(MAZ, Frank Schauka) POTSDAM In dem Konflikt mit seiner Dienstvorgesetzten, Justizministerin Barbara Richstein (CDU), erhält Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo
Rautenberg Unterstützung von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). “Rautenberg hat mein Vertrauen”, erklärte der Regierungschef nach einer Kabinettssitzung gestern in Potsdam. An die Politiker gerichtet, bat Platzeck zudem, “Ruhe und Sachlichkeit zu bewahren”.
Rückendeckung erhält Rautenberg inzwischen von allen Parteien, außer von der CDU. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wolfgang Klein, sagte, in Richsteins Äußerungen erkenne er einen “Hauch von
Hinterhältigkeit” gegen den Generalstaatsanwalt. Klein forderte die Justizministerin auf, die Vorwürfe angeblicher Indiskretion gegen Rautenberg im Zusammenhang mit dem MAZ-Bericht zu einem Waffenfund in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Brandenburg/Havel “entweder eindeutig zu belegen
oder sich hinter den Spitzenbeamten zu stellen”. Klein: “Von weiteren tückischen Suggestiväußerungen kann ich ihr dagegen nur dringend abraten.” Richsteins Sprecherin hatte tags zuvor erklärt, die Ministerin sei überrascht, “wie groß die Ablehnung Rautenbergs bei den Landtagsabgeordneten
ist”. Dabei habe lediglich der CDU-Abgeordnete Sven Petke Rautenberg öffentlich attackiert, merkte Klein an.
Der Hintergrund des Zwistes zwischen Ministerin und Chefankläger reicht offenbar weit hinter die aktuelle Debatte um Indiskretionen und Missstände im Gefängnis zurück.
Beobachter sind sich einig, dass Rautenberg den Zorn der CDU-Spitze spätestens vor zwei Jahren auf sich gezogen hatte, als er sich in einer V‑Mann-Affäre des brandenburgischen Verfassungsschutzes zu einem
juristischen Sachverhalt äußerte — und damit Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) korrigierte.
Während Schönbohm erklärte, V‑Männer dürften sich unter Umständen “etwas zuschulden kommen lassen”, ohne strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen, erklärte Rautenberg, V‑Leute dürften nicht folgenlos Straftaten
verüben. Diese Rechtsposition teilen alle deutschen Generalstaatsanwälte sowie die Bundesanwaltschaft.
Die CDU reagierte prompt. Vize-Landeschef Petke attackierte Rautenberg und rief ihn zur “Zurückhaltung” auf. Ministerin Richstein verpasste Rautenberg einen “Maulkorb”, wie der Landesvorsitzende des Deutschen Richterbunds, Wolf
Kahl, damals betonte. Der Spitzenkandidat der märkischen Grünen, Berlins ehemaliger Justizsenator Wolfgang Wieland, sprach gestern von einer “bundesweit beispiellosen Mobbing-Kampagne eines CDU-Innenministers und einer CDU-Justizministerin gegen einen Generalstaatsanwalt”. Rautenberg sehe sich dieser Angriffe ausgesetzt, weil er in der V‑Mann-Affäre geltendes Recht vertreten habe, so Wieland. Ähnlich sieht es die PDS. Die CDU wolle
“alte offene Rechnungen” mit Rautenberg begleichen und von “Missständen im Justizministerium ablenken”, so deren rechtspolitischer Sprecher, Stefan Sarrach.
Bei einem Besuch in der JVA Brandenburg/Havel wollte sich Richstein gestern zu dem Konflikt nicht äußern. Die Frage, ob Rautenberg noch ihr Vertrauen genieße, ließ die Ministerin unbeantwortet.
Zuvor hatte sie Forderungen der Personalversammlung zurückgewiesen, an der 200 der 450 JVA-Mitarbeiter teilnahmen. Sie verlangten die Wiedereinsetzung
des abgesetzten Anstaltsleiters Hermann Wachter. Dessen Arbeit hätten die Bediensteten geschätzt, erklärte Personalratsvorsitzender Manfred Kühne. Er betonte, es habe keine gewalttätigen Übergriffe auf Gefangene gegeben. Der
Personalratschef verlangte, die Suspendierung der fünf Bediensteten aufzuheben, die Richstein wegen angeblicher unterlassener ärztlicher Hilfeleistung ausgesprochen hatte.
