nöti­gung in Tatein­heit mit mehrfach­er schw­er­er Kör­per­ver­let­zung. Seine elf­monatige Unter­suchung­shaft wird ihm dabei angerech­net, die verbleibende Strafe muß er erst antreten, wenn das Urteil recht­skräftig wird. 

 

Die drei Jugendlichen hat­ten ihren langjähri­gen Bekan­nten Mar­i­nus ohne jeden Anlaß zunächst stun­den­lang geschla­gen, gequält und gedemütigt – im Bei­sein dreier weit­er­er Per­so­n­en, gegen die Straf­be­fehl wegen unter­lassen­er Hil­feleis­tung erg­ing. Später hat­ten sie Mar­i­nus zu ein­er still­gelegten Schweine­mas­tan­lage gebracht, wo sie ihn bes­tialisch ermorde­ten. Die Vor­sitzende Rich­terin Ria Bech­er fol­gte in ihrem Urteil in weit­en Teilen der Argu­men­ta­tion der Vertei­di­gung, die betonte, eine gemein­schaftliche Verabre­dung zum Mord sei den Angeklagten nicht nachzuweisen. Vielmehr sei Mar­cel Sch. ein­er »spon­ta­nen Einge­bung« gefol­gt, Mar­i­nus durch Nach­spie­len ein­er Szene aus dem Film »Amer­i­can His­to­ry X« zu töten. Die anderen, die gemein­sam mit Mar­cel Mar­i­nus zwan­gen, in die Kante eines Schweinet­rogs zu beißen, hät­ten nicht ahnen kön­nen, daß Mar­cel ihm dann tat­säch­lich auf den Kopf sprin­gen würde. Wie die Vertei­di­ger von Marko und Mar­cel, Matthias und Volk­mar Schöneb­urg, sah die Rich­terin in Marcels Tat einen soge­nan­nten Mit­täterexzeß. Die Spi­rale der Gewalt habe der ältere Brud­er in Gang geset­zt, als er anf­ing, Mar­i­nus zu schla­gen. Mar­cel Sch. habe seinem Brud­er und Sebas­t­ian F. imponieren wollen. Marko Sch. sei danach der­jenige gewe­sen, der die Ent­deck­ung der Tat habe ver­hin­dern wollen. Nach­dem Mar­i­nus nach dem »Bor­d­stein­kick« mit völ­lig entstell­tem Kopf dagele­gen habe, habe er die Suche nach einem Stein angeregt, mit dem man das Opfer endgültig töten wollte. Dies wertete das Gericht als ver­sucht­en Mord. 

 

Sebas­t­ian F. hat­te sich nach dem Sprung auf den Kopf des Opfers vom Ver­brechen »dis­tanziert«, jedoch beim Ver­schar­ren der Leiche mit­ge­holfen. Gle­ich­wohl räumte die Rich­terin ein, daß F. während sein­er Unter­suchung­shaft seine Gesin­nung nicht geän­dert habe. Wie die anderen Angeklagten gehört er zur recht­en Szene. Der Vertei­di­ger von Sebas­t­ian F. ist nun der Ansicht, das Urteil für F. sei immer noch zu hart, und legte Wider­spruch ein. Auch die Staat­san­waltschaft reichte Beschw­erde ein: gegen die Haf­tent­las­sung von F. unmit­tel­bar nach der Urteilsverkün­dung. Sebas­t­ian F. war der­jenige gewe­sen, der auf das Opfer uriniert hat­te. Marko Schön­feld wurde ver­min­derte Zurech­nungs­fähigkeit auf­grund sein­er Alko­holkrankheit und ein­er Per­sön­lichkeitsstörung zuerkan­nt. Gle­ichzeit­ig schlug aber sein Vorstrafen­reg­is­ter zu Buche: Nur vier Wochen nach dem Mord in Pot­zlow war er in Pren­zlau an einem Über­fall auf einen Mann aus Sier­ra Leone beteiligt. 

 

Das soziale Umfeld – Arbeit­slosigkeit, Abwan­derung der meis­ten Men­schen mit höher­er Qual­i­fika­tion aus der Region – spielte im Plä­doy­er der Rich­terin keine Rolle. Auch das recht­sex­treme Umfeld der Täter kam nicht zur Sprache. Das Erschüt­ternd­ste am Prozeß war die Stumpfheit unter den Erwach­se­nen wie unter den jugendlichen Saufkumpa­nen der Angeklagten, aber auch die Ver­logen­heit einiger jugendlich­er Zeu­gen. Diese tat­en vor Gericht, als seien sie der Sprache nicht mächtig und beklagten nach der Ver­hand­lung vor den Fernsehkam­eras wortre­ich, daß man sie noch immer nicht in Ruhe lasse. Mar­i­nus’ Mut­ter hat auf das Gedenkkreuz am Tatort geschrieben: »Warum hat dir kein­er geholfen?« 

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