Der herzkranke Häftling Friedrich F. war, so die Vorwürfe, trotz seiner Klagen erst Stunden später versorgt worden. Wie Richstein sagte, halte sie an den eingeleiteten personellen Maßnahmen fest. Sie verwahrte sich gegen die Bezeichnung “Folterknast” für die JVA Brandenburg/Havel.
Richstein bat die Beamten um Vertrauen. Die Staatsanwaltschaft werde den Fall aufklären. In den kommenden Jahren müsse in allen Gefängnissen die
soziale Lage und innere Sicherheit verbessert werden. Kühne sieht vor allem in baulicher Hinsicht Nachholbedarf. So lebten die Gefangenen in der Brandenburger JVA noch in Räumen mit bis zu vier Betten. Die Anstalt gehöre
zu den ältesten im Land und müsse modernisiert werden.
Solidarität mit dem versetzten Gefängnis-Chef
JVA-Bedienstete fordern Wachters Rückkehr und Aufhebung der Suspendierungen
(MAZ) Die Beschäftigten der Justizvollzugsanstalt (JVA) Brandenburg haben gestern
in ihrer Personalversammlung gefordert, dass das Justizministerium die
Suspendierung von fünf ihrer Kollegen zurücknimmt und den versetzten Leiter
Hermann Wachter wieder auf seinen Posten zurückholt. An der Versammlung
nahmen gut 200 der 450 JVA-Mitarbeiter teil.
Der Personalrat unterstütze die Forderung der Beschäftigten, sagte der
Vorsitzende Manfred Kühne. Er sprach vom Unmut der Beschäftigten über die
Suspendierungen und über die Versetzung Wachters, dessen Arbeit die
Mitarbeiter zu schätzen gelernt hätten. Justizministerin Barbara Richstein
(CDU) sagte, sie nehme die Forderungen zur Kenntnis, halte aber an ihren
Personalmaßnahmen fest. Sie betonte, dass die Suspendierungen keine
Vorverurteilung bedeuteten.
Das Ministerium hatte die fünf JVA-Mitarbeiter Anfang Mai vom Dienst
suspendiert, weil ihnen vorgeworfen wird, sie hätten keine ärztliche Hilfe
für den bekanntermaßen herzkranken Gefangenen Frank Friedrich veranlasst.
JVA-Leiter Wachter wurde wenig später “aus Fürsorgegründen” versetzt. Die
Justizministerin betonte gestern, dass es nicht um den Vorwurf gehe, dass
gegen den Gefangenen “über Gebühr körperliche Gewalt” angewandt worden sei.
Friedrich dagegen behauptet, ein Prügeltrupp aus JVA-Bediensteten habe an
jenem 13. Januar 2004, als er Schmerzen hatte, auf ihn eingeschlagen, statt
Hilfe wegen seines Herzinfarkts zu organisieren.
Die Justizministerin verwahrte sich gestern gegen Bezeichnungen wie
“Folterknast” für die JVA Brandenburg. “Ich stelle mich vor alle
Bediensteten”, sagte Richstein. Sie leisteten mit viel Engagement “harte
Arbeit”. Die Ministerin kündigte an, nach der äußeren nun auch die “innere
und soziale Sicherheit” in der JVA Brandenburg stärken zu wollen.
Personalratschef Manfred Kühne berichtete von Verunsicherung und Frust unter
seinen Kollegen wegen der Reaktionen auf die jüngsten Vorfälle. Ein Teil der
Bediensteten lehne das Maskierungsverbot ab, das die Ministerin nach
Bekanntwerden der Gewaltvorwürfe verhängt hatte.
Die Frage, ob Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg noch ihr Vertrauen
genieße, ließ die Ministerin gestern unbeantwortet. Diese Dinge würde sie
mit ihm direkt und nicht über die Öffentlichkeit besprechen, sagte
Richstein.